Gespaltene Katholiken (1/2)

Die wahren, ungespaltenen Katholiken sind die Freunde des Papstes. Für sie gilt das Bekenntnis der „integralen Katholiken“ aus dem Programm des „Sodalitium Pianum“, „daß der Heilige Stuhl das Zentrum des Katholizismus ist“. Die „gespaltenen Katholiken“ sind die Feinde des Papstes. Wer dem Papst ans Leder will, muß die Kirche mit „gespaltenen Katholiken“ füllen. Eben das geschah massiv im 19. Jahrhundert, als die Feinde der Kirche sie zunehmend mit ihrem Liberalismus infiltrierten und gezielt die „liberalen Katholiken“ hervorbrachten. „Liberale Katholiken“ sind nichts anderes als „gespaltene Katholiken“. Aus den „liberalen Katholiken“ gingen einerseits die Modernisten hervor, die „progressiv“ voranschritten und eine „neue“, „Konziliare“ Menschheitskirche schufen, andererseits die „Traditionalisten“, die den „liberalen Katholizismus“ „konservativ“ bewahren wollen, wie er vom 19. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre existiert hat. Beide – täuschen wir uns da nicht – sind zwei Seiten derselben Medaille und haben ein gemeinsames Motto: „Resist the Pope“, „Widerstehe dem Papst“.

Schismatüchtig

Die „Piusbruderschaft“, so haben wir gehört, will ihre Gläubigen „schismatüchtig“ machen, denn sie plant erneut einen größeren schismatischen Akt. Zu diesem Ende hat sie auf ihren Internetseiten in allen gängigen Sprachen eine alte „Studie“ aus dem Jahre 1988 wiederveröffentlicht, die seinerzeit in der Septemberausgabe von „Si Si No No“ und dem „Romkurier“ erschienen ist, um die schismatischen Bischofsweihen Lefebvres vom 30. Juni desselben Jahres zu rechtfertigen. Diese Rechtfertigung soll nun prophylaktisch herhalten, um die Gläubigen mental auf die womöglich noch in diesem Jahr bevorstehenden erneuten Bischofsweihen vorzubereiten und alle eventuell noch vorhandenen Bedenken wegen des Schismas zu zerstreuen. Nach unserer Einschätzung eine reichlich unnötige Mühe, da heute ein Schisma ohnehin kaum mehr jemanden schreckt, am wenigsten die „Traditionalisten“, die es entweder schon Jahrzehnte so gewohnt sind und sich im Schisma ganz wohlfühlen, oder angesichts der Drangsal durch Bergoglio sogar anfingen, sich nach dem Schisma zu sehnen.

Die Studie trägt den Titel „Ni schismatiques ni excommuniés“, „Weder schismatisch noch exkommuniziert“, und wurde uns von den „Piusbrüdern“ dankenswerterweise bereits in einer kurzen Zusammenfassung vorgestellt. Wir können uns daher auf einige markante Punkte derselben beschränken.

Wahl zwischen Schisma und Häresie

Das erste Kapitel ist überschrieben „Catholiques écartelés“, also „Gespaltene Katholiken“, und stellt die Behauptung auf, seit dem „II. Vatikanum“ sähen sich die „Katholiken“ fortwährend vor die Wahl gestellt zwischen der „Wahrheit“ und dem „Gehorsam“, oder anders ausgedrückt: zwischen Häresie und Schisma. Das ist nun eine sehr seltsame Vorstellung. Wie kann ein Katholik vor die Wahl gestellt sein zwischen Wahrheit und Gehorsam? Das wäre schon denkbar und ist oft genug vorgekommen, so etwa wenn man die Christen im alten Rom vor die Wahl gestellt hat, dem Kaiser Weihrauch zu streuen oder vor die wilden Tiere zu gehen. Für gute Christen gab es da kein Zögern, sich gegen den falschen Befehl und für den wahren Gott zu entscheiden. Hier gilt eindeutig das Wort, daß es nötig sein kann, den Menschen ungehorsam zu sein, um Gott zu gehorchen.

Das ist aber offensichtlich nicht das, was die Studie meint – oder doch? Die Christen im alten Rom hatten zu wählen zwischen dem wahren Gott und falschen Götzen, aber nicht zwischen Schisma und Häresie. Wie wäre es vorstellbar, daß ein Katholik gezwungen sein könnte, sich zwischen Schisma und Häresie zu entscheiden? Beides würde ihn doch von der Kirche trennen, und er würde aufhören Katholik zu sein. Wenn die Christen im alten Rom ihre Entscheidung für Christus trafen, waren sie weder häretisch noch schismatisch, sondern heroisch. Würde sich ein Katholik für Schisma oder Häresie entscheiden, so wäre er „im Banne“.

