Es fällt uns schwer, das, was wir mit dem Wort Modernismus bezeichnen und die ganze Menschenmachwerkskirche beherrscht, als System des Unglaubens zu durchschauen. Der Grund dafür ist ganz einfach: Auch wir sind moderne Menschen, und als solche haben wir den „common sense“, was man gewöhnlich ins Deutsche mit „gesunder Menschenverstand“ übersetzt, aber auch „Alltagsdenken“ oder „Hausverstand“ bedeuten kann, übernommen. Die allermeisten Menschen richten sich nach der Mehrheit, d.h. sie übernehmen die wichtigsten, grundsätzlichen Urteile von den anderen Menschen, weshalb es Minderheiten immer schwer haben, fallen sie doch aus dem Mehrheitsrahmen heraus. Was geschieht aber, wenn die Mehrheit irregeleitet wird? Was geschieht, wenn ein Großteil der grundlegenden, nicht mehr hinterfragten Urteile falsch sind? Eines ist dann jedenfalls ganz sicher: Die Wahrheit hat es sodann sehr sehr schwer, denn wie soll sie gegen die Diktatur der Beliebigkeit bestehen können?
Wie weit die Veränderung der selbstverständlichen Urteile inzwischen vorangeschritten ist, würden wir sofort einsehen, wenn wir auf Zeitreise gehen, also uns ganz einfach einmal etwa 250 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzen könnten. Angekommen in der Mitte des 17. Jahrhunderts würden wir sicherlich ziemlich überrascht sein und uns entweder ganz schön blöd oder recht gescheit vorkommen, was letztlich von der Intelligenz des einzelnen abhängen wird. Wobei wir überzeugt sind, je intelligenter jemand ist, desto blöder würde er sich vorkommen und nicht umgekehrt. Fühlt sich doch der moderne Mensch der Vergangenheit gegenüber grundsätzlich überlegen, was aber ein recht bedauernswerter Irrtum ist.
Wir haben im Beitrag Weihnachtslegenden von Legenden und Mythen gesprochen und das Paradox (den scheinbaren Widerspruch) erwogen, daß der Realist die Legenden liebt, wohingegen der Demagoge sich gewöhnlich dem Mythos zuwendet. Zunächst klingt das absurd, wie wir gezeigt haben, aber je mehr man sich mit dem Sachverhalt auseinandersetzt, desto klarer erkennt man, derjenige, der die Wirklichkeit möglichst nüchtern und klar erfassen möchte, also der Realist, sieht gerade in der Legende ein ausgezeichnetes Mittel, Wirklichkeit zur Sprache zu bringen. Dies ist deswegen so, weil die Wirklichkeit Geheimnisse in sich schließt, welche durch die Legende gedeutet werden. Der Demagoge hingegen möchte seine eigene Ideologie allen anderen Menschen überstülpen, weshalb er unwillkürlich zum Mythos greift, der den Irrtum, dem er anhängt, gleichsam verklärt und damit umso verführerischer und gefährlicher macht. Wie wir gezeigt haben, können auch moderne Mythen sehr langlebig sein.
Versuchslabor Welt
Der moderne Mensch, der grundsätzlich die Tendenz hat, das Geheimnis zu leugnen, macht die ganze Welt zum Versuchslabor, um alle noch bestehenden Geheimnisse aufzulösen. Grundsätzlich ist alles erkennbar, davon ist der moderne Mensch vollkommen überzeugt – wobei erkennbar für ihn immer nur heißt, wissenschaftlich erkennbar, oder noch genauer gesagt, naturwissenschaftlich erkennbar. In seinem Versuchslabor wird deswegen auch nur all das als Wirklichkeit anerkannt, was mit seinen selbst gebauten Meßgeräten gemessen werden kann. In dieser Meßgerätewelt wird mit höchstem Geistesaufwand der Geist eliminiert, also ausgeschlossen, und infolgedessen letztlich ausgelöscht. Eine unsagbar tragische Tragödie, ein äußerst trauriges Trauerspiel ist diese moderne Wissenschaftswelt. In ihr wird jegliche Wirklichkeit gemäß Mehrheitsbeschluß (wahrheitsgemäßer gesagt: durch Elitebeschluß) dazu verdammt, nur noch Materie zu sein. Wer aus diesem Grunddogma auszuscheren wagt, der wird aus dieser Wissenschaftswelt verbannt, er wird gnadenlos exkommuniziert. Und zwar gerade von jenen Leuten, die sonst so viel über das dunkle Mittelalter schimpfen, in welchem man angeblich gleich verbrannt wurde, wenn man anderer Meinung war als – ja als wer eigentlich?
Weil der konkrete Mensch jedoch eine solch grausam-kalte Welt der bloßen Materie nicht ertragen kann, flieht er wenigstens in seiner Freizeit umso leidenschaftlicher in den Mythos. Er hat zwar Gott, die Engel und die Dämonen aus seiner wissenschaftlichen Welt sozusagen chemisch rein herausdestilliert, aber durch die Hintertür des Gefühls und der Phantasie kommen die Kobolde, Feen, Hexen, Monster und allerlei Schreckgespenster in seine Welt zurück – inzwischen meist verkleidet als Außerirdische. Außerirdische sind ein unermeßlich großes Spielfeld für Science Fiction! Betrachten wir den heutigen Wissenschaftsbetrieb einmal ganz ehrlich, wo sind hier noch klare Grenzen? Wenn etwa Stephen Hawking eine ganze Welterklärungstheorie auf einer Strahlung aufbauen kann – der Hawkingstrahlung! – die von keinem Wissenschaftler je verifiziert wurde – also reine, bloße, vollkommene Fiktion ist! – was ist dann in dieser Wissenschaft noch Wirklichkeit?
Eine Zeitreise ins 17. Jahrhundert
Aber kehren wir nochmals ins 17. Jahrhundert zurück. Dort sind wir bei unserer Zeitreise gelandet, um das Denken der Menschen mit unserem Denken zu vergleichen. Wir sind ganz erstaunt, denn manches, was wir dort sehen, hören und erleben, erscheint uns als sehr modern, manches jedoch wiederum als sehr veraltet. Bei den sog. Freidenkern und Aufklärern finden wir fast alles, was auch heute noch als modern gilt und von allen bis heute meist unhinterfragt nachgeplappert wird, obwohl es schon so alt ist. Seltsamerweise werden diese Ideen auch heute noch so gepriesen, als wären sie erst kürzlich neu erfunden worden!
Daneben gibt es aber auch ganz rückständige, erschreckend rückständige Leute, z.B. Königstreue und Gottgläubige. Man faßt es kaum, diese Königstreuen glauben tatsächlich ganz ernsthaft, die Monarchie sei die beste aller Staatsformen und der König sei von Gottes Gnaden eingesetzt. Und die Gottgläubigen glauben ohne jeglichen Zweifel, mit vollkommener Überzeugung, Ruhe und Sicherheit an Gott. Sie glauben so an Gott, daß sie vollkommen davon überzeugt sind, die Welt könne ohne Gott gar nicht verstanden werden. Daß es so etwas Naives überhaupt geben kann? Der moderne Mensch findet solch einen Glauben äußerst primitiv, rückständig, ja fanatisch. Glauben ohne Zweifel, wie kann es denn so etwas geben? Was für ein extremer Fundamentalismus!
