Er war ein Mann, der über den Durchschnitt hinausragte und gerade deshalb polarisierte, obwohl das sicherlich nicht seine Absicht war. Seine Freunde und Anhänger schätzten ihn sehr, manche himmelten ihn sogar an und hoben ihn auf den Sockel des Modernistenolymps, ihnen war er der „Mozart der Theologie“. Anderen wiederum, wie etwa seinem Kollegen Hans Küng, mit dem er zunächst Seite an Seite in Tübingen dozierte und der sich zum Weltmenschenmeinungsopportunisten aufschwang und zur Gallionsfigur der ultraprogressiven Theologen wurde, galt Joseph Ratzinger als konservativer Rückständler. Anders als Hans Küng stolperte Joseph Ratzinger die kirchliche Karriereleiter hinauf und wurde zum „Panzerkardinal“, was angesichts der geschichtlichen Tatsachen nicht einer gewissen Lächerlichkeit entbehrt und unmittelbar Zeugnis von der weltweiten, großen Apostasie gibt. Denn ganz anders als dieser Übername nahelegt, war Joseph Ratzinger ein äußerst geschickter Dialektiker, der sich je nach Situation erstaunlich schnell und weitgehend verwandeln und anpassen konnte. Eines aber konnte er nicht, seinen professoralen Stil ablegen. Immer blieb er der deutsche Professor.
Am Samstagmorgen, dem 31. Dezember 2022 verstarb Joseph Ratzinger mit 95 Jahren im früheren Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan. Der Sprecher des Vatikans, Matteo Bruni, gab bekannt: „Schmerzerfüllt muß ich mitteilen, daß Benedikt XVI., Papst Emeritus, heute um 9.34 Uhr im Kloster Mater Ecclesiae im Vatikan verstorben ist.“ Dessen letzten Worte sollen gemäß einem Bericht der argentinischen Zeitung „La Nación“ angeblich „Jesus, ich liebe dich“ gewesen sein.
In seinem Testament dankt Joseph Ratzinger Gott, der ihm das Leben geschenkt und ihn durch vielerlei Wirrnisse hindurchgeführt habe, bat aber auch um Verzeihung: „Betet für mich, damit der Herr mich trotz all meiner Sünden und Unzulänglichkeiten in die ewigen Wohnungen einlässt.“
Dieses fast 100 Jahre dauernde, mit höchster Verantwortung verbundene Leben hat selbstverständlich seine Spuren hinterlassen, denen wir ein wenig nachspüren wollen. Eine ausführlichere Arbeit soll dem interessierten Leser in der nächsten Nummer unserer Zeitschrift „Antimodernist“ geboten werden. Hier also ein bloßer Nachruf auf den verstorbenen „Mozart der Theologie“. Beginnen wir mit einem gedrängten Lebensüberblick.
Elternhaus
Das erste, was man über Joseph Ratzinger sagen muß: Er war ein Bayer und somit mit der zutiefst vom katholischen Glauben geprägten bayerischen Frömmigkeit vertraut. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er: „Geboren bin ich am Karsamstag, dem 16. April 1927, zu Marktl am Inn. Daß der Geburtstag der letzte Tag der Karwoche und der Vorabend von Ostern war, wurde in der Familiengeschichte immer vermerkt, denn damit hing es zusammen, daß ich gleich am Morgen meines Geburtstages mit dem eben geweihten Wasser in der zu jener Zeit am Vormittag gefeierten ‚Osternacht‘ getauft worden bin: Der erste Täufling des neuen Wassers zu sein, wurde als eine bedeutsame Fügung angesehen. Daß mein Leben so von Anfang an auf diese Weise ins Ostergeheimnis eingetaucht war, hat mich immer mit Dankbarkeit erfüllt, denn das konnte nur ein Zeichen des Segens sein.“
Sein Vater Josef war Kommandant der Gendamerie-Station, die Mutter Maria hieß mit Geburtsnamen Paintner. Der Bub hatte noch zwei Geschwister, Georg und Maria.
Nur zwei Jahre lebte die Familie Ratzinger in Marktl am Inn. Von dort ging es nach Tittmoning, einer kleinen Stadt an der Salzach. In seinen Erinnerungen schreibt Joseph Ratzinger dazu: „Tittmoning, architektonisch ganz vom Salzburgischen her geprägt, ist das Traumland meiner Kindheit geblieben. … So hatten wir das Gefühl, daß es mit unserem Städtchen in jeder Hinsicht etwas Besonderes auf sich habe; man sah es auch daran, daß der Pfarrhof wie ein kleines Schloß auf der Anhöhe hoch über der Stadt thronte. Am meisten aber liebte ich die die schöne alte brocke Klosterkirche, die einst den Augustiner-Chorherren gehört hatte, nun aber liebevoll von den Englischen Fräulein betreut wurde.“
Priesterweihe und erste Stelle als Kaplan
Obwohl die Familie keinen Überfluß kannte, ließen die Eltern kurz nach dem 2. Weltkrieg die beiden Söhne zunächst in Freising, dann in München Theologie studieren. Es war Kardinal Faulhaber, der am 29. Juni 1951 vierzig Kandidaten im Dom zu Freising die Priesterweihe spendete – unter ihnen Joseph Ratzinger.
