Die „Mystische Passion der Kirche“

Ein beliebter Topos bei den „Tradversativen“ (L. Verrecchio) ist die „Mystische Passion der Kirche“. Erzbischof Lefebvre wollte damit erklären, warum manche Leute wie die törichten „Sedisvakantisten“ einfach nicht begreifen können, was in Wirklichkeit vor sich geht. So wie am Leiden Christi viele Seelen gescheitert seien, so jetzt am mystischen Leiden der Kirche.

Die Wahrheit „in der Mitte“

„Durch die ganze Kirchengeschichte hindurch trifft man diese Seelen, die, erschreckt von der Schwachheit Unseres Herrn, nicht geglaubt haben, daß Er Gott ist.“ So sprach „DER Erzbischof“ in einer Predigt anläßlich von Priesterweihen in Ecône am 29. Juni 1982 („Damit die Kirche fortbestehe“, Stuttgart 1992, S. 467-474). Der Irrlehrer Arius sei dafür ein Beispiel. „Andere hingegen reagieren ganz im Gegenteil mit den Worten: Aber vielleicht ist alles, was Unser Herr erlitten hat, dieses rinnende Blut, diese Wunden, dieses Kreuz nur Einbildung. … Und so gab es jene, die die Menschennatur Unseres Herrn Jesus Christus leugneten, gab es Monophysiten, Monotheleten, die die menschliche Natur und den menschlichen Willen Unseres Herrn Jesus Christus leugneten.“

Übertragen auf die „Kirche von heute“ bedeutete das für ihn: „Warum nehmen wir am Heiligen Vater Ärgernis, warum sagen gewisse Leute nach dem Vorbild des Arius: ‚Er ist nicht Papst!‘, so wie Arius sagte: ‚Unser Herr ist nicht Gott, das ist nicht wahr, Unser Herr kann nicht Gott sein‘? Und auch wir sind ja versucht, zu sagen: ‚Das ist nicht möglich, der Heilige Vater kann nicht Papst sein, wenn er so handelt.‘“ Damit spielte er auf die „Sedisvakantisten“ und seine eigene „sedisvakantistische Versuchung“ an, die er laut seinem Biographen Tissier de Mallerais zweimal erlitten und jedesmal tapfer überwunden hat.

„Oder warum möchten jene im Gegenteil die Kirche bis zu einem Grad vergöttlichen, daß sie sagen, es sei in der Kirche alles vollkommen, es sei in der Kirche alles in bester Ordnung, es kommt für uns nicht in Frage, mag es sich um was immer handeln, uns einer Sache zu widersetzen, die für uns von Rom kommt, weil in Rom alles göttlich ist und wir alles, was von Rom kommt, annehmen müssen.“ Hier sind die damaligen „Halbkonservativen“ wie die „Petrusbrüder“ gemeint. „Sie machen es wie jene, die sagen: Unser Herr ist so ausschließlich Gott, daß es Ihm nicht möglich war zu leiden, daß Er nur scheinbar gelitten hat, daß Er in Wirklichkeit nicht gelitten hat, daß Sein Blut in Wirklichkeit gar nicht geflossen ist, daß es nur Schein war, der sich in unseren Augen, in den Augen derer abgespielt habe, die bei Ihm waren, aber eben nicht Wirklichkeit. Und ähnlich steht es heute mit jenen, die sagen: ‚Nichts kann in der Kirche menschlich sein, nichts kann in der Kirche unvollkommen sein.’” Doch: „Auch sie täuschen sich. Sie halten sich nicht an die Wirklichkeit der Dinge.“

