1. Kardinal Henry Edward Manning, Erzbischof von Westminster, berichtete im Jahr 1870 in einem Pastoralbrief an seinen Klerus über das Vatikanische Konzil, an dem er selber als Konzilsvater teilgenommen hatte. Das erste Kapitel dieses Briefes hat die Überschrift: „Die Welt und das Konzil“. Darin beschreibt der Kardinal zunächst die äußere Geschichte des Konzils.
2. Während der Monate seiner Teilnahme am Konzil habe er aufmerksam die Berichterstattung darüber in den Zeitungen studiert, so der Kardinal, und zwar in der italienischen, deutschen, französischen und englischen Presse. Er habe damals auf eine Frage geantwortet, was man in Hinsicht auf das Konzil glauben solle: „Lesen Sie sorgfältig die Korrespondentenberichte, die aus Rom in England veröffentlicht werden, glauben Sie das Gegenteil, und Sie werden nicht weit von der Wahrheit sein.“
Zwei Dinge hat der Kardinal damals festgestellt. „Die Zeitungen katholischer Länder, so verkehrt und feindlich sie sein mochten, machten sich kaum, wenn überhaupt, lächerlich. Sie schrieben mit großer Bitterkeit und Feindseligkeit, aber so daß man erkannte, daß sie wußten, was sie verdrehten. Und sie hatten offensichtlich ihr Wissen von Quellen, die ihnen nur durch Verletzung der Schweigepflicht geöffnet gewesen sein können. Ihre Berichte über die Ereignisse, die sich tagtäglich vor meinen eigenen Augen abspielten, waren so nah an der Wahrheit und zugleich so weit von ihr entfernt, so buchstäblich genau und doch so absolut falsch, daß ich zum ersten Mal Paolo Sarpis 'Geschichte des Konzils von Trient' zu verstehen begann...“ Die englische Presse hingegen habe sich vollkommen lächerlich gemacht, so unsäglich daneben waren ihre Berichte gewesen. Erst später hätten sie dazugelernt und Berichte ausländischer Zeitungen übernommen, die weniger amüsant, aber nicht weniger irreführend waren, im Gegenteil.
Eine Zeitung, bei welcher die englischen Blätter sich bevorzugt bedienten, war die „Augsburg Gazette“. Der Bischof von Mainz, von Ketteler, habe öffentlich protestiert gegen die „systematische Unaufrichtigkeit des Korrespondenten der 'Augsburg Gazette'“, so Manning. Der Bischof nannte es eine glatte Erfindung der Zeitung, daß beispielsweise Döllinger in der Frage der Unfehlbarkeit die Mehrheit der deutschen Bischöfe repräsentiere. Und dies sei nicht ein vereinzelter Irrtum, „sondern Teil eines Systems, das in dem dreisten Versuch besteht, falsche Nachrichten zu publizieren, um die deutsche Öffentlichkeit zu täuschen nach einem vorab abgesprochenen Plan“. Sein Name, so Bischof von Ketteler, werde in den Zeitungen niemals erwähnt, ohne irgendeine Verleumdung daran zu hängen. Bischof Hefele meinte, es müsse gewissenlose Zuträger aus dem Konzil geben, wenngleich keine Bischöfe darunter seien. Wie man sieht, hat sich in diesen Dingen bis heute nicht viel geändert, nur daß durch neue Medien wie Rundfunk, Fernsehen, Internet etc. noch viel mehr und bessere Instrumente zur Desinformation zur Verfügung stehen.
Ihm selbst sei es in der englischen Presse ebenso ergangen wie Bischof von Ketteler, sagt Kardinal Manning. Auch über ihn habe man nie geschrieben, ohne irgendwelche Gemeinheiten hinzuzufügen. Er zitiert dann einige völlig aus der Luft gegriffene Berichte von Ereignissen, die sich angeblich auf dem Konzil abgespielt hätten, und stellt fest, neun von zehn aller Berichte seien reine Enten gewesen. Der Hauptangriffspunkt der medialen Feinde war freilich der Stellvertreter Christi, Papst Pius IX. Dies sei nicht weiter verwunderlich, meint der Kardinal und verweist auf die Worte Christi: „Haben sie den Hausherrn Beelzebub genannt, wieviel mehr seine Hausgenossen!“ „Für niemanden gilt dieses Privileg mehr als für den Stellvertreter des Hausherrn“, schreibt der Kardinal, „und es ist eine große Freude und eindeutige Quelle der Kraft und des Vertrauens für alle Hausgenossen, an diesem Zeichen Anteil zu haben, das unfehlbar jene kennzeichnet, die auf Seiner Seite stehen gegen die Welt.“ Das ist ein Wort, das sich so mancher Katholik unserer Tage fest einprägen sollte.
Das Konzil bestand zu Beginn aus 767 Vätern. Allein aufgrund ihrer Gesichter beklagte bereits ein Korrespondent, daß das geistliche Wohl der Welt in die Hände solcher Männer gelegt sei! Dann teilte die Presse das Konzil in eine Mehrheit und eine Minderheit, und zwar so, daß sich „Theologie, Philosophie, Wissenschaft, Kultur, intellektuelle Fähigkeit, logische Schärfe, Beredsamkeit, Aufrichtigkeit, Geistesadel, geistige Unabhängigkeit, Mut und edler Charakter in diesem Konzil ausschließlich auf seiten der Minderheit fand“. „Die Mehrheit hingegen war ein Totes Meer aus Aberglaube, Enge, Oberflächlichkeit, Ignoranz, Vorurteil; ohne Theologie, Philosophie, Wissenschaft oder Beredsamkeit; bigott, tyrannisch, taub gegenüber der Vernunft; mit einer Herde 'kurialer und italienischer' Prälaten, und lauter 'Apostolische Vikare'.“ Auch hierin hat sich bis heute nichts geändert. Nach wie vor reserviert man die positiven Attribute für die Liberalen, und je liberaler, desto höher steigt ihr Ruhm und ihre Wertschätzung, während man für Katholiken und namentlich Antimodernisten nur die niedersten und abschätzigsten Charakteristika übrig hat.
