Im Reich des Geistes gilt es viele Abenteuer zu bestehen, denn dieses Reich ist allzeit heiß umstritten. Deshalb müssen wir viele Kämpfe bestehen, insofern wir dem rechten Geist anhangen und IHM dienen wollen, dem Heiligen Geist nämlich, der mit dem Vater und dem Sohne eines Wesens und darum ein Gott ist.
Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit, jener Wahrheit, die uns im hl. Glauben als göttliche Offenbarung entgegentritt. Um diesen göttlichen Geist zu erfassen, muß man zuweilen tief hinabtauchen in die göttlichen Geheimnisse.
Dieses geistige Abenteuer ist mit dem Perlentauchen zu vergleichen. Die Perlentaucher tauchen nämlich bis zu fünfzig Metern Tiefe hinab und sind dabei bis zu fünf Minuten unter Wasser – das sind beileibe keine Bedingungen, für die der menschliche Körper geschaffen ist! Wobei es noch die geringere Leistung ist, die Luft so lange anzuhalten. Was schnell lebensgefährlich werden kann, sind die enormen Druckunterschiede von bis zu fünf Bar. Diese müssen beim Ab- und Auftauchen ausgeglichen werden. Hinabgetaucht wird mit Hilfe von Gewichten an den Füßen, aufgetaucht mit Hilfe einer Leine, an der der Taucher hochgezogen wird. Der ständige enorme Druckwechsel und das lange Luftanhalten sind nicht gerade gesundheitsfördernd, traditionelle Perlenfischer werden deswegen selten älter als vierzig Jahre.
Heute finden sich traditionelle Perlenfischer nur noch in Japan, Korea und Französisch-Polynesien. Die meisten Perlen stammen inzwischen aus Zuchtmuscheln, die das gefährliche Perlentauchen erübrigen, denn entweder werden sie als Süßwasserperlen in großen Wasserbecken gezüchtet oder im Meer in Körben, die ins Wasser gehängt werden.
Als Katholiken sind wir wie die Perlentaucher, wir suchen, wie es vom Kaufmann im hl. Evangelium heißt, nach der einen Perle – und als „er eine kostbare Perle gefunden hatte, ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte sie.“ (Mt. 13,46)
Die grünen Sonntage nach Pfingsten
Etwa die Hälfte unseres Kirchenjahres besteht aus der langen Reihe der grünen Sonntage nach Pfingsten. Zuweilen mag uns diese lange Reihe recht monoton erscheinen, so daß wir über eine festliche Unterbrechung ganz froh sind, aber das ist nur ein oberflächlicher Eindruck und als solcher ist er letztlich falsch. Denn jeder dieser vielen grünen Sonntage nach Pfingsten ist ein Unikat. Jeder von ihnen birgt einen besonderen, einmaligen Gedanken in sich – und gleicht damit jener einen Perle, die es zu entdecken gilt. Freilich gelingt das mal leichter, mal schwerer, je nachdem, wie der Heilige Geist sein Kunstwerk gestaltet hat.
Diese grünen Sonntage lassen sich mit den grünen Blättern im Wald vergleichen: Alle Blätter sind zwar grün und sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich; sieht man jedoch genauer hin, erkennt man, kein Blatt ist dem anderen tatsächlich gleich, jedes für sich ist einmalig. Jedes einzelne hat der allmächtige Schöpfer, der die Vielfalt und Buntgestalt liebt, anders gemacht – denn dem unendlich weisen Gott gehen die Ideen niemals aus. Dementsprechend durfte auch die hl. Kirche diesen vielen grünen Sonntagen je eine andere Gestalt geben, so daß sich in ihnen ein Gedankenreichtum birgt, der uns jedes Jahr neu in Erstaunen versetzt.
Ein großes geistiges Abenteuer
Angesichts dieses Gedankenreichtums gleichen Katholiken jeden Sonntag wieder neu einem dieser Perlentaucher in Japan, Korea oder Französisch-Polynesien. Wir tauchen beherzt in die Tiefe der unsichtbaren, gnadenhaften Wirklichkeit, um wenigstens eine Perle zu finden, einen wunderschön tiefen Gedanken, den es sodann zu bergen und festzuhalten gilt – in der Tat ein großes geistiges Abenteuer! Haben wir den Mut zu diesem Abenteuer oder bevorzugen wir bei unserer sonntäglichen Vorbereitung die Zuchtmuscheln? Nun, dann lesen wir irgendwo nach und versuchen hierauf, aus dem gelesenen Text die Perle des Sonntags herauszulösen. Immerhin ist es eine Perle, ein wertvoller Gottesgedanke, aber kann man nicht noch tiefer ins unendliche Meer der göttlichen Geheimnisse hinabtauchen?
Wer die alte Art des Perlentauchens üben möchte, der muß selber nachdenken und versuchen, in der Tiefe des Meeres die eine Perle zu finden, die seinen Verstand erleuchtet und sein Herz erfreut.
Wir wollen nun als Abenteurer des Geistes wagemutig in die Meerestiefe der göttlichen Gedanken hinabtauchen…
Römisch-katholische Sonntage
1. Der große Fischfang
Es ist durch die geschichtliche Entwicklung der Feste und ihrer Oktaven so geworden, erst mit dem vierten Sonntag nach Pfingsten beginnt die lange Reihe der grünen Sonntage, also jener Sonntage, die nicht Träger einer bestimmten festlichen oder auch büßenden Zeit sind, wie etwa der Advent oder die Fastensonntage, sondern – so könnte man sagen – einfach und schlechthin Sonntag, nur Sonntag.
Uns römisch-katholischen Christen hat die römische Kirche diese Sonntage geschenkt und gestaltet, feiern wir doch unsere hl. Messen nach dem „Missale Romanum“, dem „Römischen Meßbuch“. Da ist es eine ganz eigene Freude, gerade an diesem ersten Sonntag in der großen Reihe der grünen Sonntage feststellen zu können, wie „römisch“ sein Gewand ist. Das christliche Rom ist durch ein Brüderpaar „viel besser und viel glücklicher“, wie der hl. Papst Leo der Große schreibt, begründet worden als jenes erste Rom, das den Heidengöttern opferte. Dieses christliche Brüderpaar heißt: Petrus und Paulus.
