Ist das „2. Vatikanum“ katholisch oder nicht? (2)

Hier ist der zweite Teil der apologetischen Arbeit von Hw. P. Martin Lenz darüber, ob das "2. Vatikanum" katholisch sei oder vielmehr nicht.




Kapitel 2: Am Weichenstellwerk – Die notwendige Bestandsaufnahme

Das Dogma von der Unveränderlichkeit und von der Unfehlbarkeit der katholischen Kirche liegt darin begründet, daß Gott seiner Kirche beistehen muß, damit sie ihren Missionsauftrag, die Seelen zum ewigen Heil zu führen, bis ans Ende der Welt erfüllen kann. Um zum ewigen Heil zu gelangen, muß der Katholik den wahren Glauben bekennen, den Stand der heiligmachenden Gnade erlangen und bewahren, wozu er die Gebote halten muß. Deshalb müssen die drei Bereiche, welche das Wesen der Kirche ausmachen – Glaubenslehre, Liturgie bzw. Sakramentenspendung und kirchliche Disziplin – dauerhaft durch den Beistand des Heiligen Geistes vor jeder wesentlichen Veränderung gesichert sein.

Die Änderungen des 2. Vatikanums greifen in das Wesen der Kirche ein

Wenn wir die Dokumente des „2. Vatikanums“ und seine Reformen den vorkonziliaren Lehrentscheidungen der Päpste gegenüberstellen, wird unzweifelhaft klar, daß wesentliche Punkte in der Glaubenslehre, in der Liturgie und in der kirchlichen Gesetzgebung geändert worden sind. Erinnern wir uns an den „Ökumenismus“, der von Papst Pius XI. in „Mortalium animos“ verurteilt wurde; oder an den Irrtum der sog. „Religionsfreiheit“, den Papst Pius IX. in „Quanta cura“ nachdrücklich und endgültig verworfen hat; an die „neue Ekklesiologie“, die immer wieder von Päpsten wie Pius IX., Leo XIII. bis zu Pius XII. verdammt und verworfen wurde; oder die irrige Vorstellung von der „Kollegialität der Bischöfe“, die schon vom 18. Jahrhundert an mehrmals von den Päpsten verurteilt worden war. All diese verurteilten Glaubensirrtümer werden heute weltweit und einhellig von den „Päpsten“ und „Bischöfen“ der Konzilskirche vertreten und in die Praxis umgesetzt. – Eine Bemerkung am Rande: Diese Einmütigkeit der konziliaren Hierarchie im Lehren und Tun wäre übrigens, wie wir oben gesehen haben, ein Beweis für die unfehlbare Wahrheit dieser durch die erwähnten Päpste verworfenen Irrlehren.

Schauen wir sodann auf den Bereich der Liturgie. Da stoßen wir natürlich zuallererst auf die „Neue Messe“. „Paul VI.“ selbst hat sie so bezeichnet: „Neue Meßordnung“ (NOM). Sie trägt ihren Namen vollkommen zurecht, denn sie ist etwas ganz Neues. Sie wurde nach dem Grundprinzip erschaffen, möglichst alles wegzulassen, was bei Andersgläubigen Anstoß erregen könnte. Deshalb wurden bei ihrer Schöpfung auch protestantische Theologen beigezogen. Dann: Die anderen Riten in der Sakramentenspendung – alle neu! Alles ist so in der katholischen Kirche noch nie dagewesen, weil das der gesamten Liturgiereform zugrundeliegende Prinzip – der Ökumenismus – dem katholischen Kult durch und durch fremd ist. Niemals war die Kirche daran interessiert, alles aus ihrer Liturgie zu entfernen, was den „getrennten Brüder“ mißfallen könnte. Im Gegenteil! Die Bereicherungen der liturgischen Riten hatten stets das Ziel, den katholischen Glauben noch genauer und noch unmißverständlicher in Abgrenzung zu aufgekommenen Irrtümern zum Ausdruck zu bringen. Wie im Bereich der Glaubenslehre, so fand durch das „2. Vatikanum“ auch auf dem Gebiet der Liturgie und der Sakramentenspendung ein deutlicher Eingriff in das Wesen der katholischen Kirche statt.

Schließlich die neuen Bestimmungen in der Disziplin: Handkommunion, Aushöhlung der Fastenordnung, faktische Aufhebung des Gebotes zur eucharistischen Nüchternheit, Mischehen, Kommunionspendung an öffentliche Häretiker, Schismatiker und Todsünder, Eheannullierungen im Eilverfahren etc. All diese Dinge, die jetzt erlaubt sind, sind in den moraltheologischen Lehrbüchern vor dem „2. Vatikanum“ als Todsünden deklariert und darum verboten! Beispielsweise die „communicatio in sacris“, also die Teilnahme am Gottesdienst falscher Religionen und Konfessionen. „Ökumenische Gottesdienste“ sind heute an der Tagesordnung, ja werden gerade zur Hervorhebung größerer Feste abgehalten. Die „vorkonziliare“ Disziplin erlaubte es Nichtkatholiken unter keinen Umständen, die hl. Kommunion zu empfangen. Und umgekehrt war es allen Katholiken ausnahmslos verboten, zum protestantischen Abendmahl zu gehen. Wer es trotzdem tat, sündigte nach einhelliger Lehre schwer! Heute soll das alles erlaubt sein? Wenn das keine wesentlichen Änderungen sind!

Die "Konzilskirche" weist nicht die Merkmale der katholischen Kirche auf

In der Folge hat die "Konzilskirche" auch die vier Merkmale der katholischen Kirche nicht mehr aufzuzeigen. Wo findet sich bei ihr die Einheit im Glauben? Wenn man sich umschaut, sieht man, daß die meisten gar nicht mehr an die wirkliche Gegenwart Christi im Allerheiligsten Altarsakrament glauben. Sie glauben nicht an die Wesensverwandlung von Brot und Wein bei der Wandlung in der hl. Messe. Viele andere Dogmen werden geleugnet. Etwa die Erbsünde oder die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens, ihre Unbefleckte Empfängnis, ihre Gottesmutterschaft und ihre leibliche Himmelfahrt. Die Verwerfung der künstlichen Empfängnisverhütung durch das katholische Lehramt wird von den meisten, die sich heute selbst Katholiken nennen, belächelt, ignoriert, wenn nicht sogar energisch bekämpft. Und dabei glauben sie auch noch, das sei alles ganz in Ordnung. Noch in vielen anderen Bereichen wird die katholische Morallehre von Menschen geleugnet, die sich selbst als „katholisch“ bezeichnen – und nichts geschieht! Die „Novus-Ordo“-Autoritäten greifen nicht (hinreichend) ein. Es herrscht ein vollständiges Chaos in der Dogmatik und in der Moraltheologie. Von einer Einheit im Glauben – sowohl in der Verkündigung als auch im Bekenntnis – kann überhaupt nicht die Rede sein.

