Der Weg vom ersten Advent bis zum hochheiligen Weihnachtsfest ist ein langer Weg und wohl heutzutage zudem ein mühsamerer Weg als je zuvor. Wie viele ernste Sorgen quälen unsere Herzen, wie viel Unsicherheit lastet auf unserem Gemüt! Was wird morgen sein? Wer weiß es? Auch wenn wir keine Propheten sind, weiß doch jeder: Wir leben in einer äußerst schweren Zeit, einer recht notvollen Zeit, geistig noch mehr als materiell. Kommt das nicht besonders daher, daß wir unseren Herrn Jesus Christus verloren haben? Die meisten heutigen Menschen im ehemals christlichen Europa leben inzwischen ganz ohne Ihn, Er ist wie ausgelöscht aus der Erinnerung der allermeisten Menschen. Wie trostlos muß jedoch alles ohne Ihn sein, den Heiland der Welt.
Es lohnt sich sicherlich, sich wieder einmal darauf zu besinnen, daß Er einer von uns geworden ist. Man faßt es kaum, dieses Wunder, und ist völlig niedergedrückt bei dem Gedanken: Sein Kommen rührt nur noch ganz wenige. Die modernen Menschen haben sich nach anderen Göttern umgesehen und sich diesen zugewandt wie einst die Heiden. Ihn, den lebendigen Quell haben sie verlassen, um sich Zisternen zu bauen, die das Wasser nicht halten können, sondern austrocknen, wie Gott beim Propheten Jeremias klagt: „Ja, zweifache Sünde beging mein Volk: Mich, den Quell des lebendigen Wassers, hat es verlassen und sich Zisternen gegraben, brüchige Brunnen, die das Wasser nicht halten“ (Jer 2, 13). Darum ist alles vertrocknet und zur geistigen Wüste geworden und der Irrsinn nimmt Tag für Tag zu.
Katholisches Brauchtum
In dieser geistigen Not hilft es, sich den alten Erzählungen zuzuwenden, die noch voll Glauben an unseren Herrn Jesus Christus sind.
In einem ersten Schritt sollen es volkstümliche Texte sein, aus denen noch das tiefe Ineinander von Glauben und Alltag zu uns spricht. Dieses Ineinander war das Fundament des christkatholischen Brauchtums. Dieses wiederum floß großteils aus dem hl. Meßopfer, aus der kirchlichen Liturgie, die den Katholiken täglich begleitet und unmerklich innerlich formt. Unser erster literarischer Weggefährte soll Karl Heinrich Waggerl mit dem Büchlein „Das ist die stillste Zeit im Jahr“ sein. Den jüngeren unter den Lesern wird das Berichtete schon recht fremd vorkommen, wie aus einer anderen, vergangenen Zeit stammend. Das meiste christkatholische Brauchtum ist inzwischen verloren gegangen, denn das moderne Leben ist anders – unheimlich anders, kann und muß man wohl hinzufügen, waren doch wenige Zeiten so gottlos wie unsere.
Der Stern der Verheißung
Das Büchlein von Karl Heinrich Waggerl beginnt folgendermaßen:
„Advent, das ist die Zeit, in der das Jahr zu verwelken scheint, sogar die Sonne wird müder von Tag zu Tag. Im Sommer schwang sie sich von der Zinne des Berges weg über den ganzen Himmel und jetzt ist sie eine alte Frau. Sie geht nur noch ein wenig am Rand der Welt entlang. Gleich sinkt sie wieder in den Wald zurück. Das Herz wird einem schwer, weil der Sommer so flüchtig ist bei uns in den Bergen, verschwenderisch, ja stürmischer als anderswo, aber so kurz. Und dann geschieht es doch einmal, daß der verhangene Himmel in den Adventsnächten aufbricht, und ein glänzendes Gestirn tritt hervor, der Stern der Verheißung. Denn immer noch ist Maria unterwegs mit dem Zimmermann auf der Suche nach einer Heimstatt für das Kind. Und das kalte Herz der Mitmenschen treibt sie umher auf der Flucht vor dem Hochmut der Mächtigen. Das ist die Mahnung des Advent. Seht Euch vor, daß Ihr nicht an die Stelle des Wirtes geratet, der das Heil seiner Seele von der Tür gewiesen hat.“
(Karl Heinrich Waggerl, Das ist die stillste Zeit im Jahr, Otto Müller Verlag, Salzburg 1976, S. 5)
Das Kirchenjahr neigt sich dem Ende
Das Kirchenjahr schmiegt sich an die Jahreszeiten an. Mit beginnendem Winter, Ende November oder Anfang Dezember, wird es Advent. Der Herbst hat die ganze Natur in den Winterschlaf geleitet und der erste Frost oder auch der erste Schnee verwandelt alles wie im Märchen. Diese erstorbene und zugleich verklärte Natur ist ein wunderschönes Bild der adventlichen Erwartung. Die Sehnsucht nach himmlischem Licht und göttlicher Wärme erfüllt diese Zeit umso mehr, je kürzer und kälter die Tage werden. „Denn immer noch ist Maria unterwegs mit dem Zimmermann auf der Suche nach einer Heimstatt für das Kind. Und das kalte Herz der Mitmenschen treibt sie umher auf der Flucht vor dem Hochmut der Mächtigen.“
Was wäre die Welt ohne den menschgewordenen Gottessohn, ohne Jesus Christus? Eine auf immer erstorbene, trostlose Einöde. Darum die so ernste Mahnung des Advents: „Seht Euch vor, daß Ihr nicht an die Stelle des Wirtes geratet, der das Heil seiner Seele von der Tür gewiesen hat.“ Das wäre nun wirklich das Schlimmste, was im Advent passieren könnte, daß wir Ihn von uns weisen, der das Heil unserer Seele ist.
Das Thema des Advents: RORATE
Wir sagten schon: Die hl. Kirche paßt ihre Liturgie den Jahreszeiten an. Wie zeigt sich dies nun in den veränderlichen Teilen der hl. Messe im Advent? Was ist nun eigentlich das Thema des Advents? Worüber werden wir belehrt und worin unterwiesen?
