Der Bischof und die Piusbrüder - 2. Teil

Eigentlich haben wir in unserem ersten Beitrag Der „Bischof“ und die Piusbrüder schon das Wesentliche zu dem Thema „Bischof“ Huonder gesagt. Nachdem wir festgestellt haben, daß sich der ehemalige „Bischof“ von Chur, nachdem er bei den Piusbrüdern Unterkunft genommen hat, zur Irrlehre des Lefebvrismus „bekehrt“ hat, ist nichts anderes mehr zu erwarten gewesen, als daß er die unsinnigen Thesen der Piusbrüder eifrig nachbetet. In der Tat bestätigen die zwei weiteren Videos diese Erwartung. Die Piusbrüder haben tatsächlich in den wenigen Jahren aus Bischof Huonder einen waschechten Lefebvristen gemacht, der gedanken- und bedenkenlos herunterliest, was immer man ihm auf den Zettel schreibt. Denn es ist zu vermuten, hinter den Texten, die der Bischof in den Videos verliest, steht ein Ghostwriter, welcher der Reihe nach alle Piushäresien abruft, die ihn auf die Schnelle zu dem Thema eingefallen sind.

Nachdem wir uns nunmehr alle drei Videos über „Die große Wunde“ zu Gemüte geführt haben, können wir nur enttäuscht feststellen: Vitus Huonder scheint kein besonders gebildeter und auch kein wirklich wacher Geist zu sein. In der kurzen Zeit hat er bei den Piusbrüdern nicht nur das kleine, sondern gleich das große Häretikum gemacht, wobei er die Irrlehren sogar pointiert verstärkt wiedergibt, was vielleicht auch am gewählten Medium liegen mag. Ein Film zwingt dazu, ein Thema kurzweilig und zudem verkürzt darzustellen. Letztlich sagt Huonder in den drei Videos nicht viel, aber was er sagt, hat es durchaus in sich.

Da wir unseren Lesern die vielfältigen Irrlehren der Lefebvristen inzwischen genügend zur Kenntnis gebracht haben, wollen wir uns in unserer Zusammenfassung der restlichen zwei Videos auf die besonderen Pointen konzentrieren, die Huonder und sein Ghostwriter wohl eher ungewollt in die Texte einfließen ließen und die sich wohl durch die Rezeption der lefebvristischen Irrlehre durch den konservativen Modernisten Huonder spontan ergeben haben.

Teilweiser Abfall

Wie bei den Piusbrüdern üblich, konzentriert sich Huonder in seiner Darlegung der „Krise der Kirche“ auf die Frage der hl. Messe. Unter der Überschrift „Novus Ordo“ erklärt er:

„Die Priesterbruderschaft ist in einem gewissen Sinn ein Kind der Krise der Kirche. Das haben wir festgestellt. Die Krise der Kirche ist eine Folge eines teilweisen Abfalls vom überlieferten Glauben, von der Tradition und der überlieferten Glaubenspraxis.

Das Abrücken von der Tradition wird beim veränderten Ritus des heiligen Meßopfers am schmerzhaftesten empfunden.“

Der aufmerksame Leser stolpert über zwei Worte: Die Krise der Kirche sei die Folge eines teilweisen Abfalls vom überlieferten Glauben heißt es da. Auf was bezieht sich das Wort „teilweise“? Ist das teilweise inhaltlich gemeint? Wenn ja, dann stellt sich jedem Katholiken sofort die Frage: Kann man vom überlieferten Glauben teilweise abfallen? Sicher nicht, denn schon eine einzige Häresie zerstört den ganzen katholischen Glauben. Ist das „teilweise“ also nicht auf den Inhalt, sondern auf die Kirchenmitglieder bezogen? Nun, dann stellt sich die Frage: Welches ist dann der gesunde Teil, und wie kann ich diesen gesunden Teil sicher vom ungesunden unterscheiden?

Selbstverständlich läßt Huonder all diese Fragen unbeantwortet, sie tauchen offensichtlich auf seinem Traditionalistenradar gar nicht auf. Huonder bietet keine klaren theologischen Erkenntnisse, er zeigt nur, was von den Traditionalisten empfunden wird. Dieses zweite Wort hört sich doch recht modernistisch an und ist so gesehen recht bezeichnend und zudem treffend.

DAS KONZIL

Vitus Huonder stellt nur eine Frage: „War diese Veränderung ein legitimes Vorgehen? War das vom Konzil so gedacht?“

In einer recht dümmlichen Weise versucht Huonder sodann, mit einem einzigen Text des sog. Konzils – offenbar ist es auch für Huonder DAS KONZIL! – dieses vor den Piuskarren zu spannen:

„Über die heilige Messe sagt es in der Konstitution über die Liturgie Sacrosanctum Concilium:

‚Unser Erlöser hat beim Letzten Abendmahl in der Nacht, in der er überliefert wurde, das eucharistische Opfer seines Leibes und Blutes eingesetzt, um dadurch das Opfer des Kreuzes durch die Zeiten hindurch, bis er kommt, fortdauern zu lassen, und so der Kirche, seiner geliebten Braut, ein Denkmal seines Todes und seiner Auferstehung anzuvertrauen: als Sakrament der Güte, als Zeichen der Einheit, als Band der Liebe, als österliches Gastmahl, in dem Christus genossen, der Geist mit Gnaden erfüllt und uns ein Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird.‘

Die Konstitution warnt anderseits vor Neuerungen:

‚Schließlich sollen Neuerungen nur eingeführt werden, wenn der wahre und sichere Nutzen der Kirche dies erfordert und wenn dafür Sorge getragen ist, daß die neuen Formen gewissermaßen organisch wachsen.‘

Dennoch wird ein stark veränderter neuer Ritus mit einer ebenso stark veränderten Theologie der heiligen Messe vorgelegt.“

Der ehemalige „Bischof“ von Chur muß seine Zuhörer schon für sehr naiv halten, wenn er sich einbildet, diese werden seinen Worten Glauben schenken. Wer sich nur ein wenig mit diesem Räuberkonzil beschäftigt hat, weiß, welch abgrundtiefe Verwirrung sich in den Texten wiederfindet, die letztlich den Kampf der konservativen gegen die progressiven Kräfte während der Entstehung widerspiegeln – wobei selbstverständlich die progressiven alles in der Hand hatten, stand doch Montini hinter ihnen. Letztlich hatten alle Texte zusammengenommen trotz ihrer Zweideutigkeiten durchaus eine gemeinsame Stoßrichtung: Die Revolution! Das gilt natürlich auch für die Liturgie. Wir verweisen hierauf in unseren Beitrag vom 9. Jan. 2014: „Liturgische Metamorphose - 3. Teil“, wo wir schrieben:

Das Präludium

Es ist bezeichnend, daß der Text der Liturgiekonstitution, welche das erste behandelte und verabschiedete Schema des „II. Vatikanums“ wurde, mit den Worten „Sacrosanctum Concilium“ beginnt. Es bot sozusagen den Auftakt und Schlüssel zu der großen Revolution, die sich hier ereignen sollte, oder wie Rahner und Vorgrimler es in ihrem „Kleinen Konzilskompendium“ ausdrücken: Es ist „anzuerkennen, daß diese Konstitution die Mehrzahl der großen Themen des Konzils in aufgeschlossener und glücklicher Weise präludiert“ (S. 38). Daß gerade die Liturgie besonderes Interesse fand und daher so geeignet war, das Konzil zu eröffnen, hänge „damit zusammen, daß erstens die Situation der Neuzeit mit ihrer ‚Wende zum Subjekt‘ (nicht zum Subjektivismus!) die angebliche ‚Objektivität‘ bloß äußerer Zeichen und Riten in Frage stellt und die hier latente Gefahr von Mechanismus, Magie und Aberglauben sehr genau sieht, daß zweitens ‚die Kirche in den Seelen erwacht‘ ist (R. Guardini), ein intersubjektives Bewußtsein immer deutlicher wird und so gerade im Gottesdienst eine theologisch unbegründete Kluft zwischen Klerikern und Laien als Ärgernis empfunden wird und daß drittens die Überlegungen auf diesem Gebiet bereits zu besten Vorarbeiten geführt hatten“ (a.a.O. S. 37). Diese „Vorarbeiten“ werden auch genauer präzisiert: „Die neuere Liturgische Bewegung datiert ja schon seit dem Katholikentag in Mecheln 1909, ihre höchstamtliche Anerkennung seit der Enzyklika Pius‘ XII. ‚Mediator Dei‘ 1947“ (ebd.). Das ist sicher richtig, daß jene „Vorarbeiten“, wie wir schon gesehen haben, den Boden bereitet und entscheidend dazu beigetragen haben, daß die neuen Prinzipien der „Wende zum Subjekt“ und des „intersubjektiven Bewußtseins“, ein falscher Humanismus oder Hominismus eben oder allgemein die „anthropologische Wende“, weg von Gott und hin zum Menschen oder besser: zur Welt („Messe der Welt“!), auf diese Weise gerade über die Liturgiekonstitution offene Türen in jenes „Sacrosanctum Concilium“ fanden.

