Die Liturgie unserer hl. Mutter, der Kirche, folgt dem Leben ihres göttlichen Hauptes und Meisters. Während der Fastenzeit bemüht sie sich, uns das göttliche Werk der Erlösung zu entschlüsseln und nachleben zu lehren. Unser hl. Glaube ist der Weg ins Reich der Erlösungsgnade, die unlösbar mit dem Leben unseres göttlichen Erlösers verbunden bleibt. Wir müssen zusammen mit dem göttlichen Heiland diesen Weg, der immer auch wie Sein Weg ein Opferweg sein wird, gehen lernen.
Mit dem Passionssonntag wendet sich unser Blick ganz dem leidenden Heiland zu. Wir haben den Mann der Schmerzen vor Augen, der stellvertretend als Bürge unsere Sünden auf sich nimmt und dem himmlischen Vater als Sühneopfer sich hingibt. Der Schlüssel zum Geheimnis des Leidens Jesu ist sein Gottsein. Das Evangelium dieses Sonntags verweist uns auf den Streit Jesu mit den Juden um Sein Gottsein. Nur wer Ihn als Sohn Gottes bekennt, findet auch zum Vater und wird mit Abraham frohlocken, daß Seine Stunde gekommen ist. Nur wer Ihn als Sohn Gottes bekennt, kann Ihn auch als Erlöser erkennen und anerkennen – und sodann steht er vor dem unbegreiflichen Geheimnis: Er, der Sohn Gottes, leidet für mich und stirbt für mich am Kreuz.
Durch das Opfer unseres göttlichen Erlösers hat sich unsere Welt grundlegend und in vielerlei Hinsicht verändert. Eine wesentliche und sehr weitreichende Veränderung betrifft unser Verhältnis zum Leiden. Wir denken nur selten daran, im Heidentum war es selbstverständlich, daß man ein Leben ohne jegliches Leiden erstrebte. Das Leiden war für die Heiden ein Zeichen dafür, daß einem die Götter schlecht gesonnen waren. Das Leid zeigte dem Heiden, daß er in irgendeiner Weise den Zorn der Götter auf sich gezogen hat. Darum ging er dem Leiden so weit es irgendwie ging aus dem Weg. Das Leiden hatte keinen Sinn. Wenn darum das Leiden des Heiden zu groß wurde, beendete er sein Leben oftmals durch Selbstmord. Warum noch weiterleben, wenn alles nur noch Leid und Not ist? Dann lieber sterben! (Finden wir dieselbe Haltung nicht wieder im heutigen Neuheidentum mit seiner „Sterbehilfe“?)
Durch das Christentum ist das Verhältnis zum Leiden ganz anders geworden – oder besser gesagt: Durch Unseren Herrn Jesus Christus ist es ganz anders geworden. Wenn es irgendeine Umwertung der Werte gibt, dann durch das Leiden unseres göttlichen Herrn. Sein Leiden hat tatsächlich die Welt vollkommen auf den Kopf gestellt. Das Leiden Jesu Christi hat den Christen eine neue Sicht des Lebens eröffnet, eine Sicht, die vorher undenkbar war. Das so sehr verachtete und gemiedene Leiden hat plötzlich einen ungeahnten Wert erhalten, einen alle Vorstellungen weit übertreffenden übernatürlichen Gnadenwert.
In der Apostelgeschichte wird uns berichtet: „Sie riefen die Apostel herein, ließen sie geißeln und verboten ihnen, im Namen Jesu zu reden. Darauf ließ man sie frei. Diese aber gingen voll Freude vom Hohen Rat hinweg, weil sie würdig befunden waren, um des Namens (Jesu) willen Schmach zu leiden“ (Apg 5, 40f). Damit ist das Wesentliche gesagt: „Diese aber gingen voll Freude vom Hohen Rat hinweg, weil sie würdig befunden waren, um des Namens (Jesu) willen Schmach zu leiden.“ Was für ein Wunder! Was früher Strafe war, wird nun plötzlich zur Gnade; was früher gehaßt wurde, wird plötzlich zu einer Quelle der Freude; was früher ein Zeichen der Verwerfung durch die Götter war, ist nunmehr ein Zeichen der Auserwählung, ja sogar der besonderen Auserwählung!
So sollte es wenigstens sein: Jeder Katholik sollte das Leben immer aus der Hand Gottes so entgegennehmen, wie Gott es ihm schickt, d.h. zusammen mit dem Kreuz. Wie aber sieht die Wirklichkeit aus? Wie viele Liebhaber des Kreuzes gibt es? Wie viele Katholiken, die ihrem göttlichen Meister auch dann noch nachfolgen, wenn Er den Kreuzweg zu gehen beginnt? Es sind letztlich doch nur recht wenige Katholiken, die das Kreuz wirklich lieben – es auch dann noch lieben, wenn es ihnen ihr göttlicher Meister auf die Schulter legt. Viele tragen es dann nur mißmutig, widerwillig, mehr oder weniger gezwungenermaßen. Wenn es halt sein muß, dann will ich es halt tragen. Dann zeigt sich sehr schnell, das Wissen um den Gnadenwert des Kreuzes ist letztlich doch nur theoretisch.