Nicht anders sieht es in der Einheit im Kult, also in der Liturgie, aus. Das Neue Meßbuch und die neuen Sakramentsriten eröffnet eine solche Vielfalt „gestalterischer Freiheit“, daß sich zahlreiche kreative Seelen dazu motiviert sahen, zu alledem, was im „Novus Ordo“ ohnehin schon möglich ist, auch noch alles Unmögliche in den Gotteshäusern aufzuführen. Wir müssen hier nicht weiter ins Detail gehen. Die Einheit im Kult ist zerstört.

Das gleiche gilt schließlich auch für die Einheit in der Leitung. Die gehorsame Unterwerfung unter den Papst und die mit ihm in Einheit stehenden Bischöfe soll gerade die Einheit im Glauben, im Kult und in der kirchlichen Gemeinschaft sicherstellen und zu schützen. In der Konzilskirche wird die Autorität jedoch nicht mehr zu diesem Zweck angewandt. Irrlehrer werden nicht gestraft. Exzesse kaum eingedämmt. Auf Gehorsam drängt man nur, wenn es darum geht, die Annahme von Irrtümern durchzusetzen. Wer sich hier nicht beugt, hat mit Sanktionen zu rechnen. – Alles in allem: In keinem der genannten Bereiche findet sich bei der Konzilskirche das Merkmal der katholischen Einheit.

Nicht anders verhält es sich beim Merkmal der Heiligkeit. Wo ist die Heiligkeit in der Novus-Ordo-Religion? Überall ist die Ehrfurcht zurückgedrängt, die Anbetung nahezu verschwunden, oder vom Charismatikertum und von selbstzentrierter Gefühlsduselei verdorben. Das Streben nach persönlicher Vollkommenheit ist eine Seltenheit. Das katholische Ideal der Heiligkeit ist der Vorstellung gewichen, es genüge, ein „guter Mensch“ zu sein. Unzählige „gute Menschen“ wurden seither „heiliggesprochen“. Doch nicht wenige von ihnen weichen massiv vom „vorkonziliaren“ Heiligkeitsverständnis der katholischen Kirche ab.

Als eine Folge der mangelnden Einheit findet sich auch keine Katholizität mehr. „Katholisch“ heißt allumfassend. Für die Katholizität ist die Einheit im Glauben Voraussetzung, denn der Glaube schafft ja erst die welt- und zeitenübergreifende Allgemeinheit der katholischen Religion. Die vielen Nationalkirchen, die sich durch die weitestgehend autonom agierenden Bischofskonferenzen herauskristallisiert haben, lassen sich von Rom (sofern es unter Bergoglio überhaupt noch eingreift) im Ernst nichts mehr sagen, so daß auch die Allgemeinheit, also die Katholizität in der Regierung zerstört ist. Es handelt sich nicht mehr um die Kirchenregierung, wie sie Christus eingesetzt hat – eine Herde unter einem Hirten. Man kann höchstens eine rein äußerliche, administrative Einheit feststellen, wie man sie auch bei anderen Organisationen findet.

Bleibt schließlich noch einen Blick auf die Apostolizität zu werfen. Wie steht es um jenes dreifache Band, das die heutigen Amtsträger der konziliaren Kirche mit den heiligen Aposteln verbinden müßte. Stehen sie in der Kontinuität der Glaubenslehre der hl. Apostel (apostolicitas doctrinae), in der Kontinuität ihrer priesterlichen bzw. bischöflichen Vollmacht (apostolicitas ordinis) und damit in der ununterbrochenen Kette der Amtsnachfolge (apostolicitas successionis)? Wie wir schon sahen, weicht die Lehre der Konzilskirche von der Glaubensverkündigung der Apostel in vielen Punkten ab. Vor allem von der Lehre der Heilsnotwendigkeit des katholischen Glaubens selbst. Dieses zentrale Band der Apostolizität ist zerrissen! Gleiches gilt für die Kontinuität der Weihevollmacht. Der im Jahr 1968 eingeführte neue Ritus für die „konziliare“ Bischofsweihe, der nachweislich ungültig ist, hat das Band der priesterlichen Vollmacht abreißen lassen. Es gibt heute in den Reihen des „konziliaren Episkopates“ kaum noch gültig geweihte Bischöfe! Folglich wird das Band der apostolischen Weihesukzession von der Konzilskirche nicht mehr aufrecht erhalten und durch das Aussterben der bis 1968 noch im alten Ritus geweihten Bischöfe in Bälde vollständig abgeschnitten sein.

Vor allem durch den Abbruch der apostolischen Glaubensverkündigung ist es für jedermann offensichtlich, daß die „Novus-Ordo-Hierarchie“ unmöglich in der apostolischen Amtsnachfolge (Sukzession) stehen kann. Denn selbst wenn die „erneuerte“ Bischofsweihe Pauls VI. gültig wäre, so könnte man von einem häretisch oder schismatisch gewordenen „Nachfolger der Apostel“, der seine Autorität nicht dazu gebraucht, um den Glauben zu bewahren, zu erklären und zu verteidigen, sondern genau zum Gegenteil von alle dem, schwerlich behaupten, er stünde in amtlicher Kontinuität mit den hl. Aposteln.

Wir kämen an kein Ende, wollten wir alle Dinge aufzählen, die uns beweisen, daß der Ökumenismus, in den der Verzicht auf den Absolutheitsanspruch der katholischen Wahrheit eingeschlossen ist, eine tiefgreifende und wesentliche Veränderung in der Kirche herbeigeführt hat. Angesichts dieser katastrophalen Bestandsaufnahmen müssen wir die aufgeworfene Frage notwendiger Weise mit „Nein“ beantworten: Nein, das „2. Vatikanum“ ist nicht katholisch.