Welche Vorstellung steckt also wirklich hinter dieser Formulierung? Es ist die alte liberale Angst davor, der Papst könne etwas von uns verlangen, was wir nicht wollen, uns etwas befehlen, was uns nicht paßt, hier im „traditionalistischen“ Gewand präsentiert als die Angst, der Papst könne von uns die Aufgabe der „Tradition“ fordern. In diesem Fall, so wird uns suggeriert, müßten wir uns zwischen der „Tradition“, d.i. der „Wahrheit“, und dem „Gehorsam“ entscheiden, hätten also nur die Wahl zwischen Häresie (Abweichen von der „Tradition“) oder Schisma (Verweigerung des Gehorsams gegen den Papst). Wie man sieht, wird hier das Modell des antiken, heidnischen römischen Kaisers ohne weiteres auf den Papst übertragen.

Mißtrauen gegen jede Autorität

Für jeden Katholiken, der sein „Sentire cum Ecclesia“ noch einigermaßen beieinander hat, ist ein solcher Gedanke völlig absurd: Der Papst, ausgerechnet der unfehlbare Hüter und Lehrer unseres Glaubens, der von Christus verheißene Fels, auf dem die Kirche und unser Glaube sicher ruht, könnte von uns verlangen, die Wahrheit aufzugeben. Nicht aber für den Liberalen, der grundsätzlich jeder Autorität mißtraut, und sei sie die höchste auf Erden, ja sei es die Autorität Gottes selbst. Der Liberale ist „autonom“ und traut grundsätzlich nur seinem eigenen kleinen Verstand, und das macht ihn leider so dumm und verführbar. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß der moderne „Traditionalismus“ ein durch und durch liberales Phänomen ist, der seine Wurzeln im „Konziliarismus“, im Protestantismus, im Gallikanismus, im Jansenismus, im „Altkatholizismus“, ja im Modernismus hat, kurz überall, nur nicht im katholischen Glauben. Das allein vermag zu erklären, warum die „Traditionalisten“ eine solche Angst davor haben, der Papst möchte ihnen ihre „Tradition“ wegnehmen. (Was dann als „self-fulfilling prophecy“ tatsächlich auch eintritt; denn die „Konziliaren Päpste“ haben sich fürwahr gerne als „Tradi-Killer“ betätigt, allen voran Montini und Bergoglio.)

„Gespalten“ sind diese (liberalen) „Katholiken“ also deshalb, weil sie sich auf den Papst nicht verlassen können, sondern ständig „wählen“ oder „entscheiden“ müssen, ob sie das, was ihre „Päpste“ sagen, annehmen können oder nicht. Die „Studie“ nennt dafür einige Beispiele, in denen sie recht grob die Schere zwischen der „Tradition“ und der „konziliaren Lehre“ aufmacht, so etwa in der Frage der Verurteilung Luthers, Teilhard des Chardins oder des Modernismus, unvorsichtigerweise auch in punkto Verhältnis der Kirche zum Judentum oder in der Lehre von der Heilsnotwendigkeit der katholischen Kirche („Extra Ecclesiam nulla salus“). In all diesen Dingen habe man zwischen der immerwährenden Lehre der Kirche und der „aktuellen kirchlichen Ausrichtung“ zu wählen.

Für einen wahren Katholiken gäbe es da nur eine Wahl zu treffen, und zwar ein für allemal. Eine „Kirche“, die sich eine „aktuelle Ausrichtung“ leistet, die völlig dem widerspricht, was die Kirche stets und unfehlbar gelehrt hat, kann nicht dieselbe Kirche sein. Es kann sich nur um eine schismatische und häretische Sekte handeln. Somit bleibt für ihn nicht die Wahl zwischen Schisma und Häresie, sondern die Wahl, katholisch zu bleiben und sich von dieser falschen „Kirche“ fernzuhalten, oder sich in Schisma und Häresie zu begeben, indem er irgendwie zu dieser Sekte Anschluß sucht – selbst auf die Gefahr hin, dem eigenen „Papste“ ständig Widerstand leisten zu „müssen“. „Recognize and Resist“, so nennen wir die innerliche „Spaltung“, an der diese bedauernswerten „gespaltenen Katholiken“ leiden und die sie sich leider selber ausgesucht haben.