„Das Heilige Konzil“, gemeint ist damit das „II. Vatikanum“, dieses „heilige Konzil“ also „hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen, die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen, zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann, und zu stärken, was immer helfen kann, alle in den Schoß der Kirche zu rufen“ (SC 1). So blumig und gleichzeitig vielsagend beginnt das „Präludium“ dieses „größten aller Konzilien“, die „Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum Concilium“. Wie wir sehen, sind hier tatsächlich wie in einer Ouvertüre alle großen Themen dieses Konzils schon angesprochen: das „Aggiornamento“ oder eben die „Wende zur Welt“ („die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen“), der Ökumenismus („zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann“) und die „One Church“ der „United Religions“ („was immer helfen kann, alle in den Schoß der Kirche zu rufen“).

Wider den Ritus der heiligen römischen Kirche

In diesem Sinn und Geist ist nun vor allem und zuerst die Liturgie zu reformieren, weshalb es das Konzil als seine Aufgabe sieht, „folgende Grundsätze ins Gedächtnis zu rufen und praktische Richtlinien aufzustellen“. Unter diesen seien zwar manche, „die sowohl auf den römischen Ritus wie auf alle Riten angewandt werden können und müssen“, indes seien die im folgenden angegebenen Richtlinien „so zu verstehen daß sie nur für den römischen Ritus gelten“ (SC 3).

Obwohl das „heilige Konzil“ sich hier klar und deutlich ausdrückt, daß es gerade den heiligen Ritus der römischen Kirche „entheiligen“ will, wurde und wird dieser Absatz von treuherzigen „Konservativen“ meist überlesen, und dies desto mehr, weil sie sich wie magisch angezogen auf den nächsten Paragraphen stürzen, in welchem zu lesen ist: „Treu der Überlieferung erklärt das Heilige Konzil schließlich, daß die heilige Mutter Kirche allen rechtlich anerkannten Riten gleiches Recht und gleiche Ehre zuerkennt. Es ist ihr Wille, daß diese Riten in Zukunft erhalten bleiben und in jeder Weise gefördert werden …“ (SC 4). „Da!“ rufen unsere Konservativen, „da steht es: dem ‚tridentinischen Ritus‘ muß gleiches Recht und gleiche Ehre zuerkannt werden wie dem NOM, er muß erhalten bleiben und in jeder Weise gefördert werden!“

Doch der „tridentinische Ritus“ ist an dieser Stelle mit „allen rechtlich anerkannten Riten“ auf jeden Fall gerade nicht gemeint, denn eben hat das „heilige Konzil“ ja erklärt, daß es seinen heiligen römischen Ritus, den „tridentinischen“, ändern will. Den anderen Riten soll „gleiches Recht und gleiche Ehre“ zuerkannt werden wie dem römischen, also etwa den Sonderriten gewisser Orden, den östlichen Riten, dem ambrosianischen, dem mozarabischen usw.

Prof. Dr. Jungmann kommentiert dazu im „Lexikon für Theologie und Kirche“ von 1966, es sei mit diesem Passus „u.a. allen Latinisierungsbestrebungen in der Weise vergangener Epochen der Boden entzogen“. Dazu muß man wissen, daß in der katholischen Kirche von alters her eine Vielzahl von Riten existierte und existiert. Allerdings setzte sich im Verlauf der Geschichte, und vor allem seit der Kodifizierung des „tridentinischen Ritus“ durch den hl. Pius V., der Ritus der heiligen römischen Kirche, welcher der Ritus der Päpste ist, immer mehr und immer weiter durch, sodaß z.B. auch Orden ihre Sonderriten aufgaben und den römischen Ritus übernahmen. Dem soll hier ein Riegel vorgeschoben werden. Und ausgerechnet damit meinen „Konservative“, ihren „tridentinischen Ritus“ retten zu können! - Und übrigens äußert das „heilige Konzil“ noch im selben Paragraphen den „Wunsch“, daß auch die übrigen, also nicht römischen Riten, „in ihrem ganzen Umfang gemäß dem Geist der Überlieferung überprüft und im Hinblick auf die Verhältnisse und Notwendigkeiten der Gegenwart mit neuer Kraft ausgestattet“ also ebenfalls „erneuert“ werden (ebd.). Der neu zu ordnende römische Ritus geht da mit „gutem Beispiel“ (oder eher schlechtem) voran!

Das Ende der Gegenreformation und Die Zerstörung der hl. Messe

Ergänzen wir diese Gedanken noch durch einen Text aus dem Buch von Anton Holzer Novus Ordo Missae – oder: Die Zerstörung der heiligen Messe:

Wie recht hatte der verstorbene Vorsitzende der schweizerischen Una-Voce-Vereinigung, Prof. Gonzaque de Reynold, als er im Hinblick auf die nachkonziliare Verwirklichung der Liturgiereform im Jahre 1966 feststellte:

„Man kündigte uns Reformen an: man hat uns die Revolution gebracht.“

Was dabei Progressisten und Nichtkatholiken überall erkannten, wollten aber konservative katholische Kreise um keinen Preis einsehen: daß nicht erst ein ausgearteter sog. „Konzilsgeist“, sondern die Liturgiekonstitution selbst die Revolution gebracht hatte.

Bereits im Frühjahr 1963 sprach der amerikanische Professor George A. Lindbeck, seinerzeit Delegierter des lutherischen Weltbundes beim Konzil, im Blick auf die Liturgiekonstitution vom „Ende der Gegenreformation“. Er blieb aber nicht der einzige: „… der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Kurt Scharf, hat (dieses Wort) damals auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum aufgenommen. ‚Dieses Konzil der katholischen Kirche‘, sagte er nach der Nachschrift, die dann freilich nie freigegeben wurde, ‚bedeutet das Ende der Gegenreformation‘, ganz gleich wie es weitergeht“.

Ausführlicher legt besagter Prof. Lindbeck seine Ansicht in einem Artikel über „Die theologischen Grundsätze der Liturgie-Reform“ dar, wo er schreibt: „… es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Grundprinzipien des Schemas nichts weniger als revolutionär sind, zumindest in protestantischer Sicht… In jedem Fall stellen sie … das Manifest der Umkehrung der wesentlichen liturgischen Bestrebungen (und Richtungen) aus den letzten - vielleicht kann man so weit gehen - fünfzehnhundert Jahren dar“. Und er spricht - bereits 1964 - das Wort von einer „liturgischen Revolution“, von der ein Protestant zu sprechen geneigt sein könnte. Und im Hinblick auf eine spätere Meßreform sieht er bereits die Möglichkeit, „daß auch Änderungen im Wortlaut und in der Struktur der Messe, den Meßkanon eingeschlossen, vorgenommen werden. Vielleicht wird dies nicht geschehen, aber es ist deutlich, daß etwas in dieser Art das logische Ergebnis der liturgischen Grundhaltung dieses ersten Kapitels (der Lit.-Konst.) wäre“. (S. 4) Er erwähnt ausdrücklich die „auffallend andere Redeweise gegenüber dem mittelalterlichen und nachreformatorischen Katholizismus“. Und im Jahre 1966 spricht David A. Seeber im Herder-Taschenbuch über „Das Zweite Vatikanum. Konzil des Übergangs“ von der „revolutionären Wirkung des Entwurfs“, und er kommentiert: „… ein solider Ausgangspunkt war gewonnen“. Zu Recht kann man also im Hinblick auf die Liturgiekonstitution behaupten, daß die diffusen revolutionären Kräfte im katholischen Klerus auf dem Konzil einen Sieg über die Kirche errungen haben; daß mithin in der innerkirchlichen Revolution das Konzil das Stadium der Manifestation darstellt. In aller Klarheit bestätigt uns das Hans Küng: „Im Vergleich zur nachtridentinischen, gegenreformatorischen Kirche bedeutet das Zweite Vatikanische Konzil - bei allen Halbheiten, die wir nie vertuschen dürfen - in seiner Grundtendenz eine Wende um 180 Grad“.

Und da meint Huonder, sich in seinem Kampf gegen die sog. Neue Messe auf das „Konzil“ berufen zu können! Nochmals: Für wie naiv, ja für wie dumm hält er eigentlich seine Zuhörer? – Wobei zu befürchten ist, daß diejenigen Zuhörer aus dem konservativen Dunstkreis der Menschenmachwerkskirche tatsächlich so naiv und so dumm sind. Diese lassen sich leider jederzeit durch solch primitive Taschenspielertricks in die Irre führen.