Die notwendige Konsequenz: Konzilspäpste können nur Scheinpäpste sein

Die Erkenntnis, daß das „2. Vatikanum“ nicht katholisch ist, zieht dann aber in letzter und notwendiger Konsequenz die Feststellung nach sich, daß diejenigen, die dieses Konzil einberufen, veranstaltet und promulgiert haben, nicht Träger der Autorität Christi gewesen sein können. Die Kirche ist wesentlich unveränderlich. Die Unveränderlichkeit der Kirche wird gerade durch den Papst sichergestellt, der mit der Autorität Christi „alle Tage bis ans Ende der Welt“ Fundament und Garant der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität der römisch-katholischen Kirche ist. Das folgt notwendigerweise aus der Logik der oben dargelegten Glaubenssätze. Das bedeutet aber wiederum, daß es schon während des „2. Vatikanums“ keinen Stellvertreter Christi, keinen Inhaber der Autorität Christi gegeben haben konnte. Sonst hätte der von Christus garantierte Beistand, der Geist der Wahrheit, eine wesentliche Verfälschung des Glaubens verhindert! Die Feststellung, daß das Konzil tatsächlich wesentliche Veränderungen verursacht hat, setzt also notwendigerweise voraus, daß der päpstliche Stuhl schon zu Konzilsbeginn verwaist bzw. nur von einem Scheinpapst besetzt gewesen sein muß; daß die Kirche damals schon in einer Sedisvakanz lebte.

Halten wir fest: Das Hauptargument, welches die derzeitige Vakanz des Apostolischen Stuhles beweist, stützt sich nicht in erster Linie auf die persönlichen Häresien Bergoglios, Ratzingers, Wojtylas oder von sonst jemandem. Es ruht prinzipiell auf dem „2. Vatikanum“! Ist es katholisch oder nicht? Wenn es nicht katholisch ist, kann es nicht von der Autorität der Kirche kommen. Deshalb folgt gemäß den Gesetzen der Logik daraus, daß jene, welche zwar die Autorität in der Kirche seither beanspruchen, unmöglich die Autorität in der Kirche in Wirklichkeit innehaben können. Die Konzilspäpste können also nur Scheinpäpste sein.

Unsere Argumentation beruht hierbei auf den allgemeinen Prinzipien bzgl. der unveränderlichen Natur der Kirche und der ihr von Christus gegebenen Verheißungen Seines unfehlbaren Beistandes, genauso, wie sie die Päpste durch die Jahrhunderte hindurch gelehrt und die Theologen erklärt haben.

Kapitel 3: Wohin geht die Zugfahrt? – Ans Ziel oder aufs Abstellgleis?

Wir haben die Frage, ob das „2. Vatikanum“ nun katholisch ist, oder nicht, mit einer Weichenstellung verglichen. Hat der Zug die Weiche einmal passiert, so ist er für den Rest der Reise auf ein Ziel hin bestimmt. Genauso legt die Antwort auf die von uns aufgeworfene Frage unser Denken, Reden und Tun als Katholiken fest. Wenn wir die Frage in der einen Weise beantworten, so trägt uns diese Antwort durch eine Kette notwendiger Schlußfolgerungen in die eine Fahrtrichtung; wenn wir sie anders beantworten, dann in eine andere. Im folgenden Schritt wollen wir uns mit den einzelnen Antworten befassen. In welche Richtung tragen die einzelnen Gleise? Welches führt uns dem Endbahnhof des himmlischen Jerusalems entgegen? Welches bringt den Zug des katholischen Glaubens zum Entgleisen?

Drei Reaktionen auf das „2. Vatikanum“

Wir haben zwar schon gezeigt welche Antwort die einzig richtige sein kann und welche Haltung man als Katholik in der heutigen Zeit einnehmen muß. Leider aber herrscht trotz der oben erwähnten offensichtlichen Bestandsaufnahme in den Reaktionen auf das „2. Vatikanum“ keineswegs diese einheitliche Haltung. Im wesentlichen gibt es drei verschieden Arten dem „2. Vatikanum“ zu begegnen. Welche sind das?

Die erste Reaktion wurzelt darin, die offensichtlichen Zustände in der Konzilskirche, die wir uns vor Augen geführt haben, nicht als wesentliche Änderungen der katholischen Religion wahrzunehmen oder nicht als solche wahrnehmen zu wollen. Man ignoriert sie, verharmlost sie oder versucht sie zu rechtfertigen. Es handle sich dabei nur um unwesentliche Veränderungen. Die ärgerniserregenden Vorkommnisse seien lediglich Exzesse und fänden in den Konzilstexten keinerlei Rückhalt. Deshalb müsse man die Texte des „2. Vatikanums“ nur „immer wieder neu“ im „Licht der Tradition“ lesen und in der „Hermeneutik der Kontinuität“ interpretieren. Das sei bisher noch nicht hinreichend geschehen. Mit dieser Auffassung ist das „2. Vatikanum“ und seine Reformen – also alles, was den „Novus Ordo“ umfaßt – wesentlich rechtgläubig. Der „Novus Ordo“ mag nicht ideal sein, ist aber doch (noch) katholisch. Das ist die Position zahlreicher konservativer Priester und Laien, welche in der Liturgie vom „Motu proprio“ „Benedikts XVI.“ Gebrauch machen, etwa wie die Priesterbruderschaft St. Petrus oder das Institut Christus König Hoherpriester u.v.a. – Sie sagen: „Wir akzeptieren das 2. Vatikanum.“ Sie akzeptieren es vielleicht ungern. Auch seine Reformen werden evtl. nur widerwillig angenommen. Aber: „Wenn der Papst es so will, dann folgen wir. Wir wollen in allem an der Seite des Papstes stehen. Um so mehr sind wir ihm für die große Gnade überaus dankbar, daß er uns für unsere religiöse Praxis im ‚klassischen Ritus‘ eine Nische als kleines Reservat in der großen ökumenischen Kirchenstruktur eingeräumt hat.“ Das ist die erste Möglichkeit, auf das „2. Vatikanum“ zu reagieren.