Wie seine eigene Lösung aussah, wissen wir. Er suchte sie nach bewährter Art „in der Mitte“ zwischen den Irrlehren des Arianismus und des Monophysitismus und landete damit natürlich nicht in der Wahrheit und nicht in der „Wirklichkeit der Dinge“, sondern in einer neuen Irrlehre, die beide Irrtümer verknüpft: im „Recognize and Resist“. Ja, es ist der Papst, aber wir dürfen ihm auf keinen Fall folgen. Der Grund für diesen in sich widersprüchlichen lefebvristischen Grundirrtum liegt in einer falschen Auffassung von der „Mystischen Passion der Kirche“. „Novus Ordo Watch“ hat sich der Mühe unterzogen, dies für uns genauer zu untersuchen. Viele, so heißt es da, redeten heutzutage von der „Passion der Kirche“, nicht nur „Sedisvakantisten“, sondern auch „Recognize-and-Resist-Traditionalisten“ und sogar „konservative Novus Ordos“, und dies aus gutem Grund.

Der „große Abfall“

Papst Pius XII. schrieb in seiner Enzyklika „Mystici Corporis“ vom 29. Juni 1943: „Zunächst ist dies zu bedenken: wie der Erlöser des Menschengeschlechtes von denen, deren Heil zu wirken Er auf sich genommen hatte, mit Nachstellungen, Verleumdungen und Qualen überhäuft wurde, so muß die von Ihm gegründete Gemeinschaft auch hierin ihrem göttlichen Stifter ähnlich werden. Zwar leugnen Wir nicht, ja bekennen vielmehr mit Dank gegen Gott, daß es auch in unserer verworrenen Zeit nicht wenige gibt, die, obgleich getrennt von der Herde Jesu Christi, dennoch auf die Kirche wie auf den einzigen Port des Heiles schauen. Aber Wir wissen auch, daß die Kirche Gottes verachtet und hochmütig und feindselig geschmäht wird, nicht nur von solchen, die das Licht der christlichen Weisheit ablehnen und einer erbärmlichen Rückkehr zu den Lehren, Sitten und Einrichtungen einer heidnischen Vorzeit das Wort reden. Sie begegnet vielfach Verkennung, Gleichgültigkeit und selbst einem gewissen Überdruß und Abscheu auch bei vielen Christen, die sich durch den blendenden Schein des Irrtums bestricken oder von den Verlockungen und Verführungen der Welt umgarnen lassen.“ „Haben sie Mich verfolgt, werden sie auch euch verfolgen“, hat der Heiland Seinen Jüngern vorhergesagt (Joh 15, 20). Verfolgung und Bedrängnis sind sozusagen ein weiteres Kennzeichen der wahren Kirche Christi.

Zweifellos erleben wir gegenwärtig eine „große Bedrängnis, wie sie vom Anfang der Welt bis jetzt nicht war noch auch sein wird“, von der unser Heiland spricht (Mt 24, 21). Der heilige Paulus nennt diese Bedrängnis den großen „Abfall“ (2 Thess 2, 3), jene allgemeine Apostasie, die dem Kommen des Antichristen vorausgeht. Wenn wir nun jedoch nach den Urhebern dieser großen Apostasie fragen, so sind diese in erster Linie bei den „Konziliaren Päpsten“ seit 1958 und in der „seltsamen neuen ‚Konziliaren Kirche‘“ zu suchen (jenen „Päpsten“ und jener „Kirche“, die Lefebvre als Subjekt der „Passion“ sieht). Will man die Macht benennen, welche hinter den fortwährenden Angriffen auf die Kirche steckt, so antwortet die Heilige Schrift, daß es „die Macht und der Geist des Antichristen“ ist. Der heilige Johannes warnt: „Kindlein! Es ist die letzte Stunde; und wie ihr gehört habt, daß der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen erschienen, woraus wir erkennen, daß es die letzte Stunde ist. Von uns sind sie ausgegangen, aber sie waren nicht von uns“ (1 Joh 2, 18-19).

