Vor nicht allzu langer Zeit sah sich ein Priester einer traditionellen Vereinigung genötigt, einen Vortrag gegen die evidentermaßen papstlose Zeit zu halten, war doch einer seiner Mitbrüder für ihn ganz überraschend zur Einsicht dieser Evidenz gekommen und hatte sodann konsequenterweise die Gemeinschaft verlassen, die sich dieser Einsicht versperrt.
Wir wollen uns an dieser Stelle nicht mit den vielen Unsinnigkeiten dieses Vortrags abplagen, da dies bezüglich anderer Vorträge oder Texte mit demselben Unsinn in vielen anderen Beiträgen genügend geschehen ist, sondern nur die Einleitung analysieren und dazu noch eine während des Vortrags immer wiederkehrende Aussage, denn diese sind durchaus eine Bemerkung wert.
Stellen Sie sich mal vor…
Der Traditionalistenpater greift, wohl um den Einstieg ins Thema möglichst plakativ zu machen, auf einen Vergleich zurück:
...Also, stellen Sie sich mal vor. ... Stellen Sie sich mal vor, Sie sind draußen auf der Straße und sehen jemand, der Ihre Jacke trägt. Da denken Sie sich: Das ist bestimmt meine Jacke. Die vermiß ich nämlich schon lang. So. Wenn Sie jetzt zu dem hingehen und ihm sagen: Hey, das ist meine Jacke. Gib sie her! Da sagt der: Nein! Wieso ist das deine Jacke? Die gehört mir. Die hab ich mir gekauft. Da können Sie ihm jetzt eine auf den Kopf hauen und ihm die Jacke wegnehmen und ihm sagen: Kommt gar nicht in Frage, die ist bestimmt meine, weil ich suche meine schon lange.
Solange ein anderer etwas besitzt, darf man ihm das nicht wegnehmen, solange nicht hundertprozentig sicher ist, das gehört nicht ihm. Das ist meines. Also in dem Fall mit der Jacke: Wenn Sie sich hundertprozentig sicher wären, daß es die Ihre ist, dann dürften Sie ihm die Jacke wegnehmen. Wenn Sie aber nur 99 % sicher wären, das es Ihre Jacke ist, dann dürfen Sie sie ihm nicht wegnehmen. Also. Das zeigt einen Rechtsgrundsatz, den die Lateiner nennen: „Melior est conditio possidentis.“ Also: Also, ich darf dem anderen das, was er besitzt nicht streitig machen, wenn ich mir da nicht 100 % sicher bin. Also, wie gesagt, das ist ein Grundsatz im Recht. Nicht nur im kirchlichen, sondern auch im anderen, im weltlichen Recht, im römischen Recht schon.
Die suggestive Macht der Vergleiche
Sicherlich ohne es zu merken und zu wollen, gibt der Pater mit dieser Einleitung seinen eigenen Geisteszustand kund. Wir haben schon öfter darauf hingewiesen, daß der moderne Mensch große Schwierigkeiten mit Vergleichen hat – genauso wie mit ironischen Bemerkungen –, weil diese eine klare Einsicht in den Sachverhalt voraussetzen. Jeder Vergleich hat es mit Gleichem und Ungleichem zu tun. Der Vergleich trifft deswegen nur dann den Sachverhalt, wenn das sog. „tertium comparationis“ stimmt, der „Vergleichsgrund“. Denn nur dann, wenn das zu Vergleichende wirklich etwas Gemeinsames und damit Vergleichbares aufzuweisen hat, ist der Vergleich treffend und eine Erkenntnishilfe. Sobald man jedoch in den Vergleichsgrund Ungleiches einbringt, wird der Vergleich falsch und irreführend. Da nun ein Vergleich eine besondere suggestive Macht hat, gebrauchen die Sophisten mit Vorliebe Vergleiche, um ihre Zuhörer zu täuschen und in die Irre zu führen.
Liest man den vom Vortragenden verwendeten Vergleich, fällt einem sofort auf:
1. Der Vergleich ist falsch in Bezug auf den Rechtsgrundsatz, den er verdeutlichen soll.
Der Rechtsgrundsatz „In dubio melior est conditio possidentis“ – „Im Zweifel verdient der Besitzer den Vorzug“ – ist nämlich eine andere Formulierung des Rechtssatzes „In pari turpitudine melior est causa possidentis“, durch den er letztlich erst verständlich wird. Denn der Rechtsgrundsatz: „In pari turpitudine melior est causa possidentis – bei gleich sittenwidrigem Verhalten beider Beteiligter ist die Rechtslage der besitzenden Partei die bessere“, beschreibt den Lehrsatz, daß bei einem beiderseitigen Verstoß gegen die guten Sitten die Streitsache beim gegenwärtigen Besitzer verbleibt. Es wird hierzu auf § 817 Satz 2 BGB verwiesen, der bestimmt, daß eine Leistungskondiktion ausgeschlossen ist, wenn sowohl der Empfänger als auch der Leistende bei der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hat. (Von Leistungskondiktion spricht man bei einem Anspruch auf Herausgabe einer Bereicherung, die auf einer Leistung beruht, welche entweder rechtsgrundlos ist oder ihren Zweck verfehlt hat. Rechtsgrundlos kann eine Bereicherung entweder von Anfang sein (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) oder durch späteren Wegfall (§ 812 Abs. 1 S. 2 BGB) des Rechtsgrundes.) Sobald man den Sachverhalt genügend geklärt hat, sieht man sofort ein, daß der Vergleich des Paters bezüglich des angeführten Rechtsgrundsatzes nicht nur einfach falsch, sondern völlig unsinnig ist, denn wo sollte in diesem Fall gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen worden sein? Nun hat der Vortragende aber den seinem Vergleich zugrundeliegenden Unsinn in sein Beispiel und somit auch in seine Argumentation eingearbeitet, wie wir noch zeigen werden. (Wobei durchaus zuzugeben ist, daß die von ihm angeführte Sentenz bisweilen auch in einem „akkomodierten“ Sinn gebraucht wird; aber auch dann muß der Sinn wenigstens passen.)