Die zweite Art und Weise, auf „das Konzil“ zu reagieren, haben wir mit seiner Begründung bereits im vorigen Kapitel ausführlich dargestellt, weshalb wir sie hier nur in ihrer Schlußfolgerung wiedergeben. Sie besagt: „Nein, das 2. Vatikanum ist nicht rechtgläubig. Es ist eine wesentliche Verfälschung des katholischen Glaubens. Deshalb muß es verworfen werden und gleichzeitig auch die Legitimität der Hierarchie, die es lehrt und umsetzt.“ Das ist die Haltung der sog. „Sedisvakantisten“.

Schließlich gibt es noch eine dritte Form auf das „2. Vatikanum“ zu reagieren. Es ist die der Priesterbruderschaft St. Pius X. und der übrigen Lefebvre-Gemeinschaften, zu denen auch Mgr. Williamsons Bewegung vom „Widerstand“ zu rechnen ist. Ihre Haltung besteht im Kern in der Weigerung, eine eindeutige Antwort auf die alles entscheidende Frage zu geben, ob es sich beim „2. Vatikanum“ nun um eine wesentliche Verfälschung des katholischen Glaubens handelt oder nicht. Hier liegt die ganze Tragik der Lefebvre-Bewegung. Der Haltung des Gründers treuergeben antwortet man weder „Ja“ noch „Nein“, sondern statt dessen mit einem undeutlichen „Jein“. Etwa so: „Das 2. Vatikanum und seine Reformen sind ‚in sich schlecht‘. Sie stammen aus der Häresie und führen in die Häresie, wenngleich sie nicht selbst häretisch sind. Deshalb weisen wir jeweils das zurück, was nach unserer Meinung schlecht ist. Wir sind aber gerne bereit, all das anzunehmen, was unserer Meinung nach gut und katholisch ist. Gleichzeitig bauen wir aber ein weltweites (Parallel-)Apostolat auf, und zwar trotz des Verbotes oder wider den ausdrücklichen Willen derer, die wir als die römisch-katholische Hierarchie anerkennen.“

Es ist ein gigantisches weltumspannendes Apostolat ohne kirchliche Sendung, ohne Erlaubnis und fast immer gegen den Willen dessen, den sie als ihren Papst „anerkennen“ und gegen den Willen der Ortsbischöfe, die mit diesem „Papst“ in Einheit stehen. Sie weihen Bischöfe ohne päpstliche Bevollmächtigung (1988, 1991, 2015, 2016, 2017), bilden Priester aus und weihen sie; sie bauen und konsekrieren Kirchen, gründen Seminare, Priorate, Schulen, Kapellen, Klöster und religiöse Gemeinschaften, treiben Seelsorge, so als ob ihr Papst und die von ihm bestellten diözesanen Oberhirten gar nicht existieren würden. Das einzige, was sie tun, ist ein Bild Bergoglios in den Sakristeien oder in den Schaukästen am Kapelleneingang aufzuhängen und seinen Namen in den Meßkanon einzufügen. Darin erschöpft sich aber auch schon ihre Art, den Papst als den Stellvertreter Jesu Christi auf Erden „anzuerkennen“. Seine Autorität reicht jedenfalls nicht in ihre Häuser hinein. Und von einer religiös motivierten Unterwerfung unter seinen Primat kann schon gar keine Rede sein.

Bewertung der drei Haltungen

Die erste Position und ihre Schlußfolgerung ist logisch. Es ist konsequent zu sagen: „Ja, das 2. Vatikanum ist wesentlich rechtgläubig. Folglich anerkennen wir es als ökumenisches Konzil und nehmen seine Lehre und seine Reformen im Gehorsam an.“ Der fatale Irrtum liegt nicht auf der Ebene der Logik, sondern in der Wahrnehmung, daß das 2. Vatikanum sehr wohl wesentliche Veränderungen verursacht hat. Das Ergebnis ist trotz der konsequenten Anwendung der Glaubenssätze von der Unveränderlichkeit und Unfehlbarkeit der Kirche die Annahme der modernistischen „neuen Theologie“, des Ökumenismus, der Religionsfreiheit etc.. „Daraus ergibt sich dann ganz klar die Folgerung, daß jeder, der solchen Ansichten und Bemühungen beipflichtet, den Boden der von Gott geoffenbarten Religion vollständig verläßt“ (HK 671), wie Papst Pius XI. lehrte. Die Annahme „des Konzils“ führt also zum Abfall von der katholischen Kirche.

Genauso logisch und konsequent ist die zweite Haltung, welche außerdem von den richtigen Voraussetzungen ausgeht: „Nein das 2. Vatikanum ist nicht rechtgläubig. Folglich muß es samt und sonders zusammen mit seinen Reformen verworfen und festgestellt werden, daß wir in einer papstlosen Zeit leben.“

Auch wenn nur die zweite Haltung – weil nur diese von den richtigen Voraussetzungen ausgeht – die allein richtige sein kann, so sind von der Logik her betrachtet doch beide Schlußfolgerungsketten, sowohl die der ersten als auch die der zweiten Position, konsequent. Beide bauen auf dem Dogma von der Unveränderlichkeit (Indefektibilität) der Kirche auf und leiten ihre Haltung von den Prinzipien der katholischen Glaubenslehre ab. Beide Schlußfolgerungsketten folgen derselben Logik. Sie sind stringent durchgehalten und ohne Widerspruch. Das unterschiedliche Ergebnis kommt allein von der gegensätzlichen Beantwortung der eingangs gestellten Frage. Lautet die Antwort: „Ja, das 2. Vatikanum ist wesentlich katholisch“; dann fließt aus dieser Feststellung mit logischer Gewißheit die gehorsame Annahme durch die Konservativen. Lautet sie hingegen: „Das 2. Vatikanum ist wesentlich nicht katholisch“ so fließt mit logischer Gewißheit die derzeitige Vakanz des päpstlichen Stuhles als Folgerung aus jener Feststellung.