Ein tragisches Dilemma

Aber steigen wir mit Huonder weiter in den Ring. Nachdem er behauptet hat, daß DAS KONZIL die Liturgie nicht antasten wollte, stellt er zunächst rigoros fest:

„Die sog. Neue Messe entspricht nicht mehr dem vom katholischen Glauben geforderten.“ Um das zu bestätigen, führt er die Kurze kritische Untersuchung des neuen „Ordo Missae“ von Alfredo Card. Ottaviani und Antonio Card. Bacci an:

„Es ist offensichtlich, daß der Novus Ordo nicht mehr den Glauben von Trient darstellen will. An diesen Glauben jedoch ist das katholische Gewissen für immer gebunden. Der wahre Katholik sieht sich also durch die Promulgation des neuen Ordo in ein tragisches Dilemma verstrickt.“

Eigentlich würde man nach dieser rigorosen, ja vernichtenden Feststellung erwarten, daß nun über dieses tragische Dilemma gesprochen wird, aus dem es die Katholiken zu befreien gilt. Aber nein, Huonder spricht mit keinem Wort darüber – wie übrigens auch damals die Kardinäle Ottaviani und Bacci keinerlei Konsequenzen aus ihrer Feststellung gezogen haben. Was wiederum nur dadurch zu erklären ist, daß sie nicht mehr genau wußten, was die Kirche Jesu Christi ihrem Wesen nach ist.

Wesen der göttlichen Tradition

Der große Dogmatiker J.B. Heinrich fügt im „§ 77 Wesen der göttlichen Tradition“ seiner „Domatischen Theologie“ eine Fußnote an, in der er erklärt:

„Die katholischen Wahrheiten, welche den Gegenstand der traditio divina [göttlichen Tradition] ausmachen, sind zwar überaus tiefe und inhaltsreiche, zum großen Teil geheimnisvolle, aber auch zugleich einfache und höchst bestimmte Wahrheiten, welche zwar die Häresie und der Unglaube, weil sie Anstoß daran nehmen, angreifen oder entstellen, die aber von der Kirche und den Gläubigen weder vergessen, noch mißverstanden werden können. Es sind ferner nicht rein theoretische Wahrheiten oder lediglich geschichtliche Nachrichten, die im Gedächtnis bewahrt bleiben, sondern sie sind praktisch und lebendig in den Herzen und Gewissen der Gläubigen und im ganzen Leben der Kirche; sie sind verkörpert im Kultus, geübt in der christlichen Sitte, Gegenstand des täglichen Gebetes, der Betrachtung, der Lehrverkündigung, verwachsen mit den wichtigsten Lebensmomenten, mit den höchsten Interessen und heiligen Überzeugungen der Gläubigen. Man denke nur an die heiligen Sakramente. Wie ist z.B. eine Zweifelhaftigkeit, eine Verdunkelung, eine Änderung der Überlieferung auch nur denkbar, wo es sich um das tägliche Opfer, um den Mittelpunkt des Gottesdienstes, um die Speise der Seelen oder, wie bei dem Sakrament der Buße, um die wichtigste Gewissensangelegenheit eines jeden Christen handelt?“ (Dr. J. B. Heinrich, Dogmatische Theologie. Bd. 2, Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1876, S. 21 Fußnote 2)

Während also Vitus Huonder völlig gedankenlos und ohne weitere Konsequenzen auch nur anzudeuten unerbittlich feststellt: „Die sog. Neue Messe entspricht nicht mehr dem vom katholischen Glauben geforderten“, stellt sich der Kölner Dogmatiker die rein rhetorische Frage: Wie ist z.B. eine Zweifelhaftigkeit, eine Verdunkelung, eine Änderung der Überlieferung auch nur denkbar, wo es sich um das tägliche Opfer, um den Mittelpunkt des Gottesdienstes … handelt?

Um sich eine solch rhetorische Frage zu stellen, reichen offenbar die theologischen Kenntnisse des „Bischofs“ nicht aus, weshalb er das Wesentliche außer Acht läßt und lieber in ein Scheingefecht ausweicht. Er geht nur kurz drauf ein, daß man aufgrund dieser Arbeit der Kardinäle von römischer Seite zwar etwas nachgebessert hat, wobei man jedoch am Ritus nichts änderte: „In Wirklichkeit aber blieb der Ordo selber so konzipiert, wie er war, nämlich nicht mehr den Glauben von Trient voll darstellend.“

Ein Ritus welchen Glaubens?

Das ist alles! Vitus Huonder, der bis zu seinem Ruhestand in diesem Ordo, der so konzipiert, wie er war, nämlich nicht mehr den Glauben von Trient voll darstellend, zelebrierte, macht sich keinerlei weiteren Gedanken mehr darüber, was das für seine „Kirche“ für unmittelbare Auswirkungen hat. Es wird ihm nicht unheimlich bei der Vorstellung, daß seine „Kirche“ infolgedessen täglich einen Ritus vollzieht, der den Glauben des echten Konzils von Trient verleugnet und satt dessen – ja, was für einen Glauben stellt er denn dann dar?! Auf diese alles entscheidende Frage erwartet der katholische Zuhörer selbstverständlich umgehend eine klare Antwort! Er wartet freilich umsonst! – denn Vitus Huonder verweigert im Schlepptau der Piusbrüder jegliche Antwort und weicht nochmals auf einen Nebenschauplatz aus. Er geht stattdessen auf den derzeitigen Erzfeind der Traditionalisten, „Papst Franziskus“, los – dabei kann er sich der Zustimmung der allermeisten Zuschauer gewiß sein. Er meint also, sagen zu können:

„Offensichtlich wird dies schließlich, lange Zeit danach, im Apostolischen Schreiben Desiderio Desideravi 2022. Man muß wegschauen, um nicht – trotz einiger katholisch anmutender Begriffe, Frömmigkeitshaltungen und Interpretation der Feier – eine protestantische Auffassung der heiligen Messe festzustellen.

Das Schreiben bezieht sich dabei auf das Konzil. Es versteht sich somit als Interpretation des Konzils. Ein Vergleich hält dem aber kaum stand.“

Die authentische römische Liturgie

Letzteres haben wir schon widerlegt: Selbstverständlich kann sich Bergoglio nicht nur auf DAS KONZIL, sondern auf inzwischen 60 Jahre Geschichte berufen, wohingegen Huonder nur einen fadenscheinigen Text anführen kann.

Aber, so haben wir inzwischen von dem Dogmatiker Heinrich gelernt, es ist doch gar nicht möglich, daß die heilige Kirche Gottes nicht mehr einen heiligen, sondern einen protestantischen „Meß“-Ritus hat! Wiederum ignoriert Huonder diesen Sachverhalt vollkommen, er ist nicht interessiert, die ratlosen Katholiken aus dem Dilemma zu befreien, vielmehr macht sich der frisch bekehrte Lefebvrist über Die authentische römische Liturgie Gedanken. So ist nämlich der nächste, vom Zuschauer zu durchquälende Abschnitt des Videos überschrieben.

Obwohl ansonsten die Bulle Papst Pius‘ V. „Quo primum“ vom 13. Juli 1570 bei den Piusbrüdern nicht so hoch im Kurs steht, müssen sie sich doch seit Jahrzehnten gegen Herrn Johann Josef Süess wehren, der in der von P. Josef Boxler gegründeten Zeitschrift „Mysterium Fidei“ tapfer gegen den hartnäckig von den Piusbrüdern festgehaltenen 62er Ritus ankämpft und dabei immer wieder die Bulle des hl. Papstes zitiert – in diesem Fall paßt die Bulle ganz gut: „Wenn aber jemand sich herausnehmen sollte, dies anzutasten, so soll er wissen, daß er den Unwillen des allmächtigen Gottes und seiner heiligen Apostel Petrus und Paulus herausfordert.“ – so steht es in der Bulle!

Dementsprechend belehrt Huonder seine Zuhörer: „Was im Anschluß an das Zweite Vatikanum mit der intendierten Abschaffung des überlieferten Meßritus geschah, ist ein Unrecht, ein Überschreiten von Vollmacht…“ – denn die Römer haben sich durchaus herausgenommen, das anzutasten! Aber nicht nur die Römer, sondern in gewissem Maße, wie Herr Johann Josef Süess seit Jahren unermüdlich dokumentiert, auch die Piusbrüder.

Huonder sagt im Anschluß an das Zweite Vatikanum – was er, wie wir gehört haben, zeitlich und nicht inhaltlich meint – und erklärt die Abschaffung des überlieferten Meßritus zu einem Unrecht und einem Überschreiten von Vollmacht. Da es sich immerhin um die „Päpste“ Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. handelt, die für dieses Überschreiten der Vollmacht verantwortlich sind, muß Huonder seinen Zuhörern zumindest erklären, wie so etwas möglich ist.