2. Wenn schon der Sachgrund des Vergleiches falsch ist, dann kann natürlich auch die Anwendung nicht mehr richtig sein, wie wir ebenfalls noch zeigen werden. Der Pater will seinen Grundsatz nämlich auf das Amt des Papstes anwenden und damit belegen, daß man dem Papst sein Amt nicht einfach „wegnehmen“ darf.
Derselbe und der gleiche
Aber der Reihe nach. Vorweg eine allgemeine Bemerkung: Der Redner scheint ziemlich unvorbereitet in den Vortrag gegangen zu sein und wirkt zudem recht unsicher. Schon der Beginn seiner Rede ist im Grunde eine völlige Blamage. In der Einleitung sagt er tatsächlich: „Stellen Sie sich mal vor, Sie sind draußen auf der Straße und sehen jemand, der Ihre Jacke trägt. Da denken Sie sich: Das ist bestimmt meine Jacke.“ Welcher vernünftige Mensch denkt, wenn er auf der Straße jemanden mit einer Jacke begegnet, die so aussieht wie seine: Das ist meine Jacke? Der Pater sagt allen Ernstes: „…sehen jemand, der Ihre Jacke trägt.“ Wie will er denn sehen können, das ist meine Jacke, wenn diese Jacke von der Stange kommt und womöglich 10.000 mal und mehr in derselben Ausführung hergestellt worden ist? Aus diesem Grunde denkt natürlich kein vernünftiger Mensch in dem angeführten Fall, das ist bestimmt meine Jacke, sondern allerhöchstens, diese Jacke sieht wie meine aus. So unsinniges Zeug, wie im Vortrag als Beispiel konstruiert, denkt nur jemand, der einen Vergleich führen möchte, der gar nichts vergleicht und deshalb natürlich auch nichts Vernünftiges aussagen kann, aber dennoch der eigenen Ideologie dienen soll.
Es wird nochmals verrückter, wenn es weitergeht: „Wenn Sie jetzt zu dem hingehen und ihm sagen: Hey, das ist meine Jacke. Gib sie her!“ Eines ist ganz gewiß: So würde sich nur ein Psychopath verhalten. Ein normaler Mensch würde höchstens denken: „Die Jacke sieht wie meine aus. Schade, daß sie mir gestohlen wurde, ich hatte sie so gerne getragen.“
Der Bestohlene hat selbstverständlich keinerlei Rechtsanspruch auf eine Jacke, die irgendwo in der Fußgängerzone herumläuft und zufälligerweise so aussieht wie seine, denn woher sollte sich dieser herleiten? Aus welchem rechtfertigenden Grund sollte er dem andern die Jacke streitig machen dürfen? Wenn das so wäre, dann könnte jederzeit jeder kommen und behaupten, diese Jacke gehöre ihm. Übrigens gibt es in der deutschen Sprache deswegen zwei Wörter, um den hier in Frage stehenden Unterschied auszudrücken. Wir sprechen von der Jacke als „der gleichen“ und „derselben“. Angewandt auf unseren Fall: Ich kann die Jacke immer nur als die gleiche erkennen, niemals aber als dieselbe (wenn es nicht eindeutige Hinweise gibt wie z.B. mein eingestickter Name)! Darum kann ich natürlich auch niemals vernünftigerweise behaupten, das ist meine Jacke. Und schon gar nicht darf ich sie dem anderen einfach wegnehmen.
Damit ist der Vergleich schon einmal als vollkommen unbrauchbar erwiesen, hat er doch mit der zu erklärenden Sache überhaupt nichts zu tun. Von wegen „Melior est conditio possidentis“! Wo gibt es denn hier einen beiderseitigen Verstoß gegen die guten Sitten, weshalb die Streitsache beim gegenwärtigen Besitzer verbleibt? Wer hat gegen die guten Sitten verstoßen, wenn einer eine Jacke trägt, die aussieht wie die, die einem anderen gestohlen wurde? Höchstens der verstößt gegen die guten Sitten, der einem anderen seine Jacke einfach herunterreißt, weil er meint, sie könnte ihm gehören.
Der Pelzmantel
Der Vergleich, wenn er wenigstens irgendetwas Sachdienliches leisten sollte, müßte schon anders geführt werden, etwa so: Jemand sieht auf der Straße eine Frau mit einem Pelzmantel im geschätzten Wert von etwa 25.000 Euro herumstolzieren. Dieser Pelzmantel scheint ihm verdächtig ähnlich dem seiner Frau zu sein, der vor einem Monat gestohlen wurde. Als er noch etwas näher an die Frau herangeht, sieht er auf der Schulter des Pelzmantels eine Auffälligkeit, die den Mantel eindeutig als denjenigen seiner Frau ausweisen kann. Also verfolgt er die Frau, ruft zugleich die Polizei – und läßt die Sache klären.
In diesem Vergleich wird der Anspruch auf das Streitobjekt vernünftig begründet und zudem eine rechte Handlungsweise aufgezeigt. Der vermutliche wirkliche Besitzer des Pelzmantels geht nicht einfach auf den vermeintlichen Dieb zu, um ihm den Mantel wegzunehmen, sondern läßt die Sache von der Polizei dingfest machen und von einem Gericht klären. Damit wäre auch bei der Anwendung auf das Papstamt etwas Wesentliches gewonnen, denn das Papstamt ist doch ebenfalls etwas Einmaliges. Dies scheint dem vortragenden Pater so unwichtig zu sein, daß er es gar nicht in seinen Vergleich einarbeitet, sondern im Gegenteil. Man muß sich doch fragen: Warum vergleicht der Pater das Papsttum mit einer gewöhnlichen Jacke? Mit einer Jacke, von der es mindestens 10.000 gibt?
