Das Leben des menschgewordenen Gottessohnes ist, soweit möglich, unserem Leben angepaßt, kommt der ewige Sohn des Vaters doch in unsere Menschenwelt als leidensfähiger Mensch. Er wird von einer Mutter geboren wie wir Menschen, wenn auch wunderbar von einer Mutter, die zugleich Jungfrau vor, während und nach der Geburt. Er wächst in einer Familie auf und wird zu einem erwachsenen Mann. Er beginnt Sein öffentliches Leben, Lehren und Wirken. Er beginnt zu Leiden und will schließlich am Kreuz für uns sterben. Soweit ist Sein Leben durchaus unserem Leben vergleichbar, in dem wir uns selber täglich abmühen – von der Geburt bis zum Tod.
Aber sodann steht Er von den Toten auf und zeigt uns das neue Leben der Gnade. Er macht uns, soweit es irgend möglich ist, begreiflich, daß der Tod nicht das Ende ist, sondern jenseits des Todes ein verklärtes Leben auf uns wartet, wenn wir nur an Ihn glauben und Seinen Geboten entsprechend leben.
Schließlich versammelt Er 40 Tage nach Seiner Auferstehung Seine Jünger und Freunde auf dem Ölberg, um von ihnen Abschied zu nehmen. Sein irdisches Leben endet mit der glorreichen Himmelfahrt. Er erhebt sich sichtbar vor den Augen der Apostel in den Himmel – zunächst in den sichtbaren Himmel und von dort – sozusagen verborgen hinter der Wolke – in den unsichtbaren. Denn Er geht heute heim zum Vater, mit sich führend gleichsam als Siegesbeute Seiner Erlösung all die Gerechten des Alten Bundes. Was für ein beeindruckender, triumphaler Einzug des Christkönigs ins himmlische Reich! Was für ein Staunen aller Chöre der Engel über Seine göttliche Würde. Was für ein Leuchten der Cherubim und was für ein Brennen der Seraphim in der Erkenntnis und Liebe Christi!
Im himmlischen Reich zur Rechten des Vaters nimmt heute am Himmelfahrtsfest der König der Herrlichkeit Seinen seit Ewigkeit bereiteten Thron ein. „Und der herabstieg, ist derselbe, der über alle Himmel hinaufstieg, um das All zu erfüllen“ (Eph 4,10), so jubelt der hl. Paulus. Das ganze All ist voll der Herrlichkeit Jesu Christi, der die Welt am Kreuz erlöst hat: „Darum hat ihn Gott auch über alle Maßen erhöht und ihm den Namen geschenkt, der über alle Namen ist, damit im Namen Jesu jedes Knie sich beuge im Himmel, auf Erden und unter der Erde und jede Zunge zur Ehre Gottes des Vaters bekenne: Jesus Christus ist der Herr“ (Phil. 2, 9-11).
Es ist zutiefst ergreifend, von diesem triumphalen Siegeszug des Christkönigs im Himmel aus zurückzuschauen auf die Apostel und Freunde Jesu am Ölberg. Diese stehen zutiefst ergriffen da, während ihr Herr zum Himmel auffährt. Ihre Augen leuchten, ihr Mund steht offen vor lauter Staunen. Auch wenn sie den Himmel nicht direkt schauen können, sie schauen ihn doch in diesem Augenblick im Glauben. Später werden sie es predigen und so ganz einfach und mit vollkommener Sicherheit sagen, daß der Herr in den Himmel aufgefahren ist und nun zur Rechten Gottes des Vaters thront als König der Könige. Denn der Vater hat Ihm alle Macht in die Hände gelegt, weil Er der Menschensohn geworden ist und der Erlöser all Seiner Brüder. Deswegen müssen alle Geschöpfe ihre Knie beugen im Himmel, auf Erden und unter der Erde und bekennen: Jesus Christus ist der Herr!
Sucht, was droben ist
Etwas müssen wir aber jedes Jahr am Himmelfahrtsfest aufs Neue erwägen, inwieweit sich nämlich unsere Welt durch die Himmelfahrt unseres Herrn verändert hat. Dieses Fest ist ein Ausdruck der zutiefst christlichen Lebenshaltung, die der hl. Paulus im Kolosserbrief so formuliert: „Wenn ihr also mit Christus auferweckt seid, so sucht, was droben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem auf der Erde. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit“ (Kol. 3,1-4).
