Anläßlich des Festtags des heiligen Athanasius am vergangenen 2. Mai brachte das „umstrittene“ „Nachrichten- und Erklärportal der katholischen Kirche in Deutschland“ mit dem amüsanten Titel „katholisch.de“ – wir haben erst vor kurzem dessen profunde Kenntnisse in Sachen „Sedisvakantismus“ bestaunt – den Beitrag eines gewissen Oliver Wintzek, überschrieben mit „‚Sensus fidelium‘: Athanasius und seine Zeit als Wegweisung für heute“. Dazu lautete die Vorrede: „Die Frage der Synodalität beschäftigt die Kirche seit Jahren. Oliver Wintzek wirft einen Blick in die Geschichte und kommentiert: Aus der Konzilsgeschichte lässt sich einiges über die Rolle der Gläubigen lernen.“ Da wir immer gerne etwas lernen, besonders „über die Rolle der Gläubigen“, und das Artikelchen kurz genug war, haben wir es uns zu Gemüte geführt.
„Manipulative Lüge“
„Lehrmäßige Geschlossenheit und weltkirchliche Einheitlichkeit ist eine gern beschworene Fiktion, wenn nicht gar eine manipulative Lüge.“ Mit diesen provozierenden Worten beginnt der Aufsatz und läßt uns unwillkürlich einen Autor eher protestantischer Provenienz vermuten. Doch nein. Zu unserem Erstaunen wird Herr Oliver Wintzek uns vorgestellt als „Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz“, der zugleich „als Kooperator an der Jesuitenkirche in Mannheim tätig“ ist, also offensichtlich sogar „priesterliche“ Würde bekleidet. Freilich vergißt „katholisch.de“ nicht, vorsichtshalber als „Hinweis“ die Klausel hinzuzusetzen: „Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.“ Die Aussagen des „Professors“ schienen wohl selbst „katholisch.de“ ein wenig zu extrem.
Mit „katholisch“ hat ein solches Kirchenbild wahrhaft nichts zu tun. Wenn wir im Credo allsonntäglich, wenn nicht öfter, unseren Glauben an die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ bekennen und uns dann von einem „katholischen“ „Dogmatik-Professor“ sagen lassen müssen, daß wir damit einer „Fiktion“ oder – schlimmer noch – einer „manipulativen Lüge“ aufgesessen sind, dann fragen wir uns doch, warum wir überhaupt noch katholisch sein oder zur einer Kirche gehören sollen, die uns mit solchen Lügenbildern betrügt. Über die steigenden Austrittszahlen aus ihrer „Kirche“ braucht sich die „DBK“ nicht zu wundern, wenn sie solche „Professoren“ beschäftigt. Eher muß man sich wundern, daß nicht längst alle das zum nichtssagenden oder sogar Abscheu erregenden Etikett verkommene „katholisch“ bereits abgelegt haben.
Ein „treffliches Exempel“
Andererseits ist Herrn Wintzek recht zu geben, wenn man seine Beobachtung auf die „Konziliare“ Menschheitskirche bezieht, die ihm vor Augen steht. Dort sind „lehrmäßige Geschlossenheit und weltkirchliche Einheit“ tatsächlich höchstens eine „Fiktion“. Ganz anders in der katholischen Kirche, deren „lehrmäßige Geschlossenheit und weltkirchliche Einheit“ ein Glaubenssatz ist. Der Fehler, den Wintzek macht, ist derselbe wie jener der „Traditionalisten“: Er verwechselt die „Konziliare“ Menschheitskirche mit der Kirche Christi und schreibt dieser zu, was er bei jener findet. Und nicht nur das, er versucht es auch rückwirkend auf diese zu projizieren – ebenfalls wie gewisse „Traditionalisten“ es tun.
