Jeder Prediger, aber auch jeder religiöse Schriftsteller, steht beständig vor einer schweren Aufgabe, nämlich den „alten“ Glauben in einer „neuen“, einer „zeitgemäßen“ Sprache auszudrücken. Dabei unterliegt er ungewollt der Versuchung, aus dem „alten“ Glauben einen „modernen“ zu machen, also mit der Sprache auch unmerklich den Inhalt zu verändern. Diese inhaltliche Veränderung ist nicht immer sofort und leicht erkennbar, weshalb das Predigen oder Schreiben in einer modernen Sprache insofern immer eine Gefahr darstellt. Hinzu kommt noch, daß besonders der katholische Glaube durch das Dogma fest an bestimmte Begriffe gebunden ist, also an durch das kirchliche Lehramt gefestigte sprachliche Ausformungen der Glaubenslehre, die schon über Jahrhunderte gleichgeblieben sind, weil sie sprachlich nicht mehr überholbar bzw. verbesserbar sind.
Es fällt schon bei den frühen Modernisten auf, daß sie immer dann sehr wortreich von den überlieferten theologischen Begriffen abweichen, wenn ihnen eine Glaubenslehre nicht mehr zusagt, weil sie ihrem modernistischen Irrglauben widerspricht. Gewöhnlich wird dann von einer Dynamik bezüglich der Glaubenslehre gesprochen, einem Fortschritt in der theologischen Wissenschaft durch modernere Einsichten, womit nichts anderes gemeint ist, als das, was Scheeben einmal den „Fortschritt zum Irrtum“ nennt. Nun, dieser Fortschritt ist im Modernismus zugegebenermaßen gewaltig, er hat keine einzige katholische Glaubenslehre unbeschädigt gelassen.
Stromlinienförmiger Traditionalismus
Auch bei vielen Traditionalisten findet man den Wunsch und Drang, modern zu wirken, wenn auch meist unreflektiert und uneingestanden. Die meisten Traditionalisten sind modern unter einem konservativen Gewand. Wobei allein schon der Drang, unbedingt zur Menschenmachwerkskirche gehören zu wollen, notwendigerweise eine solche Versuchung bedingt. Denn um den Anschluß an die durch und durch modernistische Menschenmachwerkskirche nicht ganz zu verlieren, muß der Traditionalist soweit es irgendwie geht – wenigstens bildet er sich ein, daß es tatsächlich soweit noch geht – mit dem Strom mitschwimmen. Eine traditionelle Gruppe hat sich dafür einem richtigen „Branding“ unterzogen, also einer der Moderne gegenüber systematisch vollzogenen Angleichungsprozedur. Alles soll nunmehr gemieden werden, womit man bei den anderen – also den modernistischen Menschenmachwerkskirchlern und den modernen Weltmenschen – anecken könnte. Sozusagen ein dem Modernismus stromlinienförmiger Traditionalismus. Daß so eine Selbsttäuschung möglich ist, zeigt, wie geist- und verständnislos diese Traditionalisten inzwischen geworden sind.
Dieses Vorgehen erscheint einem als eine etwas komisch geartete Profilneurose, so könnte man es wohl benennen, d.h. irgendwie eine Profillosigkeitsneurose verbunden mit dem Wahn, dadurch Profil zu erlangen, daß man möglich wenig aneckt. Also sozusagen eine gedoppelte Neurose. Besonders absurd wird es dann, wenn Mitglieder dieser Gemeinschaft sodann noch betonen und so tun, als gäbe es außerhalb ihrer vollkommen profillos gewordenen Gemeinschaft kein Heil. Was muß das für ein Heil sein!
Ein abenteuerlicher Spagat
Wir wollen das, was hier angedeutet wurde, anhand des Textes eines solchen Traditionalisten etwas genauer dartun. Der Text stammt nicht von einem Laien, sondern von einem Priester, noch dazu von einem „Oberen“. Seine Worte haben also nicht einfach nur privaten Charakter, sie gelten für eine ganze Gruppe von Traditionalisten, sind gleichsam deren Leitmotiv.
Wie alle Traditionalisten, die Herrn Bergoglio als „Papst“ ihrer „Kirche“ anerkennen, muß auch dieser Priester in einem abenteuerlichen Spagat die allgemeine Apostasie in seiner „Kirche“ zugleich feststellen und schönreden bzw. sie de facto wenigstens insoweit ignorieren, als sie direkt theologische Konsequenzen fordert. Er kommt an dieser Aufgabe auch in seinem Aufsatz nicht ganz vorbei, weil er über das Selbstverständnis bzw. die Daseinsberechtigung seiner Gemeinschaft innerhalb der inzwischen recht vielfältigen Bewegung der Tradition in der Menschenmachwerkskirche spricht.
Verlust des Glaubens ohne Häresie und ein Papst, den man meiden muß
Der Traditionalistenpriester zeigt aus der Geschichte seiner Gemeinschaft, daß die „Glaubenskrise“ ein entscheidender Grund für die Existenz derselben ist. Er meint, den Gründer bewog „der offene Blick, dass der Glaube in Gefahr ist“, zu dem Schritt, eine traditionelle Priestergemeinschaft zu organisieren. Und er zitiert diesen mit den Worten: „Was eine absolute Pflicht und ein absolutes Recht bleibt, ist der Schutz unseres Glaubens. Die heilige Messe ist der lebendigste Ausdruck des Glaubens, die göttliche Quelle, daher kommt ihre grundlegende Bedeutung. Niemand hat das Recht, uns dazu zu bringen, unseren Glauben zu verlieren – niemand!“
Es ist selbstverständlich nicht zu erwarten, daß der Schreiber die Worte seines Gründers hinterfragt. Wir wollen jedoch kurz darauf aufmerksam machen, daß hier der „ordentliche“ Ritus seiner Menschenmachwerkskirche in Frage gestellt wird, der von seinem „Papst“ promulgiert wurde und in allen Teilen der Welt seit Jahrzehnten gefeiert wird. Diesem Ritus, also der sog. Neuen Messe, wird immerhin schon von seinem Gründer vorgeworfen: „In ihr selbst findet sich etwas, was wirklich schlecht ist. … Es ist eine vergiftete Messe!“ Und ein anderes geflügeltes Wort desselben, sie führe „ohne häretisch zu sein, zum Verlust des Glaubens“.