Die erste Seelsorgstelle des Neupriesters Joseph Ratzinger war in München. Er wurde Kaplan in der Pfarrei Heilig Blut. Jedoch schon nach einem Jahr wurde er ans Freisinger Priesterseminar berufen, um die zukünftigen Priester auszubilden.
Die Turbo-Karriere des jungen Theologen Ratzinger
Hiermit begann die Turbo-Karriere des jungen Theologen Ratzinger. Schon im Jahr 1953 folgte der Doktortitel in Theologie. Gerade erst vier Jahre später habilitierte er sich mit einer modernistischen Arbeit über den Offenbarungsbegriff, die er nachbessern mußte, da der Münchener Dogmatikprofessor Michael Schmaus diese zunächst ablehnte – „da sie nicht den drei wissenschaftlichen Maßstäben genüge“. Hierauf strich Ratzinger kurzerhand den von Schmaus beanstandeten modernistischen Teil seiner Arbeit und reichte den Rest „zum Erstaunen des Kollegiums“ als Habilitationsschrift ein, welche schließlich auch angenommen wurde. Mit dieser Vorgehensweise wird eigentlich Ratzinger grundsätzlich als Theologe beschrieben: Immer zugleich einen Fuß auf der Bremse und einen auf dem Gaspedal.
Zum 1. Januar 1958 wurde er Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik zunächst in Freising, dann in München. Im Sommer 1959 wurde er nach Bonn auf den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie berufen. Hierauf folgten Professuren in Münster – und Tübingen, was er dem Einfluß des Schweizers Hans Küng verdankte, der davon überzeugt war, daß sie „auf derselben Wellenlänge“ seien. Ratzinger schreibt in seinen Erinnerungen: „… der Süden lockte, aber auch die große Geschichte der Theologie an dieser schwäbischen Universität, in der außerdem interessante Begegnungen mit bedeutenden evangelischen Theologen zu erwarten waren.“
Konzilsberater
Beide, Ratzinger und Küng, kamen schließlich mit kaum 35 Jahren als Konzilsberater nach Rom, der eine im Schlepptau des Kölner Erzbischofs, der andere in dem des Bischofs von Rottenburg, um auf dem von Roncalli, alias Johannes XXIII., einberufenen sog. 2. Vatikanum eine Revolution vom Zaume zu brechen, die nicht nur bis heute andauert, sondern eine neue Kirche geschaffen hatte, die Menschenmachwerkskirche. Von den Medien wurden sie als „Teenager-Theologen“ gefeiert. So wurde Joseph Ratzinger mit Ende 30 ein Star in der theologischen Welt. Seine Vorlesungen waren überfüllt.
Doch dabei blieb es nicht. Anders als sein zeitweiser Weggefährte Hans Küng sollte Joseph Ratzinger in der kirchlichen Hierarchie Karriere machen.
Die kirchliche Karriere
Am 25. März 1977 war Joseph Ratzinger von „Papst“ Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising und schließlich zum Kardinal ernannt worden. Er erlebte die beiden Konklaven des Jahres 1978 und wurde von „Johannes Paul II.“ wegen seines Rufes nur drei Jahre danach zum Präfekten der einflussreichen Glaubenskongregation berufen. Zunächst wehrte er sich gegen das Amt. Erst als Karol Wojtyla ihm versprochen hatte, daß er auch als Präfekt der Glaubenskongregation weiterhin Wissenschaft betreiben dürfe, nahm er an. Weil er nicht jeden progressiven Unsinn absegnen wollte, wurde er in den Medien in den folgenden Jahren als „Panzerkardinal“ verschrieen.
„Papst“ Benedikt XVI.
Nach dem Tod von Karol Wojtyla wurde Joseph Ratzinger am 19. April 2005 zum „Papst“ der Menschenmachwerkskirche gewählt und nannte sich Benedikt XVI. Der deutsche Theologe war inzwischen 78 Jahre alt, so alt wie kein Vorgänger bei Amtsantritt seit 1730.
Auch als „Papst“ blieb Joseph Ratzinger bei allem Bemühen um Volksnähe immer mehr Professor als Seelsorger. Anders als sein Vorgänger wirkte er, sobald er sich als „Hirte zum Anfassen“ gab, ein wenig unbeholfen.
Ein besonderes Anliegen war dem deutschen Professor die Darlegung des Verhältnisses von Glauben und Vernunft: „Die Vernunft wird ohne den Glauben nicht heil, aber der Glaube wird ohne die Vernunft nicht menschlich“, so Ratzinger.