Er meint wohl – und das ist aufgrund der Ideologie der Gemeinschaft, der er angehört, naheliegend –, das Papsttum wäre so schwer von anderen Ämtern zu unterscheiden wie die eine Jacke unter 10.000 gleichgearbeiteten Jacken. Denn derjenige, der seine Jacke verloren hat, kann sie natürlich inmitten von 10.000 anderen, die dieser vollkommen gleichen, nicht wiedererkennen und somit auch nicht mehr finden, es sei denn, es würden andere klärende Umstände hinzukommen. D.h. aber: Für den Pater ist das Papsttum gar nichts Besonderes mehr und schon gar nichts Einmaliges – wie der 25.000 Euro teure Pelzmantel wenigstens etwas Besonderes und damit auch leicht zu Erkennendes ist. Die einzige richtige Schlußfolgerung aus seinem Vergleich wäre die: Die Jacke ist verloren und sicher nicht mehr wiederzufinden. Wobei das wiederum gar nicht so schlimm wäre, denn die Jacke war sowieso nicht so viel wert – höchstens als Liebhaberstück.
Wie kann nun ein Katholik soweit kommen, daß für ihn der Papst überhaupt nichts Besonderes mehr ist? Doch nur dann, wenn er seinem Papst die Wesensmerkmale des Papsttums abspricht, wenn er die ihm von Gott geschenkten Vollmachten, die ausschließlich dem Papst und nur ihm ganz allein von Gott zuerkannt worden sind, so daß er sich dadurch von allen anderen Menschen der Welt eindeutig unterscheidet, nicht mehr als sicher unterscheidende, einmalige Besonderheit im Blick hat. Genau das ist heute allgemein unter den Konservativen und Traditionalisten der Fall! Ihr „Papst“ erscheint ihnen wie jeder andere fehlerbehaftete, irrtumsfähige Mensch auch. Diese Leute wissen deshalb gar nicht mehr, was ein Papst der katholischen Kirche wesentlich ist und was er darum auch immer notwendigerweise kraft seines von Gott verliehenen Amtes tun muß. Infolgedessen können sie ihn etwa von anderen Würdenträgern der Kirche gar nicht mehr unterscheiden, ja nicht einmal mehr von irgendeinem anderen Menschen! Das einzig verbleibende Unterscheidungsmerkmal ist letztlich die weiße Soutane! Und weil derzeit zwei weiße Soutanen in Rom herumlaufen, darum gibt es für die meisten Anhänger der Menschenmachwerkskirche zur Zeit auch zwei Päpste. Was für eine absurde Annahme! Wobei der Vergleich wenigstens insofern einen Sinn hätte, wenn diese beiden "Päpste" darum streiten würde, wer von ihnen die weiße Soutane zurecht trägt. Das tun sie aber gar nicht.
Der Krönungsmantel
Der Krönungsmantel der deutschen Kaiser, auch Pluviale genannt, ist eine unvorstellbar wertvolle Kostbarkeit. Dieser wurde vom zukünftigen Kaiser bei seiner Krönung nicht wie ein Regenmantel getragen, sondern seitlich über die linke Schulter, so daß die rechte Hand, die Schwert- und Schwurhand, für die Krönungszeremonie frei blieb. Der Krönungsmantel wurde ursprünglich für einen „Wikinger“ angefertigt, nämlich den normannischen Herzog Roger II. Dieser eroberte Sizilien und wurde sodann zum König des Landes gekrönt, wozu er den Krönungsmantel anfertigen ließ (1133 n. Chr.). Dessen Tochter Konstanze heiratete 1186 den Sohn Friedrich Barbarossas, Heinrich VI. Dieser nahm den Krönungsmantel an sich und kehrte nach Deutschland zurück. So kam der normannische Krönungsschatz an die Hohenstauffer. Friedrich II, der schon mit 14 Jahren Vollwaise geworden war, machte anläßlich seiner Krönung 1220 den Krönungsmantel zum festen Bestandteil der Reichsinsignien. In der Folge trugen ihn 47 Herrscher bei ihrer Krönung. Der halbkreisförmige Mantel ist mit Goldfäden bestickt und zeigt Löwen, die über Kamele triumphieren. In der Mitte ist der Lebensbaum der arabischen Welt - der Dattelbaum - zu sehen.
Daß dieser Mantel bei den Reichskrönungen eingesetzt wurde, obwohl er aus dem islamischen Kulturkreis stammte, hat nicht nur mit dem außerordentlichen Wert und der meisterlichen Ausführung zu tun, sondern vor allem mit seiner atemberaubenden Farbenpracht. Es ist unglaublich: Dieser Mantel, der immerhin fast 1000 Jahre alt ist, ist in einem erstaunlich guten Zustand erhalten! Vor allem die mit Purpur rot gefärbte byzantinische Seide leuchtet noch immer „wie neu“! Die Farbe Purpur wurde aus Purpurschnecken erzeugt, die in Drüsen einen roten Farbstoff absondern. Zur Gewinnung des Farbstoffes mußten die Tiere gekocht werden, wodurch der Farbstoff sodann in den Farbsud eingelegt werden konnte. Es ist kaum vorstellbar, aber für die Herstellung von nur einem Gramm Purpur benötigte man 10.000 Tiere. Purpur war deswegen 300 mal so teuer wie Gold! Zudem hat man am Krönungsmantel über 100.000 Perlen eingearbeitet. Da bei den Transporten oder auch bei den Zeremonien sich immer wieder Perlen lösten, mußte man ständig ein Nähzeug für Ausbesserungen mitführen. Die Perlen sind übrigens so dünn gelocht, daß man bis heute nicht weiß, wie man einst die Löcher gebohrt hat.
Stellen wir uns nun einmal vor, dieser Krönungsmantel von unschätzbarem Wert würde gestohlen. Die Schlagzeilen der Weltpresse wären angefüllt mit der Nachricht: Meisterdieb stiehlt Krönungsmantel von unschätzbarem Wert! Nach dem dreisten Diebstahl geschieht es nun, ein Mann stolziert mitten in der Fußgängerzone von Wien mit ebendiesem Krönungsmantel herum – was würden dann wohl die Leute denken oder sagen oder rufen? Nach unserem traditionalistischen Redner sicher: „Melior est conditio possidentis.“ In der Wirklichkeit dagegen: „Haltet den Dieb!!!“
Der Krönungsmantel und das Papsttum
Wenn wir nach unseren zwei klärenden und den Sachverhalt präzisierenden Vergleichen zurück zur Anwendung kommen, sieht es doch gleich ganz anders aus, oder etwa nicht? Und es wird durch die Präzisierung des Beispiels nochmals verdeutlicht, wie grundfalsch das Beispiel unseres Paters gewählt ist. Aber nochmals der Reihe nach.