Es wird somit festgestellt, daß in der Menschenmachwerkskirche allgemein ein Ritus in Gebrauch ist, der den Glauben vergiftet und darum zum Verlust des Glaubens führt – ohne jedoch selbst häretisch zu sein, wie immer wieder betont wird. Wie so etwas möglich ist, kann freilich keiner erklären, weil es sich dabei schlichtweg um eine absurde Behauptung handelt. Zudem muß man ergänzen, wenn der Gründer betont: „Niemand hat das Recht, uns dazu zu bringen, unseren Glauben zu verlieren – niemand!“, – so ist letztlich mit „niemand“ Rom gemeint bzw. sein Papst. Hierin kommt die in diesen Kreisen weitverbreitete Angst zum Ausdruck, der als legitim anerkannte Papst könne eine beständige Gefahr für den eigenen Glauben sein, weshalb man ihn meiden müsse wie die Pest.
Die daraus theologisch unmittelbar folgende Frage, wie so etwas in der Kirche Jesu Christi sein könne, wird freilich von dem Traditionalistenpriester nicht thematisiert. Vielmehr stellt er mit seiner Gemeinschaft bedenken- und gedankenlos seine Tradition gegen die seines Papstes und flieht ins allgemeine: „Die Lage in der Kirche ist desaströs. Das kirchliche Leben liegt darnieder. Seine Grundlage, das Glaubensleben, liegt in den letzten Zügen.“
Ein geistig reger Leser würde aufgrund so weitreichender und erschreckender Feststellungen nun erwarten, daß er zumindest eine kurze Antwort darauf erhielte, wie so etwas sein könne und was denn nun genau so sehr im Argen liege und wer dafür letztlich verantwortlich sei – aber er wird enttäuscht.
Zurück ins Ghetto?
Anstatt einer kurzen sachlichen Analyse der kirchlichen Katastrophe und einer entsprechenden theologisch begründeten Antwort, die doch die Existenzgrundlage für das Selbstverständnis der Gemeinschaft sein müßte, wird dem Leser folgendes dargeboten: „Wir wollen der Kirche tatsächlich und wirkungsvoll dienen, wir wollen das katholische Priestertum fördern, wir wollen uns nach Kräften für die Bewahrung des Glaubens einsetzen. Das können wir aber nur, wenn wir nicht nur eifersüchtig darüber wachen, den kirchlichen Geist zu bewahren, sondern konsequent bei uns selbst anfangen.“
Es ist und bleibt das Geheimnis dieses Traditionalistenpaters, wie er der Kirche dienen, das katholische Priestertum fördern und sich nach Kräften für den Glauben einsetzen will, ehe er die aus der Krise sich notwendigerweise ergebenden grundlegenden Glaubensfragen beantwortet, also gezeigt hat, was denn nun eigentlich mit der Kirche los sei. Uns ist natürlich vorneweg klar, mit Bergoglio als seinem „Papst“ kann er all diese Aufgaben gar nicht bewältigen, denn bekanntlich stinkt der Fisch vom Kopf her. Solange er also mit Bergoglio als seinem „Papst“ in den Kirchenkampf eintritt, wird er den Leichengeruch der Verwesung, d.i. der Häresie, nicht losbekommen.
Es ist jedoch zu vermuten, irgendwie ahnt er noch, daß diese zentralen Fragen von seiner Gemeinschaft in keiner Weise beantwortet, sondern geflissentlich gemieden werden, weshalb er ausweicht und fordert, wir müßten „konsequent bei uns selbst anfangen“. „Jeder Einzelne von uns ist aufgerufen, aus Liebe zur Kirche und zum Heil vieler Menschen ernst zu machen mit der Erneuerung des eigenen Lebens. Wir können viel bewirken, müssen es uns aber etwas kosten lassen! Lippenbekenntnisse helfen niemandem! Nur dann werden wir ausstrahlen.“
Dieses Bekenntnis, so muß man es wohl nennen, ist ein wenig kurios, weil gerade die Gemeinschaft dieses Priesters sich nunmehr seit etwa drei Jahrzehnten darum bemüht, aus dem vermeintlichen traditionalistischen Ghetto herauszukommen. Nach dem Gehörten hat man ein wenig den Eindruck, die frische Luft, die seit Roncallis Öffnung der Fenster in seiner „Kirche“ reichlich eingeströmt ist, hat in seiner Gemeinschaft einen allgemeinen Schnupfen verursacht, so daß man sich nunmehr wieder darauf konzentrieren möchte, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern, sprich das eigene Leben zu erneuern. Also wieder zurück ins Ghetto?
„Erneuerung des eigenen Lebens“
Hierzu könnte man einwenden, daß die Pflicht zur Selbstheiligung immerhin allgemein gelte und darum durchaus nicht mit einem „zurück ins Ghetto“ gleichzusetzen sei. Zudem gilt diese Pflicht ganz besonders für den Priester, der als Hirte immer auch erstes Vorbild für seine Gemeinde ist und sein muß. Nun hat man aber den Eindruck, zunächst seien von dem Traditionalistenpriester nicht die eigenen Priester, sondern die anderen gemeint, die ihr Leben erneuern müssen, also die Laien. Dementsprechend gibt er diesen etwa folgenden frommen geistlichen Ratschlag zur „Erneuerung des eigenen Lebens“: „Wenn wir uns mehr Zeit für den Austausch auf WhatsApp und anderen Kanälen nehmen als für das persönliche Gebet (und das Lesen und Betrachten des Evangeliums) – dann brauchen wir nicht meinen, wir würden wirksam zur Verbesserung der Situation beitragen.“
Wo bleibt die Tat?