Noch etwas würde uns auffallen, wenn wir am Leben vor 250 Jahren teilnähmen: Auch in der wissenschaftlichen Welt wird ganz selbstverständlich von Gott gesprochen. Ja die allermeisten Gelehrten sind sicher, ohne Gott könne die Welt gar nicht erklärt werden, d.h. nicht wissenschaftlich erklärt werden. Selbst die Freidenker und Aufklärer getrauen sich noch nicht, Gottes Existenz einfach zu leugnen. Sie schieben Ihn zwar so weit wie irgend möglich an den Rand ihrer Welt, was sie dann Deismus nennen, aber eine Welt ganz ohne Gott, nein! Das wäre doch zu ungeheuerlich, zu gewagt, zu wahnsinnig! Wie ist es nun eigentlich soweit gekommen, daß die Mehrheit heute gerade dies für selbstverständlich hält? Nun, man hat die Wirklichkeit systematisch entmythologisiert…
Ein Christbaum …
Ein protestantischer Student saß in einer Vorlesung über Liturgie. Der protestantische Professor wollte den jungen Leuten begreiflich machen, warum der protestantische Gottesdienst gar so armselig geworden war. So hat er es natürlich nicht gesagt, weil er als Protestant überzeugt war, diese Form des Gottesdienstes entspräche derjenigen der Urkirche und damit dem Willen Christi. Demgegenüber sei der katholische Gottesdienst ein barocker Überschwang mit vielerlei unnötigen und überflüssigen Zutaten. Um das Ganze in ein leicht faßbares Bild zu kleiden, sagte er: Der katholische Gottesdienst gleiche einem Christbaum. Die Protestanten haben nichts anderes getan, als die künstlichen Verzierungen wie Kugeln und Lametta zu entfernen, um den wahren Baum wieder zum Vorschein zu bringen. Da kam von einem Studenten die Frage: Was ist aber, Herr Professor, wenn der katholische Gottesdienst der Baum war? Der Professor überging diese Frage geflissentlich mit Schweigen.
Ja, was ist nun wirklich, wenn der wahre Gottesdienst der katholische ist? Welcher Art ist dann der protestantische? Um im Bild des Herrn Professors zu bleiben: Es ist der Baum ohne Nadeln, der Baum als bloßes Gerippe, als dürres, elendes Skelett! Das ist der entmythologisierte „katholische Gottesdienst“ der Protestanten. Er ist kein Geheimnis des Glaubens mehr, keine geheimnisvolle Erneuerung des Kreuzesopfers Jesu Christi, in ihm gibt es keine Wesensverwandlung, keine Kommunion des Leibes und Blutes Christi, er ist nur eine Theaterveranstaltung, eine Erinnerungsfeier. In den protestantischen Kirchen brennt deswegen ganz zurecht kein Ewiges Licht mehr, ist doch die Gegenwart Jesu Christi erloschen – wie übrigens auch in der sog. Neuen Messe Montinis. Diese Entmythologisierung des Geheimnisses der Wirklichkeit ist jedoch nicht beim Gottesdienst stehengeblieben, sie wurde auf die ganze Wirklichkeit ausgeweitet.
Die entmythologisierte Wirklichkeit
Was ist die Wirklichkeit ohne Gott? Ohne Geist? Das ist die moderne, entmythologisierte Wirklichkeit, gleichsam ein seinsmäßiges Skelett. In diesem seinsmäßigen Skelett lebt der moderne Mensch und arbeitet der moderne Wissenschaftler. Diese von Gott befreite, entmythologisierte Wirklichkeit ist die wissenschaftliche Voraussetzung seiner Arbeit, sie ist das grundlegende Dogma der Moderne. Die moderne Wissenschaft beansprucht, die Welt ohne Gott erklären zu können. Das ist eine Tatsache, die von den modernistischen Theologen (ob progressiv oder konservativ) geflissentlich übersehen wird. Bei der Vorstellung seines neuen Buches vom „Großen Entwurf“, das Stephen Hawking zusammen mit Leonard David Mlodinow herausgab, gesteht der inzwischen verstorbene Hawking in einem Interview mit der BBC: „Geplant haben wir diese Debatte sicher nicht. Gott wäre nicht nötig gewesen in meinem Buch, aber es hätte nicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt, wenn ich nicht wieder auf ihn eingedroschen hätte.“ Man kann somit noch etwas präzisieren: Die moderne Wissenschaft ist nicht einfach nur Wissenschaft ohne Gott, sondern gegen Gott. Und das sicher nicht nur als werbewirksamer Gag.
Ein wissenschaftlicher Pantheismus …
Was geschieht jedoch, wenn die Wissenschaft Gott aus der Forschung ausschließt? Sie muß notwendigerweise einen Ersatz für Gott schaffen. Denn alles geschöpfliche Sein trägt das „ab alio esse – von einem anderen sein“ als Siegel an sich. Alles geschöpflich Seiende ist nämlich ganz und gar, durch und durch von einem anderen, es ist allein von Gott her und nur als ein solches, von einem anderen Geschaffenes, zu verstehen und richtig zu erklären.
Wird nun die Wirklichkeit von Gott befreit oder „entmythologisiert“, also Gott aus der wissenschaftlichen Forschung systematisch ausgeschlossen, dann entsteht für die wichtigsten Existenzfragen ein Erklärungsnotstand. Deswegen entwirft der atheistische Wissenschaftler trotz allem Bemühen gar kein rein atheistisches System, also ein System, in dem Gott nicht mehr vorkommt, sondern meist eine Art von Pantheismus. Gott wird sozusagen durch die Hintertüre unerkannt wieder in die Welterklärung eingeführt, stillschweigend integriert, aber so, daß nunmehr Gott und Welt eins sind. D.h. die Welt ist Gott und Gott ist die Welt. Dieser Pantheismus wird jedoch in keiner Weise mehr thematisiert, sondern wissentlich und willentlich übersehen, bzw. vertuscht.
… oder der „Ersatzgott“ Evolution
Es ist jedenfalls eine Tatsache: Jedes atheistische System muß letztlich bei seiner Welterklärung irgendeinen „Ersatzgott“ einbauen, der das leistet, was Gott in der Schöpfung allein zukommt, sonst kann es nämlich die Wirklichkeit nicht erklären. Aber natürlich wird dieser „Ersatzgott“ aufgrund der atheistischen Voraussetzung umbenannt und sachlich möglichst unkenntlich gemacht. Nehmen wir etwa den Evolutionismus. Im System des Evolutionismus ist es zuweilen kaum mehr zu fassen, was nach den Wissenschaftlern die Evolution alles leisten, d.h. machen, oder genauer müßte man sagen: schaffen können soll. Sobald man nur ein klein wenig nüchtern darüber nachdächte, müßte man sofort zweifelnd zurückfragen, woher denn die Evolution das alles kann – daß sie etwa neue Organe entwickelt, weil das Tier beschlossen hat, vom Wasser ans Land zu gehen. Die Evolutionstheoretiker verraten sich zuweilen dadurch, daß sie die Evolution auch rein sprachlich verpersönlichen, also sie zu einem jemand machen. „Da hat sich die Evolution etwas ausgedacht“, lautete z.B. so eine Formulierung. Da wird der „Ersatzgott“ direkt greifbar, wenn man ihn nur sehen will.
Das Ende der theoretischen Physik?
Als Stephen Hawking 1980 nach Cambridge auf den berühmten Lukasischen Lehrstuhl für Mathematik berufen wurde, den einst Sir Isaac Newton innehatte, stellte er in seiner Antrittsrede die Frage: „Ist das Ende der theoretischen Physik in Sicht?“ Er selbst glaubte nämlich, mit der vereinheitlichten Theorie der Quantengravitation alle physikalischen Phänomene beschreiben zu können – und versprach deswegen, bis Ende des 20. Jahrhunderts würde die Weltformel, mit der man restlos alles erklären könne, zur Verfügung stehen. Damit wäre auch das Ende der theoretischen Physik gekommen, denn fortan gäbe es nichts Neues mehr zu sagen – und Gott endgültig für die Welterklärung als überflüssig erwiesen. In einem späteren Interview mit der Zeitschrift FOCUS mußte er sein voreiliges Versprechen freilich wieder revidieren: „Ich glaube immer noch, dass wir es bis zum Ende des Jahrhunderts schaffen, diesmal aber zum Ende des 21. Jahrhunderts.“ So einfach ist das in der modernen Physik, was bedeutet da schon ein Jahrhundert?!