Der Postmodernist Joseph Ratzinger
Die eigentliche Leistung in den wenigen Jahren seines Wirkens in Rom wird tatsächlich, wenigstens soweit unsere Recherche reicht, von niemandem gesehen und thematisiert. Das ist wohl das Kreuz von Denkern, daß sie meist einsam bleiben. Gewöhnlich bleibt der moderne Mensch im Konkreten stecken, ohne dieses Konkrete noch wirklich begreifen zu können, weil ihm dafür das theoretische Rüstzeug fehlt. Dementsprechend fällt dann auch das Lob oder der Tadel von Andersdenkenden ganz oberflächlich aus. Bei Ratzinger stehen sich Freunde und Feinde z.T. scharf gegenüber, wobei jedoch die Anerkennung seines Lebenswerkes bei weitem die Kritik übertrifft, wie wir noch kurz anhand einiger Wortmeldungen aufzeigen werden.
Von den Dummköpfen wird Joseph Ratzinger als stockkonservativ verschrieen und als ein Mann dargestellt, der den Zug zur Moderne verpaßt hat. Rückwärtsorientiert habe er versucht, zu retten, was schon lange nicht mehr zu retten war. Im Urteil über Joseph Ratzinger wird unübersehbar, daß die Masse derjenigen, die sich heute noch katholisch nennen und sich als Katholiken fühlen, einfach nur Neuheiden sind, die dem Zeitgeist hinterherlaufen, ohne ihn je einholen zu können. Das Grundübel, das hier unübersehbar wird, besteht darin, daß der ganze Apparat „Kirche“ sich im freien Fall befindet. Die „Diktatur der Beliebigkeit“ hat fast alle ohne Ausnahme ergriffen, so daß jeder seine noch so absurde Meinung als Ausdruck des „Katholischen“ betrachten und ausgeben kann. Jeder dieser Menschenmachwerkskirchler weiß in der Tat besser als sein „Papst“, was katholisch ist und was nicht. Jeder ist deswegen auch dazu berufen, seinen „Papst“ jederzeit zu schulmeistern und zu kritisieren. In diesem Punkt sind sich die Progressisten und die Traditionalisten ganz eins: Der Papst kann sagen und tun, was er will, wir aber sind katholisch! Dieses moderne Lebensgefühl kam letztlich, wenn auch sicherlich ganz und gar ungewollt, in der Riesenüberschrift eines deutschen Boulevardblatts nach der Wahl Ratzingers zum „Papst“ zum Ausdruck: „Wir sind Papst!“ Unsinniger und zugleich treffender kann man den modernen „Katholizismus“ gar nicht betiteln.
Pauschalurteile
Werfen wir unser Augenmerk auf ein paar in verschiedenen Nachrufen gefundene Pauschalurteile, die den gewöhnlich gebrauchten Urteilsgrund offenlegen:
„In seinem Pontifikat führte Benedikt den konservativen Kurs seines Vorgängers fort. Er stemmte sich gegen eine Modernisierung der Kirche, was ihm viel Kritik einbrachte. Die anfängliche Begeisterung der Deutschen schwand.“
Selber wäre man gar nicht darauf gekommen, daß Ratzinger den konservativen Kurs seines Vorgängers fortgeführt habe – seit wann war Herr Wojtyla konservativ? Mit diesem Fehlurteil wird die grundsätzliche perspektivische Verzerrung der allermeisten Zeitgenossen greifbar – auf jeden Linksradikalen wirkt der gewöhnliche Linke stockkonservativ.
„Als Präfekt der Glaubenskongregation in Rom hatte Kardinal Ratzinger bereits mehr als 20 Jahre Kirchengeschichte geschrieben. Seine strenge Haltung zu Themen wie Geburtenkontrolle, Abtreibung oder Zölibat lehnten zahlreiche Gläubige insbesondere in Europa ab. In anderen Teilen der katholischen Weltkirche erfuhr die konservative Linie dagegen Unterstützung.“
Das Urteil, daß jemand konservativ ist, wird allermeist auf der Ebene der Moral entschieden. Wer gegen Geburtenkontrolle, Abtreibung oder Zölibat ist, was doch für einen Katholiken selbstverständlich sein sollte, so müßte man wenigstens meinen, gilt als streng, konservativ, ja erzkonservativ. Joseph Ratzinger mutiert auf der Basis dieses Urteilsschemas unversehens zum Panzerkardinal!
„Leuchtturm der konservativen Elite“
„Benedikt XVI. war weniger im Heute verankert als in den Lehrschriften vergangener Jahrhunderte. Ein Prediger, der ‚Glaubenstiefe‘ verlangte und oberflächliche Katholikenfolklore verabscheute, wie sie sein Vorgänger Johannes Paul II. perfekt beherrschte und deshalb wie ein Popstar gefeiert wurde. Benedikt war der Leuchtturm der konservativen Elite der etwa 1,3 Milliarden Katholiken in der Welt – nicht der Papst der großen Mehrheit der kleinen, armen Leute.“
Ist das wirklich wahr? Sucht die Mehrheit der kleinen, armen Leute nur einen Popstar, der sie ein wenig unterhält? Ist dieser Eindruck, dieses Image eines „Papstes“ nicht auch von einer Elite gemacht und nicht von der großen Mehrheit der kleinen, armen Leute? Darf ein „Papst“ gar nichts mehr von den Katholiken fordern? Offenbar nicht!
