Im Laufe der vielen Sonntage nach Pfingsten gibt es vor allem zwei, die sich ganz besonders mit dem Verhältnis des Alten zum Neuen Bund beschäftigen, es sind das der 12. und 13. Sonntag nach Pfingsten.
Der Sonntag des Neuen Bundes
Will man dem 12. Sonntag nach Pfingsten einen Namen geben, so sagt man wohl am treffendsten: Es ist der Sonntag des Neuen Bundes. Vor allem durch die Lesung wird dieser Name nahegelegt. Der hl. Paulus geht im 2. Korintherbrief auf den scharfen Kontrast ein, der zwischen dem Alten und dem Neuen Bund besteht. Er möchte die außerordentliche Würde des Neuen Bundes hervorheben, indem er zeigt, demgegenüber war der Alte Bund nur Schatten, er war nur Vorgeschichte und Vorbereitung auf das Eigentliche, auf das, worauf es letztlich ankommt. Auch uns tut es zuweilen ganz gut, diesen Schatten zu betrachten, der die Erlösung nur vorbildet, um das Eigentliche wieder besser verstehen und wertschätzen zu lernen.
Für die Gerechten des Alten Bundes gab es noch keine Erlösung, keinen Himmel, der offen stand, sondern nur Gnade im Voraus, Gnade als Angeld auf das, was erst noch kommen, erst noch geschehen mußte.
Die Gnade im Alten Bund wurde sozusagen als Vorschuß, aufgrund des Glaubens an den verheißenen Erlöser gewährt, auf denjenigen, der kommen wird, Israel zu retten. Der hl. Paulus erklärt nun, der Alte Bund sei ein Dienst des Todes gewesen, mit Buchstaben in Stein eingegraben. Dieses in Stein eingegrabene Gesetz konnte zwar aus der Sündenschuld nicht retten, aber es konnte Anteil an der Rettung gewähren, die sicher kommen würde. Es stand ja Gott hinter diesem Bund und den Versprechen, die er den Menschen machte. Es waren letztlich schon große Versprechen, wie uns die Heiligen des Alten Bundes sichtbar machen. Denken wir nur etwa an Abraham und Moses oder an die Propheten Elias, Isaias, Jeremias und Daniel, an den König David und die sieben makkabäischen Brüder.
Es war selbst dieser Schatten-Bund schon mit einer solchen Herrlichkeit umkleidet, daß die Söhne Israels dem Moses nicht ins Angesicht schauen konnten wegen des Glanzes auf seinem Antlitz. Wenn man das einmal ernsthaft bedenkt, erfüllt einem allmählich eine Ahnung von der allzeit währenden göttlichen Huld. Es war ein überaus großer, wenn auch vergänglicher Glanz, der dennoch die Söhne Israels erschaudern ließ. Und das umso mehr, als Moses aus der Wolke kam, in der Gott auf dem Berg Sinai mit ihm geredet hatte. Ja, Moses war damals ganz bei Gott, er wurde ganz erfüllt von dessen heiligster Gegenwart. So sehr erfüllte ihn schließlich die Herrlichkeit Gottes, daß sein Antlitz sichtbar zu leuchten begann, um vor dem auserwählten Volk von Gottes Allheiligkeit Zeugnis abzulegen. Der Mensch aber erschaudert vor der Herrlichkeit Gottes, läßt sie ihn doch sein sündhaftes Nichts umso schmerzhafter empfinden.
Die Erfüllung der Sehnsucht des Alten Bundes
Dabei war all das, wie wir schon angemerkt haben, nur Schatten, es war nur Vor-Geschichte der eigentlichen heiligen Geschichte, die schließlich den Dienst des Geistes begründet hat. Nun, wie sollte dieser Dienst des Geistes und nicht des Buchstabens nicht noch viel herrlicher Sein als der Schattendienst des Alten Bundes? Ja, wie viel reicher an Herrlichkeit muß der Dienst sein, der nicht zur Verurteilung, sondern zur Rechtfertigung führt!
Über diesen alles überragenden Reichtum an Herrlichkeit gibt uns das hl. Evangelium Auskunft, das mit der wunderbaren Seligpreisung beginnt: „Selig die Augen, die sehen, was ihr seht! Denn Ich sage euch, viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen, und hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.“
Die Propheten und Könige des Alten Bundes haben sich danach gesehnt zu sehen, was wir sehen und zu hören, was wir hören und sie haben es nicht gesehen und gehört. Was aber sehen unsere Augen, was uns über alles selig macht und was hören unsere Ohren, so daß wir vor Glück jauchzen? Sie sehen und hören Jesus! ER ist unsere Seligkeit, unsere alles überragende Seligkeit. ER ist auch die Verheißung des ganzen Alten Bundes, ER ist die alles Denken übersteigende Erfüllung all dessen, was Gott Seinem Volk versprochen hat. Der hl. Laurentius von Brindisi erklärt in seiner neunten Predigt über die Sendung des Engels:
„Im Himmel selbst hast du deine Wahrheit gefestigt, auf dass du deine Verheißungen erfülltest: Ich habe mit meinen Auserwählten einen Bund geschlossen, habe David, meinem Diener, geschworen (Ps 88,4) – siehe, das sind die Verheißungen, bis in Ewigkeit werde ich dir einen Samen bereiten (Ps 88,5) – Christus, den Samen, den Sohn Abrahams und Davids; und von Geschlecht zu Geschlecht werde ich deinen Sitz errichten (Ps 88,5) – den Thron des Königs. Und wiederum: Ich will seine Nachkommenschaft dauern lassen auf ewig, und seinen Thron gleich den Tagen des Himmels (Ps 88,30). Und zum Dritten: Einmal habe ich bei meiner Heiligkeit geschworen und werde ihn nicht täuschen: Seine Nachkommenschaft soll ewig dauern, und sein Thron sei gleich der Sonne vor meinem Angesicht und gleich dem Mond, der vollendet ist in Ewigkeit, und der Zeuge im Himmel ist getreu (Ps 88,36-38). Ebenso spricht heute der Engel: Dieser wird groß sein und Sohn des Allerhöchsten heißen. Und Gott der Herr wird ihm den Thron Davids geben, seines Vaters, und er wird herrschen über das Haus Jakob in Ewigkeit, und seines Reiches wird kein Ende sein (Lk 1,32-33).“
(Hl. Kirchenlehrer Laurentius von Brindisi, Mariale, Marianische Homilien 1.Teil. Aus dem Lateinischen übersetzt und herausgegeben von Daniel Otto, Eigenverlag Schellenberg 2021, S. 154)
MARIA, die Pforte des Himmels
Wer hat somit diese Seligpreisung mehr empfunden als Maria, Seine Mutter? An wem hat sich diese Verheißung mehr erfüllt als an der makellosen Jungfrau und Gottesmutter? Maria ist darum über alle seligzupreisen, weil sie über alle hinaus geglaubt hat, daß an ihr in Erfüllung gehen wird, was ihr vom Herrn gesagt wurde. Darum durfte sie Jesus nicht nur sehen und hören, nein, sie durfte ihn in den Armen halten, IHN liebkosen, IHN ernähren, durfte Tag für Tag an Seiner Seite leben – sie durfte IHN Sohn nennen und ER nannte sie Mutter! Läßt einem das nicht erschaudern, wenn Gott zu einem Menschen „Mutter“ sagt?