Natürlich würde ein Mann, der in Wien nach dem Diebstahl des Krönungsmantels mit diesem in der Fußgängerzone herumstolziert, sofort als Dieb erkannt und in kürzester Zeit hinter Gittern landen. Denn der Krönungsmantel der deutschen Kaiser ist nicht nur ein Unikat, er ist von einem solchen außergewöhnlichen Kunstwert, daß es kaum zu fassen ist. Nochmals die nüchternen Daten dazu: „Der Krönungsmantel ist ein halbrunder, bis zum Boden reichender, offener Umhang. Er wurde nach Art eines Chormantels auf beiden Schultern liegend getragen. Er ist 342 Zentimeter breit, besteht aus mit indischem Rotholz und Kermes rot gefärbter, geritzter Seide, dem so genannten Samit, und ist mit Goldfäden, über 100.000 Perlen und Emailplättchen reich bestickt. Insgesamt wiegt der Mantel elf Kilogramm.“ (Quelle).
Mindestens genauso wertvoll, wie es der Krönungsmantel jedem Kunstliebhaber ist, ja sogar noch weit wertvoller, weil es sogar übernatürlich unvorstellbar wertvoll ist, sollte jedem Katholiken das Papstamt sein. Wie man heutzutage überall bedauerlicherweise sehen kann und muß, ist gerade das bei den allermeisten sog. Katholiken nicht mehr der Fall. Das Papstamt erscheint den meisten Anhängern der Menschenmachwerkskirche im Gegenteil als vollkommen überflüssig, weil sie letztlich schon lange ihrem „Papst“ alle gottgegebenen Vollmachten abgesprochen haben – entweder grundsätzlich, wie die Modernisten, oder tatsächlich, wie die Traditionalisten. Darum ist auch die an sich ganz einfache und grundlegende Einsicht, daß ein Papst niemals Irrlehrer, niemals Häretiker sein kann, diesen großteils gar nicht mehr zu vermitteln. Genauso wenig ist noch zu vermitteln, daß der Papst nicht nur alle 100 Jahre einmal unfehlbar sein kann, wenn er wirklich Papst der katholischen Kirche sein soll, weil er dem Auftrag Christi gemäß nicht nur dann und wann, sondern beständig die Kirche Jesu Christi gegen Irrlehren in Glaubens- und den Sittenfragen bewahren und sie im göttlichen Glauben stärken muß.
Wenn jemand meint, der Papst könne sein Papsttum einfach an- und ausziehen wie eine Jacke, er ist ja nur alle 100 Jahre unfehlbar, dann kommt er doch angesichts der übernatürlichen Wirklichkeit der Kirche in erhebliche Erklärungsnot. Es stellt sich zudem die Frage, ob dann ein Papst, der während seiner Amtszeit niemals eine unfehlbare Entscheidung getroffen hat – und das ist nach dieser Lehre die große Mehrheit der Päpste! – überhaupt irgendeinmal Papst war oder nur ein Mensch wie jeder andere auch. Sein Papsttum hat er schließlich sozusagen die ganze Zeit wie eine Jacke in irgendeiner Garderobe des Vatikans verstauben lassen.
Diese irrigen Konstruktionen zeigen eines: Die meisten Konservativen und Traditionalisten können letztlich die ganz und gar grundlegende Wahrheit über unseren hl. Glauben, daß nämlich eine einzige Irrlehre den ganzen übernatürlichen Glauben zerstört, nicht mehr ernst nehmen. Einen solch vagen Glauben, bei dem es dann ein mehr oder weniger Katholischsein gibt, brauche ich letztlich nur alle 100 Jahre einmal gegen ganz außerordentlich schlimme Irrlehren verteidigen. Den wahren göttlichen Glauben hingegen muß man jeden Tag aufs Neue gegen Verfälschungen durch Irrlehrer, die doch gerade heute Legion sind, schützen. Hören wir auf dem Hintergrund dieser Einsicht in das Wesen unseres katholischen Glaubens einmal, was der Traditionalistenpater seinen Zuhörern zumutet:
Die gutgemeinte Häresie
„Es gibt vieles, was danach (nach Häresie) riecht, aber nicht ganz eindeutig. Da sind die Päpste zu schlau. Die wissen ja auch, was zu tun verdächtig ist. – Und dann kann man auch noch sagen, was dagegen spricht, daß die Päpste Häretiker sind und zwar: Papst Franziskus zum Beispiel. Wenn er irgend etwas sagt, was nach Häresie riecht, dann meint er subjektiv: Das läßt sich mit dem Glauben vereinbaren. Also, mit seinem Barmherzigkeitswahn. Daß man immer barmherzig sein muß usw., da biegt er dann alles hin, das ist so ein Anliegen Christi barmherzig zu sein. Das heißt subjektiv hat er nicht die Absicht, etwas gegen den Glauben zu sagen. Und darum fehlen die Argumente, wo man jetzt sagen könnte, das ist jetzt 100 % Häresie. Also. Ich will nicht bestreiten. Der Papst sagt viel, was nach Häresie riecht und er sagt Neues, was die Kirche bisher nicht gelehrt hat. Aber trotzdem ist es nicht möglich zu sagen: Es ist 100 % sicher, er ist Häretiker. Und, wie gesagt, um in der Sache dem Papst sein Amt streitig machen zu können, brauchten wir hier 100-prozentige Sicherheit. – Also der erste Punkt: Verkündet der Papst Häresien, läßt sich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit mit Ja beantworten. Es ist einfach so. Man kann nicht sagen: Ja, er ist Häretiker.“
„Arme Zuhörer!“ kann man da nur ausrufen. Genauso wie der hochw. Herr Pater müssen wohl auch diese inzwischen von einem so grundsätzlichen und tiefen Mißtrauen gegen ihren „Papst“ durchdrungen zu sein, daß sie selbst gegen solche Worte – „Es gibt vieles was danach (nach Häresie) riecht, aber nicht ganz eindeutig. Da sind die Päpste zu schlau. Die wissen ja auch, was zu tun verdächtig ist“ – keinen Einspruch mehr erheben.