„Für mich begann in der Bubenzeit der Advent damit, daß mich die Mutter eines Morgens weit früher als sonst aus dem Bett holte. Der Mesner läutete immer schon die Viertelglocke, wenn ich endlich halb im Traum zur Kirche stolperte. Nirgends ein Licht in der bitterkalten Finsternis, und oft mußte ich mich mit Händen und Füßen durch den tiefen Schnee wühlen, es war ja noch kein Mensch vor mir unterwegs gewesen. In der Sakristei kniete der Mesner vor dem Ofen und blies in die Glut, damit wenigstens das Weihwasser im Kessel auftaute. Aber mir blieb ja keine Zeit, die Finger zu wärmen, der Pfarrer wartete schon, daß ich in meine Albe schlöffe und ihm mit der Schelle voranginge. Bitterkalt war es auch in der Kirche. Die Kerzenflammen am Altar standen reglos wie gefroren, und nur wenn sich die Tür öffnete und Wind und Schnee hereinfuhren, zuckten die Lichter erschreckt zusammen. Die Kirchleute drückten das Tor eilig wieder zu, sie rumpelten schwerfällig in die Bänke, und dann klebten sie ihre Adventskerze vor sich auf das Pult und falteten die Hände um das wärmende Licht. Indessen schleppte ich das Meßbuch hin und her und läutete zur passenden Zeit, und wenn ich einmal länger zu knien hatte, schlief ich wohl auch wieder ein. Dann räusperte sich der Pfarrer vernehmlich, um mich aufzuwecken. Ihn allein focht kein Ungemach an. ‚Rorate coeli‘, betete er laut und inbrünstig, ‚Tauet Himmel den Gerechten!‘ Und dann war doch wieder alles herzbewegend schön und feierlich, der dämmrige Glanz im Kirchenschiff, der weiße Atemdampf vor den Mündern der Leute, wenn sie dem Pfarrer antworteten, und er selber unbeirrbar in der Würde des guten Hirten.“
(Ebd. S. 13 f.)
Wie abgrundtief schön ist unsere hl. Liturgie! Das Geheimnis unserer Erlösung muß uns immer wieder neu aufleuchten, es muß uns als sakramentale Wirklichkeit gegenwärtig werden, wenn es in unseren Herzen lebendig bleiben soll, d.h. gnadenhaft gegenwärtig bleiben soll. Es ist wohl deswegen in so vielen Herzen erstorben, weil sie nicht mehr geheimnisoffen waren. Die Welt war allenthalben so laut, so unruhig, so aufgeregt und zudem so eingebildet und aufgeblasen geworden. Deshalb sind auch die Menschen darin immer auf der Flucht vor dem einen Notwendigen, ist doch der Mensch für das Bleibende, die Ewigkeit geschaffen worden. Welch ein Kontrast ist dagegen eine stille hl. Messe am Morgen, in der es raunt: „Rorate coeli“, „Tauet, Himmel, von oben! Ihr Wolken, regnet den Gerechten!“ wie es im Eingangslied der Rorate-Messe ergreifend schön heißt. Und sodann noch das: „Es öffne sich die Erde und sprosse den Heiland hervor!“
Das Frauentragen
Der Advent ist immer auch eine Begegnung mit Maria, der makellosen Jungfrau. Ohne sie gäbe es keinen Advent! Sie war die Erde, sie war der von Gott wunderbar wiederhergestellte paradiesische Mutterboden, aus dem der Heiland hervorsproß. Sie ist die Rose unter den Dornen, denn sie trägt das Heil der Welt in ihrem reinsten Schoß, geborgen unter ihrem sündelosen Herzen. Natürlich hat sich auch diese Wahrheit ins adventliche Brauchtum einen Weg gebahnt.
„Es gibt einen uralten Adventsbrauch in Salzburg, der auch heute noch draußen in den Dörfern lebendig ist, das Frauentragen. Abends in der Dämmerung findet sich eine Schar junger Mädchen zusammen, eines geht mit der Laterne voran, ein anderes trägt ein Bild Unserer Lieben Frau unter dem Mantel. Und so ziehen sie von Hof zu Hof, gleichsam, um für die Muttergottes eine Herberge zu suchen. Sie treten feierlich in die Stuben, dann stellen sie ihr Frauenbild in die Mitte, sie sprechen oder singen den Englischen Gruß und ein Wort des Dankes und des Segens dafür, daß Maria nicht vergeblich hätte anklopfen müssen, wenn sie in der kalten Winternacht des Weges gekommen wäre, wie einst auf ihrer Wanderschaft nach Bethlehem.“
(Ebd. S. 35)
Wenn Er an der Türe des Herzens klopft …
Der Advent stellt an uns die Frage: „Bist Du bereit, Ihn bei Dir wohnen zu lassen, Ihm Herberge in Deinem Herzen zu gewähren, sobald Er an die Türe Deines Herzens klopft?“ Man sollte sich die Antwort nicht zu leicht machen, sondern durchaus das eigene Gewissen etwas tiefer erforschen. Wie viel Zeit geben wir tatsächlich jeden Tag dem göttlichen Gast in unserer Seele? Wie oft denken wir an Ihn in einem Gebet? In der Geheimen Offenbarung lesen wir: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich bei ihm einkehren und mit ihm essen und er mit mir“ (Offb 3, 20). Erst wenn wir Ihn wahrnehmen, sobald Er an die Türe unseres Herzens klopft, beginnt es allmählich Weihnachten zu werden. Wenn nicht, wird Er an uns vorübergehen und wir bleiben mit uns allein – allein mit unserer Geschäftigkeit, unseren nichtigen Gedanken und Wünschen, unseren vielen Sorgen und Nöten, allein mit unserer Einsamkeit und inneren Leere. Wenn das nicht zum Verzweifeln ist, so allein in dieser eiskalten Welt?
„‚Und als Maria und Joseph nach Bethlehem kamen‘, berichtet die Schrift, ‚da erfüllte sich ihre Stunde, und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Linnen und legte ihn in eine Krippe, denn es war für sie kein Platz in der Herberge.‘ Mit diesen wenigen verhaltenen Worten erzählt der Evangelist die rührende Geschichte von der verachteten Armut, mit zwei Worten eigentlich. Denn er meint nicht nur, daß die Gasthäuser des Andranges wegen überfüllt gewesen seien. Für sie, sagt er, war kein Platz in der Herberge.“
(Ebd. S. 53)
Es ist im hl. Evangelium mehr gesagt, als wäre nur von überfüllten Gasthäusern die Rede. Immer noch fehlt der Platz in der Herberge, immer noch wird der Heiland der Welt in einem Stall geboren. Dennoch haben viele viele Menschen diese Mahnworte gehört und ihre Herzen bereitet, so daß es immer wieder all die Jahrhunderte Weihnachten geworden ist. Möge es in diesen kommenden Wochen auch in unseren Herzen wieder Advent werden, damit es auch Weihnachten werden kann. Erspüren wir die himmlische Sehnsucht dieser Gnadenzeit, denn nur so kann die Gnade auch in uns das Wunder der hl. Weihnacht wirken. Nehmen wir uns Zeit zur Stille, Zeit zum stillen, nachdenklichen Gebet.