Das Papsttum als Säule der Wahrheit

Novus Ordo Watch“ findet die Formulierung bemerkenswert, daß sie „von uns ausgegangen“ sind, d.h. daß sie „einst Teil der wahren Kirche waren, dann aber in Häresie und Apostasie gefallen sind“. Es sind jene „Christen, die sich durch den blendenden Schein des Irrtums bestricken oder von den Verlockungen und Verführungen der Welt umgarnen lassen“, von denen Papst Pius XII. oben spricht. Der heilige Paulus warnt in seinem zweiten Brief an die Thessalonicher vor der „wirksamen Kraft des Irrtums“, der Gott jene überläßt, welche die „Liebe zur Wahrheit nicht aufgenommen haben“ (2 Thess 2, 10-11).

Nun fragt „Novus Ordo Watch“, ob es wohl allzu schwierig sei, diese „wirksame Kraft des Irrtums“ in jener falschen „Konziliaren Kirche“ am Werk zu sehen, die, „wenn es möglich wäre, sogar die Auserwählten“ in die Irre zu führen sucht (vgl. Mt. 14, 24). Sicherlich könne es niemals die wahre Katholische Kirche sein, die solches tue, genießt diese doch den übernatürlichen Beistand Gottes und Seinen wunderbaren Schutz, zu Seinem Ruhm und zum Heil der Seelen. „In der Tat konnte nur ein Wunder dieser göttlichen Macht die Kirche, den mystischen Leib Christi, in der Heiligkeit ihrer Lehre, ihres Gesetzes und ihres Ziels inmitten der Flut von Verderbnis und Verfehlungen ihrer Glieder vor Makel bewahren“, schreibt der heilige Papst Pius X. in seiner Enzyklika „Editae Saepe“ vom 26. Mai 1910. „Ihre Lehre, ihr Gesetz und ihr Zweck haben eine reiche Ernte hervorgebracht. Der Glaube und die Heiligkeit ihrer Kinder haben die heilsamsten Früchte getragen. Hier ist ein weiterer Beweis für ihr göttliches Leben: Trotz einer großen Zahl von verderblichen Meinungen und einer großen Vielfalt von Irrtümern (wie auch dem großen Heer von Rebellen) bleibt die Kirche unveränderlich und beständig, ‚als Säule und Fundament der Wahrheit‘, im Bekenntnis zu einer identischen Lehre, im Empfang derselben Sakramente, in ihrer göttlichen Verfassung, Regierung und Moral …“

Zu diesem Zweck hat Christus Seine Kirche auf eine Person und ein Amt gegründet: Petrus, den Fels. Der Papst als Stellvertreter Christi und Nachfolger des heiligen Petrus ist Garant für die Festigkeit im Glauben, sodaß dieser „bisher niemals versagte und bis zum Ende nicht versagen wird“, wie Papst Leo IX. (1049-1054) in seinem Apostolischen Brief „In Terra Pax“ bestätigte. Die Päpste sind es, durch welche die Kirche stets vor Irrtum und Häresie bewahrt und geschützt bleibt. Das bestätigen u.a. Papst Pius VII., Leo XII. und Leo XIII., der die Lehre zusammenfaßte in den Satz: „Das starke und wirksame Instrument des Heils ist kein anderes als das römische Pontifikat“ (Ansprache am 20. Februar 1903). Der Papst ist somit Garant der Rechtgläubigkeit und kann unmöglich der Urheber der Zerstörung des Glaubens sein.

Außergewöhnliches Interregnum

Wenn die Kirche derzeit ihre „Passion“ erleidet, was zweifellos der Fall ist, so kann derjenige, der den Glauben zu zerstören sucht, gewiß nicht der Papst sein, sondern ein Betrüger. Der Papst kann immer nur Opfer der Verfolgung sein, nicht deren Hauptakteur. Er ist der Stellvertreter Christi, nicht der Stellvertreter des Kaiphas oder des Judas Iskariot. Wie nun der Heiland Seine Passion erlitt und starb, um drei Tage später glorreich wieder aufzuerstehen, so scheint es nicht unangemessen, daß aufgrund der Passion der Kirche der Stellvertreter Christi für kurze Zeit von ihr genommen wird, mit den Folgen, die der Heiland damals selber vorhersah: „In dieser Nacht werdet ihr alle an mir Anstoß nehmen, denn es steht geschrieben: ich will den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden zerstreut werden“ (Mt 26, 31). Diese „Nacht“ ist die „Stunde und Gewalt der Finsternis“, wie der Herr sie nannte (Lk 22, 53).