Weiter hieß es in der Darstellung der Presse, daß die präsidierenden Kardinäle Männer von herrschsüchtigem und überheblichem Charakter waren, welche durch heftiges Glockenschwingen und ständige Unterbrechungen die ruhige und unerbittliche Logik der Minderheit abschnitten. Noch ärger habe sich freilich die Mehrheit aufgeführt. Durch wildes Geschrei, bedrohliches Gestikulieren und lautstarke Kundgebungen rund um die Tribüne hätten sie durchdringende Beredsamkeit der Minorität übertönt und unwiderlegliche Redner zum Abgang gezwungen. Nicht genug damit hätte die Majorität ein neues Reglement durchgesetzt, welches jenen wenigen edlen Charakteren die Diskussionsfreiheit nahm, welche Konzil und Kirche von ihren Zwängen hätten befreien wollen. Damit war nicht länger an der „Nicht-Ökumenität“ dieses Konzils zu zweifeln. Das Konzil war nicht frei. So habe die tyrannische Mehrheit schließlich die Minderheit gewaltsam unterdrückt, obwohl diese heroisch durchgehalten hatte, sich deren Beredsamkeit und Logik mit Taubheit und willkürlichen Gewaltmitteln widersetzend. Auf solche Weise hatte man die einzigen Stimmen zum Schweigen gebracht, die sich in hehrer Weise für Wissenschaft, Aufrichtigkeit und Menschenverstand eingesetzt hatten. Somit wurde die Definition des neuen Dogmas unausweichlich, und der Gegensatz zwischen dem Ultra-Romanismus einer Partei und dem Fortschritt der modernen Gesellschaft, zwischen Unabhängigkeit und Servilität, wurde perfekt.
3. So also sei in den letzten neun Monaten die Geschichte des Konzils ab extra (von außen) beschrieben worden, schreibt Kardinal Manning. Interessant sei die Feststellung eines englischen Journals, welches zehn Tage nach der Definition der Unfehlbarkeit des römischen Pontifex feststellte, daß das Interesse für das Konzil in der Presse plötzlich sehr geschwunden sei. Habe man vorher jedes leiseste Gerücht mit großem Tamtam verbreitet, sei es mit glühendem Eifer selbst von solchen diskutiert worden, welche für kirchliche Dinge wenig Interesse haben, so habe die Erklärung des Unfehlbarkeitsdogmas plötzlich nur noch wenig Resonanz gefunden, höchstens in einigen kirchlichen Kreisen sei ein wenig oberflächliche Kritik erklungen. Manning sieht den Grund für dieses merkwürdige Verhalten darin, daß man zunächst die Hoffnung gehabt hatte, die „römische Kurie“ und die „Ultramontane Partei“ unter Kontrolle zu bringen und unter die Entscheidungen der Bischöfe zu zwingen. Deswegen hatte man in Deutschland, Frankreich und England einen Feldzug gestartet gegen das, was man „Ultramontanismus“ nannte, „Ultra-Katholizismus“ oder „Ultra-Romanismus“.
In der Kirche, so Manning, habe sich eine kleine Schule gebildet, welche von der Lehre des Heiligen Stuhles abweiche in Dingen, „welche nicht den Glauben betreffen“. Diese Schule sei sehr klein, ihr Zentrum liege in München, aber sie habe auch Anhänger in Frankreich und Deutschland. Sie seien jedoch sehr eifrig und vor allem schriftstellerisch tätig, wobei man keinen roten Faden in ihren Schriften finden könne außer einem Geist der Opposition gegen die Akte des Heiligen Stuhles in Angelegenheiten, welche außerhalb des Glaubens liegen. „In diesem Land [England]“, schreibt Manning, „wurde vor etwa einem Jahr der Versuch gemacht, die Definition der Unfehlbarkeit des Papstes unmöglich zu machen, wie man zuversichtlich, jedoch vergebens hoffte, indem man die eintönige Kontroverse um Papst Honorius wiederbelebte. Später erfuhren wir von einem wie auch immer gearteten Zusammenschluß hochgestellter Persönlichkeiten in Frankreich mit demselben Ziel. Es ist gewiß, daß diese Symptome nicht vereinzelt und unzusammenhängend auftauchen, sondern in gegenseitigem Einverständnis und mit einem gemeinsamen Ziel.“ Die anti-katholische Presse habe diese Schule kräftig ermutigt und unterstützt. Wie man sieht, gibt es wirklich nichts Neues unter der Sonne. Dabei waren die „Liberalen Katholiken“, denn um diese handelt es sich bei der „Schule“, nicht nur die Vorläufer der heutigen Modernisten und Postmodernisten, sondern sonderbarerweise auch der heutigen „Traditionalisten“, die ja ebenfalls „die eintönige Kontroverse um Papst Honorius wiederbelebt“ haben, um ihre Ideologie zu rechtfertigen und zu diesem Zweck die päpstliche Unfehlbarkeit zu beschneiden. Und das, was man seinerzeit „Ultramontanismus“ nannte, „Ultra-Katholizismus“ oder „Ultra-Romanismus“, nennt man heute eben „Sedisvakantismus“ (s. Vom Ultramontanismus und von der Dritten Partei).
Diese „Liberalen Katholiken“ hatten also im Vorfeld des Konzils ein gewaltiges publizistisches Feuerwerk entfacht und die ganze anti-katholische Welt in große Erwartungen versetzt im Hinblick auf das Vatikanum. Es ging sogar das Gerücht, das Konzil würde die Erklärungen des Konzils von Trient zurücknehmen oder zumindest abschwächen, es würde Freiheit in einigen Fragen geben, welche als abgeschlossen galten, oder es käme sogar zu einem Kompromiß oder Verhandlungen mit anderen Religionen. Zumindest werde man die dogmatische Steifheit und Strenge ihrer Traditionen zugunsten moderner Auffassungen und moderner Theologie lockern. „Es ist sonderbar“, bemerkt Kardinal Manning, „daß man vergessen haben sollte, daß jedes Allgemeine Konzil, von Nizäa bis Trient, das den Glauben berührte, neue Definitionen gegeben hat, und daß jede neue Definition ein neues Dogma ist und damit abschließt, was zuvor offen war, und die Glaubenslehren genauer festlegt.“ Dennoch hoffte man, Rom würde, indem es sich öffnet, zugänglich werden und, indem es inkonsistent wurde, seine Gewalt über Verstand und Willen der Menschen verlieren.