Die „besser unterrichteten“ Katholiken

„Die Wahl des ‚sensus fidei‘“, lautet die nächste Überschrift. In diesem „Konflikt“ zwischen „Wahrheit“ und „Gehorsam“, in dem sich die armen „gespaltenen Katholiken“ befinden, so hören wir, wählen die „besser unterrichteten Katholiken“ (ach, die gibt es?), also die „besser unterrichteten gespaltenen Katholiken“ die „Wahrheit“, weil nämlich allein die Wahrheit sie der Einheit mit dem „unsichtbaren Haupt der Kirche“ versichere, welches Christus ist. Für die nicht gespaltenen Katholiken, egal ob besser oder weniger gut unterrichtet, ist es gerade die Einheit mit dem Papst, dem Stellvertreter Christi, die sie sowohl in der Einheit des Glaubens, also der Wahrheit, als auch in der Einheit der Kirche und somit in der Einheit Christi hält.

Für ihr edles Tun werden diese „besser unterrichteten (gespaltenen) Katholiken“ auch noch als „Traditionalisten“ geschmäht und für unfähig betrachtet, zwischen der göttlichen Tradition und menschlichen Traditionen zu unterscheiden, zwischen dem, was in der Tradition der Kirche veränderbar und was unveränderlich ist, erfahren wir zu unserem Entsetzen. „Ungehorsam“ nennt man sie und „heute“ (1988) auch noch „exkommuniziert“ und „schismatisch“. Pfui, wie garstig und gemein! Zum Glück hat sich das heute (2025) geändert. „Exkommuniziert“ nennt sie niemand mehr, zumal seit Ratzinger im Jahre 2009 die „Exkommunikation aufgehoben“ hat, und nach einem „Schisma“ kräht kein Hahn.

Damit können sich die „gespaltenen Katholiken“, zumal die „besser unterrichteten“ ganz bestätigt sehen, die sich damals schon in keiner Weise schismatisch fühlten, hätten sie doch gar nie eine eigene separate Kirche für sich bilden, sondern stets in der „einzigen Kirche Christi bleiben“ wollen. Stimmt. Sie wollten immer nur eine „autonome“ Seitenkapelle in der großen Menschheitskirche des „II. Vatikanums“ sein. Am liebsten in Form einer „Personalprälatur“. Ganz und gar nicht hätten sie sich je geweigert, dem Haupt der Kirche unterworfen zu sein, sondern gerade um dem unsichtbaren Haupt der Kirche unterworfen zu bleiben, hätten sie gewissen „aktuellen Ausrichtungen“ Widerstand geleistet und wünschten inständig, daß auch die Einheit mit der aktuellen Hierarchie und namentlich dem Stellvertreter Christi sich alsbald wieder herstellen lasse, ohne freilich in irgendeinem Punkt der Lehre Kompromisse zu machen, sprich ohne irgendwo nachzugeben.

Ja, so ein vorübergehendes Schisma kann manchmal ganz nützlich und sogar notwendig sein, wie wir inzwischen von zahlreichen „Neo-Trads“ gehört haben, denen die bergoglianische Epoche schon zu lange dauerte. Wie sehr müssen wir daher jene „besser unterrichteten gespaltenen Katholiken“ bewundern, die nun schon seit gut einem halben Jahrhundert im „vorübergehenden“ Schisma sind und immer noch hoffen, daß die Hyperbel zwischen ihnen und der „aktuellen Ausrichtung“ ihrer „Hierarchie“ sich irgendwann einmal von selber schließt.

Schein-Konflikt

In Wahrheit, so hören wir im nächsten Abschnitt, beruhe der „Schein-Konflikt“ zwischen „Gehorsam“ und „Wahrheit“ auf einer Äquivozität. Fälschlich nämlich setze man den der Hierarchie geschuldeten Gehorsam gleich mit einem zustimmenden Anhangen an die von den „Gliedern der Hierarchie“ vorgegebenen „Orientierungen“ entgegen dem vorhergehenden Lehramt der Kirche. Der „gespaltene Katholik“ sei nur insoweit verpflichtet, mit dem „Nachfolger Petri“ in Gemeinschaft zu sein, als dieser seine Aufgabe erfülle, d.h. in dem Maße, in welchem er sich gegenüber dem „gespaltenen Katholiken“ als treuer Hüter, Vermittler und Ausleger des Glaubensdepositums erweise, nicht aber sofern er sich irgendwelchen Neuerungen oder persönlichen Einfällen hingibt.