Das sog. Higgs-Teilchen
Damit es nicht mehr gar so lange dauern sollte, bis die alles erklärende Weltformel zusammengebastelt werden konnte, gingen die Wissenschaftler in erster Linie auf die Jagd nach dem sog. Higgs-Teilchen. Im Rahmen der modernen physikalischen Theorien war es immer noch ein Rätsel, wie die Materie zu einer Masse kam. Nach vielem Nachdenken schlug Peter Higgs 1964 ein neues Teilchen und einen Mechanismus vor, wie das von ihm entdeckte Teilchen anderen Teilchen Masse verleihen könnte. In den Medien wurde dafür der Begriff „Gottesteilchen“ geprägt.
Der Begriff stammte vom Physiker Leon Max Lederman. Dieser hatte in seinem Buch das Teilchen ursprünglich eher etwas launisch als „goddamn particle“ – als „gottverdammtes Teilchen“ bezeichnet und wollte damit nur das Teilchen und „seine schurkische Natur und den Aufwand, den es verursacht“ beschreiben. Dem Verleger war diese Bezeichnung noch zu wenig prägnant oder auch nicht provokativ genug, und daher verkürzte er den Begriff einfach auf „god particle“ – „Gottesteilchen“. Diese Anspielung war sicherlich genauso wie bei Hawking mehr als nur ein Werbegag.
Es ist auch interessant, daß Lederman noch einen zweiten Grund für die Wahl des Begriffs „Gottesteilchen“ angibt. Er zieht in seiner Erklärung einen Vergleich zur Geschichte der babylonischen Sprachverwirrung, die in der Heiligen Schrift (Genesis 11, 1-9) berichtet wird. Lederman meint nun, die Materie im Universum habe ein ähnliches Schicksal erfahren, wie die Menschen, die in dieser Geschichte ihre gemeinsame Sprache verloren. Hätte er ein wenig weiter gelesen und etwas tiefer nachgedacht, so wäre ihm wohl aufgefallen, daß der Grund für die babylonische Sprachverwirrung die Selbstüberhebung der Menschen war, die sich mit ihrem Turmbau bis zu Gott erheben wollten. Womöglich ist die wissenschaftliche Sprachverwirrung tatsächlich ganz einfach eine Strafe Gottes für den Hochmut der Wissenschaftler?
Es dauerte bis zum 4. Juli 2012, da konnten die Wissenschaftler des zig Milliarden an Steuergeldern verschlingenden Cern-Forschungszentrums in Genf endlich im Beisein von Francois Englert und Peter Higgs verkünden, daß ihnen die Entdeckung des gesuchten Teilchens mit hoher Wahrscheinlichkeit geglückt sei. Wir wollen hier nicht auf das wissenschaftliche Ritual eingehen, wie aus einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Sicherheit wird. Die Schwierigkeit ist jedenfalls enorm, sobald man bedenkt, die Forscher müssen, um des Teilchens habhaft zu werden, ganz präzise messen, mit welcher Rate das Boson in andere Partikel zerfällt und die Ergebnisse mit den Vorhersagen vergleichen. Erschwerend kommt hinzu, daß das Higgs-Boson bei den Teilchenzusammenstößen in der 27 Kilometer langen Beschleunigerröhre des Genfer Teilchenbeschleunigers nur äußerst selten auftritt. Man stelle sich einmal vor: Die Forscher müssen im Durchschnitt rund eine Billion Mal Protonen zusammenstoßen lassen, um ein einziges Higgs-Boson beobachten zu können! Man kann sich durchaus leicht vorstellen, was dabei alles passieren kann. Jedenfalls sind noch viele weitere Versuche notwendig, um alle möglichen Zerfallsarten des Teilchens zu erfassen.
Wenn die hausgroßen Detektoren Bruchstücke aufgefangen haben, die auf das Higgs-Teilchen hindeuten könnten, so bleibt immer noch die Arbeit, die von den Detektoren gelieferte Datenflut zu bewältigen. Diese liefern nämlich pro Tag rund 40.000 Gigabyte an Daten – so viel, wie auf rund 8.000 DVDs passt! Bei einer solchen Menge an Daten drängt sich einem freilich die Frage auf, was ist da schließlich noch Meßergebnis und was Interpretation?
Für ihre theoretischen Vorarbeiten zu dieser Entdeckung erhielten Peter Higgs und Francois Englert den Physik-Nobelpreis 2013. Doch brauchen die Wissenschaftler trotz dieser Jahrhundertentdeckung, wie man es nannte, keinerlei Angst haben, daß man ihre Milliarden verschlingende Forschungsmaschine nun stilllegen könnte. Wie nämlich Englert sofort betonte, sei die Physik nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens durchaus nicht an ihrem Ende angelangt: „Es gibt noch mehrere große Fragen zu klären.“ Zu diesen großen Fragen der modernen Physik gehört es etwa zu entschlüsseln, was eigentlich die Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie ist. Das könnte wirklich interessant werden, gibt es doch Verschwörungstheoretiker - und nicht nur diese –, die Angst haben, die ganze CERN-Anlage könnte in ein schwarzes Loch fallen, das es vorher selbst erzeugt hat. Dann wären sie einfach weg, die Milliarden Forschungsgelder mit all den vielen Wissenschaftlern. Jedenfalls mahnt der Physiker Stephen Hawking bei der weiteren Erforschung des lange gesuchten Teilchens zur Zurückhaltung, denn im schlimmsten Falle drohe der Untergang des gesamten Universums. Auf einem sehr hohen Energieniveau könnte nämlich das Higgs-Teilchen einen plötzlichen Kollaps von Raum und Zeit verursachen. Dabei würde die Katastrophe ohne erkennbare Vorzeichen hereinbrechen. Hawking gab aber auch gleich wieder Entwarnung, denn ein Teilchenbeschleuniger, der solch hohe Energie erzeugen kann, müsste größer als die Erde sein.
Eine zweite babylonische Verwirrung
Aber kommen wir zurück zur Entmythologisierung der Wirklichkeit. Nachdem die Wissenschaftler Gott aus ihrem System verbannt haben, mit anderen Worten die ihnen zugängliche Wirklichkeit entmythologisiert haben, verfallen sie tatsächlich zur Strafe in eine babylonische Sprachverwirrung. Zuweilen möchte man beim Lesen entsprechender Artikel zum Thema Teilchenphysik oder auch Weltraumforschung den Autor gerne fragen: Sind Sie mal ganz ehrlich, wissen Sie überhaupt noch genau und präzise, wovon sie reden? Weil nun einmal die konkrete Wirklichkeit ohne Gott nicht erklärt werden kann, müssen sich die atheistischen Wissenschaftler mit „Gottesteilchen“ zufriedengeben, die ihnen dabei helfen sollen, sich einbilden zu können, sie könnten nun die Welt ohne Gott erklären. Was für ein kümmerlicher Gottesersatz! Und was für eine kümmerliche Welt ergibt sich daraus! Diese Leute wissen tatsächlich nicht mehr, was die Wörter bedeuten, welche genauen Inhalte die verschiedenen Begriffe haben und was eigentlich ein konkretes Seiendes zu dem macht, was es ist. Ganz sicher nicht ein „Gottesteilchen“! In dem Interview der Tagesschau mit Ranga Yogeshwar zur möglichen Entdeckung des lange vorhergesagten Higgs-Bosons oder „Gottesteilchens“ am 05.07.2012 sagte dieser abschließend, auf den Begriff „Gottesteilchen“ möchte er lieber verzichten. Wäre das nun ehrlicher oder nicht?