4. Die anti-katholische Presse fabulierte auf dieser Grundlage über eine „interne Opposition“ von mehr als einhundert Bischöfen auf dem Konzil selbst. Was die Welt von außen gegen Rom nicht vollbrachte, würden die eigenen Bischöfe im Dienst der Welt von innen tun. Diese Bischöfe waren „die Lieblinge der Welt, denn man meinte, sie würden den Papst bekämpfen“. Die ganze Welt erhob sich zu ihren Gunsten. „Regierungen, Politiker, Zeitungen, Schismatiker, Häretiker, Ungläubige, Juden, Revolutionäre vereinigten sich wie mit untrügbarem Instinkt darin, die Tugend, das Verständnis, die Wissenschaft, die Beredsamkeit, den Edelmut und Heroismus dieser 'internen Opposition' zu bereden und zu preisen. So stieg das Interesse bis zum Höhepunkt, und eine feste Erwartung erhob sich und breitete sich aus, daß das Konzil unfähig sein werde, eine Definition zu treffen, und daß Rom besiegt werden würde.“ Das war der Grund, warum man sich so sehr auf dieses Konzil stürzte und es mit größtem Interesse belagerte. Warum aber schwand dieses Interesse noch vor Abschluß des Konzils?
Aus zwei offensichtlichen Gründen, antwortet der Kardinal. Erstens, weil zunehmend klar wurde, daß die Welt in diesem Konzil nichts ausrichtete und daß die „Opposition“, auf die sie baute, keine Diener der Welt waren, sondern Bischöfe der katholischen Kirche, welche, „während sie alle Freiheit nutzten, welche die Kirche ihnen überreichlich gewährte, in Herz, Sinn und Willen treu ihrer göttlichen Autorität und Stimme gegenüber blieben“. Zweitens, weil klar wurde und eigentlich evident war, daß keine Opposition, sei es von außen oder von innen, das Konzil auch nur ein Haarbreit von dem Kurs abbringen konnte, der es ruhig und unwiderstehlich seine Arbeit tun ließ.
Eine erste herbe Enttäuschung erfuhren die Erwartungen der merkwürdigen Allianz aus Katholiken, Protestanten, Rationalisten und Ungläubigen, als etwa fünfhundert Väter des Konzils vom Heiligen Stuhl die Definition der Unfehlbarkeit des Römischen Pontifex erbaten. Doch noch hatte man Hoffnung, die Definition zu verhindern, indem vielleicht die Minorität doch noch anwachsen könne oder die Majorität durch Spaltung zu verringern sei. Doch auch diese Hoffnung wurde jäh zerstört durch das einstimmige Votum in der dritten öffentlichen Sitzung. „Die erste Konstitution De Fide war so heftig angegriffen und, wie man meinte, so völlig niedergemacht worden, daß man glaubte, wenn überhaupt, so würde nur eine kleine Mehrheit dafür stimmen oder es würde mindestens eine eindrucksvolle Minderheit sie ablehnen. Es war daher keine geringe Überraschung, daß das ganze Konzil, damals aus 664 Vätern bestehend, sie mit einstimmigem Votum annahm.“ Die Welt begann zu fürchten, daß die „innere Opposition“ ihren Zielen nicht diente oder nicht ihre Arbeit tat. „Eine spürbare Änderung im Tonfall wurde bemerkbar. Die Korrespondenten schrieben über alles außer jene Einstimmigkeit. Die Zeitungen wurden beinahe stumm. Die Leitartikel blieben beinahe aus. Seitdem wich der Ton der Zuversicht und des Triumphes einem Ton der Irritation und einer nicht geringen Verbitterung.“
Doch es keimte eine neue Hoffnung. Regierungen fingen an, Druck auf den Heiligen Vater und das Konzil auszuüben. Man war sicher, daß ein solcher Einfluß seine Wirkung nicht verfehlen könne. Merkwürdig war, daß es dieselben Kreise waren, welche die mangelnde Freiheit auf dem Konzil beklagt hatten, die nun auf diese Weise dieses unter Druck setzen wollten. „Auch bedachten sie nicht, daß jene, welche den weltlichen Arm gegen die geistliche Autorität der Kirche anrufen, um entweder ein bereits gefälltes Urteil anzugreifen oder eines zu verhindern, das erst gefällt werden soll, ipso facto exkommuniziert sind und ihr Fall dem Heiligen Stuhl vorbehalten ist.“ Aber auch diese Hoffnung brach in sich zusammen. Das Konzil machte unmißverständlich klar, daß es entschlossen war, seine Arbeit zu tun. Es wurde deutlich, wie gering die „Opposition“ in Wirklichkeit war und daß sie vollkommen verschwinden würde, wenn erst einmal die Definition gegeben sein würde. So war das Spiel vorüber, und einer nach dem anderen verließen die Korrespondenten die Stadt Rom. Die anti-katholischen Kräfte hatten vergessen, „daß Bischöfe keine Abgeordneten sind und ein Ökumenisches Konzil kein Parlament“. Ihre enttäuschten Erwartungen also waren der Grund, warum die Zeitungen ihr Interesse am Konzil verloren.
5. Nach dieser Darstellung des Konzils „von außen“, im Spiegel der Presse, will der Kardinal es uns nun von innen schildern. Er hatte das Glück, mit Ausnahme von vielleicht drei oder vier Tagen, an sämtlichen Sitzungen des Konzils, 98 an der Zahl, von der Eröffnung bis zum Schluß, teilnehmen zu können. So könne er als persönlicher Zeuge auftreten. „Kardinal Pallavicini hat, nachdem er die Streitereien und Eifersüchteleien der Redner von Katholischen Staaten dargestellt hatte, die auf dem Konzil von Trient versammelt waren, uns gesagt, daß die Einberufung eines Konzils, sofern sie nicht absolut von der Notwendigkeit gefordert ist, bedeutet, Gott zu versuchen.“ An dieses Diktum hätte man sich einige Jahrzehnte später erinnern sollen. „Er sagte genau vorher, was am Anfang des Konzils geschehen würde. Seine diplomatische Voraussicht erfaßte gänzlich die politischen Gefahren. Diese waren zweifellos offensichtlich und schwerwiegend. Doch niemand konnte zu dieser Zeit die überwältigende Einigkeit und Festigkeit des Konzils vorhersehen, die sämtliche Hoffnungen übertraf und schließlich alle Ängste vertrieb.“ Das zeigt, wie notwendig dieses Konzil tatsächlich war und wie sehr der Segen Gottes darauf ruhte – im geraden Gegensatz zum „II. Vatikanum“.