„Im US-Wahlkampf 2004 etwa forderte er die Bischöfe auf, katholischen Politikern, die sich für Abtreibungs- oder Sterbehilfe-Gesetze einsetzten, die Kommunion zu verweigern. Mit eisernen Regeln wollte er die gute, alte Kirche vor den Winden der Moderne schützen.“
Was für ein seltsames Bild: alte Kirche vor den Winden der Moderne schützen – und das mit eisernen Regeln. Könnten denn göttliche Gebote anders als eisern, unumstößlich, weil immer gültig sein, wenn sie wahrhaft göttliche Gebote sind? Nun, für den modernen Menschen gibt es keine göttlichen Gebote mehr und auch keinen göttlichen Glauben. Das Bleibende ist die Veränderung.
Auf Schritt mit dem Zeitgeist?
„Benedikt XVI. suchte nicht, er wusste in der Regel alles besser, und stets das, was früher richtig war. Er lehnte so gut wie alles ab, was nach Veränderung aussah. In der Kirche, wie in der Welt. Vielleicht war der Rücktritt die bedeutendste Tat dieses Papstes, sagen manche im Vatikan, denn damit werde er in die Geschichtsbücher eingehen.“
Der Modernist hat eine Vorentscheidung gefällt: Er zieht die Suche nach der Wahrheit jederzeit, ja grundsätzlich der gefundenen Wahrheit vor, weil diese angeblich gar nicht erkannt werden kann. Darum erscheint ihm jeder echte Katholik als Besserwisser. Was früher als wahr galt, kann heute falsch sein, was heute als wahr gilt – das darf zumindest jetzt nicht konservativ in Zweifel gezogen werden, denn dann ist man nämlich hoffnungslos rückständig. Der Modernist ist von seiner Irrlehre her verpflichtet, dem Zeitgeist hinterherzuhecheln, denn nur so bleibt er auf dem aktuellen Stand der immer sich ändernden (Irr)Lehre. Diesem Diktat unterliegt auch der „Papst“ der Modernisten. Selbst ein Ratzinger, der doch immer Modernist war, verfällt diesem Diktat, sobald er anfängt, nicht mehr dem allerneuesten, progressistischen Irrsinn hinterherzulaufen. So ganz hat es wohl nur der Apostat Hans Küng geschafft, immer up to date mit dem letzten Progressistenwahnsinn zu bleiben. Bei jeder passenden oder auch nicht passenden Gelegenheit wurde er, als wäre wer das höchste Modernistenleeramt, gefragt, was denn nun davon zu denken sei, was diese oder jener Bischof oder auch der „Papst“ gerade wieder von sich gegeben oder getan habe.
Wie schon gezeigt, scherte Joseph Ratzinger aus der Professorenlaufbahn aus, um die kirchliche Karriereleiter emporzustolpern. Deswegen mußte er sich etwas konservativer präsentieren als sein Kollege Küng – und vielleicht war er auch tatsächlich etwas gemäßigter im modernistischen Wahnsinn. So kam es jedenfalls:
„gnadenloser Glaubenswächter“
„Es folgten die Jahre, die seinen Ruf als gnadenlosen Glaubenswächter zementierten. In Erinnerung sind die Maßregelungen nicht linientreuer Bischöfe und Theologen, die Verteidigung einer ultrakonservativen Sexualmoral, der Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland.“
Da heißt es „linientreu“ und nicht „glaubenstreu“, denn einen echten, theologischen oder gar übernatürlichen Glauben gibt es in dieser „Kirche“ nicht mehr. Glaubenstreue ist somit innerhalb des Modernismus unmöglich, weswegen das göttliche Gebot kurzerhand zu einer ultrakonservativen Sexualmoral erklärt wird. Dennoch tut Ratzinger wenigstens nach außen so, als ob alles noch beim Alten sei – wenn auch mit gelegentlichem Gejammer. Nein, im Rahmen dieses Sammelbeckens der Häresien, das man Modernismus nennt, kann man keine göttliche Wahrheit einfordern. Wenn doch, dann heißt es: „Benedikt XVI. habe mit der modernen Welt gefremdelt. Die Aufklärung und die neuzeitliche Hinwendung zu freien Gesellschaften habe er nie vollzogen und stattdessen für die Kirche das Programm der Weltflucht ausgerufen. Es sei deshalb unzutreffend, wenn ihn seine Fans als ‚Mozart der Theologie‘ bezeichneten.“
Psychose und Psychopathen
So sind sie, die Modernisten. Sie projizieren ihre eigenen Psychosen in die anderen hinein. Denn es ist doch sicherlich eine Psychose, sich einzubilden, man könne den göttlichen Glauben mit der modernen Welt harmonisieren. Wenn man die Grundsätze der Moderne als irrig erkennt und benennt, dann heißt es: Man fremdle mit der modernen Welt. Das ist übrigens ganz typisch für einen Psychopaten, wenn es um die Wahrheit geht, weicht er auf die Ebene der Psychologie aus. Sie selber können nämlich nicht mehr begreifen und darum auch anderen nicht mehr zugestehen, daß man ganz einfach deswegen gegen eine moderne Idee ist, weil sie falsch ist. Und man hat natürlich immer schon Pech, wenn man sich dann auf einen Text beruft, der womöglich schon 100 Jahre alt ist, denn wie kann denn jemand schon vor 100 Jahren gewußt haben, was heute falsch oder richtig ist!