Das exakt ist die Lehre des modernen „Traditionalismus“. Wir folgen dem „Papst“ nur da, wo er mit uns und unserer „Tradition“ übereinstimmt. Und wann und wo das der Fall ist oder nicht, das bestimmen selbstverständlich wir (weshalb wir in Wirklichkeit dem „Papst“ gar nicht folgen, sondern nur der eigenen „Tradition“ bzw. dem eigenen Kopf). Die „Altkatholiken“ beispielsweise haben das genauso gesehen. Wieder zeigen sich die armen „gespaltenen Katholiken“ als Liberale, deren grundsätzliches Mißtrauen in jede Autorität es nicht zuläßt, dem Heiligen Vater jene Liebe zu erweisen, die er als Stellvertreter Christi verdient. Der heilige Papst Pius X., nach dem sich die „Piusbruderschaft“ unglücklicherweise benannt hat, ohne diesen großen heiligen Papst jemals irgendwie verstanden zu haben, hat einst – wir können uns nicht enthalten, es einmal mehr genüßlich wiederzugeben, um die „Piusbrüder“ zu beschämen – über die Liebe zum Papst folgendes in einer Ansprache ausgeführt (Alloc. ad sacerdotes Consociationis „l’Unione Apostolica“; 18. Nov. 1912. A. Ap. S. IV, 693):

„Um den Papst zu lieben, braucht man nur darüber nachzudenken, was der Papst ist. – Der Papst ist der Wächter des Dogmas und der Moral; er ist der Depositar der Grundsätze, welche die Familie ehrbar, die Nationen groß, die Seelen heilig machen; er ist der Berater der Fürsten und der Völker; er ist das Haupt, unter dem sich niemand tyrannisiert fühlt, weil er Gott selber repräsentiert; er ist im höchsten Sinne der Vater, der in sich alles das vereinigt, was liebevoll, zart, göttlich ist…“

Schon das werden die gequälten „gespaltenen Katholiken“ nur mit zugehaltenen Ohren und lauten Schreien quittieren. Oh, wie fühlen sie sich sogleich „tyrannisiert“, wenn sie bloß hören, daß der Papst „Gott selber repräsentiert“! Nein, schreien sie dann, er ist doch „NUR“ der Stellvertreter! Hören wir weiter den heiligen Pius X.:

„Und wie muß man den Papst lieben? ,Non verbo neque lingua, sed opere et veritate‘ (Nicht mit Worten oder der Zunge, sondern in der Tat und Wahrheit). Wenn man eine Person liebt, sucht man sich in allem ihren Gedanken gleichförmig zu machen, ihre Willensmeinungen auszuführen, ihre Wünsche zu erraten. Und wenn unser Herr Jesus Christus von sich sagte: ,si quis diligit me, sermonem meum servabit‘ (wenn jemand mich liebt, wird er meine Gebote halten), so ist es, um unsere Liebe zum Papste zu beweisen, notwendig, ihm zu gehorchen.“

Ach und weh, wie schnauben da die „gespaltenen Katholiken“! Das wäre ja noch schöner, sich dem Papst in all seinen Gedanken „gleichförmig zu machen“, seine „Willensmeinungen“ ausführen, seine „Wünsche erraten“! Ein „Anhangen“ an die vom Papst „vorgegebenen Orientierungen“! Dem Papst „gehorchen“! Wo kämen wir denn da hin? Welche „Äquivozität“! Welch ein „Hyperpapalismus“! Was für eine falsche und übertriebene Auffassung von Gehorsam gegen den Papst! Noch einmal Pius X.:

„Wenn man also den Papst liebt, so macht man keine Diskussion über das, was er anordnet oder verlangt, oder bis wohin der Gehorsam gehen muß und in welchen Dingen man gehorchen soll; wenn man den Papst liebt, sagt man nicht: er hat nicht klar genug gesprochen, als ob er verpflichtet wäre, seinen Willen jedem einzelnen ins Ohr zu wiederholen, den er so oft nicht nur mit Worten, sondern durch Schreiben und andere öffentliche Dokumente klar ausgedrückt hat; man setzt seine Anordnungen nicht in Zweifel unter dem leichten Vorwand eines, der nicht gehorchen will, als sei es nicht der Papst, der befiehlt, sondern seine Umgebung; man zieht nicht der Autorität des Papstes diejenige anderer noch so gelehrter Personen vor, die, wenn sie gelehrt sind, doch nicht heilig sind, denn wer heilig ist, kann nicht vom Papste abweichen.“

Das aber ist genau das Wesen des „Papstgehorsams“ der „gespaltenen Katholiken“, daß sie fortwährend eine „Diskussion“ machen „über das, was er anordnet oder verlangt, oder bis wohin der Gehorsam gehen muß und in welchen Dingen man gehorchen soll“. Jede seiner Anordnungen setzen sie „in Zweifel unter dem leichten Vorwand eines, der nicht gehorchen will“. Der „Autorität des Papstes“ ziehen sie die Stimmen ihrer Tradi-Lehrer vor. Der „Weihbischof“ Schneider, „Kardinal“ Burke, „Cardinal“ Müller, Dr. Peter Kwasniewski, Professor de Mattei, Michael Matt und Martin Mosebach und wie sie alle heißen mögen, und natürlich Erzbischof Lefebvre, sie alle gelten ihnen mehr als ihr „Papst“, obwohl sie (auch ein Lefebvre!), selbst „wenn sie gelehrt sind, doch nicht heilig sind, denn wer heilig ist, kann nicht vom Papste abweichen“. Er allein ist der „Heilige Vater“.