Versuchen wir zum besseren Verständnis einmal, das Gesagte auf den Punkt zu bringen: Der Papst, der von Jesus Christus selbst eingesetzte Felsenmann und Sein Stellvertreter auf Erden, dessen Wesensaufgabe es ist, die Kirche Jesu Christi zu leiten und ihren göttlichen Glauben zu bewahren, ist so schlau, daß er die ihm anvertraute Herde durch zweideutige Aussagen in so hinterhältiger Weise täuscht, daß sie nicht einmal mehr merken, daß sie um ihren göttlichen Glauben gebracht werden. Ist eine solchermaßen durchtriebene Schläue nicht dämonisch zu nennen? Denn offensichtlich müssen doch diese hinterhältigen „Päpste“, wenn sie schon so schlau sind, um alle täuschen können, letztlich ganz genau wissen, was sie tun!
Außerdem gilt nach unserem Redner, selbst wenn Herr Bergogolio, alias „Franziskus“, etwas sagt, das nach Häresie riecht, so ist das zum einen dennoch mit dem Glauben zu vereinbaren (es ist wohl hier der katholische Glaube gemeint, aber 100% sicher kann man das natürlich nicht wissen), wobei zum anderen dieser Glaube sogleich mit dem Barmherzigkeitswahn des Herrn Bergoglio gleichgesetzt wird! Schließt denn neuerdings der katholische Glaube den Barmherzigkeitswahn Bergoglios mit ein? Vielleicht hat hier der Vortragende ungewollt etwas ganz und gar Richtiges gesagt, denn für die Menschenmachwerkskirche gilt das in der Tat.
Für den Traditionalistenpater folgt daraus wiederum, wenn der Herr Bergoglio sodann seinen Barmherzigkeitswahn (der immerhin nichts anderes als die Sünde gegen den Heiligen Geist ist, wie wir schon öfter gezeigt haben) der ganzen Kirche als neue Lehre auferlegt, dann muß ich dennoch anerkennen, er hat subjektiv nicht die Absicht, etwas gegen den Glauben zu sagen: „Und darum fehlen die Argumente, wo man jetzt sagen könnte, das ist jetzt 100 % Häresie.“ Der „Papst“ des hochw. Herrn Paters kann somit nicht einmal mehr die Sünde gegen den Heiligen Geist als mit dem katholischen Glauben unvereinbar beurteilen. Hier fehlen nicht die Argumente, hier fehlt ganz einfach jeglicher gesunde Menschenverstand. Denn wenn sein Papst viel sagt, was immerhin nach Häresie riecht, dann ist er zumindest der Häresie verdächtig und wenn er zudem viel „Neues“ sagt, „was die Kirche bisher nicht gelehrt hat“, dann ist er Häretiker, wenn diese neuen Lehren den Glauben und die Sitten betreffen, was ganz sicher der Fall ist. Der Pater jedoch besteht darauf: „Aber trotzdem ist es nicht möglich zu sagen: Es ist 100 % sicher, er ist Häretiker.“
Wenn das so ist, dann kann man auch bei Martin Luther, der demselben „Barmherzigkeitswahn“ wie Bergoglio erlegen war und ihn ebenso wie dieser als den neuen „Glauben“ gelehrt hat, nicht sagen, er sei ein Häretiker gewesen, und Herr Bergoglio hat ihn deswegen ganz zu Recht rehabilitiert und eine Lutherstatue im vatikanischen Audienzsaal aufstellen und ihr einen „katholischen Schal“ umhängen lassen.
Eine „Schule des Verdachtes“
Was dem Leser hoffentlich inzwischen nicht nur aufgefallen ist, sondern ihn höchstwahrscheinlich schon etwas verwundert hat, ist das penetrante Sprechen des Traditionalistenpaters von den 100% - „100% Sicherheit“. Jedem in der abendländischen Philosophie bewanderten Leser wird dazu sofort in den Sinn gekommen sein, was Josef Pieper in seinem Aufsatz „Über das Verlangen nach Gewißheit“ so formuliert:
„Neuzeitliche Geistigkeit, neuzeitliches Philosophieren vor allem ist durch diese Antwort gekennzeichnet, und durch die in ihr sich abzeichnende Grundhaltung: durch das Hinblicken des Erkennenden auf die Tragfähigkeit und Verläßlichkeit der Erkenntnis, auf die Gewißheit und auf den etwa zu erreichenden Grad von Gewißheit. Es ist fast ein Gemeinplatz, das zu sagen. Das neuzeitliche Philosophieren beginnt ja mit der Descartes'schen Grundfrage: Was ist letztlich gewiß? Was hält dem Zweifel stand? Kant steht in dieser gleichen Abstammungsreihe, wenn er sagt, das Thema der Metaphysik sei: Was kann ich wissen, kann ich überhaupt mit Gewißheit wissen? Eine ‚Schule des Verdachtes‘ hat Nietzsche daraufhin die ganze neuere Philosophie genannt.“
(Josef Pieper, Weistum Dichtung Sakrament, Kösel-Verlag, München 1954, S. 43)
Wer bei seiner Erkenntnis einseitig auf die Gewißheit der Erkenntnis achtet, der verschiebt damit unwillkürlich die Frage nach der Gewißheit ganz ins Subjektive, ja letztlich sogar ins Psychologische. Wie ist das aber dann, kann man die Sicherheit einer Überzeugung messen, so daß man sagen kann, ich bin mir 70% sicher, 80% sicher oder sogar 100% sicher? Sobald man sich diese Frage ernsthaft stellt, erscheint einem eine Antwort in Prozentangaben als unsinnig. Man kann doch Erkenntnissicherheit nicht in einer mathematischen, in Prozent unterteilten Tabelle erfassen.