Daß der Papst für eine gewisse Zeit „hinweggenommen“ wird, bestätigt der heilige Paulus in seinem bereits zitierten zweiten Brief an die Thessalonicher: „Denn das Geheimnis der Bosheit ist bereits wirksam; nur daß der, welcher es jetzt aufhält, aufhalte, bis er hinweggeräumt wird“ (2 Thess 2, 7). Über diese „aufhaltende Kraft“, den „Katechon“, wie es griechisch heißt, wurde viel spekuliert. In jüngster Zeit wurde von verzweifelten „Tradis“ sogar Ratzinger mit diesem „Katechon“ identifiziert, weshalb dieser trotz seines hohen Alters keines natürlichen Todes gestorben sein kann, sondern durch einen Mord „hinweggeräumt“ worden sein muß, um dem „Antichrist“ Bergoglio endlich ganz das Feld zu überlassen. Andere wie „Erzbischof“ Viganò interpretierten vor einigen Jahren diese Gestalt auf Donald Trump. Seriöse Ausleger der neueren Zeit wie Kardinal Manning oder E. Sylvester Berry sehen in jenem „Katechon“ schlicht die Person des Papstes und interpretieren das Kommen des Antichristen als Folge eines ausgedehnten „Interregnums“, also einer außergewöhnlichen Vakanz des Heiligen Stuhles.

Kennzeichen der wahren „Passion der Kirche“

Will man die „Passion der Kirche“ recht verstehen, so ist es notwendig zu wissen, was sein kann und was nicht sein kann, damit man sich von „niemand auf irgend eine Weise betören“ lasse, wie der heilige Paulus warnt (2 Thess 2, 3). Deshalb stellt „Novus Ordo Watch“ eine rechtgläubige und eine irrgläubige Version der „Mystischen Passion“ einander gegenüber und beginnt mit der „echten Passion der Kirche“, wie sie „mit der katholischen Lehre vereinbar“ ist. Diese umfaßt folgende Merkmale:

  • Der oberste Hirte wird geschlagen, die Herde wird zerstreut.
  • Der Mystische Leib wird von seinen Feinden bedrängt, von „falschen Aposteln, betrügerischen Arbeitern, welche die Gestalt der Apostel Christi annehmen“ (2 Kor 11, 13), und von „jenen, die sich selbst Juden [in unserem Fall „Katholiken“] nennen und es nicht sind, sondern eine Synagoge des Satans“ (Off 2, 9).
  • Jesus Christus wird in Seinem Statthalter auf Erden, dem Papst, verfolgt.
  • Die Gläubigen geraten in große Bedrängnis und Verwirrung.
  • Viele geben den Glauben auf, weil sie Anstoß nehmen an dem, was geschehen ist.
  • Die Katholiken werden verspottet und verhöhnt, weil sie am wahren Glauben festhalten.
  • Die offizielle öffentliche Feier des Heiligen Opfers hört auf, und der Greuel der Verwüstung steht an heiliger Stätte (vgl. Dan 8, 11-12; 9, 27; Mt 24, 15).
  • Der treu und gläubig gebliebene Rest „flieht in die Berge“ (Mt 24, 16), um den Glauben und die Sakramente zu bewahren.
  • Der Stellvertreter Christi wird auf irgendeine Weise „hinweggeräumt“ (2 Thess 2, 7).
  • Die „wirksame Kraft des Irrtums“ (2 Thess 2, 20) hat die Macht, „wenn es möglich wäre, selbst die Auserwählten zu verführen“ (Mk 13, 22).
  • Die falschen Propheten der Wirksamkeit des Irrtums versuchen, die übrig gebliebenen Katholiken mit falschen Wundern zu täuschen (vgl. Mt 24, 23-24).
  • Die Gesamtzahl der verbliebenen wahren Gläubigen in der Welt ist sehr gering.
  • Die verbliebenen Gläubigen sind ratlos – es gibt unzählige Fragen und niemand hat alle Antworten.
  • Alles scheint verloren und hoffnungslos, doch es ist nicht so.