Die heutige Lesung stammt vom hl. Apostel Paulus, und zwar aus dessen Römerbrief. Das Evangelium wiederum schildert jene unvergeßliche Stunde, da der hl. Petrus durch das große Wunder des Fischfanges zum ersten Male seinen künftigen Beruf erahnen darf: Menschenfischer für unseren Herrn Jesus Christus zu werden.
Sobald wir diese Zusammenhänge in echt römisch-katholischer Weltweite betrachten, heißt das ungefähr dies: An jenem Tag, da der Herr Petrus zu jenem wundersamen Fischzug rief, hat die christliche Geschichte und haben damit auch die Sonntage der römischen Kirche begonnen, und beides reicht sodann bis zu jenem fernen Tag hinauf, von dem der hl. Paulus in der Lesung sagt, daß auf ihn die ganze Schöpfung jetzt noch in Wehen harrt. Es ist also jener Tag des Herrn gemeint, an dem uns die volle Herrlichkeit der Kindschaft Gottes und die Erlösung unseres Leibes geschenkt werden wird.
Betrachten wir das heutige Evangelium etwas eingehender: Dieser Tag des wunderbaren Fischfangs war ein Tag, wie ihn der hl. Petrus noch nie erlebt hatte, ein richtiger Herrentag. Die ganze Nacht haben sie sich abgemüht und vergeblich auf einen Fang gewartet. Nach dieser entmutigenden Nachtwache stieg am Morgen der Herr in das Schifflein Petri – und mit einem Mal wurde alles anders, ganz anders!
Zunächst lehrte der göttliche Lehrmeister aller Völker vom Schifflein Petri aus das Volk, das am Strand stehend aufmerksam zuhörte. Wie werden der hl. Petrus und die anderen Apostel ihre Ohren gespitzt haben?! Der Heiland zeigte ihnen, wie man mit der Angel des Wortes die Menschen gefangennehmen kann. Man nennt das „die Gabe des Wortes“.
Schließlich schickte der Herr sie nach dieser entmutigenden Nachwache hinaus auf den See und es geschah noch das Wunder des großen Fanges, denn „auf Dein Wort will ich das Netz aufwerfen“. Die gefangenen Fische waren so viele, daß Petrus auch noch den Genossen im anderen Schiff winken mußte, ihnen zu helfen, um den Fang nicht wieder zu verlieren, sondern bergen zu können. Dieses Wunder war das leuchtende Vorzeichen dafür, wie der Herr selbst erklärte, daß unter der Oberführung des Petrus der große „Menschenfang“ sich vollziehen werde – die katholische Weltmission. Durch all die Jahrhunderte der folgenden Geschichte wird die Kirche Jesu Christi unter der Leitung des Petrus das hl. Evangelium allen Völkern verkünden und unzählige werden sich bekehren.
Wenn sich nun die römische Kirche auf jenen Tag des wunderbaren Fischfanges zurückbesinnt — wie könnte sie anders beten und singen als so, wie es heute im Introitus der Messe geschieht: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, wen soll ich fürchten? Der Herr, der Schützer meiner Seele — vor wem soll ich zittern?“ Und weiter in der Communio: „Der Herr ist meine Feste und mein Hort und mein Befreier. Mein Gott bist Du, mein Helfer!“
Schon seit über fast zwei Jahrtausende sammelt die hl. Kirche die Völkerscharen Sonntag für Sonntag um Jesus und im Grunde hören sie alle das Wort des Herrn vom Schifflein des Petrus aus, insoweit sie sich zur wahren Kirche Jesu Christi bekennen. Das ist ja der große Unterschied, der heute in dieser papstlosen Zeit fast vollkommen aus dem Gedächtnis verschwunden ist: Jeder katholische Priester predigt nicht seine eigene Meinung, nicht das, was er sich selber als Glauben zusammengereimt hat, wie etwa die Protestanten, sondern er predigt wie der unfehlbare Stellvertreter Christi auf Erden, wie der Papst. Denn, was den Glauben angelangt, hat der Katholik keine eigene Meinung, sondern er glaubt das und allein das, was die Kirche ihm zu glauben vorlegt.
Was für eine Not entsteht daher für den katholischen Prediger, wenn ihm der Halt des lebendigen Lehramtes fehlt. Wie kann er sich sicher sein, daß er vom Schiffe Petri aus lehrt, wenn doch die Kathedra Petri verwaist ist – oder eigentlich, was ja noch schlimmer ist: fremdbesetzt ist?
Eine doppelte Versuchung
Wir dürfen niemals vergessen, die papstlose Zeit bringt eine doppelte Versuchung mit sich:
Die eine Versuchung besteht darin, selber Papst zu spielen bzw. zu meinen: Ohne Papst geht es doch auch ganz gut. Für was brauchen wir überhaupt einen Papst? Nun, die meisten Traditionalisten bilden sich in der Tat ein, keinen Papst zu brauchen, deswegen haben sie auch mit einem allzeit irrenden Papst keinerlei Schwierigkeiten. Wenn der Papst nur dazu da ist, daß ich mich gegen seine Irrlehren wehren muß, dann ist er in der Tat keine Glaubenshilfe, sondern das Gegenteil, eine beständige Gefährdung meines Glaubens.
Die andere Versuchung ist ein stillschweigender Relativismus, der sich breit macht: Solange wir keinen Papst haben, wissen wir nicht mehr, was richtig, d.h. was genau und auf dem Punkt gebracht katholisch ist oder was nicht katholisch ist. Also muß man sehr vorsichtig sein und darf niemanden aufgrund seiner abweichenden Meinung verurteilen!
Katholisch sein trotz Leeramt?
Nun, das wäre eine Katastrophe, denn dann könnten wir nicht mehr katholisch sein, weil die ganze katholische Glaubenslehre sich in einer Grauzone auflösen würde. Diese Grauzone ist etwa bei den Piusbrüdern die goldene Mitte, bei anderen die Angst, zu extrem zu werden.
