Unheilige und heilige Reformatoren

Ein Blick in die Geschichte kann immer hilf- und zudem lehrreich sein. Bringt doch der geschichtliche Abstand mit sich, viel leichter ein Geschehen objektiv beurteilen zu können, insofern die geschichtlichen Bezugsquellen nicht schon verdorben sind, was heutzutage zugegebenermaßen immer mehr der Fall ist und ein Urteil über vergangene Geschehnisse erschwert. Dennoch ermöglicht auch heute noch ein Abstand von mehreren Jahrhunderten zu einem Ereignis, dieses nüchtern und sachlich zu betrachten, wenn man nur die Mühe auf sich nimmt, die echten Geschichtsquellen ausfindig zu machen. Zudem kommt bei Ereignissen der Vergangenheit immer schon eine wesentliche Hilfe im Urteil hinzu: Man weiß jedenfalls, wie die Sache ausgegangen ist. Solange man sich inmitten der geschichtlichen Wirren befindet, ist es oft recht mühsam, den Ausgang einer Sache richtig einzuschätzen.

Für uns Katholiken ist die Zeit der Reformation eine sehr lehrreiche Zeit. Gab es doch damals manches, was mit unseren heutigen Wirren vergleichbar ist, wenn dabei auch immer ein entscheidender Unterschied im Auge behalten werden muß: Damals waren die Päpste noch echte, legitime Päpste, was nun schon seit Jahrzehnten nicht mehr der Fall ist. Daraus erklären sich auch die wichtigsten Unterschiede, wie wir noch zeigen wollen.

Unheilige Paten einer neuen Religion

Jedem echten Katholiken muß in den letzten Jahren besonders eines aufgestoßen sein, daß es nunmehr Heilige geben soll, die, vorsichtig ausgedrückt, zumindest sehr zweifelhaft sind. Zur Zeit der protestantischen Reformation gab es etwas durchaus Vergleichbares. Obwohl die Protestanten, wie jeder weiß, die Heiligenverehrung rundweg ablehnten, ja als Götzendienst verschrien, wurden die sog. Reformatoren zu Heiligen hochstilisiert. Und selbst heute gibt es durchweg noch Protestanten, denen ein Angriff auf einen ihrer Religionsstifter einem Kapitalverbrechen gleichkommt. Dabei war das Leben ihrer Helden alles andere als vorbildlich, was wir kurz anhand einiger Auszüge aus der Schrift von Abbé de Ségur „Vertrauliche Unterhaltungen über den Protestantismus“, erschienen im Jahre 1859 im Verlag Franz Kirchheim, Mainz, darlegen wollen. Zunächst stellt Abbé de Ségur die Frage: „Ist es möglich, daß Gott Luther und Calvin erwählt habe, um die Religion zu verbessern?“ Seine Antwort darauf lautet wie folgt:

„Gott ist heilig; also hat er auch weder Luther, noch Calvin, noch Zwingli, noch Heinrich VIII., noch die Anderen erwählen können, seine Kirche zu verbessern. ‚Niemals‘, sagt der protestantische Geschichtsschreiber Cobbet, hat die Welt in einem und demselben Jahrhundert so viele verwerfliche Menschen wie Luther, Zwingli, Calvin u.s.w. waren, beisammen gesehen; der einzige Punkt der Lehre, in welchem sie miteinander übereinstimmen, war die Entbehrlichkeit der guten Werke und ihr Leben dient zum Beweis, wie ungemein aufrichtig sie es mit diesem Grundsatz meinten.‘
Luther war trotz der Glut seiner volkstümlichen Beredsamkeit und der kraftvollen Härte seines Geistes in Wirklichkeit nur ein schlechter Priester; etwas Verächtlicheres und Entwürdigenderes als einen solchen kann es aber nicht geben.
Calvin, gleichfalls Geistlicher, war der widernatürlichen Unzucht überführt und deshalb vom Henker gebrandmarkt worden.
Zwingli, Pfarrer zu Einsiedeln, gestand öffentlich und in Gegenwart seines Bischofs, daß er schon seit einer langen Reihe von Jahren seinen schmachvollen Leidenschaften gefrönt habe, und daß er deshalb eine Ehefrau nehmen wolle, um seine Lebensweise in Einklang mit dem Gesetz zu bringen.
Alle Heiligen der Reformatoren gehören mehr oder minder zu dieser Klasse. Jedermann kennt die ‚makellose‘ Reinheit des Reformators Englands. Dieser Wüstling, ein wahrhafter Blaubart. [Blaubart ist ein Mann aus dem gleichnamigen Märchen. Er hatte sechs Ehefrauen, denen er nacheinander, sobald er ihrer überdrüssig geworden war, das Haupt abschlagen ließ.] Seine Tochter, die ‚jungfräuliche‘ Königin Elisabeth, die dem Werke Heinrich’s VIII. die Krone aufsetzte, genießt desfalls einer nicht geringeren Berühmtheit. Dasselbe Beil durchschnitt den Hals der Buhlerinnen des Vaters und die Liebhaber der Tochter.
Calvin im Besonderen verdient unsere Aufmerksamkeit als Franzose, denn er hat den Protestantismus in unserem Lande eingeführt. Niemand hat ihn besser gezeichnet als der Calvinist Galiffe in seinen im Jahre 1836 zu Genf selbst erschienen ‚Genealogischen Notizen‘: ‚Dieser durch seine Verbrechen berüchtigte Mensch‘, so sagt er von Calvin, ‚der das Banner der wildesten Unduldsamkeit, des dicksten Aberglaubens und der gottlosesten Glaubenssätze aufpflanzte; ein schreckenerregender Apostel, dessen heimlichen Gerichte Nichts entrinnen konnte; der in den beiden Jahren 1558 und 1559 vierhundert und vierzehn peinliche Urteilssprüche vollziehen ließ u.s.w.‘
Herr Galiffe nennt ihn einen Bluthund und belegt eine jede seiner Äußerungen über ihn durch Stellen aus den Schriften Calvins selbst und durch Tatsachen, die in den öffentlichen und amtlichen Archiven zu Genf sich aufgezeichnet finden.
Was Luther anlangt, einen abtrünnigen Mönch, der mit einer ihrem Gelübde untreu gewordenen Nonne eine Ehe einging, so lautet das Urteil der Protestanten über ihn nicht minder streng. Luther führte nach seinem Abfall das Leben eines Wüstlings, der nur nach den Gelüsten der Tafel und nach rohen Vergnügungen trachtete, so daß, wenn man sich irgendeine Ausschweifung erlauben wollte, man sprichwörtlich zu sagen pflegte: ‚Heute wollen wir einmal leben wie Luther‘; so erzählt wenigstens der protestantische Schriftsteller Benedikt Morgenstern. Die Tischgespräche Luthers, die man noch in einigen übel berüchtigten Buchhandlungen in der Reihe der sittengefährdeten Bücher findet, atmen eine solche Gemeinheit, daß es uns nicht möglich ist, Stellen aus denselben anzuführen. Jedermann kennt das abscheuliche Tischgebet, das von der Hand Luthers selbst geschrieben und dessen Echtheit noch niemals in Zweifel gezogen worden ist:
‚Gott, verschaffe uns in Deiner Güte Kleider, Hüte, Kapuzen und Mäntel, fette Kälber, Ziegen, Ochsen, Hämmel und Kühe, viele Weiber und wenige Kinder. Gut trinken und gut essen ist das wahre Mittel, um glücklich zu sein!‘
Und man will uns glauben machen, solche Geschöpfe seien von unserem Herrn Jesus Christus den Christen gesendet worden, um die Kirche zu ihrer ursprünglichen Reinheit wieder zurückzuführen!
Wahrlich, ebenso könnte man mit den Türken sprechen: Gott ist Gott und Mohamet ist sein Prophet!
Der gesunde Menschenverstand muß hier lauter reden, als alle Lügen, die man in die Geschichte einzuschmuggeln versucht hat, um diese vorgeblichen Reformatoren wiederum zu Ehren zu bringen. Die katholische Kirche hat unseren Herrn Jesus Christus zu ihrem Stifter und zu Aposteln St. Petrus, St. Paulus, St. Johannes.
Der Protestantismus aber hat zu Stiftern Luther und zu Aposteln Calvin, Zwingli und Genossen. Nun urteilt und wählt.“

Es ist schon recht verblüffend, daß eine solche Reihe von unheiligen Heiligen für eine neue Religion Pate stehen konnte. Haben die damaligen Menschen keine Augen im Kopf gehabt, daß sie diese Tatsachen übersehen konnten? Oder wollten sie womöglich keine Augen im Kopf haben, weil ihnen die neue Lehre allzu sehr nach dem eigenen Munde redete? Als mildernden Umstand muß man wohl anführen, daß sich die protestantischen Führer durchaus bemühten, das wahre Leben ihrer Reformatoren in einem besseren Licht darzustellen als es in Wirklichkeit war. Und es gab damals tatsächlich etwa Lutherbilder mit Heiligenschein! Also haben manche Protestanten, obwohl sie die Heiligenverehrung ablehnten, wenigstens ihren Luther als „Heiligen“ verehrt. Das ist freilich nur eines der Kuriositäten des Protestantismus. Hinzu kam das in solchen Situationen weitverbreitete Verhalten, die Mücke auszuseihen, den Elefanten aber zu verschlucken. Während die Protestanten sich über das Leben der Päpste im höchsten Maße erregten und in diesen gemäß ihrem Meister Luther den Antichristen sahen, erblickten sie in Luther einen Erneuerer der Religion und Sitten. Dabei waren wohl selbst die moralisch anrüchigsten Päpste der Renaissance verglichen mit Luther, Calvin und Zwingli zumindest ehrenwerte Leute. Aber wenden wir uns aus der Vergangenheit der Gegenwart zu.