Wer sähe nicht, daß dies ziemlich exakt die Lage der heutigen „Kirche in der Zerstreuung“ abbildet? Wir sehen auch die Gefahren: verunsichert zu werden, der wirksamen Kraft der Verführung zu erliegen und Irrtümer anzunehmen, eigene, schnelle und einfache Antworten zu finden und sich in Ideologien zu verirren, Hilfe in „übernatürlichen Erscheinungen“ zu suchen und der Pseudomystik zu verfallen, die Hoffnung aufzugeben und in einem gewissen Nihilismus zu enden usw. Vor allem aber, uns für etwas „Besseres“, für eine „Elite“ der „Auserwählten“ zu halten und uns die Verdienste dafür selber zuzuschreiben. Der Gefahren sind viele und große, und nur die überfließende Gnade Gotte kann uns vor ihnen bewahren. Bleiben wir demütig und vertrauen wir nur auf Gott und aufs Gebet.

Kennzeichen der falschen „Passion der Kirche“

Kommen wir nun zu den Kennzeichen der falschen „Passion der Kirche“, welche der katholischen Lehre widerspricht. Es wäre ja ein „Wunder“, wenn der Böse Feind sich nicht anstrengen würde, auch die „Passion der Kirche“ zu fälschen und auf seine verkehrte Weise nachzuahmen. Das sieht dann aus wie folgt:

  • Der Statthalter Christi verfolgt die Gläubigen.
  • Der Papst ist nicht länger die nächste Glaubensregel.
  • Die Kirche hat ihre Sendung verraten und versucht nicht mehr, die Seelen zu missionieren, um sie zu retten.
  • Die Kirche ist vom Glauben abgefallen und kein verläßlicher Führer mehr zum Heil.
  • Die Arche des Heiles ist zur „Arche der Verdammnis“ geworden.
  • Jesus Christus wird von Seinem Stellvertreter verfolgt.
  • Es gibt in der Kirche eine höhere Autorität als den Papst, an welche sich die Gläubigen wenden könne und müssen, wenn der Papst gefährliche Irrtümer lehrt.
  • Einzelne Bischöfe (in der Regel im Ruhestand oder bloße Hilfsbischöfe) korrigieren gewöhnlich den Papst, lehren im Gegensatz zu ihm und spielen so den „Ersatzpapst“, dem die Gläubigen anstelle des Papstes folgen sollen.
  • Die einzelnen Katholiken müssen jeweils für sich entscheiden, auf welche Blogger, „YouTuber“, Journalisten oder Rechtsanwälte sie hören wollen, welche den Papst korrigieren und die „wahren Katholiken“ anzuleiten vorgeben, damit diese entscheiden können, was sie vom „Heiligen Stuhl“ annehmen können und was nicht.
  • Der Papst spricht öffentliche Sünder heilig und andere offensichtlich unwürdige Kandidaten und verordnet, daß diese von der ganzen Kirche zu verehren sind.
  • Der Stellvertreter Christi ist zugleich der Stellvertreter des Antichristen.
  • Die Lehren und Verordnungen des Papstes und des Heiligen Stuhles haben keine Kraft und Wirkung, wenn ein kanadischer Bartölvertreter [Kennedy Hall] auf „YouTube“ widerspricht.
  • Die liturgischen Gesetze müssen von einem pensionierten Philosophieprofessor aus den Vereinigten Staaten [Peter Kwasniewski] genehmigt werden.
  • Die katholische Lehre über das päpstliche Lehramt ist eine „schmerzhafte historische Peinlichkeit“ (Kwasniewski), die nicht mehr gilt.
  • Viele zeitlose katholische Lehren sind nunmehr plötzlich ungültig, weil einige privat und gegen die Zustimmung der Hierarchie beschlossen haben, daß gegenwärtig ein „Notstand“ vorliege.
  • Die Kirche wird so behandelt, als wäre sie eine rein menschliche Einrichtung, die versagen und korrumpiert werden könnte wie alles andere, das von Menschenhand geschaffen wurde.
  • Langfristiger individueller katholischer Widerstand/Ungehorsam gegenüber der Hierarchie, den Lehren und Gesetzen der Kirche wird als probate Lösung vorgelegt.