Es ist gewiß wahr: Niemand erkannte die Herrlichkeit des Neuen Bundes so wie Maria. Niemand sah das göttliche Licht so hell leuchten wie sie und niemand hörte die göttliche Wahrheit in den Worten Jesu so klar und verständlich erklingen wie sie, die weiseste Jungfrau. Darum heißt es auch von Maria: „Maria aber bewahrte und erwog alle diese Dinge in ihrem Herzen.“ (Lk 2, 19) Unendlich reich war Maria in ihrem Herzen an göttlichen Gedanken und Wünschen. Ihre Gedanken und Wünsche kreisten nämlich ganz und gar um JESUS und Sein gottmenschliches Werk der Erlösung.
Vergessen wir zudem nicht, allein durch Maria wird uns diese ganz neue Art der Seligkeit im Neuen Bund ermöglicht. Denn derjenige, den wir mit unseren Augen sehen und mit unseren Ohren hören, ist der Sohn Mariens. Letztlich hat sie uns diese Seligkeit des Schauens und Hörens geschenkt, indem sie den Sohn Gottes als Menschen zur Welt brachte. Maria mahnt uns deswegen ununterbrochen: Schaut auf Jesus und hört auf Seine Worte, denn ER allein kann und wird euch die Herrlichkeit Gottes offenbaren. Versichert uns doch Jesus selbst: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. Wer aber mich liebt, den wird mein Vater lieben, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.“ (Joh 14, 21) Und: „Wer mich liebt, wird mein Wort bewahren; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ (Joh 14, 23)
Der Schlüssel zur Herrlichkeit Gottes
Es zeigt sich also, der Schlüssel zur Herrlichkeit Gottes ist die Gottesliebe. Wenn wir Gott lieben, wird ER sich uns offenbaren, ja ER wird sogar zusammen mit Seinem himmlischen Vater Wohnung bei uns nehmen. Wie unaussprechlich groß muß diese Seligkeit sein?!
Dieser alles überragenden Herrlichkeit entsprechend gibt es im Neuen Bund auch ein neues Gesetz: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, aus allen deinen Kräften und aus deinem ganzen Gemüte, und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Das ist ganz schön viel an „ganz“: ganzem Herzen, ganzer Seele, ganzem Gemüte und aus allen Kräften! – Sind wir tatsächlich so ganz in unserer Liebe zu Gott? Hängen wir IHM so ganz mit allen unseren Kräften an, daß wir Seine Herrlichkeit spüren? So spüren, wie sie Maria erspürt hat, was sie uns im Magnificat offenbart: „Hoch preiset meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlocket in Gott, Meinem Heiland…“
Der barmherzige Samariter
Das hl. Evangelium erklärt unsere Seligkeit noch anhand des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. Dieser war der Nächste von dem gewesen, der unter die Räuber gefallen war, weil er ihm Barmherzigkeit erwies. Sobald wir erkennen, Jesus ist der barmherzige Samariter, wird unsere Seligkeit sicherlich noch viel größer und wir beginnen IHN in dessen Worten und Taten zu hören und zu sehen. Jesus ist der Fremdling, der vom Himmel herabkommt, um uns göttliche Barmherzigkeit zu erweisen, weil nämlich der Alte Bund – der Priester und der Levit! – uns Menschen, die wir aus eigener Schuld durch unsere Sünden unter die Räuber gefallen sind, gar nicht helfen können. Führte doch, wie uns der hl. Paulus belehrt hat, der Alte Bund nur zur Verurteilung und nicht zur Rechtfertigung. Wenn aber Jesus kommt, sieht er uns halbtot in unseren Sünden daliegen, Er gießt Öl und Wein in unsere Sündenwunden – indem ER uns die hl. Sakramente schenkt – verbindet unsere Wunden und legt uns auf Sein Lasttier, womit ER uns in die Herberge bringt, das ist die hl. Kirche. Dort werden wir versorgt, bis ER wieder kommt. Und ER zahlt für alles: „Sorge für ihn; was du noch darüber aufwendest, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme!“
Die Erfüllung der göttlichen Verheißung in der Kirche
So hat unser göttlicher Erlöser bestens für alles gesorgt. ER hat uns Seiner Kirche anvertraut, damit sie uns heilt von unseren Sünden und auf dem Weg zur ewigen Heimat sicher geleitet. Wie reichlich sind wir also von unserem barmherzigen Samariter versorgt worden! Demgemäß erklärt die Communio: „Von der Frucht Deiner Werke, o Herr, wird satt die Erde. Du lässest Brot der Erde entsprießen, und des Menschen Herz erfreuet der Wein; das Öl gibt seinem Antlitz heiteres Leuchten, und Brot macht stark des Menschen Herz.“