Darum denken viele vom Leben und Leiden letztlich genauso wie die Weltmenschen – und erwarten von diesem dasselbe wie diese. Die Leidensscheu, die von Natur aus in uns ist, überwiegt bei weitem die Liebe zum Kreuz. Und es ist schon wahr: Wenn man den Herrn nicht vor sich hat, wenn man Sein Kreuz nicht betrachtet, dann ist jedes Kreuz untragbar schwer – selbst wenn es ein noch so kleines Kreuzlein ist. Wie viele gehen darum achtlos am Kreuz vorbei. Sie sehen immer nur das Äußere, das Leidvolle, das der Natur Widrige. Sie sehen nicht tiefer. Man muß Gott und auch besonders die Schmerzensmutter darum bitten, tiefer schauen zu dürfen, um das Kreuz als Ausdruck der göttlichen Liebe verstehen zu lernen. In ihrem Tagebuch schreibt Mechthild Thaller-Schönwerth am 18.9.1907:
„St. Josef von Cupertino flog jedem Kruzifix entgegen, das er sah. Die größten und schwersten Holzkreuze trug er auf seinen Schultern. Er flog durch die Lüfte, sein Körper wurde ebenso wie seine Seele vom Kreuz angezogen. Das ist ein schönes Vorbild für uns Kreuztragende. Nicht nur, daß wir das Kreuz freudig auf unsere Schultern nehmen sollen, wir sollen sogar alle Hindernisse besiegen, die uns abhalten, das Kreuz freudig zu tragen. Es soll Anfang und Schluß eines jeden unserer Tage sein.
Mein lieber gekreuzigter Heiland! Alle Angst vor der Zukunft, alle Eigenliebe, allen Kleinmut will ich ernstlich aus meinem Leben verbannen. Aber nach Deinem Kreuz strecke ich meine Arme aus, es soll mein ganzes Herz erfüllen und meine Seele demütig machen. Gib doch, daß ich nichts anderes verlange als Dich und Dein heiliges und heiligendes Kreuz, das alle Wunden heilt.“
(Irmgard Hausmann, Die Vertraute der Engel, Band 1, Miriam-Verlag, Jestetten 1992, S. 142)
Es ist ganz einfach eine Tatsache, das Kreuz ist gar nicht so einfach zu verstehen, da muß man schon tiefer schauen. Die Erzählung einer Begebenheit soll uns das verdeutlichen:
Zur Zeit der franz. Revolution wurde auch das königliche Schloß von Versailles geplündert. Ein Krämer, der sich auch unter den Plünderern befand, bemerkte auf dem Weg nach Hause ein in den Straßenkot geworfenes Kreuz. Er hob es eher gedankenlos auf und nahm es mit nach Hause. Dort warf er es, in der Meinung, es sei wertlos, unter das andere alte Gerümpel, das sich angesammelt hatte. 1834 verstarb der Krämer als Junggeselle, und die Erben ließen die ganzen Habseligkeiten versteigern.
Unter den Käufern befand sich ein junger Maler, dem es trotz seiner Talente und seines Fleißes ziemlich schlecht ging. Er war zur Auktion gekommen, um sich ein Bett zu ersteigern. Als das schmutzige Kreuz zur Versteigerung kam, wollten die Leute nur einen Franc zahlen, weil sie meinten, es sei aus Blei. Einige fingen sogar an, über das Kreuz zu spotten. Um dem Gespött ein Ende zu bereiten, bot der Maler 5 Francs für das Kreuz, wofür er sofort den Zuschlag bekam. Als er es nach Hause gebracht hatte, betrachtete er es genauer. Er holte schließlich Seifenwasser und eine Bürste und begann vorsichtig, das alte Kreuz vom Schmutz zu reinigen. Bald kamen Buchstaben zum Vorschein, der Name Benvenutto Cellini wurde lesbar. (Cellini war ein berühmter Künstler in Florenz gewesen, der meist für Fürsten und Könige arbeitete. Seine Werke wurden später sehr teuer bezahlt. Das genannte Kreuz hatte Cellini einer französischen Königin nach Paris geliefert. So war es nach Versailles gekommen.)
Als der Maler seine Reinigung weiter fortsetzte, sah er voll Erstaunen, daß das Kreuz aus reinem Gold gearbeitet war. Zitternd vor Freude lief er zu einem Goldschmied und ließ es abschätzen. Dieser schätzte allein den Goldwert des Kreuzes auf 50.000 Francs. Durch den Goldschmied wurde der König benachrichtigt, und dieser kaufte das Kreuz um 60.000 Francs von dem Maler zurück. Aber nicht nur dies. Der König ließ den Maler zu sich kommen und sich alles von ihm genau erzählen. Da er den frommen Sinn des Künstlers sah, gab er ihm den Auftrag, ihn zu malen. Dadurch wurde der Künstler in weiten Kreisen bekannt und erhielt infolgedessen mehrere Aufträge von den höchsten Kreisen.
So wie dem Krämer ergeht es vielen Menschen. Das Kreuz, das ganz vom Schmutz verunstaltet ist, zeigt seinen inneren Wert nicht dem oberflächlichen Betrachter. Es erscheint als wertlos, weil das Gold ganz verdeckt vom Schmutz ist. Genauso scheint das Kreuz oberflächlich betrachtet ganz unscheinbar zu sein. Ja es erscheint vollkommen wertlos für den, der nicht mit den Augen des Glaubens darauf schaut. Achtlos wird es darum von vielen weggeworfen und in den Dreck getreten.
Man muß nur einen Schwamm nehmen, muß nur die Schmutzschicht unserer irdischen Gesinnung entfernen, dann beginnt das Gold durchzuschimmern. Ein ungeahnter Wert kommt ganz plötzlich und vollkommen unerwartet zum Vorschein: Dieses kleine Kreuz ist ein Vermögen wert, ja es hat einen unendlichen Wert! Denn auf dem Kreuz unseres Lebens steht nicht Benvenutto Cellini, sondern Jesus Christus!