So findet er im „Gedenktag des heiligen Athanasius von Alexandrien (ca. 300 – 373)“ für seine These „ein treffliches Exempel“. Wieder fühlen wir uns sehr an die modernen „Traditionalisten“ erinnert, die den heiligen Athanasius ebenfalls bevorzugt als Folie für ihre eigenen Vorstellungen mißbrauchen. Der „Dogmatik-Professor“ übt sich in Historie und entnimmt dieser seinen Befund: „Es war alles andere als ausgemacht, dass er später als Kirchenvater erinnert wird, denn es war ebenso alles andere als ausgemacht, dass die 325 von Kaiser Konstantin einberufene Kirchenversammlung in Nizäa (dem heutigen Iznik) heute als das erste Ökumenische Konzil zählt.“
Naja, Kunststück! Ob jemand als Kirchenvater oder Kirchenlehrer gilt, weiß man immer erst hinterher. Vom heiligen Augustinus beispielsweise hätte während seiner Manichäer-Zeit gewiß niemand vermutet, daß aus ihm einmal ein heiliger Kirchenvater werden würde. Das Auftreten des heiligen Athanasius beim Konzil von Nizäa hätte da schon eher solche Gedanken aufkommen lassen können, wenn damals überhaupt schon der Begriff eines Kirchenvaters oder Kirchenlehrers eingeführt gewesen wäre. Dasselbe gilt für die „Kirchenversammlung in Nizäa“ als „Ökumenisches Konzil“, denn auch dieser Begriff war noch lange nicht etabliert, zumal es das erste seiner Art war. Nein, „ausgemacht“ war zu jener Zeit gar nichts, aber die Geschichte hat gezeigt, was geschehen ist, und die Kirche und die Theologie haben dem Rechnung getragen und Personen und Ereignisse gebührend gewürdigt und entsprechend eingeordnet. Das geschieht in profanen Zusammenhängen übrigens ganz genauso, oder war es etwa „ausgemacht“, daß die „Boston Tea Party“ zur „Unabhängigkeitserklärung“ und diese zur Gründung der „Vereinigten Staaten von Amerika“ führen und daß George Washington der erste „US-Präsident“ sein würde?
Doch zurück zur Geschichtsstunde unseres „Professors“. „Das dort [in Nizäa] formulierte (trinitarische) Glaubensbekenntnis ist bis heute in Geltung, obwohl es in den Jahrzehnten danach höchst umstritten war“, gibt er an. Das ist doch seltsam, oder? Daß etwas, was so sehr „umstritten“ war, sich seit nunmehr fast 1700 Jahren gehalten hat! Der „hochwürdige“ Herr vergißt auch hinzuzufügen, durch wen dieses Glaubensbekenntnis so „umstritten“ war: durch die Arianer, die von der Kirche als Häretiker verurteilt wurden. Indem er diese geflissentlich versäumt als solche zu kennzeichnen, gelangt er zu folgender Darstellung: „Zahlreiche Kirchenversammlungen mit gegenseitigen Verurteilungen und heftige Anfeindungen der Bischöfe untereinander, deren verwirrende Gemengelage auch versierte Expert*innen ins Trudeln geraten lassen, belegen alles – nur nicht eine Lehrautorität der Bischöfe.“
Zum Glück müssen wir uns nicht auf „versierte Expert*innen“ verlassen, sondern haben die „Lehrautorität der Bischöfe“ und vor allem des Papstes, denn sonst würden auch wir zweifellos „ins Trudeln geraten“. Wir wundern uns jedoch, wie rasant der hochgelehrte „Professor“ vom Konzil von Nizäa hinüberwechselt und sein Modell sogleich verallgemeinernd auf „zahlreiche Kirchenversammlungen“ extrapoliert. Dies ist ein fein ausgedachter Kniff, denn würde er bei konkreten historischen Fakten bleiben, könnte er seine folgenden Theorien, die wir noch sehen werden, in keiner Weise aufrecht erhalten. Wir jedoch wollen uns zunächst einmal mit den Tatsachen beschäftigen und bleiben bei dem „Exempel“, das der „Professor“ uns genannt hat: dem Nizäum und dem heiligen Athanasius. Gar viel ließe sich darüber sagen und schreiben, und gar viel ist auch schon darüber gesagt und geschrieben worden. Um nicht allzu ausschweifend zu werden, halten wir uns vor allem an die knappe und übersichtliche Darstellung aus dem eingeführten und allgemein anerkannten Standardwerk „Kleine Kirchengeschichte“ von August Franzen, herausgegeben von Remigius Bäumer (4. Aufl., Freiburg i.Br. 1988).