Die heilige Christnacht
„In der Heiligen Nacht tritt man gern einmal aus der Tür und steht allein unter dem Himmel, nur um zu spüren, wie still es ist, wie alles den Atem anhält, um auf das Wunder zu warten. Auf den Höfen sieht man schwebende Lichter, als hätten sich die Sterne gelöst und wanderten nun zu Tal. Das sind die Laternen der Leute, die vom Berg herab zur Mette gehen. Und plötzlich schlagen die Glocken freudevoll zusammen und die Kirche erstrahlt in hundertfältigem Glanz. Gloria singt der Pfarrer mit aller Gewalt. Gloria in excelsis Deo. Und die Leute fallen ins Knie, und es sind wieder Hirten und Bauern, wie damals in der gesegneten Stunde. Nachher singen die Frauen auf dem Chor und der Pfarrer hält auch inne, um das Lied anzuhören, diese holde Weise von der stillen, heiligen Nacht. Der sie erfand, war kein großer Meister, sondern auch nur ein geringer Mensch. Dieses eine Mal löste ihm der Engel die Zunge, nachher schwieg er wieder. Aber es ist eine tröstliche Botschaft gewesen, über Grenzen und Zeiten hinaus bewegte sie die Herzen der Menschen. Und damit ist viel getan, denn alles Heil kommt aus der Stille.“
(Ebd. S. 62 f.)
Heilige Stille
Ganz sicher fehlt uns diese heilige Stille, in welche der himmlische Vater Sein ewiges Wort hineinsprechen kann. Die katholischen Zeiten sind ferne Vergangenheit. Es formt schon lange nicht mehr der göttliche Glaube unsere Kultur und Umwelt, sondern ein neuheidnischer Geist. Damit fehlt uns die gesellschaftliche Basis, der Halt der Gemeinschaft. Jeder muß nunmehr für sich persönlich eine katholische Welt um sich herum schaffen, er muß ohne Hilfe der Gemeinschaft auskommen. Zudem leben wir Katholiken in der Diaspora, der Zerstreuung. Immer weniger sind es geworden, die der göttlichen Wahrheit die Treue hielten – und vergessen wir nicht, Jesus Christus ist diese göttliche Wahrheit. Wer darum den katholischen Glauben verliert, der verliert auch den göttlichen Heiland aus den Augen. Jede Irrlehre trübt unseren Blick auf Ihn und bringt uns daher in die Gefahr, Ihn zu verlieren. Wie groß ist aber heute die Gefahr, sich in irgendwelchen irrigen Ansichten zu verfangen.
Früher bot das Brauchtum Halt. Es war zwar immer in gewisser Weise so, daß auch das Brauchtum lebendig gehalten werden mußte, also jeder sein Brauchtum üben mußte. Dennoch half das Brauchtum, die Glaubenswirklichkeit gegenwärtig zu halten, sie im Alltag nicht so leicht zu vergessen. Früher dachte man nicht allein an Gott, sondern viele waren noch in diesem Gedanken an Gott im Brauchtum miteinander verbunden. Die Kirchen waren noch voll, Sonntag für Sonntag drängte sich das christkatholische Volk zum Altar, um Gott ihr Lob zu singen und Ihm Dank zu sagen, aber auch, um die notwendige Sühne zu leisten für ihre Sünden. Die Abständigen fielen damals noch aus der Rolle und nicht umgekehrt. Die Frömmigkeit galt noch etwas.
Mystiker des Mittelalters: Die hl. Mechtild von Hackeborn
Wie tief diese Verwandlung des alltäglichen Lebens durch den hl. Glauben gehen kann, zeigt das Mittelalter. Wir sind mit einer ganzen Reihe von großen und heiligen Mystikern aus dieser Zeit gesegnet. Bei diesen wurde der Glaube durch die Gnade Gottes so hellsichtig, daß die Scheidewand z.T. schon in dieser Welt zerbrach, die Scheidewand zur unsichtbaren Wirklichkeit des Himmels.
Eine der großen Mystikerinnen war die hl. Mechthild von Hackeborn. Diese entstammte dem Geschlecht der Freiherrn von Hackeborn, die zugleich Erbgrafen von Helfta waren, einem der edelsten des obersächsischen Landes. Mechthild wurde im Jahr 1241 geboren und schon mit sieben Jahren nahm sie ihre Mutter mit ins Kloster, in welchem sich schon ihre um sieben Jahre ältere Schwester Gertrud befand. Bei diesem Besuch bat das kleine Mädchen offensichtlich auf göttlichen Antrieb, bei den Bräuten des Herrn bleiben zu dürfen, was ihr auch gewährt wurde. Mechthild zeichnete sich durch ihre Demut, ihren Eifer und vor allem durch ihre Liebenswürdigkeit aus. Ihre Schwerster Gertrud, die inzwischen Äbtissin geworden war, unterstützte sie eifrig. Im Kloster tat sie sich besonders durch ihre schöne Stimme hervor, welche sie freudig zum Gotteslob erklingen ließ. Ihre außerordentlichen Gnadenvorzüge hielt sie, soweit es irgendwie ging, verborgen. Erst in ihrem fünfzigsten Lebensjahr gab sie die Geheimnisse der göttlichen Liebe zu erkennen.
In den Offenbarungen, die unser Herr Jesus Christus ihr über viele Jahre zuteilwerden ließ, nimmt das Geheimnis der Menschwerdung Gottes den ersten Platz ein. Der Gottmensch erscheint darin nicht nur als unser aller Erlöser, sondern auch als Mittler zwischen Gott und den Menschen. Hinter dem Geheimnis des gottmenschlichen Mittlers steht die Liebe Seines Herzens. Jene barmherzige Liebe, welche Gott selbst ist. Diese Liebe hat sich des Sohnes Gottes bemächtigt und Ihn herabgezogen in den Schoß der Jungfrau, herabgezogen auf den rauhen Weg der Armut und des Leidens bis zum Kreuz auf Kalvaria. Indem ER sich des gefallenen Menschen annimmt, ermöglicht Er es ihm, Ihm wieder in den Himmel zu folgen, dorthin, wo Seine Gottheit unablässig sich niederneigt zu den gefallenen Kindern Adams.