Auch wenn die Petrusbruderschaft selbstverständlich irrt, wenn sie behauptet, das „2. Vatikanum“ müsse als katholisch angesehen werden, so muß man doch zugestehen, daß ihre Position formallogisch konsistent ist. D.h. die Konservativen in der Konzilskirche folgen in ihren Handlungen gegenüber denen, welchen sie die kirchliche Autorität zuerkennen, katholischen Prinzipien. Sie entscheiden ausgehend vom Licht des katholischen Dogmas, wie sie sich in dieser problematischen Situation verhalten sollen. Ihre Haltung ist zwar im Endergebnis grundfalsch, aber immerhin logisch. Ihr Verhalten macht Sinn. Die große Tragik dieser Prinzipientreue besteht freilich darin, daß sie durch die Annahme des „2. Vatikanums“ auch dessen Modernismus annehmen und den katholischen Glauben verlieren. Der Zug endet also auf einem modernistischen Abstellgleis.

Die „Sedisvakantisten“ denken nicht minder logisch und konsequent: Wenn das „2. Vatikanum“ wesentliche Veränderungen in der Kirche hervorgerufen hat, so hat es ganz klar das Wesen der katholischen Kirche verändert. Aufgrund des Dogmas von der Unveränderlichkeit der Kirche kann es daher nicht katholisch und rechtgläubig sein. Daraus aber folgt wiederum, daß „2. Vatikanum“ unmöglich von der Autorität der Kirche, welche ja die unfehlbare Autorität Christi ist, herrühren kann. Nur deshalb, weil das „2. Vatikanum“ nicht von der kirchlichen Autorität stammt, dürfen wir es ignorieren und müssen es bekämpfen.

Die dritte Position, die der Bewegung Erzbischof Lefebvres, ist hingegen eine absurde Haltung, ja eine zutiefst unkatholische Reaktion auf das „2. Vatikanum“. Diese Haltung hat ebenfalls die fatale Folge, den katholischen Glauben ihrer Anhängerschaft nachhaltig zu zersetzen und zu zerstören.

Es wird ein weltweites Apostolat gegen die als rechtmäßig anerkannte „Novus-Ordo-Hierarchie“ mit dem Argument aufgebaut, der „Novus Ordo“ sei „in sich schlecht“, daß man sein Seelenheil im „Novus Ordo“ gefährde und sich deshalb davon fernhalten solle, ja müsse, sobald man die Problematik der „kirchlichen Krise“ erkannt habe. Warum organisiert man ein so gigantisches Weltapostolat? Warum gründet man Seminare, baut Kirchen, weiht Bischöfe und Priester? Warum sollte man Gläubige vom „Novus Ordo“ fernhalten, von den neuen Sakramenten, von den Bischöfen und Priestern, die von Bergoglio angeblich gültig geweiht und rechtmäßig ausgesandt worden sind?

Nur, wenn man tatsächlich annimmt, daß man seine Seele in dieser neuen Kirche nicht retten kann, ist eine solche Handlungsweise zu rechtfertigen! Wenn wir unsere Seele aber in der „Novus-Ordo“-Kirche retten können, warum gehen wir nicht einfach dort hin? Warum ist die überlieferte hl. Messe und die ganze „Bewegung der Tradition“ überhaupt notwendig, wenn wir auch durch die Umarmung des „Novus Ordo“ in den Himmel gelangen können, wie es Paul VI. und Johannes Paul II. bereits getan haben sollen? Das ist doch unser letztes Ziel: In den Himmel kommen. Wenn wir durch den „Novus Ordo“ in den Himmel kommen können: Worauf warten wir noch? Was hält uns zurück?

Kapitel 4: Die Entgleisung – Anerkennen & gleichzeitig Widerstehen

Ein so gewaltiges weltumspannendes Apostolat wie das der Piusbruderschaft gegen den „Novus Ordo“ aufzubauen und zu unterhalten, heißt stillschweigend zugeben, daß man seine Seele nicht im „Novus Ordo“ retten kann. – Wenn man aber im Gehorsam gegen das „2. Vatikanum“ seine Seele nicht retten kann, dann spricht das zwangsläufig für die Vakanz des päpstlichen Stuhles. Denn, es ist unmöglich, daß die Autorität Christi der ganzen Kirche etwas vorschreibt, das uns in die Hölle katapultiert. Es ist undenkbar, daß uns die Autorität Christi auf einen Schleudersitz in die Hölle schnallen könnte.

Wenn es wahr ist, was der „Hardliner-Flügel“ der Lefebvre-Bewegung (Mgr. Williamson) vertritt, nämlich, daß die Annahme des „2. Vatikanums“ das Heil der Seele gefährdet, dann folgt daraus notwendigerweise die Sedisvakanz. Wenn aber wahr ist, was die „liberale“ Fraktion der Priesterbruderschaft St. Pius X. (das von Mgr. Fellay geprägte Generalhaus in Menzingen) vertritt, daß das „2. Vatikanum“ zu 95% annehmbar und wesentlich katholisch ist, dann folgt daraus notwendigerweise entweder die Unterwerfung im Stile der Petrusbruderschaft oder im Falle eines fortgesetzten Widerstandes gegen die als rechtmäßig anerkennte „Novus-Ordo-Hierarchie“ eine vollkommen berechtigte Exkommunikation wegen Schisma.

Der Hauptirrtum der Lefebvre-Bewegung

Während die Bewegung Erzbischof Lefebvres bis dato die von Rom geforderte vollständige Annahme des „Novus Ordo“ auf ihre Weise verweigert – indem sie selber auswählen will, was davon katholisch ist und was nicht –, bekennen sie sich gleichzeitig und mit Nachdruck dazu, in Einheit mit der „Novus-Ordo-Hierarchie“ zu stehen. Die Piusbruderschaft bemüht sich um diese Einheit, will von dieser Hierarchie anerkannt werden, eine kirchenrechtliche Struktur bekommen und mit dem „Novus Ordo“ zusammenarbeiten. Die ökumenische Konzilskirche soll auch dem von Erzbischof Lefebvre selbst gewünschten „Experiment der Tradition“ seinen Segen geben. Darin besteht ihr grundsätzlicher Widerspruch: Sie weist die Autorität der „Novus-Ordo-Hierarchie“ zurück und anerkennt gleichzeitig, daß es sich bei eben dieser Autorität um die Autorität Jesu Christi selbst handelt! Sie anerkennt gleichzeitig das, was sie ablehnt. Das ist absurd.