Arius und das Konzil von Nicäa
Den Hintergrund jener Episode bildet der Streit um Arius und dessen Irrlehren. Arius (um 260-336) war Priester in Alexandrien und geriet „mit seinem Bischof Alexander von Alexandrien in Konflikt, weil er in seinen Predigten“, aber auch anderswo eine unorthodoxe Christologie vertrat. „Der Logos“, so lehrte er, „sei nicht wahrer Gott; er sei vielmehr wesensmäßig ganz von ihm verschieden, weder ewig noch allmächtig, sondern zeitlich geschaffen, unvollkommen und leidensfähig. Zwar sei er das erste von allen Geschöpfen und den Menschen weit überlegen, darum könne man ihn einen Halbgott (Demiurg) nennen. Aber die Gottheit komme ihm nicht aus sich zu“ (S. 78). „Mit dieser Leugnung der Gottheit Christi stellte sich Arius außerhalb des Christentums“, bemerkt Franzen lapidar (ebd.), denn der Glaube an die Gottheit Christi ist nun einmal das Wesen des Christentums.
Die Kirche blieb nicht untätig. „Eine Synode zu Alexandrien verwarf seine Lehre als Häresie (318/19 oder 323) und schloß ihn aus der kirchlichen Gemeinschaft aus“ (ebd.). Soviel zur „Lehrautorität der Bischöfe“. Arius aber gab nicht auf und suchte sich Verbündete, wobei er „besondere Hilfe“ bei Bischof Eusebius von Nikomedia und dem Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea fand. Diese beiden setzten durch, daß er nach Alexandrien zurückkehren konnte, was im Gefolge in der Stadt zu „heftigen Auseinandersetzungen, zu Straßenaufläufen und nächtlichen Zusammenkünften“ führte (S. 79). Diese Unruhen konnten die zuständigen weltlichen Behörden nicht einfach so hingehen lassen. „Schließlich griff Konstantin ein und lud alle Bischöfe zu einer allgemeinen (ökumenischen) Synode nach Nizäa ein“ (ebd.).
Diese war insofern etwas ganz Besonderes, als es eine solche „allgemeine Synode“ der ganzen Kirche bis dahin nicht gegeben hatte, was seinen Grund nicht zuletzt darin hatte, daß die Kirche vor Konstantin gar nicht die Freiheit genossen hätte, eine solche Synode abzuhalten. Nun war es der Kaiser selbst, der sie zusammenrief, und zwar als „Reichssynode“, die jedoch nicht weltliche, sondern religiöse Angelegenheiten zu behandeln hatte und daher mit Bischöfen und Geistlichen besetzt war, nicht mit Reichsministerialen. Sie umfaßte jedoch das ganze römische Reich und damit praktisch die ganze Kirche, sie war im wahren Sinne „ökumenisch“, d.h. das „ganze Haus“, die „ganze bewohnte Welt“ betreffend.
Das Konzil tagte vom 20. Mai bis zum 25. Juli 325. „Der Kaiser hatte den Bischöfen des ganzen Imperiums kostenlos seine Post zur Verfügung gestellt. Die Angaben über die Teilnehmerzahl schwanken“ zwischen 220 und 318, die „zumeist aus der östlichen Reichshälfte“ kamen. „Aus dem Westen erschienen nur fünf Bischöfe.“ Der Westen war allerdings von den Unruhen auch nicht so betroffen. „Papst Silvester war wegen seines Alters nicht gekommen; er ließ sich durch zwei Presbyter vertreten. Manche Bischöfe trugen noch die Wundmale von der letzten Verfolgung an ihrem Körper“ (ebd.). Zweifellos war dies eine höchst denkwürdige Versammlung.
Auch Arius war geladen und „verteidigte seine Lehre“. „17 Bischöfe standen auf seiner Seite, darunter Bischof Eusebius von Nikomedia. Auch der junge Diakon Athanasius war in Begleitung seines Bischofs anwesend. Nach langen erregten Debatten siegte die rechtgläubige Partei.“ Diese „langen erregten Debatten“ dürfte Wintzek mit seiner „verwirrenden Gemengelage“ gemeint haben aus „gegenseitigen Verurteilungen“ und „heftigen Anfeindungen der Bischöfe untereinander“. Er unterschlägt nur, daß es sich dabei um den Kampf einer relativ kleinen, aber desto fanatischeren häretischen Partei gegen die Mehrzahl der rechtgläubigen Bischöfe handelte. Die Kirche (und Kaiser Konstantin) ließ übrigens diese Debatten in großer Freiheit vor sich gehen, ganz anders als das in unserer heutigen „freien Gesellschaft“ der Fall ist.
