Der getunte Ratzinger

I. Joseph Ratzinger und seine Kirche

Der Modernismus hat System. Dabei ist hiermit nicht so sehr das Lehr-System gemeint, das es zwar auch gibt, das jedoch als solches schwerer zu greifen ist, wie etwa die Enzyklika „Pascendi“ Papst Pius‘ X. aufzeigt, sondern die Organisation. Die modernistische Elite hat es nach ihrem Marsch durch die Institutionen natürlich nicht dem Zufall überlassen, wie es weitergehen soll, sondern sie hat Organisationen geschaffen, die das Szepter in die Hand nahmen und den Nachwuchs sicherten. Es ist öfters darauf hingewiesen worden, daß vor allem zwei Organisationen erheblichen Einfluß nahmen und nehmen, nämlich „Concilium“ als fortschrittlicher Flügel des Modernismus und „Communio“ als gemäßigter Flügel desselben. Während die theologischen Lehrstühle fast ausnahmslos mit Leuten von „Concilium“ besetzt wurden, rekrutierte man die Bischöfe aus „Communio“. Der Sinn dieser Aufteilung bzw. Vorgehensweise ist leicht verständlich, durch die Universitäten werden die zukünftigen Priester und Bischöfe und Ordensleute herangezogen und darum ist es wünschenswert, daß hier der neueste Stand der modernistischen Irrlehren weitergegeben wird. Je modernistischer, desto besser, kann man sagen. Es muß nämlich der Gefahr eines Rückschritts langfristig entgegengewirkt werden, sonst könnte es womöglich doch zu einem konservativen Umschwung kommen, der das Ganze gefährdet.



Bei den Bischofsernennungen muß man vorsichtiger vorgehen, denn das Kirchenvolk hinkt gewöhnlich der universitären Entwicklung hinterher. Das Kirchenvolk ist gewöhnlich noch nicht so vom Modernismus verseucht wie der Klerus. Darum muß sich der Bischof konservativer geben als der Theologieprofessor. Er muß womöglich sogar einmal einen Professor maßregeln und so tun, als wollte er den „Glauben“ gegen irrige Lehren desselben verteidigen. Wobei es normalerweise zu einer solch außergewöhnlichen Maßnahme nur dann kommt, wenn sich ein Professor medienwirksam zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Solange er nur im Lehrsaal seine Irrlehren vor den Studenten vertritt, geschieht gewöhnlich nichts, denn, wie gesagt, ist das gewollt.

Nun, zu den Gründern von „Concilium“ im Jahr 1965 gehörten Hans Küng und Joseph Ratzinger. Weil jedoch aufgrund des Einflusses von Hans Küng diese Gemeinschaft immer progressivere Thesen vertrat, kehrte Ratzinger dem Ganzen den Rücken und gründete zusammen mit Henri de Lubac und Hans Urs von Balthasar die Gemeinschaft „Communio“. Die Gründer dieser Gemeinschaft wurden später allesamt „Kardinäle“. Anscheinend strebte Joseph Ratzinger von Anfang eher danach, die hierarchische Karriereleiter hinaufzusteigen, zielsicher steuerte er auf Rom zu. Obwohl von der Lehre her gesehen nicht besser als Hans Küng, stülpte man ihm fortan einen konservativen Mantel um und gab ihm den Nimbus des Verteidigers der Tradition. Ratzinger übernahm erfolgreich die Rolle des Bremsers, der niemals wirklich bremste, sondern den Karren nur insgesamt in der Spur hielt. Dabei beruhigte Ratzinger jahrzehntelang erfolgreich die Gemüter der Konservativen und vermittelte ihnen gekonnt den Eindruck, daß man sie verstand und ihre Anliegen weiterhin ernst nahm.

Ökumenische Erweiterung des Denkhorizontes

Erinnern wir uns kurz an den Schluß der Ausführungen von Paul Hacker. Der angeblich konservative „Theologe“ Joseph Ratzinger schafft es tatsächlich, eine Mariä-Himmelfahrt-Predigt zu halten, in der von der Gottesmutter nicht die Rede ist. Dafür ist umso mehr die Rede von den Einwänden der Protestanten, die, wie Paul Hacker bemerkt, Ratzinger „offenbar als wesentlichen Teil der ‚Geschichte des Dogmas‘“ ansieht und diese „eine Seite lang aus[…]breitet“, weil darin „zweifellos Richtiges gesehen“ wird. Der „Theologe“ Ratzinger denkt grundsätzlich schon ökumenisch, weil sein Glaube nicht mehr katholisch ist. Lernbegierig geht er bei den Protestanten in die Schule, um seinen Denkhorizont ökumenisch zu erweitern.

...und „das Dogma bereichernde“ Irrlehren

Das Ganze des Dogmas ist für den Modernisten Ratzinger selbstverständlich die Summe aller Häresien, also die Irrlehren der Protestanten als das Dogma bereichernd eingeschlossen. „In diesem ‚Ganzen‘ und dem zugehörigen ‚Verstehen‘ ist dann selbstredend von Maria und ihrer Assumptio corpore et anima nicht die Rede“, so Paul Hackers Resümee. Vom eigentlichen Dogma bleibt nur eine Worthülle übrig. Das zugrundeliegende Programm ist letztlich die systematische Auflösung des Dogmas als solches. Die Dogmen sind für Ratzinger faktisch schon lange in die Rumpelkammer geworfen worden, diese sind schon längst von der neuesten „theologischen“ Forschung überholt. In den Schriften der Modernisten geistert deswegen nur noch das Wort „Dogma“ herum, um die einfachen Gemüter nicht allzu sehr zu erschrecken oder etwa gar abzuschrecken, für diese „wird ein irreführendes, einschläferndes Spiel getrieben.“

Ein modernistisches Chamäleon

Dieses irreführende, einschläfernde Spiel hatte leider nur allzu großen Erfolg – und zwar bis heute! Zwar sagte Joseph Ratzinger, anders als andere Modernisten, durchaus immer wieder klar, was er meinte, dennoch muß man seine Texte aufmerksam lesen und versuchen, sie recht zu verstehen. Im Grunde blieb Ratzinger sich immer gleich und hatte von Anfang an seine Sicht der Dinge. In seinem Gespräch mit P. Seewald gab er auf den Einwand „Gemeinhin wird vermutet, es gäbe zwei Ratzinger: einen vor Rom, einen progressiven, und einen in Rom, den konservativen und gestrengen Glaubenswächter ...“ folgende Antwort: „Ich bestreite nicht, daß es in meinem Leben Entwicklung und Wandel gibt, aber ich halte fest, daß es Entwicklung und Wandel in einer grundlegenden Identität ist und daß ich, gerade mich wandelnd, dem, worum es mir immer gegangen ist, treu zu bleiben versucht habe“ (J. Ratzinger, Benedikt XVI.: Salz der Erde – Ein Gespräch mit P. Seewald, München 2005, S. 123 f.).

Ergänzend hierzu muß man hinzufügen, Ratzinger verstand es dennoch geschickt, seine Treue zu sich selber mit einer erstaunlichen diplomatischen Geschmeidigkeit zu verbinden, weshalb ihn seine Gegner zuweilen mit einem Chamäleon verglichen, das sich bekanntlich farblich immer der Umgebung anpaßt. So muß man bei Ratzinger durchaus in Rechnung stellen, wann und zu wem er gerade spricht, denn er nuanciert seine Aussagen jeweils entsprechend der Erwartungshaltung seiner Zuhörer. Zu Progressisten spricht er progressiver, zu Konservativen konservativer.