Die falsche Vorstellung der „Traditionalisten“

Die Darstellung ist etwas sarkastisch, aber sie beschreibt tatsächlich das, was die „Traditionalisten“ seit Lefebvre sich unter der „Passion der Kirche“ vorstellen. Voriges Jahr etwa publizierte die deutsche Sektion der „Piusbruderschaft“ auf ihrer „Website“ einen Artikel von Kennedy Hall – dem „kanadischen Bartölvertreter“ – in deutscher Übersetzung, in welchem dieser eine sehr eigenwillige Interpretation der Kreuzigungsszene Christi gab. Demnach waren Petrus und die übrigen Apostel vor dem Kreuz geflohen, und einzig der heilige Johannes war geblieben und hielt neben der Muttergottes und Maria Magdalena unter dem Kreuze aus, sonst niemand. In seiner Auslegung steht selbstverständlich Petrus für den Papst und die übrigen Apostel für die Bischöfe, sodaß also Papst und Bischöfe allesamt vom Kreuz „geflohen“ sind und den Heiland „verraten“ haben, während nur ein einziger Bischof – dreimal darf man raten, wer – beim Kreuz, sprich der „TLM“ („Traditionelle Lateinische Messe“), ausgeharrt hat, zusammen mit der Muttergottes und einigen „Laien“, für welche Maria Magdalena steht.

„Nicht weil sie von Petrus getrennt sein wollte, ging Maria Magdalena (die die Laien darstellt) mit Johannes zum Kreuz. Ebenso tun Katholiken, die Marcel Lefebvre während der Passionszeit der Kirche folgen, dies nicht, um sich von dem Nachfolger Petri zu trennen. In beiden Fällen nehmen sie mit Schmerzen sowohl die Leiden Christi als auch den unfaßbaren Verrat Petri hin.“ „Marcel Lefebvre war ein Bischof, das heißt, er war ein Apostel. Und wie Johannes stand er unter dem Kreuz, als alle anderen geflohen waren, zusammen mit der allerseligsten Jungfrau Maria, die ihn mütterlich begleitete und beschützte. Zusammen mit Erzbischof Lefebvre, dem geliebten Apostel des 20. Jahrhunderts, weinte ein kleiner Rest der Kirche über die Notlage der Braut Christi, die von der Welt verhöhnt und verspottet wurde – so wie Maria Magdalena zugegen war, als Christus von Römern, die die Welt beherrschten, verspottet wurde.“ So lautete die ergreifende Schilderung Halls der „Passio Scti. Marcelli“. Wer sähe nicht, daß dies die etwas blumigere Beschreibung exakt dessen ist, was „Novus Ordo Watch“ als falsche „Passion der Kirche“ herausgearbeitet hat?