Der hervorspringendste Zug an der hl. Mechthild ist das göttliche Lob. Man kann sie gleichsam eine Prophetin des göttlichen Lobes nennen. Im täglichen Gotteslob fand sie ihre ganze Freude. Wie oft wird sie beim Singen des Gotteslobes vom Heiligen Geist ergriffen und zu mystischer Schau erhoben. Diesen Eifer für das Lob Gottes lehrte sie auch ihren Mitschwestern. Nach ihrem Tod gab man ihr Buch unter dem Titel heraus: „Lob der Herrin Mechthildis.“
Eine Schauung von der Weihnachstsvigil
In den himmlischen Schauungen und Belehrungen der Heiligen spricht sie auch öfter über die Geburt Christi. Einmal, am Vorabend von Weihnachten sieht sie folgendes:
„An dem Abend der allersüßesten Geburt Jesu Christi, des Sohnes Gottes, da die Klostergemeinde in das Kapitel ging, sah sie eine Menge der Engel mit Lichtern, je zwei und zwei etlichen Personen dienen. An der Stelle der Äbtissin aber saß der Herr auf einem elfenbeinernen Thron, von welchem ausfloß mit Eile ein lauteres Wasser. Bei dem ersten ‚Miserere mei‘ [– ‚Herr, erbarme mich meiner‘, Ps. 50,1 –] wusch das Wasser einer jeglichen Angesicht. Zu dem anderen „Miserere“ gingen einige zu dem Herrn, und opferten ihm ihre Gebete, welche sie zu jener Stunde für die Kirche ausgossen. Bei dem dritten „Miserere“ hatte der Herr einen goldenen Kelch und schenkte daraus den Seelen, deren die Schwestern in ihrem Gebete gedacht hatten. Und der Herr sprach: ‚Dies Kapitel halte ich alle Jahre.‘“
(Leben und Offenbarungen der heiligen Mechthildis, herausgegeben von J. Müller, Erster Band, Georg Josef Manz Verlag, Regensburg 1880, S. 42)
Wünscht man sich nicht zuweilen sehr, man könnte die Gnadenhilfe Gottes sehen, man dürfte einen Blick in jene unsichtbare Gnadenwelt tun? Die hl. Mechthild nimmt diese im Bild wahr. Was aber enthüllt uns dieses Bild? Der Quell aller Gnaden ist Jesus Christus, „von welchem ausfloß mit Eile ein lauteres Wasser“. Durch unser tägliches Gebet erst wird der Strom der Gnade auch zu uns gelenkt, uns reinigend von aller Sünde oder unsere Gebete opfernd darbringend oder anderer gedenkend. So wirkt die Gnade überall das göttliche Gut, deren Quelle Jesus Christus ist.
„Von der süßen Geburt Christi“
Aber schauen wir zusammen mit der hl. Mechthild auch etwas eingehender auf das Wunder der hl. Weihnacht. Hören wir etwa, wie sie „Von der süßen Geburt Christi“ erzählt.
„In der heiligsten Nacht der süßen Geburt Christi meinte sie, daß sie an einem steinigen Berge wäre, in welchem die Jungfrau Maria saß, nahend der Geburt. Und als die Zeit der Geburt kam, ward die selige Jungfrau mit unaussprechlicher Freude und mit Jubel erfüllt. Das göttliche Licht umleuchtete sie also, daß sie mit Erschrecken aufstand, und in tiefer Demut niederfiel und sich neigte zu der Erden in Danksagung. Sie ward also erschrocken, daß sie nicht wußte, wie ihr geschehen war, bis sie das Kindlein auf ihrem Schoße hielt, den schönsten von den Söhnen der Menschen. Da ward sie erfüllt mit unaussprechlicher Freude und heißer Liebe, und nahm das Kind, und küßte es süßiglich dreimal, wodurch sie der heiligen Dreifaltigkeit so sehr vereinigt ward, als immer einem Menschen mit Gott vereiniget zu werden möglich ist, ohne persönliche Vereinigung. Durch den steinigen Berg aber wird vorgebildet das geistliche Leben, das da scharf und hart in dieser Welt dünket, jenes Leben, welches Christus mit seiner Mutter am ersten gezeigt und den Menschen darin ein Beispiel wahrer Geistlichkeit gegeben hat.“
(Ebd. S. 42 f.)
Auf steinernem Berg
Diese Bilder sind vollkommen aus dem übernatürlichen Glauben gewoben. Die Jungfrau Maria hat ihren Sohn nicht so geboren, wie die übrigen Menschenkinder geboren wurden, sondern ohne Schmerzen, auf wunderbare Weise. Wie der Lichtstrahl das Glas durchdringt ohne es zu verletzen, so verläßt der menschgewordene Sohn Gottes den Schoß der Jungfrau und tritt in unsere Menschenwelt als der Schönste von allen Söhnen der Menschen. Die Mutter betet das Kind an und nimmt es schließlich mit unaussprechlicher Freude auf den Arm, um es süßiglich dreimal zu küssen. Diese Küsse sind ein Ausdruck ihres Glaubens an die Allerheiligste Dreifaltigkeit, mit der Maria gnadenhaft vereint ist, wie sonst kein Geschöpf im Himmel und auf Erden.
Die Geburt geschieht auf steinernem Berg, womit das geistliche Leben der Seelen dargestellt wird, das dem Weltmenschen steinig vorkommt und wie tot erscheint. Der Weltmensch versteht nicht, daß unser inneres Leben wie ein Berg sein soll, fest gegründet auf dem göttlichen Glauben und hoch bis zum Himmel aufstrebend. Die Gottesmutter Maria ist ein wunderbares Vorbild für alle Menschen, die nach einem inneren Leben trachten, einem gottverbundenen, gnadenverbundenen Leben. Ihre alles überragende Gottesliebe strömt auf ihre Kinder über, wie die hl. Mechthild weiter berichtet.
Das Mark des väterlichen Herzens
„Die betrachtende Seele saß bei der seligen Jungfrau und begehrte mit großer Begier auch zu küssen das liebliche Kindlein. Als nun die jungfräuliche Mutter ihrem Sohn lieblich umfangen und ihn angeredet hatte, gab sie ihn auch der Seele zu umfangen. Da empfing sie mit unaussprechlicher Liebe das Kind mit den Worten, die sie vormals nie gedacht hatte: ‚Sei gegrüßt du Mark des väterlichen Herzens, allerliebste Fülle und selige Erquickung meiner schwachen Seele! Ich opfere dir das Mark meines Herzens und meiner Seele zu einem ewigen Lobe und ewiger Ehre.‘ Und sie verstand durch göttliche Eingebung, wie der Sohn wäre das Mark des väterlichen Herzens; denn wie das Mark kräftigt und heilt und fast süße ist, also hat Gott der Vater uns gegeben seinen Sohn, der da ist seine Kraft und allerlieblichste Süßigkeit, zu einem Beschützer und Seligmacher und mildreichsten Tröster. Aber das Mark der Seele, das ist die süßeste Freude, welche die Seele allein von Gott durch Eingießung der Liebe zu empfinden verdient, durch welche sie alle irdischen Dinge wahrhaft verrichtet, und welcher alle Freuden der Welt, so sie auch in einem Einzigen gegossen würden, nicht mögen verglichen werden. Auch von dem Angesichte des Kindes schimmerten vier Strahlen, die da erfüllten die vier Enden der Welt, durch welche vorgebildet ward der heilige Wandel Christi und seine Lehre, welche die ganze Welt erleuchtet hat.“
(Ebd.)