Nun hat aber die hl. Kirche schon über Jahrhunderte hinweg Glaubensfragen entschieden, so daß wir uns an diesen unfehlbaren Entscheidungen des Lehramtes durchaus hinreichend orientieren können und müssen. Sonst könnten wir nämlich gar nicht mehr katholisch sein, unser Glaubenswissen verlöre sich tatsächlich in einer Grauzone, wo dann jeder meinen darf, was er will. Nein, in den allermeisten Fragen können wir, wenn auch nicht immer zu einer letzten Sicherheit, weil das aktuelle Urteil des unfehlbaren Lehramtes fehlt, so doch zu einer theologisch hinreichenden Sicherheit gelangen. Freilich bedarf es dazu eines eifrigen Studiums, das zunächst und vor allem einmal jeder Priester leisten muß. Deswegen gehört heute das Studium zu den vordringlichsten Standespflichten des Priesters. Aber leider sind die echten Theologen am Aussterben. Dafür gibt es ein Heer von Schwätzern.
Letztlich war es ein dauerndes Wunder – und sicher nicht das kleinste – daß über diese fast zweitausend Jahre unsere hl. Kirche den Glauben unversehrt, irrtumsfrei bewahrt und gepredigt hat. Jenes wunderbare Geschehnis am See Genezareth hat sich zum großen Fang der Menschen für Christus geweitet — immer unter der Führung des hl. Petrus! Und genauso wie er schon damals die Gehilfen aus dem anderen Boot brauchte, so hat er sich all die Jahrhunderte ein ganzes Heer von Gehilfen in den Bischöfen und den Priestern geschaffen, die alle ständig vollauf damit beschäftigt sind, den großen Fang für Jesus zu bergen.
Hierbei soll noch eines nicht unerwähnt bleiben: Der hl. Petrus hat sich damals vor unserem Herrn als „sündiger Mensch“ bekannt. Dieses Bekenntnis lebt in der hl. Kirche wortwörtlich weiter, da jeder Priester, vom Papst angefangen durch alle Reihen herunter bis zum letzten Kaplan, sich am Anfang jeder hl. Messe vor der ganzen Gemeinde als Sünder bekennt! Der Priester spricht am Beginn jeder hl. Messe wie damals Petrus zutiefst erschüttert zum Herrn: „Herr, geh weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!“ – … mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa…!
Die Tiefe der Gebete der römischen Liturgie
Wir haben schon ganz kurz vom Gedankenreichtum dieser grünen Sonntage gesprochen. Die römische Liturgie ist in ihren Gebeten von klassischer Kürze, verbunden mit einer großen Gedankentiefe. Immer wieder findet man wunderschöne Perlen darunter, Texte, die einem tief zu Herzen gehen.
Das heutige Stillgebet spricht jene Bitte aus, die Pater Johann Baptist Reus S.J. zu einem seiner liebsten Stoßgebete umformte. Im Schott liest man: „Wir bitten Dich, o Herr, nimm unsere Opfergaben an und laß Dich versöhnen, und zwinge all unser Wollen, auch das aufrührerische, in Deiner Güte zu Dir hin…“
Für uns moderne Menschen mit unserer falschen Freiheit ist dieses Gebet ein Heilmittel. Denn nach diesem Gebet bedeutet die wahre Freiheit das: Allzeit den Willen des Herrn tun können. Unter allen Umständen, in allen Versuchungen und Prüfungen und trotz der eigenen Schwäche, ja trotz des Aufruhrs des eigenen Willens mit der Hilfe der Gnade immer den Willen des Herrn tun können – das ist die Freiheit der Kinder Gottes.
P. Reus hat das Gebet so zu einem Stoßgebet umformuliert: „Dränge, o Herr, meinen Willen, auch wenn er sich auflehnt, in Gnaden hin zu Dir!“
Worum bitten wir mit diesen Worten genau? Was ist der tiefste Sinn dieser Worte? Wir bitten um die Gottesliebe! Damit wir Gott vollkommen lieben können, muß unser Herr Jesus Christus unseren Willen in der Güte Seiner Gnade zu Sich ziehen. Gott lieben heißt ja, den eigenen Willen vollkommen gleichförmig mit dem Willen Gottes machen. Sich vollkommen einschmiegen in den allheiligen Willen Gottes. So sagt unser göttlicher Meister von sich: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden.“ (Joh. 4, 34)
Solange wir ganz im Willen des Vaters leben, werden auch alle unsere Wehen und Schmerzen gesegnet und geweiht sein, wie ja alle Arbeit der Woche wieder gesegnet wird und einmündet in den Tag des Herrn, den Sonntag. Sicherlich glauben wir sodann auch leichter und froher an jenen letzten großen Tag des Herrn, der wie ein Dieb in der Nacht kommen wird, wenn uns jeder „kleine“ Sonntag wieder mit neuer Ergebung in den Willen Gottes und Gnadenkraft erfüllt!
Sodann werden wir erfahren, wie recht der hl. Paulus hat, wenn er den Römern zuruft: „Brüder, ich halte dafür, daß die Leiden dieser Zeit nichts bedeuten im Vergleich mit der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden.“ Das ist der Glaube der römischen Kirche an jedem Tag des Herrn, an jedem Sonntag.
2. Die wunderbare Brotvermehrung
Der sechste Sonntag nach Pfingsten gehört sicherlich zu den ein einfacheren Sonntagen. Man muß gar nicht so tief tauchen, um zumindest schon einmal den Grundgedanken zu finden. Jeder von uns kennt das Evangelium von der wunderbaren Brotvermehrung und erinnert sich sicherlich auch an die geistige Erklärung bezüglich der hl. Kommunion. Wie unser Herr Jesus Christus das Brot wunderbar vermehrt und in der Wüste die 4000 gesättigt hat, so sättigt er auch heute noch seine Freunde mit dem Brot des Himmels, d.h. seinem hl. Leib, in ganz wunderbarer Weise. Wir sollen also dankbar sein für dieses Wunder, das Tag für Tag auf unseren Altären geschieht, und ehrfürchtig zur hl. Kommunion gehen. Das ist der Grundgedanke dieses Sonntags. Nur fragt man sich, wenn man etwas tiefer schaut: Wo bleiben die Früchte der vielen hl. Kommunionen? Wir tauchen bei jeder Kommunion ein ins unermeßliche Meer der Gnaden und werden nicht einmal richtig naß?