Diese in sich widersprüchliche Haltung nimmt die Priesterbruderschaft St. Pius X. seit ihrer Gründung in den 1970er Jahren ein. Die Piusbruderschaft wurde als eine „Novus-Ordo“-Gemeinschaft im Jahr 1970 gegründet, genauer genommen als eine „pia unio“ – als frommer Verein, etwa wie eine lokale Rosenkranzbruderschaft – in den Grenzen und ausschließlich für die Diözese Freiburg in der Schweiz. Ein weltweites Apostolat wurde ihr vom „Novus Ordo“ niemals zugestanden! Die Bruderschaft wurde durch den „Novus Ordo“ für 6 Jahre „ad experimentum“ (auf Probe) errichtet, doch schon vorzeitig im Jahr 1974 durch den „Novus Ordo“ aufgrund ihres Widerstandes gegen die Umsetzung der Liturgiereform und der doktrinellen Vorgaben des „2. Vatikanums“ aufgehoben und unterdrückt. Seitdem strebten aber Mgr. Lefebvre und seine Nachfolger im Amt des „Generaloberen“ immer wieder eine Anerkennung durch die „Novus-Ordo-Hierarchie“ an.

Was ist also der „Novus Ordo“ für die Bewegung Erzbischof Lefebvres? Durch manches, was die Priesterbruderschaft St. Pius X. vertritt und wie sie ihr Apostolat betreibt, ist einschlußweise ausgesagt, daß er nicht katholisch ist. Aber aus anderem, was die FSSPX sagt, tut und beabsichtigt, müßte man schlußfolgern, daß der „Novus Ordo“ nun doch katholisch sei. In dieser widersprüchlichen Haltung, die jeder Logik entbehrt, ist die traditionalistische Bewegung Erzbischof Lefebvres gefangen und dazu gezwungen, sowohl in ihrer Theologie als auch in ihrer täglichen Praxis im Gegensatz zum katholischen Dogma zu leben.

In Einheit mit dem Papst?

Diese Spielart des Traditionalismus behauptet häufig, sie stünde in Einheit mit dem Papst. Das aber ist ausgeschlossen, denn der Papst ist nicht mit ihnen! – Wenn Hans sagt, er habe sich von Lotte getrennt, so ist es notwendig, daß Lotte nicht mehr mit Hans zusammen ist. Da kann Lotte der ganzen Welt gegenüber behaupten, sie sei immer noch mit Hans zusammen. Man kann nicht mit jemandem „ein Herz und eine Seele“ sein, dem man gleichzeitig ununterbrochen die kalte Schulter zeigt. Niemand kann sagen: Ich bin mit dem Papst, wenn der Papst sagt: Ihr seid nicht in vollkommener Einheit mit der katholischen Kirche, deren Oberhaupt ich bin. Bis ihr das „2. Vatikanum“ nicht vollumfänglich angenommen habt, seid ihr eine schismatische Sekte. Nichts anderes besagt nämlich die höfliche Umschreibung, „nicht in vollkommener Einheit mit der Kirche“ zu sein. Ihr habt (noch) nichts mit mir zu tun! Es ist einfach eine falsche Behauptung zu sagen, die Priesterbruderschaft stünde in Einheit mit der katholischen Kirche, mit Rom, mit dem Papst. „Ubi Petrus, ibi Ecclesia.“ – „Wo Petrus ist, da ist die katholische Kirche.“

Die Piusbruderschaft ist nicht mit dem Papst, denn ihr Papst ist nicht mit ihnen, und er ist der entscheidende Faktor in dieser Beziehung. Der Papst ist derjenige, der die Fülle der kirchlichen Gewalt innehat. Ohne seine Sendung handelt jeder eigenmächtig. Er ist die Quelle der katholischen Einheit – wenn es denn tatsächlich der Papst ist. Es ist also bei weitem wichtiger für die Piusbruderschaft, daß sie mit ihrem Papst ist, als daß er mit der Bruderschaft sein müßte. Er ist aber nicht mit der Piusbruderschaft! Höchstens als Fotographie in der Sakristei. Ansonsten steht die Bewegung Erzbischof Lefebvres abseits von ihm. Daß ihre Priester ihn im Kanon nennen und bei der Sakramentsandacht öffentlich für ihn beten, ändert daran nichts. Wenn Jorge Mario Bergoglio Papst ist, dann fehlt der Piusbruderschaft die wesentlich notwendige Bindung zu ihm. Es fehlt die Bindung, welche einzig aus Schismatikern Katholiken machen würde, nämlich die Anerkennung durch den römischen Bischof. Diese aber hat die gehorsame Unterwerfung unter den Statthalter Christi auf Erden zur Voraussetzung.

Ist der Lefebvrismus moralisch vertretbar, tugendhaft und gottwohlgefällig?

Weil die lefebvristische Position unlogisch und in sich widersprüchlich ist, kann sie Gott auch nicht wohlgefällig sein. Nichts kann bei Gott Wohlgefallen finden, was gegen die Vernunft ist. Die Vernunft befähigt uns zum guten Handeln, zu tugendhaften und verdienstvollen Werken. Was auch immer moralisch gut ist, das steht gerade dadurch in Verbindung mit dem Willen Gottes, weil es vernünftig, d.h. weil es der Vernunft gemäßes Handeln ist. Wenn etwas unlogisch und damit unvernünftig ist, dann kann so etwas unmöglich im Einklang mit dem göttlichen Willen stehen. Die ganze Moraltheologie baut auf diesem sittlichen Grundsatz auf. Gott hat in Seiner höchsten Autorität moralische Grundsätze geoffenbart – z.B. die Zehn Gebote. Um tugendhaft zu handeln und dadurch auf verdienstliche Weise Gottes höhere Ehre zu mehren, muß sich die menschliche Vernunft an diesen gottgegebenen Prinzipen ausrichten, ihre Handlungen diesen Grundsätzen angleichen und alles vermeiden, was zu ihnen in Widerspruch steht.