Der Kardinal fährt fort: „Seit dreihundert Jahren ist die über die ganze Welt verstreute Kirche in Kontakt mit der verdorbenen Zivilisation alter katholischer Länder und mit der anti-katholischen Zivilisation von Ländern, die sich in offenem Schisma befinden. Die geistigen Traditionen fast aller Nationen sind kontinuierlich von der Einheit des Glaubens und der Kirche abgerückt. In den meisten Ländern ist die öffentliche Meinung der katholischen Religion förmlich feindlich geworden. Die Geister der Katholiken wurden sehr stark beeinflußt von der Atmosphäre, in welcher sie leben. Es war zu befürchten und zu erwarten, daß die Bischöfe der ganzen Welt, so sehr verschieden in Rasse, politischen Institutionen und Geisteshaltung, in das Konzil Elemente der Uneinigkeit tragen könnten, wenn nicht sogar unversöhnliche Spaltung. … Die meisten Bischöfe trafen sich zum ersten Mal. Die Hirten von gut dreißig Nationen waren dort versammelt und brachten die ganze Vielfalt geistiger und sozialer Kultur und Erfahrung mit sich; aber inmitten all dieser Vielfalt regierte eine vollkommene Einheit des Glaubens. Drei Jahrhunderte der Spaltung und Uneinigkeit in allen Dingen der natürlichen Ordnung hatten das nicht geändert. Nur die Kirche Gottes allein konnte dreihundert Jahre dauernder Veränderungen unter den überaus mächtigen Einflüssen der Welt unverändert überstehen. Nichts hat die übernatürliche Einrichtung der Kirche glanzvoller erwiesen als das Vatikanische Konzil. In diesen drei Jahrhunderten ging sie durch Revolutionen, welche ganze Weltreiche, Rechtsordnungen und Geisteshaltungen auflösten. Aber der Episkopat der katholischen Kirche traf sich im letzten Dezember in Rom ebenso wieder, wie er sich in Trient, Lyons oder Nizäa getroffen hatte. Sofort ging er ans Werk und begann, wie instinktiv oder mit einer aus unauslöschlicher Erfahrung gewonnenen mühelosen Gewandtheit, Glaubenslehren zu definieren oder disziplinäre Gesetze zu erlassen. Eine solche Einigkeit des Geistes und des Willens liegt jenseits der Bedingungen der menschlichen Schwäche. Sie ist allein auf eine Macht und Leitung zurückzuführen, den übernatürlichen Beistand des Geistes der Wahrheit, Welcher die Kirche Gottes fortwährend im Licht und der Einheit des Glaubens erhält.“ Wie ganz anders verhielt es sich doch auf dem „II. Vatikanum“!
Den Konzilsteilnehmern sei das von Tag zu Tag greifbarer und geradezu evident geworden. „Daran änderte auch nichts, daß eine gewisse Anzahl vorhanden war, die meinte, es sei ungelegen, die Unfehlbarkeit des Römischen Pontifex zu definieren. Das war eine Frage der Klugheit, der Taktik, der Zweckmäßigkeit, nicht der Lehre oder der Wahrheit. Ebenso war die Kirche zwanzig Jahre zuvor einig im Glauben an die Unbefleckte Empfängnis, während es noch einige gab, die bezweifelten, ob es klug sei, sie zu definieren. Abgesehen von dieser Frage der Opportunität gab es auf dem Vatikanischen Konzil keine Differenzen von Bedeutung, und ganz gewiß keine, die irgendwie die Glaubenslehre betrafen. Ich konnte von keinen fünf Bischöfen hören, welche die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit bestritten hätten. Fast alle vorhergehenden Konzilien wurden von Spaltungen, wenn nicht von Häresien bedrängt. Hier gab es keine Häresie. Die Frage der Opportunität war von untergeordneter Bedeutung und frei. Man kann wahrhaft sagen, daß es nie eine größere Einmütigkeit gegeben habe als auf dem Vatikanischen Konzil. Davon hatte die Welt ihren ersten Beweis durch das einstimmige Votum, mit welchem am 24. April die erste Konstitution über den Glauben angenommen wurde.“
6. Die Nachrichten „von außen“ hätten von gewaltsamen Szenen berichtet, welche sich auf dem Konzil abgespielt haben sollten. Er selber habe nichts dergleichen beobachten können, sagt der Kardinal. „Ich muß sagen, daß ich niemals soviel Ruhe, Selbstachtung, gegenseitige Rücksichtnahme, Höflichkeit und Selbstkontrolle erlebt habe wie bei den neunundachtzig Sitzungen des Konzils. Innerhalb von neuen Monaten mußte der Kardinal-Präsident vielleicht zwölf oder vierzehn mal zur Ordnung rufen.“ In jeder anderen Versammlung wäre das mindestens siebenmal öfter und früher passiert.
Gegen die Behauptung, eine tyrannische Mehrheit habe die Minderheit der Diskussionsfreiheit beraubt, betont Manning, erstens seien alle denselben Regeln unterlegen gewesen, sodaß es gar nicht möglich gewesen wäre, diese einseitig zu mißbrauchen. Zweitens sei die Art der Diskussionsführung derart gewesen, daß sie der Debatte die größte Freiheit einräumte. Das zur Diskussion stehende Papier wurde zunächst jedem Bischof ausgehändigt, welcher dann acht oder zehn Tage Zeit hatte, schriftlich seine Anmerkungen dazu einzureichen. Diese wurden von einer 24-köpfigen Kommission geprüft, um die relevanten davon zu berücksichtigen und das Schema zu ändern oder neu zu verfassen. Der so verbesserte Text wurde zur allgemeinen Diskussion gestellt, wobei jeder Bischof das Recht hatte, frei zu sprechen, und die Diskussionen gingen so lange, bis jeder Bischof, der es wollte, seine Meinung gesagt hatte. Die einzige Beschränkung der Diskussionsfreiheit lag in der Gewalt der Präsidenten, auf die Bitte von wenigstens zehn Bischöfen hin das Konzil zu befragen, ob es die Diskussion fortführen wollte. Die Präsidenten durften die Diskussion nicht beenden, das durfte nur das Konzil selbst per Mehrheitsbeschluß. Dieses Recht ist grundlegend für jede beratende Versammlung, meint Manning, es umfaßt die Freiheit, so lange Meinungen zu hören, wie sie dies für notwendig hält, aber auch damit aufzuhören, wenn sie urteilt, daß die Sache ausreichend besprochen worden ist. Eben diese Freiheit herrschte auf dem Konzil.