Da ist es wohl nötig, etwas tiefer hinabzutauchen. Welche ist die eine kostbare Perle auf dem Meeresgrund dieses Sonntags? Wir müssen nachdenken, ob wir nicht noch einen weiteren Gedanken finden können, den uns das Gleichnis von der wunderbaren Brotvermehrung nahelegt.
Zwischen dem wunderbaren Brot in der Wüste und dem Himmelsbrot gibt es einen himmelweiten Unterschied. Wie jeder leicht einsehen wird, muß man ganz schön tief tauchen, um einen himmelweiten Unterschied erfassen zu können!
Bedenken wir nur einmal, die hl. Kommunion ist vor allem himmlische Seelenspeise. Leider ist es mit der Seele nicht so wie bei unserem Leib. Wenn der Leib Mangel leidet, dann spüren wir Hunger oder Schmerz. Der Hunger treibt uns dazu an, etwas zu essen – wenigstens so viel zu essen, daß wir unser leibliches Leben erhalten. Der Schmerz wiederum zeigt uns an, daß wir krank sind und etwas machen oder vielleicht sogar einen Arzt aufsuchen müssen. Wer dauernd Hunger leiden muß, der wird krank oder er stirbt sogar an Hunger.
Die Notwendigkeit der Seelenspeise
Bei der Seele ist das anders. Wenn die Seele Hunger leidet, dann spüren wir zunächst gar nichts. Die Seele verhungert sozusagen, ohne daß wir es überhaupt wahrnehmen. Die meisten Menschen heute laufen mit abgestorbenen Seelen herum, was im Grunde ganz schön unheimlich ist. Aber fast keiner merkt es, zudem trauert keiner mehr über diese toten Seelen. Früher war das noch anders, früher haben viele getrauert um die toten Seelen und Buße getan, soviel sie konnten, damit Gott die Seelen wieder zum Leben erweckt.
Deswegen ist es heutzutage doppelt schwer, jemandem zu erklären, daß er sich um seine Seele mindestens genauso kümmern muß wie um seinen Leib. Das Wissen um die lebendige Seele, um die durch die göttliche Gnade mit übernatürlichem Leben erfüllte Seele, ist nämlich ziemlich oder sogar vollständig verkümmert. Vor allem das Wissen um die Notwendigkeit des Glaubens, womit natürlich der rechte, katholische Glaube gemeint ist, findet sich kaum noch bei irgendjemanden.
Da die Irrtümer so zahlreich geworden sind, müssen wir heutzutage den Geist des Glaubens ganz besonders pflegen. Wir müssen unsere Seelen ausdrücklich mit der göttlichen Wahrheit nähren, dem Wort Gottes, das uns die Geheimnisse Gottes und darin unserer Seele offenbart. An sich hat die Seele Hunger nach der Wahrheit, denn wir müssen Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit. Wie unser göttlicher Lehrmeister zur Samariterin am Jakobsbrunnen gesagt hat: „Aber es kommt die Stunde, und jetzt ist sie da, in der die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn solche Anbeter sucht der Vater. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen anbeten in Geist und Wahrheit.“ (Joh. 4, 23 f.)
Nur im Geist und in der Wahrheit, die Jesus Christus ist, verstehen wir auch die Notwendigkeit der Seelenspeise. Um das Geheimnis der kleinen weißen Hostie zu erfassen, brauchen wir einen lebendigen, tiefen Glauben. Denn die hl. Kommunion setzt den wahren, den katholischen Glauben voraus. Ein Protestant etwa weiß nicht, was die hl. Kommunion ist, weshalb er auch nicht zur Kommunion gehen darf, solange er sich nicht bekehrt hat.
Auch das hl. Meßopfer versteht man nur im katholischen Glauben. Das, was auf unserm Altar wirklich geschieht, erklärt uns die katholische Glaubenslehre, wie sie uns von der hl. Kirche vorgelegt wird.
Wir müssen also unsere Seele nähren. Das geschieht im Gebet, im Nachdenken über die Glaubenslehren und in den Sakramenten. Dabei ist es gar nicht so einfach festzustellen, wie das Leben in der Seele beschaffen ist. Das Gnadenleben ist hier gemeint, das wir nicht sehen und deswegen nur sehr schwer als Wirklichkeit erfassen können.
Licht der Seele
Welche Perle gilt es also heute zu fischen? Die Perle eines hellsichtigen Glaubens, der uns den Hunger unserer Seele erspüren läßt. Diese inwendige Wirklichkeit, daß wir ein lebendiger Tempel Gottes, des Heiligen Geistes sind. Ah, was ist das, ein lebendiger Tempel der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zu sein!
Daran muß uns vor allem jede hl. Kommunion direkt stoßen: Mit dem heiligsten Leib Jesu Christi vergegenwärtigt sich die ganze Allerheiligste Dreifaltigkeit in meiner Seele. Das göttlich-dreifaltige Leben ist sakramental in mir.
Und wir müssen Gott darum bitten, daß wir diese verborgene, unsichtbare Gnadenwirklichkeit möglichst oft vor Augen haben – und uns daran erfreuen! Das ist Liebe zur Wahrheit, die Jesus Christus ist. Wenn wir heute für unseren und um unseren katholischen Glauben kämpfen, dann kämpfen wir um und für unseren Herrn Jesus Christus. Wir halten Jesus Christus und Seiner hl. Kirche die Treue. Dazu wird ER uns alle Ganden schenken, die wir brauchen. So wird uns der göttliche Glauben zum Licht der Seele. Wir beginnen allmählich zu erahnen, welch unermeßlicher Schatz uns bei der hl. Taufe mit der heiligmachenden Gnade geschenkt wurde.
In diesem Licht des Glaubens weisen wir auch nüchtern und klar die Schismatiker und Häretiker zurück, die ihren Anhängern Steine statt Brot reichen. Wir haben mit ihnen nichts zu tun, weil sie den göttlichen, den katholischen Glauben nicht haben.
Also, meine Perlentaucher, laßt uns zu Gott um die Perle flehen, wie es uns der heute Sonntag lehrt: „Gott der Heerscharen, in Dir ist ganz und gar die Fülle des Guten; so pflanze unseren Herzen die Liebe zu Deinem Namen ein und gib uns Wachstum im religiösen Leben; laß das Gute erstarken und bewahre mit eifriger Vatergüte das Erstarkte. Durch unsern Herrn…“
3. Falsche Propheten
Der siebte Sonntag nach Pfingsten ist ein richtiger Perlentauchersonntag – geworden, so muß man hinzufügen. An sich ist er nämlich eher ein Zuchtperlensonntag, denn das Verständnis des heutigen Evangeliums fällt an sich nicht schwer.