Zudem weiß jeder aus eigener Erfahrung zur Genüge, daß die eigene Gewißheit einer Erkenntnis psychologisch nicht immer gleich empfunden wird. Ja, es ist sogar möglich, daß die eigene, psychologische Sicherheit vollkommen erschüttert wird, nämlich jedesmal dann, wenn man zu der Einsicht kommt, daß man sich getäuscht hat. Darum ist die Zielrichtung der modernen, auf eine absolute Sicherheit gerichteten Philosophie die Erkenntnisskepsis – woraus schlußendlich sogar eine Erkenntnisverzweiflung und Erkenntnisverweigerung erwächst, wie die weitere Entwicklung der modernen Philosophie zeigt. Diese Erkenntnisverzweiflung nennt man übrigens mit dem Fachwort „Agnostizismus“ – und dieser Agnostizismus ist wiederum, wie der hl. Pius X. betont, die dem Modernismus zugrundeliegende Philosophie.
Allein aus diesen kurzen Erwägungen kann man leicht erkennen, daß das unreflektierte Reden von einer 100%igen Sicherheit nicht ohne Gefährdung möglich und darum unverantwortlich ist. Josef Pieper weist ausdrücklich darauf hin, daß die „Alten“ die Sache etwas differenzierter gesehen haben: „Und was sagen die Alten, die großen Lehrer der Christenheit, die Gründer und Erzväter der griechischen Weisheitsüberlieferung? In einer Summa des Hochmittelalters findet sich dem Satz ‚Zur Würde des Wissens gehört Gewißheit‘ ein anderer Satz gegenübergestellt, man kann auch sagen: entgegengestellt — ein ungemein bedenkenswerter Satz, dessen Bedeutung weit über den unmittelbaren Fragezusammenhang hinausgreift. Dieser andere Satz lautet so: ‚Das Geringste an Erkenntnis, das einer über die erhabensten Dinge zu gewinnen vermag, ist ersehnenswerter als das gewisseste Wissen von den niederen Dingen‘“ (Ebd. S. 43f).
Je höher etwas in der Hierarchie des Seins steht, desto schwieriger ist die Erkenntnis. Aber es sind gerade die höheren Dinge, die eine solche Mühe des Erkennens wirklich lohnen, weil nur diese den menschlichen Geist zu den ewigen Gütern führen, in denen das wahre Glück sich birgt. Weil aber die Erkenntnis dieser erhabenen Dinge große Mühe fordert, ist die dabei gewonnene Sicherheit gar nicht so leicht faßbar. Schon der griechische Philosoph Aristoteles weist, wie Josef Pieper ebenfalls zeigt, ebenfalls auf denselben Sachverhalt hin: „Von den erhabenen und göttlichen Dingen haben wir nur geringe Erkenntnis... Aber: mögen wir auch an diese höheren Bezirke kaum heranreichen, so ist uns dennoch diese Art des Erkennens, um ihrer größeren Würde willen, begehrenswerter als alle Dinge unserer eigenen Welt — wie es auch seliger ist, von einem geliebten Wesen irgendein noch so kleines Zipfelchen zu erspähen, als vieles Andere und selbst Bedeutende mit Genauigkeit zu betrachten.“
Für den modernen Menschen ist es ganz besonders wichtig, das hier Gesagte tiefer zu bedenken, offenbart sich doch darin eine dem Skeptizismus ganz entgegenstehende Erkenntnishaltung. Lassen wir uns den Unterschied nochmals von Josef Pieper darlegen:
„Es ist darin nichts von Verdacht, nichts von Mißtrauen; im Gegenteil, es spricht sich hier ein höchst entschiedenes Seinsvertrauen aus, ein allerdings keineswegs ‚naives‘ Vertrauen [wie man vielleicht einen Augenblick lang meinen mag]. Um hier klarer zu sehen, muß zuvor noch ein anderes Element jener Einsicht der Alten bedacht werden, ein nicht ohne weiteres zutageliegendes Element. Es ist das folgende: die Erkenntniskraft des Menschen wird ausdrücklich als endlich, als nichtabsolut, als begrenzt verstanden. Geschieht dies aber nicht auch, ja erst recht in jener Haltung des Mißtrauens und des Verdachtes, wie sie den Ansatz der neuzeitlichen Philosophie mit ihrem methodischen Zweifel kennzeichnet? Es könnte so scheinen; aber ich glaube, dieser Anschein ist trügerisch“ (Ebd. S. 44f).
Eigentlich müßte dieser Sachverhalt einem theologisch Gebildeten präsent sein, wird doch gerade beim übernatürlichen Glauben die Sicherheit nicht durch eigene Einsicht gewährleistet, sondern durch die den Glauben bezeugende Autorität. Wer also in bezug auf den übernatürlichen Glauben das Gewicht allzusehr auf die subjektive, sozusagen gefühlte Sicherheit legt, der verändert das Wesen des Glaubens – und zwar ganz im Sinne des Modernismus, für den der Glaube wesentlich ein Gefühl ist. Dementsprechend kann der hochw. Pater seinerseits immer nur auf eine gefühlte Sicherheit verweisen.
Da uns jedoch durch den Glaubensakt – der primär kein Erkenntnis-, sondern ein Willensakt ist! – keine klare Einsicht in die durch den Glauben erfaßte Wirklichkeit geschenkt wird, bleibt unser Glaubenswissen immer mit einer gewissen Dunkelheit verbunden. Erst in der Ewigkeit, in der „visio beatifica“, der glückseligen Schau im Himmel, wird uns eine absolute Erkenntnissicherheit geschenkt sein, weil wir Gott mit Hilfe der Gnade so sehen werden, wie Er wirklich ist. Solange wir aber hier in dieser Welt leben, bleibt eine Erkenntnis der höheren und höchsten Wirklichkeit immer mit einer Erkenntnisunruhe verbunden, weshalb übrigens auch immer die Möglichkeit eines Glaubenszweifels besteht. Unser Glaube ist, solange wir in dieser Welt leben, immer auch gefährdet, was übrigens der eigentliche Grund dafür ist, daß die heilige Kirche jedem Katholiken verbietet, glaubensgefährdende oder glaubensfeindliche Schriften zu lesen, wenn nicht ganz schwerwiegende Gründe, wie etwa das notwenige Studium zur Widerlegung der Einwände, dies notwendig machen.