Diese Worte stammen aus dem Psalm 103, also aus dem Alten Bund. Aber erst im Neuen Bund erhalten sie ihren Vollsinn. Das Brot, das unsere Herzen stark macht, ist die hl. Kommunion und die hl. Sakramente lassen auf unserem Antlitz ein heiteres Leuchten erstrahlen. Denn anders als im Alten Bund blendet die Herrlichkeit Gottes unsere Augen nicht mehr, weil nämlich der wahre Sohn Gottes wahrer Mensch geworden ist. Weil das so ist, sollen wir auch umso heiliger leben, um der vielfältigen und unerschöpflicher Gnade würdig zu werden. Hören wir nochmals den hl. Laurentius von Brindisi:
„Gott ist in seinen Verheißungen der Treueste und Wahrhaftigste. Er verhieß der Welt den Messias, dass er seinen einzigen Sohn als Erlöser und Erretter des Menschengeschlechtes senden werde. Heute wurde diese göttliche Verheißung erfüllt, was unbegreiflich und unaussprechlich scheint; daher sagt er: Wird nicht jemand zu Sion sagen: Er ist sowohl als Mensch in ihr geboren, hat sie aber auch selber als der Höchste gegründet? (Ps 86,5). Denn, sagt er, vermag es ein Mensch, das Geheimnis der Menschwerdung des Wortes mit Worten einzuholen? Der Herr erzählt es in den Verzeichnissen der Völker (Ps 86,6): Gott selbst wird die Menschen von dieser Wahrheit überzeugen, am meisten die Auserwählten, die in seinem Buch aufgeschrieben sind, wie ein Herrscher die Soldaten des Heeres aufschreibt. Er wird erzählen, sage ich, dass dieser Gott und Mensch dort geboren wurde.“ (Ebd. S. 154 f.)
Das göttliche Opferlamm
Weil im Aufleuchten der göttlichen Herrlichkeit in Jesus Christus unsere Sünden umso deutlicher aus dem Schatten ans Licht treten und umso schwerer auf unserer Seele lasten, schauen wir auf den Moses des Neuen Bundes, der als Mittler und Fürsprecher vor dem Vater steht, wie es im Offertorium berichtet wird:
„Moses flehte vor dem Angesicht des Herrn, seines Gottes, uns sprach: ‚Herr, was zürnst Du Deinem Volke? Halt ein mit dem Zorne Deines Herzens, gedenke Abrahams, Isaaks und Jakobs, denen Du geschworen, das Land zu geben, das von Milch und Honig fließt.‘ Und besänftigt, hielt der Herr das Unheil zurück, das Er angedroht Seinem Volke.“
Wie wunderschön könnte – müßte! – unsere Menschenwelt sein, wenn wir uns ganz der Fürsorge des barmherzigen Samaritaners und Seiner hl. Kirche anvertrauen würden – was freilich in dieser papstlosen Zeit gar nicht mehr so einfach ist.
Das zu bedenken ist für jeden Katholiken letztlich unumgänglich, will er sich nicht plötzlich im falschen Schafstall wiederfinden, wo sich lauter Böcke befinden. Wir Katholiken wissen, unser Herr Jesus Christus hat als unser Erlöser den Zorn Gottes auf sich genommen, als er am Kreuz zur Sühne für unsere Sünden starb. Durch Sein gottmenschliches Sühneleiden hat ER den himmlischen Vater besänftigt, so daß dieser das Unheil zurückhielt, das die Menschen durch ihre Sünden auf sich gezogen haben. ER hat nicht nur den Zorn Gottes zurückgehalten, ER hat uns darüber hinaus durch die Verdienste Seines gottmenschlichen Lebens und Leidens die Gnade wiedererlangt, Kinder Gottes sein zu können – „…die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Wollen des Fleisches und nicht aus dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ (Joh. 1, 13) Als der vom Himmel kommende barmherzige Samariter heilt ER unsere Sündenwunden und als ewiger Hohepriester bringt ER in jeder hl. Messe das Sühnopfer bis zum Ende der Welt dar, sodaß wir nicht nur Kinder Gottes genannt werden, sondern es auch tatsächlich sind (vgl. 1 Joh. 3, 1)!
Das Opfer des Neuen Bundes
Auch im Neuen Bund muß für unsere Sünden Tag für Tag Sühne geleistet werden, weil nämlich die Menschen auch nach ihrer Taufe Sünder bleiben. Deswegen stehen die Priester des neuen Bundes täglich als Stellvertreter des ewigen Hohenpriesters am Opferaltar, um Gott die gebührende Ehre und Dank zu erweisen, für das Volk Fürsprache einzulegen und Sühne für ihre Sünden zu leisten.
Sobald jedoch die Sünde überhandnimmt, wie es für die Endzeit vorausgesagt ist, zerbricht die Gnadenwelt wieder und das Geheimnis der Bosheit wird offenbar, wie wir es nunmehr schon seit Jahrzehnten erleben. Unsere Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus zeigt sich darum vornehmlich in unserer Liebe zur Wahrheit.