Ganz im Sinne der Piusbrüder legt hierauf Huonder seinen bedauernswerten Zuhörern das Grundprinzip des modernen Traditionalismus dar, sozusagen die Quintessenz des Lefebvrismus: „Recognize-and-Resist“ – Erkenne und widerstehe!

Man kann es kaum fassen, mit welcher Selbstverständlichkeit, Bedenkenlosigkeit, ja Unverfrorenheit er in der Folge dem hl. Petrus die Schlüssel des Himmelreiches aus der Hand nimmt und ihm dafür die Schultasche der Traditionalisten um die Schulter hängt. Irgendwie zelebriert er diesen grauenvollen Akt der Zerstörung des Primates Petri mit einer gewissen Genugtuung, so hat man wenigstens den Eindruck. Daß er sich dadurch gewaltig ans eigene Schienbein seiner „bischöflichen“ Karriere tritt, scheint ihm in keiner Weise in den Sinn zu kommen.

(Un)Gehorsam als Druckmittel?

Zunächst wird wie bei den Lefebvristen üblich der Gehorsam gegenüber dem lebendigen Lehramt der Kirche zu einem Druckmittel uminterpretiert – so die Überschrift dieses Abschnitts.

Nachdem er die vermeintlichen Fehler bezüglich des Gehorsams gegenüber dem kirchlichen Lehramt in der Vergangenheit angesprochen hat, resümiert Huonder: „Sie können in einem Satz zusammengeführt werden: Dem lebendigen Lehramt ist absoluter Gehorsam zu leisten.“

In diesen Worten klingen alle Angriffe der Feinde der Kirche, ganz besonders diejenigen der Jansenisten, Gallikaner und Altkatholiken, gegen den Felsen Petri und zudem die Papstphobie der Piusbrüder (siehe: Der Kanon „Si Papa“ und die Papstphobie der Piusbrüder) nach. Den Lefebvristen Huonder rührt das in keiner Weise, woraus wir schließen können, daß unser mutiger Verteidiger der Tradition diese Irrlehren niemals studiert hat und somit gar nicht weiß, in welch häretische Fußstapfen er hiermit tritt. Er übernimmt vollkommen unbedenklich die Sprechweise der Feinde: absoluter Gehorsam. Ignatz Döllinger wäre sicherlich höchst erfreut gewesen, so etwas zu hören, und heutzutage wäre er sicher Traditionalist geworden, ohne in irgendeiner Weise in dieser erlauchten Gesellschaft durch seine Attacken gegen den „Papst“ aufzufallen oder gar anzuecken.

Wie Huonder ganz richtig bemerkt: „Zu wenig wurden sie in der Bedeutung von Lehramt und Tradition unterwiesen.“ – Nur vergißt er, daß er einer von denjenigen ist, die in der Bedeutung von Lehramt und Tradition zu wenig unterwiesen worden sind. Leider hat er auch nach seinem Ruhestand nicht nachgebessert, wozu zugegebenermaßen das lefebvristische Umfeld nicht der richtige Ort war, weswegen er im Brustton tiefster Überzeugung fabuliert:

Denn diese zwei Begriffe wurden als Druckmittel für die Annahme der Neuerungen ausgenutzt. Zu wenig wurden die Gläubigen in früheren Zeiten in die Tragweite des Gehorsams eingeführt. Zu wenig wurden sie in der Bedeutung von Lehramt und Tradition unterwiesen. Zu oft wurde der Gehorsam sklavisch und unterwerfend verstanden, als Kadavergehorsam.

Wir kennen das schon von dem Broschürchen der Piusbrüder gegen den Sedisvakantismus: „Ungeahnt hat sich das Papsttum seit dem Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit durch Unklarheit der Grenzen des Papstes in seiner Abhängigkeit von Lehramt und Tradition hin entwickelt zu einem päpstlichen Absolutismus, der in Paul VI. diktatorische Züge angenommen hat, als letztes Entwicklungsstadium einer Monade.“

Offenbar weiß Huonder nicht, wovon er spricht. Er ist als Modernist vollkommen unfähig geworden, zwischen einem natürlichen und einem übernatürlichen Gehorsam zu unterscheiden, weil er seinem Petrus die Schlüssel des Himmelreiches aus der Hand genommen und ihm dafür die Schultasche umgehängt hat. Ein Schulbub ist nun einmal keine zuverlässige Autorität – schon im natürlichen und selbstverständlich schon gar nicht im übernatürlichen Bereich. Entsprechend seiner kaum noch zu überbietenden theologischen Ignoranz fährt Huonder fort:

Die Angriffe auf die Kirche und eine zu enge Auffassung von der päpstlichen Autorität, vor allem seit dem 18. und 19. Jahrhundert wirkten sich aus, daß man nur den absoluten, widerspruchlosen Gehorsam kannte. Dieser Gehorsam wurde den Gläubigen eingeprägt. So haben sie sich widerspruchslos dem gebeugt, was als angeblich notwendige Erneuerung der Kirche vorgestellt wurde.

Subjektives Gewissen als Richtschnur über die päpstliche Unfehlbarkeit

Es müssen also die modernistischen Ressentiments herhalten, um den Widerstand gegen das kirchliche Lehramt zu rechtfertigen. Früher – vor allem seit dem 18. und 19. Jahrhundert – hat man eine zu enge Auffassung von der päpstlichen Autorität gehabt, weshalb man nur den absoluten, widerspruchlosen Gehorsam kannte. Von dieser engen Auffassung wird Huonder seinen Zuhörer in der Folge im Namen des Lefebvrismus befreien.

Es ist recht befremdend, wenn ein traditioneller „Bischof“ sich einbildet, daß gerade zu der Zeit, als das Dogma der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes verkündet wurde – 19. Jahrhundert! – und infolgedessen gegen die vielfältigen Angriffe und gegen die Leugner verteidigt werden mußte, eine zu enge Auffassung von der päpstlichen Autorität geherrscht habe. Konnte man sich das angesichts der vielfältigen Angriffe tatsächlich leisten? Wurde man nicht im Gegenteil durch diese geradezu gezwungen, die Lehre möglichst klar und ausgewogen darzulegen, so daß man gerade aus dieser Zeit die erleuchtetsten Erklärungen des Dogmas findet?!

Solche Erwägungen treiben Huonder nicht um. Aber was hat Huonder nun eigentlich als Lösung aus diesem Gehorsamsdilemma anzubieten? Als Held des Widerstandes gegen eine solche Zumutung wird selbstverständlich Erzbischof Marcel Lefebvre zitiert, der für sich persönlich 1976 die Sache so löste: „Ich würde mich gerne auf die Knie werfen und alles annehmen; aber ich kann nicht gegen mein Gewissen handeln.“

Nach Lefebvre und Huonder ist es also das eigene Gewissen, das einen davor bewahrt, vor der kirchlichen Autorität auf die Knie zu fallen und die gebotenen Neuerungen unwidersprochen anzunehmen. Einem echten Katholiken müßten bei dieser Auskunft sofort die Alarmglocken läuten, denkt er doch beim Stichwort „Gewissen“ sofort an die „Königsteiner Erklärung“, in der das subjektive Gewissen über die „päpstliche Autorität“ der am 5. Juli 1968 von „Paul VI.“ veröffentlichten Enzyklika „Humanae vitae“ gestellt wurde. Auf „welt.de“ heißt es in dem Beitrag von Gernot Facius „Wie das Thema Sex die Kirche entzweit hat“ vom 25.07.2008 dazu:

Diese „Königsteiner Erklärung“ ist ein Meisterstück kirchlicher Diplomatie. Sie bekennt sich einerseits zur Annahme der von Paul VI. definierten Lehre, berücksichtigt aber andererseits vorsichtig die Bedenken vieler Katholiken: „Es wird gefragt, ob die Lehrtradition in dieser Frage für die in der Enzyklika getroffene Entscheidung zwingend ist, ob gewisse neuerdings besonders betonte Aspekte der Ehe und ihres Vollzuges nicht ihre Entscheidung zu den Methoden der Geburtenregelung problematisch erscheinen lassen.“

Dann folgt der entscheidende Satz: „Wer glaubt, so denken zu müssen, muss sich gewissenhaft prüfen, ob er – frei von subjektiver Überheblichkeit und voreiliger Besserwisserei – vor Gottes Gericht seinen Standpunkt verantworten kann.“ Trotz aller Vorsicht und Differenzierung belastet „Königstein“ seit 30. August 1968 als Akt des Ungehorsams das Verhältnis des deutschen Episkopats zu Rom. Aber Döpfner ist stolz auf „Königstein“. Er muss bis zu seinem Tod im Juli 1976 wegen seiner Haltung zu „Humanae vitae“ Demütigungen und Schmähungen hinnehmen. „Döpfner verschwinde, damit wir katholisch bleiben können“, wird an sein Haus geschmiert.

