Jeder, der sich nur ein einigermaßen natürliches Gespür bewahrt hat, weiß, daß er alle Gedanken, Worte und Werke seines Lebens verantworten muß. Wie oft erzählt unser göttlicher Lehrmeister ein Gleichnis, in dem diese Wahrheit verdeutlicht wird. Auch im Evangelium ist das der Fall: „Das Himmelreich ist einem Könige gleich, der mit seinen Knechten Abrechnung halten wollte.“ Wir wissen, diese Abrechnung wird vor allem und endgültig beim Tod stattfinden, während des persönlichen Gerichtes. Sodann wird jeder von uns erleben, wie genau es Gott mit den Geboten und unserer Verantwortung nimmt.
Die rechte Gewissenserforschung
Wenn wir jetzt schon an diese Abrechnung denken, dann vor allem deswegen, daß wir lernen, es ebenfalls so genau wie Gott zu nehmen, damit wir am Tage des Gerichtes nicht allzu sehr beschämt werden. Dabei wird sicherlich jeder schon die Erfahrung gemacht haben, wie schwer es fällt, es so genau wie Gott zu nehmen, solange wir in diesem irdischen Leben weilen. Wir müssen also lernen, eine richtige Gewissenserforschung zu machen, eine Gewissenserforschung, in der wir wahrhaftig zu uns selber sind und uns nichts vormachen, uns nicht selbst täuschen oder anlügen. Der heiligmäßige Bruder Patrizius stellt fest: „Beim Eintritt in die Ewigkeit werden wir durch Gottes allmächtiges Wirken plötzlich von aller Blindheit und Ungewißheit, die in diesem Leben oft sehr groß ist, gegen die Freuden des Himmels, die Gott seinen Lieben bereitet hat, erlöst.“
Warum ist der Tod für viele so schmerzlich? Weil er sie unvorbereitet trifft und gewaltsam aus ihrer Blindheit und Ungewißheit herausreißt. Es wird so sein: Beim Sterben erscheinen die Werte des Lebens plötzlich in ihrer richtigen Reihenfolge und Rangordnung. Mit dem Tod zerreißt der Schleier des Glaubens, und die Wirklichkeit tritt ungeschminkt und ohne Täuschung vor die Seele. Das Gute wird als gut und das Böse als böse erkannt und anerkannt. In einem Augenblick zerbricht die Illusion. Bruder Patrizius erklärt weiter: „Alle Freuden der Welt sind dagegen nichts als Eitelkeit und endlose Torheit…“
Das Buch des Lebens
Wie viel Eitelkeit und Torheit ist in einem Menschenleben! Für die allermeisten Menschen wird heute beim Tod ihre selbstgebastelte Welt in einem Augenblick zusammenbrechen und sich als Lüge erweisen. Wie werden sie erschrecken, wenn plötzlich dieser Gott, den sie ihr ganzes Leben geleugnet oder vollkommen mißachtet haben, mit einem Mal Rechenschaft von ihnen fordert. Da wird dann das Schuldbuch ihres Lebens aufgeschlagen werden, wie der hl. Thomas von Aquin lehrt: „Durch einen einzigen Machtspruch Gottes wird es geschehen, daß einem jeden die eigenen Taten ins Gedächtnis gerufen werden. Und diese Kraft, sofern sie dem Menschen die eigenen Taten ins Gedächtnis zurückruft, wird ‚Buch des Lebens‘ genannt.“
Wie aber wird der Mensch erschaudern, wenn er in einem Augenblick einsehen muß: Zehntausend Talente Schulden! – im Schott steht 40 Millionen Mark, das sind heute also mindestens genauso viele Euro. Da wird der sündigen Seele schlagartig klar: Niemals kann sie diese Schulden bezahlen, wenn sie noch so viel arbeiten und werkeln würde. Und jetzt nach dem Tod kann sie sowieso nichts mehr zurückzahlen, denn jetzt ist die Nacht gekommen, von der unser göttlicher Heiland sagt, daß man in ihr nicht mehr wirken kann.
Wie furchtbar muß es sein, so verschuldet vor Gott zu stehen! Und für jede einzelne Schuld, jede einzelne Sünde, ist man verantwortlich und wird man nun durch den göttlichen Richter zur Rechenschaft gezogen. Wobei man hinzufügen muß: Für jede nicht bereute und nicht gebeichtete Sünde. Denn die bereuten und durch die hl. Beichte getilgten Sünden fallen beim Gericht nicht mehr ins Gewicht, wenigstens nicht mehr als Sünden. Anders ist es mit dem Nachlaß der Schuld, hängt doch diese von der Vollkommenheit der Reue ab und vom Eifer in der Buße. Darum können die Sünden zwar vergeben sein, aber eine Restschuld bleibt dennoch in dem Maße, als man die Anhänglichkeit an die Sünde nicht völlig überwunden oder noch nicht alle Schuld abgebüßt hat.
Das Fegfeuer
Aufgrund dessen bleibt, auch wenn die Seele gerettet ist, oft eine Sündenschuld übrig, die durch Wiedergutmachungsleiden im Fegfeuer abgebüßt werden muß. Maria Lataste († 1847), Laienschwester im Sacré Coeur zu Paris, die viele Offenbarungen hatte, weiß: „Durch die Flammen des Fegfeuers müssen jene gehen, die sich bei ihrem Tod im Zustand der lässlichen Sünde befinden, damit sie diese sühnen, ehe sie in den Himmel eingehen.“ Daß die Seele dieses Wiedergutmachungsleiden ertragen darf, verdankt sie der Barmherzigkeit Gottes.