Der apostolische Eifer des hl. Hilarius
Kardinal Pie von Poitiers weist in seiner Predigt vom 18. Januar 1852 auf das Vorbild des hl. Hilarius hin, der in den Zeiten der arianischen Wirren wie der barmherzige Samariter die Gefährdeten gestärkt und zugleich den Irrlehrern mutig entgegengetreten ist:
„Meine Brüder, in diesen heißen und ständigen Kämpfen, die eine traurige Notwendigkeit der Kirche Jesu Christi auferlegt, – Sie begreifen es – verbinden und verschmelzen sich die Liebe und der Eifer für die Wahrheit und den Glauben mit dem Geist der Liebe selbst, wie ihn der heilige Paulus so treffend nannte. Nach allem, wenn die Kirche, wenn ihre Bischöfe und ihre Lehrer Widerstand leisten und kämpfen müssen, dann stets mit den Rücksichten auf und den heiligen Bemühungen um die Brüder; im Blick auf das große und höchste Ziel hat sich das Herz des sterbenden Erlösers selbst als Preis seines Opfers vorgenommen, die Seelen für die Ewigkeit wiederzugewinnen und zu retten. …
Die Welt dem Irrtum zu entreißen, um sie vor dem ewigen Verderben zu bewahren, dies war also der Gedanke, die Liebe des Hilarius, wahre Liebe, die Menschen zu lieben wie Jesus Christus sie geliebt hat; seine Brüder zu lieben, die Seelen seiner Brüder, wie man sich selbst lieben soll für das ewige Ziel und Heil. Alles in der heiligen Hierarchie, in der katholischen Lehre, im apostolischen Eifer, alles ist beseelt, geheiligt durch dieses göttliche und oberste Ziel. Darin besteht der letzte Grund der Kämpfe der Kirche und die Gesinnung ihrer Kinder, wie ihrer Priester und ihrer Bischöfe; von dieser Art war der Charakter des Eifers und der Entschlossenheit Hilarius, das heilige Bündnis der Barmherzigkeit und der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens, um die Seelen zu retten durch die Verherrlichung Gottes unseres Herrn.“ (Kardinal Pie von Poitiers / Nachfolger des hl. Hilarius. Ausgewählte Texte hrsg. von Michael Fiedrowicz, Carthusianus Verlag 2014, S. 85 f. – in der Folge: Kardinal Pie)
Wie jeder leicht einsehen wird, braucht es das heute, in dieser papstlosen Zeit, mehr als alles andere: …das heilige Bündnis der Barmherzigkeit und der Wahrheit, der Gerechtigkeit und des Friedens, um die Seelen zu retten durch die Verherrlichung Gottes unseres Herrn.
Zeugnis ablegen für Christus und Seine Kirche gegen das gottlose Wüten der Häresie
Angesichts der eigenen Schwachheit und der überaus schwierigen Lage können wir unseren göttlichen Heiland nur immer wieder um diese Liebe zur Wahrheit bitten, die doch letztlich ER ist! In der Kraft dieser Liebe gilt es sodann, inmitten dieses Neuheidentums Zeugnis abzulegen für die göttliche Wahrheit, für JESUS. Wie damals der hl. Hilarius gegen die Arianer aufgestanden ist, um die kirchliche Lehre von der Gottheit Jesu Christi zu verteidigen, treten auch wir heutzutage den modernistischen Irrlehrern entgegen. Im sechsten Buch „Über die Dreifaltigkeit“ beschreibt er seine menschlich gesehen aussichtslose Lage und die Verschlagenheit der Feinde:
„Ich bin mir sehr wohl bewußt, sagt er, daß ich in den schwierigsten und härtesten Zeiten schreibe, und gegen das gottlose Wüten der Häresie… Diese Pest hat fast alle Provinzen des Reiches infiziert… Und dieser Irrtum einer großen Zahl ist der schlimmste und der gefährlichste …
Mit unglaublichen Schlichen eines korrumpierten Geistes hat die Raffiniertheit der Häretiker ringsum operiert: Zuerst hat sie Gläubigkeit vorgegeben, dann die Arglosigkeit aller einfachen Zuhörer mit Worten getäuscht; hierauf hat sie sich an die Weisheit der Welt angepaßt, und schließlich hat sie die Erkenntnis der Wahrheit durch das Vorbringen eines Scheingrundes vereitelt. Indem sie laut die Einheit Gottes verkündet, hat sie eine gläubige Gesinnung vorgelogen; indem sie andererseits einen Sohn Gottes bekennt, hat sie die Hörer mit Hilfe des Namens getäuscht. Indem sie seine Existenz vor seiner Geburt leugnet, hat sie der Weltweisheit zu Gefallen gehandelt; indem sie auch die Unveränderlichkeit und Unkörperlichkeit Gottes lehrt, hat sie durch die Verwendung eines Trugschlusses die Geburt Gottes aus Gott ausgeschlossen. Unsere Lehren verwendet sie gegen uns und mit dem Glauben der Kirche kämpft sie gegen den Glauben der Kirche. Damit hat sie uns in eine ganz große Gefahr gebracht, ob wir nun antworten oder schweigen, da sie gerade durch die nicht geleugneten Lehren das Geleugnete lehrt.“ (Hilarius, trin. 7,1 (PL 10,199))
Wenn das keine äußerst zutreffende Beschreibung unserer Lage und zugleich des überall dominierenden Modernismus ist: Damit hat sie uns in eine ganz große Gefahr gebracht, ob wir nun antworten oder schweigen, da sie gerade durch die nicht geleugneten Lehren das Geleugnete lehrt.