Beim Lesen dieser Worte kann man sich nun wirklich nicht mehr des Eindrucks erwehren, die frische Luft habe den Leuten nicht gut getan, ja das roncallische Konzils-Gespenst habe unmerklich jeglichen übernatürlichen Geist verflüchtigt. Angesichts einer derartigen Verweltlichung seiner Leute macht sich der Pater die Worte von Prof. Georg May zu eigen: „Unerlässlich für das Entstehen einer Reform sind daher gottergriffene, heilige Persönlichkeiten. Eine Reform ohne Heilige gibt es nicht.“ Und ganz ergriffen von dieser Einsicht betont er: „Diese gottergriffenen, heiligen Persönlichkeiten braucht es notwendig.“
Dem kann man nur zustimmen! Jedoch drängt sich sofort die Frage auf: „Wo sind die gottergriffenen, heiligen Persönlichkeiten?“ Und wenn es diese offenbar in den eigenen Reihen nicht gibt, woher kommt dieser Mangel? Wie schaut also die Wirklichkeit aus?
Die verschiedenen traditionalistischen Bruderschaften wurden durch das genial vordergründig-hinterhältige Motu proprio „Summorum pontificum“ Ratzingers kurzerhand zu einer Randerscheinung degradiert. Nach einer Schätzung gibt es inzwischen etwa 4.500 bis 5.000 „Priester“, die weltweit die hl. Messe im „außerordentlichen Ritus“ feiern. Somit sind selbst alle „traditionellen“ Gemeinschaften zusammengenommen in der Minderheit, ihnen stehen etwa 3.000 „Diözesanpriester“ gegenüber. Diese sind also derzeit die weitaus zahlreichste Gruppierung in der Bewegung der Tradition, die der Messe im „außerordentlichen Ritus“ anhängt.
Freilich müssen das die verschiedenen Bruderschaften geflissentlich übersehen, wenn sie ihre eigene Bedeutung hervorheben wollen, wie unser Textschreiber auch. Hinzu kommt noch, daß keine der Bruderschaften mehr eine Gallionsfigur aufzuweisen hat, die aus dem allgemeinen Elend ein wenig herausragen würde. Vielmehr haben ihnen „Neo-Traditionalisten“ wie Burke, Schneider und neuerdings der recht umtriebige Viganò den Rang abgelaufen. Hinter diesen aktuellen Glaubenshelden, die ihrem „Papst“ mehr oder weniger energisch und kurios die Stirn bieten, versinkt der Rest ins Unbedeutende.
So klingt es doch recht gekünstelt und maßlos übertrieben, wenn der Traditionalistenpriester fordert: „Wir wollen der Kirche tatsächlich und wirkungsvoll dienen, wir wollen das katholische Priestertum fördern, wir wollen uns nach Kräften für die Bewahrung des Glaubens einsetzen. Das können wir aber nur, wenn wir nicht nur eifersüchtig darüber wachen, den kirchlichen Geist zu bewahren, sondern konsequent bei uns selbst anfangen.“ Da kann man ihm nur sein eigenes Wort entgegenhalten: „Lippenbekenntnisse helfen niemandem.“ Wo bleibt also die Tat?
"Fitnesstraining für den Willen"
Die geforderte Tat ist offensichtlich nicht das Bekenntnis des Glaubens nach außen, das widerspräche dem eigenen „Branding“, sondern nach innen. Nach innen braucht man freilich den Glauben nicht wirklich bekennen, weil sowieso alle in derselben Ideologie gefangen sind und keine unangenehmen theologischen Fragen mehr stellen. Also frohgemut auf zur Selbstheiligung! – Selbstheiligung ohne Glaubensfragen zu stellen und womöglich auch ohne unangenehmes Dogma?
Der Priester fordert seine Gefolgsleute auf: „Wir müssen für uns den Nutzen wiederentdecken, den regelmäßige Opfer der Seele bringen.“ Und als würde er bei und vor seinen eigenen Worten erschrecken, ergänzt er: „Wer das Wort ‚Opfer‘ altmodisch und abstoßend findet, mag es ‚Fitnesstraining für den Willen‘ nennen oder wie auch immer.“
Stimmt das wirklich, kann man das Wort „Opfer“ einfach durch „Fitnesstraining für den Willen… oder wie auch immer“ ersetzen? Anders gefragt: Wird hier durch das Ersetzen des Begriffes „Opfer“, wenn auch unbeabsichtigt, nicht etwas ganz anderes, Neues gelehrt?
Ist denn ein „Opfer“ einfach ein Fitnesstraining, also „Wellness“ für die Seele? Blendet die Redewendung vom „Fitnesstraining für den Willen“ nicht die ganze Erbsündenlehre und Gnadenlehre aus, die wesentlich zu unserem Begriff des Opfers gehört? Kann man also einen für die katholische Religion so zentralen Begriff wie den des Opfers einfach durch einen anderen ersetzen, ohne theologischen Schaden anzurichten?
Hören wir noch etwas weiter zu. „Wie schnell sind wir doch dabei, immer gerade der augenblicklichen Laune nachzugeben“, gibt unser Mahner zu bedenken. „Ständig warten irgendwelche Süßigkeiten oder ‚Snacks‘ in allen Variationen – und wie leicht geben wir nach.“ Wie furchtbar! „Wir richten unseren Alltag nach unserem augenblicklichen Wohlbefinden ein, und wenn das einmal nicht möglich ist, verlieren wir die Fassung.“ Trifft das wirklich den konkreten Alltag eines seiner Gläubigen? „Der Verlust der Contenance wegen Kleinigkeiten ist das beste Zeichen, dass unser Bußgeist verkümmert ist.“
Übrigens, für den einfachen Leser übersetzt ist „Contenance“ gemäß Duden gleichbedeutend mit „Beherrschung, Fassung, Gelassenheit, Haltung“. Abgesehen von dem Einwand, ob nun tatsächlich mein Bußgeist deswegen schon verkümmert ist, weil ich in der Hektik des Tages einmal meine Beherrschung verloren habe, klingen diese Lebensregeln eher nach fernöstlicher Spiritualität als nach katholischer Askese oder Abtötung. Anders gesagt: Damit ist wohl eher die Indifferenz eines Buddhisten als die des hl. Ignatius beschrieben.