Im 30. Kanon der 6. Sitzung erklärte das Konzil von Trient: "Wer behauptet, nach erlangter Rechtfertigungsgnade werde dem bußfertigen Sünder die Schuld so sehr erlassen und die Strafwürdigkeit für die ewige Sündenstrafe so sehr getilgt, daß auch keine Strafwürdigkeit zu einer zeitlichen Sündenstrafe mehr abzubüßen bleibe, sei es in diesem Erdenleben, sei es im jenseitigen, im Fegfeuer, bevor der Zugang zum Himmelreich offen steht, der sei im Bann!“ (DS 1580). Und der Catechismus Romanus lehrt: „Außerdem gibt es das Feuer im Reinigungsort. Dieses, eine bestimmte Zeitlang verhängt, reinigt durch seine Qual die Seelen der Gottesfürchtigen, damit sich ihnen der Zugang ins ewige Heimatland eröffne, in das nichts Unreines eingehen kann.“
Es mag einen zunächst etwas verwundern, daß die abgeschiedenen Seelen in einem Feuer leiden sollen, da sie doch gar keinen Leib mehr haben. Kann denn auch die Seele ohne Leib die brennenden Schmerzen eines Feuers empfinden? Der hl. Kardinal Robert Bellarmin antwortet auf dieser Frage: „Wenn der Geist (unsere Seele) mit dem Leibe verbunden werden konnte, so kann auch der Geist mit dem Feuer verbunden werden, um Strafe zu leiden. Warum sollte Gott in der vom Leib getrennten Seele nicht dieselben Gefühle erwecken können, die sie bereits früher im Leib durch Einwirkung des Feuers empfunden hat?“
Die Gleichförmigkeit des Willens der Armen Seelen mit dem Willen Gottes
Nach der Ansicht der hervorragendsten Theologen sind die Leiden im Fegfeuer schlimmer als die Leiden auf dieser Erde. Die erschreckende Größe dieser Leiden folgt aus der klaren Gotteserkenntnis der Armen Seelen und der Einsicht, daß sie wegen ihrer Sünden der Anschauung Gottes noch auf eine gewisse Zeit entbehren müssen. Dabei ist immer zu beachten, daß die Armen Seelen in jedem Augenblick in vollkommener Ergebung in den Willen Gottes leiden. Es gibt keinerlei Auflehnung oder Unmut im Fegfeuer.
Die hl. Katharina von Genua (†1510) bemerkt dazu: „Der Wille der Seelen im Fegfeuer ist dem Willen Gottes gleichförmig; sie nennen ihre Leiden niemals Strafen und halten ihr Leid nie für Strafe. Ruhig und ergeben sind sie in die Anordnung Gottes, die sie aus reiner Liebe willig hinnehmen. Sie erachten es sogar als einen Beweis der großen Barmherzigkeit Gottes, im Fegfeuer zu sein zwecks Austilgung ihrer Makeln, mit denen sie niemals vor der göttlichen Gerechtigkeit erscheinen wollten. Die Armen Seelen können heilig genannt werden; denn sie sind voll Liebe gegen Gott und brennen weit mehr vor Sehnsucht, das Angesicht Gottes zu schauen und zu genießen, als sie vom Feuer der Pein brennen.“
Das zu betrachten und zu beachten wäre für den modernen Menschen so wichtig und notwendig, wirft dieser doch Gott aufgrund der verhängten Strafen der Hölle oder auch des Fegfeuers Grausamkeit vor. Das kommt letztlich davon, daß man keinen rechten Begriff von der Sünde mehr hat und daher die Sündenstrafen als ungerechtfertigt empfindet. Die Armen Seelen haben im Augenblick ihres Todes die Schwere ihrer Sünden eingesehen und sind daher überaus dankbar, im Fegfeuer leiden zu dürfen, um der Anschauung Gottes würdig zu werden. Maria Anna Lindmayr erklärt: „Die Zufriedenheit der Armen Seelen mit ihren Leiden möchte ich mir und allen Menschen in unseren Leiden und Widerwärtigkeiten wünschen, weil dann die Ungeduld auf Erden niemals zu finden wäre!“
Die Geduld der Armen Seelen im Fegfeuer
Der spanische Jesuit, Theologe und Philosoph Francisco Suárez ist sogar der Ansicht, die Armen Seelen würden nicht nur mit der größten Geduld, sondern sogar noch mit einer unerschütterlichen Zufriedenheit leiden, ja selbst eine unglaubliche Freude in der Erduldung all ihrer Leiden zeigen. Der hl. Kardinal Robert Bellarmin äußert sich ähnlich: „Die Seelen im Fegfeuer sind nicht in Verzweiflung, denn sie empfinden eine unaussprechliche Freude inmitten ihrer unsäglichen Leiden wegen der sicheren Hoffnung des Heiles!“ Ganz dementsprechend heißt es im Memento für die Verstorbenen bei der hl. Messe: „Dormiunt in somno pacis“ - „Sie ruhen im Schlaf des Friedens!“
Für uns ist es schwer zu begreifen, wie beides zusammengeht, Freude und Leid, größte Schmerzen mit einer vollkommenen inneren Ergebenheit. Aber letztlich entspricht gerade das dem Zustand der Armen Seelen nach dem persönlichen Gericht. Die ehrw. Klara Moes berichtet: „Die Seele, die ins Fegfeuer kommt, sieht beim besonderen Gericht das Angesicht Gottes; deswegen liebt sie ihn mit dem Gefühl der reinsten und vollkommensten Liebe. Diese weckt in ihr die glühendste Sehnsucht, ihn wieder zu sehen und zu genießen!“ Aber gerade das ist ihr aufgrund der noch abzubüßenden Sündenschuld unmöglich.