Trauriger Eigensinn des Geistes des Irrtums
Dabei sind letztlich die größten Feinde der Wahrheit die Konservativen und Traditionalisten, die in der Tat gerade durch die nicht geleugneten Lehren das Geleugnete lehren, also sich durch ihren Konservatismus und Traditionalismus zu Steigbügelhaltern des Modernismus machen lassen – und sich dabei felsenfest einbilden dadurch – im beständigen Widerstand gegen den Felsen Petri!!! – die Tradition zu retten. Da kann man nun wirklich nur noch den barmherzigen Samariter um Erbarmen bitten und darum flehen, daß man selbst nicht unter diese Art von Räubern fällt. Kardinal Pie klagt in seiner Predigt:
„Ach! Er fragt auch und klagt, warum denn all diese bedauerlichen Widersprüche, die dem Glauben an die Gottheit Jesu Christi entgegengesetzt werden, warum diese unglücklichen Bemühungen, dem Guten, dem Wahren, die Gerechtigkeit, dem Frieden zu widerstehen? Er antwortet: ‚Die Hartnäckigkeit der Willen verdunkelt und lähmt die Vernunft; man denkt, man glaubt das, was man will, nicht das, was ist; der Hochmut, die Leidenschaften sind blinde Führer, die nur in den Abgrund führen.‘
Trauriger Eigensinn des Geistes des Irrtums; wie oft hätten nicht schlichte und wahre Demut, die Unterwerfung des Herzens unter Gott die Pfade der Häresie des Lasters wieder geradegerichtet! Man regt sich auf, man ist halsstarrig, man braust auf, man richtet sich mit der ganzen Größe seiner Wut und seiner Verrücktheit auf; die Wahrheit entschwindet, man kann sie nicht mehr erkennen und ergreifen.“ (Kardinal Pie, S 89)
Dieselbe Gesinnung schreibt der hl. Pius X. den Modernisten in ihr Stammbuch:
„Aber bei weitem wirkungskräftiger den Geist zu verblenden und in Irrtum zu führen, ist der Hochmut. Er ist in der Lehre des Modernismus gleichsam zu Hause; aus ihr empfängt er Nahrung und zeigt sich nach allen Seiten. Hochmut ist es, wenn die Modenisten verwegen auf sich selbst vertrauen, sich gleichsam für die Gesetzgeber der ganzen Welt halten. Hochmut ist ihre eitle Ruhmsucht, als wenn sie die Wahrheit allein gepachtet hätten, stolz und aufgeblasen sprechen sie: ‚Wir sind nicht wie die übrigen Menschen‘, um mit diesen nicht verglichen zu werden, vertreten und erträumen sie allerlei Neuigkeiten, mögen sie noch so abgeschmackt sein. Hochmut läßt sie allen Gehorsam abwerfen und Autorität mit Freiheit zu verbinden suchen. Hochmut läßt sie sich selbst vergessen und nur an die Reformation anderer denken, Respekt haben sie vor keiner Rangstufe, auch nicht vor der höchsten Gewalt. Kein Weg führt kürzer und leichter zum Modernismus als der Hochmut. Wenn ein Katholik aus dem Kreise der Laien oder auch ein Priester das christliche Lebensgebot vergißt, sich selbst zu verleugnen, wenn man CHRISTO folgen will, und er den Hochmut nicht aus seinem Herzen reißt – der ist wie geschaffen für die Irrtümer der Modernisten!“ (Enzyklika Pascendi Dominici gregis über den Modernismus vom 8. September 1907, Nr. 40)
Bei so viel Unvernunft und Hochmut können wir den barmherzigen Samariter nur aus ganzem Herzen anflehen: „Herr, erbarme Dich unser!“ Denn, wie Kardinal Pie feststellt: „Wären wir auf uns allein gestellt und wäre Gott nicht mit uns, wäre Gott nicht unter uns, gäbe es da wirklich noch Christen und das Christentum zu dieser Stunde? Unsere einzige Stärke, unser einziger Halt besteht darin, fest im Glauben zu bleiben, gestützt auf die göttliche Barmherzigkeit, im Wissen, daß jener treu ist, der gesagt hat: ‚Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeiten‘ (Mt 28,20); und da wir spüren, wie er unter uns wohnt, bringen wir ihm all unsere Freuden dar.“ (Kardinal Pie, S. 266)
Gesetz und Verheißung
Der 13. Sonntag nach Pfingsten ist ein ganz besonderer Perlentauchersonntag. Er ist dies erstens, weil wir an diesem Sonntag die schwierigste Lesung des ganzen Kirchenjahres lesen, wobei es einem direkt schwindelig wird, wenn man dem hl. Paulus zuhört, wie er erleuchtet vom Heiligen Geist über das Gesetz und die Verheißung spricht; und zweitens, weil sodann das hl. Evangelium diese schwierigste Lesung in glücklichster Weise ergänzt und erklärt, was man freilich erst einmal erkennen und sodann auch noch recht verstehen lernen muß.
Das Verhältnis zwischen Altem und Neuen Bund
Aber beginnen wir mit der Lesung. Der hl. Paulus spricht nochmals über das Geheimnis des Alten und Neuen Bundes. Nun ist aber das Verhältnis zwischen Altem und Neuem Bund überhaupt das schwierigste Geheimnis der Heilsgeschichte, stammen doch beide gleichermaßen von Gott. Weil aber der Neue Bund in vielem die Aufhebung des Alten bedeutet, drängt sich die Frage auf: Steht hier nicht Gott gegen Gott, wie etwa die Modernisten behaupten? Für sie ist der Gott des Alten Bundes ein Gott der Gerechtigkeit gewesen, wohingegen der des Neuen Bundes ein Gott der Barmherzigkeit ist. Steht also hier nicht ein zorniger und rachsüchtiger Gott im Alten Bund einem Gott der Liebe im Neuen Bund gegenüber?! Aber kann sich denn Gott selbst widersprechen? Haben die Modernisten recht, wenn sie sagen, der Gott des Alten Bundes sei eben ein anderer als der des Neuen? Sicher nicht! So kann es auf keinem Fall sein!
Der Völkerapostel erklärt uns das gegenseitige Verhältnis recht kühn, indem er Gesetz und Verheißung gegenüberstellt. Gesetz, das war der Alte Bund. Der Neue Bund hingegen ist Verheißung; eine Verheißung, die schon dem Abraham zuteilwurde, die aber „dem (einzigen!) Nachkommen“, d. i. Christus, galt. In Jesus Christus erfüllen sich alle Verheißungen des Alten Bundes, denn: „Glaubt nicht, ich sei gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um sie aufzuheben, sondern um sie zur Vollendung zu führen.“ (Mt. 5, 17)
Die Hoffnung auf den Verheißenen
Das Gesetz verlangte von den Israeliten eine bestimmte Leistung. Die Vorschriften im Alten Bund waren recht viele und die Pharisäer haben sie noch weiter präzisiert und dadurch eifrig vermehrt, worüber unser göttlicher Lehrmeister klagt: „Sie binden schwere und untragbare Lasten und legen sie den Menschen auf die Schultern, selbst aber krümmen sie keinen Finger, um sie zu heben.“ (Mt. 23, 4) Da jedoch die Leistung des Menschen — bei der erbsündlichen Gebrechlichkeit des Menschen! — niemals vollwertig sein konnte, führte das Gesetz praktisch immer nur neu zur Feststellung des menschlichen Versagens, der Sünde. Das Gesetz hielt dem Menschen ständig sein Sündendasein wie einen Spiegel vor Augen, weshalb der hl. Paulus feststellt, daß „die Schrift alles unter die Sünde eingeschlossen habe“. Das Gesetz, der Alte Bund, war aus sich nicht fähig, das Heil zu wirken, er war vielmehr dazu da, die Sünde der Menschen zu brandmarken – und damit zusammen die einzig wahre Hoffnung auf den verheißenen Messias lebendig zu halten. Ohne IHN sind wir rettungslos verloren!