Für letzteres Recht, nämlich eine Diskussion zu beenden, wenn sie ausreichend geführt scheint, habe es allerdings nur ein Beispiel auf dem Konzil gegeben. Mit beispielhafter Geduld hörte es den oft endlosen Reden, Diskussionen und Ansprachen zu. Auf der Generaldiskussion des Schemas De Romano Pontifice hatten etwa achtzig Bischöfe gesprochen. Etwa die Hälfte von ihnen war von jenen, welche die Presse die „Opposition“ nannte, obwohl ihre Zahl nur etwa ein Sechstel der Konzilsteilnehmer ausmachte. Danach erfolgte noch die Diskussion des Prooemiums und der vier Kapitel im einzelnen, also weitere fünf Diskussionen, in welchen jeder der sechs- oder siebenhundert Bischöfe somit nochmals das Recht hatte, fünfmal zu sprechen. Es war also nur zu vernünftig, daß das Konzil die Generaldiskussion schloß, da ohnehin noch jeder Bischof weitere fünfmal zum Thema würde sprechen können. Niemand hätte ein Interesse haben können, die Diskussion länger auszudehnen, als wer sie ins Unendliche hinziehen wollte, um eine Verabschiedung des Schemas und die Definition zu verhindern. Alle Argumente waren bereits erschöpfend vorgetragen worden, nichts Neues kam mehr zur Sprache, nur ständige Wiederholungen, die sehr ermüdend wurden. Erst da stellte der Präsident auf Petition von nicht nur zehn, sondern wenigstens hundertundfünfzig Bischöfen die Frage, ob das Konzil die Diskussion fortsetzen oder beenden wollte. Mit einer überwältigenden Mehrheit sprach sich das Konzil für die Beendigung aus. Und dann fingen erst die Einzeldiskussionen an. Die Freiheit war in jeder Hinsicht so groß, daß einige US-amerikanische Bischöfe meinten, in ihrem Kongreß könne sie nicht größer sein. Eine einzige Freiheit habe die „Minderheit“ nicht besessen, nämlich jene, die Freiheit der „Mehrheit“ zu beschneiden. (Eben diese „Freiheit“ ergaunerte sie sich erst auf dem „II. Vatikanum“.)
7. Der Kardinal geht noch auf den von den liberalen Kirchengegner aufgebrachten Vorwurf ein, das Vatikanische Konzil sei von Papst Pius IX. nur deshalb zusammengerufen worden, seine Unfehlbarkeit zu dogmatisieren. Selbst wenn dies zuträfe, so sagt er, wäre es nichts Außergewöhnliches, daß ein Konzil zum Zweck der Bekämpfung einer bestimmten Häresie einberufen würde. Noch jedes Konzil habe zur Aufgabe gehabt, gegen ein verbreitetes Hauptübel oder die vorherrschende Zeithäresie vorzugehen, wie etwa das Konzil von Trient gegen die lutherischen Irrtümer. Nun sei aber die Leugnung der päpstlichen Unfehlbarkeit der vorherrschende Irrtum seiner Zeit. Obendrein galt es, den unwürdigen Spaltungen und Streitereien zwischen „Gallikanern“ und „Ultramontanisten“ ein Ende zu setzen, welche ein Ärgernis waren und den Un- und Irrgläubigen in die Hände spielten. So war es dringend nötig, eine endgültige und autoritative Entscheidung herbeizuführen.
Wie nötig wäre so etwas heute, wenn man die unzähligen Spaltungen unter den Katholiken und besonders die unseligen Streitereien zwischen den Nachkommen der „Gallikaner“, den „Lefebvristen“, und den Nachfahren der „Ultramontanisten“, den „Sedisvakantisten“, betrachtet – letzteres eine unmittelbare Folge der Auseinandersetzungen von 1870, die leider durch die Definition der Unfehlbarkeit des Papstes nicht in allen ihren Winkeln und Ausfaltungen geklärt worden waren. So haben die „Neo-Gallikaner“ einen Schlupfwinkel gefunden, insofern sie die Unfehlbarkeit des Papstes zwar im Prinzip akzeptieren, sie jedoch im Praktischen leugnen, indem sie diese – gerade unter Berufung auf die Vatikanische Definition – unzulässig einschränken, um sich so gleichsam beliebig über sie hinwegsetzen zu können. Nach bald 150 Jahren ist die Leugnung der päpstlichen Unfehlbarkeit immer noch der vorherrschende Irrtum unserer Zeit. Da wäre ein Machtwort der kirchlichen Autorität wirklich dringend erforderlich, und gerade da fehlt der Kirche derjenige, der dieses Machtwort allein sprechen könnte!
Manning beklagt: „Die Spaltungen und Streitereien zwischen 'Gallikanismus' und 'Ultramontanismus' waren ein Skandal und eine Schande für uns. Protestanten und Ungläubige wurden durch unsere inneren Zwistigkeiten von der Wahrheit ferngehalten, zumal es um einen Punkt geht, der so sehr und so zutiefst mit der ganzen Lehrautorität der Kirche verbunden ist. Noch einmal, auf moralischem Gebiet hat die Spaltung und der Streit über diesen angeblich offenen Punkt mehr Entfremdung, Bitterkeit und Feindseligkeit zwischen Hirten und Volk, und, was noch schlimmer ist, zwischen Hirten und Hirten verursacht als irgendein anderer unserer Tage. Unsere internen Streitigkeiten, die von protestantischen Zeitungen und, noch ärger, auch von katholischen ausgebreitet wurden, waren für uns eine Schmach vor der ganzen Welt. Es war höchste Zeit, dem ein Ende zu bereiten, und wenn das Konzil aus keinem anderen Grund zusammengetreten wäre, so wäre dies ein mehr als ausreichender Grund gewesen...“
Der Kardinal weist noch das von manchen liberalen Stimmen verbreitete Gerücht zurück, das Unfehlbarkeitsdogma sei per „Akklamation“ zustandegekommen. „Die Erfahrung hat gezeigt“, sagt er, „auch wenn dies die Theologie einstiger Zeiten noch nicht getan hatte, daß eine Akklamation keine Definition ist, und daß eine Akklamation den Gegenstand so hinterläßt, wie sie ihn vorgefunden hat, ebenso diskutierbar wie zuvor.“ Stattdessen sei also auf dem Konzil sauber gearbeitet und eine genaue Definition verabschiedet worden.