Die ehrw. Maria Fidelis Weiß (1882-1923), Franziskanerin im Kloster zu Reutberg bei Bad Tölz in Bayern, geht noch etwas eingehender auf den Zustand der Armen Seelen beim Tod ein: „Kaum ist die Seele vom Leib geschieden, schaut sie den lieben Gott in seiner Größe und Herrlichkeit. Das dauert nur einen Augenblick. Dann wird sie vom lieben Gott ins Fegfeuer gewiesen, und jetzt beginnt ihr Martyrium. Es bleibt der Seele die Erkenntnis von der Größe Gottes… Die Seele ist nun ganz in den Willen Gottes ergeben und möchte aus dem Fegefeuer nicht heraus, solange sie nicht vollkommen rein ist.“ Ganz willig ertragen also die Armen Seelen ihre Reinigung im Fegfeuer, wollen sie doch in der Gesellschaft der Engel und Heiligen ohne jeglichen Makel befleckt erscheinen.
Die Schärfe der Genugtuungsleiden im Fegfeuer
Diese Genugtuungsleiden der Armen Seelen sind jedoch unvorstellbar groß. Der hl. Augustinus ist überzeugt, das Feuer des Reinigungsortes sei ärger als jede andere Strafe auf dieser Welt. Zudem ist er sicher, daß die Strafen im Fegfeuer schwerer sind als die Qualen der Märtyrer. Auch der hl. Bernhard lehrt, das Feuer des Reinigungsortes sei peinvoller und schärfer als die Leiden dieses Lebens. Ähnlich lehren der hl. Gregor der Große, der hl. Anselm und der hl. Bonaventura. Der hl. Thomas von Aquin sagt: „Die geringste Strafe im Fegfeuer übersteigt alle Leiden dieser Welt, weil es ein tieferes Leiden ist, ein anderes Leiden, wie wir es auf dieser Welt haben, Gott geschaut zu haben, diese Sehnsucht und ihn noch nicht aushalten zu können.“
Zudem ist er der Meinung, das Feuer des Reinigungsortes sei dasselbe wie das Feuer der Hölle; dasselbe Feuer, das die Verdammten peinigt, reinigt auch die Seelen im Fegefeuer. Derselben Ansicht sind Suarez und der hl. Bonaventura. Die hl. Magdalena von Pazzi wiederum berichtet, daß ihr im Fegfeuer leidender Bruder gesagt habe, die Peinen der Märtyrer seien ein lieblicher Lustgarten gegenüber den Leiden im Fegfeuer.
Die Hilfsbedürftigkeit der Armen Seelen
Wir können somit festhalten: Die Armen Seelen sind gewissermaßen schlimmer dran als die ärmsten und elendsten Bettler. Denn diese können immerhin bei ihren Mitmenschen noch um Hilfe bitten, die Seelen im Reinigungsort hingegen können das nicht mehr. Alles, was sie können, ist, mit Geduld und Ergebung in den Willen Gottes zu leiden. Letztlich wird es von Gott einer Armen Seele nur äußerst selten erlaubt, auf Erden zu erscheinen und um Hilfe bitten zu dürfen. Heutzutage sind die Erscheinungen von Armen Seelen noch seltener geworden, weil es aufgrund des allgemein gewordenen Unglaubens gar keinen Sinn hätte, diesen ungläubigen Menschen zu erscheinen. Würden diese den Armen Seelen doch gar nicht mehr helfen wollen und auch nicht können.
Die Lehre vom Fegfeuer nach dem II. Konzil von Lyon
Auf dem II. Konzil von Lyon wurde im Jahr 1274 die Lehre vom Fegfeuer definiert:
„Wenn sie [die Verstorbenen] aber in wahrer Buße in der Liebe verschieden sind, ohne zuvor durch würdige Früchte der Buße für das Begangene und Unterlassene Genugtuung geleistet zu haben, so werden ihre Seelen [...] nach dem Tod durch Reinigungs- und Läuterungsstrafen gereinigt: Und zur Milderung derartiger Strafen nützen ihnen die Fürbitten der lebenden Gläubigen, nämlich Messopfer, Gebete, Almosen und andere Werke der Frömmigkeit, die von den Gläubigen entsprechend den Anordnungen der Kirche für andere Gläubige gewöhnlich verrichtet werden.
Die Seelen derer aber, die nach dem Empfang der heiligen Taufe überhaupt keiner Sündenschuld verfallen sind, sowie jene, die nach einer zugezogenen Sündenschuld entweder noch in ihren Leibern verweilend, oder nachdem sie ebendies abgelegt haben, [...] gereinigt wurden, werden sogleich in den Himmel aufgenommen.“ (DH 856-857).
In Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon werden dazu folgende, aus dem Glauben sich ergebende Vernunftgründe angeführt:
3. Auch die theologische Speculation erkennt das Dogma als nothwendige Folge aus zwei anderen Glaubenslehren. Es gibt nach Glauben und Vernunft leichtere, läßlich Sünden, die wegen der Schwäche der menschlichen Natur auch von den Vollkommenen kaum gemieden werden. Es kann leicht vorkommen, daß jemand vom Tode ereilt wird, ehe er diese Sünden durch Reue und Buße gesühnt hat. Ihres ewigen Zieles kann eine solche Seele nicht für immer verlustig gehen, da sie durch den Gnadenstand ein Anrecht auf den Himmel bewahrt; aber zur Anschauung Gottes kann sie mit solchen Makeln, deren Anblick Gott beleidigt, auch nicht gelangen; denn in den Himmel kann nichts Beflecktes eingehen (Offenb. 21, 27). Demnach muß die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes im Verein mit der Weisheit und der Barmherzigkeit es der Seele ermöglichen, sich auch im Jenseits noch zu reinigen, die Schlacken vom lauteren Golde auszuscheiden, um dann vollkommen rein zu ihrem ewigen Lohne zu gelangen. Wie die Nachlassung der läßlichen Sünden im Jenseits geschehe, läßt sich wohl am besten mit Thomas (De Malo q. 7, a. 11 ad 9) und Bonaventura (In IV, dist. 21, p. 1, a. 2, q. 1) in der Weise auffassen, daß die Seele im Jenseits und zwar am wahrscheinlichsten wohl gleich beim Eintritt in’s jenseitige Leben, einen Act formeller aber doch virtueller Reue, d. h. einen Act der innigsten Liebe, erwecke: ein solcher Act ist zwar nicht verdienstlich und vermehrt auch nicht die Gnade, jedoch bewirkt er, daß die entgegengesetzte Richtung des Willens aufgehoben wird, und daß alles, was dem Willen noch von sündhafter Unordnung anhaftet, sofort vollkommen verschwindet (vgl. Bellarm. l. c. II, 9). Der andere Glaubenssatz, woraus sich unsere Lehre als nothwendige Sache ergibt, ist, daß, wenn auch mit der Todsünde die ewige Strafe nachgelassen ist, in der Regel noch zeitliche Strafen übrig bleiben, welche der göttlichen Gerechtigkeit durch angemessene Sühne abgetragen werden müssen. Ohne Zweifel sterben aber viele Menschen, ehe sie der göttlichen Gerechtigkeit volle Genugtuung geleistet haben. Solche können aber, als »zur Strafe verpflichtet« (poenae obnoxii) und somit wahrhaft frei nicht in den Himmel eingehen, bevor sie das Abzubüßende bis auf den letzten Heller abgetragen haben. Die Hölle kann noch weniger ihr Aufenthaltsort werden, da sie ja Kinder Gottes und Tempel des heiligen Geistes sind: so muß nothwendig ein Mittelort angenommen werden, wo solche Seelen die von der göttlichen Gerechtigkeit bestimmten Strafen so lange erleiden, bis sie durch satispassio [Genugtuungsleiden] völlige Genugthuung geleistet haben. Auch bietet jene Lehre nach den verschiedensten Seiten hin außerordentlich viel Tröstliches, Erhebendes und Anregendes (vgl. Thom. In IV Sent., dist. 21, q. 1, a. 1; Möhler, Symbolik § 23). Die sich selbst überlassene Vernunft eignet sich die obigen Wahrheiten gerne an und findet dieselben allen ihren Principien völlig entsprechend. Demgemäß hat denn auch dieses Urtheil der vernünftigen Natur in der Geschichte stets seinen Ausdruck gefunden, denn überall begegnet uns der Glaube an einen zeitlichen Reinigungsort neben der Hölle als ein Gemeingut aller Völker und Zeiten; gerade die gebildeten Nationen, wie Griechen, Römer, Inder, unterscheiden mit aller Bestimmtheit zwischen den ewigen und zeitlichen Strafen (vgl. Lüken, Traditionen des Menschengeschlechts 410 ff.).
Die letzten Wahrheiten über unser Menschenleben
Wie ernst sind diese letzten Wahrheiten über unser Menschenleben. Wenn wir sie mehr bedenken würden, würden wir uns sicherlich auch um ein besseres Leben bemühen. Denn jetzt haben wir noch Gelegenheit, unser Leben zu bessern, um das Leiden im Fegfeuer zu vermeiden. Aber die meisten Menschen gehen diesen ernsten Gedanken aus dem Weg, weil sie ihr Leben nicht ändern wollen. Maria Anna Lindmayr muß feststellen: „Die meisten Menschen leben als Weltkinder dahin und kümmern sich wenig um die Seligkeit, daher kommen gar so viele Seelen auf lange Zeit ins Fegfeuer.“ Wenn sie überhaupt noch ins Fegfeuer kommen, so muß man wohl aufgrund des unvorstellbaren sittlichen Verfalls inzwischen hinzufügen.
Anders als der moderne Mensch weiß Maria Anna Lindmayr noch: „Etwas Großes ist die Beleidigung Gottes. Alles, was hier auf Erden nicht getilgt worden ist, muß dort abgebüßt werden. Die Armen Seelen im Fegfeuer haben mir gezeigt, wie gar genau in der anderen Welt alles durchsucht und abgerechnet wird.“ Die Katholiken haben dieses Wissen immer bewahrt – „wie gar genau in der anderen Welt alles durchsucht und abgerechnet wird“ – und sich bemüht, die Buße nicht bis ans Lebensende aufzuschieben. Darum hat jedes Kirchenjahr seine vorgeschriebenen Bußzeiten, in denen die Katholiken durch Fasten, Almosen geben und vermehrtes Gebet Gott um Nachlaß der Sündenstrafen anflehen.