„Im sog. nizänischen Glaubensbekenntnis wurde die rechte Lehre definiert: Christus ist ‚aus dem Wesen des Vaters gezeugt als der Eingeborene, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, gleichwesentlich (homoúsios) mit dem Vater‘. Der Kaiser selbst teilte in einem Rundschreiben der ganzen Christenheit mit, daß Arius und seine Anhänger als die schlimmsten Feinde des wahren Glaubens aus der christlichen Kirche ausgestoßen und verbannt seien; er ordnete die Verbrennung ihrer Schriften an“ (ebd.). Wohlgemerkt: Der Kaiser ordnete dies an, nicht die Kirche! Jedenfalls ist die Geschichte des Konzils von Nizäa (wie übrigens auch die sonstiger „zahlreicher Kirchenversammlungen“) ein glänzender Beweis für das Wirken des Heiligen Geistes und die „Lehrautorität der Bischöfe“. Diese nämlich war es, die den Glauben zum Sieg führte und jenes Glaubensbekenntnis formulierte, das in der Kirche „bis heute in Geltung“ ist.
„Entscheidende Frage“
Der Herr „Professor“ aber bleibt bei seiner Sicht der Dinge. Er findet: „Angesichts dieser mit harten Bandagen ausgetragen Streitigkeiten muten die gegenwärtigen episkopalen Dissense geradezu harmonisch an, auch wenn sie die entscheidende Frage aufwerfen, wem im Kirchenvolk eigentlich Autorität zukommt.“ Aha, das ist also die „entscheidende Frage“: „wem im Kirchenvolk eigentlich Autorität zukommt“. Offensichtlich ist es nicht gelungen, diese „Frage“ in zweitausend Jahren Kirchengeschichte zu klären, obwohl es beständige Lehre und Praxis der Kirche war, ihre Autorität durch den Klerus, näherhin Papst und Bischöfe zu üben.
Ganz entgegen dem historischen Befund bildet sich Wintzek ein: „Es waren zur Zeit des Athanasius sicherlich nicht die kirchlichen Amtsträger, es waren auch nicht die staatlichen Autoritäten und es waren auch nicht die subtilen Argumente der theologischen Zunft, die auch heute noch die Fachwelt eher verwirren dürfte – und das Gros der Gläubigen nicht interessierte.“ Wenn alle diese es nicht waren, denen „im Kirchenvolk eigentlich Autorität zukommt“, wer war es dann? Und wenn die „subtilen Argumente der theologischen Zunft“ das „Gros der Gläubigen nicht interessierte“, wie kam es dann zu den großen Unruhen unter dem Volk, die ein Eingreifen der Autoritäten nötig machten?
Der „Professor“ gibt zur Antwort: „Was interessierte, war die Kernsubstanz des Glaubens, dass Gott als ‚für uns Menschen und zu unserem Heil‘ entschieden ist, dass er sich als er selbst uns zuwendet – und nicht mittels eines Mittlers, der nur ‚ein bisschen Gott‘ ist. Und in der Tat: Es war das Kirchenvolk, nicht die episkopalen Autoritäten, dem die entscheidende Rolle zukam, indem die Gläubigen sich als Souverän erwiesen.“ Da schau! Das „Kirchenvolk“ war der eigentliche „Souverän“! Es waren „die Gläubigen“, denen „die entscheidende Rolle zukam“! Aber war denn das „Kirchenvolk“ auf dem Konzil von Nizäa versammelt, waren es die „Gläubigen“, die dort debattierten und entschieden? Oder waren es nicht doch die Bischöfe? Und ist es die „Kernsubstanz unseres Glaubens“, daß Gott „sich selbst uns zuwendet“ und „nicht mittels eines Mittlers“? Oder ist es nicht so, daß der menschgewordene Gottessohn als „Mittler“ beim Vater für uns eintritt, obwohl oder gerade weil Er zugleich Gott und Mensch ist? Und daß Er Seine Mittlerschaft auf Seine heiligste Mutter und die heilige Kirche ausgedehnt hat, sie daran teilhaben läßt und uns dadurch eine Art Leiter gebaut hat, um uns zu Ihm und damit zu Gott zu erheben? Der Verzicht auf jeden geschöpflichen „Mittler“ ist gut protestantische Lehre, aber nicht die des Konzils von Nizäa.