Zu unserem christkatholischen Leben gehört wesentlich die Himmelssehnsucht, wie uns der hl. Paulus lehrt. Wir sollen suchen – und immer wieder neu finden! – was droben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Das Himmelreich soll für uns nicht ein fernes, unbekanntes Land sein, auch kein unerreichbares Utopia, sondern täglich erlebbare Gnadenwirklichkeit. Diese Gnadenwirklichkeit erfährt jedoch nur derjenige, der auch mit Christus gestorben ist, d.h., der die Sünde mit allen Kräften seiner Seele meidet und dadurch mit Christus in Gott verborgen lebt.
Das Wunder der Gottverbundenheit
Wie schwer ist das in dieser Welt, mit Christus in Gott verborgen zu leben, wo doch diese Welt Christus nicht kennt und auch nicht kennen will! Schwer ist es sicher, aber nicht unmöglich, denn Christus Jesus ist in uns und Er wirkt verborgen in unserer Seele dieses Wunder der Gottverbundenheit, wenn wir uns nur Ihm ganz anvertrauen. Je mehr wir versuchen, in Christus Jesus zu sein, je mehr wir in der Gegenwart Gottes leben, desto wahrer wird, was der hl. Paulus den Philippern versichert: „Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dort erwarten wir auch als Retter den Herrn Jesus Christus, der, vermöge der Macht, durch die er sich alles unterwerfen kann, unseren hinfälligen Leib umwandeln und seinem verherrlichten Leib gleichgestalten wird“ (Phil. 3,20f).
Gnadenhaftes Heimweh
Die Himmelssehnsucht erst macht uns zu rechten Himmelsbürgern. Wenn es aber wahr ist, daß der Himmel unsere Heimat ist, dann müssen wir doch auch Heimweh nach dem Himmel haben, oder nicht? Wir müssen Heimweh nach unserem Herrn Jesus Christus, Heimweh nach dem Vater und dem Heiligen Geist haben. Und nur dieses gnadenhafte Heimweh gibt uns eine unerschütterliche Zuversicht, weil wir vom Himmel her als unseren Retter Jesus Christus erwarten, „der, vermöge der Macht, durch die er sich alles unterwerfen kann, unseren hinfälligen Leib umwandeln und seinem verherrlichten Leib gleichgestalten wird“.
Jeder Mensch weiß an sich, daß dieses irdische, zerbrechliche Leben nur eine kurze Episode ist. Für jeden Katholiken ist es eine selbstverständliche Tatsche, wir sind hier auf Erden nur auf eine gewisse Zeit als Fremdlinge und Pilger: „Wir wissen nämlich, daß, wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, wir einen Bau von Gott haben, ein nicht mit Händen gemachtes, ewiges Haus im Himmel“ (2Kor 5,1). Ist das, was der hl. Paulus den Korinthern verheißen hat, nicht wunderbar: ein nicht mit Händen gemachtes, ewiges Haus im Himmel? Ein Haus inmitten der ewigen himmlischen Lichterstadt, in der Gott alles in allem ist. Ein ewiges Haus inmitten der himmlischen Welt, in der die Engel und Heiligen ihrem Gott das ewige Sanctus singen werden, wie es in der Geheimen Offenbarung beschrieben wird: „Jedes der vier Wesen hat sechs Flügel, ringsum und innen übersät mit Augen. Tag und Nacht rufen sie ohne Unterlaß: ‚Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der allmächtige Gott, der war, der ist und der kommen wird‘“ (Offb 4,8).
Wie schön wäre es, heute einen Blick in den Himmel werfen zu dürfen, um die große Zeremonie mitzuverfolgen, die dort zu diesem Fest stattfindet: Alle Engel und Heiligen jubeln ihrem Herrn zu und freuen sich an der unermeßlichen Ehre, die Ihm zuteil wird. Ja, seit der Himmelfahrt unseres Herrn legt die unzählige Schar der Seligen im himmlischen Jerusalem ihre Kronen nieder zu Füßen des Lammes, das als alleinige Leuchte in der Gottesstadt erstrahlt und vor dem alle niederfallen auf ihr Angesicht, wie es uns der hl. Johannes in der Geheimen Offenbarung beschreibt: Ein Chor, gewaltig wie die Stimme vieler Wasser und das Rollen mächtiger Donner, verkündet, daß „das Lamm würdig ist, zu empfangen Macht und Gottheit und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Bewunderung, weil alle Seligkeit in ihm den Anfang und das Ende hat“.