Die wahre Gottesliebe ist die Liebe zum Dreifaltigen Gott und darin zugleich eingeschlossen eine Liebe zum menschgewordenen Gottessohn. Er ist die Offenbarung des Vaters in unserer Menschenwelt und niemand kommt zum Vater außer durch den Sohn. Die vom göttlichen Glauben erfüllte Seele begehrt nach dem Kuß der göttlichen Liebe. Darum reicht ihr die Gottesgebärerin ihren Sohn, damit sie IHN an sich ziehen und umarmen kann in einem Leben des Gebetes, des Opfers und der Hingabe. Als die Seele das Jesuskind sieht, wird sie innerlich erleuchtet und betet: „Sei gegrüßt du Mark des väterlichen Herzens, allerliebste Fülle und selige Erquickung meiner schwachen Seele! Ich opfere dir das Mark meines Herzens und meiner Seele zu einem ewigen Lobe und ewiger Ehre.“
Der gottmenschliche Vermittler
Der Sohn Gottes ist aus Seiner Himmelsherrlichkeit zu uns gekommen, um uns das Mark, die Stärke des väterlichen Herzens zu vermitteln, denn „also hat Gott der Vater uns gegeben seinen Sohn, der da ist seine Kraft und allerlieblichste Süßigkeit, zu einem Beschützer und Seligmacher und mildreichsten Tröster“. Wer möchte da nicht zu Ihm seine Zuflucht nehmen? Wer möchte nicht mit Ihm so fest verbunden sein, daß er niemals mehr von Ihm getrennt werden kann?! Erst durch Ihn beginnen wir auch uns zu verstehen, indem wir die geheimnisvollen Tiefen unserer Seele erahnen. Das „Mark der Seele, das ist die süßeste Freude, welche die Seele allein von Gott durch Eingießung der Liebe zu empfinden verdient, durch welche sie alle irdischen Dinge wahrhaft verrichtet, und welcher alle Freuden der Welt, so sie auch in einem Einzigen gegossen würden, nicht mögen verglichen werden“.
Unser göttlicher Erlöser verwandelt alles durch Sein Kommen, denn mit Ihm kommt die Paradieseswelt zurück, selbst wenn Leiden und Not und Tod nicht direkt weichen. Aber alles erhält wieder Sinn für die Ewigkeit. Mit Ihm kommt die süßeste Freude zurück, weil wir Ihn liebend umfangen dürfen, so viel wir wollen. Dadurch finden auch die irdischen Dinge wieder ihren rechten Platz, denn die Freuden der Welt weichen zurück, weil sie alle zusammen genommen vor Ihm wie nichts erscheinen. Von Ihmaber strahlt das göttliche Licht aus in die Welt und erfüllt die vier Enden der Welt, denn der heilige Wandel Christi und seine Lehre wird die Finsternis des Unwissens und der Sünde vertreiben – bei allen Menschen, die guten Willens sind.
Die unaussprechliche Geburt des Sohnes aus dem Vater
Schauen wir auf ein weiters Bild der hl. Mechthild, in der sie „Nochmals von der Geburt und von der Liebe“ spricht, um noch tiefer in das weihnachtliche Geheimnis einzudringen:
„Als die Messe: ‚Dominus dixit‘ [‚der Herr hat gesprochen‘, Ps. 2,7] zum Gedächtnis und zu Ehren der verborgenen und unaussprechlichen ewigen Geburt Christi aus Gott dem Vater gesungen ward, betrachtete sie, wie sie sähe Gott den Vater als einen überaus mächtigen König in einem gar wundersamen Gezelte, thronend auf einem elfenbeinernen Thron. Und er sprach zu der Seele: ‚Komme und empfange den mitewigen und den eingeborenen Sohn meines Herzens und teile ihn allen mit, die da in andächtiger Dankbarkeit seine höchste und ewige Geburt aus mir ehren.‘ Und sie sah von dem Herzen Gottes einen Schein ausgehen, welcher dem Herzen der Seele sich anschmiegte in der Gestalt eines durchsichtigen Kindleins. Dieses Kindlein grüßet sie mit folgenden Worten: ‚Sei gegrüßt, du Abglanz der väterlichen Glorie!‘ Danach trug sie das Kind ringsum zu allen Anwesenden und gab es Jeglicher, und doch nichts desto weniger trug sie es selber auf ihrem Herzen. Aber das Kind auf der Brust neiget sich zu Jeglicher, und küßte zu dreien Malen deren Herzen. Mit dem ersten Kusse sog es aus und in sich hinein alle ihre Sehnsucht; mit dem anderen den guten Willen; mit dem dritten alle ihre Mühen, die sie im Gesange, in Verbeugungen, im Wachen und anderen geistlichen Übungen vollbracht hatten. Da erkannte sie, daß es Gott recht angenehm wäre, wenn die Menschen, wiewohl sie die göttliche und unaussprechliche Geburt des Sohnes Gottes aus dem Vater mittels Erkenntnis nicht begreifen mögen, dennoch durch frommen Glauben sich mitfreuen, und mit Lob nach ihrem Vermögen dieselbe erheben.“
Ist das nicht ein überaus bezauberndes Bild der weihnachtlichen Gnade! Der himmlische Vater sendet Seinen Sohn zu uns, um uns gnadenhaft einzubinden ins dreifaltige Leben. Er spricht zur Seele dieses unglaubliche Wort: „Komme und empfange den mitewigen und den eingeborenen Sohn meines Herzens und teile ihn allen mit, die da in andächtiger Dankbarkeit seine höchste und ewige Geburt aus mir ehren.“
„Sei gegrüßt, du Abglanz der väterlichen Glorie!“
Und was geschieht nun? Wie kommt der ewige Sohn des Vaters zur Seele? „Und sie sah von dem Herzen Gottes einen Schein ausgehen, welcher dem Herzen der Seele sich anschmiegte in der Gestalt eines durchsichtigen Kindleins.“ Was für glaubensinnige Bilder sieht die Heilige! Wie einen Lichtstrahl sieht sie aus dem Herzen Gottes den Sohn hervorgehen und sich der Seele anschmiegen in der Gestalt eines durchsichtigen Kindleins. Wie anheimelnd ist doch die Gnade der hl. Weihnacht – das Offenbarwerden des Sohnes Gottes in unserer Menschenwelt als Kindlein. Wie unendlich gütig ist doch unser Gott. Wie sehr möchte Er sich unserer Seele anschmiegen! Was kann die Seele als Willkommensgruß anderes sprechen als dies: „Sei gegrüßt, du Abglanz der väterlichen Glorie!“
Et in terra pax hominibus bonae voluntates - Und auf Erden Frieden den Menschen, die guten Willens sind
Von der gnadenhaft ergriffenen Seele aus verbreitet sich sodann die weihnachtliche Gnade und erfüllt alle, die guten Willens sind. Der gute Wille ist nämlich die Voraussetzung für das, was nun an höchst Erstaunlichem geschieht: „Aber das Kind auf der Brust neiget sich zu Jeglicher, und küßte zu dreien Malen deren Herzen.“ Vor solch inniger Liebe steht man sprachlos. Kann uns Gott wirklich derart lieben? Können wir Ihm, den unendlich Reichen und Heiligen und Glücklichen so viel bedeuten, daß Er sich solchermaßen zu uns herabneigt und uns mit dreifachen Kusse beschenkt?