Es ist aber in sich widersprüchlich und damit unvernünftig, wenn man einerseits sagt, die „Novus-Ordo“-Religion sei „in sich schlecht“, man müsse sie bekämpfen und die Seelen davon fernhalten, weil sie sonst ihr ewiges Heil riskieren; um dann aber gleichzeitig zu sagen: „Wir erkennen deren Autorität an, wollen offiziell anerkannt werden und mit seinen Autoritäten zusammenarbeiten.“ Eine solche Haltung macht keinen Sinn! Sie ist wider die Vernunft. Sie gereicht Gott nicht zur höheren Ehre und kann daher Gott nicht wohlgefallen.

Das von uns geforderte Bekenntnis

Den Konzilspäpsten das Papsttum zuzusprechen bedeutet, ihnen die katholische Religion schlechthin zuzusprechen und ihnen die höchste Gewalt auf Erden in die Hand zu legen. Unter diesen Vorzeichen werden die Konzilspäpste am Ende notwendigerweise die Sieger bleiben. Wenn man zugibt, daß sie wirklich Päpste sind, dann sagt man damit einschlußweise, daß sie lehramtliche, doktrinelle, liturgische und disziplinäre Kontinuität repräsentieren. Denn es ist unmöglich, daß ein Papst nicht die apostolische Glaubenslehre und Liturgie fortsetzt. Das ist ausgeschlossen. Er als Träger des „Charisma der sicheren Wahrheit“ („1.“ Vatikanisches Konzil) ist die Norm und das Maß aller dieser Dinge! Es ist ein Grundsatz unseres Glaubens, der sich durch die ganze Kirchengeschichte bis in die Väterzeit hinab verfolgen läßt: Ein Katholik muß immer so glauben, wie der Papst in Rom lehrt (hl. Hieronymus). Hingegen kann niemand katholisch sein, der seinen persönlichen Glauben nicht an der Lehre des Nachfolgers Petri ausrichtet, geschweige wer sich dieser Lehre widersetzt. Selbst wenn sich der Großteil der Bischöfe des ganzen Erdkreises gegen einen wahren Papst stellen würde, so wäre der wahre Glaube immer nur bei ihm zu finden. Der Konsens mit seinem Lehramt macht den Katholiken aus. Den Konzilspäpsten das Papstamt zuzuerkennen bedeutet also, daß man ihnen den authentischen römischen Katholizismus zuerkennt, nach dem sich die restliche Kirche auszurichten hat.

Wenn aber jemand sagt: „Nein, das sind keine wahren Päpste“, dann schließt man strikt jede mögliche Kontinuität aus. Denn man sagt dem Konzilspapst damit im Grunde: „Wenn Sie nicht das katholische Dogma, die katholische Liturgie und die katholische Praxis aufrecht erhalten, dann können Sie unmöglich der römische Papst sein.“ Die Konzilspäpste selbst brechen die Kontinuität mit den „vorkonziliaren“ Päpsten. Sie stehen offensichtlich in keiner Kontinuität mit den früheren Päpsten der katholischen Kirche. Und deshalb haben sie die wahren Katholiken überhaupt erst als Scheinpäpste erkennen können und sie berechtigterweise verworfen. Denn das Papsttum ist ein Amt, das ein Apostat wie etwa Bergoglio unmöglich innehaben kann.

Das beweist auch die Geschichte. Schon in früheren Jahrhunderten haben die wahren Katholiken den Protestantismus als eine falsche Religion zurückgewiesen. Wir verehren sie heute als große Helden unseres Glaubens, denn sie taten dies teilweise unter gewaltigem Druck, ja unter Lebensgefahr. Sowohl durch Überredung als auch durch Drohung versuchte man sie zur Annahme der Religion Luthers oder zur Religion Heinrichs VIII. von England zu verführen. Sie haben widerstanden und ein Bekenntnis vor der Geschichte abgelegt, daß die katholische Kirche nicht verändert werden kann. Der katholische Glaube muß derselbe bleiben. Nichts anderes müssen wir heute tun.

Deshalb müssen wir auch bekennen, daß die Person, die für sich beansprucht, Papst zu sein, auch wenn sie eine formell gültige Wahl durch ein Konklave vorweisen kann, unmöglich Papst der katholischen Kirche sein kann, weil er durch seinen Ökumenismus mit der katholischen Lehre gebrochen hat. Der hl. Paulus schreibt im Galaterbrief: „Ich bin erstaunt, daß ihr euch so bald abwenden lasset von dem, der euch zur Gnade Christi berufen hat, zu einem anderen Evangelium, da es doch kein anderes gibt; nur daß sich etliche finden, die euch verwirren und das Evangelium Christi verkehren wollen. Allein wenn auch wir, oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündet, als wir euch verkündet haben, der sei ausgeschlossen (anathema sit)“ (Gal 1, 6-8). Um diesen Gedanken einzuschärfen wiederholt der Völkerapostel ihn unmittelbar noch einmal: „Wie wir eben gesagt haben, so sage ich auch jetzt abermals: Wenn jemand euch ein anderes Evangelium verkündet als das, welches ihr empfangen habt, der sei ausgestoßen (anathema sit)“ (Gal 1, 9). Zweimal sagt er es in unmittelbarer Aufeinanderfolge: Die Lehre der Kirche ist absolut unveränderlich. Es gibt kein anderes Evangelium. Wer es aber ändert – selbst wenn er, Paulus, oder ein Engel dies wagten – der kann nicht mehr Teil der Kirche Christi sein. Wenn er aber nicht mehr Glied am Leib der Kirche ist, dann um so weniger ihr (Ober-)Haupt. Genau das ist es, was wir Katholiken zur Hierarchie des „Novus Ordo“ sagen müssen, wenn es sich bei ihrer Glaubensverkündigung, ihren Riten und Gesetzen um eine wesentliche Änderung des katholischen Glaubens, d.h. um heilsgefährdende Verkehrung, um ein anderes, ein neues Evangelium handelt.

