Trostbrief in einer trostlosen Zeit - Nr. 7

In der Reihe unserer Trostbriefe folgt hier der siebente.



Selig, die nicht sehen und doch glauben

Man könnte unseren hl. Glauben durchaus auch einen Osterglauben nennen. Erhält er doch durch die Auferstehung unseres Herrn sein göttliches Siegel. Die Auferstehung Jesu offenbart in hervorragender Weise das Gottsein unseres Herrn. Sie zerstreut endgültig alle Zweifel, alle Ungewißheit, alles Schwanken. Nur der Herr über Leben und Tod kann solch ein Wunder wirken. Nur die Allmacht Gottes kann den toten Leib wieder lebendig machen.

Wobei die Auferstehung mehr ist als nur eine Totenerweckung. Von unsrem Herrn selber wird in den hl. Evangelien berichtet, daß er drei Tote auferweckte. Auch die Propheten und Heilige haben durch ihre Gebete Tote wieder zum Leben erweckt, weil Gott in ihnen wirkte. Aber all diese vom Tote Erweckten starben wieder. Unser Herr ist nicht nur von den Toten auferstanden, Er hat zugleich Seinen hl. Leib verklärt, so daß der Tod fernerhin keine Macht mehr über diesen hat. Der Auferstehungsleib verweist jetzt schon auf den neuen Himmel und die neue Erde, wie sie am Ende sein werden, wenn alles vollendet sein wird. Die Zeit von der Auferstehung bis zur Himmelfahrt des Herrn ist eine außergewöhnliche Glaubensschule. Als Petrus in das Haus des Hauptmanns Cornelius kam, erklärte er diesem:

„Wir sind Zeugen von allem, was er im Land der Juden und in Jerusalem gewirkt hat. Man hat ihn ans Kreuzesholz geschlagen und getötet. Gott hat ihn jedoch am dritten Tag auferweckt und ihn sichtbar erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk, sondern nur den von Gott vorherbestimmten Zeugen, uns, die wir nach seiner Auferstehung von den Toten mit ihm gegessen und getrunken haben. Er hat uns den Auftrag erteilt, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, daß er der von Gott bestimmte Richter über die Lebenden und die Toten ist. Von ihm bezeugen alle Propheten, daß jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen Vergebung der Sünden empfängt“ (Apg. 10, 39-43).

Nicht vor dem ganzen Volk ist unser Herr Jesus Christus erschienen, sondern nur vor den von Gott vorherbestimmten Zeugen. Alle anderen sollten deren Zeugnis annehmen und dadurch zum Glauben gelangen. Der Osterglaube setzt also ganz selbstverständlich eine gewisse Zahl von Augenzeugen voraus, die den auferstandenen Herrn gesehen, mit Ihm gesprochen, ja mit Ihm gegessen und getrunken haben. Diese Augenzeugen haben die Wirklichkeit der Auferstehung erfahren, da sie dem Auferstandenen mehrmals begegneten. Sie bürgen vor der ganzen Welt für die Tatsache der Auferstehung. Und die Tatsache der Auferstehung bürgt wiederum für die Gottheit Jesu. Er ist wahrhaft der Sohn Gottes und der von Gott bestimmte Richter über die Lebenden und die Toten. Und Er wurde dazu bestimmt, die Menschen zu richten, weil Er ihnen durch Seine Erlösung das ewige Leben wiedergegeben hat. Darum muß sich jeder vor Ihm verantworten. Der Herr verlangt vom Menschen den Glauben an Ihn.