Hierzu sei noch ein philosophischer Gedanke eingeflochten: Für einen Philosophen ist es doch recht befremdlich, sehen zu müssen, wie die modernen Wissenschaftler meinen, zutiefst metaphysische Fragen physikalisch lösen zu können. Diese Verwechslung der beiden Wissenschaften ist auch der eigentliche Grund für die neue babylonische Sprachverwirrung. Einem Philosophen erscheint jedenfalls allein schon die Tatsache reichlich komisch, wie ein vernünftiger Mensch auf die Idee kommen kann, durch Zertrümmerung von Elementarteilchen dem Bauplan der Welt auf die Spur zu kommen. Diese Idee allein zeigt zur Genüge, welch geistig verheerende Auswirkung eine falsche Philosophie haben kann. Denn ohne daß die hochdotierten Wissenschaftler sich auch nur die geringste Rechenschaft ablegen, überschreiten sie ihre, durch ihre eigenen Vorgaben eingeschränkten, eigenen Wissensmöglichkeiten himmelweit. Sie betreiben großteils Philosophie (eine dilettantische obendrein), bilden sich jedoch dabei ein, es sei höchste Physik.
Ab und zu stößt diese Tatsache einem Physiker noch auf, weshalb er sich genötigt fühlt anzumerken, man müsse erst einmal grundsätzliche erkenntnistheoretische Fragen klären, ehe man an diese höchst anspruchsvolle Arbeit einer allumfassenden Welterklärung gehen könne. Da aber erkenntnistheoretische Fragen allein philosophisch zu beantworten sind, also nur außerhalb des Fachbereiches der Physik sinnvoll erörtert werden können, und diese zudem sich recht schwierig und aufwendig gestalten, lassen es die allermeisten wieder bleiben – und sind hocherfreut über die Entdeckung ihrer „Gottesteilchen“, die für sie ein weiterer Beweis sind, daß sie Gott für die Erklärung der Welt nicht brauchen. Mit anderen Worten: Es ist gelungen, die zugleich kindlich-einfache und äußerst anspruchsvolle Legende der biblischen Schöpfungsgeschichte durch den Mythos der „Gottesteilchen“ zu ersetzen. Wie sollen da die Menschen jemals wieder verstehen können, wie wunderbar schön unsere Welt ist und wie tragisch ernst unsere Erlösungsgeschichte?
Entmythologisierung der Gesellschaft und der Kirche
Hand in Hand mit der Entmythologisierung der Naturwissenschaften ging die Entmythologisierung der Gesellschaft und der Kirche. Auch hier war es schon das erklärte Ziel der Freigeister und Aufklärer gewesen, Gott möglichst an den Rand zu drängen, damit sie tun und lassen konnten, was sie wollten, nämlich ungezügelt ihren Leidenschaften frönen. Nach ihrer Meinung gehört Gott in die Sakristeien eingesperrt, denn Gott ist Privatsache. Staat und Kirche müssen getrennt werden, denn die Gottesfrage muß jeder mit sich selbst ausmachen, damit hat der Staat nichts zu tun und darum hat er auch nicht in die Religion dreinzureden. Der Staat hat sich neutral zu verhalten.
Das war freilich nur so dahingesagt, denn die ideologische Elite wußte natürlich, daß diese Neutralität nur ein Zwischenstadium sein kann. Wenn es nämlich um den Gott der Offenbarung geht, gibt es keine Neutralität, wie auch unser göttlicher Lehrmeister betont: „Eure Rede soll sein: Ja, ja - nein, nein. Was darüber hinausgeht, ist vom Bösen“ (Mt 5, 37). Ein neutraler Staat wird letztlich zu einem gottlosen Staat werden, der notwendigerweise zu einem antichristlichen Staat entarten wird, wie man es heute überall beobachten kann. Der Gott der Offenbarung, der menschgewordene Sohn Gottes fordert nämlich keine Neutralität, sondern das Bekenntnis: „Wer immer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen“ (Mt 10, 32f). Das gilt natürlich nicht nur im Privaten, das gilt selbstverständlich auch für den Wissenschaftler in seiner Wissenschaft und den Politiker in seiner Politik. Ein Wissenschaftler kann keine gottlose Wissenschaft betreiben und sich hernach wundern, wenn er und immer mehr andere Menschen den Glauben verlieren.
Die „liberalen Katholiken“
Dasselbe gilt auch für den Politiker. Es ist erschreckend, feststellen zu müssen, wie wenig Katholiken das seit der Aufklärung noch klar gesehen haben. Schon im 19. Jahrhundert sind die sog. liberalen Katholiken immer mehr geworden, heute heißen sie Modernisten. Ein liberaler Katholik ist ein quadratischer Kreis, eine Unmöglichkeit! Konkret ist er ein Mensch, der sich einbildet, den übernatürlichen katholischen Glauben mit der gottlosen Ideologie der modernen Welt in Einklang bringen zu können. Darum schaut er bei der Entmythologisierung der Wirklichkeit nicht einfach nur tatenlos zu, sondern er begrüßt sie sogar grundsätzlich und treibt sie selber in der Kirche voran.
Der liberale Katholik kann das nur, weil er keinen übernatürlichen Glauben mehr anerkennen will. Er ist nur noch Katholik dem Namen nach, ein „Katholik“, der sich selbst durch die ernstesten Mahnungen der Päpste nicht mehr von seinem Irrtum abbringen ließ. In seinem Buch „Liberalismus ist Sünde“ stellt deswegen auch Monsignore Dr. Felix Sardà y Salvany fest: „Diese erlauchten Sophisten gelangten nicht zur Einsicht, daß wenn man die individuelle Vernunft zur Unterwerfung unter das Gesetz Gottes verpflichte, man doch nicht die öffentliche oder soziale Vernunft für entbunden von demselben erklären könne, ohne in einen ungereimten Dualismus zu fallen, welcher den Menschen dem Gesetze zweier entgegengesetzter Kriterien und zweier entgegengesetzter Gewissen unterwirft. Die Unterscheidung des Menschen in Privatperson und Staatsbürger verpflichtet ihn, Christ zu sein in der ersten Beziehung und erlaubt ihm gottlos zu sein in der zweiten.“
Der Modernismus, welcher nur die Weiterführung des liberalen Katholizismus des 19. Jahrhunderts ist, geht inzwischen schon viel weiter. Um diese Entwicklung etwas besser fassen und somit die heutige Entmythologisierung der Wirklichkeit tiefer verstehen zu können, ist es sehr hilfreich, ein wenig auf die Vergangenheit zu schauen. In der Einleitung zu seinem Buch von 1884 fällt die allgemeine Bestandsaufnahme Monsignore Dr. Felix Sardà y Salvanys wie folgt aus: „Der Gefahren, welche in unseren Tagen dem Glauben des christlichen Volkes drohen, sind viele, (sagten vor kurzem die weisen und tüchtigen Prälaten der Kirchenprovinz Burgos); jedoch alle laufen in Eine zusammen, deren Name alle anderen in sich schließt: es ist der Naturalismus ... Nennet ihn Rationalismus, Sozialismus, Revolution oder Liberalismus, er wird immer vermöge seines Verhältnisses und selbst seines Wesens eine offene oder geheime, jedoch radikale Leugnung des christlichen Glaubens sein; und demnach ist es von Wichtigkeit, sorgfältig demselben vorzubeugen, wie es von Wichtigkeit ist, die Seelen zu retten.“
Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts
Man muß sich die Tatsache ganz nüchtern und ernst vor Augen stellen: Immer mehr Katholiken verfallen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einer Irrlehre, die ihnen als Privatperson erlaubt, Christ zu sein, aber sie zugleich als Staatsbürger verpflichtet, gottlos zu sein. Seinem Wesen nach schließt der Liberalismus eine übernatürliche Religion aus, er ist „seines Wesens eine offene oder geheime, jedoch radikale Leugnung des christlichen Glaubens“. Dennoch meinten immer mehr Katholiken, sich mit dem modernen liberalen Geist aussöhnen zu können, ohne dadurch aufzuhören, Katholiken zu sein. Dasselbe gilt heute für den Modernismus. Die Mehrheit der heutigen „Katholiken“ denkt, man könne durchaus Modernist sein und zugleich Katholik bleiben. Diese Verblendung ist letztlich allgemein geworden.