Für den Autor unserer „Studie“ aber steht fest, daß man mit solchen Darlegungen wie denen des heiligen Pius X. nur den „gespaltenen Katholiken“ ein „schlechtes Gewissen“ machen will, weshalb er es sich angelegen sein läßt, uns „klare Ideen“ über das Papsttum und seine „Funktion in der Kirche“ zu vermitteln, die offensichtlich ganz verschieden sind von denen des heiligen Pius X. Für die „gespaltenen Katholiken“ gelten andere Regeln. Während der Katholik in seinem Papst einen festen Fels findet, einen Heiligen Vater, „der in sich alles das vereinigt, was liebevoll, zart, göttlich ist“, bei dem er Sicherheit und Geborgenheit, Ruhe, Gelassenheit und Friede genießt, ist der Papst für den „gespaltenen Katholiken“ eine dauernde Quelle der Unruhe und der fortwährenden Bedrängnis, eine ständige Gefahr, ein „strahlendes Uran“, das man in irgendeinen Sicherheitsbehälter packen muß, damit es nicht unversehens ausbricht. Ja, die größte Bedrohung geht für ihn von seinem „Papst“ aus. Das muß auch so sein, denn wenn man die Gläubigen „schismatüchtig“ machen will, muß ihnen die Propaganda den Papst als ihren ärgsten Feind präsentieren und möglichst plastisch als gräßliches Ungeheuer ausmalen.

Doppelhäuptig

Deshalb taucht im nächsten Kapitel, überschrieben „L’Église n’est pas bicéphale“, „Die Kirche ist nicht doppelhäuptig“, ein wahres Monstrum auf. Die Überschrift ist ganz richtig, und wir haben schon gesehen, daß Pius XII. darauf insistiert, daß es keine zwei Häupter der Kirche gebe, sondern daß das unsichtbare Haupt, Christus, und das sichtbare Haupt, Sein Stellvertreter auf Erden, der Papst, nur ein einziges Haupt ausmachen, weshalb für den Papst in besonderer Weise gilt: Die Stimme des Papstes, die Stimme Gottes. Nicht so für die „gespaltenen Katholiken“. Wir werden sehen, mit welch raffinierten Tricks die Propaganda hier arbeitet.

Die einzige Kirche Christi sei nur eine und habe nur ein Haupt, beginnt die Studie ganz korrekt. Und weil Christus und Sein Stellvertreter auf Erden keine zwei verschiedenen Häupter seien, sondern ein einziges, könne die Kirche nicht von diesen beiden zwei auseinandergehende oder sogar entgegengesetzte Orientierungen empfangen. Das ist auch soweit richtig, nur ahnen wir schon, worauf das hinauswill. Für uns Katholiken ergibt sich aus diesem Prinzip, daß es nicht sein kann, daß wir aus dem Munde des Stellvertreters Christi eine andere Stimme hören als die Stimme Christi selbst. Aber was ergibt sich für die „gespaltenen Katholiken“? Ganz einfach folgendes: „Wenn das geschähe, wäre es unnötig zu sagen, Wem die Treuepflicht gilt.“ D.h. für den „gespaltenen Katholiken“ wäre es sehr wohl möglich, daß der Mund des Stellvertreters anders spricht als der Mund Christi, ja daß er diesem sogar offen widerspricht. Wir haben dann zwar nur „ein Haupt“, aber eines mit zwei verschiedenen Mündern oder verschiedenen Gesichtern, einem göttlichen und einem teuflischen. Wenn das kein abscheuliches Monster ist!

Weiter: Da der Papst der Stellvertreter und nicht der Nachfolger Christi sei und die Kirche der Mystische Leib Christi und nicht der Mystische Leib des Papstes (dieses Aperçu aus dem Munde des „Kardinal“ Journet [„Kardinal“ war er von Montinis Gnaden] mußte an dieser Stelle kommen), könne die Einheit der Kirche immer nur die Einheit mit Christus UND Seinem Stellvertreter sein, niemals die Einheit mit dem Stellvertreter ohne Christus oder gegen Christus. Jedem gebühre der Gehorsam nach seinem Range. Das heißt also, für die „gespaltenen Katholiken“ kann es – anders als für uns Katholiken – zwar keine Einheit mit dem Stellvertreter Christi geben ohne Einheit mit Christus, wohl aber eine Einheit mit Christus ohne Einheit mit dessen Stellvertreter. Genau das nennen wir Schisma. Es gibt keine Einheit mit Christus ohne Einheit mit dessen Stellvertreter. „Wer dem Christus auf Erden, der den Christus im Himmel vertritt, nicht gehorcht, der nimmt am Blut des Gottessohnes nicht teil“ (hl. Katharina von Siena, Brief Nr. 207).