Die Gravitationskraft des Papstamtes

Man kann als Katholik unmöglich vom Papst getrennt sein. Katholiken sind gerade durch ihre Anhänglichkeit und Unterwerfung unter den Stellvertreter Christi definiert. Dieses Faktum (!) gehört zur Definition eines Katholiken. Man kann sich nicht katholisch nennen, wenn man nicht dem Papst unterworfen ist. So erklärte es Papst Pius XI. in „Mortalium animos“ deutlich: „In dieser einen Kirche Christi ist niemand und bleibt niemand, der nicht die Autorität und Vollmacht des Petrus und seiner legitimen Nachfolger durch Gehorsam anerkennt und annimmt“ (AAS 20, S. 15; HK 687). Ein weltweites Apostolat fortzusetzen ohne Sendung durch den Papst, ja sogar gegen ihn und die Ortsbischöfe, steht in unüberwindlichem Gegensatz zur geforderten Unterwerfung im Gehorsam.

Der Papst hat eine große Anziehungskraft auf jeden Katholiken, der kein verkappter Protestant ist. Er hat eine Gravitationskraft vergleichbar etwa mit der Kraft, mit welcher die Erde den Mond oder einen Satelliten anzieht. Irgendwann kehren die Satelliten zur Erde zurück. Und das ist in gleicher Weise wahr für jeden, der die „Novus-Ordo-Hierarchie“ für die Hierarchie der katholischen Kirche hält. Auch die Lefebvre-Bewegung wird am Ende zum „Novus Ordo“ zurückkehren. Die Anzeichen dafür werden seit dem Jahr 2011 immer deutlicher. Und diese Einigung mit dem „konziliaren Rom“ muß auch kommen! Viele sehen darin einen Verrat am Erbe Erzbischof Lefebvres. Völlig zu unrecht! Man kann einfach nicht gegen denjenigen, den man als Papst anerkennt, katholisch sein! Die Einigung ist eine Naturnotwendigkeit. Sie folgt einem Naturgesetz – dem Gravitationsgesetzt des Papstamtes.

Auch hierbei muß uns die Ursache klar vor Augen stehen: Der Kampf der Traditionalisten war bereits in dem Augenblick verloren, da sich Erzbischof Lefebvre, schon Ende der 1970er Jahre, entschieden für die Rechtmäßigkeit der Konzilspäpste als wahre Päpste der katholischen Kirche erklärte und im selben Atemzug dem „Sedisvakantismus“ den Kampf ansagte. Seitdem taumelte die ganze, ihrem Erzbischof verschworene Bewegung, in ihrem dogmatischen Widerspruch gefangen, wie in der Schwerelosigkeit umher. Und doch ist es die Gravitationskraft des Papstamtes, das ihr Gründer fälschlicherweise den Konzilspäpsten zugesprochen hat, welche die FSSPX notwendigerweise in die Arme der ökumenistischen Konzilskirche ziehen wird. Wie ein Satellit, der wieder in die Erdatmosphäre eintritt, verglüht und nur noch Reste davon in eines der Weltmeere stürzen, so werden auch der Kampf und die hehren Ideale der Priesterbruderschaft St. Pius X. aufgerieben. Wie viele Priester und Gläubige sind den bisher erfolglosen Einigungsversuchen nicht schon zum Opfer gefallen? Wieviel Spendengelder sind verpufft? Wieviel Glaubwürdigkeit hat man inzwischen schon eingebüßt?

Gewiß wird der Abrieb der Bruderschaft St. Pius X. mit zunehmendem Eintritt in die Umlaufbahn der Konzilskirche fortschreiten. Nicht nur personell, sondern vor allem inhaltlich. Es kann auch gar nicht anders sein. Denn die Bruderschaft macht einen Spagat. Sie versucht Gegensätze miteinander zu vereinen. Sie will ihre Form der Tradition und gleichzeitig die Anerkennung durch die Modernisten. Einen Spagat hält man nicht bis in alle Ewigkeit aus. Irgendwann muß man aufstehen. Entweder in die eine Richtung (Einigung mit dem „konziliaren Rom“) oder in die andere (Sedisvakanz). Da Erzbischof Lefebvre die Antwort der Sedisvakanz kategorisch ausgeschlossen hat, war von Anfang an klar, in welche Richtung sich sein Werk früher oder später bewegen mußte. Was dann nach der Schleifung, „Zähmung“ bzw. „Reinigung“ durch die Erdatmosphäre des Modernismus und Ökumenismus von der Bruderschaft übrig bleibt, wird sich dann auch gerne in eine kirchenrechtliche Struktur des „Novus Ordo“ hineinstürzen – z.B. in eine Personalprälatur oder Personaldiözese – um dort in der Bedeutungslosigkeit der ökumenistischen Weltkirche zu versinken.

Welchen Sinn hatte dann aber der ganze Kampf, den die Piusbruderschaft seit den 1970er Jahren geführt hat? Keinen! Umsonst! Man wird nur sagen: „Jetzt haben es die Letzten endlich auch kapiert, daß das mit dem Konzil doch alles gar nicht so schlimm war.“ Und dafür hätte man dann 50 Jahre hindurch mit globalem Aktivismus, hysterischen Warnungen vor der Neuen Messe und teils trotzigem, teils provokativem Verhalten gegenüber den konziliaren Autoritäten im wahrsten Sinne des Wortes die Welt verrückt gemacht? Alles nur viel Lärm um Nichts! Ein Sturm im Wasserglas!

Für uns ist es von großer Bedeutung, diesen inneren Widerspruch, in dem die Priesterbruderschaft St. Pius X. lebt, gut zu verstehen. Ihre Position ist mit dem katholischen Glauben unvereinbar! Gerade weil sie die Konzilspäpste als wahre Päpste anerkennt, gleichzeitig aber gegen den Ökumenismus kämpfen will, zwingt sie ihre Priester und Gläubigen dazu, eine protestantische Haltung einzunehmen, wie wir im nächsten Kapitel näher zu beleuchten versuchen. Das bedeutet im Grunde jedoch nichts anders, als in der guten Absicht den katholischen Glauben zu bewahren, letztlich doch von ihm abzufallen. Freilich, nicht durch den Ökumenismus, sondern überraschenderweise ausgerechnet an der Stelle, wo man es von einer „erz-katholischen“, traditionalistischen Gemeinschaft wie der FSSPX nicht erwarten würde: durch die Zersetzung, Aushöhlung und Neuinterpretation der dogmatischen Lehre vom Papsttum und von der unveränderlichen Natur der Kirche. „Cavete Modenistas!“ – „Hütet euch vor den Modernisten!“ Sonst werdet ihr selbst zu solchen.