Der Schreiber kehrt nach diesen richtig modern klingenden Passagen zur Tradition zurück und meint: „Dann gilt es, gegenzusteuern!“ Das gute, in der katholischen Tugendlehre bekannte „agere contra“. Aber ist das im Zusammenhang gesehen wirklich noch dasselbe? Der Priester formuliert jedenfalls in eher fernöstlicher Weisheitsmanier das Paradox: „Der Phantasie seien im Ausdenken von kleinen Einschränkungen große Freiheiten gewährt.“
Nun sagt aber das Sprichwort: „Der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert“, womit natürlich nichts Grundsätzliches gegen gute Vorsätze gesagt sein will, sondern nur die Erfahrung zum Ausdruck kommt, daß letztlich zu viele und darum nicht einzuhaltende Vorsätze nichts nützen. Lieber ein konkreter, beharrlicher Vorsatz, den man halten kann, als viele, die sich in kürzester Zeit wie der Staub im Wind verflüchtigen. Demgemäß wird bei einer so großen Freiheit im Ausdenken von kleinen Einschränkungen sicher nichts Vernünftiges herauskommen!
Opfer als „Wellnessprogramm der Seele“
Wir haben somit in dem Versuch des Traditionalistenpriesters, den Begriff des Opfers zeitgemäß zu erklären, ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll. Seine zeitgemäße Erklärung entkleidet letztlich das Opfer jedes übernatürlichen Wertes, d.h. diese verfängt sich in einer modernistischen Spiritualität. Für den Modernisten gehören nämlich Opfer einfach nur zum Wellnessprogramm der Seele hinzu. Der Modernismus möchte ein Wohlfühlglaube sein, denn für ihn ist das Leben keine Sühne für die Sünden mehr. Diese hat nach ihm Christus, wie es auch der Protestantismus lehrt, alle auf sich genommen. Wir haben daher nichts anderes mehr zu tun, als uns durch den Glauben möglichst wohl zu fühlen. Dazu paßt dann recht gut Jesus als Wohlfühlguru, wie unser Herr so abgeschmackt von vielen Modernisten präsentiert wird.
Lebensregeln
Zumindest entfernt erinnern die Ratschläge unseres Traditionlistenpriesters an die „zehn Lebensregeln“ des Jorge Mario Bergoglio, seines „Papstes“. Wir haben in unserem Beitrag „Die zehn Lebensregeln des Jorge Mario Bergoglio alias Franziskus“ vom 23. August 2014 festgestellt: „Überschaut man die 10 Lebensregeln Jorge Mario Bergoglios, dann ist man doch recht erstaunt. Denn er schafft es doch tatsächlich, seine Lebensregeln zu formulieren, ohne auch nur ein einziges Mal Gott oder den Glauben zu erwähnen. Das ist eine enorme Leistung – oder besser gesagt Fehlleistung! Muß man daraus vielleicht schließen, daß im Leben Jorge Mario Bergoglios Gott und der Glaube keinerlei Rolle spielt? Auch sonst bewegen sich die Regeln in recht seichtem Gewässer allgemeiner Menschenfreundlichkeit. Jeder Freigeist oder Atheist könnte solche Regeln aufstellen.“
Gewinnen Sie Gelassenheit
Es lohnt sich, nochmals wenigstens einen kurzen Blick auf zwei Regeln des Herrn Bergoglio zu werfen, um einen Vergleich mit den Vorschlägen unseres Schreibers ziehen zu können.
Die dritte Regel: „Gewinnen Sie Gelassenheit. Er beruft sich auf die Erzählung ‚Don Segundo Sombra‘ des argentinischen Autors Ricardo Güiraldes. In ihr blickt der Protagonist, ein Gaucho, auf sein Leben zurück – und wie er im Laufe der Jahre immer gelassener wurde: ‚Er sagt, dass er in seiner Jugend ein Fluss voller Steine war, die er mit sich herumschleppte. Als Erwachsener war er ein fließendes Gewässer. Im Alter floss er immer noch, aber langsam, wie das Wasser in einem See.’“
Die vierte Regel: „Machen Sie den Fernseher aus und verbringen Sie Zeit miteinander. Zu viel Fernsehen sei die Ursache dafür, dass Kindern ‚der Spaß an Kunst, Literatur und dem Spiel miteinander‘ verloren ginge. Fernsehen während der Mahlzeiten führe dazu, dass Familien nicht mehr miteinander sprächen.“
Gott traut uns viel zu
Das klingt doch recht ähnlich wie die oben gehörten Ratschläge. Natürlich kommt unser Traditionalist nicht ohne Gott aus wie Bergoglio, soweit hat er sich den Modernismus noch nicht verinnerlicht, aber die Ansätze dazuhin sind unübersehbar. Während jedoch Bergoglio erfolgreich im Diesseits verbleibt, versucht sich unser Traditionalist wenigstens abschließend noch zu Gott emporzuschwingen, wobei sein Schwung doch schon recht zaghaft erscheint, denn nachdem er kühn formuliert: „Gott erwartet viel von uns“, fügt er sofort beschwichtigend hinzu: „Das lässt sich auch motivierender ausdrücken: Gott traut uns viel zu! Er traut uns zu, gottergriffene, heilige Persönlichkeiten zu werden. Wir haben daher viel zu tun – packen wir es an!“