Müßte der Zuhörer des Videos „Die große Wunde“ nicht auch spontan Vitus Huonder entgegenhalten: „Huonder verschwinde, damit wir katholisch bleiben können“. Du willst uns einen „Akt des Ungehorsams“ gegen das kirchliche Lehramt als Gewissenspflicht verkaufen! Nein, nicht nur Döpfner ist stolz auf „Königstein“ – auch Huonder, so muß man aus seinen Ausführungen schließen!

Wir haben diesen schwerwiegenden Irrtum in unseren Abhandlungen „Disput im Tradiland“ und „Gewissensentscheide im Tradiland“ (I und II) ausgiebig beschrieben und zurückgewiesen. Dabei verteidigten wir John Henry Newman gegen die allzu durchsichtige Vereinnahmung durch Peter Kwasniewski.

Erst Gewissen, dann Papst

In der Zeitschrift aus dem Herder-Verlag „Stimmen der Zeit“ fand sich 2010 ein Artikel von Andreas R. Batlogg zu unserem Thema mit der Überschrift: „Zuerst das Gewissen und dann der Papst“. Der Titel ist ein Zitat Newmans aus seinem Brief an den Herzog von Norfolk, das von den Modernisten gerne und oft erwähnt wird. Newman schließt in diesem Brief seine Ausführungen über das Gewissen mit der Bemerkung ab: „Wenn ich genötigt wäre, bei den Trinksprüchen nach dem Essen ein Hoch auf die Religion auszubringen (was freilich nicht ganz das Richtige zu sein scheint), dann würde ich trinken – freilich auf den Papst, jedoch zuerst auf das Gewissen und dann auf den Papst“.

Das klingt natürlich wie Musik in den Ohren eines Modernisten und auch jedes Anti-Ultramontanisten unter den Traditionalisten – zuerst auf das Gewissen und dann auf den Papst!

Andreas R. Batlogg kommentiert den Trinkspruch Newmans so: „Der Trinkspruch wirkt dramatischer, als er klingt; denn er spricht, wie Karl Rahner SJ betonte, lediglich ‚eine absolute Selbstverständlichkeit‘ aus. ‚Der katholische Christ‘, so Rahner im September 1978 in Freiburg am Ende der ersten internationalen Newman-Tagung auf deutschem Boden, ‚wird sagen: Aus der letzten Lebensentscheidung eines Gewissens heraus akzeptiere, anerkenne ich diese objektive Lehrautorität der katholischen Kirche als eine äußere, aber sinnvolle, notwendige, von Gott gewollte Norm meines Gewissens, aber die Anerkennung dieser objektiven Norm ist selbstverständlich noch einmal meine eigene, auf meine eigene Rechnung und Gefahr durchzuführende Gewissensentscheidung. Man kann das Gewissen nie gleichsam an einen anderen abgeben und abliefern.‘“

Nun wird ein Katholik selbstverständlich den Ausführungen des Irrlehrers Karl Rahner keinerlei Vertrauen schenken, sondern nachforschen, ob diese Selbstverständlichkeit denn nun wirklich so gemeint ist – eine auf meine eigene Rechnung und Gefahr durchzuführende Gewissensentscheidung? Seit wann stellt der übernatürliche, von Gott verbürgte Glaube eine Gefahr für mein Gewissen dar?!

Formuliert hier Newman tatsächlich einfach die Selbstverständlichkeit, daß jeder Mensch dazu angehalten ist, seinem Gewissen zu folgen? Aus den schon angeführten Texten ist man jedenfalls geneigt zu urteilen: Nein! Der Autor fügt gleich versichernd hinzu: „Seit Thomas von Aquin ist diese ‚Selbstverständlichkeit‘ gute alte Tradition.“

Es ist immer wieder verblüffend, wenn der Modernist auch noch mit katholischen Gedanken in einen Sachverhalt hineingeht, heraus kommt es immer mit einem modernistischen Irrtum, der sodann auch noch als gute alte Tradition ausgegeben wird! Wir schrieben damals weiter:

Der Schlüssel zur modernistischen Lösung dieser Frage ist nach unserem Autor ein Text von Josef Ratzinger, der in seinem Kommentar zur Nummer 16 der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ der römischen Aftersynode, genannt 2. Vatikanum, schreibt: „Über dem Papst als Ausdruck für den bindenden Anspruch der kirchlichen Autorität steht noch das eigene Gewissen, dem zuallererst zu gehorchen ist, notfalls auch gegen die Forderung der kirchlichen Autorität.“

Da haben wir es also, auch Joseph Ratzinger sagt es, daß im Notfall das eigene Gewissen über der kirchlichen Autorität steht, muß doch jeder seinem Gewissen folgen – und nicht dem Papst!

Wer unsere Trilogie „Der Mythos Joseph Ratzinger“ gelesen hat, der wundert sich nicht darüber, daß auch bezüglich der Frage des Lehramtes der „Theologe“ Joseph Ratzinger als Nahtstelle zum Konzil fungiert. Ratzinger beruhigt jeden angesichts der Forderungen des kirchlichen Lehramtes, daß dem Gewissen notfalls auch gegen die Forderung der kirchlichen Autorität zu gehorchen ist. Ganz demgemäß ist auch Vitus Huonder davon überzeugt: „Die Berufung auf das Gewissen wurde zu wenig vermittelt.“ Und: „Mißbrauch der Autorität (Terrorisierung der Gläubigen) ist nie auszuschließen. Dessen muß sich jeder Katholik immer bewußt bleiben.“

Ein wahrer Katholik ist angesichts solch grundzerstörender Aussagen einfach sprachlos: Jeder Katholik steht aufgrund des nie auszuschließenden Mißbrauchs der Autorität (Terrorisierung der Gläubigen), allein da mit seinem Gewissen. Er ist folglich immer allein der letzte Richter in allen Fragen des Glaubens und der Sitte – und so führt die „Reform“ der Traditionalisten geradewegs in den alle Glaubenssicherheit zerstörenden Modernismus. Dieses Vorgehen erinnert an die Bemühungen von Hermann Schell. Prälat Dr. Ernst Commer bemerkt zu dessen Reformvorstellungen: „Trotz aller vorsichtigen Klauseln [wird] die Autorität des kirchlichen Lehramtes herabgesetzt und die Bedeutung der Kirche selbst eingeschränkt, ihren Organen aber werden die schwersten Vorwürfe gemacht. Jene Schriften müssen daher, abgesehen von der irrtümlichen Auffassung vom Wesen der Kirche, geradezu als injurös gegen dieselbe und als die Pietät tief verletzende bezeichnet werden.“ (Prälat Dr. Ernst Commer, H. Schell und der fortschrittliche Katholizismus, Wien 1908, S. 138)

Lehramt aller Zeiten?

Wir werden noch sehen, daß gerade Huonder den Zerstörern der hl. Messe fehlende Pietät vorwirft. Da hätte er doch besser vor der eigenen Haustüre kehren sollen, er, der frech behauptet:

Die kirchliche Autorität bestimmt in diesem Sinn nicht, was zu glauben ist. Sie übernimmt das Glaubensgut, hütet es, schützt es und legt es dar. Dies ist unter dem lebendigen Lehramt zu verstehen.

Auch das kennen wir inzwischen aus dem Broschürchen der Piusbrüder:

„Die Doktrin der Kirche ändert sich nicht, und unsere Stärke ist die Treue zum ,Lehramt aller Zeiten‘, wie der Bischof gerne sagte. …

Wenn wir vom Papst als Nachfolger Petri sprechen, bedeutet dies, dass er das gesamte Lehramt Petri und seiner Nachfolger vertritt und weitergeben muss, ein Lehramt, in dem es Kontinuität gibt und in dem es keinen Widerspruch geben kann. Es handelt sich um ein ihm anvertrautes Depositum, das er übermitteln muss.“

„Lehramt aller Zeiten“ würde auch bei Huonder viel besser passen als „lebendiges Lehramt“. Denn mit dem „lebendigen Lehramt“ im katholischen Sinn hat das, was Huonder sagt, nichts mehr zu tun. Er formuliert vielmehr damit den Grundirrtum der Traditionalisten: Nicht die unfehlbare kirchliche Autorität bestimmt unseren Glauben, sondern die von jedem Gläubigen erst noch zu überprüfende Übereinstimmung der von der Autorität vorgelegten Lehre mit der Tradition – und wenn ein Widerspruch auftaucht, entscheidet das Gewissen des Einzelnen darüber, was nun wirklich katholisch ist und was nicht. Da fragt man sich nun wirklich, warum denn eigentlich die Piusbrüder all die Jahre so vehement gegen die „Königsteiner Erklärung“ polemisiert haben, wo sie doch genau dasselbe behaupten und lehren wie diese?