Aber vielleicht schwingt in obigem Zitat auch ein wenig der Neid mit. Denn gegen den „Mozart der Theologie“ wirkt der Herr Professor womöglich eher doch nur wie ein Schulbub. Jedenfalls wird man vermuten müssen, daß der Herr Professor seinerseits die Hinwendung zu freien Gesellschaften vollzogen und stattdessen für seine „Kirche“ das Programm des Hinterherhechelns nach dem Weltgeist ausgerufen hat. Was für eine enorme geistige Leistung verbirgt sich hinter dieser Generalkapitulation! Wir sind direkt beeindruckt!
Aber nein, Ratzinger war moderner als die meisten seiner professoralen Kollegen, er war nämlich nicht mehr Modernist, sondern Postmodernist geworden. Damit waren und sind freilich die allermeisten Zeitgenossen, sowohl Freunde wie auch Kritiker, überfordert. Da kommt dann so etwas heraus:
Der Sieg der Dialektik
„Zu Ratzingers Verhängnis wird der erzkonservative Kurs von Karol Wojtyla alias Johannes Paul II., den Ratzinger wie ein guter Untergebener mitträgt. Der polnische Papst, dessen Anteil am Zerfall des Kommunismus in Osteuropa unbestritten ist, duldet innerkirchlich keine Opposition. Die Kirche verabschiedet sich von der Öffnung des Konzils. Selbstgerechtigkeit, Frömmelei, Intrigen und religiös verbrämter Macho-Terror prägen fortan die Unternehmenskultur.“
Dieses Zitat stammt aus einer Wirtschaftsredaktion und beschreibt vielleicht deshalb die absurde Situation in der Menschenmachwerkskirche ziemlich treffend. Sachlich gesehen, stimmt zwar fast nichts, aber atmosphärisch gesehen stimmt es schon. Und der moderne Mensch denkt bekanntlich schon lange nicht mehr sachlich, sondern nur noch atmosphärisch. Atmosphärisch betrachtet, kann man sich durchaus einbilden, Karol Wojtyla alias Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. hätten einen erzkonservativen Kurs eingeschlagen und innerkirchlich keine Opposition geduldet, hätten sich von der Öffnung des Konzils verabschiedet und Selbstgerechtigkeit, Frömmelei, Intrigen und religiös verbrämten Macho-Terror forciert – mit der Wirklichkeit hat das jedoch recht wenig zu tun. In Wirklichkeit haben beide die auf dem sog. 2. Vatikanum initiierte Revolution folgerichtig, überaus gekonnt und erfolgreich fortgeführt. Also so fortgeführt, daß der rechte Rand jederzeit abgesichert blieb, daß die Konservativen niemals außer Kontrolle gerieten.
Dazu zählt sicherlich als Meisterstück das Motu aller Propios „Summorum Pontificium“ vom 07. 07. 2007. Damit hatte er, der große Dialektiker, die sog. Traditionalisten aller Schattierungen kurzerhand entwaffnet. Einer der Kommentatoren mißversteht das so: „Benedikt befreite sie im Handumdrehen aus ihrem Darben in der katholischen Asservatenkammer und wurde ihren liturgischen Sehnsüchten gerecht, die seinen eigenen entsprachen. Er war überzeugt, dass die Krise der Kirche besonders im Zerfall ihrer Liturgie begründet sei.“
„Kontinuität mit der Vergangenheit“ durch Auslaufen der alten Liturgie
Man muß bei Ratzinger immer genau hinsehen – was diesen Rahmen bei weiten sprengen würde, wollten wir es jetzt tun – will man ihn richtig verstehen. Es ist ganz und gar unrichtig, wenn behauptet wird, er wurde ihren liturgischen Sehnsüchten gerecht, die seinen eigenen entsprachen. Joseph Ratzinger hat als „Papst“ niemals die „alte“ Messe gefeiert, seine liturgischen Vorstellungen stimmten gerade nicht mit denen der Traditionalisten überein. Sein Ideal war die sog. Neue Messe, wobei er durchaus manche Mißbräuche sah, die er durch das Einwirken beider Riten aufeinander hoffte bessern zu können. Beide Riten sollten einander befruchten und sodann wieder zu einem Ritus zusammengeschmolzen werden. Ratzinger war selbst liturgisch niemals Traditionalist, er war immer Ratzinger.