Soweit also die kleine Darlegung der inneren Geschichte des Konzils, welche laut Kardinal Manning durch neun verschiedene Phasen ging, wobei man zugeben muß, daß jene, welche die Definition verhindern wollten, ihre Position mit nicht geringer Hartnäckigkeit verteidigten. „Der erste Angriff kam von der Welt außen, unterstützt von einer Handvoll Professoren und Schriftsteller, welche die Wahrheit der Lehre leugneten; die zweite Position war die, ihre Wahrheit zuzugeben, aber abzustreiten, daß sie definitionsfähig sei; die dritte war, zuzugestehen, daß sie zur Definition fähig sei, aber die Opportunität ihrer Definition in Abrede zu stellen; die vierte, sich der Einführung der Lehre in die Diskussion zu widersetzen; die fünfte, die Diskussion durch Verzögerung unmöglich zu machen; die sechste, die Diskussion so lange auszudehnen, bis ein Abschluß physisch unmöglich wurde und die Sommerhitze das Konzil zum Auseinandergehen zwänge; die siebente, die Definition nach Abschluß der Diskussion in die Zukunft zu verschieben; die achte, nachdem die Definition getroffen worden war, ihre Promulgation zu verhindern; die neunte – und ich will nicht sagen die letzte, denn man weiß nicht was noch kommt – zu behaupten, daß die Definition, obwohl feierlich vorgenommen, vom Haupt der Kirche im Ökumenischen Konzil bestätigt und veröffentlicht und urbi et orbi promulgiert entsprechend des überlieferten Brauches der Kirche, trotzdem die Gewissen der Gläubigen nicht binde, bis das Konzil abgeschlossen und von den Bischöfen unterzeichnet sei.“ Es wundert uns also nicht, daß sich diese Reihe der Attacken bis in unsere Zeit fortsetzt mit der „neo-gallikanischen“ oder lefebvristischen Behauptung, das Konzil habe damit definiert, daß der Papst nur in sehr seltenen Fällen überhaupt unfehlbar sei und obendrein nur dann, wenn er selbst es auch wolle.
8. Vergleicht man diese Darstellung, die Kardinal Manning vom Vatikanischen Konzil gibt, mit der Geschichte des „II. Vatikanums“ wie sie etwa Ralph Wiltgen in seinem Buch „Der Rhein fließt in den Tiber“ schildert, so fallen spontan einige verblüffende Parallelen ins Auge, aber auch sehr gravierende Unterschiede. Frappant ähnlich sind die Erwartungen der Welt, „das Konzil würde die Erklärungen des Konzils von Trient zurücknehmen oder zumindest abschwächen, es würde Freiheit in einigen Fragen geben, welche als abgeschlossen galten, oder es käme sogar zu einem Kompromiß oder Verhandlungen mit anderen Religionen“, und zumindest „werde man die dogmatische Steifheit und Strenge ihrer Traditionen zugunsten moderner Auffassungen und moderner Theologie lockern“. Nur daß diese Erwartungen und der entsprechend von der Welt und namentlich den Medien ausgeübte Druck ungleich stärker waren. Man hatte diesmal offensichtlich weit mehr Zuversicht, ans Ziel zu gelangen.
Wieder gab es eine liberale Minderheit auf dem „Konzil“, nur daß es dieser diesmal im Handstreich gelang, sofort zu Beginn das ganze „Konzil“ unter ihre Kontrolle und in ihre Gewalt zu bringen. Hatte man beim Vatikanum der Mehrheit vorgeworfen, die Minderheit zu tyrannisieren, so war es nun tatsächlich genau umgekehrt. Die von Wiltgen so genannte „Europäische Allianz“ oder „Rheinische Allianz“ begann ihren Putsch gleich in der allerersten Sitzung mit der Ablehnung der vorbereiteten römischen Listen, welche sie dann durch eigene Listen ersetzten. So gelang es ihnen, ihre eigenen Kandidaten auf die entscheidenden Plätze zu setzen. Mit dem Verwerfen der Vorbereiteten Konzilsschemata war der Weg frei, das „Konzil“ nach ihren Wünschen zu lenken und zu beeinflussen.
Wie wir wissen, war es mit der Einheit der Konzilsväter ebenso wenig weit her wie mit der auf dem „II. Vatikanum“ herrschenden Freiheit. Dem Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Ottaviani, drehte man das Mikrophon ab wegen „Überschreitung der Redezeit“, eine Petition von 435 Konzilsvätern, den Kommunismus zu verurteilen, verschwand unbeachtet in einer Schublade. Die konservative „Opposition“ gegen die dominierende liberale Minderheit organisierte sich erst recht spät und konnte nichts Entscheidendes ausrichten. Außer ein paar Abschwächungen oder Verwischungen allzu liberaler Aussagen in den Konzilstexten vermochten sie nichts zu erreichen.
Hatte das Vatikanum mit seinen Definitionen und namentlich jener der päpstlichen Unfehlbarkeit den Glauben und die Kirche nachhaltig gestärkt und ihren Feinden einen kräftigen Hieb versetzt, so geschah nun das gerade Gegenteil. Glaube und Kirche erhielten den entscheidenden Schlag, und ihre Feinde triumphierten. Man kann das „II. Vatikanum“ daher nicht als Fortsetzung des „I. Vatikanums“ auffassen, sondern als dessen Gegenteil, als dessen Umkehrung gewissermaßen. Man sollte daher nicht von „Erstem“ und „Zweitem Vatikanum“ sprechen, sondern lieber vom Vatikanum und vom Anti-Vatikanum. Es gab bisher nur ein Vatikanisches Konzil. Das sog. „II. Vatikanische Konzil“ war sein negatives Zerr- und Spiegelbild, seine Perversion und teuflische Rache.