Was bedeutet aber dieser dreifache Kuß? „Mit dem ersten Kusse sog es aus und in sich hinein alle ihre Sehnsucht; mit dem anderen den guten Willen; mit dem dritten alle ihre Mühen, die sie im Gesange, in Verbeugungen, im Wachen und anderen geistlichen Übungen vollbracht hatten.“ O Gott, hast Du uns wirklich derart lieb, daß Du solchen Anteil an unserer Seele nimmst, so als wäre es Deine? Daß Du alles Gute in uns Dir zu eigen nimmst und selbst unseren Mangel durch Dich ergänzt, wenn wir uns nur einigermaßen Mühe gegeben haben, Dir das rechte Lob zu singen?
Und dennoch stehen die allermeisten Menschen verständnislos und achtlos vor diesem Geheimnis Deiner Menschwerdung. Was ist nur in unserer Welt geschehen? Wie konnte diese Liebe so sehr vergessen, ja verachtet werden? Ist nicht auch unsere Lauheit mit schuld an diesem größten Unglück, das sich denken läßt? Was sollen wir tun? – „Da erkannte sie, daß es Gott recht angenehm wäre, wenn die Menschen, wiewohl sie die göttliche und unaussprechliche Geburt des Sohnes Gottes aus dem Vater mittels Erkenntnis nicht begreifen mögen, dennoch durch frommen Glauben sich mitfreuen, und mit Lob nach ihrem Vermögen dieselbe erheben.“
Sobald das Geheimnis verblaßt, erstirbt der Glaube. Vielleicht hat man diese Wahrheit viel zu wenig beachtet. Der sog. Rationalismus, das moderne Besserwissertum, hat das Glaubensgeheimnis zerstört – wir nennen dies im religiösen Bereich Modernismus. Ein solch seichter, banaler Glaube kann niemanden wirklich begeistern und zu einem heiligen Leben anspornen. Das Wunder der hl. Weihnacht ist die göttliche und unaussprechliche Geburt des Sohnes Gottes aus dem Vater – Gott liegt vor uns mit einem Menschenantlitz, als kleines Kind in einer Krippe. Da kann der Mensch nur staunend niederknien und anbeten. Die mystische Schau der Heiligen ist mit diesem Bild noch nicht beendet:
Der Ernst der Liebe
„Zu dem Evangelium ‚Exiit edictum‘ [‚Es erging ein Befehl‘, Luk. 2] deuchte ihr, daß Gott der Vater zu ihr spreche: ‚Gehe zu der jungfräulichen Mutter meines Sohnes und bitte, daß sie dir ihren Sohn gebe mit all‘ der Freude, welch sie in ihm gehabt hat, da sie ihn gebar, und mit allem Guten, mit welchem ich ihn ihr und der ganzen Welt zum Heile gegeben habe.‘ Da sie nun kam, fand sie das Kind in eine Krippe gelegt und in Tüchlein gewickelt. Das Kind sprach: ‚Da ich in der Welt geboren ward, wurde ich von Stunde an gebunden und [zwar] mit Tüchlein, also daß ich mich nicht bewegen mochte, zu einem Zeichen daß ich mich ganz, mit allen Gütern, die ich mit mir von dem Himmel brachte, in die Gewalt des Menschen gegeben habe zu seinem Nutzen. Denn, wer da gebunden ist, hat keine Gewalt und vermag sich nicht zu wehren, und ihm mag genommen werden alles, was er hat. Gleicher Weise, da ich ausging aus der Welt, bin ich also geheftet gewesen an das Kreuz, daß ich mich gänzlich nicht mochte bewegen, zu einem Zeichen, daß ich alles Gute, was ich vollbrachte in der Menschheit, den Menschen lieber gelassen habe; und schließlich all meinen Wandel, auch alle meine Güter, göttliche und menschliche, und mein Leiden habe ich gänzlich dem Menschen gegeben, darum er jetzt zuversichtlich wegnehmen mag das meine. Und das ist mein Begehr, daß er nützlich meine Güter gebrauche.‘
Es bedünkte sie auch, daß die Liebe in Gestalt einer Jungfrau bei der seligstem Jungfrau Maria säße, zu welcher sie sprach: ‚Eja, du süße Liebe! Lehre mich diesem überedlen Kinde bequemen Dienst erzeigen!‘ Da sprach die Liebe: ‚Ich habe es mit meinen jungfräulichen Händen zum ersten bedient, habe es eingewickelt in Tüchlein, habe mit meinen jungfräulichen Brüsten es neben seiner Mutter gesäugt, in dem Schoß gehalten, und ihm alle Freundlichkeit erzeuget mit seiner Mutter, und diene ihm unaufhörlich. Darum ein Jeglicher, der ihm würdig will dienen, nehme mich zu einer Genossin auf; das ist, er tue alle Dinge in Vereinigung der Liebe, in welcher Gott die menschliche Natur an sich genommen hat; dann wird alles, was er tut, Gott am angenehmsten sein.‘“
(Ebd. S. 43 f.)
Es fällt dem modernen Gutmenschen äußerst schwer, den Ernst dieser Liebe zu begreifen. Liebe ist nicht einfach Liebenswürdigkeit, schwächliches Jasagen zu jedem und allem. Nein, die göttliche Liebe ist fordernd, weil der Gott der Liebe zugleich der unendlich Heilige ist.