Es ist also im höchsten Maße bedenklich und den Zuhörern gegenüber unverantwortlich, wenn der Traditionalistenpater die Erkenntnissicherheit so sehr betont, ja als Hauptargument anführt, es gebe keine 100%ige Sicherheit dafür, daß diese Häretiker und Apostaten in Rom keine Päpste sind. Dabei sei noch auf einen weiteren Sachverhalt verwiesen, der die absurde Haltung der Gemeinschaft, welcher der Vortragende angehört, gut zum Ausdruck bringt. Während eine gewisse Erkenntnisunsicherheit für jeden, der die Evidenz der papstlosen Zeit anerkennt, in Fragen des Glaubens und der Sitten selbstverständlich ist - kann doch allein das unfehlbare Lehramt uns letzte Sicherheit in diesen z.T. recht schwierigen Fragen geben –, bildet sich der Pater ein, für seine Unsinnigkeiten eine genügende, ja wohl sogar eine 100%ige Sicherheit zu haben – und das gegen seinen Papst, gegen das unfehlbare Lehramt der Kirche! Wenn das nicht absurd ist!
Es sei hier nochmals betont: Die Glaubenssicherheit bei allen Fragen, die den übernatürlichen Glauben betreffen, stammt nicht aus der persönlichen Einsicht, sondern aus dem Vertrauen auf den sich offenbarenden Gott und der von Ihm beglaubigten unfehlbaren Kirche.
Das Mißtrauen des Zweifelnden – Der Skeptizismus
Folgen wir den Ausführungen Josef Piepers noch ein wenig weiter, um zu einem vernünftigen Schluß zu kommen:
„Hinter dem Mißtrauen des Zweifelnden steckt, glaube ich, etwas anderes als die Anerkennung der kreatürlichen Unkraft des menschlichen Verstandes. Steckt nicht vielmehr dahinter die Absicht und die Erwartung und der Anspruch, durch kritische Vorsicht, durch eine methodische Exaktheitsdisziplin gerade eine absolute Gewißheit zu erreichen? Wohingegen die Grundhaltung, die sich in jenem alten Satz ausspricht, etwas genau Entgegengesetzes besagt; sie besagt: absolute Gewißheiten gibt es nur für einen absoluten Geist. ‚Kein Mensch auf Erden‘ — so hat John Henry Newman den gleichen Sachverhalt formuliert — ‚kein Mensch auf Erden kann eine streng hinreichende Evidenz schaffen für eine absolute Schlußfolgerung.‘ Gerade die höchste Realität ist der natürlichen Kraft des menschlichen Erkennens am schwersten und am ungewissesten faßbar; gerade die in sich selber lichtesten und gewissesten Wirklichkeiten sind für uns die dunkelsten und ungewissesten: die Erkenntnis ist um so unvollkommener, je vollkommener ihr Gegenstand; sie ist um so weniger gewiß, je mehr sie uns eigentlich betrifft und angeht.“ (Ebd. S. 45f)
Der große deutsche Philosoph formuliert die entscheidende Frage: „Steckt nicht vielmehr dahinter die Absicht und die Erwartung und der Anspruch, durch kritische Vorsicht, durch eine methodische Exaktheitsdisziplin gerade eine absolute Gewißheit zu erreichen?“ Man muß diese Frage bezüglich des Vortragenden bejahen, er fordert – aber nur vom Gegner! – mit seinen 100% eine absolute Sicherheit und übersieht damit die real existierende theologische Sicherheit für die Position des Gegners. Seinerseits begnügt er sich freilich mit einer gefühlten Sicherheit von sagen wir einmal 10%, denn sonst hätte er sich doch etwas mehr Mühe gegeben, seinen Standpunkt vernünftig zu verteidigen.
Eines ist wohl wert, abschließend festgehalten zu werden: Unser Traditionalistenpater hat, ohne dessen selbst in irgendeiner Weise gewahr zu werden, durch seine Forderung einer 100%igen Erkenntnissicherheit durch die Hintertür den modernen Skeptizismus auf seine Fahne geschrieben, und damit erweist sich die Ideologie seiner Gemeinschaft einmal mehr als eine Spielart des Modernismus. In unserem Beitrag „Richtig glauben“ zitieren wir hierzu John Henry Newman mit den äußerst bedenkenswerten Worten: „Ich sehe darin [nämlich im Skeptizismus] eine wirkliche Seuche, seltsam um sich greifend. Sie breitet sich nicht durch einsichtige Gründe, sondern durch Einbildung aus. Diese täuscht nämlich eine mögliche und glaubhafte Sicht der Dinge vor, welche den Geist verfolgt und ihn schließlich überwältigt. Es beginnt damit, daß man sich die Frage stellt: ‚Wie können wir sicher sein, daß dies nicht so ist?’ Dieser Gedanke verbirgt vor unserem Geiste das wirklich vernünftige Fundament, auf welchem unser Glaube gründet. Damit geben wir unseren Glauben auf. Und wie kann er überhaupt noch zurückgewonnen werden, wenn nicht allein durch ein wundervolles Eingreifen der Gnade Gottes. Möge Gott uns alle vor diesem schrecklichen Trug der letzten Tage bewahren! Ich blicke mit großer Besorgnis – ja, ich muß sagen mit Bangen – auf die nächste Generation.“
Abschließend sei noch auf eine Kuriosität hingewiesen, die der Traditionalistenpater mit vielen Anhängern seiner Gemeinschaft teilt. Er führt gegen Ende seines Vortrages aus:
„Und die Konsequenzen [aus der Häresie eines „Papstes“] sind, die wir (FSSPX) dann ziehen ist: Wir sagen, gut, dann folgen wir ihm in dem Punkt nicht. Und die Konsequenz, die Pater X. [der „Sedisvakantist“] zieht, ist: Dann ist er gar nicht Papst (lacht). So, und da frage ich mich: Ist es das nicht unredlich, uns vorzuwerfen, wir würden uns als Richter über den Papst aufspielen? Äh... (lacht) Wer richtet denn da mehr? Der, der sagt: Jetzt in dieser einen Aussage folge ich dem Papst nicht? Oder der, der sagt, ja, der kann ja gar nicht Papst sein, fertig aus, das interessiert mich gar nicht mehr?“
Es ist ein recht seltsames Phänomen, wenn ein theologisch gebildeter Priester sich als unfähig erweist, den Unterschied der hier thematisierten theologischen Positionen zur Papstfrage richtig zu erfassen, springt doch dieser Unterschied direkt ins Auge. Während der genannte Pater X. (der „Sedisvakantist“) nur ein einziges Urteil fällt, nämlich das Urteil des Nicht-Papst-Seins des römischen Usurpators – wobei er im Grunde gar nicht selbst richtet, denn der Häretiker ist durch seine Häresie schon gerichtet und das zu fällende Urteil ist allein die Feststellung dieses evidenten Sachverhalts –, muß der Vortragende unzählige Male über seinen Papst richten. Nämlich jedesmal dann, wenn sein Papst wieder vermeintlich oder wirklich irgendetwas sagt oder schreibt oder tut, was seiner Meinung nach seiner Tradition – die er irrtümlicherweise mit dem katholischen Glauben gleichsetzt – widerspricht, richtet er über seinen Papst und stellt damit seine tote Tradition über das lebendige Lehramt der Kirche. Und vor allem: Er richtet wirklich über den Papst, denn er ist ja überzeugt, daß Bergoglio sein Papst ist! Ein „Sedisvakantist“ richtet nie über den Papst, da die römischen Usurpatoren keine Päpste sind.