Die „alte Liturgie“ – ein Auslaufmodell

Das Gesagte soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Bei nicht wenigen Traditionalisten gilt Joseph Ratzinger als Retter der „alten“ Messe. Diesen Titel hat er sich durch sein Motu Proprio Summorum Pontificum erworben, wodurch er der „alten“ Messe wieder Heimatrecht in der Kirche gegeben hat, wie sich diese Traditionalisten auszudrücken belieben. Aber hat Joseph Ratzinger das jemals gewollt, die „alte“ Messe retten?

In der Zeitschrift DER FELS vom April 1978 wurde ein KNA-Bericht wiedergegeben, in dem es hieß: „Kardinal Ratzinger ... räumte ein, daß es nicht klug gewesen sei, mit der Einführung des neuen Meßbuches gleichzeitig das alte zu verbieten. Es sei von vornherein klar gewesen, daß die Liturgiereform nicht ‚unter dem Gesichtspunkt des Erfolges‘ gesehen werden konnte. Der Grundduktus der Reform könne auch nicht zur Debatte stehen. Er sei jedoch, so betonte Ratzinger, für eine ‚große Toleranzbreite‘, damit die alte Liturgie ‚auslaufen‘ könne. Eine Reform der Liturgiereform könne er sich nicht vorstellen, wohl aber, daß einige Bestandteile der alten (tridentinischen) Liturgie in die neue Liturgie wieder integriert würden, um insofern die Kontinuität mit der Vergangenheit herzustellen.“

Jeder einigermaßen informierte Katholik kann somit wissen, daß Ratzinger als Benedikt XVI. nichts anderes in die Tat umsetzte als das, was er schon 1978 deutlich gemacht hat. Er hat mit seinem Motu Proprio Summorum Pontificum die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, daß „die alte Liturgie ‚auslaufen‘ könne“ – für das System des Modernismus möglichst schadlos auslaufen könne, sollte man verdeutlichend hinzufügenEs war ihm zwar nicht mehr vergönnt, vor seinem Rücktritt auch noch das Ende dieser Entwicklung durch die Integrierung „einige Bestandteile der alten (tridentinischen) Liturgie“ in den Ordo der sog. Neuen Messe festzulegen, aber die Vorarbeiten dazu wurden ebenfalls schon damals geleistet – fanden wohl aber nicht das Wohlgefallen Bergoglios, weshalb das neue Meßbuch, das beide Riten wieder vereinigen soll, immer noch auf sich warten läßt.

Man könnte es so ausdrücken: Der eher barockverbundene Ratzinger liebt sicherlich auch da und dort lateinischen Chorgesang, Weihrauch und Predigt von der Kanzel herab, steht aber nichtsdestotrotz felsenfest auf dem theologischen Fundament der Neuen Messe. Es war jedenfalls auffällig, daß Ratzinger es immer vermieden hat, auch nur den Eindruck zu erwecken, die „alte“ Messe sei ihm lieber als die „neue“. Als Benedikt XVI. las er grundsätzlich keine „alte“ Messe – favorisierte jedoch die kniende Mundkommunion! Das brachte ihm bei den Traditionalisten natürlich viele Pluspunkte ein. Sein Ruf als Hüter der Tradition war wieder einmal gesichert!

Ein mächtig getunter Oldtimer

Eines ist auffallend: Irgendwie gelang es immer wieder, Ratzinger so zu tunen, daß er als Galionsfigur für die Konservativen weiter taugte. Autos werden bekanntlich gerne getunt. Einem ganz gewöhnlichen Serienfahrzeug wird ein neuer, leistungsstarker Motor verpaßt, das Fahrwerk wird tiefer gelegt und verstärkt, die Karosserie wird mit Kotflügelverbreiterungen und mit Spoilern versehen und das Ganze auf richtig breite Reifen gestellt. Das ist jedoch das Tuning für die Progressisten, also die extremen Modernisten, nicht für Ratzinger. Ratzinger kommt viel eher getunt daher wie ein sog. Wolf im Schafspelz, d.i. ein PS-Monster, dem man es nicht auf den ersten Blick ansieht. Eher nach Art der Edeltuner, elegant und harmlos nach außen, aber dennoch viel Power unter der Haube. Schaut zwar ganz normal aus, läßt jedoch selbst manchen Supersportwagen hinter sich. Ein Kenner sieht es zwar auf den ersten Blick, der Unkundige läßt sich jedoch leicht täuschen – und wundert sich, wenn er hinterherschaut. 

Die meisten Traditionalisten sind offensichtlich keine Kenner, halten sie doch tatsächlich Ratzinger für einen biederen, gemächlichen Oldtimer – dabei ist er durchaus ein modernistisch getunter Sportwagen, jederzeit fähig, so einen Möchtegernmodernisten gelassen hinter sich zu lassen.

Das Fundament

Auch bei einem Theologen ist das geistige Fundament immer eine Philosophie. Das ganz ausdrücklich zu berücksichtigen ist notwendig, wenn man über den Modernismus bzw. über einen Modernisten urteilen will: Jede theologische Irrlehre korrespondiert mit einer falschen Philosophie. Warum das? Die Philosophie ist an sich die Lehre vom rechten, d.h. wahrheitsgemäßen Denken und Urteilen. Insofern gibt es nur eine Philosophie, die sog. Philosophia Perennis, die ewige Philosophie, die immer gleich bleibt, weil die Erkenntnisfähigkeit des Menschen und die Wirklichkeit ebenfalls immer gleich bleiben. In der Philosophia Perennis ist der Wissensschatz vieler, vieler Jahrhunderte hinterlegt. Eine tiefe Einsicht in die Erkenntnisfähigkeit des Menschen und die grundlegenden Prinzipien des menschlichen Denkens und Urteilens finden sich dort. Die katholische Kirche hat deswegen immer wieder betont, daß nur auf dem Fundament dieser Philosophie der Glaube rein bewahrt werden kann. In der geistigen Auseinandersetzung mit der Aufklärung und dem Modernismus verwiesen die Päpste öfter eindringlich auf die Bedeutung einer gesunden Philosophie für die Verteidigung des übernatürlichen Offenbarungsglaubens. Sie zeigten die verheerende Wirkung einer falschen Philosophie auf das Verständnis des katholischen Glaubens und verurteilten deswegen immer wieder gewisse philosophische Sätze.

Existenzialismus und Hegelsche Dialektik

Selbstverständlich haben die Modernisten sich um diese Mahnungen und Verurteilungen nicht geschert, sondern sich den modernen philosophischen Irrtümern direkt in die Arme geworfen – weil darin angeblich neue Erkenntnisse zutage getreten seien. Dabei konnte, ja mußte jeder wirklich gebildete Katholik wissen, daß diese neuen Erkenntnisse immer nur die alten Irrtümer in einem neuen Gewand waren und sind. Joseph Ratzinger wollte das nicht mehr wissen. Sein philosophisches „Fundament“ ist der Existentialismus und die Hegelsche Dialektik.