Die Päpste haben sich im 19. Jahrhundert jede nur erdenkliche Mühe gegeben, dieser Verblendung entgegenzuwirken. So ermahnt Pius IX. im Breve vom 6. März 1873 an den Präsidenten und die Mitglieder des Vereins des heiligen Ambrosius in Mailand:
„Es fehlt nicht an solchen, die es versuchen, ein Freundschaftsbündnis zu schließen zwischen Licht und Finsternis und einen Vertrag einzugehen zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, und dies zu Gunsten der sogenannten katholisch-liberalen Lehren, welche auf höchst verderblichen Grundsätzen beruhend, sich den Übergriffen der weltlichen Macht auf geistliches Gebiet günstig erweisen und jene Namenskatholiken geneigt machen, ungerechte Gesetze hochzuschätzen oder wenigstens zu dulden, als ob nicht geschrieben stände, daß niemand zwei Herren zugleich dienen kann; diejenigen, welche so handeln, sind durchaus gefährlicher und beklagenswerter als selbst die erklärten Feinde; nicht nur insofern als sie, ohne daß es die andern merken, und vielleicht ohne daß sie selber es beachten, die Versuche und Anschläge der Bösen begünstigen, sondern auch besonders deshalb, weil sie, innerhalb gewisser Grenzen sich haltend, nach außen sich mit dem Schein der Billigkeit und der gesunden Lehre umgeben, um so die unklugen Schwärmer der Versöhnungspolitik hinters Licht zu führen und die ehrlichen Leute zu verblenden, die den offenkundigen Irrtum sicher bekämpft hätten.“
Das Wesen der heiligen Kirche
Der katholische Glaube ist als eine übernatürliche, gottgeschenkte Gnade etwas Einmaliges. Genauso auch die Katholische Kirche. Als übernatürliche, von Gott gegründete Gemeinschaft ist sie etwas Einmaliges und somit mit nichts zu Vergleichendes! Alle Wesenseigentümlichkeiten kommen ihr von Gott zu, nicht von Menschen: Ihr Glaube, ihre Einheit, ihre Heiligkeit ist ihr von Gott geschenkt worden. Kein Mensch hat darum irgendein Recht, am Wesen der hl. Kirche zu rühren.
Die liberalen Katholiken sehen nun gerade in diesen Wesenseigentümlichkeiten ein Hindernis dafür, sich mit dem Geist der Welt wieder zu verbrüdern. Darum bemühen sie sich, die Unterschiede möglichst herunterzuspielen, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das ist aber unmöglich, ohne das übernatürliche Wesen preiszugeben, steht doch der Geist der Welt im direkten Widerspruch zum Geist Jesu Christi und Seiner heiligen Kirche. Im 1. Brief des hl. Johannes heißt es dementsprechend: „Liebt nicht die Welt, noch was in der Welt ist! Wenn jemand die Welt liebt, ist die Liebe zum Vater nicht in ihm. Denn alles in der Welt - die Begierde des Fleisches und die Begierde der Augen und die Prahlerei mit dem Vermögen - ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Doch die Welt vergeht samt ihrer Begierde, wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1 Joh. 2, 15ff). Es besteht ein vollkommener Widerspruch zwischen dem Geist der Welt und dem Denken des Katholiken. Für die moderne gottlose Welt gilt sicher im besonderen Maße, was unser Herr im hohepriesterlichen Gebet beim letzten Abendmahl zum Ausdruck bringt, wenn Er zum Vater betet: „Für sie bitte ich. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für sie, die du mir gegeben hast. Sie sind ja dein“ (Joh 17, 9). Der Geist der Welt ist dem Geist Unseres Herrn Jesus Christus so entgegengesetzt, daß Er nicht einmal für sie betet.
Und der Geist der Welt
Es ist kaum noch zu glauben, gerade in der Zeit, die dem Antichristen schon so nahe ist – weshalb die Gesellschaft immer mehr antichristliche Züge annimmt – und der Widerspruch immer größer, schärfer und damit klarer wird, meinen viele Katholiken, sich mit dem Geist der Welt aussöhnen zu müssen und zu können. Was für eine Verblendung! Am 9. Juni 1873 wandte sich Pius IX. an den Präsidenten und die Mitglieder des katholischen Vereins von Orléans, wobei er den liberalen Geist folgendermaßen beschrieb: „Wiewohl Ihr gegen die Gottlosigkeit einen erbitterten Krieg führen müßt, so droht Euch doch von dieser Seite vielleicht keine so große Gefahr, als wie von Seite einer Anzahl Freunde, die für jene zweideutige Lehre eingenommen sind, welche zwar die letzten Konsequenzen der Irrtümer zurückweist, dennoch aber die Keime derselben hartnäckig pflegt. Während sich nämlich dieselbe weder der ganzen Wahrheit anschließen will, noch es wagt, sich gänzlich von ihr loszusagen, bemüht sie sich, die Überlieferungen und Lehren der Kirche nach Belieben zu deuten, indem sie diese dem Modell der Privatmeinungen anpaßt.“
Der liberale Katholik hat sich so sehr angewöhnt, seinem eigenen Urteil den Vorzug zu geben, daß ihm das kirchliche Lehramt entweder gar nicht mehr oder nur noch äußerst selten verbindlich erscheint. Er bemüht sich jederzeit und systematisch, „die Überlieferungen und Lehren der Kirche nach Belieben zu deuten, indem er diese dem Modell der Privatmeinungen anpaßt“. Dasselbe macht übrigens heutzutage der Großteil der sog. Traditionalisten, ohne auch nur im Geringsten zu merken, daß sie sich damit als Söhne der „liberalen Katholiken“ und Geistesverwandte der Modernisten ausweisen.