Es ist unmittelbar einleuchtend: Natürlich müssen wir uns vor den falschen Propheten hüten. Natürlich müssen wir vorsichtig und klug sein, weil die falschen Propheten uns täuschen wollen, sie sind wie Wölfe in Schafsfellen. Wie gefährlich aber sind Wölfe für Schafe, wenn du unvorsichtig bist, fressen sie dich auf!
Aufgrund der vielen Täuschungsmöglichkeiten dürfen wir nicht vorschnell oder naiv im Urteil sein. Der Volksmund sagt: Trau, schau wem? Lieber erst einmal abwarten, welche Früchte wachsen, dann wird sich zeigen, wessen Geistes Kind das Ganze ist, denn: „Sammelt man etwas Trauben von Dornen oder Feigen von Disteln?“
Das ist letztlich evident, es ist leicht einsehbar und gut verstehbar.
Mut zum Bekenntnis?
Wobei es anderseits zunächst auch wieder nur Theorie bleibt. In der Praxis kann es durchaus schwieriger und gefährlicher sein, die Geister zu unterscheiden. Denken wir etwa an die Zeit der sog. Reformation, als die Irrlehre des Protestantismus halb Europa in den Glaubensabfall hineingetrieben hat. Der ganze Norden Europas und sodann auch noch England fielen vom wahren Glauben ab. Die falschen Propheten haben die Massen irre gemacht. Wenn wir damals gelebt hätten, hätten wir der Versuchung standgehalten? Wenn es plötzlich um die eigene Existenz oder gar ums Leben geht, hätten wir dann noch den Mut zum Bekenntnis? – Mut bis zum Martyrium?!
Aber nicht nur die Praxis macht es schwer, den falschen Propheten zu widerstehen – heutzutage ist es noch um einiges verwirrender, obwohl es im Grunde auch wieder einfacher geworden ist.
Modernismus und Traditionalismus
Was die Lage noch verwirrender macht, das ist die Irrlehre des Modernismus und Traditionalismus. Beides ist ja wie Pest und Cholera, da kann jeder sich auswählen, was er für schlimmer oder weniger schlimm hält.
Dazu eine klärende Bemerkung bezüglich der rechten Benennung: Welchen Namen sollen wir uns heute als Katholiken geben? Leider ist „römisch-katholisch“ oder „Katholik“ keine eindeutige Benennung mehr, darf sich doch auch jeder Modernist, Häretiker oder selbst ein Apostat und Götzendiener „römisch-katholisch“ oder „Katholik“ nennen. Diese Begriffe sind heutzutage nicht mehr eindeutig, sondern sie sind vieldeutig geworden.
Wie also sollen wir Katholiken uns nennen? Wir sind weder Traditionalisten, noch Sedisvakantisten, weil sowohl ein Traditionalist als auch ein Sedisvakantist ein Irrlehrer sein kann, ja im Grunde Traditionalismus und Sedisvakantismus Irrlehren sind. In der Tat sind die allermeisten sog. Traditionalisten Häretiker und Schismatiker und auch bei vielen Sedisvakantisten findet man Lehren, die einem Bauchweh bereiten, weil sie zumindest der Häresie sehr nahe kommen. Es reicht natürlich nicht aus, zu der Erkenntnis gekommen zu sein, daß die weißen Männer in Rom keine Päpste sind, es gilt dazu auch noch, den ganzen katholischen Glauben zu bewahren.
Deswegen bin ich weder Traditionalist, noch Sedisvakantist, ich bin ein Katholik in dieser papstlosen Zeit.
Aber kommen wir zurück zur anfangs gemachten Andeutung: Warum ist der heutige Sonntag ein besonderer Perlentauchersonntag – geworden? Wodurch werden wir gezwungen, daß wir tiefer tauchen müssen – sehr tief sogar, wollen wir das heutige hl. Evangelium in unsere Zeit hineindeuten? Oder anders gefragt: Was ist heute anders geworden mit den falschen Propheten? Was meinen Sie?
Das ist anders geworden, daß es eigentlich in der öffentlichen Wahrnehmung gar keine falschen Propheten mehr gibt. Es gibt höchstens noch Feindbilder! So wie die falschen Propheten im heutigen Evangelium beschrieben werden, finden sie heute keinen falschen Propheten mehr, denn es gibt keine Wölfe mehr mit Schaffellen verkleidet.
Aber, so werden Sie, verehrte Leser, sofort einwenden – so ist wenigstens zu hoffen: Und was ist mit den vielen Irrlehrern, Charismatikern, Esoterikern und Götzendienern, die sich öffentlich Katholiken nennen dürfen? Sind das keine falschen Propheten?
Ja, sicherlich sind das falsche Propheten, von denen gibt es sogar mehr als früher, sie sind zur Legion geworden, aber dennoch sind es keine Wölfe in Schafkleidern.
Die Verharmlosung der Häresie
Wir müssen uns hierzu ganz nüchtern fragen: Worin besteht denn eigentlich heutzutage die Täuschung der Irrlehrer, nachdem sie die kirchlichen Institutionen eingenommen haben? Gleichen sie nicht vielmehr Schafen in Wolfspelzen – vor denen jedoch kein Schaf mehr Angst hat, weil doch der Wolf unter Naturschutz steht?!
Und übrigens, warum sollte das Schaf kein Wolfsfell tragen, wenn es sich als Wolf fühlt? Was ist daran schlimm? Steckt nicht in jedem etwas Wolfähnliches?
Wie wir sehen, ist alles ganz schön durcheinandergekommen, deswegen ist es für uns überlebenswichtig geworden, die eigentliche geistige Katastrophe, die wenigstens wir, die ältere Generation noch live miterlebt haben, und in der wir jetzt fast schon gewohnheitsmäßig leben, wahrzunehmen. Diese eigentliche geistige Katastrophe ist die vollkommene Verharmlosung der Häresie!