Neue „Heilige“ und neue „Heiligkeit“

Gibt es nicht inzwischen ebenfalls eine ganze Reihe von „Heiligen“, deren Heiligkeit man mit mehr als berechtigten Gründen bezweifeln muß? Ja, sogar Heilige, bei denen man sich fragen muß, wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, so einen Menschen heiligsprechen zu wollen! Das ist wie damals mit Luther, Calvin und Zwingli... Heute haben wir einen „heiligen“ Angelo Giuseppe Roncalli alias Johannes XXIII., einen „heiligen“ Giovanni Battista Monitini alias Paul VI. und einen „heiligen“ Karol Józef Wojtyla alias Johannes Paul II. Bei solchen „Heiligen“ fragt sich nun wirklich jeder aufrechte Katholik, wie kann man denn nur auf die Idee kommen, diese Männer für Heilige zu halten? Das ist doch nur dann möglich, wenn man nicht mehr weiß, was ein Heiliger ist. Das muß letztlich auch bei den damaligen Protestanten der Fall gewesen sein. Wer Luther, Calvin und Zwingli für Heilige hält, der beweist damit, daß er nicht mehr weiß, was ein Heiliger ist. Ebenso gilt aber auch heute: Wer Roncalli, Montini und Wojtyla für Heilige hält, der weiß nicht mehr, was ein Heiliger ist. Noch etwas konkreter gesprochen heißt das, er weiß nicht mehr, was den Heiligen von einem sonst einigermaßen anständigen und frommen Menschen unterscheidet – denn wenigstens als solche wird man doch die Reformatoren damals den Leuten lügnerisch verkauft haben.

Heroische Tugend – die Wirksamkeit der Gnade

Ein Heiliger muß sich durch eine heroische, d.h. heldenhafte Tugend auszeichnen. Eine solche Tugend ist nämlich ein sicheres Zeichen der Wirksamkeit der Gnade, kann sie doch nicht mit der Kraft der Natur erworben werden. Es gibt schließlich auch Nichtchristen, die ein einigermaßen ordentliches Leben führen und gewisse natürliche Tugenden üben, aber es gibt keinen Nichtchristen, der eine heroische Tugend übt, weil er dazu von Natur aus gar nicht in der Lage ist und sein kann, fehlt ihm doch die notwendige Gnadenhilfe.

Wie aber war es möglich, etwa bei Angelo Roncalli eine heroische Tugend festzustellen? Nicht lange bevor man in Rom dieses famose Kunststück fertigbrachte, meldete eine deutsche, von den Bischöfen unterstützte Zeitung, man müsse das Verfahren einstellen, da doch allgemein bekannt sei, daß Roncalli nicht nur sehr viel, sondern auch die auserlesensten Speisen bevorzugte. Wo ist da bitte eine heroische Tugend, wenn man sich nicht einmal beim Essen beherrschen kann? Jeder weiß, das Verfahren zur Heiligsprechung Roncallis wurde nicht eingestellt, vielmehr wurde ihm der heroische Tugendgrad zuerkannt, womit nunmehr wohl die heroische Tugend darin erkannt wird, daß man nicht nur sehr viel ißt, sondern zudem nur ganz auserwählte Speisen bevorzugt. Das ist dann wohl die neue heroische Tugend des Gourmets in der Menschenmachwerkskirche. Auf andere Defizite Roncallis, etwa bezüglich des Glaubens, soll hier erst gar nicht eingegangen werden.

Neue „Tugenden“ – taugen, aber wozu?

Und weiter, kann es Giovanni Battista Montini nicht durchaus mit Calvin an Sittenverderbnis aufnehmen? Und Karol Józef Wojtyla an subversiver Kraft bei der Glaubenszerstörung mit Luther? Wie Luther einen „neuen“ Glauben erfunden und als das wahre Evangelium verkündet hat, so ebenfalls Karol Józef Wojtyla – wobei das „Neue“ an diesem Glauben jeweils nur in neu aufgewärmten Irrtümern der Vergangenheit bestand. Die Mehrheit der Menschenmachwerkskirchler aber hält diese Männer für Heilige, wie damals die Protestanten Luther, Calvin und Zwingli für Heilige hielten und z.T. noch halten.

Gerade bei den sog. Konservativen und Traditionalisten werden diese Männer ganz selbstverständlich neben den wahren Heiligen der katholischen Kirche als Heilige angeführt. Erst kürzlich wurde bei einem Exerzitienkurs der Piusbrüder der „heilige Papst Johannes Paul II.“ angerufen. Da muß man sich doch die Frage stellen: Was ist da eigentlich passiert, daß man diese unheiligen Männer überhaupt für Heilige halten kann? Es ist offensichtlich wie damals bei den Protestanten das gesunde, katholische Urteilsvermögen ruiniert worden. Denn kein echter Katholik kann solch unheilige Gesellen mit wahren Heiligen verwechseln. Diese Leute schon! Bei einer Predigt „Kardinal“ Burkes etwa mußten sich die Zuhörer Folgendes anhören: „Der heilige Papst Johannes Paul II. hat uns in Übereinstimmung mit dem heiligen Karl Borromäus, seinem eigenen Namenspatron, daran erinnert, …“ Da wird tatsächlich in einem Atemzug Karol Józef Wojtyla mit dem hl. Karl Borromäus genannt und beide gleichermaßen als Heilige bezeichnet – der arme hl. Karl Borromäus, kann man da nur sagen!

Der Nachweis der göttlichen Sendung: Heiligkeit und Wunder

Kommen wir nochmals auf unser Buch von 1859 zurück. Abbé de Ségur geht darin auch noch der Frage nach: „Haben die Apostel des Protestantismus den Beweis für ihre vorgebliche Sendung erbracht?“ Das ist doch durchaus wichtig, ja urteilsentscheidend: Gibt es einen untrüglichen Nachweis für eine göttliche Sendung? Wenn nicht, könnte sich ja jeder als großer Prophet aufspielen. Hören wir die Antwort:

„Es gibt zwei untrügliche Zeichen, woran man erkennt, ob ein Mann, der sich für einen Reformator der Kirche ausgibt, wirklich von dem allgütigen Gott gesendet ist.
Diese beiden Zeichen sind die Heiligkeit und die Gabe, Wunder zu wirken.
Von der Heiligkeit kann bei Luther und Calvin keine Rede sein. Man weiß, woran man sich in dieser Hinsicht zu halten hat, und die verständigen und rechtschaffenen Protestanten können nur erröten, wenn man sie an diese Namen erinnert.
Was die Gabe, Wunder zu wirken, anlangt, so hätten sich die vermeintlichen Reformatoren wohl im Besitze derselben gewünscht, allein man wirkt nicht Wunder, wie man Sekten stiftet. Der beißend-satirische Erasmus sagt spottend, ‚sie alle miteinander hätten noch nicht einmal ein hinkendes Pferd zu heilen vermocht.‘
Calvin wollte einmal ein kleines Wunder versuchen, unglücklicherweise aber mißlang der Versuch. Er hatte nämlich irgendeinem Geld gegeben, damit er sich tot stelle und er ihn wieder auferwecke; als er nun, begleitet von einer neugierigen Menge, der er diesen trugvollen Beweis für seine Sendung in seiner Bescheidenheit im Voraus angekündigt hatte, diese Wiedererweckung vornehmen wollte, hatte die Gerechtigkeit des Herrn das Werkzeug seines Betrugs bereits ereilt und der saubere Geselle war wirklich tot. Calvin selbst hätte, als er sich hiervon überzeugte, aus Scham und Furcht beinahe der Schlag gerührt. Diese Geschichte ist allgemein bekannt und durchaus wahr.
Luther zog sich auf eine andere Weise aus der Klemme; als Einer von ihm verlangte, er solle durch Wunderwerk beweisen, daß er im Namen und im Auftrag Gottes rede, übergoß er den Unverschämten mit einem Strom von Schmähungen und nannte ihn einen Esel, einen Hund, ein verteufelt Schwein.
Die Wundergabe, ebenso wie die Heiligkeit, hat den Vätern der Reformation gemangelt. Also sind sie auch nicht von Gott gesendet gewesen.
Welcher andere Geist aber hat sie denn mit seinem mächtigen Hauch beseelt?
Der Geist des Hochmutes, der Geist der Ausschweifung, der Geist der Empörung, der sich unausgesetzt gegen Christus und das Werk Christi auflehnt; der höllische Geist, der alle Häresien erzeugt hat und der wahrhafte Vater der protestantischen Gesetzlosigkeit ist. Vos ex patre diabolo estis. (Ihr habt den Teufel als Vater.) (Joh. 8,44)“

Heiligkeit?!