Ist denn der Gedanke, daß Gott viel von einem erwartet, tatsächlich nicht motivierend genug, so daß man ihn umformulieren muß? Verlagert diese Umformulierung sodann nicht das Vertrauen von Gott auf einem selber: Gott traut uns viel zu – also kann ich viel für Gott leisten? Auch dies erinnert irgendwie an Herrn Bergolio und zwar an seine achte Regel: „Denken Sie positiv. Über andere schlecht zu reden zeige geringes Selbstwertgefühl. Es heiße so viel wie: ‚Ich fühle mich so wertlos, dass ich andere niedermachen muss, statt mich selbst zu erheben.’“
Ein Verbrechen gegen das Wort Gottes
Es zeigt sich auch hier, Herr Bergolio ist nicht für Halbheiten, wenn schon, dann merzt er den Glauben ganz aus. Es genügt ihm nicht, auf halbem Wege stehenzubleiben, wobei er eine schon weit über ein Jahrhundert währende Entwicklung zu Ende führt. Schon im Jahr 1904 schreibt Albert Maria Weiß O.P. in dem Blatt „Theologisch-praktische Quartal-Schrift“ eine Artikelreihe „Dogmatische Repetitorien“. Im ersten Teil dieser Reihe „Idem Dominum omnium“ gibt er zu bedenken:
„Denn die Hauptsache, auf die es ankommt, ist, den Verstand gefangen zu nehmen unter dem Gehorsam gegen Christus. (2. Kor. 10,5) Dazu reicht keine menschliche Weisheit aus. Der Glaube bleibt stets, wie der Apostel sagt, ein Opfer und eine Tat des Gehorsams, oder wie das Griechische hat, ein Gottesdienst. (Phil. 2, 17) Diese Worte sind doch furchtbar tief und ernst und geben uns schwer zu denken über unsere Geistesrichtung. Wer faßt den Glauben noch in diesem Lichte auf? Sind wir denn alle Pelagianer geworden, die am Herrn nur einen Lehrer sehen? Nein, wir stehen noch unter ihnen. Sie haben doch noch die Gnade seines Beispiels hervorgehoben. Wir aber schweigen auch von diesem und setzen die moderne Wissenschaft, setzen unser armseliges Wissen an die Stelle seines nicht mehr zeitgemäßen Wortes. Wahrhaftig, wenn der edle Faber zu seiner Zeit klagte, die ganze Welt sei pelagianisch, so dürfen wir uns heute beinahe glücklich schätzen, falls sie wenigstens das wäre. Immer nur Bildung, immer nur Wissenschaft, immer nur Ausleerung und Verwässerung des göttlichen Wortes, der Väterlehre, der alten erprobten kirchlichen Wissenschaft, immer nur Abschwörung des Glaubensgehaltes, einige Zitate aus ungläubigen Schriftstellern, einige Brocken unserer eigenen dürren Gelehrsamkeit, und damit fertig! Und dadurch meinen wir die Welt eher zum Gehorsam des Glaubens, zum Opfer des Glaubens, zum Gottesdienst des Glaubens zu bringen? Und dadurch denken wir die armen, von der Sünde gefangenen Herzen, dem Heile zugänglich zu machen? Und dadurch hoffen wir die Kraft Gottes, die übernatürliche Gnade zu ersetzen, ohne die der Wille nicht die Kraft findet, den Verstand zur Unterwerfung unter die Torheit des Kreuzes zu bewegen? Ist das nicht ein Verbrechen gegen das Wort Gottes, ein Verbrechen gegen den Glauben, ein Verbrechen gegen die Menschen, die wir damit um die Kraft Gottes betrügen?“
(S. 9)
Bewußt und nachhaltig leben
Solche Worte stimmen sehr nachdenklich. Denn wie viel vom modernen Menschen steckt in jedem von uns! Man hätte dem traditionalistischen Schreiber gewünscht, solches zu lesen, eher er sich daran begab, sich Gedanken über den Daseinsgrund der eigenen Gemeinschaft zu machen. So muß man leider feststellen: Wirklich gelungen sind die Anregungen des Traditionalisten sicherlich nicht. Sie scheinen eher als Motivationsparolen für Jugendliche denn als brauchbare Regeln für Erwachsene zu einem gottwohlgefälligen Leben geeignet. Der Grund dafür ist wohl der Wunsch, möglichst modern daherzukommen, um verstanden zu werden. So spricht er von einem bewußteren Umgang mit den sozialen Medien (weniger „WhatsApp“), einer gesünderen Ernährung (weniger „Snacks“) oder von mehr Gelassenheit („Contenance“). Dabei vergißt er ganz, derartige Vorschläge könnten auch in jedem Wohlfühlmagazin erteilt werden. Ist es nicht „in“, etwa ganz auf Fleisch zu verzichten und „vegan“ zu leben? Liegt es nicht ganz im Trend, weniger Zucker zu gebrauchen, möglichst nicht zu rauchen oder keinen Alkohol zu trinken? Soll man nicht wegen dem „Klimawandel“ viel weniger Auto fahren? Usw.!
Wie wir wissen, sucht jedoch der moderne Mensch seine innere Ruhe und Ausgeglichenheit nicht bei und in Gott, sondern zumeist in fernöstlichen Techniken. Er praktiziert eifrig „Yoga“ und bemüht sich redlich, „bewußt“ und „nachhaltig“ zu leben. Besteht nun der Unterschied allein darin, daß die einen es zum eigenen Wohlfühlen, die anderen es hingegen für Gott tun? Das wäre doch entschieden zu wenig, denn es handelte sich dann dennoch allein um eine natürliche und keine übernatürliche Tugend, oder wie Albert Maria Weiß feststellt: Das wäre Pelagianismus, Tugend ohne Gnade, Tugend aus eigener Kraft, aus der Kraft der menschlichen Natur.