Der noch katholische – wenngleich bereits vom „Reformkatholizismus“ angesteckte – Dogmatiker Karl Adam (1876-1966) gab in seinem Buch „Der Christus des Glaubens“ (Düsseldorf 1954) eine ausgezeichnete Darstellung der christologischen Kämpfe. Dort schreibt er: „Die Geschichte des Arianismus, von außen gesehen ein häßliches Bild unchristlichen Haders und öder Parteikämpfe, ist von innen gesehen ein Erweis des Geistes und der Kraft im Christentum, ein immer erneutes, nach all seinen Tiefen ausgeschöpftes Bekenntnis: ‚Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!‘“ (S. 34). Er führt aus: „Die bedeutendsten Gegner des Arianismus waren Alexander, der Bischof von Alexandrien, und zumal sein Diakon Athanasius.“ Also nicht „das Kirchenvolk“? „Athanasius hatte sofort die bedenklichen Folgen erkannt, die sich aus der Lehre des Arius ergaben“ (ebd.). Diese betrafen zunächst das Dogma von der heiligsten Dreifaltigkeit, ein Gott in drei Personen, das auch Hauptgegenstand des „Athanasischen Glaubensbekenntnisses“ ist. „Das entscheidende Bedenken gegen Arius lag aber für Athanasius in der Erlösung der Menschen“ (S. 35). „Seine ganze Christologie ist von der Frage beherrscht: wie ist Erlösung möglich? Ist Christus nicht Gott, so ist alle Erlösungshoffnung auf Sand gebaut, denn nur Gott kann den Menschen erlösen. Es war Athanasius“ – und nicht „den Gläubigen“ – „zu danken, daß das Konzil von Nizäa“ – und nicht „das Kirchenvolk“ – „im Jahre 325 die Gleichwesentlichkeit des Sohnes mit dem Vater (…) dem zweiten Artikel des Apostolikums einfügte“ (ebd.).
„Die Geschichte ist Lehrmeisterin“
Was interessiert das einen „Dogmatikprofessor“ von heute? Er hat andere Gewährsmänner wie den „2019 heiliggesprochene(n) John Henry Newman“, jenen einst anglikanischen Konvertiten, der wohlweislich zwar Theologe und Schriftsteller, aber kein Dogmatiker war. „In den 1860er Jahren“ hat dieser „nicht zuletzt im Blick auf die Zeit des Athanasius einen wegweisenden Artikel“ verfaßt, der Herrn Wintzeks Wohlgefallen fand, mit dem Titel „Über das Zeugnis der Laien in Fragen der Glaubenslehre“. Die Quintessenz dieses Artikels faßt Herr Wintzek wie folgt zusammen: „Belehrt durch die geschichtlichen Fakten steht für ihn [Newman] fest, dass ‚die der unfehlbaren Kirche anvertraute göttliche Tradition weit mehr durch die Gläubigen als durch den Episkopat verkündet und aufrechterhalten wurde‘.“
Das erstaunt angesichts der „geschichtlichen Fakten“ unseres eigenen Befunds, die eindeutig belegen, daß es der „Episkopat“ war, der „die der unfehlbaren Kirche anvertraute göttliche Tradition … verkündet und aufrechterhalten“ hat. Das vom Konzil verabschiedete Glaubensbekenntnis wurde von den dort versammelten Bischöfen in großer Einmütigkeit bestätigt. „Sämtliche Bischöfe, nur fünf ausgenommen, erklärten sich ungesäumt zur Unterschrift dieses Symbolums bereit“, berichtet „Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon“ (9. Band, Freiburg i.Br. 1895, Sp. 231). Zu den Ausnahmen gehörte erwartungsgemäß Bischof Eusebius von Nicomedien. Zuletzt unterschrieb jedoch auch er mit zwei weiteren, die zunächst nicht unterschreiben hatten wollen, sodaß am Ende nur zwei Bischöfe verblieben, die nicht dem nicänischen Symbolum zustimmten und „samt Arius, dessen Schriften mit dem Anathem belegt wurden, aus der Kirche ausgeschlossen“ wurden. Ein beeindruckendes Zeugnis für das, was Wintzek seltsamerweise nicht erkennen kann: „die Lehrautorität der Bischöfe“. Damit ist auch die „entscheidende Frage“, „wem im Kirchenvolk eigentlich Autorität zukommt“, einmal mehr beantwortet, wie die Kirche sie zu allen Zeiten beantwortet hat: dem Papst und den Bischöfen.