Im Neuen Bund, der auf reine Verheißung Gottes gründet, ist das ganz anders geworden! Hier ist nur Gott allein der Sprechende und Handelnde. Deswegen weist auch der hl. Paulus darauf hin, daß beim Gesetz ein menschlicher Mittler, nämlich Moses, tätig war – wobei sogar auch Engel mitwirkten, wie es noch geheimnisvoller heißt, wurde doch nach jüdischer Überlieferung dem Moses das Gesetz durch Engel übergeben. Womit sich übrigens die hl. Engel gewissermaßen als Wächter des Gesetzes offenbarten und zudem als himmlische Zeugen gegen das nur allzu oft abtrünnige Volk, das den Bund mit Gott wieder und wieder brach: „Wegen seiner sündhaften Habgier zürnte ich dem Volk und suchte es heim: ich verbarg mich und grollte. Doch abtrünnig ging es dahin auf dem Weg, den es liebte.“ (Jes. 57, 17)
Die Reingestalt des Bundes mit Gott
Bei der Verheißung hingegen steht Gott allein da. Der Neue Bund im Blute Jesu ist die Reingestalt des Bundes mit Gott. Dabei ist Gott allein der Sprechende und Gebende, weshalb das menschliche Heil nicht mehr auf die äußerst unsichere Leistung des Menschen, sondern eben allein auf die Verheißung, das Wort und die Gnade Gottes gebaut ist.
Demgemäß entspricht dem Neuen Bund auch ein ganz anderes „Tun“ des Menschen als im Alten Bund. Weil das göttliche Heil „Wort Gottes“ ist, muß der Mensch es „glauben“, er muß es annehmen, es für ganz und gar wahr halten. Weil es „Verheißung“ ist, muß der Mensch darauf „hoffen“, das heißt, er muß in heiligem Verlangen und Vertrauen erwarten, daß Gott tatsächlich alles erfüllen werde, was Er verheißen hat, daß ER das Heil des Menschen tatsächlich wirke.
In Jesus Christus sind wir überreich beschenkt worden – wir müssen uns nur beschenken lassen wollen, indem wir der Gnade Gottes entsprechen, was der hl. Paulus den Korinthern so sehr ans Herz legt: „Ihr werdet reich gemacht in allem zu jeglicher Freigebigkeit, die durch uns Danksagung Gott gegenüber bewirkt. Denn die Besorgung dieser Dienstleistung [Kollekte für die notleidenden Gemeinden] stillt nicht nur die Bedürfnisse der Heiligen, sondern bringt auch überreichen Segen durch die vielen Dankgebete zu Gott. Bewährt ihr euch in diesem Dienst, preisen sie Gott dafür, daß ihr in eurem Bekenntnis zum Evangelium Christi so gehorsam gewesen seid und daß ihr durch eure Mildtätigkeit die Verbundenheit mit ihnen und allen zum Ausdruck gebracht habt. Dann werden sie für euch beten und Sehnsucht nach euch empfinden, weil die Gnade Gottes sich so überreich an euch erweist. Dank sei Gott für sein unbeschreibliches Geschenk!“ (2 Kor. 9,11 - 15)
Die drei göttlichen Tugenden
Weil sich nun aber in der Verheißung die reine Huld eines liebenden Gottes verbirgt, soll und muß der Mensch seinerseits diesen so freigebigen Gott „lieben“. Diese Einsicht ist sicherlich auch der tiefste Grund dafür, daß das Kirchengebet heute ausdrücklich und eindringlich um die Vermehrung von Glaube, Hoffnung und Liebe bittet. Diese drei heißen „göttliche“ Tugenden, nicht bloß, weil sie sich ganz auf Gott selbst richten, sondern auch, weil sie in ihrem Vollzug ganz Gottes sind. Denn allein die göttliche Gnade gewährt unseren Herzen die Möglichkeit und Fähigkeit, zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Diese sind keine Leistungen des Menschen, sondern göttliches Geschenk!
Hierdurch werfen wir wohl den tiefsten Blick in das Geheimnis des Neuen Bundes, den wir kennenlernen sollen. Er ist – wenn wir nur richtig auf unser Herz achten, wird es uns offenbar – göttliches (!) Glauben, Hoffen und Lieben „mitten in uns“. Damit ist wohl der eigentliche Sinn jenes geheimnisvollen Wortes des Herrn, wonach das Reich Gottes nicht komme in großartiger Aufmachung nach außen — also als „Leistung“ — erfaßt: „Siehe, das Reich Gottes — mitten in euch ist es!“ (Lk. 17,21).
Bleibt in mir!
Mutter Clara Fey hat die Ordensgemeinschaft „Schwestern vom armen Kinde Jesus“ gegründet. Ihr Leitwort lautete: „Manete in me“ („Bleibt in mir“). Diese Ordensfrau hat ganz besonders die „Übung“ eingeführt, die den Ordensschwestern helfen sollte, immer mehr auf die Gegenwart Gottes in der eigenen Seele zu achten. Sie schreibt dazu:
„Es ist eine Glaubenswahrheit, daß Gott überall gegenwärtig ist. Steigen wir hinauf gen Himmel, steigen wir hinab in die Hölle, begeben wir uns bis an das Ende des Meeres – überall ist unser Gott und Herr (Ps. 138,8); am nächsten aber ist er der Seele des Menschen, die er nach seinem Ebenbild geschaffen, die ihr Leben, ihr Dasein von seinem Hauch, von seinem Atem empfangen hat. Ja, im Innersten unseres Herzens wohnt und weilt der allmächtige Gott, dessen Thron die Himmel sind, dessen Fußschemel die Erde ist.