Zwei Berichte
Der hl. Beda (†735) erzählt folgende Begebenheit, die sich zu seiner Zeit zugetragen hat. Ein braver Engländer namens Drithelm starb eines Abends nach langwieriger Krankheit. Doch am anderen Morgen kehrte er plötzlich ins Leben zurück und richtete sich zum Schrecken der Anwesenden auf. Die liefen davon, nur seine Frau hatte den Mut zu bleiben. Ihr erzählte nun Drithelm, er sei wirklich gestorben und nun von Gott ins Leben wieder zurückgerufen worden. Er sprach: „Als meine Seele den Leib verlassen hatte, wurde ich von einem weißgekleideten Führer mit glänzendem Angesichte in ein tiefes Tal geleitet, das eine ungeheure Ausdehnung hatte und in dichte Finsternis gehüllt war, die Schrecken einflößte. Ich sah dort zwei Abteilungen: auf der einen Seite Glut und Flammen, auf der anderen Eis und Kälte. Der Engel sagte zu mir, das sei der Ort für jene Seelen, die ihre Besserung bis zum Tode verschieben und noch im letzten Augenblick Reue zeigen. Diese Seelen, die beständig aus der Hitze in die Kälte kommen und umgekehrt, werden erst nach dem Jüngsten Gericht in den Himmel gelangen, wenn ihnen nicht von den Lebenden durch gute Werke geholfen wird.“ Drithelm zog sich hierauf in ein Kloster zurück und führte ein strenges Büßerleben. Wenn sich seine Ordensbrüder über seine Kasteiungen wunderten, antwortete er: „Meine lieben Brüder, ich habe ganz andere Strenge gesehen als diese. Das sind Rosen und Süßigkeiten im Vergleich zu dem, was mir im Fegfeuer gezeigt wurde.“
Die Dominikanerin Kolumba Schonath (†1787) wurde am Allerseelentag 1764 in den Reinigungsort versetzt. Dort sah sie u.a. einen neu zubereiteten Ort. Es wurde ihr gesagt, dieser sei für ihren schwerkranken Beichtvater Kasimir Mayr. In der Tat starb dieser in der Nacht des 8. Januar 1765. Nach einiger Zeit erschien er ihr und sprach: „Meine Schwester! Weißt du noch den Ort, der dir am Allerseelentag des vorigen Jahres gezeigt wurde, der für einen noch Lebenden bereitstand? An diesen Ort kam ich, weil ich dich gehindert habe, um die Erlösung einer Hilfe suchenden Seele zu beten, und dir befahl, dergleichen nicht mehr zu erwähnen. Jetzt bin ich wohl von der Pein erlöst, aber ich darf noch nicht zur Anschauung Gottes. Ich leide zwar keine Pein und habe keinen Schmerz, doch ist es eine große Seelenqual, wenn die Seele nicht zu ihrem Ziel gelangen kann.“
Die Art der Strafleiden im Fegfeuer
Unsere Mystiker berichten uns, wie jede Sünde ein anderes, der Sünde entsprechendes Leid im Fegfeuer nach sich zieht. Maria Anna Lindmayr (†1726) erschien eine verstorbene Klosterfrau mit entstelltem Angesicht, als ob ihr ein Raubvogel das Gesicht zerfressen hätte. Die Klosterfrau war im Leben eitel auf ihr schönes Gesicht. Am 14. Dezember 1712 erschien ihr eine Laienschwester mit hochgeschwollener Hand, die ganz verbrannt war. Die Schwester sagte, sie habe gern schöne Hände gehabt und sich deswegen den Arbeiten entzogen und sie anderen Schwestern zugeschoben. Jetzt würde sie wegen ihrer Arbeitsscheu und ihres Müßigganges hart gestraft.
Am 16. September 1704 erschien ihr eine Gräfin Sternberg, die deswegen viel litt, weil sie ihren Leib leichtfertigerweise zu entblößen pflegte, da sie in weit ausgeschnittenen Kleidern herumging. Sie sah sehr gealtert aus, war sehr traurig und sprach: „Ich gehe noch lange nicht heim“, wodurch sie auf die lange Dauer ihres Fegfeuers anspielte. Eines Tages sah sie einen verstorbenen Maurer, der oft im Haus ihrer Eltern gearbeitet hatte und die üble Gewohnheit besaß, zu fluchen und viel zu trinken. Er befand sich hinter einem starken Gitter und war ähnlich verwahrt wie ein wildes Tier. Er jammerte, daß er wegen seines Scheltens sehr an der Zunge leiden müsse. Flehend erhob er die Hände und sprach: „Du kannst mir helfen und du mußt mir helfen.“
Ein andermal erschien der Dienerin Gottes in der Liebfrauenkapelle der Michaelskirche zu München ein Verstorbener mit einem Weinglas in der Hand, um anzudeuten, wodurch er im Leben gesündigt hatte. Er klagte, er sei in jungen Jahren gestorben und habe durch unmäßiges Weintrinken sein Leben um 40 Jahre abgekürzt. Deswegen müsse er jetzt 40 Jahre im Fegfeuer leiden. Maria Anna Lindmayr hat hierauf durch 40tägige Bußübungen ihm zu helfen gesucht und ihn, wie ihr hernach offenbart wurde, tatsächlich nach Verlauf dieser 40 Tage aus dem Fegfeuer erlöst.