Die Eigenart des Liberalismus – Die Säkularisation
Damit es uns nicht ebenso ergeht, lassen wir uns von Monsignore Dr. Felix Sardà y Salvany die Eigenart des Liberalismus noch genauer erklären. Bezüglich der liberalen Ideen stellt er fest: „Der gemeinsame Boden, in welchem sie wurzeln, ist der individuelle Rationalismus, der politische Rationalismus und der soziale Rationalismus. Hieraus folgt die mehr oder weniger beschränkte Kultusfreiheit, der Vorrang des Staates in seinen Beziehungen zur Kirche, der weltliche oder unabhängige Unterricht ohne jede Verbindung mit der Religion, die einzig durch staatliche Dazwischenkunft gültige und rechtskräftige Ehe. Seine letzte Losung, eine Parole, die alles andeutet und enthält, ist das Wort Säkularisation, d.i. die Nicht-Dazwischenkunft der Religion in was immer für einem Akte des öffentlichen Lebens: der wahre soziale Atheismus, der die letzte Folge des Liberalismus ist.“
Die angebliche Basis aller Liberalen ist die Vernunft. Wobei sie mit Vernunft immer die sog. autonome Vernunft meinen, also die Vernunft ohne konkreten Gottesbezug. Der Liberale fühlt sich frei, frei von jeder Autorität. Er unterwirft sich nur einer Autorität, wenn diese das sagt und tut, was er sagen und tun würde. Infolgedessen unterwirft sich der liberale Katholik auch niemals wirklich dem kirchlichen Lehramt, und selbstverständlich leugnet er wenigstens in der Tat dessen Unfehlbarkeit. Immer steht sein eigenes, privates Urteil über dem Urteil der Kirche. Dementsprechend muß das konkrete Leben entmythologisiert werden. Es muß von allem übernatürlichen Zusatz gesäubert werden. Deswegen übernimmt der Staat die Verantwortung für die Erziehung, er bestimmt die Gesetze der Ehe – und läßt natürlich die Ehescheidung zu – und verbannt schließlich die Religion vollkommen aus dem öffentlichen Leben. Dr. Felix Sardà y Salvany faßt zusammen: „Der praktische Liberalismus ist eine vollständige Welt mit ausschließlich ihm eigenen Grundsätzen, Gebräuchen, Künsten und Ränken, mit Literatur, Diplomatie, Gesetzen, Machinationen und Bedrückungen. Er ist die Welt Luzifers, verhüllt freilich heutzutage mit jenem Namen; der im ausgesprochensten Widerspruche steht mit der Gesellschaft der Kinder Gottes, nämlich der Kirche Jesu Christi.“
Der Liberalismus ist die Lehre Luzifers, um die Katholiken für seine Welt zu gewinnen. Der Teufel verspricht Freiheit – er verkündet seinen Grundsatz: Tu, was du willst! Natürlich wird der Teufel dieses Versprechen niemals einlösen, aber er wird denjenigen, die ihm folgen, Gott aus dem Herzen reißen und durch irgendeinen Götzen ersetzen.
Wie glaubenslos muß ein Katholik schon geworden sein, wenn er fähig ist, sich einzubilden, diese Welt Luzifers könne man mit der Kirche Jesu Christi versöhnen? Auch hier gibt es eine Parallele zur heutigen Bewegung der Tradition: Wie viele Traditionalisten meinen ernsthaft, als Katholiken könnten sie einfach mit der Menschenmachwerkskirche, also einer Teilgruppe der Synagoge Satans, zusammenarbeiten, ohne ihren Glauben zu gefährden, bzw. zu verlieren. Auch sie haben offensichtlich die Wirklichkeit der Kirche Jesu Christi schon so weit entmythologisiert, daß sie den wesentlichen, fundamtentalen, kontradiktorischen Unterschied zur Menschenmachwerkskirche gar nicht mehr wahrnehmen können.
Die liberalen Irrtümer
Ein Blick auf die liberalen Irrtümer kann uns sicherlich dabei helfen, uns vor solch einem Irrwahn zu bewahren. Monsignore Sardà y Salvany sagt es ganz unverblümt, damit keine Unsicherheiten und Ausreden bleiben: „In der Ordnung der Lehren ist der Liberalismus Häresie. Häresie nennt man jede Lehre, welche ausdrücklich und hartnäckig einen christlichen Glaubenssatz leugnet. Der Liberalismus als Lehre leugnet aber erstens alle Glaubenssätze im Allgemeinen und dann jeden einzelnen im Besondern. Er leugnet alle im Allgemeinen, wenn er die absolute Unabhängigkeit der individuellen Vernunft im Individuum und der sozialen Vernunft oder des öffentlichen Kriteriums in der Gesellschaft behauptet oder annimmt. Wir sagen: behauptet oder annimmt, weil man zuweilen in den sekundären Folgerungen das liberale Prinzip nicht behauptet, sondern als vorausgesetzt und angenommen hinnimmt. Er leugnet die unbedingte Gerichtsbarkeit des göttlichen Heilandes über die Menschen und die Gesellschaften und mithin auch die übertragene Gerichtsbarkeit, welche das sichtbare Oberhaupt der Kirche von Gott empfing über alle und jeden einzelnen Gläubigen, welchen Standes und welcher Würde dieselben auch sein mögen.“
Der Liberalismus ist nicht irgendeine Irrlehre (wie Papst Pius X. bezüglich des Modernismus hervorhebt, der ja nichts anderes ist als ein anderer Name für diesen). Der Liberalismus ist die Leugnung und zugleich Verkehrung des übernatürlichen Glaubens, denn er ist die Loslösung des Glaubens von der Autorität Gottes und der Kirche. Der liberale Katholik bzw. der Modernist unterwirft die einzelnen Glaubenslehren systematisch seinem persönlichen Urteil und Geschmack. Darum gibt es bei den liberalen Katholiken und Modernisten auch konservative und progressive Leute – je nach persönlichem Geschmack. Es gibt im Grund keine verbindlichen Lehren mehr, sondern nur noch Übereinkünfte, Momentaufnahmen des konkreten Glaubens unter den Gläubigen. Ganz dementsprechend hat auch Bergoglio das Lehramt der Menschenmachwerkskirche als Hören auf die Basis bezeichnet und damit die katholische Lehre einfach auf den Kopf gestellt.
Die Lehre der Liberalen und Modernisten ist gerade deswegen nicht so leicht zu fassen, weil es keine Einheit in der Lehre gibt. Die Menschenmachwerkskirche hat doch keinen gemeinsamen Glauben mehr, sie ist ein Sammelsurium von Irrlehren, ja nicht selten sogar ganz absurder Ideen. In einem aber kommen alle Liberalen und Modernisten überein, wie auch Monsignore Sardà y Salvany hervorhebt: „Er leugnet die unbedingte Gerichtsbarkeit des göttlichen Heilandes über die Menschen und die Gesellschaften und mithin auch die übertragene Gerichtsbarkeit, welche das sichtbare Oberhaupt der Kirche von Gott empfing über alle und jeden einzelnen Gläubigen, welchen Standes und welcher Würde dieselben auch sein mögen.“
Es gibt letztlich nur einen konkreten Berührungspunkt des Katholiken mit dem Übernatürlichen, wenn es um seinen übernatürlichen Glauben geht: Der Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Lehramt. In diesem Gehorsam unterwirft der Katholik tatsächlich sein eigenes, persönliches Urteil einer anderen Autorität. Das Vertrauen auf diese Autorität kommt von Unserem Herrn Jesus Christus, der Seiner Kirche die Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenentscheidungen zugesichert hat. Daraus ist leicht ersichtlich, daß jeder Liberale mit der Unfehlbarkeit der Kirche auf Kriegsfuß steht, wie Matthias Josef Scheeben in seinem Aufsatz „Die theologische und praktische Bedeutung des Dogmas von der Unfehlbarkeit des Papstes, besonders in seiner Beziehung auf die heutige Zeit“ erklärt:
„Es ist daher nicht zu verwundern, wenn der Geist der Zeit, der den Organismus der Kirche in ihrer Desorganisation sucht und keine Christuskirche, sondern eine Menschheitskirche will, sich an der Stellvertretung Christi als solcher eigentümlichen und von aller menschlichen Stellvertretung unabhängigen Unfehlbarkeit gestoßen und an den ‚Vice-Göttern‘ in der Kirche seine Wut ausgelassen hat. Dem Anscheine nach sollte der Ingrimm bloß dem einen ‚Vice-Gott‘ auf St. Peters Stuhl gelten; solange man die Bischöfe noch gegen denselben gebrauchen zu können glaubte, redete man viel Schönes und Süßes von der Stellvertretung Christi durch die Bischöfe, und gab vor, die Würde und Bedeutung dieser letzteren Stellvertretung werde durch den einen vollkommenen Vikarius Christi verdunkelt und vernichtet. Im Grunde aber kämpften diese Leute gegen das Prinzip der unfehlbaren Stellvertretung Christi durch bestimmte von der Menge unabhängige, kraft ihrer höheren Mission mit unfehlbarer Autorität der Menge gegenübertretende Organe…“
Es ist sicherlich bezeichnend, wenn ein Traditionalisten-Priester - gleich den Altkatholiken - seine Wut an den „Vice-Göttern“ in der Kirche mit folgenden Worten zum Ausdruck bringt: „Dem Sedisvakantismus liegt ein übersteigertes Papstverständnis zu Grunde, demgemäß der Papst sozusagen ‚in allem‘ und ‚gemäß allem‘ unfehlbar sei, gleichsam ein Orakel Gottes.“ Die Unfehlbarkeit des Papstes ist gerade deswegen der Stein des Anstoßes, weil sich an ihr entscheidet, ob man noch an eine übernatürliche oder bloß noch eine natürliche Kirche glaubt. Letztlich machten die Altkatholiken genauso wie diese Traditionalisten den Papst zu einem Menschen wie jeden anderen auch. Ihr „Papst“ ist ein allzeit irrender Mann, mit unzähligen Sünden, Fehlern und Nachlässigkeiten. Was unterscheidet dann aber die Kirche noch von anderen natürlichen Gemeinschaften, wenn sie eine solche Leitung hat? Nichts! Wie Scheeben hervorhebt: „Im Grunde aber kämpften diese Leute gegen das Prinzip der unfehlbaren Stellvertretung Christi durch bestimmte von der Menge unabhängige, kraft ihrer höheren Mission mit unfehlbarer Autorität der Menge gegenübertretende Organe.“
Über das Urteil eines allzeit irrenden Mannes kann und darf und muß ich letztlich jederzeit mein persönliches Urteil als letzte Instanz setzen. Es wäre schließlich ganz schön dumm, irgendeinem Dummkopf oder Irrlehrer Glauben zu schenken. Sobald jemand nicht mehr bereit ist, sein persönliches Urteil einem anderen unterzuordnen, erscheinen ihm die Päpste als Ersatz-Götter (wir wollen hierzu an die „Gottesteilchen“ erinnern), der unfehlbare Papst erscheint gleichsam als ein Orakel Gottes.