Es sei hier auf unsere beiden Artikel verwiesen: Der getunte Ratzinger vom 7. März 2021 und Der getunte Ratzinger II vom 12. Sept. 2021, in denen wir uns bemühten, den wahren Ratzinger unter den vielen Übertünchungen hervorzukehren. Darin zieren wir aus der Zeitschrift DER FELS vom April 1978, die ihrerseits einen KNA-Bericht wiedergegeben hatte, in dem zu lesen war: „Kardinal Ratzinger … räumte ein, daß es nicht klug gewesen sei, mit der Einführung des neuen Meßbuches gleichzeitig das alte zu verbieten. Es sei von vornherein klar gewesen, daß die Liturgiereform nicht ‚unter dem Gesichtspunkt des Erfolges‘ gesehen werden konnte. Der Grundduktus der Reform könne auch nicht zur Debatte stehen. Er sei jedoch, so betonte Ratzinger, für eine ‚große Toleranzbreite‘, damit die alte Liturgie ‚auslaufen‘ könne. Eine Reform der Liturgiereform könne er sich nicht vorstellen, wohl aber, daß einige Bestandteile der alten (tridentinischen) Liturgie in die neue Liturgie wieder integriert würden, um insofern die Kontinuität mit der Vergangenheit herzustellen.“
Von Anfang an hatte also Joseph Ratzinger seine eigene Sicht der Liturgiereform und der Kontinuität der sog. Neuen Messe mit der Vergangenheit. Es galt, die Exzesse zu meiden, damit das Ganze der Reform nicht gefährdet wird. Dazu sollte sein Motu aller Propios „Summorum Pontificium“ den Weg bahnen – was ja auch tatsächlich glückte. Mit einem Mal war das Monopol „Alte Messe“ für wenige Traditionalistengruppen beseitigt. Es bildete sich ein ganzer Pool von Traditionalisten, die nunmehr, bis auf ganz wenige Ausnahmen, am neurömischen Gängelband hingen und genau das taten, was sie sollten. Das Experiment „Alte Messe“, die alte Liturgie, konnte auslaufen.
„Papst“ zwischen Wojtyla und Bergoglio
Aber das war nicht mehr die Aufgabe Joseph Ratzingers, das sollte sein Nachfolger besorgen. Ein Kommentator meint: „Ratzinger als Nachfolger Wojtylas war eine logische Nachfolge, auch wenn im Konklave 2005 ein Argentinier namens Jorge Bergoglio als aussichtsreichster Gegenkandidat – der liberaleren Kardinäle – im Rennen lag und im letzten Moment zurückzog. Das Märchen von der theologischen Kontinuität von Benedikt zu Franziskus steht auch deshalb seit jeher auf wackeligen Beinen. Wie auch ein grundlegender Unterschied in der apostolischen Sendung der beiden Päpste besteht: Wer Benedikt verstehen will, muss ihn studieren. Franziskus macht sich mit einfachen, dem Medienzeitalter genehmen Gesten und Worten begreiflich.“
Nein, auf so wackeligen Beinen steht dieses Märchen doch nicht. Aber es stimmt natürlich: „Wer Benedikt verstehen will, muss ihn studieren. Franziskus macht sich mit einfachen, dem Medienzeitalter genehmen Gesten und Worten begreiflich.“ So war der „Mozart der Theologie“ als „Papst“ also eingezwängt zwischen seinem Vorgänger Karol Wojtyla, alias Johannes Paul II., der die oberflächliche Katholikenfolklore perfekt beherrschte und deshalb wie ein Popstar gefeiert wurde, und Herrn Bergoglio, der Karikatur eines „Papstes“, der sich mit einfachen, dem Medienzeitalter genehmen Gesten und Worten begreiflich macht. Da wundert es einen nicht, daß selbst seine Freunde ihn nicht immer verstanden und seine Feinde ihn vorneweg nicht verstehen konnten.