Im Jahr 1986/87 schrieb Prof. Dr. D. Wendland einen Aufsatz mit dem Titel: „Was ist das eigentlich: Die Häresie?“ Darin stellt er zunächst im geschichtlichen Rückblick fest:
„Die Kirchenväter fürchteten die Häresie wie der Teufel das Weihwasser, obwohl sie von ihr noch keinen abgeklärten Begriff besaßen, dennoch aber einen ständigen Kampf gegen Häretiker führen mußten, die auf eine äußerst geschickte Weise den wahren Glauben in sein Gegenteil verkehrten und dadurch die wachsenden christlichen Gemeinden, die sich damals noch nicht ‚katholisch‘ nannten, in tiefe Verwirrungen stürzten, so daß es bisweilen sogar zu blutigen Auseinandersetzungen kam. Heute hingegen gibt es viele christliche Gemeinden, die sich als katholisch bezeichnen, obwohl es sich bei diesen (wie wir anderswo nachgewiesen haben) nicht einmal mehr um christliche handelt, sondern um pseudokatholische sog. Volk-Gottes-Gemeinden. Dort aber weiß man nichts mehr vom Wesen der Häresie und ihrer Gefährlichkeit, was übrigens auch auf die Illuminaten-Sekte der Lefebvreaner und der ihr Assoziierten zutrifft.“
Die Kirchenväter waren noch durchdrungen von einer glühenden Liebe zur Wahrheit. Sie wußten, jeder Glaubensirrtum zerstört den ganzen Glauben, d.h. das göttliche Wissen über unseren Herrn Jesus Christus und Seine Erlösung. Darum fürchteten die Kirchenväter am allermeisten die Häresie.
Heute ist das ganz anders, wie Prof. Wendland schon 1986 feststellte: Dort aber weiß man nichts mehr vom Wesen der Häresie und ihrer Gefährlichkeit…
Wenn man nichts mehr vom Wesen der Häresie und ihrer Gefährlichkeit weiß, bildet man sich ein, es gebe keine falschen Propheten mehr! Die allermeisten dieser Pseudokatholiken sind deswegen, wenn es darum geht, in Glaubensfragen ein klares Sachurteil zu fällen, nicht mehr dazu fähig. Wenn man jemanden eines Glaubensirrtums beschuldigt, wird sogleich auf die psychologische Ebene ausgewichen und eingewendet: „Er ist auch ein guter Mensch! Das und das und das hat er gut gemacht.“ – Na also, wer wird ihn verurteilen?!
Ketzerjäger und Gesinnungsschnüffelei
So hat man zur Zeit Pius‘ X., als dieser hl. Papst noch einmal mit letzter Kraft alles aufbot, gezielt gegen die Modernisten vorzugehen, um diese unschädlich zu machen, seine Gehilfen verächtlich „Ketzerjäger“ genannt. Und man sprach von „Gesinnungsschnüffelei“.
Das ist die modernistische Taktik: Ja niemanden verurteilen – womit sie sich selber sozusagen sakrosankt, unangreifbar machen. Das ist die modernistische Tarnkappe!
Und die meisten Tradis fallen darauf herein und betonen eifrig, wenn man über einen häretischen „Bischof“ oder gar „Papst“ spricht: Wenigstens ist er kein formeller Häretiker. D.h. er ist kein Häretiker, den man zweimal kirchenrechtlich ermahnt und der dennoch seinem Irrtum nicht widerrufen hat. Das ist schon ziemlich verrückt, denn das ändert doch an seinen glaubenszerstörenden Irrlehren nichts, durch die die Seelen in äußerste Gefahr gebracht werden! Übrigens spricht das Kirchenrecht nicht vom formellen Häretiker, sondern vom öffentlichen Häretiker.
Eines ist jedenfalls sicher: Sobald man sich auf diese modernistischen Spielchen einläßt, hat man den Krieg verloren. Prof. Dr. D. Wendland erklärt es so:
„Nun aber ist es geradezu typisch für einen Apostaten (und woran man ihn dann auch sehr leicht erkennen kann!), nichts so sehr zu hassen wie die Tatsache der Strafbarkeit der Häresie und die moralische Notwendigkeit ihrer Strafverfolgung. Darum versucht er alles, um die Häresie zu verharmlosen und schließlich aus dem Bewußtsein zu tilgen, wie es bereits der Roncalli-‚Papst‘ und sein ‚Pastoralkonzil‘ getan haben, so daß schon aus diesen Gründen der gesamte Episkopat der ‚röm. Konzilskirche‘ ein Kollektiv von Apostaten darstellt, das ihre ‚katholischen‘ Untertanen, die naiven ‚Gläubigen‘, beherrscht oder ‚weidet‘, die dafür außerdem noch Kirchensteuer zahlen und sich ansonsten sogar spendenaktiv zeigen.“
Häresien ohne Häretiker?
Die allermeisten Tradis verschließen vor diesen Tatsachen ganz ihre Augen oder legen zumindest ihre Tradischeuklappen an: Nur nichts übertreiben! Nein, man darf die „Herren in weiß“ nicht verurteilen. Das wäre lieblos, ja sogar gegen das hl. Evangelium. Wie soll ich mich aber vor den falschen Propheten hüten, wenn ich deren Namen nicht kenne? Die Irrlehren schweben schließlich nicht im luftleeren Raum herum, sie haben gewöhnlich bestimmte Namen. Zum Protestantismus etwa gehören doch Luther, Zwingli, Calvin und Cranmer, oder etwa nicht?
Genauso gehören zur Menschenmachwerkskirche unlösbar folgende Namen: Rahner, Küng, Ratzinger, De Lubac, Roncalli, Montini, Wojtyła, Lehmann, Kasper, Lefebvre, Bergoglio usw.
Wir müssen also heutzutage sehr sehr wachsam sein und viel zum Heiligen Geist beten, daß ER uns hilft, die falschen Propheten, also die Schafe in Wolfskleidern, klar zu erkennen und beim Namen zu nennen. Der Heilige Geist schenkt uns die Gabe der Unterscheidung der Geister, wenn wir IHN nur inständig und beharrlich darum bitten.