Scheeben entgegnet diesen Vorwürfen so: „Hätte man einen richtigen Begriff von dem übernatürlichen Schatz der Gnade und Wahrheit, der in der Kirche niedergelegt ist, so wäre eine solche Auffassung ihres Organismus unmöglich. Begriffe man die Gnade und Wahrheit, die uns durch Christus geworden, nicht als eine bloße Nachhilfe, die der Natur zur freien Verfügung und zur gefälligen Benutzung dargeboten ist, sondern als einen Strom übernatürlichen, himmlischen, göttlichen Lichtes und Lebens, das sich aus dem Herzen des Sohnes Gottes durch die Kirche als seinen mystischen Leib ergießen soll: dann würde man begreifen, daß er die Glieder der Kirche mit ihrem gottmenschlichen Haupt verketten und seinerseits seine ganze Kraft und Wirksamkeit aus diesem schöpfen muß, daß die Verwalter der Gnadenmittel und der Lehre in Wirklichkeit die Kanäle und Organe des fortdauernden, lebendigen übernatürlichen Stromes der Gnade und der Wahrheit, des Lebens und Lichtes sind, der vom Haupt aus in alle Glieder des Leibes der Kirche sich ergießt; man würde folglich auch keinen Anstand nehmen, in den hierarchischen Organen, wie eine übernatürliche Fruchtbarkeit in Bezug auf die Gnade, so auch eine übernatürliche Erleuchtung in Bezug auf die Lehre der Wahrheit anzuerkennen.“
Wie weise hat Gott Seine Kirche geordnet. Er hat ihr alles geschenkt, was sie braucht, um die göttliche Wahrheit und die Gnade zu bewahren. Es ist für jeden Katholiken überlebensnotwendig einzusehen, „daß die Verwalter der Gnadenmittel und der Lehre in Wirklichkeit die Kanäle und Organe des fortdauernden, lebendigen übernatürlichen Stromes der Gnade und der Wahrheit, des Lebens und Lichtes sind, der vom Haupt aus in alle Glieder des Leibes der Kirche sich ergießt“. Diese Worte umschreiben freilich das lebendige Lehramt der heiligen Kirche Jesu Christi und nicht das Leeramt der Traditionalisten mit ihrem allzeit irrenden Papst und der daraus folgenden kranken, in unüberschaubar viele Irrtümer verstrickten Kirche.
In diesem Zusammenhang ist wichtig festzustellen: Die Traditionalisten ersetzen die Wahrheit des unfehlbaren Papstes (und wie viele Legenden hat dieses wunderbare Charisma der Unfehlbarkeit in all den Jahrhunderten hervorgebracht, aus denen die göttliche Führung hervorleuchtet!) durch den Mythos ihrer sich angeblich selber erklärenden Tradition. Was für ein unausrottbarer Mythos hier entstanden ist, erkennt man an der Tatsache: Nicht nur jeder Traditionalistenpater, sondern auch jeder Traditionalistengläubige, ja selbst jedes Traditionalistenkatechismuskind bildet sich ein, es wüßte besser als der eigene Papst, was katholisch ist und was nicht, und ist deswegen auch bereit, den eigenen Papst jederzeit wie ein Schulmeister ein unwissendes Schulkind zu belehren.
Das absurde Prinzip der unabhängigen Moral
Dem Unglauben folgt gewöhnlich Unmoral nach. Darum gilt nach Monsignore Sardà y Salvany: „In der Ordnung der Handlungen ist der Liberalismus radikale Immoralität. Und zwar deswegen; weil er das Prinzip oder die Fundamentalregel jeder Sittlichkeit zerstört, nämlich die ewige Vernunft Gottes, welche in der menschlichen ihren Widerschein wirft und welcher die menschliche untertan sein muß; denn dem Liberalismus gilt jenes absurde Prinzip der unabhängigen Moral als heilig, welche im Grunde genommen die Sittenlehre ohne Gesetz ist, oder was dasselbe ist, die freie Moral, eine Moral, die keine Moral ist, da ja die Idee der Moral, abgesehen vom Begriffe einer leitenden Richtschnur, überdies noch die Idee einer Zügelung oder Beschränkung in sich begreift.“
Die Aufregung über Bergoglios „Liebesfreud“ unter den Konservativen war groß und - wie nicht anders zu erwarten - kurz. Die rückständigen Konservativen unter den Modernisten haben es immer noch nicht verstanden: Der Liberale hat keine verpflichtende, überzeitlich verbindliche Moral. Im Liberalismus ist die Moral keine feste, unverrückbare Größe mehr, sondern dem Geschmack der Zeit unterworfen – und bekanntlich ändert sich der Geschmack ständig. Wer sich aber mit der staatlichen Ehescheidung arrangiert, der muß wohl oder übel auch über die wiederverheirateten Geschiedenen nachdenken – die in den Gemeinden und unter den schon äußerst wenigen Gottesdienstbesuchern immer mehr werden. Was soll man diesen Leuten in einer modernen, liberalen Menschenmachwerkskirche sagen, die schon lange das persönliche Gewissen über die verbindliche Moral gestellt hat? Man kann sie doch nicht einfach von der Gemeinschaft ausschließen, wenn für den Modernisten die Gemeinschaft das Höchste ist! Sind wir nicht alle Sünder? „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ So reden die Modernisten – und verdrehen einmal mehr den Sinn der Worte unseres göttlichen Lehrmeisters ins Gegenteil. Nochmals, ohne Gott gibt es keine Moral und der Liberalismus / Modernismus ist eine Religion ohne konkreten Gott, eine Religion, in der Gott nur eine fromme Phantasie ist, der dem frommen Gefühl des einzelnen entspringt. Wie sollte dieser einem noch ins Leben dreinreden dürfen und wollen?