Verheerende Folgen eines protestantischen Historismus

Der Existentialismus ersetzt das Sein durch das Werden. Im Modernismus gilt bekanntlich das „Leben“ alles, Leben aber heißt Veränderung, Entwicklung, Fortschritt, usw. Ratzinger verbindet diesen Gedanken häufig mit dem Wort „Geschichte“. Man muß sagen Wort „Geschichte“, denn mit der wirklichen Geschichte haben die Phantastereien Ratzingers nicht viel zu tun. Die Grundlage für Ratzingers Geschichtsinterpretation bildet vielmehr die Dialektik Hegels: Wahrheit im Werden! Paul Hacker hatte festgestellt:

Nach allem ist es klar, wie sich Ratzinger die weitergehende «Geschichte» des Dogmas denkt. Das tridentinische Dogma, nach rückwärts und vorwärts «geschichtlich» interpretiert, ist natürlich nicht mehr, was man eigentlich unter Dogma versteht. Und wenn die Propositionen der Internationalen Theologenkommission vom Oktober 1972, die ganz im Geiste von Ratzingers Düsseldorfer Vortrag von 1965 gehalten sind, als Norm gelten, ist eine solche Entleerung völlig legitim. Es wird hier grell deutlich, welch ungeheure Gefahr der protestantisierende Historismus Ratzingers für die Kirche bedeutet, und welch wesentlichen Anteil dieser Gelehrte an den katastrophalen Propositionen von 1972 gehabt hat.“

Wahrheit im Werden oder die Entleerung des Dogmas

Es geht um eine systematische Entleerung des Dogmas, denn geschichtlich heißt für Ratzinger, „Wahrheit“ ständig im Werden. Oder anders ausgedrückt, es geht ihm um die „Diktatur der Beliebigkeit“. Dieser Begriff stammt von Ratzinger selbst, der sich zuweilen recht pointiert gegen den modernen Relativismus auslassen kann, ohne sich jedoch selber bei der eigenen Nase zu nehmen, denn sein System ist der geschichtliche Relativismus. 

Paul Hacker erklärte in seinem Aufsatz weiter:

Im Hintergrund steht die philosophische Verführung, als gebe es eine «Geschichtlichkeit der Wahrheit». Es ist festzuhalten: Die Kirche bekennt sich zur ungeschaffenen Wahrheit, und die Formulierungen, die sie unter der Leitung des Hl. Geistes aufgestellt hat, sind und bleiben verbindlich in dem Sinne, den die Worte der Formulierung ausdrücken. Die Tatsache, daß die transzendente Wahrheit nie adäquat in menschlicher Sprache ausgesagt werden kann, gibt niemandem das Recht, sich von dem Glaubensgesetz des Dogmas zu dispensieren – sei es im Sinne einer angeblichen «transzendentalen» Gottbeziehung (nach Art Rahners), sei es im Sinne einer historischen (oder existenzialistischen) Auflösung des Dogmas (nach Art Ratzingers und anderer).“

Es gilt somit festzuhalten: Der „Theologe“ Ratzinger steht auf einem irrigen philosophischen Fundament, demgemäß es eine Geschichtlichkeit der Wahrheit geben soll, durch welche die Dogmen ihres Inhaltes entleert, also zu nichtssagenden Formeln werden – ganz gemäß dem eingängigen Satz von Carl Schmitt: „‚Alles fließt‘, sagt Heraklit, der Felsen Petri, der fließt mit.“

Ratzinger dialektisches Spiel

Wie verwirklicht sich diese falsche Philosophie Ratzingers in seinem Reden über den Glauben? Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, Ratzinger liebt die moderne Dialektik, also das gedankliche Spiel mit Gegensätzen. Schon 1958 hielt er einen Vortrag, in dem er ein dialektisches Kirchenbild entwirft und eine „neue Dualität“, „eben die von Kirche und Nicht-Kirche“ entdeckt haben will. Gedankliche Grundlage für diese Dualität ist die Stellvertretung im Mysterium der Erlösung. Ratzinger entwickelt seine Gedanken anhand einer Deutung Karl Barths durch Hans Urs von Balthasar, den er folgendermaßen zitiert:

Immer ist die Erwählung des einen die Nicht-Erwählung des anderen. Aber immer ist der Erwählte auch um des Nichterwählten willen erwählt und hat dessen Nichterwählung in seinem Schicksal stellvertretend zu tragen, so daß in Wahrheit der Nichterwählte der Erwählte und der Erwählte der Nichterwählte ist.“ 

(Joseph Ratzinger, Die christliche Brüderlichkeit, München 1960, S. 105)

Die Hegelsche Aufhebung des Widerspruchsprinzips

Bevor wir versuchen wollen nachzuvollziehen, was Ratzinger mit diesem Balthasar-Zitat gemeint haben könnte, wollen wir grundsätzlich fragen: Haben diese Sätze überhaupt irgendeinen Sinn? Nein, diese Sätze haben keinen klaren, d.h. rational einsehbaren und darum nachvollziehbaren Sinn – ganz abgesehen von den verschiedenen Irrlehren, die er mitbehauptet. Diese Sätze geben darüber Aufschluß, was geschieht, wenn man hegelianisch das Widerspruchsprinzip außer Kraft setzt: Alles Sprechen wird unsinnig.

Ratzinger setzt mit Balthasar Erwählte und Nichterwählte gleich bzw. tauscht infolgedessen die Begriffe einfach gegeneinander aus, so daß in Wahrheit der Nichterwählte der Erwählte und der Erwählte der Nichterwählte ist. Dadurch verliert jedoch der Begriff seine eigentliche, spezifische, konkrete Bedeutung, er ist seines Inhaltes entleert, so daß er letztlich überhaupt nichts Wirkliches mehr aussagt. Für einen Katholiken ist ein „Erwählter“ etwas ganz Bestimmtes und selbstverständlich genau das Gegenteil von einem „Nichterwählten“. Soll Sprache sinnvoll sein, soll es noch möglich sein, etwas Wirkliches klar zu benennen und dadurch von anderem zu unterscheiden, dann schließt beides sich aus: Der Erwählte kann nicht zugleich Nichterwählter und der Nichterwählte nicht zugleich Erwählter sein.

Darüber hinaus ist schon der erste Satz falsch, worauf ein Theologieprofessor doch verweisen müßte: Immer ist die Erwählung des einen die Nicht-Erwählung des anderen. Warum sollte die Erwählung des einen mitbedingen, daß der andere nicht erwählt ist? Warum sollte meine Rettung zur Verdammung des anderen werden? Aufgrund welches Glaubenssatzes kann so etwas gesagt werden? Selbstverständlich durch keinen! Ganz im Gegenteil heißt es beim hl. Paulus im Ersten Brief an Timotheus, daß Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim. 2, 4). Somit kann doch der Grund für die Erwählung und Nichterwählung eines Menschen durch Gott nicht der gleiche sein.

...hin zur Allerlösungslehre

Es ist bekannt, daß Hans Urs von Balthasar diesen Satz im Sinne der Allerlösung verstanden hat, die er sich aufgrund der pseudomystischen Schauungen einer Adrienne von Speyer von der Höllenfahrt Christi zueigen gemacht hat. Der Satz gibt tatsächlich auch nur dann einen Sinn, wenn letztlich auch die Verworfenen gerettet werden, d.h. wenn die Hölle schließlich leer ist, weil selbst die Teufel ihren Erlöser finden und schließlich gerettet werden. 

All das muß Ratzinger ebenfalls gewußt haben, als er Balthasar zitierte, denn nur zwei Seiten vor dieser Stelle spricht Balthasar über die Höllenfahrt Jesu Christi, bei der Christus „die Verdammnis, den Tod und die Hölle schmeckt.“ Hat er womöglich diesen Irrtum aufgedeckt und in seiner Interpretation korrigiert? In seiner Erklärung geht Ratzinger auf das Gleichnis vom verlorenen Sohn ein, wobei man diese „Gleichniserzählung vom verlorenen Sohn, […] vielleicht besser ein Zwei-Brüder-Gleichnis nennen könnte“. Damit leitet er auf seine ganz im Sinne von Karl Barths und Balthasars Phantastereien liegende Erklärung des Gleichnisses über: „Die Verwerfung führt nun zuletzt gerade in die Erwählung hinein, der Verworfene wird schließlich dennoch gerade in seiner Verwerfung erwählt“ (Ebd. S. 105).