Vom Wesen des Opfers
Kommen wir darum nochmals zurück zum Begriff des Opfers. Anders als der Schreiber obiger Gedanken wollen wir uns zunächst einmal Klarheit darüber verschaffen, was denn ein Opfer im katholischen Sinne wesentlich ist, ehe wir wagen, darüber in moderner Sprache zu sprechen. In seiner Erklärung des Heiligen Messopfers handelt Pater Martin von Cochem im 1. Kapitel vom Wesen des hl. Messopfers. Zunächst klärt Martin von Cochem den Begriff des Opfers, der nun einmal vielfältig ist:
„1. Die hl. Messe wird auf lateinisch Sakrifizium genannt, ein Wort, das sich auf Deutsch in seiner ganzen Bedeutung nicht eigentlich wiedergeben läßt. Wir sagen zwar dafür ein Opfer, aber ein Opfer kann auch viel weniger sein als ein Sakrifizium. Wenn man zum Beispiel ein Stück Geld auf den Altar legt, so ist dieses ein Opfer, und ein solches Opfer ist umso größer, je größer die Selbstentäußerung ist, die man bei der Hingabe übt. Das weißt du aus dem Lobe, das der liebe Heiland der Witwe spendete, die von ihrer Armut das opferte, was sie hatte (Mark. 12, 42ff.). Aber ein Sakrifizium war dies keineswegs, denn das ist etwas viel Größeres und Erhabeneres. In seiner eigentlichen Bedeutung wird nämlich als Sakrifizium bezeichnet eine äußere Gabe, die allein Gott als dem Allerhöchsten dargebracht und von einem rechtmäßig verordneten und geweihten Priester auf gewisse bedeutungsvolle Weise konsekriert oder geheiligt wird, zur Anerkennung der höchsten Herrschaft des allmächtigen Gottes über alle Kreaturen. Das Sakrifizium wird also Gott geheiligt und jedem anderen Gebrauche durchaus entzogen, weswegen bei der Darbringung gewöhnlich eine Zerstörung der Gabe stattfindet. Hierdurch wird angedeutet, daß das alles eigentlich Gott gehört und seiner Herrschaft gänzlich unterworfen ist, auch der Mensch mit allem, was er ist und was er hat. – Daraus kannst du nun abnehmen [erschließen], daß ein Sakrifizium weit mehr ist als ein Opfer. Deswegen werde ich in diesem Buche das Wort ‚Sakrifizium‘ öfter anstatt des Wortes ‚Opfer‘ gebrauchen, damit du bei Anhörung dieses Wortes daran denkst, daß es sich um jenes vortreffliche Opfer und jenen so hohen Dienst handelt, der allein dem unendlichen Gott, aber keiner einzigen Kreatur gebührt.“
Allein aus dieser Klarstellung hätte unser Schreiber lernen können, daß man beim Begriff des Opfers aufpassen muß, wie man ihn verwendet, denn er kann entweder im natürlichen oder übernatürlichen Sinn gemeint sein. Wobei im natürlichen Sinne durchaus auch einer Kreatur ein Opfer dargebracht werden kann, ja selbst irgendeinem Gott wie im Heidentum. Auch hierauf kommt Martin von Cochem zu sprechen:
„2. Daß ein solches Sakrifizium Gott allein zukomme, beweist der hl. Augustinus aus dem allgemeinen Gebrauch aller Völker, indem er sagt: ‚Wer hat jemals dafür gehalten, daß man ein Sakrifizium einem anderen darbringen solle als einzig demjenigen, den man als Gott erkannt hat oder dafür hält?‘ Und an einer anderen Stelle: ‚Der Teufel würde von den Seinigen kein Sakrifizium fordern, wenn er nicht wüßte, daß dieses dem wahren Gott zukäme. Viele große Herren haben wohl andere Dienste, die Gott erwiesen werden, auch für sich gefordert; aber es sind doch wenige gewesen, die verlangt haben, daß man ihnen göttliche Opfer darbringen sollte. Diejenigen aber, welche dies zu verlangen sich erkühnt haben, wollten sich für Götter halten lassen.‘ Aus diesen Worten des hl. Augustinus kannst du ersehen, das Sakrifizium ist ein göttlicher Dienst der keinem Menschen oder Heiligen oder Engel zukommt.“
Im eigentlichen Sinne kommt ein Opfer nur Gott zu, aber keinem Geschöpf. Weil auch der Teufel das weiß, fordert auch er von seinen Anhängern solche Opfer, will er ihnen doch als ein Gott erscheinen. Es gilt somit noch zu klären, wie es nun mit dem wahren Opfer bestellt ist, das dem wahren Gott dargebracht wird und keinem heidnischen oder neuheidnischen Götzen.
Gott, der wahre Herrscher aller Geschöpfe
„3. Der hl. Thomas von Aquin sagt, es sei ein Gesetz der Natur, dem allmächtigen Gott Sakrifizia oder göttliche Opfer darzubringen, und daß der Mensch von Natur aus, auch ohne besonderes Gebot und Ermahnung, dazu angetrieben werde. Das sehen wir an Abel, Noe, Abraham, Job und den anderen Patriarchen, welche ohne besonderen göttlichen Befehl, aus bloßem Antrieb der Natur göttliche Opfer verrichtet haben. Aber selbst die Heiden haben, angetrieben durch das natürliche Licht ihrer Vernunft, Opfer dargebracht den Götzen, die sie für Götter hielten. Den Israeliten hat Gott es dann im Gesetze ausdrücklich befohlen, daß sie ihm täglich und an allen hohen Festtagen Opfer bringen sollten. Nicht bloß gebot er ihnen, daß sie ihm Lämmer, Schafe, Kälber und Stiere zum Geschenke geben, sondern daß diese durch die geweihten Priester unter bestimmten Gebeten und Zeremonien aufgeopfert werden sollten. Diese mußten unter dem Klang der Posaunen und dem Gesang von Psalmen die Tiere schlachten, ihnen die Haut abziehen, das Blut um den Altar gießen und das Fleisch auf dem Altare verbrennen. Das waren die jüdischen Sakrifizia oder Opfer, durch welche sie Gott dem Allerhöchsten die ihm gebührende Ehre geben und bezeugen wollten, daß Gott der wahre Herrscher über alle Geschöpfe sei.“
Im Alten Bund gab Gott den Israeliten eine ganze Reihe von Gesetzen zur Regelung des Gottesdienstes, darin besonders zur Vollziehung der verschiedenen Opfer. Die Opfer dienten dazu, Gott als den wahren Herrscher über alle Geschöpfe anzuerkennen und Sein Erbarmen ob der eigenen Sünden herabzuflehen. Wie aber ist es im Neuen Bund mit dem Opfer bestellt?