Man stelle sich einmal vor, der Betrug des Herrn Calvin wäre damals nicht aufgeflogen, dann würde er noch heute von den Calvinisten als großer Wundertäter gepriesen – was übrigens zur Zeit des Antichristen der Fall sein wird, hat doch unser göttlicher Lehrmeister vorausgesagt: „Denn es werden falsche Messias und falsche Propheten auftreten und große Zeichen und Wunder wirken, um – wenn möglich – selbst die Auserwählten irrezuführen“ (Mt 24,24). Nun haben die Römer nach ihrem schon recht dürftigen Heiligsprechungsprozeß immer noch die Mühe, wenigstens ein Wunder aufzuweisen. Aber was für kümmerliche Wunder mußten da herhalten, als es um die Heiligsprechung Roncallis, Montinis oder Wojtylas ging! In früheren Zeiten hätte man solche Wunder bei einem Heiligsprechungsprozeß niemals gelten lassen – zudem waren früher sogar mehrere Wunder vonnöten.

Dabei gilt es, hierzu festzuhalten, daß die Voraussetzung, um überhaupt heiliggesprochen werden zu können, zunächst die Reinheit des Glaubens ist. Allein aus diesem Grund wäre man früher erst gar nicht auf die Idee gekommen, für diese Männer einen Heiligsprechungsprozeß in Erwägung zu ziehen, waren sie doch alle öffentliche Häretiker. Liegt nicht auch hierin ein weiterer auffallender Vergleichspunkt mit der Reformationszeit= Damals war der Glaube durchaus nicht mehr so wichtig, glaubte doch jeder etwas anderes. Hauptsache man war gegen die katholische Kirche, alles andere war egal. Unter diesen Voraussetzungen konnten natürlich ein Luther, Calvin oder Zwingli ganz gut als Glaubenserneuerer auftreten. So wie diese gelten auch heute die sog. „Konzilspäpste“ mit ihrem Reform-„Konzil“ allgemein als Reformatoren des katholischen Glaubens. Sobald man bedenkt, daß der Modernismus letztlich aus dem Protestantismus hervorgeht, wundert einen dieser Widersinn nicht mehr.

Die modernistische Menschenmachwerkskirche hat selbstverständlich wie die Protestanten einen ganz eigenen Glauben, oder besser gesagt, ein ganz eigenes Glaubensverständnis, weil der Glaubensinhalt schon lange nicht mehr klar und fest definiert ist. Darum finden sich auch die widersprüchlichsten „theologischen“ Meinungen unter den Anhängern der Menschenmachwerkskirche, was wiederum genauso ist wie damals bei den Protestanten. Wer auch nur ein wenig in der Geschichte der Reformation bewandert ist, der weiß, daß die Herren Reformatoren bei der Auslegung des Evangeliums durchaus nicht eines Sinnes waren – wiederum wie die Modernisten. Wenn damals Melanchton nicht beständig – zum Vorteil der gemeinsamen Sache – vermittelt hätte, wäre es sicher zu endgültigen Zerwürfnissen gekommen. Aber der gemeinsame Haß gegen die Kirche Jesu Christi bewog die hitzigen Gemüter immer wieder zur gegenseitigen Nachsicht.

Zeugnis der Reformatoren über die Reformatoren

Dennoch schenkten sich die Herren im persönlichen Widerstreit nichts, wie nochmals Abbé de Ségur ausführt:

„Es gibt noch Protestanten, die dem Andenken an ihre großen Reformatoren treu geblieben und empfindlich in Allem sind, was die Stifter des Protestantismus auch nur im Entferntesten angeht. Wie einst die Söhne Noah’s die Blöße ihres Vaters bedeckten, so werfen auch sie einen Mantel über die Gebrechen ihrer Väter und fühlen sich sehr verletzt, wenn man so frei ist, in Luther und Calvin etwas ganz Anderes als heilige Männer zu erblicken. Unausgesetzt zeihen sie die katholischen Schriftsteller der Lüge und Luther und Calvin bleiben in ihren Augen, der Geschichte zu Trotz, weiß und rein wie Lämmer.
Um den Wert solcher Beschuldigungen zu ermessen und über diese neumodischen Apostel sich ein endgültiges Urteil zu bilden, will ich ganz einfach berichten, wie sich die Häupter der Reformation einander selbst beurteilen und da sie sich gegenseitig besser kannten als sonst jemand, so dürfen diese Zeichnungen wohl für naturgetreu gelten.
Machen wir den Anfang mit Luther, – dem Meister gebührt die Ehre. Calvin, sein würdiger Genosse, schildert ihn also: ‚Luther ist wahrhaftig ein großer Sündenlümmel; möge es Gott gefallen, daß er in Zukunft sich bemühe, seine Gelüste zu zähmen! Möge es Gott gefallen, daß er zu einer besseren Erkenntnis seiner Laster gelange!‘ – ‚Wann ich eine Schrift Luthers lese,‘ sagt Zwingli, ‚so glaube ich ein schmutziges Schwein grunzen zu hören, das überall die Blumen eines schönen Gartens beschnüffelt; mit derselben Unreinlichkeit, mit derselben Unverschämtheit spricht auch Luther von Gott und den heiligen Dingen.‘ Hierauf erwidert Luther in dem nämlichen Ton: ‚Zwingli bildet sich ein, er sei eine Sonne, um die Welt zu erleuchten, allein er verbreitet nur Licht wie der Kot in einer Laterne – ut stercus in lucerna.‘
Sehen wir weiter, welches Urteil über Calvin von seinen Reformationsbrüdern gefällt worden ist, die doch eigentlich seine Fehler mit größerer Vorsicht bemänteln sollten: ‚Calvin‘, sagt Volmar, sein erster Anhänger, ‚ist aufbrausend und lasterhaft; um so besser, denn einen solchen Mann brauchen wir, um unsere Angelegenheiten zu fördern.‘ Bucer, ein abtrünniger Mönch und verheirateter Priester, bemerkt: ‚Calvin ist wahrhaftig ein toller Hund; der Mann ist grundschlecht… Hüte dich, christlicher Leser, vor den Büchern Calvin’s!‘ – Wollt ihr aber wissen, wie Theodor von Beza, Calvin’s Lieblingsschüler, mit seinem Meister umgeht, so höret: ‚Calvin hat sich niemals weder an die Enthaltsamkeit noch an anständige Sitten, noch an die Wahrhaftigkeit gewöhnen können; er hat sich stets nur im Kot gewälzt.‘
Zwingli wurde, wie sein Schüler Bullinger erzählt, wegen seiner Ausschweifungen und in Folge seines verbrecherischen Umganges mit mehreren Frauen von seiner Pfarrei fortgejagt; als Priester und Pfarrer verehelichte er sich nach dem Beispiel Luthers. ‚Wenn man euch sagt‘, schreibt Zwingli in einem seiner Briefe, ‚ich sündige aus Hochmut, Gefräßigkeit und sinnlicher Lüsternheit, so glaubet es nur unbedenklich, denn ich fröhne diesen Lastern und vielen anderen.‘ Luther sagte von ihm, er sei ein Satan und man müsse an seinem Seelenheile gänzlich verzweifeln.
Und welches Urteil haben die eifrigsten Anhänger der Reformation über Theodor von Beza gefällt, über jenen frommen Mann, den wir in den protestantischen Schriften so oft und so hoch gepriesen finden? ‚Wer wird sich nicht über die unglaubliche Schamlosigkeit dieses Ungeheuer’s verwundern‘, sagt der Protestant Heßhusius, ‚dessen schmutziges und verruchtes Leben durch seine mehr als hündischen Epigramme in ganz Frankreich bekannt geworden ist? Und dennoch wird man euch glauben machen wollen, er sei ein Heiliger, ein zweiter Hiob oder ein neuer Einsiedler in der Wüste, viel größer noch als St. Johannes und St. Paulus, so laut posaunt man überall von seiner Verbannung, von seinem Leiden, von seiner Reinigkeit und von der bewundernswürdigen Heiligkeit seines Lebens.‘ …
Genug aber hiervon; man müßte ganze Bände voll schreiben, wenn man alle Vorwürfe und alle Schmähungen, mit denen diese vorgeblichen Reformatoren sich gegenseitig überhäuften, wiedergeben wollte; auch sind die übrigen Stellen, die wir noch anzuführen hätten, zum größten Teil von solcher Art, daß man einen anständigen und christlichen Leser notwendig damit verschonen muß.
Die Protestanten möchten allerdings diese für sie so wenig ehrenvollen, aber sehr belehrenden Enthüllungen gerne der Vergessenheit übergeben wissen und ich begreife wohl, daß ihr Stolz darunter leidet, allein angesichts der unausgesetzten Bestrebungen der Protestantischen Bekehrungssucht ist es notwendig, daß das Licht sich Bahn breche und Gerechtigkeit geübt werde.“