Autorität auf den Kopf gestellt

Huonder faßt das Ganze anhand des Beispiels des Leuchtturmbischofs Lefebvre so zusammen:

Er hat nichts anderes getan, als was die Pflicht eines Bischofs, ja aller Gläubigen ist: die Lehren und Handlungen der kirchlichen Autorität auf dem Hintergrund der Glaubensregel zu prüfen.

Da verschlägt es einem direkt die Sprache! Was hat denn Huonder da gebissen, daß er sich so etwas zusammenreimt: die Pflicht eines Bischofs, ja aller Gläubigen ist: die Lehren und Handlungen der kirchlichen Autorität auf dem Hintergrund der Glaubensregel zu prüfen?

Wie wir sehen, hat die Polemik gegen den „absoluten Gehorsam“ schließlich jeglichen Gehorsam gegen das kirchliche Lehramt schlichtweg weggeputzt. Vom „Druckmittel“ gegen die tyrannisierten Gläubigen, über den allzeit möglichen Mißbrauch der Autorität hin zur Gewissenspflicht des dauernden Widerstandes. Vom Lehrprimat des Papstes bleibt schließlich nichts, absolut nichts übrig! Eigentlich sind die Piusbrüder Altkatholiken, nur daß es ihnen an der notwendigen Konsequenz fehlt. J.B. Heinrich beurteilt die angebliche Pflicht eines Bischofs, ja aller Gläubigen, die Lehren und Handlungen der kirchlichen Autorität auf dem Hintergrund der Glaubensregel zu prüfen, so:

Es ist dieses, wie sofort einleuchtet, die Übertragung des protestantischen Prinzips der freien Forschung von der heiligen Schrift auf die Tradition. Man erkennt dann zwar an, daß die heilige Schrift einer Beglaubigung, Erklärung und Ergänzung durch die Tradition bedürfe; aber die Entscheidung darüber, was echte Tradition und was ihr Sinn sei, maßt man in letzter Instanz sich selber an.

Der Lehrprimat des Papstes

Mit dieser Übertragung des protestantischen Prinzips der freien Forschung von der heiligen Schrift auf die Tradition ist der übernatürliche Glauben verunmöglicht, weil damit das kirchliche Lehramt außer Kraft gesetzt wurde. In seinem Buch „Philosophie und Theologie des Modernismus“ gibt Julius Beßmer S.J. eine kurze Zusammenfassung über den Primat nach katholischer Lehre:

Um den irrigen Lehren der Modernisten über den Primat mit der vollen Wucht der kirchlichen Entscheidungen entgegentreten zu können, müssen wir stets vor Augen haben, was der Primat oder die päpstliche Vollgewalt im Sinne der katholischen Lehre besagt. Wir erfahren dies aus den gleichen Konzilien, welche den Primat des römischen Papstes definiert haben, aus den allgemeinen Kirchenversammlungen von Florenz und Trient. In der Bulle Laetentur coeli sagt Eugen IV.: Im „Namen der heiligsten Dreifaltigkeit, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, definieren wir die Gutheißung dieses heiligen, allgemeinen Konzils von Florenz, … daß der heilige Apostolische Stuhl und der römische Papst den Primat über den ganzen Erdkreis besitzt, und daß der römische Papst selbst der Nachfolger des hl. Petrus, des Apostelfürsten, der wahre Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche und aller Christen Vater und Lehrer ist, und daß ihm im hl. Petrus von unserem Herrn Jesus Christus die Vollgewalt übertragen worden ist, die allgemeine Kirche zu weiden, zu lenken und zu regieren.“

Diese Definition wurde vom Vatikanischen Konzil erneuert. Nach den feierlichen Glaubensentscheidungen besteht der Primat nicht in einem bloßen Vorrang der Ehre, sondern in der Jurisdiktionsgewalt über alle einzelnen Glieder, Bischöfe wie einfache Priester, Kleriker wie Laien. Dieser obersten Gewalt, die gesamte Kirche zu lehren und zu leiten, entspricht in den einzelnen Gläubigen wie in der Gesamtheit die Pflicht, dem obersten Hirten zu glauben und seinen Befehlen zu gehorchen. Das ist die katholische Idee vom Primate. Mit ihr ist der Glaube an die lehramtliche Unfehlbarkeit des Papstes aufs innigste verbunden. Unbedingten Glaubensgehorsam kann der Papst nur verlangen, wenn er in seinen feierlichen, die Gesamtkirche bindenden Glaubensentscheidungen nicht irren kann; das Fortbestehen des wahren und unfehlbaren Glaubens in der vom Primate zu leitenden Kirche hängt von dieser lehramtlichen Unfehlbarkeit ab. (Julius Beßmer S.J., Philosophie und Theologie des Modernismus, Herdersche Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau 1912, S. 446 f.)

Für Huonder und die Piusbrüder ist es, nachdem sie den unfehlbaren Einfluß ihres Papstes auf einmal pro 100 Jahre eingeschränkt haben, unausweichlich, die restlichen 100 Jahre selber Papst spielen zu müssen. Letztlich ist jeder Traditionalist wie nun einmal jeder Protestant seine eigene Norm des Glaubens. Der Glaube stammt nicht mehr vom Hören, wie der hl. Paulus lehrt, sondern er stammt nunmehr vom eigenen Gewissen. Nachdem, wie die Piusbrüder mit den Modernisten mokieren, die Berufung auf das Gewissen zu wenig vermittelt wurde, wird es Zeit, diesem zu seinem angestammten Recht zu verhelfen. Wie schon Ratzinger betonte: „Über dem Papst als Ausdruck für den bindenden Anspruch der kirchlichen Autorität steht noch das eigene Gewissen, dem zuallererst zu gehorchen ist, notfalls auch gegen die Forderung der kirchlichen Autorität.“

Wir schrieben in unserem Beitrag Gewissensentscheide im Tradiland (2/2) vom 13. Juni 2021 hierzu:

Natur- und Offenbarungsreligion

Sobald man die Wirklichkeit genauer betrachtet, löst sich die Schwierigkeit auf. Das Gewissen ist letzte Instanz der Handlungen, also des praktischen Lebens. Dabei muß das Gewissen nach der Wahrheit gebildet werden. Die Gewissensurteile sind nicht deswegen richtig, weil sie Gewissensurteile sind – was die moderne Auffassung von Gewissen suggeriert – sondern weil sie sich an der Wahrheit und damit an der Wirklichkeit orientieren. Die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes betrifft nun nicht die Praxis, sondern die Theorie, nicht die einzelnen Handlungen des Menschen, sondern die Lehre über den Glauben und die Sitten. Diese sind die theoretische Grundlage für das menschliche Handeln.

Schon 1845 hatte Newman geschrieben:

„Da das Wesen aller Religion Autorität und Gehorsam ist, so liegt der Unterschied zwischen der Naturreligion und der geoffenbarten Religion darin, daß die eine eine subjektive Autorität besitzt, die andere hingegen eine objektive. Die Offenbarung besteht darin, daß die unsichtbare göttliche Macht sich kundgibt oder daß an die Stelle der Stimme des Gewissens die Stimme eines Gesetzgebers tritt. Die Oberhoheit des Gewissens ist das Wesen der Naturreligion; die Oberhoheit des Apostels, des Papstes, der Kirche oder des Bischofs ist das Wesen der Offenbarungsreligion; wenn eine solche äußere Autorität weggenommen wird, kommt der Geist notgedrungen auf jenen inneren Führer zurück, den er besaß, ehe die Offenbarung gewährt, wurde. Was also das Gewissen im System der Natur ist, das ist die Stimme der Hl. Schrift oder der Kirche oder des Heiligen Stuhles im System der Offenbarung. Freilich kann man einwenden, daß das Gewissen nicht unfehlbar sei; das ist wahr, dennoch muß man ihm immer gehorchen.“

(An Essay on the Development of Christian Doctrine, Christian Classics Inc., Westminster, Md., 1968, S. 86)

Die modernistische Forderung nach Religionsfreiheit aufgrund der Gewissensfreiheit, welche die vatikanische Räubersynode, welche man 2. Vatikanum nennt, gelehrt hat, beweist nach Newman, daß man damit aus der katholischen Religion eine reine Naturreligion gemacht hat. Denn nur diese gründet sich auf der subjektiven Autorität des Gewissens. Die katholische Religion als göttliche Offenbarungsreligion dagegen gründet sich auf die Oberhoheit des Apostels, des Papstes, der Kirche oder des Bischofs – also des unfehlbaren kirchlichen Lehramtes.