So ist etwa mit gutem Grund anzunehmen, daß der Vortragende erst letzten Sonntag wieder ein solch anmaßendes Urteil gefällt hat, als nämlich Herr Bergoglio, alias „Franziskus“, seinen Vorgänger Montini, alias „Paul VI.“, „heiliggesprochen“ hat. Die Chefs seiner Gemeinschaft haben nämlich beschlossen, solche feierlichen und die ganze Kirche verpflichtenden Heiligsprechungen ihres Papstes in gewissen, ihnen nicht behagenden Fällen nicht anzuerkennen. Aus welchem Grund eigentlich erdreisten sie sich, ein solches Urteil zu fällen? Gilt da nicht auch: „Melior est conditio possidentis“? Wie kann der Traditionalistenpater sich einfach anmaßen, dem Herrn Montini seinen Heiligenschein wieder wegzunehmen, den ihm doch Herr Bergoglio, immerhin sein Papst, in einem feierlichen und unfehlbaren Akt zugesprochen hat? Mit welchem Recht spricht er ihm die Heiligkeit wieder ab, die er doch aufgrund der Heiligsprechung seines Papstes wohl doch sogar rechtmäßig besitzt? Und selbst wenn Bergoglio mit seiner Verleihung des Heiligenscheins an Montini gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen hätte, würde gelten: „Melior est conditio possidentis.“ Also hat der hochw. Herr Pater in keinem Fall des Recht, ihm den Heiligenschein wieder wegzunehmen. Deswegen muß man ihn und alle Anhänger seiner Gemeinschaft fragen: Wie könnt ihr euch bei diesem Sachverhalt 100% sicher sein, daß Montini kein Heiliger ist? Das ist doch ganz und gar unmöglich – also, warum verehrt ihr ihn dann nicht als Heiligen eurer Kirche?
Und weiter gefragt: Seid ihr euch – Hand aufs Herz! – 100% sicher, eine Kirche mit unheiligen Heiligen ist die heilige Kirche Gottes? Seid ihr euch 100% sicher, die makellose Braut Jesu Christi könne einen in sich schlechten Ritus feiern und anstatt des makellosen Opferlammes nach dem Vorbild Abels das verworfene Opfer Kains auf den Altären darbringen? Seid ihr euch 100% sicher, die katholische Kirche könne zweifelhafte oder gar ungültige Sakramentsriten einführen und weltweit vorschreiben? Usw. usf.
Wir sehen, wie viele Urteile der Traditionalistenpater ständig gegen seinen Papst fällen muß. Aber wie war das nochmals mit der Sicherheit in Glaubensfragen? Die Sicherheit kommt nicht vom Subjekt her, sondern vom Objekt – also von dem sich offenbarenden Gott, d.h. der Kirche, die uns in der ihr von Gott geschenkten Autorität zu glauben verpflichtet und allein dadurch unseren Glauben objektiv absichert, wodurch überhaupt erst ein übernatürlicher Glaube möglich wird. Denn subjektiv gesehen hatte doch wohl Martin Luther einen viel sichereren Glauben als alle diese Traditionalistenpatres zusammengenommen. Nur verbürgt diese Sicherheit keinerlei Wahrheit – wobei eine Glaubenssicherheit gegen das ausdrückliche Urteil des eigenen Papstes jedem Katholiken jederzeit äußerst verdächtig sein sollte, ist sie doch das untrügliche Kennzeichen jeden Häretikers.
Des Kaisers neue Kleider
Kommen wir nochmals zurück auf unseren anfangs erwähnten Vergleich. Wir haben bis jetzt den Vergleich des Traditionalistenpaters übernommen, ohne zu erwähnen, daß er auch in der korrigierten Fassung immer noch hinkt. Denn der Vergleich suggeriert, man wolle dem „Papst“ etwas wegnehmen, nämlich die Jacke oder den Pelzmantel oder den Krönungsmantel. Damit wird aber die theologisch falsche Ansicht vertreten, ein Häretiker wäre immer noch Papst, weshalb man ihm das Papstamt erst wegnehmen müßte. Das zeigt uns, wie sorgfältig Vergleiche im Bereich der Theologie gewählt werden müssen, damit sie mit der Glaubenslehre auch übereinstimmen, und wie unverantwortlich es ist, es hierin an Genauigkeit fehlen zu lassen.
Nun, wir nehmen Herrn Bergoglio durchaus nichts weg, weil er niemals Papst war. Aus diesem Grund ist sicherlich das treffendste Gleichnis das von des Kaisers neuen Kleidern. Jeder kann es mit eigenen Augen sehen, aber keiner traut es sich zu sagen: Dem nackten Kaiser braucht man nichts wegnehmen, da er gar keine Kleider anhat. Und Herr Bergoglio gibt sich nun wirklich alle nur erdenkliche Mühe, jedem diese Tatsache um die Ohren zu hauen, daß er trotz der weißen Soutane, die er trägt, kein Papst ist und auch gar keiner sein will – so müßte man eigentlich meinen, oder etwa nicht…