Ein beileibe be-, ja erdrückendes Erbe hat der Protestantismus zu verwalten. Weil jedoch die wenigsten Menschen der Wirklichkeit ins Auge sehen können, hat man das Ganze von Anfang soweit wie möglich beschönigt und schließlich kurzerhand die Herren Reformatoren ganz entgegen den geschichtlichen Tatsachen zu Heiligen hochstilisiert. Wie der Protestant Heßhusius damals feststellte: „Und dennoch wird man euch glauben machen wollen, er sein ein Heiliger, ein zweiter Hiob oder ein neuer Einsiedler in der Wüste, viel größer noch als St. Johannes und St. Paulus, so laut posaunt man überall von seiner Verbannung, von seinem Leiden, von seiner Reinigkeit und von der bewundernswürdigen Heiligkeit seines Lebens.“

Die modernen Reformatoren haben offensichtlich etwas dazugelernt, sie enttarnen sich nicht mehr gegenseitig so schonungslos und hauen sich nicht mehr ihre eigenen Sünden und Fehler gegenseitig um die Ohren. Das wohl auch deshalb, weil sie nunmehr einer einzigen Partei entstammen! Man bemüht sich eifrig, den Schein der Heiligkeit in der Öffentlichkeit zu wahren und sich schon zu Lebzeiten gegenseitig heiligzusprechen. Kaum ist ein „Papst“ tot, wird verkündet: Sofort heilig! Alle kirchenrechtlichen Regeln werden sodann außer Acht gelassen und es wird im Schnellverfahren heiliggesprochen, so als könnte man es gar nicht erwarten, wieder einen falschen Heiligen zur „Ehre der Altäre“ zu erheben. Bei diesem unheiligen Spiel ist auffallend, daß selbst die Medien bei dieser Scheinheiligkeit mitspielen und - was doch recht leicht wäre - die unheiligen Heiligen nicht enttarnen. Es ist wirklich wie damals bei den Protestanten, eine unheilige Kirche braucht schließlich auch unheilige Heilige. Beides muß doch zusammenpassen und der Teufel muß etwas zu lachen haben, wenn plötzlich seine Leute auf den Altären verehrt werden. Da ist ihm gegenüber dem Protestantismus noch ein weiteres Meisterstück gelungen: Die Dämonen sind zurückgekehrt und tanzen auf den Altären der Menschenmachwerkskirche.

Ein neuer Glaube in einer neuen „Kirche“

Die Wirkung des Beispiels dieser unheiligen Heiligen muß naturgemäß weitreichend sein: Die Weltoffenheit im Sinne Roncallis, so daß man in seiner „Kirche“ die Fenster zur gottlosen Welt öffnen muß, damit frische Luft ins innere der Kirche kommt; die neuen „Sakramente“ Montinis und der Götzendienst eines Wojtyla werden vom Kirchenvolk als ganz normal empfunden, denn es waren schließlich Heilige, die dies alles vollbracht haben. Es sollte eigentlich niemanden wundern, sobald sich ein Katholik Glaubenszerstörer als heilige Vorbilder nimmt, wird auch sein eigener Glaube wesensnotwendig zerstört. Zudem wird das „sentire cum ecclesia“, das katholische Denken, letztlich ganz und gar verunmöglicht, existiert doch die grundlegende Unterscheidungsfähigkeit auf der Grundlage des übernatürlichen Glaubens schon nicht mehr, wie das Fehlurteil bezüglich dieser unheiligen Heiligen untrüglich beweist.

Wie gesagt ist der Modernismus – in allen seinen Formen, egal ob progressiv, konservativ oder traditionalistisch – immer eine Abart des Protestantismus, ja die ausgereifte Form desselben. Genauso wie jeder Protestant seinen eigenen Glauben hat, ist er doch immer selbst seine eigene Glaubensnorm, so auch der Modernist. Seine Verwiesenheit auf die Kirche und ihr Lehramt ist nur noch ein Ressentiment aus der Vergangenheit und hat kein theologisches Fundament mehr. Wirklich zu sagen hat dem Modernisten das Lehramt schon lange nichts mehr. Darin sind sich Progressisten und Traditionalisten letztlich mit den Protestanten einig. Wobei die Protestanten wenigstens noch konsequent waren, haben sie doch gleich Kirche und Lehramt geleugnet, die Kirche als übernatürliche Gemeinschaft und das unfehlbare Lehramt des Papstes ist damit gemeint. Als notwendige Folge davon mußten sie jedoch ihre Organisationsstrukturen den Fürsten unterstellen und ihre Lehre der Willkür der Prediger preisgeben.

So weit wollten die Konservativen und Traditionalisten nicht gehen, sie leugnen beides nicht direkt, sondern indirekt. Denn indem sie die kirchlichen Institutionen ausdrücklich den römischen Häretikern und Apostaten unterstellen, sind sie gezwungen, wie die Protestanten ihr eigenes Urteil ständig über das des Lehramtes zu stellen. Ihr Papst ist nicht mehr als der Fürst bei den Protestanten. Bei vielen Traditionalisten etwa hat es sich eingebürgert, bei neuen „Heiligsprechungen“ die „Heiligen“ selbst auseinanderzusortieren, also in echte und unechte einzuteilen, wodurch sie in der Tat selber die Heiligsprechung übernehmen, was sie freilich schon wieder nicht mehr wahrnehmen, hat doch die Unfehlbarkeit des Papstes schon lange keinerlei praktische Bedeutung mehr für ihren Glauben.

Bei den Konservativen dagegen werden nunmehr, seit Bergoglio, die alten „heiligen“ „Päpste“ – also Johannes XXIII. und Johannes Paul II. – gegen den jetzigen „Papst“ ausgespielt, worin wieder einmal zum Ausdruck kommt – und darin sind sich letztlich alle einig –, daß sie doch selber viel besser wissen als ihr „Papst“, was katholisch ist und was nicht bzw. was sie sich selber einbilden, daß es der katholische Glaube sei oder nicht. Die „heiligen“ Konzilspäpste“ dienen hierbei nur noch als Alibi, um den Protestantismus zu vertuschen. Wenn man schon nicht den lebenden Papst auf seiner Seite hat, dann doch wenigstens den toten, der immerhin ganz anders als der lebende ein „Heiliger“ war. An Absurdität ist dieses konservative und traditionalistische Getue wohl kaum noch zu übertreffen.

Es wurde auch schon öfters darauf hingewiesen, daß mit den weißen Männern in Rom seit dem 2. Vatikanum natürlich auch die sog. nachkonziliare Reform heiliggesprochen werden sollte. Da heißt es dann zwar noch beschwichtigend, Mißbräuche und Falschinterpretationen gibt es immer, der Kern aber ist gut! Nicht das Konzil, sondern ein gewisser Geist des Konzils ist schlecht. Letztlich mußte sich die Kirche der Welt anpassen, wenn sie überleben wollte. Damit ist das Grunddogma aller Liberalen formuliert.