Eine neue Symphonie des modernistischen „Mozart“
Als das von seinem Vorgänger veranstaltete interreligiöse Gebetstreffen in Assisi im Oktober 1986 bei nicht wenigen für Verwirrung sorgte, meinte der damalige Glaubenshüter Ratzinger, die Gemüter beruhigen zu müssen. Da hieß es wieder einmal, rückwärtsgewandt zu argumentieren: „In der Leitung einer Diözese erscheint manchem heute Vermeidung von ‚Polarisation‘ als wichtigste Aufgabe. ‚Die oberste Regel des Hirten! Aber was bedeutet das? Wird der Bischof ein reiner Moderator, der nicht in die inhaltliche Ebene eintritt und sich nur darum bemüht, Unterschiedliches ohne Polarisation zusammenleben zu lassen, dann sagt er seinem Hirtensein ab.‘ ‚Eine Einheit, die keine Inhalte mehr hat und sich nicht in der Wahrheit konkretisiert, ist nur der Schein der Einheit.‘ So wichtig Toleranz und Anerkenntnis vielfältiger Gestalten des Glaubens sind – wenn das ‚Schwert‘ der Wahrheit abhanden kommt, kann Konfliktvermeidung zum Instrument der Lüge werden, die dann unter dem Mantel des Pluralismus ihre fatale Diktatur aufrichtet.“
In unserem Artikel von 2021 kommentierten wir diese Zeilen so:
Hat er das nicht schön gesagt, der oberste Glaubenshüter – das mit ‚Schwert‘ der Wahrheit, Konfliktvermeidung zum Instrument der Lüge und unter dem Mantel des Pluralismus ihre fatale Diktatur aufrichtet? Es ist sicherlich wahr: Eine Einheit, die keine Inhalte mehr hat und sich nicht in der Wahrheit konkretisiert, ist nur der Schein der Einheit. Man bedenke, das sagte Ratzinger 1988, nachdem Wojtyla schon 10 Jahre den Weinberg des Herrn verwüstet hatte und er unter diesem dient. …
Eines kann man wohl mit Sicherheit sagen, Ratzinger ist niemals aus dem System der modernen „Kirche“ ausgeschert. Vielmehr wollte er als „Mozart der Theologie“ die neue Symphonie (oder eigentlich Kakophonie) wesentlich kompositorisch mitgestalten. Sein Intellektualismus wurde ihm wohl zur Versuchung. Eine gewisse intellektuelle Überheblichkeit brachte ihn, den deutschen Professor, zu Fall. Hierzu ein Beispiel, das wir in unserem Artikel „Der getunte Ratzinger“ als Schlußgedanken anführten:
Ratzingers Wege der Phantasie, des Irrtums, der Häresie
Abschließend wollen wir nochmal an einem Beispiel aufzeigen, was aus unserem heiligen katholischen Glauben auf diesem Wege der Phantasie, des Irrtums, der Häresie wird. Der Leser möge sich zunächst selbst einmal überlegen, wie er das Geheimnis der Gegenwart Jesu Christi in der hl. Hostie als Katholik beschreiben würde. Wie er sein Katechismuswissen, daß Jesus Christus mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft und wirklich gegenwärtig ist, in Worte fassen würde.
Sodann erst lese er folgende Erklärung Ratzingers, die er in seiner Schrift Die sakramentale Begründung christlicher Existenz 1965 gegeben hat: Der heutige Mensch „gibt sich nicht der naiven Vorstellung hin, Gott der Allgegenwärtige würde nur an dieser Raumstelle wohnen, die durch den Tabernakel in der Kirche bezeichnet ist. … Eucharistische Anbetung (…) kann sinnvoller Weise nicht einfach mit dem lokal zirkumskriptiv präsent gedachten Gott sein. Aussagen wie ,Hier wohnt Gott‘ und das auf solche Weise begründete Gespräch mit dem lokal gedachten Gott drücken eine Verkennung des christologischen Geheimnisses wie des Gottesbegriffes aus, die den denkenden und um die Allgegenwart wissenden Menschen notwendig abstößt.“ Ja, auch das hat er geschrieben, der Ratzinger! Kaum unglaublich, aber wahr!
Es sei ganz zum Schluß nochmals ausdrücklich hervorgehoben und extra betont: Und diesen Ratzinger halten viele Konservative und Traditionalisten für den Bewahrer ihrer Tradition! Ein nüchterner Denker kann sich nur wundern über eine solch große Verblendung, denn wo bleibt denn da eigentlich noch das Tuning? Nun, wer diese Konservativen und Traditionalisten kennt, der weiß ganz gut, diesen reicht schon ein ganz klein bißchen Spoiler – und fertig ist der katholisch-getunte Ratzinger!
Weltlob
Während in den eigenen Reihen sich Lob und Tadel bunt durchmischt, fällt das Lob der Welt viel nachsichtiger, ja ehrender aus. So urteilen die „Großen“ der deutschen Politik:
Alt-Kanzlerin Angela Merkel hat den verstorbenen emeritierten „Papst“ Benedikt XVI. als „einen der streitbarsten und bedeutendsten religiösen Denker unserer Zeit“ gewürdigt. Sie habe mit „großer Trauer“ die Nachricht von seinem Tod vernommen, erklärte Merkel am Samstag. „Benedikt XVI. war der erste Deutsche seit Jahrhunderten im Papstamt. Ihm lagen die Beziehungen zu den orthodoxen Christen ebenso am Herzen wie der Dialog mit Juden und Muslimen.“
„Ich persönlich denke heute voller Dankbarkeit an meine Begegnungen in Rom und in Deutschland mit ihm zurück“, erklärte sie nun. „Unvergessen bleiben mir seine Rede vor dem Deutschen Bundestag 2011 wie auch sein historischer Entschluss 2013, das Papstamt abzugeben.“ Mit dieser Entscheidung habe er gezeigt, „dass sich auch der Papst mit den Bürden des Alters auseinandersetzen musste“.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat unter anderem die Bescheidenheit von Papst Benedikt XVI. hervorgehoben. „Sein Glaube, sein Intellekt, seine Weisheit und seine menschliche Bescheidenheit haben mich immer tief beeindruckt“, erklärte Steinmeier. „Benedikt entschied sich zum Amtsverzicht in dem Moment, in dem er gewiss war, sein Amt nicht mehr mit der nötigen Kraft ausführen zu können. Das war eine unerwartete kirchengeschichtliche Zäsur.“
Der Bundespräsident betonte zudem die „ganz besondere Bedeutung“ des Papstes für Deutschland und auch als Deutscher: „Die Wahl eines Papstes aus dem Mutterland der Reformation und eines Intellektuellen, der sich den Dialog zwischen Glaube und Vernunft zur Lebensaufgabe gemacht hatte, war für viele Menschen auf der ganzen Welt ein wichtiges Zeichen.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat den verstorbenen „emeritierten Papst“ Benedikt XVI. als „überzeugungsstarken Repräsentanten der katholischen Kirche“ gewürdigt. „Der Tod von Benedikt XVI. berührt mich genau wie viele Menschen in Bayern und aller Welt sehr“, sagte Söder. Mit ihm verliere die Gesellschaft einen der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts.