„4. Da nun alle Völker und Nationen neben Gebeten, Gesängen, Almosen, Bußwerken und anderem Gottesdienst ihre heiligen Opfer gehabt haben, durch welche sie dem wahren Gott oder ihren vermeintlichen Göttern die gebührende Ehre erwiesen, so war es geziemend, daß auch Christus seiner Kirche mit dem wahren Glauben ebenso ein wirkliches Opfer als äußeren Gottesdienst verordnete, durch welches sie Gott die ihm gebührende Ehre geben und ihm den größten Gefallen erweisen könnte. Es wird sich ja kein vernünftiger Mensch denken können, daß Christus seiner Kirche oder Gemeinde, die er in allen Dingen auf das vollkommenste ausstatten wollte, diesen höchsten Gottesdienst vorenthalten und sie in einer sogar hochwichtigen Sache voll Mangel hatte sein lassen wollen. Dann wäre die Kirche in diesem Stücke ja doch geringer gewesen als das Judentum, welches so herrliche Opfer hatte, daß selbst vornehme Heiden aus fernen Landen kamen, um diesen jüdischen Gottesdienst zu sehen, und daß einige heidnische Könige die Unkosten, die derselbe erforderte, bestritten haben, wie im zweiten Buche der Makkabäer zu lesen ist.“
Das Opfer des Neuen Bundes
Das Opfer des Neuen Bundes muß etwas ganz außerordentlich Heiliges und Herrliches sein, wenn es diejenigen des Alten Bundes noch übertreffen soll, was doch angesichts der göttlichen Würde Jesu Christi naheliegend und sogar notwendig ist. Wie aber ist im Neuen Bund das Opfer geartet?
„5. Was für ein Opfer nun jenes ist, welches Christus seiner Kirche gegeben hat, das lehrt uns die heilige katholische Kirche auf dem Konzil von Trient, indem sie sagt: ‚Da im alten Testamente nach dem Zeugnis des Apostels Paulus wegen der Schwäche des levitischen Priestertums Vollkommenheit nicht möglich war, so mußte nach der Anordnung Gottes, des Vaters der Barmherzigkeit, ein anderer Priester nach der Ordnung des Melchisedech aufstehen, unser Herr Jesus Christus, daß er alle, soviele geheiligt werden sollten, vollenden und zur Vollkommenheit hinführen könnte. Dieser also unser Gott und Herr wollte einmal sich selbst auf dem Altare des Kreuzes durch seinen Tod Gott dem Vater opfern, um dort eine ewige Erlösung zu bewirken. Weil jedoch sein Priestertum nicht durch den Tod erlöschen sollte, so hat er beim Letzten Abendmahle, in der Nacht, da er verraten wurde, seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein Gott dem Vater aufgeopfert, beides unter denselben Gestalten den Aposteln, die er damals zu Priestern des neuen Bundes einsetzte, zum Genusse dargereicht und ihnen sowie ihren Nachfolgern im Priesteramte zu opfern vorgeschrieben mit den Worten: Tuet dies zu meinem Andenken. Dadurch hat er sich selbst als den für ewig bestimmten Priester nach der Ordnung Melchisedechs dargestellt. Das hat er getan, um seiner geliebten Braut, der Kirche, wie es die menschliche Natur verlangt, ein sichtbares Opfer zu hinterlassen, durch welches das einmal am Kreuze blutigerweise dargebrachte vor Augen gestellt werden, das Andenken an dasselbe bis zum Ende der Zeiten lebendig bleiben und seine heilsame Kraft zur Nachlassung jener Sünden, die von uns täglich begangen werden, in Anwendung kommen sollte. So hat es die katholische Kirche immer verstanden und gelehrt. Und das ist nun jenes reine Opfer, das durch keine Unwürdigkeit oder Bosheit der Opfernden befleckt werden kann, wovon der Herr gesagt hat durch den Propheten Malachias, daß er seinem Namen, der groß werden solle unter den Völkern, an allen Orten als ein reines Opfer werde dargebracht. Auch der Apostel Paulus spricht nicht dunkel davon, wenn er den Korinthern (1. Kor. 10, 20 ff.) schreibt, es dürften diejenigen, die sich durch Teilnahme am Tische der Teufel befleckt hätten, nicht auch teilnehmen am Tische des Herrn, wobei er beidemal unter ‚Tisch‘ den Altar versteht. Dieses ist schließlich das Opfer, von welchem die verschiedenen Opfer zur Zeit der Naturreligion und des Alten Testamentes Vorbilder waren; es enthält ja alle jene Güter, die durch jene angedeutet wurden, denn es ist die vollkommene Vollendung von ihnen allen.‘ (Sitzg. 22, Kap. 1.)“
Die Abhängigkeit unserer privaten Opfer von dem einen Opfer
Es gibt im Neuen Bund nur ein wahres Opfer, das Opfer unseres Herrn Jesus Christus am Kreuz, das in jedem hl. Meßopfer sakramentale Wirklichkeit wird. Von diesem einen Opfer sind alle anderen, privaten, persönlichen Opfer abhängig. Denn nur im Kreuz ist Heil! Das bedeutet aber auch, unser eigenes Opfer hat nur einen Wert vor Gott, wenn es im Stand der heiligmachenden Gnade und daraus folgend aus wahrer Gottesliebe Gott dargebracht wird. Das sind zwar einerseits katholische Selbstverständlichkeiten, müssen aber dennoch immer wieder erwogen und ins praktische Leben umgesetzt werden, was aus Erfahrung nicht gerade leicht ist. Gerade der Hinweis auf das wahre, rechte Motiv des Opfers ist immer wieder notwendig, wenn man die Irrlehre des Pelagianismus praktisch vermeiden möchte. Alle Opfer müssen von der übernatürlichen Gottesliebe beseelt sein, damit sie ewigen Wert erhalten. Darum sollte man auch tagsüber möglichst häufig die sog. „gute Meinung“ erwecken. Entweder durch ein Stoßgebet oder auch einen Augenblick der Stille und Sammlung. Immer wieder heißt es: „Sursum corda!“ – „Empor die Herzen!“
Kreuz vom Kreuze Christi
Dies ist letztlich der Schlüssel zum übernatürliche Gnadenleben. Unsere täglichen Opfer müssen Kreuz vom Kreuze Jesu Christi sein, d.h. sie müssen in der Liebe des Heiligen Geistes mit Ihm vereint dem himmlischen Vater dargebracht werden. Jeder, der darin schon einmal ernst gemacht hat, weiß, wie anspruchsvoll dies ist.