Der hl. Karl Borromäus – Ein Heiliger in der Nachfolge Christi

Werfen wir noch einen Blick auf einen wirklichen Reformer der Reformationszeit. Ludwig Freiherr von Pastor hat ein Buch mit dem Titel herausgegeben: „Charakterbilder katholischer Reformatoren des XVI. Jahrhunderts“. Darin findet sich auch eine kurze Lebensbeschreibung des hl. Karl Borromäus. Dieser war das Musterbeispiel eines tridentinischen Bischofs, also eines Bischofs, der die Beschlüsse des Tridentiner Konzils ernst genommen und konsequent umgesetzt hat. Dabei kommt in seiner Lebensbeschreibung auch zum Ausdruck, wie mühsam es für den Heiligen war, den rechten Weg entgegen den gesellschaftlichen Vorstellungen der damaligen Zeit zu finden. Der hl. Karl hatte sich gerade nicht der gottlosen Welt gegenüber geöffnet, sondern dieser die evangelischen Räte entgegengehalten, die nichts anderes sind, als eine wahre, ernstgenommene Nachfolge Christi.

Schon in der Jugend zeichnete sich der Heilige durch besondere Charakterfestigkeit aus. All den Gefahren des Studentenlebens widerstand er beharrlich. Er bewahrte die Reinheit seiner Seele inmitten seiner leichtsinnigen Kommilitonen. „In früher Jugend für den geistlichen Stand bestimmt und durch einen Hauslehrer dafür vorgebildet, bezog der Sproß des alten Aroneser Adelsgeschlechtes bereits 1552, kaum vierzehnjährig, die Universität Pavia, um die Rechte zu studieren. Der Vater hatte ihm einen Hofmeister beigegeben, aber Carlo sah sich bald genötigt, ihn als untauglich zu entlassen; so war er gleich beim Scheiden vom väterlichen Hause tatsächlich auf sich allein gestellt und mußte sich selbständig seinen Weg suchen. Erfüllt von dem Gedanken, daß er es seiner Familie und namentlich den beiden Oheimen, dem Feldherrn und dem Kardinal, schuldig sei, etwas Tüchtiges zu leisten, verlegte er sich mit aller Kraft auf die Studien. Mit starken Unterbrechungen, die zum Teil durch Überanstrengung notwendig wurden, beendete er sie 1559 durch ein glänzendes Doktor-examen. Seinen religiösen Pflichten kam Carlo gewissenhaft nach und bewahrte sich inmitten der verdorbenen Universitätsstadt seine Sittenreinheit unbefleckt“ (Ludwig Freiherr von Pastor, Charakterbilder katholischer Reformatoren des XVI. Jahrhunderts, Herder & Co G.M.B.H. Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau 1924, S. 105ff. Auch alle folgenden Zitate stammen aus demselben Buch).

Vita des heiligen Karl Borromäus

1. Staatssekretär Papst Pius‘ IV.

Den damaligen Gewohnheiten gemäß ernannte Papst Pius IV. im März 1560 seinen erst einundzwanzigjährigen Neffen Carlo Borromeo zu seinem Geheimsekretär. Der Wahl lag eine Erwägung zugrunde, die auch viele seiner Vorgänger zu ähnlichen Schritten bewogen hatte: Der Papst glaubte gegenüber dem Parteiwesen an der Kurie und im Kardinalkollegium nur unter seinen Verwandten einen zuverlässigen Vertrauten und Mitarbeiter finden zu können. Dazu führt Ludwig von Pastor noch näher aus:

„Daß die Wahl gerade auf Carlo Borromeo fiel, wurde entscheidend für seine ganze Regierung. Er fand in ihm vor allem das, was er als selbständiger Charakter suchte: einen pflichttreuen Gehilfen, der mit größter Hingebung, ausdauerndem Fleiße und unerschöpflicher Geduld bemüht war, die Weisungen des Oberhauptes der Kirche auszuführen.
Die kurialen Kreise wie die Diplomaten waren von dem neuen Staatssekretär wenig befriedigt. Sie durften sich keine Hoffnung machen, durch den jugendlichen Neffen Einfluß auf den alten, welterfahrenen Papst zu gewinnen. Zudem waren die strenge Lebensweise und die durch und durch kirchliche Gesinnung Carlos durchaus nicht nach dem Geschmack dieser Kreise, deren Ideal noch immer der Nepotentypus der Renaissancezeit war. Carlo Borromeo hatte davon auch nicht das Geringste an sich. Schon sein Äußeres war weder durch Schönheit anziehend noch durch Majestät imponierend. Seine überaus große Bescheidenheit bewirkte, daß er beim ersten Begegnen nicht den Anschein einer bedeutenden Begabung erweckte. Seine mehr auf Gründlichkeit als auf den äußern Glanz gerichtete Geistesanlage drängte ihn nicht, sich mitteilsam zu zeigen oder sich geltend zu machen. Ein Zungenfehler, der ihn beim Reden sich überstürzen ließ und den er erst allmählich sich abgewöhnte, verstärkte noch den ungünstigen Eindruck; seine bescheidene Zurückhaltung wie die Gewissenhaftigkeit, mit der er es vermied, seine Stellung zu seiner Bereicherung auszunützen oder das Leben nach der Weise des Renaissancemenschen zu genießen, wurde ihm erst recht als Beschränktheit ausgelegt. In den Gesandtschaftsdepeschen, welche über die Anfänge des jugendlichen Staatssekretärs berichten, erscheint er als ein frommer und guter, aber für die Geschäfte dieser Welt wenig tauglicher Charakter. Mit der Zeit lautete aber das Urteil auch der venezianischen Gesandten günstiger. Wer näher mit Carlo verkehrte, dem konnte nicht entgehen, daß er einen scharfen Verstand, ein klares Urteil besaß, und was ihm etwa an Schnelligkeit der Auffassung abging, durch rastloses Nachdenken ersetzte. Seine große Energie ermöglichte es ihm, oft sechs bis sieben Stunden ununterbrochen und ohne zu ermüden ein wichtiges Geschäft nach allen Seiten hin zu überdenken, ehe er zu einem festen Entschlusse schritt.“

Die göttliche Vorsehung hatte dem jungen Kardinal das zugedacht, was ihm auf seinem Weg zur Heiligkeit von Nutzen sein konnte. Während sein Äußeres wenig anziehend und auch seine Rednergabe durch einen Zungenfehler schwer beeinträchtigt war, hatte er ein gesundes Urteil und den Hang zur Gründlichkeit in all seinen Arbeiten. Ihm fielen die Sympathien der anderen nicht einfach in den Schoß, sondern er mußte sich diese durch harte Arbeit und Sachkompetenz mühsam erwerben. Dabei zeichnete er sich besonders durch eine Fähigkeit aus:

„Die bezeichnendste Eigenschaft des künftigen Reformators, sein außergewöhnliches Regierungs- und Verwaltungstalent, tritt schon in seinen Studienjahren stark hervor. Er mußte in Pavia selbst seinen Haushalt führen und die Diener überwachen und entledigte sich dieser Aufgabe trotz vielen Schwierigkeiten und beständigem Geldmangel mit großem Geschick. In den Ferien und während der Pausen in seinen Studien besorgte er, wenn der Vater abwesend war, die Verwaltung der väterlichen Güter, und nach dem Tode des Vaters (1558) erklärte sich sein älterer Bruder Federigo sehr damit einverstanden, daß Carlo die Leitung der Familie wie des väterlichen Vermögens in seine bereits erprobten Hände nahm. Nach der Unsitte der Zeit war er schon als Kind zum Kommendatarabt [Verwaltungsamt] einer Benediktinerabtei ernannt worden. Die Einkünfte daraus ließ er mit Erlaubnis des Vaters zum größten Teil den Armen zukommen. Auch versuchte er mit Erfolg die Reform der Mönche. Als gütliche Mittel nicht fruchteten, sorgte er dafür, daß auch Gefängnisstrafen zur Anwendung kamen.“

Der jugendliche Karl war durchaus kein verwöhntes Muttersöhnchen. Schon früh mußte er sein Leben selbst meistern und bewies dabei ein gutes Geschick bei der Verwaltung der Familiengüter. Auch die Sorge um die Armen und die Besserung der Kirchenzucht lag ihm schon damals am Herzen. Zudem fiel der junge Mann durch eine solide Frömmigkeit auf, die in diesen Kreisen eher selten war.