Die Leugnung des göttlichen Ursprungs der päpstlichen Unfehlbarkeit durch die Modernisten

Wenn somit Herr Kwasniewski [und mit ihm Huonder und die Piusbrüder!] seine Gewissensüberzeugung über die kirchliche Autorität stellt, dann leugnet er damit implizit deren göttlichen Ursprung und deren göttliche Führung durch das Charisma der Unfehlbarkeit. Weil er und seine Traditionalisten ihren Widerstand gegen die kirchliche Autorität als „respektvollen Ausdruck unserer auf objektiven Kriterien beruhenden Gewissensüberzeugung, daß der Papst in die Irre gegangen sei“, bezeichnen und dennoch gleichzeitig an der Rechtmäßigkeit dieser Autorität festhalten, entkleiden sie die kirchliche Autorität ihres übernatürlichen Charakters und machen sie zu ein „rein weltlich Ding“ – wie es Luther mit der Ehe gemacht hat. Newman wäre sicherlich über die Kirche des Herrn Kwasniewski und seiner Traditionalisten sehr verwundert gewesen, denn diese kann nun wirklich und ganz sicher nicht die katholische Kirche sein. Er gibt 1876 – also 6 Jahre nach dem Vatikanischen Konzil – zu bedenken:

„Nicht alle Dogmen sind für jeden von erstrangiger Bedeutung, wie z.B. das Dogma, daß das Buch Esther zum Kanon der Hl. Schrift gehört, weniger bedeutend ist für einen Menschen, der nicht lesen kann, als für einen andern. Doch es gibt ein Dogma, das allen anderen Dogmen zugrunde liegt und an dem jeder, der ein Kind der Kirche sein will, festhalten muß: nämlich, daß sie [die Kirche] die Lehrerin und Bewahrerin der Offenbarung ist und darum beim Lehren, Verkünden und Aufrechterhalten der Offenbarung nicht irren kann, gemäß den Worten des hl. Paulus: ‚Die Kirche, die Säule und Grundfeste der Wahrheit.‘“

(The Letters and Diaries of John Henry Newman XXVIII S. 129 (21.10.1876))

Die katholische Kirche hat ihr Fundament im göttlichen Glauben, sie ist die Mutter und unfehlbare Hüterin dieses von Gott anvertrauen Glaubensgutes. Das ist das Dogma, das allen anderen Dogmen zugrunde liegt und an dem jeder, der ein Kind der Kirche sein will, festhalten muß. Dieses Dogma leugnen Herrn Kwasniewski [Vitus Huonder] und seine Traditionalisten de facto, mit der Tat – bzw. mit unzähligen widerständlerischen Taten aufgrund ihres Katechismuswissen! Was für ein Unsinn, was für ein Wahn! Diese „Kirche“ ist keineswegs die Säule und Grundfeste der Wahrheit, sondern die Mutter aller traditionalistischen Glaubensirrtümer. …

Ein neues „Grund-Dogma“: Erkenne und widerstehe!

Für John Henry Newman war es noch, wie wir gelesen haben, selbstverständlich, auf den hl. Stuhl zu vertrauen und seine Entscheidung abzuwarten, auch wenn es sich dabei nicht um unfehlbare Entscheidungen handeln sollte: „Sie fragen mich: ‚Stimmen Sie Mr. Gore zu?‘ Ich fühle mich nicht verpflichtet, diese Frage zu beantworten. Ich überlasse sie dem Hl. Stuhl zur Entscheidung, sei es jetzt oder zu einer anderen Zeit. Ich warte, bis die Kirche ihre Antwort gegeben hat, und bin nicht ungeduldig, wenn sie diese hinausschiebt.“

Kein Tradi verhält sich so, ja er würde sich höchstwahrscheinlich recht lächerlich vorkommen, wenn er plötzlich seinem Papst eine richtige Entscheidung zutrauen würde, hat er sich doch durch die geschichtlichen Tatsachen der letzten Jahrzehnte mit ihren allzeit irrenden „Päpsten“ in den Modernismus hineinziehen lassen. Mit anderen Worten: Er hat vor lauter Widerstand den eigentlichen übernatürlichen Sinn der kirchlichen Autorität aus den Augen verloren und deren Grenzen so verrückt, daß sie seinem Grunddogma – erkenne und widerstehe! – entsprechen.

Man muß mit großer Sorgfalt walten, ehe man sich auf das Gewissen beruft!

Sicherlich hat die Autorität der Kirche und des Papstes ihre Grenzen. Der Papst ist nicht immer und in jedem Fall unfehlbar. Selbst die Autorität der Kirche über die Lehre reicht immer nur so weit wie die Offenbarung reicht. Kardinal Newman betont in seinem Brief an den Herzog von Norfolk:

„Ich bemerke weiter: Da das Gewissen ein praktisches Diktat ist, ist eine Kollision zwischen ihm und dem Papste nur möglich, wenn der Papst Gesetze oder besondere Befehle und dergleichen gibt. Doch ein Papst ist nicht unfehlbar in seinen Gesetzen, ebensowenig in seinen Befehlen und politischen Aktionen, in seiner Verwaltung, in seiner öffentlichen Politik. Man gestatte die Bemerkung, daß das Vatikanische Konzil ihn hierin gerade so belassen hat, wie es ihn fand.“

Jeder gläubige Katholik weiß, daß der Papst in den hier genannten Entscheidungen (es sei denn, es handle sich um allgemeine Gesetze für die ganze Kirche) nicht unfehlbar ist, dennoch wird er auch solche Entscheidungen und Aussagen im Geist des Gehorsams hören und sie annehmen, um die Einheit der Kirche nicht zu gefährden. In Einzelfällen kann zwar sein Gewissen in Fragen dieser Art zu einer Auffassung kommen, die nicht mit jener des Papstes übereinstimmt, dabei legt selbst hier Newman ungewöhnlich strenge Maßstäbe an: „Um nicht mißverstanden zu werden, muß ich wiederholen, daß ich, wenn ich vom Gewissen rede, selbstverständlich das meine, was man mit Recht Gewissen nennt. Wenn es das Recht hat, der höchsten, wenn auch nicht unfehlbaren Autorität des Papstes entgegenzutreten, dann muß es etwas mehr sein als jenes elende Zerrbild, das, wie ich oben erwähnt habe, jetzt seinen Namen führt. Wenn es in einem einzelnen Falle als ein heiliger, souveräner Mahner aufgefaßt werden soll, dann müssen seinem Diktat, das gegen die Stimme des Papstes Geltung haben soll, ernsthaftes Nachdenken, Gebet und Anwendung aller erdenklichen Mittel vorangehen, will man in der in Frage stehenden Angelegenheit zu einem richtigen Urteil kommen. …“

Welcher Traditionalist befolgt bei seinem Widerstand gegen die päpstliche Autorität die hier von Newman aufgestellten Regeln? Wohl kein einziger! Newman ist meilenweit davon entfernt, dem Papst etwa wie Mr. Kwasniewski [und Vitus Huonder] entgegenzutreten – selbst nicht in den Fällen, in denen er keine Lehrautorität ausübt, sondern konkrete kirchenpolitische oder verwaltungstechnische Einzelmaßnahmen ergreift, fordert er höchste Sorgfalt und viel Weisheit. Er gibt darüber hinaus zu bedenken:

„Würde man diese notwendige Regel beobachten, so wären Konflikte zwischen päpstlicher Autorität und der Autorität des Gewissens sehr selten. Andrerseits haben wir in der Tatsache, daß in Ausnahmefällen schließlich das Gewissen eines jeden einzelnen frei ist, eine feste Bürgschaft dafür, falls eine solche Bürgschaft nötig wäre (dies ist eine recht grundlose Vermutung), daß kein Papst jemals, wie der Einwand es voraussetzt, ein falsches Gewissen zu seinen eigenen Zwecken schaffen kann.“

(Certain Difficulties, felt by Anglicans in Catholic Teaching; Vol. II, Letter to the Duke von Norfolk (27.12.1874); Christian Classics, Westminster, Md., 1969, S. 257 – 258)

Erkenne und ziehe die Konsequenz

Der letzte Satz macht einen recht nachdenklich – denn eigentlich spricht er gegen die Traditionalisten und für uns. Die letzte Konsequenz davon ist nämlich die: Ein Papst, der ein „falsches Gewissen“ schaffen würde – Scheeben spricht von einer absoluten Temerität, also von einem Papst, der unter den Bedingungen einer unfehlbaren Entscheidung des Lehramtes eine Häresie verkünden würde –, zeigt damit, daß er keine wahre Autorität mehr besitzt, also nicht Papst der katholischen Kirche sein kann. Newman ist überzeugt, wir haben es oben schon zur Kenntnis genommen: „Spräche der Papst gegen das Gewissen im wahren Sinne des Wortes, dann würde er Selbstmord begehen. Er würde sich den Boden unter den Füßen wegziehen.“

Nur wer diese von Newman angesprochene Konsequenz aus dem Lehrdesaster in der Menschenmachwerkskirche zieht, entgeht dem beißenden Selbstwiderspruch, der sich im Verhalten unserer Tradis und ihrem „erkenne und widerstehe“ findet. Denn der wahren Einsicht in diese beispiellose kirchliche Situation folgt nicht der Widerstand gegen den eigenen Papst – was in der Tat vollkommen widersinnig ist! – sondern die Erkenntnis der papstlosen Zeit. In der Tat haben sich Roncalli, Montini, Wojtyla, Ratzinger und Bergoglio durch ihre häretischen Lehren und apostatischen Taten den Boden unter den Füßen weggezogen.