Wenn wir dies fest glauben, muß unser Herz sich dann nicht mit Trost und Freude erfüllen? Derjenige, den die Himmel nicht fassen (3 Kön. 8,27), derjenige, der die Himmel der Himmel mit Jubel und Wonne erfüllt, hat auch unser armseliges Herz zum Thron sich erkoren.
O Seele, was könnte tröstlicher sein!
Was aber muß diese göttliche Gegenwart in uns wirken? Wenn wir von ihr recht durchdrungen sind und das Andenken an sie überall mit uns tragen, wie rein und vorsichtig müssen wir da nicht wandeln, welche Kraft zu allem Guten müssen wir nicht aus dieser göttlichen Vereinigung ziehen! Wenn dein bester Freund, den du ehrst, den du liebst, allezeit bei dir wäre, würdest du da wohl vor dessen Augen etwas tun, was ihn beleidigen, was ihm mißfallen könnte? Gewiß nicht! Nun weicht aber dein Gott, dein Herr, dir nicht von der Seite; wie vollkommen müßte deshalb dein Wandel sein, wie rein und heilig deine Gedanken, die du vor ihm denkst, wie vorsichtig deine Worte, die du vor ihm redest, wie vollendet deine Werke, die du vor ihm verrichtest! (Aus: Die „Übung“ der Mutter Klara Fey, Herder Freiburg im Breisgau 1931)
Selig die Demütigen!
Tauchen wir also noch etwas tiefer hinab, um diese kostbarste Perle zu finden. Die drei göttlichen Tugenden gründen letztlich auf der Einsicht des Menschen, daß er aus sich nichts kann. Gott muß uns von Anfang an mit Seiner helfenden Gnade gegenwärtig sein, schon beim ersten keimhaften Sich-Regen des Glaubens und bei allem weiteren. Diese tiefste Einsicht ist es, die der Herr damals meinte, als er „die Armen im Geiste“ selig pries (Mt. 5,3), und was wir wohl mit Recht „Demut schlechthin“ nennen. Erfüllt diese demütige Haltung das Herz des Menschen und wird es mit Glaube, Hoffnung und Liebe immer mehr verstärkt und vertieft, dann kommt der Mensch aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, denn er erlebt Tag für Tag, was Gott alles für sein Heil und seine Seligkeit tut und darüber hinaus noch immer weiter Neues verheißt. Hören wir nochmals die eindringlichen Worte Mutter Clara Feys:
„O Seele, du hast dieselben Mittel in Händen wie die Heiligen, willst du denn nicht anfangen, sie zu benutzen? Dein Gott ist in dir, wie er in ihnen war. Willst du denn aus dieser göttlichen Gegenwart nicht Nutzen ziehen, großen Nutzen, überschwenglichen Gewinn? Du hast zwei Augen: mit dem linken sollst du deine Geschäfte und Berufsarbeiten sehen, das rechte aber soll unverwandt den Bräutigam anschauen. – Du hast zwei Hände: die eine soll wirken aus Liebe im Dienste der Liebe, mit der anderen aber sollst du an deinem Herrn festhalten, auf Ihn dich stützen, ohne jemals nachzulassen. – Du hast zwei Ohren: das eine soll offen sein für die Bedürfnisse des Nächsten, das andere aber soll stets horchen und lauschen auf die Stimme des Geliebten, der im Innern weilt (Hohel. 5,2). O Seele, so sollte es sein!“
Wahrlich unerschöpflich ist der Schatz der Gnaden des in uns wohnenden Gottes! Angesichts dieses göttlichen Reichtums wird der von Gott beschenkte Mensch aus tiefstem Herzen dankbar. Diese Dankbarkeit ist das Thema des hl. Evangeliums – aber nicht allein.
Noch ein Samariter
Die zehn Aussätzigen riefen mit lauter Stimme: „Jesus, Meister, erbarme Dich unser!“ Der göttliche Heiland gibt ihnen hierauf den Auftrag: „Gehet hin und zeigt euch den Priestern“ – so wie es im Gesetz des Moses für vom Aussatz Geheilte gefordert wird. Die Aussätzigen glauben dem Wort Jesu, gehen und werden auf dem Weg von ihrem Aussatz geheilt.
Neun von ihnen, es werden wohl Juden gewesen sein, haben offensichtlich nur die Erfüllung des Gesetzes im Sinn. Nachdem sie geheilt wurden, gehen sie weiter und zeigen sich den Priestern, wie es Moses befohlen hatte. Sie schreiben, so ist zu vermuten, das Wunder ihrer Heilung mehr ihrer eigenen Leistung zu als dem Wort des Heilandes. Sie denken wohl: Wir sind gesund geworden, weil wir das Gesetz erfüllen wollten. Für unsere Gesetzestreue hat uns Gott belohnt.
Der eine aber, der zurückkehrt und dem Heiland gebührend Dank sagt, ist ein Samariter. Wir erinnern uns sofort an den letzten Sonntag, wo wir das Gleichnis vom barmherzigen Samariter hörten. Heute aber ist der Samariter der durch seinen Glauben Geheilte und nicht Jesus, der ihm Barmherzigkeit erwies. Der Samariter hat sozusagen die Seite gewechselt. Als Samariter ist er aber wiederum der Fremdling, aber diesmal, um umso dankbarer für alle Wohltaten zu sein, die ihm Jesus erweist.
„Eucharistia“ - Danksagung
Es ist schon so, nur dort, wo der Mensch gewiß weiß, alles kommt von Gott allein, wird er so unbeschreiblich dankbar wie dieser Samariter. Noch einmal also, wenn auch in ganz anderer Weise, wird der Samariter zur Normgestalt des Neuen Bundes der Verheißung: Wir sind alle arme Fremdlinge, die ganz auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind.