Der Sohn Gottes ist in unsere Menschenwelt gekommen, um sich von Anfang an binden zu lassen, denn es ist Seine Speise, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hat. Er ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen. „Gleicher Weise, da ich ausging aus der Welt, bin ich also geheftet gewesen an das Kreuz, daß ich mich gänzlich nicht mochte bewegen, zu einem Zeichen, daß ich alles Gute, was ich vollbrachte in der Menschheit, den Menschen lieber gelassen habe; und schließlich all meinen Wandel, auch alle meine Güter, göttliche und menschliche, und mein Leiden habe ich gänzlich dem Menschen gegeben, darum er jetzt zuversichtlich wegnehmen mag das meine.“
Er ist arm geworden, um uns reich zu machen; Er hat unsagbar gelitten und ist am Kreuz gestorben, um uns die ewigen Qualen der Hölle zu ersparen; Er hat uns alles geschenkt, was Er besessen hat. Wir können nunmehr aus Seinem Gnadenschatz ewiges Leben schöpfen soviel wir nur wollen. Das göttliche Leben in unserer Seele muß jedoch ständig gehütet und unablässig gepflegt werden. Wir tragen es in recht zerbrechlichen Gefäßen, wie der hl. Paulus eindringlich mahnt: „Diesen Schatz tragen wir freilich in irdenen Gefäßen, damit die überreiche Fülle der Kraft nicht uns, sondern Gott zugeschrieben werde“ (2 Kor 4, 7) Die hl. Mechthild bat darum eindringlich: „Eja, du süße Liebe! Lehre mich diesem überedlen Kinde bequemen Dienst erzeigen!“
Es muß schon eine wahrhaft göttliche Lehre genannt werden, dem ewigen Sohn des Vaters in Menschengestalt dienen zu dürfen. Dieser Dienst ist an Weihnachten ganz anders geworden, weil ER sichtbar unter uns erschienen ist und gewissermaßen immer noch sichtbar unter uns lebt. Deswegen ist die göttliche Liebe fordernder noch als im Alten Bund, weil sie konkreter und lebensnaher geworden ist durch Ihn. „Darum ein Jeglicher, der ihm würdig will dienen, nehme mich zu einer Genossin auf; das ist, er tue alle Dinge in Vereinigung der Liebe, in welcher Gott die menschliche Natur an sich genommen hat; dann wird alles, was er tut, Gott am angenehmsten sein.“
Ein Zwiegespräch in heiliger Nacht
Hören wir unsere Visionärin „Nochmals von der Geburt Christi“ sprechen:
„An einem Fest der Geburt Christi bedeuchte ihr, sie sehe die heilige Jungfrau auf einem Berge sitzen mit einem wunderschönen Kindlein auf ihrem Schoße. Und sie sprach zu ihr: ‚Meine Herrin, wo sind wir in diesem Augenblick?‘ Diese antwortete: ‚Auf dem Berg von Bethlehem. Es stand die Stadt wirklich auf einem Berg, darum man im Evangelium liest: ‚Und Josef ging hinauf‘ (Luk. 2,4). Doch die Herberge, allwo ich Christum geboren, lag über der Stadt nahe einem Thor, darum man sagt, Christus ist in Bethlehem geboren.‘ Jene frage nun: ‚Wie konnten doch die Hirten in der Nacht zu dem Kinde kommen?‘ Es antwortete die seligste Jungfrau: ‚Der tiefe Friede, der zur Stunde herrschte, mochte ihnen die Sicherheit geben. Dazu hielt man die Tore wegen des großen Zuflusses von Menschen nicht geschlossen.‘ Jene entgegnete: ‚O Herrin, warum hattest du kein Bett, noch sonst eine Bequemlichkeit?‘ Diese antwortete: ‚Das war nicht von Nöten, weil ich mein Kind ohne Schmerzen zu Welt geboren habe.‘ Die Seele fuhr fort: ‚Als deine Verwandten und Freunde dich besuchten, was konntest du, arme Frau, und dennoch Königin des Himmels, ihnen anbieten?‘ Antwortete sie: ‚Ich hatte nicht nötig, etwas zu haben, da sie alles Nötige selbst mitbrachten.‘ Die Seele fragte noch: ‚Welche Nahrung gabst du deinem Sohn, nachdem die ihn entwöhnt hattest?‘ – ‚Ich bereitete ihm eine Speise aus weißem Brot und Wein.‘ Als sie sodann bei sich selbst dachte und sich fragte, ob der Herr nach seiner Rückkehr aus Ägypten nach Nazareth Beziehungen zu seine Verwandten unterhalten habe, da antwortete ihr das Kind selbst folgendermaßen: ‚Warum meinst du, daß es im Evangelium heißt: Sie suchten ihn unter ihren Verwandten und Bekannten, wenn nicht darum, weil ich zuweilen mit ihnen umging? Warum glaubst du ferner, daß Johannes Evangelist, den ich von der Hochzeit weg berufen, mir so bereitwillig folgte, wenn nicht deswegen, weil mein Umgang und meine Sitten, die er oft aus Erfahrung kennen gelernt hatte, ihm wohlgefielen, so daß er leicht zu meiner Nachfolge bewogen wurde?‘“
(Ebd. S. 46 f.)
Durch die Gegenwart des Sohnes Gottes wird unsere Welt geheiligt, unser Alltag verwandelt. Sobald man beginnt, Sein Leben betrachtend zu erwägen, taucht der Alltag in ein neues Licht ein. Man ist immer in Seiner Nähe, wenn man es nur will. Denn Erist in allem. Zuweilen kommen uns die Übungen früherer Zeit womöglich kindisch vor, aber nur weil wir nicht genügend lebendigen Glauben haben. Wenn man etwa sich vorstellte, am Tisch den Heiland und die Gottesmutter zu bedienen oder wenn man denjenigen, den man am wenigsten leiden konnte, besonders freundlich behandelte, weil man damit dem Herrn gegenüber freundlich ist, dann ist das alles wahr: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40). Es ist schon so, die christliche Liebe ist sehr ernst, weil Er unser Bruder geworden ist. ER hat sich nicht von unserer Menschenwelt abgesondert, sondern wollte das Menschenleben ganz mit uns teilen. Aber Er wollte es natürlich auch heiligen, er wollte es heilen von der Sünde. Immer war Er der göttliche Erlöser, der göttliche Seelenarzt, aber immer weniger sind zu Ihm gegangen, um sich von Ihm heiligen zu lassen. Der Glaube war irgendwie erstorben, die Freude an der Wahrheit wich der Freude am selbsterdachten Irrtum. Das moderne Leben wollte nicht mehr mit der Liebe Christi zusammenpassen. Wer dem göttlichen Erlöser im Glauben und in der Liebe begegnen will, der muß bereit sein, sich von Ihmverwandeln zu lassen. „Warum glaubst du ferner, daß Johannes Evangelist, den ich von der Hochzeit weg berufen, mir so bereitwillig folgte, wenn nicht deswegen, weil mein Umgang und meine Sitten, die er oft aus Erfahrung kennen gelernt hatte, ihm wohlgefielen, so daß er leicht zu meiner Nachfolge bewogen wurde?“
Vier Strahlen
Heute gibt es kaum mehr solch johanneische Seelen, die sich leicht zur Nachfolge Jesu bewegen lassen. Ungehört ergeht das Wort Gottes an unsere Menschenwelt. Dabei möchte Er doch sein Antlitz über alle erstrahlen lassen, wie es die Braut Christi in einer Schauung, und zwar „Von den vier Strahlen des Angesichtes des Herrn“, so schön beschreibt:
„Zu einer anderen Zeit, an dem nämlichen Tage, sah sie von dem Angesichte des Herrn Jesu, in welches die Engel zu schauen verlangen (vgl. 1 Petr. 1,12), vier Strahlen ausgehen. Der obere Strahl beleuchtete alle, die mit Gott vereint sind, so daß sie nichts wollen oder begehren, weder in glücklichen noch in widerwärtigen Dingen, denn allein den Willen Gottes. Der andere Strahl leuchtete in alle Sünder, daß er sie zur Buße riefe. Der rechte Strahl durchblitzte alle Prediger, die den Menschen das Wort Gottes verkünden. Der linke beschien alle, die mit ganzer und vollkommener Treue Gott dienen. Da bat sie den Herrn für alle, die sich ihrem Gebete befohlen hätten, und die da das Gedächtnis seines allersüßesten Angesichtes feierten, damit sie seiner Gemeinschaft nicht beraubt würden. Der Herr antwortete: ‚Keiner aus ihnen soll von mir geschieden werden.“ Und sie sah eine Schnur ausgehen von dem Herzen des Herrn in ihre Seele, durch welche sie alle, die in ihrer Gegenwart standen, zu Gott leitete. Die Schnur aber bedeutete die Liebe, welche Gott dieser Seele reichlich eingegossen hatte, durch welche sie alle zu Gott zog, durch ihr gutes Beispiel und durch ihre Lehre. Und der König der Ehren streckte die Hand seiner Allmacht aus und benedeite sie, sprechend: ‚Die Klarheit meines Angesichts sei euch ewige Freude!‘ Amen.“
(Ebd. S. 59 f.)