9. Man fragt sich nun, wie das möglich sein konnte. Die Antwort gibt uns Kardinal Manning, der sagt, man habe das Wirken des Heiligen Geistes auf dem Vatikanum gewissermaßen unmittelbar verspürt, es sei handgreiflich, evident gewesen. Diese Einmütigkeit der Konzilsväter, ihre instinktive Kenntnis und ihr Antrieb, das zu tun, was Konzilien stets taten, die unter den gegebenen Umständen nur wunderbar zu nennen waren, konnten keine andere Ursache haben als den Heiligen Geist selbst. Er, Der die Kirche beseelt, seit Er am Pfingsttag über die versammelten Apostel kam, beseelte noch jedes Konzil der Kirche, einschließlich des Vatikanums. Aber Er beseelte ganz offensichtlich nicht das „II. Vatikanum“. Daher auch die Tyrannei des „II. Vatikanums“ statt jener wundervollen Freiheit, die auf dem Vatikanum herrschte, denn wir wissen: „Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17).
Der Heilige Geist, so lesen wir in der Apostelgeschichte, „erfüllte das ganze Haus“, in welchem die Apostel waren (Apg 2,2). Das „ganze Haus“ ist die Kirche. Das griech. Wort „Oikomene“ bedeutet nichts anderes als dieses „ganze Haus“, die weltweite Kirche. Hätte also der Heilige Geist nicht ein Ökumenisches Konzil ganz und gar erfüllen müssen? Da der Heilige Geist dem „II. Vatikanum“ fernblieb, kann es kein Ökumenisches Konzil, kein Konzil der Kirche gewesen sein (auch kein „Pastoralkonzil“). Wie aber konnte es geschehen, daß sich gut 2500 Bischöfe, praktisch der gesamte Weltepiskopat, zu einem Ökumenischen Konzil versammelten, das als solches einberufen und ausgegeben wurde, jedoch in Wahrheit keines war? Sicher läßt sich viel darüber spekulieren. Doch eine Antwort drängt sich geradezu auf. Die liberale Minderheit hätte nichts ausrichten können, wäre sie nicht von ausgesprochen einflußreicher Seite, ja von höchster Stelle unterstützt worden. Das führt uns auf eine heiße Spur. Ein Ökumenisches Konzil kann stets nur in Verein mit dem Papst und unter seiner Autorität ein solches sein. Er muß zumindest die Beschlüsse billigen und bestätigen. Was, wenn nun kein Papst vorhanden ist, oder wenn ein falscher Papst, ein Gegenpapst oder Scheinpapst ein solches Konzil einberuft und durchführt - und dann die liberale Minderheit fördert? Wäre es da verwunderlich, daß es sich um kein Konzil der Kirche handelt, daß der Heilige Geist ihm fehlt? Ja mehr noch, daß es ein Schein- und Gegenkonzil würde?
Eben das scheint uns der Fall zu sein. Professor Dr. Diether Wendland schreibt in seiner Abhandlung „Über das Papsttum der Römischen Bischöfe, die Eigenart des Apostolischen Stuhles und eine Kirche ohne Papst“ (erschienen in „Einsicht“, Dez. 2001 bis Feb. 2003): „Auf eine gewöhnliche Vakanz des Apostolischen Stuhles (Oktober 1958) folgte fast unmittelbar eine ungewöhnliche oder außergewöhnliche (auch das hat seine Bedeutung) und riß bereits vier Jahre später sogar ein ‘ökumenisches Konzil’ in die Häresie und Apostasie.“ Nach Dr. Wendland nämlich war der „Patriarch von Venedig, Roncalli, … ein Häretiker und Apostat, ja sogar in mehrfacher Beziehung“ und konnte deshalb nicht gültig zum Papst gewählt werden. „Eine solche Situation hatte es in der Geschichte der katholischen Kirche noch nie gegeben und war auch deswegen für viele Katholiken überhaupt nicht erkennbar, jedenfalls nicht sofort.“ „Dieser Abfall trat mehr und mehr in Erscheinung und verknüpfte sich dann auf einem ‘allgemeinen Konzil’ auch mit einem Abfall von der römisch-katholischen und apostolischen Kirche und was man sogar mit einer unglaublichen Frechheit als ‘Neuanfang’ ausgab und propagierte! Das war satanisch!“
Das „II. Vatikanum“ war mithin eine deutliche Manifestation jener außergewöhnlichen Vakanz, die bis dato den meisten verborgen geblieben war. Es war zugleich das Mittel, den gesamten Weltepiskopat mit in Schisma, Häresie und Apostasie zu reißen und auf dieser Basis die „Konziliare Kirche“ zu begründen. Das noch für ein „neues Pfingsten“ auszugeben, war wahrhaft „satanisch“. Nicht der Heilige Geist beseelte dieses „Konzil“, sondern der Geist der Welt. „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7,16.20). Die Früchte des Heiligen Geistes aber sind „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue“ (Gal 5,22), hingegen die des Fleisches oder der Welt „Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Zank, Eifersucht, Gehässigkeiten, Hetzereien, Entzweiungen, Spaltungen, Mißgünstigkeiten“ (Gal 5,20f). Wo finden wir wohl die guten, und wo die schlechten Früchte?
Der Heiland spricht zu Seinen Aposteln: „Ich will den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Tröster senden, damit Er in Ewigkeit bei euch bleibe: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie Ihn nicht sieht noch kennt. Ihr aber werdet Ihn erkennen; denn Er wird bei euch bleiben und in euch wohnen“ (Joh 14,16f). Die Welt kann den Heiligen Geist nicht empfangen, der Kirche aber ist Er bleibend und innerlich verliehen. Er ist nicht nur eine von Zeit zu Zeit äußerlich gegebene Hilfe. Es kann nicht sein, daß Er ihr zu irgendeiner Zeit fehlt, daß Er sie nicht zu allen Zeiten innerlich beseelt und belebt.