Die „gespaltene Kirche“ der „gespaltenen Katholiken“ sieht demnach folgendermaßen aus: Da gibt es ein zwiegesichtiges Haupt mit zwei Mündern, die einander widersprechen. (Bisweilen werden, wie in der berühmten „Grundsatzerklärung“ Lefebvres mit seinen zwei „Roms“, sogar zwei verschiedene Häupter daraus, sodaß wir tatsächlich eine doppelköpfige „Kirche“ vor uns haben, bzw. sogar eine dreiköpfige mit dem einen Haupt Christus und dem Doppelhaupt seines Stellvertreters.) Während aus dem Munde Christi weiterhin die Wahrheit und Gnade strömt und den Lichtleib des „Mystischen Leibes Christi“ formt, quillt aus dem anderen Mund, einem wahren Schandmaul, Häresie und Blasphemie heraus und bringt die häßliche Mißgeburt hervor, die wir den „Corpus Mysticum des Stellvertreters“ nennen, ein „Zweitleib“ sozusagen oder eine Art finsteres Geschwür am Leibe der Kirche. „Die Kirche hat Krebs und wenn wir die Kirche umarmen, dann bekommen wir auch Krebs“, so beliebte ein ehemaliger Vorsitzender der „Piusbruderschaft“ dieses gruselige Phantom – nicht ganz korrekt – in ein medizinisches Bild zu übertragen. Derart also ist die „Monster-Kirche“ der „gespaltenen Katholiken“, Christus und Antichrist in einem! Und, fürwahr, wer möchte nicht einen gerechten Schauer und eine Gänsehaut bekommen vor solch einem schauerhaften Ungeheuer und angesichts eines solchen Schreckensbildes das Weite suchen, sprich ins Schisma fliehen?

Unterschied zwischen Person und Amt

Recht so. Doch die Propaganda wäre nicht perfekt, hätte sie nicht eine Art „theoretischen Überbau“ für uns parat, um sich den Anschein des „Rationalen“ oder „Wissenschaftlichen“ bzw. „Theologischen“ zu geben. Deswegen werden wir im folgenden Abschnitt belehrt über den Unterschied zwischen der „Person“ und der „Funktion“ des Papstes: „La «personne» et la «fonction» du Pape“. Denn es muß ja erklärt werden, wie ein solches doppelgesichtiges Monstrum zustande kommen kann. Ganz unter dem Anstrich der Seriosität erfolgt daher die Aufklärung darüber, daß auf dem Boden der Heiligen Schrift wie auch der „katholischen Theologie“ keinerlei Bedenken bestehen, daß der Papst – selbstverständlich nur außerhalb der Grenzen seiner Unfehlbarkeit – sehr wohl auch als Haupt der Kirche dem unsichtbaren Haupte widersprechen und anderes lehren oder anbefehlen könne als das, was Christus wolle. Als „Schriftbeweis“ werden die zu erwartenden Stellen angeführt, darunter vor allem der „antiochenische Zwischenfall“, bei welchem sich der heilige Petrus – freilich außerhalb der Grenzen seiner Unfehlbarkeit, sondern nur aufgrund seines persönlichen Verhaltens – als „tadelnswert“ erwiesen habe.

Auch die „meilleure théologie catholique“, die „bessere katholische Theologie“, unterscheide sorgfältig zwischen der Person des Papstes und seiner „Funktion“ bzw. zwischen Person und Amt. Die „besseren Theologen“, die uns das bestätigen sollen, sind – wie nicht anders zu erwarten – Cajetan und Journet. Beide hätten bestätigt, daß ein Papst als Person sich von der Einheit mit dem Haupte trennen und sogar häretisch und schismatisch werden könne. Ja, die ganze Theologie, die sich mit dem Problem eines häretischen oder schismatischen Papstes beschäftigt habe, bestätige, daß der Papst als Person sich – selbstverständlich nur außerhalb der berühmten Grenzen seiner Unfehlbarkeit, die zum Glück sehr eng sind, sehr, sehr eng – durchaus gegen die Pflichten seines päpstlichen Amtes verfehlen könne. Erst im Gefolge des „I. Vatikanums“ sei diese Lehre in Vergessenheit geraten und man habe die Unfehlbarkeit gegen einen „Infallibilismus“ vertauscht, so als ob der Papst immer und in allem unfehlbar sei, ohne die sehr präzisen Bedingungen und Umstände zu beachten, unter denen dieser spezielle und rare Sonderfall eintrete.