„Daß der jugendliche Nepot sich durch all diese Ehren und Reichtümer nicht zum Lebensgenuß verleiten ließ, erregte die Verwunderung der auswärtigen Gesandten. Auch war nicht die geringste Anwandlung von Hochmut an ihm zu bemerken. Sein Wandel blieb nach dem einstimmigen Zeugnis der Zeitgenossen völlig fleckenlos. Mit brennendem Arbeitseifer warf er sich in die Geschäfte hinein, so daß in der ersten Zeit seine Diener für die Gesundheit ihres Herrn bangten. Es bleibe ihm kaum Zeit, ruhig zu essen und zu schlafen, schreibt einer seiner Familiären; man möge Carlos Oheim, den Grafen Francesco, veranlassen, daß er im Verein mit Graf Guido Borromeo seinem Neffen sooft wie nur möglich Vorstellungen mache, denn gegen die Bitten seiner Diener sei er taub. Carlo selbst schreibt am 22. Januar 1560, er sei gesund trotz der ,unendlichen‘ Anstrengungen, aber es komme ihn hart an, nur fünf bis sechs Stunden Schlaf erübrigen zu können. Mit Verzicht auf seine eigenen Neigungen und Pläne stellte er sich ganz dem Papst zur Verfügung. Tagsüber hielt er sich möglichst in der Nähe des Oheims auf, und jeden Morgen ging er mit dem geschäftsleitenden Sekretär der Staatskanzlei, Tolomeo Galli, zu ihm, um zwei bis drei Stunden lang Vortrag über die zu erledigenden Berichte und Gesuche zu halten.“

Die Nahtstelle in der vatikanischen Politik

Der päpstliche Geheimsekretär war die Nahtstelle in der vatikanischen Politik. Er mußte alle eingehenden Briefe sortieren und die wichtigsten Informationen daraus an den Papst weitergeben. Was für eine umfangreiche Arbeit bedeutete das Tag für Tag!

„Die im Geheimsekretariat täglich in Menge einlaufenden Schriftstücke wurden dort zunächst auf kurze, schmale Oktavseiten exzerpiert. Diese Auszüge dienten Borromeo und Galli als Grundlage für ihren Vortrag beim Papste. Die Entscheidungen, die Pius IV. sehr rasch zu fällen pflegte, wurden oft mit Bleistift in kurzen Schlagworten auf die Rückseite der Auszüge notiert und dann zur Ausfertigung der Antwort verwendet. Die im Geheimsekretariat fertiggestellten ‚Minuten‘ wurden von Borromeo oder auch von Pius IV. selbst noch einmal revidiert, um endlich ins reine geschrieben zu werden. Selbst diese Reinschriften prüfte der Papst zuweilen nochmals. Die Weisungen für die Nuntien und Legaten waren stets im Namen Borromeos verfaßt, der seiner Unterschrift oft auch längere Zusätze beifügte. Manchmal schrieb der Kardinal sogar ganze Briefe mit eigener Hand. Nur in besonders wichtigen Fällen oder wenn der Adressat geehrt werden sollte, erfolgte die Ausfertigung der Briefe im Namen des Papstes; dieser setzte dann öfters noch eigenhändige Nachschriften hinzu, die an Bestimmtheit selten zu wünschen übrig ließen.
Durch die Hände Borromeos ging fast die ganze diplomatische Korrespondenz, er hatte sich darum mit den großen Fragen der europäischen Politik ebenso zu beschäftigen wie mit den kirchlichen Angelegenheiten. Aber auch Gnadengesuche für verurteilte Verbrecher, Empfehlungen für Stellen, Dekrete gegen Banditen, Beschwerdeschriften und noch vieles andere von geringerer Bedeutung hatte er zu erledigen. Neben diesen anstrengenden Arbeiten hielt der Kardinal jede Woche dreimal mit acht Rechtsgelehrten eine Beratung über die laufenden Geschäfte in der Verwaltung des Kirchenstaates. Dazu kamen noch zahlreiche Sitzungen der Kardinalkongregationen, so am Donnerstag die für die Reform der Kirche, an denen Borromeo teilzunehmen hatte. Eine Erholung waren ihm die abendlichen Diskussionen in der von ihm unter dem Namen ,Vatikanische Nächte‘ errichteten Akademie, wo lateinische Arbeiten und Reden vorgetragen wurden.“

Adel verpflichtet

Der junge Geheimsekretär hatte also alle Hände voll zu tun und konnte sich somit allmählich auf seine spätere Arbeit vorbereiten, bei der er als Erzbischof von Mailand eine der größten Diözesen Italiens auf Reformkurs gemäß den Beschlüssen des Trienter Konzils bringen sollte. Aber bis dahin war noch ein weiter Weg. Wenn auch Karl Borromäus als päpstlicher Geheimsekretär schon ein recht vorbildliches Leben führte, so fehlte doch noch viel zu einem heiligen Leben:

„Trotz dieses großartigen Beispiels aufopfernder Pflichttreue war Borromeo doch noch nicht der strenge Aszet seiner späten Lebensjahre. Er liebte leidenschaftlich die Jagd und übte sie zu seiner Erholung eifriger aus, als sich nach den Begriffen seiner Freunde mit der Würde eines Kardinals vereinigen ließ. Sehr bedacht war er auf den Glanz seines Hauses. Für seine Person machte er freilich nach damaligen Vorstellungen nur recht bescheidene Ansprüche, obschon immerhin 150 Personen, alle von Kopf bis zu Fuß in schwarzen Samt gekleidet, seinen Hofstaat bildeten. Die Familie Borromeo sollte nach seinem Willen durchaus ihrem nunmehr fürstlichen Rang entsprechend auftreten. Seine Ernennung zum Kardinal meldete er seinen Verwandten allerdings in einfachster Form und wünschte, daß man das glückliche Ereignis nur in Arona, namentlich durch Messen zu Ehren des Heiligen Geistes, feiere. Aber zugleich wollte er doch auch, daß seine Schwester fortan zwei Gesellschaftsdamen mehr haben solle, und sie müßten von Adel und gutem Rufe sein. Voll Freude äußerte er sich in seinen Briefen, als seine Schwestern — durch die Bemühungen des Oheims unter eifriger Mitwirkung des Neffen — vornehme und reiche Heiraten mit den Gonzaga, Colonna, Altemps und den Fürsten von Venosa schlossen. Dagegen zeigte er sich recht besorgt, als eine weniger begüterte Verwandte im Begriffe war, sich unter ihrem Stande zu verheiraten und so die Ehre der Familie zu beeinträchtigen.“

Das Sprichwort sagt: Adel verpflichtet. Auch für den Sproß des Geschlechtes der von Borromeo galt das natürlich. Zunächst war Karl in diesen gesellschaftlichen Gewohnheiten noch gefangen. Auch er hatte keine Bedenken, ein dem Stand entsprechendes Leben zu führen, was doch einen recht aufwendigen Lebensstil bedeutete. Auch das Fortkommen der eigenen Familienangelegenheiten lag ihm durchaus am Herzen. Die weltlichen Verpflichtungen der Familie ließen sich nicht so ohne weiteres beiseiteschieben.

Aber Gott hatte doch anderes mit Karl vor. Um ihn aus diesen gewohnten Bahnen herauszulösen, bediente sich die göttliche Vorsehung des Todes. Am 19. November 1562 erlag sein geliebter Bruder Federigo nach nur achttägiger Krankheit einem Fieberanfall. „Das glänzende Leichenbegängnis, das für den so schnell Dahingerafften veranstaltet wurde, schien auch die Totenfeier für den Ruhm des Hauses Borromeo sein zu sollen. In dem goldgewirkten Leichentuch, das bei den Exequien am 25. November unter vergoldetem Baldachin den Sarg verhüllte, mochte Kardinal Borromeo ein Sinnbild für den glanzumstrahlten Untergang seiner Familie erblicken.“

2. Der Kardinalpriester

Nun lag die ganze und sozusagen letzte Hoffnung der Familie auf Kardinal Borromeo

„Man meinte, der nunmehrige Erbe des ganzen Reichtums der Borromei werde die geistliche Laufbahn aufgeben und an Stelle des verstorbenen Bruders die Familie weiterführen. Carlo war allerdings schon Subdiakon und hatte als solcher die Pflicht zur Ehelosigkeit auf sich genommen; aber in seinem Falle schien eine päpstliche Dispens nicht unmöglich. Solchen Erwartungen machte indes der Kardinal ein Ende, indem er sich am 17. Juli 1563 von Kardinal Cesi die Priesterweihe erteilen ließ. Sein Schritt geschah mit Einwilligung des Papstes, der im Konsistorium des 4. Juni 1563 seinen Neffen zum Kardinalpriester erhoben hatte und ihm dabei ausdrücklich den Befehl erteilte, sich zum Priester weihen zu lassen. Zugleich erklärte Pius, es sei niemals sein Wille gewesen, Carlo zum Verlassen der priesterlichen Laufbahn zu zwingen; die gegenteiligen Gerüchte seien falsch.
Den Kardinal konnten die familiären Sorgen nicht mehr davon abbringen, das eigene Leben Gott und der hl. Kirche zu schenken. Sein Entschluß wurde einerseits durch den Tod des eigenen Bruders, durch den er die Kurzlebigkeit weltlichen Ruhmes einsah, gefestigt, anderseits auch durch die geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola, denen er sich unter Leitung des Jesuiten Ribera unterzog. Seine erste Messe las er öffentlich mit großer Feierlichkeit in St. Peter an dem Altar der Confessio des Apostelfürsten, die zweite in aller Stille in der Kapelle, die Ignatius von Loyola benützt hatte.“