Das richtige Lesen der Heiligen Schrift scheint nicht die Stärke Ratzingers zu sein, denn jedes Katechismuskind weiß, daß der verlorene Sohn nicht wiedererwählt wurde, weil er verworfen war, sondern weil er sich aufrichtig bekehrt und seine Sünden vor dem Vater bekannt hat. Deswegen wird der verlorene Sohn im Katechismusunterricht gerne als Beispiel für eine aufrichtige Beichte angeführt. Wie kann ein Katholik solch dialektisch-hegelianischen Unfug in dieses Gleichnis hineininterpretieren, solange er noch einen einigermaßen klaren Begriff von der katholischen Religion hat?

Es ist kaum zu glauben, Ratzinger schreckt nicht davor zurück, folgenden Unsinn zu behaupten: „Immer wieder wird der Erwählte, der durch Gnade in die Erkenntnis des Glaubens und der Liebe Gerufene, bereit sein müssen, der stellvertretend Verworfene zu sein“ (Ebd. S. 106), Und an anderer Stelle phantasiert er weiter: „So dienen beide (sc. die Gläubigen und Ungläubigen) der Offenbarung des göttlichen Willens und Beschlusses, die nach ihrem Inhalt ganz Licht ist und die doch, ohne Licht und Schatten zu werden, nicht Offenbarung werden könnte, nicht zu erkennen wäre“ (Ebd. S. 191).

Die daraus folgende Synthese: Zugleich Gerechter und Sünder

Mit katholischem Glauben haben solche Phantasien wirklich nichts mehr zu tun. Auch der Ungläubige diene der Offenbarung des göttlichen Willens und Beschlusses – d.h. selbst als Ungläubiger ist und steht er im Willen Gottes – weil nämlich der Wille Gottes nicht Offenbarung werden könnte, ohne sich als Licht und Schatten zu zeigen. Somit wäre die Welt, wenn die Engel und Menschen nicht gesündigt hätten, nicht fähig zur ganzen Offenbarung Gottes gewesen!

Es ist außerdem zu vermuten, daß in dieser Interpretation, die auf den Protestanten Karl Barth zurückgeht, das lutherische „simul justus et peccator“ – „zugleich Gerechter und Sünder“ – anklingt. Später wird Ratzinger sagen, die Barmherzigkeitslehre Bergoglios sei nichts anderes als die Rechtfertigungslehre Luthers. Damit hat er durchaus recht, Bergoglio verführt seine Anhänger – gleich wie Luther – zum vermessentlichen Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes, was nichts anderes als eine Sünde gegen den Heiligen Geist ist. Ratzinger dachte schon 1960 dasselbe wie Bergoglio heute.

Anonyme Christen und zahlreiche Heilswege

Schließlich klingt hier womöglich auch schon die Umdeutung der Ungläubigen in anonyme Christen an, die dann auf dem sog. Konzil zur Lehre der neuen Menschenmachwerkskirche erklärt wurde. Auch der vordergründig Nichterwählte ist im Tiefsten seines Herzens dennoch ein Erwählter, weil ihn Christus auch in seinem Unglauben umfängt – auch wenn er selbst davon gar nichts weiß. Für die Irrlehrer der Menschenmachwerkskirche sind darum alle Menschen Kinder Gottes, ganz unabhängig davon, ob und was sie glauben. Folglich sind auch alle Religionen Heilswege – wie wir noch genauer darlegen werden. 

Solch seltsame und unkatholische Gedankenspiele haben damals noch Kritik geerntet, weshalb Ratzinger etwas zurückgerudert ist und die Hegelsche Dialektik etwas gemildert vorgetragen hat.

Die goldene Mitte? – oder vielmehr weder heiß noch kalt, sondern lau!

Für die 1969 erschienene Sammlung Das neue Volk Gottes hatte Ratzinger seinen Aufsatz Die neuen Heiden und die Kirche von 1958 überarbeitet. Dort liest man am Ende des Aufsatzes: „Diese Ausführungen wurden vielfach mißverstanden, als wollten sie ein dialektisches System von Kirche und Nicht-Kirche zum Kern der Erlösungslehre erheben.“

Eine solche Art der Korrektur ist typisch modernistisch: Der Modernist macht niemals Fehler, er wird immer nur mißverstanden. Ratzinger mildert jedenfalls infolge der vorgebrachten Kritik seine Dialektik ein wenig ab und schreibt nun: „Der Gegensatz von Kirche und Nicht-Kirche bedeutet nicht ein Nebeneinander und nicht ein Gegeneinander, sondern ein Füreinander, in dem jede Seite ihre Funktion besitzt.“ Damit hat Ratzinger wieder seine Mitte gefunden: nicht Nebeneinander, nicht Gegeneinander, sondern Füreinander – und wie schon festgestellt, er ist DIE MITTE!

Ratzingers Assisi-Kommentar

Machen wir doch einmal einen zeitlichen Sprung vorwärts, und zwar in das Jahr 1988. Ratzinger ist mittlerweile in Rom und oberster Glaubenshüter in der Menschenmachwerkskirche. Das Großereignis des interreligiösen Religionstreffens von Assisi hat stattgefunden und die Gemüter bewegt. Wie inzwischen üblich geworden, nimmt Ratzinger in einem Interview der italienischen Zeitung „Il Sabato“ zu Fragen der Gesellschaft, der Ethik und der Kirche Stellung. Im deutschsprachigen Osservatore Romano vom 15. Januar 1988 wurden die Darlegungen Ratzingers weitgehend dokumentiert.

Was hatte also damals der zum römischen Glaubenshüter aufgestiegene Ratzinger den durch den Skandal von Assisi verwirrten Schafen zu sagen? Zunächst formuliert Ratzinger das Problem – die Modernisten haben ja immer Probleme, jedoch keine Lösungen – so:

Verschiedentlich wird eine Interpretation von Assisi erkennbar, die alle Religionen als nebeneinanderstehende geschichtliche Individualitäten oder bloß als unterschiedliche ‚Traditionen‘ ansieht, in denen sich das Phänomen ‚Religion‘ konkretisiert. In Assisi seien nun diese traditionellen Religionsgestalten endlich zu einem fruchtbaren und friedlichen Zeugnis zusammengekommen. Wer von einer solchen Vorstellung ausgeht, behält vom Dialog nur noch ein Element bei: das Stehenlassen der Identität des anderen, die nun deshalb zu einer völlig unverrückbaren Größe wird, weil alle Religionen ohnedies nur ‚Traditionen‘ sind und alle nur noch als symbolische Absage an die Wahrheit! Dies kann nicht Modell sein!“

Also keine Religion darf als solche bei sich stehenbleiben und sich als das Maß aller Dinge ansehen. Indem nämlich die eigene Identität einfach unverrückbar gesetzt wird, kommt der Dialog zum Erliegen, weil die eigenen „Traditionen“ zu einer völlig unverrückbaren Größe werden. – Dies kann selbstverständlich nicht Modell sein! Denn dann wäre es aus mit der Dialektik, wie wir sie schon dargelegt haben: „Der Gegensatz von Kirche und Nicht-Kirche bedeutet nicht ein Nebeneinander und nicht ein Gegeneinander, sondern ein Füreinander, in dem jede Seite ihre Funktion besitzt.“ Ratzinger erläutert das Gesagte an einem vom wesentlichen eher ablenkenden Beispiel:

In der Leitung einer Diözese erscheint manchem heute Vermeidung von ‚Polarisation‘ als wichtigste Aufgabe. ‚Die oberste Regel des Hirten! Aber was bedeutet das? Wird der Bischof ein reiner Moderator, der nicht in die inhaltliche Ebene eintritt und sich nur darum bemüht, Unterschiedliches ohne Polarisation zusammenleben zu lassen, dann sagt er seinem Hirtensein ab.‘ ‚Eine Einheit, die keine Inhalte mehr hat und sich nicht in der Wahrheit konkretisiert, ist nur der Schein der Einheit.‘ So wichtig Toleranz und Anerkenntnis vielfältiger Gestalten des Glaubens sind – wenn das ‚Schwert‘ der Wahrheit abhanden kommt, kann Konfliktvermeidung zum Instrument der Lüge werden, die dann unter dem Mantel des Pluralismus ihre fatale Diktatur aufrichtet.“

Hat er das nicht schön gesagt, der oberste Glaubenshüter – das mit ‚Schwert‘ der Wahrheit, Konfliktvermeidung zum Instrument der Lüge und unter dem Mantel des Pluralismus ihre fatale Diktatur aufrichtet? Es ist sicherlich wahr: Eine Einheit, die keine Inhalte mehr hat und sich nicht in der Wahrheit konkretisiert, ist nur der Schein der Einheit. Man bedenke, das sagte Ratzinger 1988, nachdem Wojtyla schon 10 Jahre den Weinberg des Herrn verwüstet hatte und er unter diesem dient. Ein wenig merkwürdig scheint die Formulierung: in der Wahrheit konkretisiert. Folgt die Einheit nicht einfach aus der Wahrheit, d.h. aus dem göttlichen Glauben? Wie ist das mit dem konkretisiert wohl genau gemeint?

Ratzingers Auffassung vom Dialog

Ratzinger gibt darüber folgende Auskunft:

Dialog ist dann, wenn man sich auf die Wahrheit zubewegt. Dialog setzt mit dem Respekt vor dem anderen auch die Dynamik des Zugehens auf die Wahrheit voraus. Nur in der Bewegung auf die Wahrheit hin achten wir alle und uns selbst. Nur so können wir schließlich zu einem wahren Frieden gelangen, den es ohne Wahrheit nicht gibt. Mir scheint, daß die Grundlagen des Gesprächs über die Religionen und der Religionen miteinander in dieser Richtung neu bedacht werden müssen. ‚Wenn man dem katholischen Denken gern Dogmatismus vorwirft, so muß man einem modischen Relativismus in Wirklichkeit Statik vorwerfen, die den Menschen der Wahrheit gegenüber blockiert.‘ Die Haltung, die sagen läßt: Wir alle haben Werte – diese Haltung legt eine statische Position frei, die sich dem wahren Fortschritt, dem gemeinsamen Zugehen auf Wahrheit entgegenstellt. Die geschichtlichen Identitäten unwiderruflich festzuschreiben und damit ihre Selbstüberschreitung auszuschließen bedeutet, sich in den Historismus hinein zu fixieren.“

Da staunt der Laie und wundert sich der Fachmann. Was meint Ratzinger mit dieser die Wirklichkeit auf den Kopf stellenden, seltsamen Dialektik? Denn es handelt sich natürlich um Dialektik, die zwar einen Sprung macht, aber dennoch sozusagen um die Ecke zwei Gegenthesen formuliert. Eigentlich würde man erwarten: Tradition auf der einen Seite und Zugehen auf die Wahrheit auf der anderen Seite.

Die ständige Suche nach der Wahrheit

Übrigens wird hier nicht gesagt, warum das nicht auch für die katholische Kirche gelten sollte, sondern dies wird stillschweigend (!) vorausgesetzt. Denn es geht doch um den interreligiösen ökumenischen Dialog, zu dem Wojtyla alle Religionen nach Assisi eingeladen hatte. Nun, Ratzinger wäre nicht Ratzinger, wenn er in seine Dialektik nicht eine verrückte Idee einbauen würde. Er vertauscht kurzum die Seiten und sagt: Wenn man dem katholischen Denken gern Dogmatismus vorwirft, so muß man einem modischen Relativismus in Wirklichkeit Statik vorwerfen, die den Menschen der Wahrheit gegenüber blockiert. 

Erwarten würde man das Gegenteil: Der statische Dogmatismus und der offene Relativismus. In Ratzingers Variante ist das mit dem modischen Relativismus etwas zwielichtig. Denn statisch ist dieser nun wirklich nicht, selbst wenn er die Wahrheitsfrage grundlegend verneint. Vielmehr kann er sich sehr flexibel geben, weil er jede Meinung tolerieren kann und nirgends aneckt.

Was hält nun aber Ratzinger der Statik des modischen Relativismus entgegen? Etwa die Wahrheit? Nein, die Suche nach der Wahrheit! Im dialektischen Dialog bewegen sich angeblich alle gemeinsam auf die Wahrheit zu. Das setzt voraus, daß kein Dialogpartner die ganze Wahrheit besitzt, alle können und müssen ständig voneinander lernen, sie müssen auf die Wahrheit hin offen bleiben. Ist das denn kein Relativismus, eine endlose Suche nach der Wahrheit? Denn auf das kommt es letztlich hinaus. Was bleibt von der Wahrheit noch übrig, wenn sich alle gemeinsam ständig auf dem Weg zur Wahrheit befinden – und wer entscheidet dann eigentlich, was denn auf den verschiedenen Etappen der Wahrheitssuche wahr ist oder nicht? Ja, ist eine solche Entscheidung überhaupt möglich? Kann es je zu einer endgültigen Übereinkunft kommen?

… und die Entleerung des Wahrheitsbegriffes

Ratzinger meint: Die geschichtlichen Identitäten unwiderruflich festzuschreiben und damit ihre Selbstüberschreitung auszuschließen bedeutet, sich in den Historismus hinein zu fixieren. D.h. einfach und für alle verständlich gesagt ganz eindeutig: Nein! Sobald einer der Dialogpartner sagt, er hat die Wahrheit, fixiert er sich in den Historismus. 

Wir sehen, Ratzinger bleibt sich immer gleich, er setzt einem Irrtum immer einen zwar weniger profilierten, aber im Grunde noch verheerenderen Irrtum entgegen. Seine „Lösung“ des Problems des modischen Relativismus ist ein historischer Relativismus. Ratzinger ersetzt das „es gibt keine erkennbare Wahrheit“ des modischen Relativismus durch die „Suche nach der Wahrheit“ und die Leute glauben, er sei noch katholisch, weil es ihm um die Wahrheit gehe. Sie übersehen, das Wort „Wahrheit“ ist bei Ratzinger nur eine Worthülse. Man muß immer mitbedenken, Ratzinger spricht hier vom interreligiösen Ökumenismus. Er spricht von christlichen und nichtchristlichen Religionen. Und was sagt er? Nur in der Bewegung auf die Wahrheit hin achten wir alle und uns selbst. Nur so können wir schließlich zu einem wahren Frieden gelangen, den es ohne Wahrheit nicht gibt. Und: Die Haltung, die sagen läßt: Wir alle haben Werte – diese Haltung legt eine statische Position frei, die sich dem wahren Fortschritt, dem gemeinsamen Zugehen auf Wahrheit entgegenstellt.