Die anti-ultramontanistische Stoßrichtung ist uns nicht entgangen. Sie ist ein weiteres Indiz für die liberale Geistesart des „Traditionalismus“, denn „Liberalismus ist Anti-Ultramontanismus“, wie es der große Dominikaner Albert Maria Weiß in eine kurze Formel gebracht hat. Die ganze Passage ist jedoch ein Meisterstück des Sophismus. Sophismus ist eine der unerläßlichen Methoden für jede Propaganda. „Wikipedia“ beschreibt ihn als „Scheinargument, das mit der Absicht verwendet wird, andere zu täuschen“, es kann aber auch vor allem dazu dienen, sich selber zu täuschen. Selbstverständlich war die Unterscheidung zwischen Person und Amt des Papstes allen Katholiken und namentlich den Theologen aller Zeiten bekannt. Sie ging auch nicht im Zuge des „I. Vatikanums“ verloren, um von den „gespaltenen Katholiken“ mühsam wieder entdeckt werden zu müssen (zumal die „gespaltenen Katholiken“ hier nur dem Anti-Infallibilismus huldigen, der auf dem „I. Vatikanum“ bereits sein Haupt erhob und seither im „Altkatholizismus“, dem „Reformkatholizismus“ und dem Modernismus munter weiterlebte).

Was die „gespaltenen Katholiken“ in Wahrheit versuchen, ist, die päpstliche Unfehlbarkeit, da sie sie nun einmal wegen des verflixten „I. Vatikanums“ nicht mehr abschaffen können, durch strenge Bedingungen und Einschränkungen soweit zu minimieren, daß sie ihnen nur in äußerst seltenen, höchst exklusiven und außergewöhnlichen Momenten – wenn überhaupt – in die Quere kommen kann – so ungefähr einmal alle 100 bis 150 Jahre. Außerhalb dieser elitären und höchst seltenen Augenblicke kann man nie wissen, ob der Papst „als Person“ oder „amtlich“ handelt, und selbstverständlich sind dann auch Fehler bis hin zu den grauenhaftesten Irrtümern in „päpstlichen Akten“ möglich. Das gibt uns und dem „Papst“ jede erdenkliche Freiheit. Der Papst kann „als Person“ häretisch und schismatisch sein nach Belieben bis hinein in seine päpstlichen Schreiben und seine amtliche Verkündigung und Gesetzgebung, und es ändert nichts daran, daß er Papst ist und bleibt, möge er noch so viele Zeichen des öffentlichen Abfalls vom Glauben und der Kirche geben. Wir aber brauchen uns um ihn in keiner Weise zu kümmern und können tun, was wir wollen.

Wir erkennen unschwer das „Papstbild“ der „gespaltenen Katholiken“: ein unberechenbarer Springteufel, ein stets hochgefährlicher und alles bedrohender Gefahrenquell, der außerhalb der sicheren „Grenzen“ der Unfehlbarkeit zum vernichtenden Sprengpotential werden kann, weshalb wir besser Abstand von ihm halten. Eben ein „strahlendes Uran“, das sich nur allzu leicht zur Atombombe entwickelt, wenn man es nicht sicher wegsperrt. Unnötig zu erwähnen, daß das in keiner Weise dem Papstbild der Katholiken entspricht, wie es der heilige Pius X. oben gegeben hat, und daher auch in keiner Weise der Heiligen Schrift und der „besseren Theologie“. Es entstammt ganz und gar den Vorstellungen und Verzerrungen der Ketzer und Schismatiker.

Einheit im Glauben und Einheit der Gemeinschaft

Doch „the show must go on“, und so werden wir mit einer weiteren für die „gespaltenen Katholiken“ wichtigen Unterscheidung konfrontiert, nämlich der zwischen der „Einheit im Glauben“ und der „Einheit der Gemeinschaft“: „Unité de foi et unité de communion“. Einheit des Glaubens und Einheit der Gemeinschaft oder der Leitung seien in der Kirche „untrennbar“, hören wir. Die Einheit des Glaubens sei die notwendige Grundlage sowohl für die Einheit der Gemeinschaft als auch die der Leitung. So weit, so gut. Doch nun regt sich wieder der typische Geist der „gespaltenen Katholiken“, der diese untrennbare Einheit in Gedanken sofort auseinanderreißt – denn was immer sie „unterscheiden“, das wird auch prompt von ihnen getrennt – und Angst bekommt, es könne irgendjemand „in der Kirche“ sich das „Recht“ herausnehmen, die „Einheit der Gemeinschaft“ oder die der „Leitung“ von der des Glaubens loszulösen. Wer das sein soll, der sich solches widerrechtlich anmaßt, ist schon klar: der Unsicherheitsfaktor schlechthin, die stets lauernde Gefahr, der potentielle Oberbösewicht, der „Papst“!