Hätte unser Traditionalistenpriester, ehe er seine Zeilen geschrieben hat, sich die Zeit genommen und wenigstens die paar Seiten bei P. Martin Cochem über das Opfer gelesen, so wäre er sicher vorsichtiger gewesen in seiner Übertragung des Begriffes Opfer in moderne, ähnlich klingende Floskeln. Es wäre ihm sodann sicherlich aufgefallen, daß ein Opfer ein Akt der Tugend der Religion ist, wohingegen „Fitnesstraining“ überhaupt kein Tugendakt ist. Er hätte zudem bemerkt, das wahre Opfer entspringt der übernatürlichen Gottes- und Nächstenliebe, wohingegen das „Fitnesstraining“ allein der Eigenliebe dient. Darüber hinaus nimmt das aus Liebe zu Jesus Christus, dem Gekreuzigten, ertragene Opfer Krankheit und Tod im Geist der Buße gerne als Sühne für die eigenen Sünden an, „Fitness“ oder „Wellness“ will hingegen beides um jeden Preis meiden. Überdies ist ein wahres, Gott dargebrachtes Opfer immer ein freiwilliger Verzicht auf Dinge, die an sich gut und erlaubt sind, wohingegen die moderne „Fitness“-, „Klima“- oder „Corona“-„Kultur“ uns diese Dinge verbieten und uns einen moralischen Zwang zum Verzicht auferlegen will. All das ist unübersehbar, sobald man sich den Begriff des Opfers im katholischen Sinn erarbeitet hat. Ein Katholik kann darum nicht von Opfer und von Fitness oder Wellness im selben Sinn sprechen – und wenn er es dennoch tut, verführt er seine Leute zum Pelagianismus, d.h. er ersetzt, wenn auch unbemerkt, die Gnade durch die eigene Leistung.
Wohlfühlaskese
Unserem Traditionalisten wäre es übrigens mit solchen Überlegungen auch leicht möglich gewesen, in seinem Gedankengang vom hl. Meßopfer zum Alltag des einzelnen überzugehen und somit seinen Gläubigen anhand der Teilnahme am hl. Meßopfer die Wichtigkeit des persönlichen, täglichen Opfers vor Augen zu führen – für ein wahrhaft geglücktes, opferfreudiges, d.h. Gott wohlgefälliges Leben. Nicht Wohlfühlglaube, sondern Kreuzesliebe!
Es wäre ihm dadurch ebenfalls möglich gewesen, den derzeitigen Kampf um den heiligen katholischen Glauben in seiner ganzen Tiefe recht zu begreifen. Denn der Kampf um das hl. Meßopfer ist immer auch ein Kampf um den ganzen katholischen Glauben, wie etwa die Auseinandersetzung mit dem Protestantismus zeigt. Mit dem hl. Meßopfer wurden von den Häretikern meist auch andere Sakramente in Zweifel gezogen und somit auch die Lehre von der hl. Kirche als deren Verwalterin zurückgewiesen. Wie kann ich also an der „alten“ Messe entgegen der Neuen Messe festhalten, solange ich die Menschenmachwerkskirche als die von Gott eingesetzte Verwalterin der Sakramente ansehe?
Hier gäbe es sodann auch ein sehr umfangreiches Wirkungsfeld für eine Priestergemeinschaft, wenn sie nur Augen hätte, um zu sehen und Ohren, um zu hören. Verschließt man jedoch vor diesen gewaltigen Herausforderungen die Augen und Ohren, dann bleibt nur noch der Ausweg, sich als letzten Sinn der Gemeinschaft in eine Wohlfühlaskese zu flüchten.
Selbst von dieser Gefahr hätte er schon bei Martin von Cochem lesen können, der doch unter dem Eindruck der reformatorischen Wirren sein Werk schrieb und mahnt: „Lasset uns also zusehen, daß uns nicht widerfahre, was den armen Irrgläubigen geschehen ist. Denn diesen hat der leidige Satan zu ihrem größten Nachteil die hl. Messe gestohlen, uns Katholiken aber hat er verblendet, daß wir sie nicht recht mehr verstehen und die große Kraft des hl. Messopfers nicht mehr erkennen sollen.“
Die Aufgaben der Hirten
Schließen wir unsere Gedanken mit einer Erwägung über die Aufgaben der Hirten. Im römischen Katechismus lautet die zweite Frage der Einleitung zu den zehn Geboten: „Warum die Hirten besonders die zehn Gebote geläufig inne haben und erklären müssen.“ Die Antwort darauf lautet: „Da sie also die Summe des ganzen Gesetzes sind, müssen die Hirten in deren Betrachtung Tag und Nacht verweilen, nicht nur um ihr eigenes Leben nach dieser Richtschnur zu ordnen, sondern um auch das ihnen anvertraute Volk im Gesetze des Herrn zu unterweisen. Denn ‚die Lippen des Priesters sollen die Wissenschaft bewahren und das Gesetz soll man aus seinem Munde holen; denn er ist der Engel des Herrn der Heerscharen‘; was sich vorzüglich auf die Hirten des neuen Gesetzes bezieht, welche, Gott näher stehend, ‚von Klarheit zu Klarheit‘ umgewandelt werden müssen, ‚wie von des Herrn Geist‘; und da sie Christus der Herr mit dem Namen ‚Licht‘ bezeichnet hat, so ist es ihre eigentliche Aufgabe, das Licht derer zu sein, die in der Finsternis sind, die Unterweiser der Unverständigen, die Lehrer der Kleinen, und wenn jemand sich in irgend eine Sünde verirrt hat, so sollen sie, die geistlich sind, einen solchen unterrichten.“
Nach dem Lesen solcher Zeilen kann man nur wehmütig werden, denn wo findet man noch solche Hirten…