Klingt das nicht ziemlich verrückt? Heißt denn gemeinsames Zugehen auf die Wahrheit notwendigerweise, daß man selber gar keine Werte hat? Blockieren erkannte Werte die Erkenntnis der Wahrheit und behindern die Wahrheitssuche? Was soll das denn für eine Wahrheit sein?

Dialog statt Mission

Der Modernist Ratzinger sieht überall Probleme, wo es für einen Katholiken gar keine geben sollte, denn ist für einen Katholiken die Antwort auf all diese Fragen nicht ganz einfach? Wir Katholiken wissen, unser katholischer Glaube ist diegöttlich verbürgte Wahrheit und damit ist dieser Glaube der einzig wahre Glaube und der einzige Weg zum ewigen Heil. Dementsprechend sagt unser göttlicher Lehrmeister: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als durch mich“ (Joh 14, 6). Einfacher, klarer und fordernder kann man diese Wahrheit wohl kaum noch in Worte fassen.

Daraus folgt wiederum, für einen Katholiken gibt es keinen Dialog der Religionen untereinander, sondern nur die Mission, gemäß dem Befehl Jesu: „So geht denn hin und macht alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und sie lehrt, alles zu halten, was ich euch geboten habe. Seht, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“

Was also soll die Suche nach der Wahrheit genau sein, von der Ratzinger spricht und die dem Dialog Sinn und Ziel geben soll? Offenbar geht es bei Ratzinger nicht mehr darum, die anderen zum katholischen Glauben zu bekehren, das setzte ja eine unerträgliche Statik voraus, die jeglichem Dialog hinderlich wäre, ja ihn geradezu verunmöglicht. Eine solche Haltung würde die geschichtlichen Identitäten tatsächlich unwiderruflich festschreiben, weil sich nämlich die göttliche Wahrheit niemals ändert. Für einen Katholiken gibt es keinen Dialog im modernistischen Sinne, es gibt nur Mission.

Ratzingers subjektive, neue Interpretation des Begriffes „Kirche“

Ratzinger sieht das offensichtlich anders. Seine Suche nach der Wahrheit umgreift alle Religionen der Welt, ja durch diese werden alle verschiedenen Religionen irgendwie vereint. So der Irrwahn Ratzingers. Aber haben wir Ratzinger auch richtig verstanden? – Wenigstens insofern man einen modernen Dialektiker richtig verstehen kann. Sind doch seine Aussagen immer zeitgebunden gemeint, also nur aus dem geschichtlichen Kontext zu verstehen. Was doch wohl auch für Ratzinger gilt und nicht nur für die anderen!

Was ist aber der geschichtliche Kontext der Aussagen Ratzingers über die Kirche und unseren katholischen Glauben? Der wichtigste Kontext ist zweifelsohne das sog. 2. Vatikanum. In seinem Buch „Benedikt XVI. und das Selbstverständnis der katholischen Kirche“ zeigt Wolfgang Schüler in einer akribischen Detailarbeit auf 351 Seiten, was denn nun eigentlich Joseph Ratzinger meint, wenn er von „Kirche“ spricht. Allein das müßte einen nachdenklich machen, denn wie kurz angesprochen, ist das für einen Katholiken ganz einfach zu beantworten – nicht aber für einen Modernisten. Für einen Modernisten ist die Kirche Jesu Christi gerade nicht einfach die katholische Kirche, weil für einen Modernisten der Glaube inhaltsleer ist. Damit ist auch der Begriff „Kirche“ nicht mehr inhaltlich bestimmt durch die göttliche Wahrheit, sondern durch bloße menschliche Übereinkunft, Ratzinger spricht von Traditionen.

Ein neuer „Kirchen“begriff von Leonardo Boff

Dies arbeitet Wolfgang Schüler ganz allgemein in seinem ganzen Buch und speziell anhand der Notifikation der Kongregation für die Glaubenslehre zu Leonardo Boffs Buch „Kirche: Charisma und Macht. Versuch einer militanten Ekklesiologie“ heraus. Wir greifen unsererseits nur auf die Ergebnisse zurück, die Wolfgang Schüler mühsam an den Tag fördert. An einer Stelle des Buches wird besonders die Bandbreite der Interpretationen Ratzingers deutlich. Hierzu muß man berücksichtigen, was wir schon festgestellt haben: Der Theologe Ratzinger schreibt anders als der „Bischof“, „Kardinal“, „Glaubenspräfekt“ und „Papst“.

Für Leonardo Boff ist die Kirche keine ein für alle Mal institutionell festgelegte Gemeinschaft, sondern wesentlichzeitgebunden. Wenn Boff das so allgemein formuliert gelassen hätte, dann wäre wohl gar nichts passiert, niemand hätte seine Irrlehre beanstandet. Aber Boff fügt konkretisierend hinzu, daß die Kirche sich deswegen auch ständig ändern, d.h. den Zeitverhältnissen anpassen müsse, was heutzutage bedeute, sie müsse eine neue Inkarnation der kirchlichen Strukturen in der Gesellschaft sein, was wiederum bedeute, daß die Machtausübung in einer schlichten Dienstfunktion bestehen wird. Einfach ausgedrückt: Die neue Kirche heute braucht keine Bischöfe und Priester mehr, sondern Sozialrevolutionäre.

In dieser Sicht Boffs ist mitbedingt, diese neue Kirche umfaßt alle Kirchen, denn die soziale Revolution ist ein alle Menschen betreffendes und umfassendes Ereignis. Kirche ist letztlich nur noch ein Begriff für die ganze Menschheit, die immer mehr zusammenwächst.

Somit sagt Leonardo Boff nichts wirklich anderes als Karol Wojtyla, wenn auch etwas weniger fromm, dafür aber direkter und ehrlicher. In der Darlegung seiner Ansicht beruft sich Leonardo Boff natürlich auf das sog. 2. Vatikanum und die neu formulierte Lehre von der Kirche Christi, die in der katholischen Kirche subsistiere. Boffs Interpretation dieser Aussage ist diese: Damit ist gesagt, daß die einzige Kirche Jesu Christi zwar auch in der katholischen Kirche verwirklicht ist, aber nicht nur in dieser. Auch in anderen christlichen Kirchen kann sie subsistieren, also verwirklicht sein. Die Kirche Jesu Christi ist somit vielgestaltig, die katholische Kirche ist nur eine unter vielen.

Subsistit…

Der damalige oberste Glaubenshüter Ratzinger meinte hingegen feststellen zu müssen, diese Interpretation Boffs widerspreche der authentischen Behauptung des Konzilstextes. Das mit der widersprechenden authentischen Behauptung des Konzilstextes ist aufgrund der real verwirklichten Interpretation dieses Textes, ganz besonders durch Karol Wojtyla, alias Johannes Paul II., reichlich kurios. 