Die Berichte der hl. Evangelien von den Erscheinungen des Auferstandenen sind in vieler Hinsicht auffällig. Die Apostel haben große Mühe, die Tatsache der Auferstehung zu begreifen. Man kann diesen Männern sicher keine Leichtgläubigkeit vorwerfen. Anders als die Frauen, die schnell zum Glauben finden, brauchen die Apostel und Jünger geraume Zeit, das Wunder der Auferstehung anzuerkennen. Der Grund ist wohl vor allem zweifach: Zum einen war die Enttäuschung durch den Kreuzestod Jesu abgrundtief. Ihr Traum vom Messias und vom messianischen Reich ist nicht einfach zerplatzt, er ist in den Staub getreten worden. Das Ende war ganz einfach katastrophal, alles vernichtend. Sodann war der Auferstandene verklärt – und so gesehen für die Apostel ein klein wenig unwirklich, wie man wohl sagen kann. Er war plötzlich da, Er zeigt ihnen Seine Hände und Füße mit den Wundmalen, Er spricht mit ihnen und ißt mit ihnen und dann ist er plötzlich wieder weg. Daran müssen sie sich erst gewöhnen.

Beim Evangelisten Matthäus lesen wir – im Evangelium vom Freitag der Osterwoche: „In jener Zeit gingen die elf Jünger nach Galiläa, auf den Berg, wohin sie Jesus beschieden hatte. Als sie Ihn sahen, beteten sie Ihn an; einige aber zweifelten“ (Matth. 28, 16). Unser Herr geht aber darauf gar nicht ein, sondern Er trat näher und sprach zu ihnen: „Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Gehet also hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie alles halten, was Ich euch geboten habe. Und seht, Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“

Dieser Zweifel war wohl viel eher ein Überraschungszweifel als ein Vernunftzweifel. Manche Jünger können es immer wieder aufs Neue nicht verstehen, daß Er es wirklich ist, wirklich und so wunderschön, so leuchtend, so befremdend vertraut kann man wohl sagen. Sprichwörtlich ist der Unglaube des hl. Thomas geworden. Wobei auch dieser wohl ein Überraschungszweifel war. Zunächst konnte Thomas nicht glauben, dann wollte er irgendwie nicht glauben, wenn er „nicht an Seinen Händen das Mal der Nägel sehe“ und nicht seinen „Finger an die Stelle der Nägel“ und seine „Hand in seine Seite lege“. So redet man nur, wenn man nicht weiß, was man sagt. Thomas wußte sicher nicht, was für eine Ungeheuerlichkeit er hiermit begehrt, aber so ungeheuer ist ihm nun einmal zumute. Der Weg des hl. Thomas zum Glauben an den Auferstandenen wird jedoch durch diese Ungeheuerlichkeit recht steinig und hart.

Das Gebet Mariens für den Apostel Thomas

Der Wunsch zu sehen und zu berühren ist zunächst einmal ein zutiefst menschlicher Wunsch. So möchte sich der Mensch einer Wirklichkeit vergewissern, er möchte den anderen bezeugen können: Mit eigenen Augen habe ich es gehen, ja mit der eigenen Hand habe ich es berührt. Aber unser hl. Glaube zeigt uns eine Wirklichkeit, die man gar nicht mit den eigenen Augen sehen und die man gar nicht mit der Hand berühren kann. Das war dem Apostel Thomas jedoch bei seiner spontanen Forderung ganz entfallen. Er will einfach Jesus wieder sehen und sich sehend und tastend davon überzeugen, daß er tatsächlich wieder lebt. Selbst alle Beteuerungen der anderen Apostel und der Jünger prallen einfach an seiner Seele ab. Wie so oft berichtet uns das hl. Evangelium nur das Notwendigste. Die lange Woche des Zweifels und das Verhalten der anderen wird in keiner Weise erwähnt. Bei den Visionären findet sich ein wenig mehr. Maria von Agreda beschreibt, wie die Apostel zur Gottesmutter gehen:

„Einige Apostel hatten ihr nach der ersten Erscheinung des Herrn von dem Unglauben des Thomas berichtet. Er hätte allen miteinander nicht glauben wollen, trotz ihrer Versicherung, den auferstandenen Meister gesehen zu haben. Da nun Thomas acht Tage lang in seinem Unglauben verharrte, steigerte sich in einigen Aposteln der Unwille gegen ihn mehr und mehr. Sie klagten über ihn als über einen strafbaren, hartnäckigen eigensinnigen, verblendeten Menschen. Das mitleidige Herz Mariä hörte sie ruhig an. Als sie aber wahrnahm, daß der Unwille der Apostel, die alle selbst voll Unvollkommenheiten waren, immer zunahm, redete sie die besonders Erbitterten an und besänftigte sie. Sie sagte ihnen, die Gerichte Gottes seien sehr verborgen; der Herr werde aus dem Unglauben des Thomas große Vorteile für andere, für sich selbst aber Ehre zu ziehen wissen. Sie sollten abwarten und sich nicht so schnell erbittern lassen. Unterdessen betete die göttliche Mutter inbrünstig für Thomas; und um ihretwillen beschleunigte der Herr die Hilfe. Als Thomas in sich ging und alle es der Mutter Jesu berichteten, bestärkte sie die Apostel in ihrem Glauben und ermahnte sie, standhaft in den Versuchungen auszuhalten; denn alle seien der Gefahr des Falles ausgesetzt.“

(Maria von Agreda, Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria, III. Band, Miriam-Verlag 1982, S. 548)

Genau genommen war dieser spontane Wunsch des Apostels Thomas eine Tragödie und eine Sackgasse dazu. Nur noch durch die unbegreifliche Güte und Barmherzigkeit des Herrn kommt Thomas wieder aus dieser Sackgasse heraus und die Tragödie findet ein gutes Ende. Denn natürlich hat Thomas keinerlei Anrecht darauf, den Herrn zu sehen oder gar seine Hand in dessen Seite zu legen. Ganz im Gegenteil, was für eine Vermessenheit! Aber acht Tage darauf „waren die Jünger wieder im Hause versammelt und Thomas befand sich bei ihnen. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen herein, stand in ihrer Mitte und sprach: ‚Der Friede sei mit euch!‘“

Die unwiderstehliche Gewalt der göttlichen Güte

Hierauf wendet sich unser auferstandener Herr zu Thomas: „Lege deinen Finger hierher und sieh Meine Hände; reiche deine Hand her und lege sie in Meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“ Mit der unwiderstehlichen Gewalt der göttlichen Güte führt unser Herr den hl. Thomas zum Glauben. Könnte man die Sanftmut des göttlichen Erlöserherzens Jesu beeindruckender beschreiben als mit dieser überwältigenden Geste Seines vollkommenen Entgegenkommens? Dem Zweifler wird nicht mit Härte entgegengetreten, nicht mit Zurechtweisung und auch nicht mit Vernunftargumenten, sondern mit einer unbegreiflichen Wirklichkeit: Die Hände und die Seitenwunde des verklärten Auferstehungsleibes Jesu!

Unwillkürlich fällt Thomas auf die Knie und bekennt: „Mein Herr und Mein Gott!“ Was für einen wunderbaren Herrn und was für einen gütigen Erlöser haben wir, der so barmherzig ist mit dem zweifelnden Thomas! Der Zweifel des Apostel Thomas aber wird über Jahrhunderte hinweg den Zweifelnden Mut geben, wie wir es bei Maria von Agreda gelesen haben: „…der Herr werde aus dem Unglauben des Thomas große Vorteile für andere, für sich selbst aber Ehre zu ziehen wissen.“ Und jeder Glaubende soll es wissen und es tief im Herzen bewahren: „…selig die nicht sehen und doch glauben.“ Das muß man heutzutage vor allem allen Erscheinungssüchtigen in Erinnerung rufen. Unser hl. Glaube kommt nicht vom Sehen, sondern vom Hören!

Unter den Betrachtungen John Henry Newmans findet sich auch eine mit der Überschrift:

Jesus, der verborgene Gott

»Sei nicht ungläubig, sondern gläubig.« „Ich bete Dich an, o mein Gott, der Du in Deiner unsichtbaren Verborgenheit fast furchterregend bist. Ich bete Dich an und möchte ganz aus dem Glauben an das Unsichtbare leben. Wenn ich mich betrachte als das, was ich bin, ein Enterbter und Ausgestoßener, dann empfinde ich es als eine besondere Gnade, Dich, den unsichtbaren Herrn und Gott, anbeten zu dürfen. Ich weiß, daß die Sünde eine Scheidewand zwischen Dir und mir aufgerichtet und mich mit der Unwissenheit bestraft hat. Adam hatte vor dem Sündenfalle Verkehr mit den Engeln. Auch Deine Heiligen, die innig mit Dir verbunden waren, schauten Dein Antlitz und sind in mannigfacher Weise gewürdigt worden, Deine Gegenwart fühlbar zu spüren. Aber was kann für einen Sünder wie mich anderes übrigbleiben als Dich zu besitzen, ohne Dich zu sehen! Muß ich mich nicht schon freuen, daß ich die unfaßbare Gnade und Erbarmung erhalten habe, Dich überhaupt zu besitzen? Infolge der Sünde ist das Leben des Glaubens das höchste, das ich erreichen kann, und ich muß glücklich sein, einem Leben des Schauens und der Wirklichkeit entgegenzugehen. Der einzige Weg, auf dem es möglich ist, in dieser Welt mich Dir zu nahen, ist der Glaube an das, was Du gesagt hast, und dankbar will ich den Weg gehen, den Du mir gewiesen. O mein Gott, Du fließest über von Erbarmen. Aus dem Glauben zu leben ist nach meinem gegenwärtigen Stande mir Notwendigkeit durch die Sünde, und Du hast Deinen Segen darüber gesprochen. Du hast seliggepriesen, die nicht sehen und doch glauben. Ich bin also seliger, wenn ich an Dich glaube, als wenn ich Dich sähe. Verleihe mir dieses Glück, verleihe mir die Fülle. Laß mich glauben, als ob ich Dich sähe; laß mich Dich stets vor Augen haben, als wenn Du leibhaftig und fühlbar vor mir ständest. Laß mich stets in lebendiger Gemeinschaft mit Dir, dem verborgenen und doch so lebendigen Gott, sein. Du bist im Innersten meines Herzens das Leben meines Lebens. Jeder Hauch meiner Brust, jeder Gedanke meines Geistes, jedes gute Streben meines Herzens kommt von Deiner unsichtbaren Gegenwart in mir. Durch Natur und Gnade wohnst Du in meinem Innern. In der Körperwelt sehe ich Dich nur dunkel, aber im Innersten meines Gewissens vernehme ich deutlich Deine Stimme. Darauf will ich horchen und zu Dir sprechen mit der Büßerin: Mein guter Meister! Sei Du stets so mit mir, und wenn ich versucht bin, Dich zu verlassen, dann verlasse Du mich nicht, o mein Gott. O mein geliebter Heiland, ich möchte so gern Dir Genugtuung leisten für allen Unglauben der Welt, für alles Unrecht, das Deinem Namen, Deinem Worte, Deiner Kirche und Deinem Sakrament der Liebe zugefügt wird, wenn ich nicht selbst noch eine so große persönliche Schuld des Unglaubens und der Undankbarkeit zu begleichen hätte. Du bist im Opfer der heiligen Messe und im Tabernakel wahrhaft und wirklich, mit Fleisch und Blut gegenwärtig; aber die Welt glaubt es nicht und lacht sogar über diese gnadenvolle Wahrheit. Du hast uns einst selbst durch Deine Apostel gesagt, daß Du Dich vor der Welt verbergen wolltest. Diese Vorhersagung ist jetzt mehr denn je erfüllt. Aber ich weiß, was die Welt nicht wissen will. So nimm statt ihrer meine Huldigung und Anbetung entgegen! Laß mich wenigstens nicht schuldig befunden werden! Andere kann ich nicht an der Sünde hindern, aber wenigstens einer von denen, die mit Deinem Blute erkauft sind, will Dich mit lauter Stimme alle Tage seines Lebens preisen. Je mehr die Menschen Dich verachten, um so fester will ich an Dich glauben, o guter Jesus, Du verborgener Gott meiner Seele, der mir vom ersten Augenblicke an nur Wohltaten erwiesen hat.“

(Kardinal Newman, Gott und die Seele, Matthias-Grünewald-Verlag Mainz, S. 76ff)