Subjektive Frömmigkeit statt übernatürlicher Glaube

Sobald man sich auch nur ein ganz klein wenig über diese lehrmäßigen Zusammenhänge informiert hat und sich darüber Rechenschaft gibt, kann man es nicht mehr fassen, wie Huonder mit Berufung auf seinen nunmehrigen Meister Lefebvre sich einfach gegen das kirchliche Lehramt auf das Gewissen meint berufen zu können. Da fehlen letztlich alle grundlegenden philosophisch-theologischen Kenntnisse! Huonder kommt im Schlepptau der Piusbrüder selbstverständlich gar nicht mehr auf die Idee, sich mit den für einen Katholiken unausweichlichen Fragen auseinanderzusetzen, weil er als Lefebvrist keinen katholischen Glauben und auch keinen katholischen Geist mehr besitzt. Demgemäß wirft auch Huonder den Römern nicht Häresie vor, sondern Fehlende Pietas – also fehlende Frömmigkeit!

Seit dem Pontifikat Pauls VI. verzeichnen wir immer wieder schwerwiegende Eingriffe in Lehre und Disziplin der Kirche, welche die Pietas vermissen lassen. Wohl der schwerste war der Eingriff in die Liturgie der heiligen Messe. … Man kann sich nach allem, was geschehen ist, fragen: War das, was geschehen ist, ein glaubwürdiges Vorgehen? War es von der Pietas bestimmt?

Auf so einen Unsinn muß man erst einmal kommen! Da spricht Huonder über schwerwiegende Eingriffe in Lehre und Disziplin der Kirche und schließt sodann haarscharf daraus, daß diese „Päpste“ die Pietas vermissen lassen. War es von der Pietas bestimmt?

Das ist ein typisches Pius-Ablenkungsmanöver vom Wesentlichen, nämlich von der Frage nach der Häresie, ja von der Erkenntnis des großen Abfalls der ganzen kirchlichen Hierarchie, der allgemeinen Apostasie.

Nein, nicht wie Newman: Spräche der Papst gegen das Gewissen im wahren Sinne des Wortes, dann würde er Selbstmord begehen. Er würde sich den Boden unter den Füßen wegziehen, sondern nur – gemütlich und genüßlich im Wohnzimmersessel sitzend! – War es von der Pietas bestimmt? Ein unfrommer Papst braucht einen nicht allzu sehr beunruhigen, oder? Dabei führte der römische „Eingriff“ in die Liturgie immerhin selbst nach Huonder zu einer protestantischen Auffassung der heiligen Messe, wie wir schon gehört haben, und nicht einfach nur zu einer unfrommen Messe.

Überwindung der Krise

Nach diesem Tohuwabohu Huonders und seines Ghostwriters ahnt man auch schon, wie er sich die Überwindung der Krise vorstellt.

Da haben wir auf der einen Seite „eine der größten Krisen ihrer Geschichte. Es ist eine innerkirchliche Krise. Sie hat alle Bereiche des kirchlichen Lebens erfaßt: Verkündigung, Liturgie, Diakonie sowie Leitung.“

Auf der anderen Seite aber: „Hoffnungsvoll insbesondere war allerdings das Jahr 2007 mit dem Dokument Summorum Pontificum. Inzwischen müssen wir sagen: Es war ein aufflackerndes Feuer. Es wurde sehr schnell erstickt, so daß die Krise heute größer ist denn je.“

Bezüglich Ratzinges Summorum Pontificum hat sich also Huonder ganz einfach die Wahrnehmungsstörungen der Piusbrüder zueigen gemacht. Er sieht sie als Hoffnungsschimmer und als ein aufflackerndes Feuer, das sodann wieder sehr schnell erstickt wurde. Um so etwas zu sehen, muß man schon ins Tradiland flüchten.

Wie nicht anders zu erwarten werden die Wahrnehmungsstörungen nochmals größer, wenn Huonder zum eigentlichen Thema aller drei Videos kommt und über Die große Wunde zu sprechen beginnt.

Die große Wunde

Zunächst wird von Joseph Ratzinger behauptet: Es wäre ihm damals daran gelegen gewesen, die große Wunde zu heilen, welche nach und nach entstanden sei – gewollt oder ungewollt.

Sodann tritt aber der böse Bube Bergoglio in den Ring, und Huonder hält ihm wiederum ein Zitat von Lefebvre aus dem Jahr 1976 entgegen:

Wäre es nicht möglich, in den Kirchen eine Kapelle zu genehmigen, in der die Leute beten können wie vor dem Konzil? Heute wird alles erlaubt; Warum sollte man nicht auch uns etwas erlauben?“

Also Lefebvre und seine Anhänger wären schon mit irgendeiner kleinen Seitenkapelle im neuheidnischen Zirkus der Menschenmachwerkskirche zufrieden! Da verschlägt es einem doch die Sprache! Haben die Piusbrüder nicht genau das damals in dem heißen Jahr 1988 ihren sich abspaltenden Petrusbrüdern vorgehalten: Es genügt euch ein Reservat für die alte Messe! Nun sagt Huonder auf einmal zu dieser Schnapsidee Lefebvres:

Es ging damals nicht um irgendeinen ausgefallen Wunsch. Es geht auch heute nicht um irgendeinen ausgefallenen Wunsch. Es geht um den Glauben. Es geht um das höchste Gut unseres Glaubens. Es geht wirklich um die Nahrung, um das Brot zum Überleben. Darum nochmals die Frage: Warum nimmt der Papst den Kindern das Brot weg?

Ja, was denn nun, Herr Huonder? Sie müssen sich schon entscheiden: Entweder geht es um eine Seitenkapelle in der Menschenmachwerkskirche oder es geht um den Glauben, sogar um das höchste Gut des Glaubens. Wie aber kann sich das höchste Gut des Glaubens mit einer Seitenkapelle in einer häretischen Gemeinschaft zufriedengeben? Das kann das höchste Gut des Glaubens sicher nicht, aber das können die Piusbrüder und mit ihnen „Bischof“ Huonder!

Gerechtigkeit und Dankbarkeit

Zum Abschluß des Videos wird es nochmals besonders absurd: Gerechtigkeit und Dankbarkeit. Huonder meint fast weinerlich: „Ich ersuche um Gerechtigkeit für die Priesterbruderschaft Pius X.“

Dasselbe tun auch wir! Ein echter Papst wird einmal die Piusbrüder als Häretiker verurteilen, wobei er ganz einfach auf die Verurteilungen der Gallikaner und Altkatholiken wird zurückgreifen können. Die Piusbrüder sind nichts anderes als Protestanten, die die Übertragung des protestantischen Prinzips der freien Forschung von der heiligen Schrift auf die Tradition vollzogen haben. Sie leugnen zumindest in der Praxis den Primat Petri, und in der Theorie haben sie diesen soweit minimalisiert und marginalisiert, daß er keinerlei Einfluß auf das kirchliche Leben mehr haben kann.

Huonder beendet die drei Videos mit der Bemerkung:

Es würde der Kirchenleitung anderseits gut anstehen, mit dieser Entschuldigung einen Dank auszusprechen für das Wirken der Bruderschaft und diesem urkatholischen Werk ohne Wenn und Aber ihre Anerkennung auszusprechen.

Bei so viel Unvernunft ist Hopfen und Malz verloren. Wer in der Piusbruderschaft ein urkatholisches Werk sieht, der weiß nicht mehr, was katholisch ist. Und wer gar eine Anerkennung ohne Wenn und Aber fordert, der hat jegliches sentire cum ecclesia verloren. Es ist in der Tat wahr, Huonder paßt inzwischen ganz gut zu den protestantischen Piusbrüdern, ja, er hat sich in kurzer Zeit zu einem Frontmann der Irrlehre des Lefebvrismus machen lassen – und er scheint sogar richtig stolz darauf zu sein.