Wie tröstend ist hierzu das heutige Kirchengebet: „O Gott, dessen Vorsehung sich in ihren Anordnungen nicht täuscht, wir flehen in Demut zu Dir, Du mögest alles Schädliche von uns entfernen und alles Heilsame uns gewähren. Durch unseren Herrn…“
4. Die 40-jährige Wüstenwanderung und der weinende Heiland
Sobald wir die Augen unserer Seele im übernatürlichen Glauben öffnen, erkennen wir, jeder Sonntag des Kirchenjahres ist irgendwie innigst mit unserem Leben verflochten. Es reihen sich die kirchlichen Sonn- und Festtage an die Schnur unseres Lebens wie die Perlen an einer Perlenkette. Somit ist jeder Sonntag immer ganz aktuell, mögen auch die Texte uralt sein, die vermittelte Gnade ist ja immer jung. Im Reich der göttlichen Gnade herrschen nun einmal andere, zeitlose Gesetze, die wir verinnerlichen müssen, wenn wir gerettet werden wollen. Jedes Kirchenjahr will uns Sonntag für Sonntag zum Gnadenjahr werden, zu einem Jahr voll der göttlichen Güte.
Worauf stößt uns dieser 9. Sonntag nach Pfingsten?
In der Lesung hörten wir das uralte Beispiel der Israeliten in der Wüste, dieses Beispiel aller Beispiele für das Drama eines Menschenlebens – das immer mit dem Auszug aus Ägypten beginnt und im Gelobten Land des Himmels endet und genau 40 Jahre dauert. Die Zahl 40 ist die Zahl dieser Welt. Letztlich lebt jeder Mensch 40 Jahre, eine Weltzeit lang, dann entscheidet sich sein Leben für die Ewigkeit. Dabei ist dieses Leben voller Prüfungen und Versuchungen. Wir müssen hierzu ganz nüchtern feststellen, daß das auserwählte Volk des Alten Bundes ganz schön wetterwendig war, wie auch die Menschenseele unstet und wetterwendig ist.
Welche Mühe hat sich Gott in diesen 40 Jahren mit diesem aufrührerischen Volk gemacht, das wieder und wieder lüstern nach dem Bösen war und den hl. Bund brach!
Vier Versuchungen
Der hl. Paulus erwähnt in der Lesung vier Versuchungen: Götzendienst, Unzucht, Christus versuchen und murren gegen Gottes Vorsehung.
Wie schwer sündigte das auserwählte Volk hierin und wie schwer strafte Gott sie für ihre Sünden, weil ER nämlich ein eifersüchtiger Gott ist, der den hl. Bund selbstverständlich hält und deswegen auch einfordert.
Mit diesen vier Versuchungen und Verfehlungen wird die ganze Bandbreite der menschlichen Schwäche und Gefährdung beschrieben. Wobei sich übrigens die 4 in der 40 vollendet – d.h. unser ganzes Leben ist ein Leben in der Versuchung, bzw. eine fortdauernde Prüfung unserer Bundestreue. Die Lesung ist letztlich nichts anderes als ein Aufzählen aller Gelegenheiten in der Heilsgeschichte, wo die Menschen versagt haben.
Mögen nun aber jene Strafgerichte des Alten Bundes auch schrecklich gewesen sein, für uns, die wir „Ziel und Vollendung der Zeiten“ und der Geschichte zu erleben bestimmt sind, sind sie aufgeschrieben zur Warnung.
Überfließende Gnade im Neuen Bund
Gott fordert nämlich von uns umso mehr Treue zum hl. Bund, als die Gnade überfließend geworden ist aufgrund der Erlösung durch unseren Herrn Jesus Christus. Der Neue Bund verpflichtet uns noch viel mehr als der Alte Bund zu unverbrüchlicher Treue zu Jesus, unseren göttlichen Erlöser und Freund.
Wir sind das auserwählte Volk des Neuen Bundes im Blute Jesu Christi. Unser Bundesblut ist nicht mehr das von Böcken und Stieren, wie der hl. Paulus im Hebräerbrief erklärt, sondern das Blut des göttlichen Opferlammes, das für uns am Kreuz als einzig vollkommenes und Gott wohlgefälliges Opfer geschlachtet worden ist.
Das auserwählte Volk des Alten Bundes in der Wüste soll uns in seinem Versagen zu heilsamer Erschütterung werden, damit wir im Besitz dieser unerhörten Gnade Gottes, in der wir immer „das Werk unserer Erlösung“ (vgl. Stillgebet) unter uns vollziehen, so oft wir dieses Gedächtnisopfer feiern, nicht sorglos und übermütig werden, sondern jene heilige Behutsamkeit lernen, die in Wahrheit nichts anderes ist als demütiger Dank: „Wer da steht, sehe zu, daß er nicht falle.“ Solche Belehrung aber als Ziel göttlicher Strafgerichte ist letztlich Erbarmen, göttliche Berücksichtigung unserer Schwäche.
Jesus weint über Jerusalem!
Auch im hl. Evangelium werden wir gleichermaßen ermahnt. Das auserwählte Volk wurde verworfen, weil es seinen Messias nicht erkannte und anerkannte. Überaus beeindruckend wird dies im heutigen Evangelium beschrieben: Jesus weint über Jerusalem! ER weint über Seine Stadt und Sein Volk, weil es die Stunde der Heimsuchung nicht erkannt hat.
Die Sehnsucht von Jahrhunderten, die ganze Sehnsucht seit Abraham, dem verheißen wurde, daß aus seinem Samen der Messias hervorgehen wird, zielt auf diesen Augenblick der Geschichte – und das Volk versagt: „Wenn doch auch du es erkannt hättest, und zwar an diesem deinem Tage, was dir zum Frieden dient! Nun aber ist es vor deinen Augen verborgen.“
Als Strafe für diese Sünde kündigt unser Herr die Zerstörung der Stadt an. Wobei trotz allem Furchtbaren dieser Strafe, dennoch auch göttliches Erbarmen darüber gebreitet wird: Durch die Tränen Jesu! Diese Tränen begleiten die Worte der Drohung, sie künden ein göttlich-zärtliches Mitfühlen mit dem heimgesuchten Volke an. Dürfen wir da nicht hoffen, daß mitten in diesen entsetzlichen Strafgerichten dennoch Erbarmen walten müsse? Womöglich wurde doch noch das eine oder andere Herz während dieses furchtbaren Gerichts über Jerusalem von der Erinnerung an Jesus gerührt.