In der ersten Zeit der Christenheit war es jedenfalls diese selbstverständliche, auf wahre Demut gegründete, in Glauben, Hoffen und Lieben sich betätigende Dankbarkeit, die das Christenvolk zutiefst geprägt hat. Darum war ihnen die größte und wichtigste Sache der Welt die große „Danksagungs“-Feier, die „Eucharistia“, wie es griechisch heißt, d.i. die hl. Messe. Das heilige Meßopfer war ihnen „das Geheimnis des Neuen Bundes“ schlechthin — denn dieses war das ganz göttliche Opfer, das der ewige Hohepriester, unser göttlicher Heiland Jesus Christus, auf den Altären darbringt. Es war zudem des Gottmenschen wahres Fleisch und Blut, ihnen ganz geschenkt, damit sie es wieder und wieder in unendlicher Danksagung, glühend vor Glaube, Hoffnung und Liebe, ihrem über alles geliebten Gott darbrächten! So wie es bis heute sonntäglich in der Gemeinde geschieht.
Wir vergessen es so leicht: Die Sonntagsmesse ist unsere hl. Dankespflicht unserem göttlichen Erlöser gegenüber! Wenigstens einmal in der Woche sollen und wollen wir Christen uns versammeln, um in einer einzigartigen, einer himmlischen „Danksagungs“-Feier für all die vielen Wohltaten dem göttlichen Heiland Dank zu sagen. Muß sich nicht jeder, der sich nicht auf das sonntägliche hl. Meßopfer freut, der Undankbarkeit bezichtigen lassen? Und das umso mehr, als wir in der Opferspeise der hl. Kommunion unermeßlich beschenkt werden? Sakramental und ganz wirklich mit Jesus beschenkt werden!
Jeden Sonntag kehren wir nach einer mühsamen Arbeitswoche, wie der Samariter im hl. Evangelium, zu Jesus zurück. Wir werfen uns vor IHM auf das Angesicht nieder, um für alle Wohltaten der letzten Woche gebührenden Dank zu sagen. O, wie armselig ist doch das Menschenleben ohne diese sakramentale „Danksagungs“-Feier, ohne das hl. Meßopfer!
Das Gesetz der göttlichen Liebe
Erst wenn wir das alles wieder lebendig vor unseren Augen haben und sodann dankbar in unserem Herzen tragen, wird auch der Vollsinn des Gebetes vom Eingang der Messe, das im Graduale wiederholt wird, offenbar: „Schau her auf Deinen Bund und vergiß nicht die Gebete Deiner Armen ganz und gar.“ Obwohl das Wort aus dem Alten Bund stammt, ist damit selbstverständlich der Neue Bund gemeint, den Gottes Wort und Verheißung geschaffen haben und von dem der hl. Paulus sagt, daß das später gegebene Gesetz ihn, der eben schon dem Abraham geheimnisvoll gegeben wurde (auf Grund des Glaubens!), nicht mehr ungültig machen konnte.
Im Neuen Bund erscheint der göttliche Erlöser, unser Herr Jesus Christus, um alles zu erfüllen, was im Gesetz und bei den Propheten von IHM geschrieben steht. Deswegen wendet sich der geheilte Samariter nach seiner wunderbaren Heilung ganz spontan vom Gesetz ab, er eilt hin zu Jesus, dem Urheber aller Gesetze und Seinem göttlichen Wohltäter. Warum sollte er sich noch den Priestern des Alten Bundes zeigen, wenn derjenige, der die Verheißung dieses Bundes ist und für den der ganze Alte Bund Zeugnis ablegt, als himmlischer Wohltäter und göttlicher Heiland vor ihm steht? Nein, der Samariter eilt zurück zu Jesus und wirft sich vor IHM nieder auf sein Angesicht und dankt IHM aus übervollem Herzen! Hierauf darf er auch das Trostwort des barmherzigen Samariters hören: „Steh auf und geh, dein Glaube hat dir geholfen.“
Nein, der Neue Bund ist nicht mit toten Buchstaben in Stein eingemeißelt wie der Alte Bund, sondern er ist als das Gesetz der göttlichen Liebe in unser Herz geschrieben. Jesus ist seit unserer hl. Taufe in unser Herz eingeschrieben, das sollten wir schon zuweilen spüren. Mutter Clara Fey ermutigt uns:
„Wie aber wirst du dazu gelangen? Du mußt allmählich diese selige Gewohnheit zu erringen streben; du mußt jeden Morgen diese Übung dir vorsetzen und mittags und abends dich fragen, ob wohl eine halbe Stunde vergangen, wo du nicht an deinen Herrn gedacht, der mit dir ist, und ihn um Verzeihung bitten, wenn die ihn lange allein gelassen.
Das kürzeste Mittel aber ist, daß du den Herrn recht liebest; wenn du treu ihn liebst, wirst du auch treu und beständig an ihn denken; denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz (Matth. 6,21).“
Was für ein Vertrauen muß uns hierbei das Beispiel und Vorbild des Samariters einflößen – sowohl das des barmherzigen Samariters des letzten Sonntags, als auch das des Samariters dieses Sonntags. Wir dürfen uns tatsächlich ganz vertrauensvoll in der hl. Messe an Gott wenden: „Schau her auf Deinen Bund und vergiß nicht die Gebete Deiner Armen ganz und gar.“ Mit dem ganzen Glauben, Hoffen und Lieben unseres Herzens ist dies zu beten, womit sodann all unser Vertrauen allein auf Gottes Barmherzigkeit gründet ist. Es ist ganz Sein Bund mit uns Menschen, an den wir IHN mit jeder hl. Messe ausdrücklich erinnern dürfen – angesichts des Opfers des ewigen Hohepriesters nach der Ordnung des Melchisedech auf unserem Altar!
Dem ganz entsprechend wird sodann noch einmal das süße Geheimnis des Neuen Bundes mit unendlicher Dankbarkeit in der Communio besungen: „Brot vom Himmel hast Du ihnen gegeben (man beachte ja: alles ist Sein Geben!), daß alle Süße und allen Wohlgeschmack in sich enthält!“