Wer darum nur ein wenig Liebe zum Herrn Jesus Christus im Herzen trägt, der muß heute ebenfalls voller Jubel und Freude sein. Unser Herr hat sich in Seinem Leiden so unsagbar erniedrigt um unsertwillen, nun erhält er dafür vom Vater den ewigen göttlichen Lohn. Mit unvergleichlicher Treue hat unser Herr Jesus Christus das Werk vollbracht, das der Vater von Ihm verlangt hat. „Weil ich allzeit tue, was ihm wohlgefällig ist“, heißt es bei Johannes – und: „Das Werk habe ich vollendet.“ Heute vollendet der Vater Sein Werk durch die Verherrlichung Seines Sohnes im Himmel. Bitten wir an Seinem Himmelfahrtsfest den König der Könige darum, daß auch wir unser Werk in Seiner Gnade vollbringen und vollenden dürfen, indem wir Ihm nachfolgen auf Seinem Weg zum Himmel.
„Er hat sich hingegeben den Schlägen der Gerechtigkeit als schuldloses, heiliges Opfer und ist hinabgestiegen in die tiefsten Tiefen aller Marter und Schmach. Jetzt, wo alles gesühnt und bezahlt ist, jetzt, wo die Macht der Hölle zertreten, die Vollkommenheit des Vaters anerkannt ist und seine Rechte zurückerobert sind, wo die Pforten des Himmels der geretteten Menschheit wieder offen stehen, da war es, soweit menschliche Worte ein solch hehres Geheimnis auszudrücken vermögen, für den himmlischen Vater eine Freude, seinen Sohn zu krönen nach dem Siege, den er über den Fürsten dieser Welt errungen hatte. O unnennbar selige, göttliche Freude, die heiligste Menschheit Jesu zu rufen zu ewiger Erhöhung im Genusse von Glanz und Glück und höchster Herrschermacht!“ so schreibt Dom Marmion. Wir Zurückgebliebenen müssen diese noch verborgene Herrschermacht Jesu Christi im Glauben erfassen und ganz und gar für wahr halten, obwohl die Feinde Jesu Christi zu triumphieren scheinen. Leben wir doch in der Zeit, in der dem Tier gestattet wurde, „mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu besiegen; Macht wurde ihm gegeben über alle Geschlechter, Stämme, Sprachen und Völker. Anbeten werden es alle Bewohner der Erde, deren Namen seit Grundlegung der Welt nicht eingetragen sind im Buch des Lebens des Lammes, das geschlachtet wurde“ (Offb. 13,7f).
Da wird von uns viel Mut und Gottvertrauen gefordert: „Wenn einer in Gefangenschaft gehen soll, geht er in Gefangenschaft; wenn einer mit dem Schwert getötet werden soll, wird er mit dem Schwert getötet werden. Hier muß sich die Standhaftigkeit und der Glaube der Heiligen bewähren“ (Offb. 13,10). Zusammen mit unserem Herrn werden wir allen Anfechtungen des Teufels widerstehen können, denn Er erringt im Verborgenen der Seele der Gerechten Seine Siege. Lassen wir Ihn darum vor allem in jedem hl. Meßopfer in unserer Seele siegen, indem wir uns aus ganzem Herzen mit Ihm freuen und zusammen mit den Chören der Engel und den Scharen der Heiligen ins ewige Sanktus einstimmen.
Vertrauen wir uns zudem an diesem Festtag ganz besonders der Himmelskönigin an. Sie ist nicht mit ihrem Sohn in den Himmel aufgefahren, sondern hat noch eine ganze Reihe von Jahren in dieser Welt gelebt, um der jungen Kirche beizustehen. Wie groß muß ihr Heimweh nach dem Himmel gewesen sein. Die Größe dieses Heimwehs könnte letztlich nur derjenige recht begreifen, der die Liebe Mariens zu ihrem Sohn begreift. Wie groß muß für Maria der Schmerz der Trennung gewesen sein! War für sie nicht das Leben in diesem Jammertal fern von ihrem Sohn ein ständiges Martyrium? Dennoch hat sie um ihres Sohnes willen der jungen Kirche mit Freuden gedient. Ihr Herz war immer bei ihrem Sohn, weshalb auch ihre Taten ein unermeßlicher Segen waren – ihre Gebete, ihre Tugenden, ihre Worte und Ratschläge. Wie groß muß dabei ihre Himmelssehnsucht gewesen sein? War es nicht ein beständiges Wunder, daß sie nicht vor Liebe starb?
Bitten wir die Königin des Himmels darum, daß sie uns durch ihre gütige Fürsprache etwas von ihrer Himmelsehnsucht schenken möge. Erfleht doch die hl. Kirche am Fest der Himmelfahrt unseres Herrn diese Gnade mit den Worten: „Allmächtiger Gott, wir bekennen gläubig, daß am heutigen Tag Dein Eingeborener, unser Erlöser, zum Himmel aufgefahren ist, und bitten nun: gib, daß auch wir mit unserem Geiste im Himmel wohnen. Durch Ihn, unseren Herrn…“