Wolfgang Schüler zitiert zur Verdeutlichung einige Stellen aus der Ökumenismus-Enzyklika Ut unum sint Wojtylas, die wir jedoch anders geordnet wiedergeben, um den Gedankengang des Originaltextes bestehen zu lassen. Zunächst geht Wojtyla direkt auf die in Frage stehende Stelle des 2. Vatikanums ein und erklärt:

Das Konzil sagt, daß ‘die Kirche Christi in der katholischen Kirche verwirklicht ist, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird’, und anerkennt gleichzeitig, ‘daß außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.’ Daher sind diese getrennten Kirchen und Gemeinschaften trotz der Mängel, die ihnen nach unserem Glauben anhaften, nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Denn der Geist Christi hat sich gewürdigt, sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen, deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet.“ 

(Johannes Paul II: „Enzyklika Ut unum sint über den Einsatz für die Ökumene“, Bonn 1995, S. 12)

Nach dem 2. Vatikanum gibt es also durchaus auch außerhalb der katholischen Kirche vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit…, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen. Deshalb sind diese – obwohl ihnen nach unserem (!) Glauben Mängel anhaften – nicht ohne Bedeutung und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Ja, sie sind sogar Mittel des Heils – gemäß dem Geist Christi (!) – wenn sich auch die Wirksamkeit dieser Mittel von der katholischen Kirche herleitet. Aber damit noch nicht genug: 

Der Dialog [mit den anderen christlichen Gemeinschaften] ist nicht nur ein Gedankenaustausch. Er ist gewissermaßen immer ein ‚Austausch von Gaben und Geschenken.‘“

 (Ebd., S. 24)

Wir erinnern uns an den Satz Ratzingers: „Der Gegensatz von Kirche und Nicht-Kirche bedeutet nicht ein Nebeneinander und nicht ein Gegeneinander, sondern ein Füreinander, in dem jede Seite ihre Funktion besitzt.“ Und weiter: 

Zum Ökumenismus gehört, daß sich die christlichen Gemeinschaften gegenseitig helfen, damit in ihnen tatsächlich der ganze Inhalt und alle Ansprüche dessen gegenwärtig sind, ‚was uns seit den Zeiten der Apostel überkommen ist.‘ Ohne dies wird eine volle Gemeinschaft nie möglich sein. Diese gegenseitige Hilfe bei der Suche nach der Wahrheit ist eine vortreffliche Form der Liebe im Sinne des Evangeliums.“ 

(Ebd., S. 57)

Wir erinnern uns an einen weiteren Satz Ratzingers: „Dialog ist dann, wenn man sich auf die Wahrheit zubewegt. Dialog setzt mit dem Respekt vor dem anderen auch die Dynamik des Zugehens auf die Wahrheit voraus.“ Und schließlich:

Die Elemente dieser bereits gegebenen Kirche [der Kirche Christi] existieren in ihrer ganzen Fülle in der katholischen Kirche und noch nicht in dieser Fülle in den anderen Gemeinschaften, wo gewisse Aspekte des christlichen Geheimnisses bisweilen sogar wirkungsvoller zutage treten.“ 

(Ebd., S. 14)

Der letzte Satz ist die Schleifung auch der noch übrig gebliebenen Bastiönchen – denn wo bleibt denn noch die Fülle, wenn gewisse Aspekte des christlichen Geheimnisses [in anderen christlichen Konfessionen] bisweilen sogar wirkungsvoller zutage treten? Schon der Theologe Ratzinger selbst schrieb ganz gleichlautend in seiner „Theologischen Prinzipienlehre“: 

Zu den wesentlichen Folgen des II. Vatikanischen Konzils für die Theologie zählt es, daß ihr Denken und Sprechen nun durchgehend auf die ökumenische Dimension verwiesen ist: So sehr es zunächst aus dem Inneren der kirchlichen Überlieferung schöpfen muß, so wenig kann es daran vorbeigehen, daß andere Weisen der Entfaltung des christlichen Erbes bestehen, die ihm als Frage aufgegeben sind.“ 

 (J. Ratzinger: „Theologische Prinzipienlehre“, Rom 1982, S. 5)

Wolfgang Schüler bemerkt in der Fußnote zu dieser Stelle folgendes: „Indem Benedikt XVI. einer zweiten unveränderten Auflage dieses Werkes nach seiner Papstwahl zustimmte, stellte er sich auch als Papst hinter diese Ausführungen.“

Klarstellung eines Sachverhaltes durch zweideutigen Sprachgebrauch

Es wird immer deutlicher: Ratzinger wird in seiner Zurückweisung der Deutung Leonardo Boffs immer unglaubwürdiger. Auch der letzte Rest an Glaubwürdigkeit schwindet dahin, wenn man hinzubedenkt, was er im Februar 2000 auf einer Konferenz hinter verschlossenen Türen in Rom nach John L. Allen zu bedenken gab:

Ratzinger sagte, in Bemerkungen, die durch einen katholischen Nachrichtendienst übermittelt wurden, daß Boff der erste öffentliche Prüfstein gewesen sei, wie der potentiell zweideutige Sprachgebrauch des Konzils über die Kirche interpretiert werden würde.“ 

(John L. Allen: Joseph Ratzinger, Düsseldorf 2005, S. 153)

Wie kann Ratzinger als Glaubenspräfekt feststellen, daß Leonardo Boff dem Konzil widerspricht, wenn der potentiell zweideutige Sprachgebrauch des Konzils über die Kirche feststeht? Ganz zurecht bemerkt Wolfgang Schüler: „Wie man mit einem ‚potenziell zweideutige(n) Sprachgebrauch‘ den Willen bekunden kann, einen Sachverhalt ‚klarzustellen‘, das bleibt das Geheimnis des heutigen Papstes“ – womit der „Papst“ der Menschenmachwerkskirche gemeint ist. 

Nun, vielleicht hilft eine weitere sprachliche Klärung, das Geheimnis zu lüften. Wie Wolfgang Schüler in seinem Buch selber zeigen wird, ist der potentiell zweideutige Sprachgebrauch des Konzils gar nicht so zweideutig, sondern eine blanke Häresie. Nun erhalten aber die meisten Häresien erst durch ihre gegenteilige katholische Wahrheit eine gewisse Klarheit. Denn anders als die Wahrheit muß der Irrtum nicht in sich stimmig sein, ja er kann es gar nicht. Das zeigt sich darin, daß die Häretiker gewöhnlich selbst in ihrer Häresie nicht übereinstimmen, weshalb sich diese meist schnell vervielfältigt. Sowohl Leonardo Boff als auch Joseph Ratzinger sind Häretiker, nur ist ihre Häresie verschieden nuanciert. Für beide ist die katholische Kirche nicht mehr der Hort des Glaubens und die einzige Arche des ewigen Heiles.

Der ekklesiologische Relativismus eines eloquenten Präfekten

So kommt auch Wolfgang Schüler zu dem uns schon bekannten Urteil über den „Theologen“ Ratzinger:

Kardinal Ratzinger wirft Boff, wie gesagt, zwar mit Recht ekklesiologischen Relativismus vor, er selbst aber vertritt auch einen ekklesiologischen Relativismus, allerdings weniger direkt und in abgeschwächter Form. Im Gegensatz zu dem radikalen ekklesiologischen Relativismus von Boff ist der subtile ekklesiologische Relativismus des obersten Glaubenshüters so austariert, dass er einerseits den direkten Widerspruch zur überlieferten Lehre der katholischen Kirche über sich selbst vermeidet und andererseits mit dem pastoralkonziliaren Ökumenismus kompatibel ist, der im Widerspruch zur traditionellen Lehre in Bezug auf die anderen christlichen Religionen steht. Der eloquente Präfekt unternimmt mit seinem subtilen ekklesiologischen Relativismus einen Balanceakt, den wir, im Zusammenhang mit der Erklärung der Glaubenskongregation Dominus Iesus, weiterverfolgen werden.“ 

(Wolfgang Schüler, Benedikt XVI. und das Selbstverständnis der katholischen Kirche, Action Spes Unica, Hattersheim/Main 2011, S. 74)