Unsere Möglichkeit, den Armen Seelen zu helfen
Im „Passauer Bistumsblatt“, Ausgabe vom 10.11.1940, wird in dem Beitrag „Was wissen wir vom Fegfeuer?“ kurz und prägnant erklärt: „Allgemeiner, wohlverbürgter Glaube der Kirche ist, daß auf Grund der umfassenden Gemeinschaft der Heiligen die Gläubigen auf Erden den Armen Seelen zu Hilfe kommen können, sowohl durch Ablässe wie durch gute Werke, besonders das hl. Meßopfer; und zwar nicht bloß den Armen Seelen im allgemeinen, sondern auch einzelnen speziell. Allerdings ist die Wirkung dieser stellvertretenden Genugtuung nicht unfehlbar; sie hängt vielmehr von der Annahme dieser Fürbitte durch die Barmherzigkeit Gottes ab. Daß umgekehrt die Armen Seelen als Freunde Gottes für uns hier auf Erden beten können, ist durchaus anzunehmen; daher dürfen wir sie auch anrufen (Bartmann).“
Die Gemeinschaft der Heiligen
In dieser Lehre wird die Wirklichkeit der einen Familie Gottes greifbar. Denn die verherrlichte, die leidende und die streitende Kirche sind eine große Familie der Gotteskinder. Und in dieser Familie gilt, was der hl. Paulus an die Galater schreibt: „Einer trage des anderen Last. So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6, 2). Wobei die Last in diesem Fall sehr ungleich ist, denn ein kurzes Gebet ist eine große Hilfe für die Armen Seelen, ein kleines Opfer eine große Erleichterung in ihren Leiden. Wie viel können und dürfen wir den Armen Seelen im Fegfeuer helfen. Aber, wie die ehrw. Anna Katharina Emmerich klagt: „Es ist traurig, wie jetzt so wenig den Armen Seelen geholfen wird. Und ihr Elend ist doch so groß, sie selber können sich gar nicht helfen. Wenn aber jemand für sie betet, etwas für sie leidet, ein Almosen für sie spendet, das kommt ihnen augenblicklich zu gute. Sie sind dann so froh, so selig, wie ein verschmachtender, dem ein frischer Trunk gereicht wird.“
„Ach“, pflegte sie auch zu sagen, „es haben die Armen Seelen so viel zu leiden wegen ihrer Nachlässigkeit, wegen bequemer Frömmigkeit, wegen Mangels an Eifer für Gott und das Heil des Nächsten. Wie soll ihnen geholfen werden, wenn nicht durch genugtuende Liebe, welche für sie jene Tugendakte aufopfert, die sie selbst im Leben besonders vernachlässigt hatten? Die Heiligen im Himmel können nicht mehr für sie büßen und genugtun; das haben sie von den Kindern der streitenden Kirche zu erwarten. Und wie sehr sehnen sie sich danach! Sie wissen, daß kein guter Gedanke, kein ernster Wunsch, den ein Lebender für sie hat, ohne Wirkung ist; und doch, wie wenige kümmern sich um sie! Ein Priester, der sein Brevier mit Andacht in der Meinung betet, die Versäumnisse damit gut zu machen, für welche die Armen Seelen noch zu büßen haben, vermag unglaubliche Tröstung zu bereiten. Ja, die Kraft des priesterlichen Segens dringt bis in das Fegefeuer und erquickt wie Himmelstau die Seelen, denen er in festem Glauben gesendet wird. Wer dies alles so sehen könnte wie ich, der würde gewiß nach Kräften zu helfen und suchen.“
Wie wenig sind wir uns des Schatzes bewußt, den wir täglich in den Händen halten. Wie viele Gelegenheiten, den Armen Seelen zu helfen, bietet jeder Tag! Die Armen Seelen wissen, „daß kein guter Gedanke, kein ernster Wunsch, den ein Lebender für sie hat, ohne Wirkung ist“ – aber wissen wir das auch? Kümmern wir uns um diese ärmsten Seelen, die ohne jegliche Hilfe sind, wenn wir ihnen nicht zu Hilfe kommen? Katharina Emmerich weiß aus eigener vielfältiger Erfahrung: „Es ist nicht auszusprechen, welch großen Trost die Armen Seelen durch unsere Überwindungen und kleinen Opfer erhalten.“ Auch der hl. Augustin ist überzeugt: „Willst du, daß sich Gott deiner erbarme, dann erbarm dich deines Nächsten im Fegfeuer!“ Dieser große Gottesgelehrte vertritt zudem die Ansicht, daß derjenige, welcher oft für die Verstorbenen gebetet hat, keines bösen Todes sterben werde. Und der hl. Hieronymus ergänzt: „Wir sind der ewigen Seligkeit um so viel näher, je mitleidiger und gütiger wir gegen die Armen Seelen sind.“
Die Macht der Fürsprache der Armen Seelen
Der hl. Pfarrer von Ars fügt einen weiteren Gedanken an: „Wenn man wüsste, welche Macht diese guten Armen Seelen über das Herz Gottes haben, und wenn man wüsste, welche Gnaden man durch ihre Fürbitte erlangen kann, wären sie nicht so sehr vergessen. Man muß viel für sie beten, damit sie viel für uns beten.“ Auch Gott hat eine große Freude, wenn wir den Armen Seelen Barmherzigkeit erweisen. Da gilt, was unser göttlicher Herr in den Seligpreisungen verheißt: Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Wie viele Berichte gibt es über die oft wunderbare Hilfe der Armen Seelen.
Der heilige Robert Bellarmin lehrt: „Die Armen Seelen bitten Gott, ihren Fürsprechern alle begangenen Sünden zu verzeihen, ihnen zu helfen, ihre Versuchungen zu überwinden und ihnen alle Gnaden zu schenken, die sie nötig haben.“ Der heilige Thomas von Aquin, der große Mystiker, Kirchenlehrer und Heilige, betont: „Von allen Gebeten sind jene für die Verstorbenen Gott am wohlgefälligsten, weil sie geistliche und leibliche Werke der Barmherzigkeit in sich schließen.“
Was noch anzumerken ist, ist daß die Armen Seelen uns auch in unseren materiellen Nöten helfen dürfen. Der belgische Wundertäter Pater Paul von Moll († 1896) gab einer Dame folgenden Rat: „Will man blühende Geschäfte machen, so braucht man nur einen Teil, wir wollen sagen zwei Prozent der Einnahmen oder des Gewinnes, zur Befreiung der Armen Seelen im Fegfeuer aufopfern. Mit dem Geld lasse man hl. Messen lesen oder verrichte andere gute Werke für die Armen Seelen. Diese können alles für ihre Wohltäter erlangen.“ Diese Dame befolgte den Rat des Paters und war fortan mit ihren Geschäftserfolgen höchst zufrieden.