„In bewegten und herausfordernden Zeiten war er das religiöse Oberhaupt der katholischen Gläubigen“, sagte Söder. „Viele Menschen in seiner Heimat werden ihn nicht nur als Papst Benedikt XVI., sondern auch als bescheidenen Seelsorger in dankbarer Erinnerung behalten. Er gab vielen Menschen Kraft und Orientierung.“ Zugleich habe sich Benedikt XVI. auch der Verantwortung für schwierige Phasen in seinem Wirken stellen müssen.
Mit dem Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. verliert die Welt nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz einen klugen Theologen. „Als ‚deutscher‘ Papst war Benedikt XVI. für viele nicht nur hierzulande ein besonderer Kirchenführer“, schrieb der SPD-Politiker am Samstag auf Twitter. „Die Welt verliert eine prägende Figur der katholischen Kirche, eine streitbare Persönlichkeit und einen klugen Theologen. Meine Gedanken sind bei Papst Franziskus.“
Die Präsidentin der obersten katholischen Laien-Vertretung, des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, nennt den Verstorbenen einen „konservativen Intellektuellen“: „Der deutsche Papst erfüllte viele mit Stolz, vor allem aber mit Hoffnung. Für manche hat sich diese Hoffnung in reichem Maße erfüllt. Für andere blieb die unerfüllte Sehnsucht, durch einen Intellektuellen auf dem Stuhl Petri Antwort auf die Frage zu finden, wie ihr Christsein im 21. Jahrhundert gelingen kann.“
Ein Mann von Welt
Bei so viel Weltlob, das sich noch beliebig vermehren ließe, wird einem schon etwas unheimlich zumute. Dies zeigt auf jeden Fall eines: Joseph Ratzinger war durchaus ein Mann von Welt. In diesem Sinne stand er einer Welt-„Kirche“ vor und konnte den hilflos Suchenden den, wenn auch täuschenden Eindruck vermitteln, es gebe noch irgendwo einen Halt. Darum wird Joseph Ratzinger für all diejenigen als Zeichen der Hoffnung weiterleben, die nicht einsehen wollen, daß schon längst alles zu Ende ist, der Glaube ist untergraben, die Menschenmachwerkskirche ist keine göttliche Heilsanstalt. Ganz im Sinne dieser fadenscheinigen Hoffnung schrieb sein Biograph Peter Seewald abschließend in seinem in der Zeitung Die Tagespost veröffentlichten Nachruf:
„Warum könnten Sie nicht sterben, Papa Benedetto?“, hatte ich den emeritierten Papst vor zehn Wochen bei meinem letzten Besuch bei ihm gefragt. Seine Antwort war, er habe noch aushalten müssen. Als ein „Zeichen“. Ein Zeichen für den Kurs, für den er stand; für die Botschaft Jesu, dessen unverfälschter Weitergabe er sich zeitlebens gewidmet hatte. In einer Zeit der Gottesferne müssten die Menschen wieder mit Jesus Christus bekannt gemacht werden, mahnte er, mit seiner Gnade, seiner Barmherzigkeit, auch mit seinen Vorgaben. Wer heute Christ sein will, müsse den Mut zur Unmodernität haben. Reform bedeute nichts anderes, als das Zeugnis des Glaubens mit neuer Klarheit in die Dunkelheit der Welt zu bringen.
Benedikts Vermächtnis wird bleiben. Als das eines Glaubenszeugen des Jahrhunderts, der versuchte, in der Erneuerung zu bewahren, in der Bewahrung zu erneuern. Sein Nachfolger sieht in ihm bereits einen „Heiligen“. Die Lehre Benedikts XVI., so Papst Franziskus, sei unverzichtbar für die Zukunft der Kirche. Sie werde „von Generation zu Generation immer größer und mächtiger in Erscheinung treten“.
Wenn das kein Mythos ist, Joseph Ratzinger als Glaubenszeuge und Heiliger!
Joseph Ratzinger ist tot – es lebe der Mythos Ratzinger! In der nächsten Nummer unserer Zeitschrift können Sie noch mehr darüber erfahren.