Das Tor zum göttlichen Erbarmen
In all diese furchtbaren Strafen hinein spricht nun die heutige Liturgie ein wunderbar kühnes Wort in der Oration. Es ist, als wolle uns unsere hl. Mutter, die Kirche, wie mit einem Zauberschlüssel ganz geheimnisvoll und groß das Tor der göttlichen Barmherzigkeit aufschließen. Denn das Kirchengebet lautet möglichst wörtlich übersetzt: „Weit aufgetan seien die Ohren Deiner Barmherzigkeit, Herr, für die Bitten der Flehenden …“
Was für eine kostbare Perle sind diese wunderschön tiefen Worte! Was für ein faszinierendes Bild – die Ohren Deiner Barmherzigkeit – verwendet die hl. Liturgie, um unser Vertrauen auf die göttliche Barmherzigkeit zu wecken. Ja, dieses Gebet will, wenn wir es richtig verstehen, ein besonderes und andauerndes Offenstehen der Tore zum göttlichen Erbarmen erwirken. Und was ist notwendiger inmitten dieser übergroßen Not als das göttliche Erbarmen, von dem wir letztlich Augenblick für Augenblick leben.
Nun fragt man sich aber doch: Sowohl in der Lesung als auch im hl. Evangelium werden lauter Werke göttlicher Strafgerechtigkeit aufgezählt, wo bleibt denn da die Barmherzigkeit? Das aber ist gerade die Kühnheit der hl. Kirche, daß sie es wagt, angesichts aller dieser schrecklichen Strafgerichte dennoch an die Barmherzigkeit Gottes zu glauben und jetzt erst recht um das weite Öffnen der Tore dieser Barmherzigkeit zu bitten. Muß diese Bitte inmitten dieser apokalyptischen Zeit nicht in unseren Herzen lichterloh brennen?! Barmherzigkeit, oh Jesus! Oh Jesus, Barmherzigkeit!
Die Weltgeschichte zeichnende Strafgerichte …
Überblickt man die Weltgeschichte, erschüttern einen die Strafgerichte Gottes. War es nicht ein Gericht, das über Jerusalem hereinbrach, genau nach den Worten unseres Herrn im heutigen Evangelium? Und war es nicht ebenso Gericht, als das römische Weltreich in den Wirren der Völkerwanderung zusammenbrach oder als Byzanz im Jahre 1453 dem Islam anheimfiel!
… und die Notwendigkeit von Buße und Sühne
Da erinnert uns dieser Sonntag daran, dies sei nur der Eindruck, den das irdisch-weltliche, diesseitige Geschehen auf uns macht. Jenseits gibt es noch eine andere Schau, und die läßt uns die göttliche Barmherzigkeit ahnen. Wobei wir immer das eine bedenken müssen: Weit offen stehen die Tore der göttlichen Barmherzigkeit nur denjenigen, die in diesen grauenvollen Gerichten zu Ihm schreien und flehen. Zur Barmherzigkeit gehört immer auch die Bußgesinnung und die Bereitschaft, Sühne zu leisten für die vielen vielen Sünden.
Edith Stein ist angesichts der Gottesferne ihrer Zeit davon überzeugt:
„Auch heute ist eine „reparatio“ nötig. Die Sachverständigen, die uns über die Schäden Auskunft geben, sind Glauben und Liebe. Der lebendige Glaube bemerkt alle Angriffe auf die göttliche Wahrheit, die Liebe ist feinfühlig für alle Kränkungen, die der Güte Gottes widerfahren. Sühne leisten müssen wir zunächst für unsere eigenen Sünden und Fehler, dann für die der Menschen, für die wir durch natürliche Bande oder amtliche Stellung eine besondere Verantwortung [tragen], schließlich für alle, für die wir freiwillig eine Verantwortung übernahmen.
Und so müssen wir Ordensleute für alle Sünder eintreten. Mittel sind die geistige Buße, die Beschneidung des Herzens, die die schwerere und wichtigere ist, und die körperliche, die nicht davon zu trennen ist und auch nicht zu entbehren. Der schönste Erfolg der sühnenden Genugtuung ist die Gewinnung der Gottesfeinde für den Herrn.“ (Edith Stein)
Glaube und Liebe sind die Sachverständigen, die uns über die Schäden in Reich des Geistes und der Gnade Auskunft geben, denn: Der lebendige Glaube bemerkt alle Angriffe auf die göttliche Wahrheit, die Liebe ist feinfühlig für alle Kränkungen, die der Güte Gottes widerfahren. An uns liegt es aber, Sühne zu leisten, damit die Barmherzigkeit Gottes die Herzen wieder ergreifen kann.
Die ersten Christen waren noch ganz von der Überzeugung durchdrungen, daß sie „in den letzten Zeiten“ leben, also in Zeiten großer, außerordentlicher Prüfungen. Darum wollten sie inmitten der Drangsale dieser Welt beharrlich zum Herrn um Erbarmen rufen. Das meint letztlich das berühmte Wort des hl. Paulus: „Jeder, wer immer anruft den Namen des Herrn, wird gerettet werden“ (vgl. Röm. 10,13 aus Joel 3,5). Auch der hl. Petrus meinte es in seiner ersten Predigt nichts anderes, wenn er am Schluß bittet: „Lasset euch erretten aus diesem verkehrten Geschlechte“ (Apg. 2,40).
Die Apostel waren also überzeugt, daß hinter allen Gerichten dennoch der barmherzige Gott steht, dessen „Ohren weit offenstehen für die Hilferufe der Fliehenden“ — das wußten sie über alles bestimmt!
Der hl. Franz von Sales betet:
„Was auch kommen mag, Herr, in dessen Hand alles gelegt ist und dessen Wege alle Gerechtigkeit und Wahrheit sind; was immer durch den ewigen Ratschluß der Vorherbestimmung über mich beschlossen sein mag, der du stets ein gerechter Richter und barmherziger Vater bist: ich will dich wenigstens in diesem Leben lieben, mein Gott; ich werde immer auf deine Barmherzigkeit hoffen und werde stets dein Lob vermehren.“