Selig die Barmherzigen…
Von den Armen Seelen im Fegfeuer können wir natürlich auch sehr viel lernen. Sie haben uns schließlich einen gewaltigen Erkenntnisvorsprung voraus, haben sie doch schon das persönliche Gericht erlebt und ihr Leben ungeschminkt im Licht der Ewigkeit betrachten dürfen. Was lehren sie uns ganz besonders? Maria Anna Lindmayr folgert aus ihren Erfahrungen mit den Armen Seelen: „Am kürzesten werden im Fegfeuer zurückgehalten die Gutmütigen, Weichherzigen und Barmherzigen und jene, die gerne sterben.“ Wobei man heutzutage eine Bemerkung anfügen muß: die Gutmütigen, Weichherzigen und Barmherzigen sind nicht gleich den modernen Gutmenschen. Denn diese sind im wahren Sinne weder gutmütig, weichherzig, noch barmherzig, sondern dumm, eingebildet und eitel.
Maria, die Königin des Fegfeuers und die Mutter der Barmherzigkeit
Es gibt für die Armen Seelen im Fegfeuer noch einen besonderen Trost. Anna Katharina Emmerich berichtet folgendes: „Ich war heute Nacht im Fegefeuer. Es war mir, als werde ich in einen tiefen Abgrund geführt. Ich sah einen großen Raum. Es war rührend anzusehen, wie die Armen Seelen darin so still und traurig sind! Sie haben aber doch etwas im Gesichte, als tragen sie noch Freude im Herzen im Andenken an die Barmherzigkeit Gottes. Ich sah auch auf einem herrlichen Throne die Mutter Gottes so schön, wie ich sie noch nie gesehen.“
Die Gottesmutter ist auch die Königin des Fegfeuers. Wie könnte auch die leidende Kirche ihrem Einfluß entzogen sein. Der hl. Bonaventura bezieht die Worte der Hl. Schrift: „Ich drang in die Tiefe des Abgrundes“ (Sir. 24,8), auf Maria, welche die leidenden Seelen in den Abgründen des Fegfeuers besucht. Diese Besuche gelten natürlich besonders ihren frommen Verehrern, ihren geliebten Kindern. Daher sagt der hl. Alfons Maria von Liguori: „Diese liebevolle Mutter unterläßt nicht, dann und wann in dieses Gefängnis hinabzusteigen, um ihre geliebten Kinder durch ihre Gegenwart zu trösten.“ Und Klara Moes weiß zu berichten: „Die Mutter Gottes besucht jene Seelen im Fegfeuer, die sie im Leben verehrt hatten. Während der Gegenwart der Mutter Gottes sind die Armen Seelen frei von Schmerzen… Viele Seelen im Fegfeuer haben ihre Rettung einzig der Mutter Gottes zu verdanken, da sie Maria im Leben verehrt haben.“ P. Paul von Moll ergänzt: „Die Mutter Gottes hat mir mitgeteilt, daß sie sich jeden Samstag ins Fegfeuer begibt.“
Der hl. Alfons wiederum ist sogar überzeugt, die Mutter Gottes begebe sich an jedem ihrer Feste ins Fegfeuer und führe viele Seelen heraus. Dementsprechend berichtet der hl. Petrus Damiani einmal, einer Frau sei ihre jüngst verstorbene Freundin erschienen und habe ihr mitgeteilt, daß Maria am Fest Maria Himmelfahrt weit mehr Seelen aus dem Fegfeuer befreit habe als Bewohner in Rom seien. Zur hl. Brigitta sprach die Mutter Gottes: „Ich bin die Mutter aller jener, die im Fegfeuer sind, deren Leiden werden durch meine Fürbitte gemildert.“ Für den hl. Bernhardin ist es vollkommen sicher: „Im Reich des Fegfeuers hat Maria die Herrschaft.“
Maria heißt auch deswegen mit Recht „die barmherzige Mutter“ oder „die Mutter der Barmherzigkeit“, weil sie an den Armen Seelen wunderbar Barmherzigkeit übt. Wollen wir nicht unsere himmlische Mutter darin besonders nachahmen?! Offensichtlich hat Gott daran eine ganz außerordentliche Freude, uns durch die Armen Seelen helfen zu können. Die hl. Katharina von Bologna († 1463), deren Leib in der Kirche der Klarissinnen zu Bologna in Italien unversehrt ist, hat erklärt: „Oft habe ich das, was ich durch Anrufung der Heiligen im Himmel lange nicht habe erhalten können sogleich erlangt, wenn ich meine Zuflucht zu den leidenden Seelen im Fegfeuer genommen habe.“ Sie ergänzt diesen Gedanken noch: „Wenn ich eine Gnade sicher erlangen will, wende ich mich an die Armen Seelen, damit sie meine Bitte unserem himmlischen Vater vortragen. Gewöhnlich fühle ich es, daß ich ihrer Fürsprache die Erhörung verdanke.“
Es ist schon ein außerordentliches Glück, zur Gottesfamilie gehören zu dürfen. Wie könnte ein barmherziges Herz die Leiden der Brüder und Schwestern aus dem Fegfeuer überhören oder übersehen? Luitgard von Wittichen (1291-1348), die Heilige des Mutterschoßes, hörte oft die Armen Seelen klagen und sprach häufig des Nachts mit ihnen. In dem von ihr im Schwarzwald gegründeten Kloster in Wittichen ließ sie vor Tisch das „Miserere“ (den Psalm 50) für die Armen Seelen beten und mahnte ihre Schwestern: „Bleibt den Armen Seelen treu. Wer den Seelen treu ist, verlängert sein Leben und vermehrt sein Glück.“
Ein abschließender Gedanke
Vielleicht noch ein abschließender Gedanke für zaghafte Gemüter, die um ihre sowieso schon so armseligen Verdienste Sorge haben. Diese meinen irrtümlicherweise, sie würden ihre Verdienste vor Gott verlieren, wenn sie ihre guten Werke für andere, z.B. für die Armen Seelen, aufopfern. Das ist aber eine egoistische Täuschung. Im Reich der Gnade verliert der Gebende nichts, sondern gewinnt sogar ein doppeltes Verdienst: Zuerst einmal erlangt man das Verdienst eines guten Werkes. Sodann wird durch die Zuwendung dieses guten Werkes zusätzlich ein Werk der Barmherzigkeit verrichtet – ganz abgesehen davon, daß man sich dadurch die Armen Seelen zu Freunden gemacht hat, die dann für uns bitten werden, besonders wenn sie im Himmel sein werden. Man beachte dazu ebenfalls die Worte des hl. Thomas von Aquin: „Wenn jemand Buße für einen anderen verrichtet, so ist diese Genugtuung Gott wohlgefälliger, als wenn er sie für sich selbst verrichtet hätte.“
Mögen all dieser Erwägungen dem Leser ein Ansporn sein, diesen Monat November zu einem rechten Armenseelentrostmonat zu machen.