Wintzek hingegen entnimmt der Lehre seines Gewährsmanns Newman die Folgerung: „Der hier angesprochen [sic!] ‚sensus fidelium’ mag weit gefächert sein, doch dürften im Kern die Gläubigen hinsichtlich der Gegenwartstauglichkeit der Kirche den Lehrämtlern dergestalt den Spiegel vorhalten, dass sie mit den Füßen abstimmen. Deswegen: Episkopen, die Geschichte ist Lehrmeisterin!“ Eine klare Kampfansage an die „Episkopen“ und „Lehrämtler“ und eine deutliche Aufforderung an die „Gläubigen“, die „Kirche“ mangels „Gegenwartstauglichkeit“ (Stichworte „Zöllibat“, „Frauenpriestertum“, „Geschlechtsmoral“ etc., wir kennen das ja) zu verlassen! Wie wir eingangs schon sagten, ist dies tatsächlich die logische Konsequenz aus den Einlassungen des „Professors“. Wahrscheinlich hielt „katholisch.de“, das bekanntlich von den deutschen „Episkopen“ finanziert wird, die Sache deswegen für etwas heikel und jenes „Disclaimers“ wert, wonach dieser „Standpunkt“ „ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors“ widerspiegelt.
Einmütigkeit aller Fraktionen
Der „katholische Dogmatikprofessor“ Wintzek erweist sich mit seinen Ausführungen als guter Protestant. Allerdings liegt er mit seiner Lehre ganz auf der Linie von „Papst Franziskus“ und seiner „Synodalen Kirche“. Denn „in dieser Kirche findet sich“ nach den erlauchten Worten Bergoglios „die Spitze wie bei einer auf den Kopf gestellten Pyramide unter der Basis“. Er berief sich dabei auf „Lumen Gentium“ des „II. Vatikanums“, welches „bekräftigt hatte, dass das Volk Gottes aus allen Getauften besteht, die berufen sind, ‚einen geistigen Bau und ein heiliges Priestertum‘ zu bilden“, und verkündete: „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie ,von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien‘ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert‘. Jenes berühmte: ‚in credendo‘ unfehlbar.“ Dazu erläuterte „Franziskus“: „Der Sensus fidei verbietet die strenge Unterteilung in ‚Ecclesia docens‘ und ‚Ecclesia discens‘, da auch die Herde einen eigenen ‚Spürsinn‘ hat, um die neuen Wege zu erkennen, die der Herr der Kirche offenbart.“ Bei seinem „Papst“ rennt Wintzek somit offene Türen ein.
Doch auch die „Traditionalisten“ müßten ihm freudig entgegeneilen, ist doch die Lehre vom „sensus fidelium“ ein beliebter Topos in ihrem Standard-Repertoire, um ihr „Recognize and Resist“ zu rechtfertigen. Der „Vorzeige-Traditionalist“ und Professor für Kirchengeschichte Roberto de Mattei beispielsweise führte in einem Vortrag in Florenz vor einigen Jahren einmal aus: „In der Kirche gibt es jedoch nur eine Unfehlbarkeit, an welcher alle ihre Mitglieder in einer organischen und verschiedenen Weise teilhaben, jeder gemäß seinem kirchlichen Amt. Einzelne Christen können in Glaubenssachen irren, sogar wenn sie die höchsten kirchlichen Ämter innehaben, aber nicht die Kirche als solche. Sie ist immer unbefleckt in ihrer Lehre.“ Diese Unfehlbarkeit manifestiere sich im „sensus fidelium“, dem Glaubensinstinkt der Gläubigen, über welchen der Professor dann des langen und breiten handelte.
Diese erfreuliche Einmütigkeit zwischen „Franziskus“, dem protestantisch geprägten „Dogmatik-Professor“ auf „katholisch.de“ und den „Traditionalisten“ gibt uns die schönste Hoffnung auf Eintracht und Frieden zwischen allen Fraktionen der Menschheitskirche und eine baldige echte „Ökumene“ unter dem einen Dach der „Synodalen Kirche“, sobald die Schwierigkeiten mit der „TLM“ („Traditionelle Lateinische Messe“) überwunden sein werden. Der „sensus fidelium“, der „Glaubenssinn“, ist halt so verschieden wie die Geschmäcker. Warum soll man nicht jedem den seinen lassen, solange nur Übereinstimmung in der „entscheidenden Frage“ besteht, daß es allein auf den „Glaubensinstinkt“ des „Kirchenvolks“ ankommt und nicht auf „Lehrämtler“ und „Episkopen“? Denn bei ihm, dem „sensus fidelium“, liegt die eigentliche „Autorität im Kirchenvolk“.