„Papst gegen Kirche“

Novus Ordo Watch“ faßt zusammen: „Mit anderen Worten: Die wahre Passion der Kirche besteht darin, daß die Katholiken, einschließlich des Papstes, von den Feinden Christi, Seiner Kirche und Seines Stellvertreters auf Erden verraten, verfolgt, gedemütigt, skandalisiert, gegeißelt, verleumdet, gefoltert und/oder getötet werden. Die falsche Passion der Kirche würde dazu führen, daß die Kirche selbst überläuft und ihre eigenen Kinder vergiftet und verfolgt, mit dem ‚Papst‘ an der Spitze! Die Kirche wäre so von ihrer göttlichen Mission abgekommen, und die Verheißungen Christi wären nichtig geworden. Das ist Blasphemie und ganz sicher nicht mit der traditionellen katholischen Lehre vereinbar!“

Wir fühlen uns spontan an ein „hellsichtiges Titelbild des ‚Spectator‘“ erinnert, wie ein „traditionalistischer“ Blog es nannte, das bereits vor etlichen Jahren, genauer für die Ausgabe vom 7. November 2015, jener englischen „Zeitung für Kultur und Politik“ als Aufmacher diente. Es zeigt eine Karikatur von Bergoglio in vollem „Ornat“, wie er, auf einer riesigen Abrißkugel reitend, fröhlich gegen die Trümmer eines ehemaligen Sakralbaus donnert. Daneben steht der Titel des zugehörigen Artikels: „Pope vs Church. Damian Thompson on civil war within Catholicism“. Das heißt verdolmetscht: „Papst gegen Kirche. Damian Thompson über den Bürgerkrieg innerhalb des Katholizismus“. „Papst gegen Kirche“, ein „Papst“, der die Kirche zerstört. Das ist kompakt in ein Bild gebracht die Vorstellung der „Traditionalisten“ von der „Passion der Kirche“. Verkehrter könnte sie gar nicht sein. Denn wenn es die Kirche ist, dann ist der Papst ihr Fundament, auf dem sie unzerstörbar beruht. Wenn jemand sie zu zerstören trachtet, dann ist es mit Sicherheit nicht der Papst.

Ein „Papst“, der die Kirche zerstört, ist eine Perversion, die nur dem verbogenen Geist Satans entsprungen sein kann, um die Verheißung Christi zu verhöhnen: „Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will Ich Meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.“ Und nun soll ausgerechnet Petrus, der Fels, selber es sein, die die Kirche „überwältigt“? Ein „Pius-Vorzeige-Theologe“ wollte die Verheißung Christi immerhin retten, indem er sie dahingehend auslegte, daß selbst der Papst es nicht fertigbringen würde, die Kirche zu zerstören. Und keiner von den „Traditionalisten“ merkt, in welche aberwitzigen Abgründe sie sich verrannt haben.

Mysterium ja, Widerspruch nein

„Es besteht kein Zweifel, daß das, was die katholische Kirche derzeit durchmacht, nichts Geringeres ist als ihre mystische Passion“, stellt „Novus Ordo Watch“ abschließend fest. „Das bedeutet jedoch nicht, daß wir dieses Konzept verwenden können, um das katholische Dogma oder die Lehre, wie sie vor dem falschen Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) geglaubt und gelehrt wurde, zu verändern. Mit anderen Worten, wir können uns nicht auf eine Passion der Kirche berufen, um Widersprüche zu rechtfertigen, um unorthodoxe Ideen zu vertreten oder um das Lehramt aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanum zu verwerfen. Was auch immer die wahre Natur der Passion der Kirche sein mag, sie kann sicherlich nichts sein, was der ewigen katholischen Lehre widersprechen würde. Katholiken können ein Mysterium annehmen, niemals aber einen Widerspruch.“

Genau darum geht es nämlich, die in sich vollkommen widersprüchliche Ideologie des „Traditionalismus“, die zudem im geraden Gegensatz steht zur Lehre der Kirche, zu kaschieren und „mystisch“ zu verbrämen als „Passion der Kirche“. Wahre Mystik übersteigt zwar den Horizont unserer sichtbaren Wirklichkeit, aber sie hebt keine logischen oder metaphysischen Widersprüche auf. Erst recht gerät sie niemals in Widerspruch zur katholischen Lehre. Daran können wir wahre von falscher Mystik unterscheiden. Die „Mystische Passion der Kirche“ der „Traditionalisten“ gehört zu letzterer Kategorie.