Gebet der hl. Mechthild für die Armen Seelen
Vater unser, der Du bist im Himmel, wir bitten Dich demütig, ewiger gütiger barmherziger Vater, vergib den Armen Seelen, die Du selbst als Deine Kinder angenommen hast, daß sie Dich nicht geliebt haben und Dich von sich gestoßen haben und Dir die schuldige Ehre nicht erwiesen haben. Zur Sühne und Buße opfere ich Dir durch das Unbefleckte Herz Mariens alle Liebe und Güte Deines überaus vielgeliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus auf.
Geheiligt werde Dein Name: Ich bitte Dich demütig, ewiger gütiger barmherziger Vater, vergib den Armen Seelen, daß sie Deinen heiligen Namen nicht verherrlicht haben und oft unwürdig im Mund geführt haben. Zur Sühne und Buße opfere ich Dir durch das Unbefleckte Herz Mariens alle Predigten auf, womit Dein überaus vielgeliebter Sohn, unser Herr Jesus Christus, auf Erden Deinen heiligen Namen verherrlicht hat.
Zu uns komme Dein Reich: Wir bitten Dich demütig, ewiger gütiger barmherziger Vater, vergib und verzeih den Armen Seelen, daß sie Dein Reich nicht mit brennender Liebe und sehnsüchtigem Verlangen begehrt haben, sondern sich oft mit irdischen Gütern bereichert haben. Zur Sühne und Buße für diese vielfältigen Sünden opfere ich Dir durch das Unbefleckte Herz Mariens die große Begierlichkeit Deines überaus vielgeliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, auf, womit er verlangt, alle in Dein heiliges Reich aufzunehmen.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden: Wir bitten Dich demütig, ewiger gütiger barmherziger Vater, vergib den Armen Seelen, daß sie sich Deinem heiligen Willen nicht untertänigst unterworfen haben, sondern gar oft nach ihrem eigenen Willen gehandelt haben und dadurch Deinen heiligen Willen nicht erfüllt haben. Zur Sühne und Buße opfern wir Dir durch das Unbefleckte Herz Mariens das heilige göttliche Herz Jesu und seine große Unterwürfigkeit auf.
Gib uns heute unser tägliches Brot: Wir bitten Dich demütig, ewiger gütiger barmherziger Vater, vergib den Armen Seelen, daß sie Dein hochwürdigstes Sakrament des Altares nicht mit völliger Andacht und Liebe empfangen, sondern sich viele desselben unwürdig gemacht haben. Für all diese ihre Sünden opfere ich Dir durch das Unbefleckte Herz Mariens die große Heiligkeit und Andacht Deines vielgeliebten Sohnes sowie auch seine innige Liebe und sein unaussprechliches Verlangen auf, womit Er uns diesen kostbaren Schatz geschenkt hat.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern: Wir bitten Dich demütig, ewiger gütiger barmherziger Vater, vergib den Armen Seelen ihre schwere Sündenschuld, daß sie ihre Feinde nicht geliebt haben und nicht verzeihen wollten. Zur Sühne und Buße für diese vielfältigen Sünden opfern wir Dir durch das Unbefleckte Herz Mariens die heiligen Worte Deines überaus vielgeliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, auf, womit Er am Kreuz gesprochen hat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Und führe uns nicht in Versuchung: Wir bitten Dich demütig, ewiger gütiger barmherziger Vater, vergib den Armen Seelen, daß sie in den großen Versuchungen keinen Widerstand geleistet haben, sondern den Lockungen des Bösen gefolgt sind und sodann in das Verderben gestürzt wurden. Zur Sühne und Buße opfern wir Dir durch das Unbefleckte Herz Mariens den Gehorsam, die mühevollen Arbeiten und all das bittere Leiden und Sterben Deines überaus vielgeliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, auf.
Sondern erlöse uns von dem Übel: Wir bitten Dich, ewiger gütiger, barmherziger Vater, vergib den Armen Seelen und führe sie und unsere Seele durch die Verdienste Deines überaus vielgeliebten Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, durch das Unbefleckte Herz Mariens und an der lieblichen Hand Mariens in das Reich Deiner Herrlichkeit, welches Du selber bist. Amen.