Daß Gott nunmehr ein Angesicht hat, das wir nach Belieben betrachten können, ist eine der ganz großen Gnaden der hl. Weihnacht. Das Angesicht unseres Herrn Jesus Christus, in welches die Engel zu schauen verlangen, leuchtet vor uns auf in der Krippe. Vom göttlichen Licht durchstrahlt erhellt es unsere Seelen und erfüllt sie mit den Gnaden, die sie am notwendigsten brauchen. Das göttliche Licht vereint unseren Willen mit dem Willen Gottes, es ruft uns zur Buße, es läßt das Wort Gottes verkünden und Gott mit vollkommener Treue dienen. Wenn doch alle Seelen von diesem Licht erhellt würden! Wenn doch alle erkennen würden, was Er uns verheißt: „Die Klarheit meines Angesichts sei euch ewige Freude!“
Tränen der göttlichen Liebe
Manchmal fragt man sich, ob das Kind in der Krippe auch einmal geweint hat? Ist doch der Sohn Gottes gekommen, um viel für uns zu leiden. Und hat Er nicht allen Grund über uns zu weinen, weil unsere Herzen oft gar so kalt sind? Oder gibt es noch einen anderen Grund für den Menschensohn, um zu weinen? Die hl. Mechthild sah „Von dem Weinen des Herrn und den Tränen der Liebe“ folgendes:
„Item, da sie das Evangelium lesen hörte, wie der Herr ‚geweint hätte‘ (Joh. 11,35) und sie ihr gesammeltes Denken darein versenkte, sprach der Herr zu ihr: ‚So oft ich mich auf Erden in jene unaussprechliche Einigung, mit welcher ich Gott dem Vater geeint und Eines mit ihm bin, hineindachte, mochte sich meine Menschheit nicht der Tränen enthalten. Auch so oft ich die unendliche Liebe betrachtete, welche mich vom Schoß meines Vaters herniedergezogen und mit der menschlichen Natur mich gekleidet hatte, konnte sich meine Menschheit der Tränen nicht erwehren.‘ Da sprach die Seele: ‚Und wo sind die Tränen, welche dir jemals aus Liebe entströmt?‘ Er antwortete: ‚Sie haben meine geheimnisvolle Stätte in meinem Herzen, wie jemand, welcher einen teuren Schatz an dem geheimsten Platz verwahrt.‘ Und die Seele sprach: ‚Du hast mir einstmals gesagt: die Tränen der Liebe würden in deinem Herzen wie in einem Feuer verzehrt.‘ Da antwortete der Herr: ‚Es ist wahr; denn in meines Herzens Glut werden sie eingesogen, wie Wasser, das in Feuer gesprengt wird; dadurch aber werden sie nicht verbrannt noch auch verzehrt, sondern im Innersten meines Herzens sind sie wohl behalten.‘
Wiederum sah sie den Herrn, wie er die Wunde seines süßtesten Herzens öffnete und dabei sprach: ‚Sieh‘ an, die Größe meiner Milde. Wünschest du sie kennen zu lernen, so wirst du es nirgends klarer finden, als in den Worten des Evangeliums. Denn nie sind Worte größerer und süßerer Stimme gehört worden, als jene: Wie mich der Vater geliebt hat, also habe ich euch geliebt. (Joh. 15,9), und andere ähnliche, welche ich sowohl zu meinen Jüngern, als zu meinem Vater gesprochen habe, indem ich jenen viel Gutes erwies.‘“
(Ebd. S. 100 f.)
Wie mich der Vater geliebt hat, also habe ich euch geliebt
Der menschgewordene Gottessohn hat unzählige Tränen der Freude geweint. Sooft Er sich an jene unaussprechliche Einigung, mit welcher Er Gott dem Vater geeint und Eines mit Ihm ist, erinnerte, mußte Er vor Freude weinen. Er war nun einmal ein wahrer Mensch geworden mit einer menschlichen Seele und einem menschlichen Gemüt. Beginnen wir Menschen nicht oft dann, wenn wir keine Worte mehr finden, das auszudrücken, was uns bewegt, zu weinen? Für das Geheimnis des Ineinanderseins von Vater und Sohn im Heiligen Geist gibt es aber keine entsprechenden Menschenworte, da kann man nur weinen vor Freude.
Noch ein anderes Geheimnis bewegte das göttliche Erlöserherz: „Auch so oft ich die unendliche Liebe betrachtete, welche mich vom Schoß meines Vaters herniedergezogen und mit der menschlichen Natur mich gekleidet hatte, konnte sich meine Menschheit der Tränen nicht erwehren.“ All diese Tränen der Liebe hat unser göttlicher Heiland für uns in Seinem Herzen verwahrt. Darum ist Sein Herz zum Gnadenquell geworden, aus dem wir alles empfangen, was zum ewigen Leben frommt. Dieses Herz schlägt schon in dem Kindlein in der Krippe. Aus diesem Kindergesicht schaut uns die göttliche Liebe an. – „Wünschest du sie kennen zu lernen, so wirst du es nirgends klarer finden, als in den Worten des Evangeliums. Denn nie sind Worte größerer und süßerer Stimme gehört worden, als jene: Wie mich der Vater geliebt hat, also habe ich euch geliebt.“ Das ist Weihnachten! Die alles Denken übersteigende Freudenbotschaft: „Wie mich der Vater geliebt hat, also habe ich euch geliebt.“