Ein weiteres Rätsel

Beim erneuten Durchblättern des Buches von Dr. Schüler sind wir über ein weiteres Rätsel gestolpert, das dem Autor beim Studium Ratzingers aufgedämmert ist. Es heißt da: „Es erscheint uns rätselhaft, wie es miteinander zu vereinbaren ist, dass sich der Dogmatikprofessor Ratzinger einerseits an der Unterminierung des Glaubens durch Umdeutung gewisser Dogmen beteiligt und andererseits bestrebt ist, die Gläubigen vor Glaubensverlust zu schützen. Wir können dieses Rätsel nicht lösen…“ (Ebd. S. 349)Zuvor wurde erwähnt, daß Ratzinger seine eigene Rolle in der nachkonziliaren Zerstörung des katholischen Glaubens als Verteidiger der einfachen Herzen gesehen habe, was doch ein nicht geringer Wahnsinn ist, wenn man die Ratzingertexte nur einigermaßen präsent hat. Man kann es kaum fassen, aber man liest in dem Buch „Zur Lage des Glaubens“ tatsächlich:

Er habe seine Hauptaufgabe in der Verteidigung jener bestimmt, die sich nicht wehren könnten, womit er Katholiken meint, denen gegen Angriffe auf ihren Glauben die Mittel eines theologischen Intellektualismus fehlen.“

 (Joseph Ratzinger, Zur Lage des Glaubens – ein Gespräch mit V. Messori, München 2006, S. 25)

Das Rätsel löst sich ganz einfach folgendermaßen: 

  1. Joseph Ratzinger hat offenbar hinter seinem Katheder zunächst als Theologieprofessor, dann als „Bischof“, dann als „Glaubenshüter“ und schließlich als „Papst“ jegliche Bodenhaftung verloren, so daß er sich tatsächlich einbildete, sein rein akademisches, häretisches Geschwätz könnte einfache Herzen im Glauben stärken.
  2. Wobei der von Ratzinger verteidigte „Glaube“ niemals der katholische Glaube war, sondern immer seine eigene Spielart des Modernismus. Diese seine Spielart nahm in dem Augenblick einen gemäßigteren, konservativeren Ton an, als er die rein akademische Laufbahn verließ und die Karriereleiter emporstieg. Nun werden seine Ausführungen noch geschraubter und kurioser, weil er meint, einerseits den direkten Widerspruch zur überlieferten Lehre der katholischen Kirche über sich selbst vermeiden zu können und andererseits mit dem pastoralkonziliaren Ökumenismus kompatibel zu sein – was jedoch seinem Ruf, konservativ zu sein, nicht schadet. Durch die Medien entsprechend getunt, sonnt sich Ratzinger als Panzerkardinal, Papst der Restauration, Retter der „alten“ Messe und als Mozart der Theologie in der öffentlichen Bewunderung. 
  3. Als Schlußfolgerung bleibt: Auch hierin bleibt sich Ratzinger stets gleich, er ist DIE MITTE! – und: Nach mir die Sündflut, d.i. Bergoglio! Ratzinger kann jedenfalls mit beidem bis zur Stunde ruhig leben. Er genießt offensichtlich das Papsttum im Duett mit Bergoglio.

Die nie-fertige „Kirche“ Ratzingers

Einem aufmerksamen Leser der Schriften Ratzingers müßte auffallen, dieser Mann hat keinen katholischen Glauben, und die Kirche, von der er ständig faselt, ist nicht die Kirche Jesu Christi. Nein, Ratzingers Kirche ist die sündige Kirche wie die vieler Traditionalisten. In seinem Buch „Zur Gemeinschaft gerufen – Kirche heute verstehen“ liest man:

Gerade das Liebesgeheimnis zeigt als Brautgeheimnis unübersehbar unseren Auftrag wie auch das Versagen-Können der Kirche an. Immer neu muß sie durch die vereinigende Liebe werden, was sie ist, und der Versuchung wehren, von ihrer Berufung abzufallen in die Untreue der Eigenmächtigkeit hinein. Der relationale und der pneumatologische Charakter des Leib-Christi- und des Brautgedankens wird sichtbar und damit auch der Grund dafür, daß Kirche nie fertig ist, sondern immer der Erneuerung bedarf. Immer ist sie auf dem Weg des Einswerdens mit Christus, der zugleich ihre eigene innere Einheit einschließt. Ihre Einheit wird umgekehrt um so brüchiger werden, je mehr sie sich von dieser grundlegenden Beziehung entfernt.“ 

(Joseph Ratzinger, Zur Gemeinschaft gerufen – Kirche heute verstehen, Verlag Herder, Freiburg, Basel, Wien 1991, S. 36 f.)

Leider muß man feststellen, Ratzinger verfällt ständig der Versuchung, von der Berufung der Kirche abzufallen in die Untreue seiner Eigenmächtigkeit hinein. Seine Kirche ist in der Tat nie fertig, sondern bedarf immer der Erneuerung. Man hat beinahe den Eindruck, aus dem das Versagen-Können der Kirche wird bei ihm ein ständiges Versagen-Müssen – was für die Menschenmachwerkskirche auch durchaus wahr ist. 

Als darum Karol Wojtyla zur Jahrtausendwende sein großes Schuldbekenntnis vor aller Welt ablegte, in dem er sich nicht seiner eigenen Sünden anklagte, sondern der Sünden vieler Menschen der Vergangenheit – sozusagen eine großes „tua culpa, tua culpa, tua maxima culpa“, „Deine Schuld, Deine Schuld, Deine übergroße Schuld“ – meinte Ratzinger dies auf folgende Weise entschuldigen zu müssen:

Ich möchte vor allem unterstreichen, dass sich der Papst mit seinen Worten nicht an die Welt wenden und ihr sozusagen das Schauspiel einer Kirche bieten wollte, die Abbitte leistet, sondern an Gott, und das schien von großer Wichtigkeit. Diese Worte waren nicht gedacht als eine Demonstration vor der Welt. Sie machten gerade deshalb Eindruck, weil sie nicht so gedacht waren. Nur vor Gott und im Angesicht Gottes wagte der Papst Dinge zu sagen, die man als solcher nur vor Gott sagt, die aber vor Gott gesagt werden müssen.“ 

(Joseph Ratzinger, Gibt es Gott, Berlin 2005, S. 43)

Wenn das wahr wäre, was Ratzinger hier zusammenschwafelt, dann müßte er zumindest eingestehen, daß man sich wohl kaum noch dümmer anstellen kann als damals der Mann aus Polen, wenn es darum geht, Gott um Verzeihung zu bitten. Wieso eine solche Abbitte, die sich ausschließlich an Gott richtet, nicht in der stillen Kammer, sondern medienwirksam vor der Weltöffentlichkeit veranstaltet werden muß, kann er damit natürlich genausowenig erklären, wie das Fehlen des Bekenntnisses der eigenen Fehler, was die Heuchelei letztlich auf die Spitze treibt. Schließlich hätte Karol Wojtyla genügend Grund gehabt, seine vielen öffentlichen Skandale auch öffentlich zu bekennen und wieder gut zu machen. Aber nein, daran denkt ein Joseph Ratzinger nicht, er spricht im Gegenteil Herrn Wojtyla subito heilig: Ein öffentlicher Sünder als „Heiliger“ in seiner sündigen „Kirche“. 

Wenn man Joseph Ratzinger ganz nüchtern und ungetuned betrachtet, ist eines ganz sicher: Die sündige Kirche des Joseph Ratzinger ist sicherlich nicht die katholische Kirche.

(Fortsetzung folgt)