Im Katechismus des heiligen Pius X. lesen wir: „Was wirkt der Heilige Geist in der Kirche? - Der Heilige Geist belebt die Kirche und regiert sie durch Seinen immerwährenden Beistand. Daher kommen ihre unbesiegbare Kraft, die sie zeigt, wenn sie verfolgt wird, der Sieg über ihre Feinde, die Reinheit ihrer Lehre und der Geist der Heiligkeit, der in ihr bleibt mitten in der Verderbnis der irdischen Welt.“ Ebendas zeigte sich überdeutlich auf dem Vatikanum, und ebendas fehlt in eklatanter Weise dem „II. Vatikanum“ und der daraus hervorgegangenen „Konzilaren Kirche“.
10. Uns bleibt in dieser Lage nur, uns möglichst treu an den Heiligen Geist zu halten. Das beste Mittel dazu scheint uns die vollkommene Hingabe an die allerseligste Jungfrau nach dem heiligen Ludwig Maria Grignion de Montfort. Denn wer sich Maria hingibt, der Braut des Heiligen Geistes, der gehört Ihm ganz und gar an. Nicht zufällig befand sich am Pfingstfest die Mutter Jesu inmitten der Apostel. Und nicht zufällig hatte man sie auf dem „II. Vatikanum“ geschmäht und an den Rand gestellt (vgl. 95 Prozent).
Und beten wir oft das „Prophetische Flammengebet“ des heiligen Ludwig Maria, in welchem er den Heiligen Geist anfleht: „Memento! O Heiliger Geist, entschließe Dich, durch Deine hehre und treue Braut Maria Kinder Gottes hervorzubringen und zu bilden! ... Das Reich Gottes des Vaters hat gedauert bis zur Sündflut und sein Ende gefunden durch eine Wasserflut; das Reich Jesu Christi fand in einem Strom von Blut seinen Abschluß. Dein Reich aber, o Geist des Vaters und des Sohnes, setzt sich fort in einer Flut von Feuer und Liebe und Gerechtigkeit. Wann wird diese Feuerflut der reinen Liebe kommen, die Du auf der ganzen Erde entzünden und sanft und mächtig anfachen wirst, damit alle Völker, die Türken, die Götzendiener, ja selbst die Juden davon erfaßt und sich zu Dir bekehren werden? Non est, qui se abscondat a calore ejus (Ps. 18,7), 'niemand kann sich vor seiner Glut verbergen'. Accendatur: Dieses göttliche Feuer, das Du, o Jesus, auf diese Erde bringen willst, möge sich entzünden, bevor Du das Feuer Deines Zornes senden wirst, das alles in Asche verwandeln wird. Emitte Spiritum tuum, et creabuntur, et renovabis faciem terrae (Ps. 103,30), 'sende aus Deinen Geist, und sie werden erschaffen werden, und Du wirst das Angesicht der Erde erneuern'! Ja, sende diesen feurigen Geist auf die Erde, um Priester zu schaffen ganz voll Feuereifer, durch deren Dienst das Angesicht der Erde erneuert und Deine Kirche wiederhergestellt wird.“
Beten wir um jene Schar wahrer Missionäre und Apostel: „Memento Congregationis tuae: Gedenke Deiner auserwählten Schar, einer Auslese von Auserkorenen, die Du unter den Menschen dieser Erde vornehmen wirst nach Deinem Wort: Ego elegi vos de mundo (Joh 15,19), 'ich habe euch auserwählt von der Welt'. Es soll eine Herde friedlicher Lämmer sein, die Du inmitten so vieler Wölfe sammeln wirst, eine Schar reiner Tauben und königlicher Adler inmitten so vieler Raben, ein Schwarm honigsuchender Bienen inmitten so vieler Hornissen, ein Trupp leichter Hirsche inmitten so vieler Schildkröten, ein Heer mutiger Löwen inmitten so vieler furchtsamer Hasen! O Herr: Congrega nos de nationibus (Ps. 105,47), 'sammle uns aus den Nationen', sammle uns, einige uns, damit Deinem heiligen und mächtigen Namen die schuldige Ehre zuteil werde.“
Rufen wir inbrünstig mit dem Heiligen: „Feuer, Feuer, Feuer! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Feuer im Hause Gottes! Feuer in den Seelen! Feuer bis ins Heiligtum! Zu Hilfe unserem Bruder, den man ermordet, zu Hilfe unseren Kindern, die man erwürgt! Zu Hilfe unserem guten Vater, den man erdolcht! 'Wer auf der Seite des Herrn ist, geselle sich zu mir' (Ez 32,26). O daß doch alle guten Priester auf der ganzen Welt, mögen sie mitten im Kampfe stehen oder sich aus dem Handgemenge in die Wüsten und Einöden zurückgezogen haben, - o daß doch alle guten Priester kommen und sich mit uns vereinigen möchten: Vis unita fit fortior. Unter dem Banner des Kreuzes wollen wir ein in Schlachtordnung aufgestelltes und wohlgeordnetes Heer bilden, um gemeinsam die Feinde anzugreifen, die schon zum Sturm geblasen haben: Sonuerunt, frenduerunt, fremuerunt, multiplicati sunt. Dirumpamus vincula eorum, et projiciamus a nobis jugum ipsorum. Qui habitat in coelis, irridebit eos. 'Die Feinde toben, lärmen, rasen und rotten sich zusammen. Lasset uns ihre Fesseln zerreißen und ihr Joch von uns werfen. Der im Himmel thront, spottet ihrer.' Exsurgat Deus et dissipentur inimici ejus. Exsurge, Domine, quare obdormis? Exsurge! 'Es erhebe sich Gott, auf daß seine Feinde zerstieben. Erhebe Dich, o Herr, warum schläfst Du? Erhebe Dich!' O Herr, erhebe Dich; warum scheinst Du zu schlafen? Erhebe Dich in Deiner ganzen Allmacht, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, um Dir eine Auserwählte Schar als Garde zu bilden, die Dein Haus bewache, Deine Ehre verteidige und Seelen rette, damit nur ein Schafstall und ein Hirt werde, auf daß alle Dir die Ehre geben in Deinem heiligen Tempel! Amen.“
„Gott allein!“