Auf dem Weg zur Heiligkeit – Die Exerzitien nach dem hl. Ignatius von Loyola

Der hl. Karl Borromäus war nicht der erste, der durch die Exerzitien nach dem hl. Ignatius von Loyola sein Leben grundlegend geändert hat – d.h. ganz konsequent gemäß dem Willen Gottes geordnet hat. Auch seine Umgebung sollte bald diese Änderung wahrnehmen und spüren:

„Nach Empfang der Priesterweihe behielt Borromeo zunächst noch seinen Hofstaat bei, doch wurde er immer strenger gegen seine eigene Person, und zwar in solchem Grade, daß er sich sogar die Erholung eines Spaziergangs versagte. Die Reden in seiner Akademie der Vatikanischen Nächte durften sich nur mehr auf geistliche Dinge beziehen. Auch begann er, sich Vorlesungen aus Theologie und Philosophie halten zu lassen, um die Lücken seiner theologischen Bildung zu ergänzen. Eine Zeit lang dachte er sogar daran, seine Stellung als Staatssekretär ganz niederzulegen und sich in den strengen Orden der Kamaldulenser zurückzuziehen. Hiervon brachte ihn jedoch der Bischof von Braga, Bartholomäus de Martyribus, bei einem Besuch in Rom 1563 ab. Wiederholt bat Carlo den Papst, er möge ihm erlauben, wenigstens für einige Zeit sein Erzbistum Mailand zu besuchen und auf einen Teil der zahlreichen ihm verliehenen Pfründen zu verzichten.
Die Lebensänderung des ersten und angesehensten Kardinals erregte in Rom großes Aufsehen und fand bei vielen scharfen Tadel. Selbst Freunde der Kirchenreform meinten, er gehe, freilich seinem energischen und ernsten Charakter entsprechend, in manchen Punkten allzu weit. Der Unwille entlud sich namentlich gegen Ribera und die Jesuiten; sie hätten, so hieß es, den Kardinal in ihre Netze gezogen, um Geld von ihm zu bekommen und ihn selbst zum Eintritt in ihren Orden zu vermögen.“

Buße und Abtötung

Es war zu keiner Zeit einfach, ein heiliges Leben zu führen. Denn die Heiligkeit ist selten und darum meist auch auffällig und nicht selten den anderen verdächtig. So erging es auch dem hl. Karl. Und wieder einmal waren die Jesuiten schuld an dieser radikalen Änderung. Sie wollten den jungen Kardinal nur für sich ködern, um sein Vermögen einstreichen zu können. Wobei solche Gerüchte nur von Leuten kommen konnten, die unseren Heiligen schlecht kannten. Denn dieser war durchaus kein Mann von kurzen und unüberlegten Entschlüssen. Dennoch kamen die Gerüchte bis zum Papst, der ihnen sogar eine Zeit lang Glauben schenkte.

„Nach einem Schreiben des spanischen Gesandten Requesens vom 30. April 1564 hat der Papst großes Mißfallen darüber bezeigt, daß Kardinal Borromeo seinen Tisch und Haushalt eingeschränkt und verschiedene andere Zeichen von Weltverachtung gegeben habe. Er sagte, das seien Theatinereien und melancholische Einfälle, und den Jesuiten und andern Ordensleuten ließ er mitteilen, er werde sie strafen, wenn sie noch einen Fuß in das Haus des Kardinals setzten. Der Groll gegen die Jesuiten war so stark und zog so weite Kreise, daß der Ordenssekretär Polanco es für nötig hielt, sogar nach Spanien ein eigenes Schreiben zu senden, in dem er eine Klarstellung der Sachlage gibt und die Verantwortlichkeit seiner Ordensbrüder für alle einzelnen Schritte Borromeos bestreitet.“

Man kann sich vorstellen, welch ein Druck nunmehr von allen Seiten auf den Kardinal ausgeübt wurde. Aber in solchen Prüfungen zeigt sich der entscheidende Unterschied zwischen einem bloß frommen und einen heiligen Mann. Die göttliche Gnade hatte inzwischen das Herz dieses Mannes ganz ergriffen und seinen Willen soweit gefestigt, ein Leben ganz in der Nachfolge Christi auf sich zu nehmen:

„So nachgiebig Carlo Borromeo auch sonst gegen die Wünsche seines Onkels war, für die Milderung seiner strengen Lebensweise machte er nicht die geringsten Zugeständnisse. Im Gegenteil, besonders nach dem Schluß des Trienter Konzils steigerte er seine Strenge noch mehr. Im Juni 1564 wurde der Hofstaat Carlos bedeutend herabgesetzt: gegen achtzig Personen, die für ein klerikales Leben weniger geeignet schienen, erhielten ihre Entlassung und wurden anderweitig versorgt; den übrigen verbot Carlo den Gebrauch seidener Gewänder und andern Luxus. An einem Tage der Woche genoß der Kardinal nur Wasser und Brot. Dem Gebet widmete er noch mehr Stunden als bisher; auch begann er trotz der Schwierigkeiten, die ihm Aussprache und Auftreten bereiteten, das Predigtamt auszuüben: bei einem Kardinal damals etwas Unerhörtes. Im geheimen unterzog sich Carlo Borromeo den schwersten Bußübungen. Eine Geißel mit Stacheln besetzt diente zur Züchtigung seines zarten Körpers; zuweilen benützte er dazu auch eine dreifache Kette, die ein Knoten zusammenhielt. Die Neugier seines Kammerdieners Ambrogio Fornero entdeckte diese Werkzeuge der Buße, als der Kardinal einmal den Schlüssel von dem Kasten zu nehmen vergaß, der sie den Blicken Unberufener entziehen sollte. Soranzo hebt im Jahre 1565 hervor, daß Borromeo durch seinen Arbeits- und Studieneifer sowie durch seine Fasten, Nachtwachen und andere Abtötungen sehr abgemagert war. Wie durch ein Wunder hielten Borromeos an sich geringe Körperkräfte stand; erst zu Ende der Regierung Pius’ V. vernimmt man von einer Erschütterung seines Gesundheitszustandes.“

Übernatürliche Tugend

Im Leben der allermeisten Heiligen gibt es diese Zeit der „Maßlosigkeiten“, weil nämlich die göttliche Liebe kein Maß kennt. Wobei die Heiligen diese Strengheiten normalerweise immer unter der Führung eines bewährten Seelenführers übten, um nicht unbemerkt in Eigenwillen zu verfallen. Gott gibt sodann den nach Heiligkeit Strebenden die notwendigen Gnaden, um durch diese strengen Übungen keinen Schaden zu erleiden. Im Gegenteil, die Seele wächst dadurch beständig im Vertrauen auf Gottes Hilfe und Gnadenführung. Hier beginnt auch der Weg des Heiligen im strengen Sinne des Wortes, von dem es heißt, man soll die Heiligen bewundern, aber nicht (in allem) nachahmen. Würde irgendjemand auf die Idee kommen, in allem dasselbe tun zu wollen wie die Heiligen, er würde in kürzester Zeit erschöpft zusammenbrechen. Allein Gott ermöglicht eine Tugend, die über das Vermögen der Natur hinausgeht – jene heroische Tugend, die das Kennzeichen der Heiligen ist. Bezüglich des hl. Karl heißt es:

„Mit der Zeit verstummte der Tadel über Carlos Aszese, sein Beispiel hatte Eindruck gemacht, selbst bei den weltlich gesinnten Diplomaten. Ihre Zeugnisse sind um so glaubwürdiger und wertvoller, da sie gewohnt waren, die menschlichen Seiten auch der höchsten Würdenträger rücksichtslos aufzudecken. Als der Venezianer Girolamo Soranzo im Juni 1563 über seine römische Gesandtschaft Bericht erstattete, bemerkte er: ,Das Leben des Kardinals Borromeo ist das unschuldigste und völlig fleckenlos. Er gibt durch seine religiöse Haltung ein Beispiel, wie man kein besseres wünschen kann. Sein musterhafter Wandel muß ihm um so mehr zum Lob angerechnet werden, da er in der Blüte der Jahre steht, vielvermögender Nepote eines Papstes, reich und an einem Hofe ist, wo es ihm an Gelegenheit zu Vergnügungen aller Art nicht fehlen würde.‘ Zwei Jahre später schrieb Giacomo Soranzo: ,Der Kardinal Borromeo ist erst siebenundzwanzigjährig, aber kränklich, da er sich durch Studien, Fasten, Nachtwachen und Abstinenzen geschwächt hat. Er ist Doktor der Rechtswissenschaft, widmet sich aber der Gottesgelehrtheit mit einem in unsern Tagen seltenen Eifer. Sein Leben ist das ehrbarste der Welt, und seine Religiosität ist so groß, daß man mit Fug sagen kann, er nütze durch sein Beispiel dem römischen Hofe mehr als alle Konzilsbeschlüsse; ein vom Papst so geliebter Nepote, der noch in der Jugendblüte stehend und an einem Hofe voller Verlockungen sich und die Weltlust in solchem Maße besiegt hat, ist eben eine seltene Erscheinung. Borromeo ist dem Papste äußerst ergeben, und der Papst hält viel auf ihn und seine Wünsche. Er und der Papst sind übrigens zwei verschiedene Naturen. Der Papst sähe ihn gern heiterer und weniger streng in Leben und Ansichten. Das hat er auch den Jesuiten gesagt, die auf des Kardinals Richtung großen Einfluß gehabt haben, aber dieser hat sich nicht von seinem Wege abbringen lassen. Der Hof liebt ihn wenig, weil er an anderes Verhalten gewohnt war, und er klagt, daß der Kardinal vom Papst wenig erbitte, von dem Seinigen wenig gebe. Aber was das erste betrifft, so hält er es für eine Gewissenssache; sein Eigenes verwendet er zu Almosen, Aussteuern armer Mädchen und zum Abtragen der Schulden, die ihm namentlich sein Bruder hinterlassen hat.‘“

Der Heilige: Das authentische Zeugnis der Wahrheit unseres hl. Glaubens

In der Kirche Gottes hat die Heiligkeit immer eine ganz eigene Überzeugungskraft und man kann durchaus sagen Autorität besessen. Denn im Heiligen stimmen Wort und Tat ganz und gar überein. Darin ist letztlich ihr ganzes Wirken begründet. Der Heilige ist ein authentisches Zeugnis der Wahrheit unseres hl. Glaubens, des Evangeliums unseres Herrn Jesus Christus. Den hl. Karl hatte Gott für Großes ausersehen. Nach dem Konzil von Trient war der katholische Glaube wieder in seiner ganzen Reinheit hergestellt und die Irrtümer der sog. Reformatoren verworfen worden. Aber nun galt es, auch das Leben wieder zu reformieren. Waren doch sittlicher Verfall und Unwissenheit weit verbreitet. Bei der Wiederherstellung des kirchlichen Lebens sollte der hl. Karl Maßgebliches leisten.

Die Durchführung der Trienter Reformbeschlüsse

„Von der größten Bedeutung wurde es, daß Carlo Borromeo die Durchführung der Trienter Reformbeschlüsse als seine Lebensaufgabe erkannte, in deren Dienst er mit größter Entschiedenheit und Ausdauer seine Arbeitskraft, seinen nicht geringen Einfluß auf den Papst und später seine bischöfliche Tätigkeit stellte. So wurde er für die Ausführung der Trienter Dekrete auf Jahrhunderte hinaus Vorbild und Wegweiser und dadurch einer der einflußreichsten Reformatoren auf kirchlichem Gebiet; mit der Trienter Versammlung bleibt sein Name auf immer verknüpft.
Während des Konzils war der ganze umfangreiche Briefwechsel mit den Legaten durch Borromeos Hand gegangen. Aus Trient liefen in jeder Woche wiederholt Berichte und Briefe an Borromeo ein, oft mehrere Schreiben an demselben Tage; die Aufgabe des Staatssekretärs war es, über alle diese Einläufe dem Papst Vortrag zu halten. Durch untergeordnete Beamte wurden freilich diese Berichte in kurze Auszüge zusammengefaßt, aber manche Anzeichen sprechen dafür, daß Borromeo nicht nur diese Auszüge seinem Vortrag beim Papst zu Grunde legte, sondern die Berichte selbst las. Was an das Konzil zu antworten sei, entschied Pius IV. selbst, aber dem Staatssekretär lag es ob, alle Entwürfe zu den Antworten zu prüfen und zu verbessern.“

Als Staatssekretär war der hl. Karl in die mühevolle Arbeit des Trienter Konzils eingebunden und lernte alle Beschlüsse schon in ihrer ganzen Entstehungsgeschichte kennen. Dieser notwendige geistige Kampf um die Formulierung der katholischen Glaubenswahrheiten machte sicherlich einen tiefen Eindruck auf ihn. Aber wie sollte es nach dem Konzil weitergehen? Wie sollten die Glaubenswahrheiten bekannt und die Reformen durchgesetzt werden? Karl Borromäus war fest entschlossen, alles in seiner Kraft stehende zu tun, um das kirchliche Leben wieder zu reformieren.

„Mit welcher Freudigkeit und Hingabe Borromeo diese große Arbeitslast auf sich nahm, in der er den Dienst Gottes und das Wohl der Kirche sah, tritt selbst in seinen rein geschäftlichen Schreiben an die Legaten mitunter hervor; am Tage der Schlußsitzung nennt er das Konzil die größte Wohltat, die man der Welt erweisen konnte, ein für den Namen des Papstes ruhmvolles, für die ganze Christenheit segensreiches und notwendiges Unternehmen, das die Kirche Gottes aus so schwerer Not in gefahrvoller Zeit erlöse. Vielleicht in vielen Jahrhunderten werde eine so ausgezeichnete Versammlung nicht mehr zustande kommen. Er brenne vor Verlangen, nunmehr das Konzil so durchgeführt zu sehen, wie das Bedürfnis der Christenheit es fordere.
Diese Ausführung der Trienter Beschlüsse begann Borromeo vor allem im eigenen Haushalt und bei der eigenen Person. Wenn er alsbald nach dem Schluß des Konzils seinen Hofstaat einschränkte, die Einfachheit und Strenge seines Lebens steigerte, sich im Predigen übte, so bestimmte ihn dazu nicht an letzter Stelle die Rücksicht auf die Trienter Anordnungen. Das Konzil sollte nicht umsonst bestimmt haben, daß der Hausrat des Bischofs einfach sein möge und daß die Predigt seine Hauptpflicht sei. Über den bloßen Wortlaut des Konzils ging Borromeo weit hinaus; die ,fast königliche Pracht seiner Hofhaltung‘ wich immer mehr einer fast allzu großen Einfachheit.“

Die Reform des Lebenswandels

Der Heilige kannte natürlich die grundlegende Wahrheit, daß jede Reform zunächst bei sich selbst beginnt. Wir hatten schon gezeigt, wie er zunächst sein eigenes Leben mehr und mehr reformierte, nun ging es an die Reform des eigenen Hauses und aller Mitbewohner. Hier verlangte er mehr Einfachheit und Bescheidenheit. Das Vorbild seines Meisters wurde immer lebendiger. Aber der hl. Karl hatte nicht nur im eigenem Haus Einfluß:

„Für die Reformbewegung in Rom war es ein unschätzbarer Vorteil, daß der Neffe des Papstes, der erste und angesehenste Kardinal sich an ihre Spitze stellte. Die kirchlich Gesinnten und das Volk von Rom waren für Borromeo des Lobes voll. Von besonderer Bedeutung für die sittliche Wiedergeburt der Ewigen Stadt wie der Kirche mußte es sein, daß der Kardinalstaatssekretär seinen Einfluß beim Papst benützte, um würdige Männer ins Kardinalkollegium zu bringen. In der Ernennung vom 12. Mai 1565 wurde niemand befördert außer auf Borromeos Anregung oder mit seiner Beistimmung.
Auch auf den Papst selbst blieb das Beispiel seines Neffen nicht ohne Einfluß. Ende Juli und Anfang August 1564 reformierte er den Apostolischen Palast; über 400 müßige Hofleute wurden entlassen. Schon vorher war ein neuer Hausmeister ernannt worden; Pius erkor für diesen angesehenen Posten eine bisher noch gar nicht hervorgetretene Persönlichkeit, die auch der letzte Kardinal für eine solche Stelle in seinem Haus nicht hätte wählen mögen. Alle Kammerherrnwürden außerhalb Roms, mit fünf Ausnahmen, hob der Papst auf, die Zahl der Geheimkämmerer und Kapläne, der Reitknechte und Reittiere wurde beschränkt. Man berechnete, daß der päpstliche Haushalt durch diese Reformen jährlich an 20000 Dukaten erspare.“

So kam die katholische Reform allmählich in Fahrt…