Und, als hätten sie’s geahnt: Pfeilgerade, so einen „Papst“ haben wir heute! Schreckensbleich sehen sich die „gespaltenen Katholiken“ genau jenem Horrorszenario gegenüber, das sie an die Wand gemalt haben: Ein „Papst“ verlangt von ihnen die Aufgabe der „Einheit des Glaubens“ zugunsten der „Einheit der Gemeinschaft“. Unfaßbar! Für uns ungespaltene Katholiken kann das unmöglilch sein, denn die Einheit des Glaubens ist ohne die Einheit der Gemeinschaft mit dem Papst gar nicht zu haben. Den armen „gespaltenen Katholiken“ aber ist ihr Albtraum Realität geworden. Statt an ihrem „Glauben“ festhalten zu dürfen, sollen sie sich den „persönlichen“, mehr oder weniger irrigen Ansichten der „höheren Autoritäten“ beugen, um die „Einheit der Gemeinschaft“ zu wahren. Welche Katastrophe!

„Montini“ – komisch, daß sie ihn nicht „Paul VI.“ nennen, aber vermutlich deshalb, weil er ja hier nicht als Papst, sondern „als Person“ spricht – habe den „Traditionalisten“ vorgeworfen, dem „Papst von heute“ ungehorsam zu sein im Namen des „Papstes von gestern“. Ungeheuerlich! Modernist, der er war, habe er das Schwerwiegende dieser Anschuldigung gar nicht erkannt. Denn wenn er den „Papst von heute“ von dem „Papst von gestern“ unterscheide, dann gebe er ja zu, daß sich etwas geändert habe, während doch die Wahrheit immer dieselbe sei für den „Papst von heute“ wie für den „Papst von gestern“. Ha! Eindeutig sei hier die „Person“ des Papstes an die Stelle des Amtes getreten. Doch ebensowenig wie der Katholik in Einheit mit Papst Honorius I. und seiner Begünstigung der monotheletischen Häresie (das mußte ja kommen!) habe stehen müssen, so könne er nicht mit „Paul VI.“ in Einheit stehen in dessen Begünstigung des Modernismus, des Liberalismus und des von seinen Vorgängern verurteilten Ökumenismus! Amen.

Dazu wäre zu bemerken, daß die Unterscheidung (und folgerichtig im „traditionalistischen“ Geiste wieder einmal die Trennung) zwischen dem „aktuellen Papst“ und den „Päpsten der Vergangenheit“ nicht von Montini alias „Paul VI.“ stammt, sondern daß dieser nur ein „Argument“ von Erzbischof Lefebvre aufgriff, das sich der schiefen Optik der „gespaltenen Katholiken“ verdankt, die eine Kluft zwischen den „Päpsten von früher“ und dem „Papst von heute“ aufmachen, als ob das Lehramt teilbar wäre und man zwischen dem einen und dem anderen wählen oder entscheiden könne bzw. müsse. (Neu war diese Lehre allerdings nicht; sie geht auf Bossuet und den Gallikanismus zurück.) Für nicht gespaltene Katholiken ist das gar kein Thema, denn das Lehramt kann sich nicht widersprechen, der „Papst von heute“ kann nichts anderes lehren als die „Päpste von gestern“. Selbstverständlich hat das auch Honorius nicht getan, und wenn er in einem privaten Brief etwas unglücklich formulierte und damit de facto den Monotheletismus begünstigte, so tat er das tatsächlich „als Person“. Doch war er weit davon entfernt, selbst nur „als Person“ häretisch zu sein geschweige denn seine Häresien auch noch zum Gegenstand der päpstlichen Lehrverkündigung zu machen, wie es die „konziliaren Päpste“ tun, die den Modernismus, den Liberalismus und den Ökumenismus nicht nur „begünstigen“, sondern selber vertreten, offensiv verbreiten und „amtlich“ auferlegen. Kein Papst hat so etwas je getan oder würde es je tun – außer natürlich das Schreckensgespenst von „Papst“ der „gespaltenen Katholiken“.

Fortsetzung folgt