Wie erkennen wir die Wirklichkeit?
Abschließend wollen wir uns noch ein paar Gedanken über unsere Erkenntnis der Wirklichkeit machen. Wie erkenne ich die Wirklichkeit? Die materielle Wirklichkeit erkenne ich durch meine Sinne und das sinnliche Erkenntnisvermögen. Durch diese begreife ich Rundes oder Eckiges, Hartes oder Weiches, Rotes oder Grünes, Wohlduftendes oder Stinkendes usw. Die geistige Wirklichkeit erkenne ich durch meine Vernunft, die in der Lage ist, vom Sinnlichen zum Geistigen vorzudringen. Die Vernunft läßt mich erkennen, was gut oder schlecht, wahr oder falsch, schön oder häßlich ist. Die Vernunft läßt mich aber auch einsehen, daß die Welt nicht aus sich existieren kann, sondern einen Schöpfer braucht und hat.
Nun gibt es aber noch einen Zugang zur Wirklichkeit, das ist der Glaube. Der Glaube hört auf den sich offenbarenden Gott. Wenn Gott uns mitteilt, wie Seine Welt ist, Sein Wesen und Sein, Sein Himmel, dann können wir nur zuhören und Seinem Wort glauben. Sobald die Tatsache der Offenbarung feststeht, ist der Glaube das Allerwichtigste im Leben des Menschen. Denn wenn der wahrhaftige Gott zu uns spricht, wenn der allweise Gott Seine Welt offenbart und der allgütigste Gott uns an Seinem Leben Anteil geben möchte, so gibt es nichts Bedeutsameres, Wichtigeres im Menschenleben. Würde aber der Mensch Gott den Glauben verweigern, so wäre das das größte Unglück für ihn, verlöre er doch damit den Zugang zur Welt und Wirklichkeit Gottes und somit zu seinem ewigen Glück. Die eigentliche Wirklichkeit bliebe ihm aufgrund des verweigerten Glaubens verborgen und als Folge davon würde er sich ein Weltbild entwerfen, das den wichtigsten Teil der Wirklichkeit unberücksichtigt läßt.
Da der moderne Mensch den Glauben nicht mehr ernst nimmt, versteht er auch nicht mehr die Schwere dieser Sünde. Jeder von uns ist ebenfalls ein moderner Mensch, weshalb es sicherlich hilfreich ist, sich in Erinnerung zu rufen, was Monsignore Sardà y Salvany darüber zu sagen weiß: „Mit Ausnahme des ausdrücklichen, formalen Hasses gegen Gott und der absoluten Verzweiflung, welche Sünden höchst selten von den Geschöpfen begangen werden, es sei denn in der Hölle, so sind von allen die schwersten Sünden jene gegen den Glauben. Der Grund davon ist einleuchtend, der Glaube ist die Grundlage der ganzen übernatürlichen Ordnung; nun aber ist die Sünde insofern Sünde, als sie irgend einen Punkt dieser übernatürlichen Ordnung angreift; also ist jene die größte Sünde, welche die wichtigste Grundlage der besagten Ordnung angreift. Der hl. Augustin, welchen der hl. Thomas anführt, sagt in seiner Abhandlung von der Sünde gegen den Glauben rundweg, ohne irgend welche Ausnahme zu machen: Hoc est peccatum quo continentur cuncta peccata (Das ist die Sünde, in der alle Sünden enthalten sind). Und der Engel der Schule (d.i. der hl. Thomas) selber spricht über diesen Punkt mit seiner gewohnten Klarheit: ‚Eine Sünde‘, sagt er, ‚ist um so größer, je mehr der Mensch dadurch von Gott getrennt wird; nun aber entfernt sich der Mensch durch die Sünde gegen den Glauben so weit als es nur möglich ist, von Gott, weil er sich der wahren Gotteserkenntnis beraubt; deshalb‘, schließt der hl. Lehrer, ‚ist die Sünde gegen den Glauben die größte, die man kennt.‘“
Die Bosheit des Unglaubens
Sardà fährt fort: „Jedoch wird die Sünde gegen den Glauben noch größer, wenn sie nicht bloß ein schuldbarer Mangel an dieser Tugend und Gotteserkenntnis ist, sondern sogar zur Leugnung und zum erklärten Kampfe gegen die ausdrücklich von der göttlichen Offenbarung aufgestellten Glaubenssätze wird. Dann erhält die Sünde gegen den Glauben, welche schon an und für sich sehr schwer ist, noch eine größere Schwere, sie wird zur Sünde der Ketzerei. Sie faßt in sich die ganze Bosheit des Unglaubens; ja noch mehr, den ausdrücklichen Widerspruch gegen eine Glaubenslehre oder das ausdrückliche Bekenntnis einer Lehre, welche von demselben Glauben als falsch und irrtümlich verworfen wurde. Zu der sehr schweren Sünde gegen den Glauben kommt noch der Starrsinn und das hartnäckige Beharren in derselben und eine gewisse hochmütige Überhebung der eigenen Vernunft über die Vernunft Gottes.“
Der Liberalismus ist nicht notwendigerweise gottlos, auch wenn er die Tendenz dazu in sich trägt. Aber der Liberalismus ist wesentlich und immer gegen den übernatürlichen Glauben gerichtet, indem er jeden glauben läßt, was er will, bzw. was er fühlt. Der übernatürliche Glaube ist für den Liberalen immer Fanatismus oder Fundamentalismus, weil er als göttliche Offenbarung allein wahr sein kann. Aus diesem Grunde ist für einen Katholiken der Glaubenszweifel Sünde, für den Liberalen oder Modernisten ist er wesentlich, denn welcher Mensch kann sich nicht irren? Wer kann von sich behaupten, er allein wüßte, was wahr ist und nur er hätte recht? Der Liberale leugnet somit den übernatürlichen Glauben nicht direkt und absolut, sondern indirekt und relativ, indem er die Verpflichtung des Glaubens leugnet. Er entmythologisiert den übernatürlichen, göttlichen Glauben, d.h. er setzt dem legendenbildenden göttlichen Glauben den Mythos der Vernunftreligion entgegen.
Die unmittelbare Folge daraus ist die vollkommene Verharmlosung des Irrglaubens, der Ketzerei. Wenn man die heutigen ökumenischen Diskussionen, Veranstaltungen, Feiern, Gebetstreffen genauer betrachtet, so muß man erschüttert feststellen, die zwischen den Konfessionen bestehenden Unterschiede können nur verschwindend klein sein. Im Grunde ist es nur die Halsstarrigkeit und Zurückgebliebenheit mancher Bischöfe und mancher Verantwortlicher in Rom, die den endgültigen Zusammenschluß immer noch verhindern. Von wegen Glaubensirrtümer – Versöhnung in der Verschiedenheit! Das ist Modernismus!
Monsignore Sardà y Salvany faßt unsere Gedanken folgendermaßen zusammen: „Daher kommt es, daß sie meinen, ihrer Vernunft stehe es frei zu glauben oder nicht, und daß sie ebenso von der Vernunft aller übrigen urteilen. Im Unglauben sehen sie kein Laster, auch keine Krankheit oder geflissentliche Verblendung des Geistes und noch mehr des Herzens, sondern einen erlaubten Akt der inneren richterlichen Gewalt eines jeden Einzelnen, der also ebenso Herr ist zu glauben, oder nichts zu glauben.“
Die größte Sünde im Codex des christlichen Gesetzes
Abschließend wollen wir unsere Erwägungen nochmals mit den Worten von Monsignore Sardà y Salvany und seine inzwischen recht alte Meinung hören, die trotz ihres Alters einfach wahr ist, weil die Wahrheit bekanntlich nicht altert: „Folglich machen die häretischen Lehren und häretischen Werke die größten aller Sünden aus, mit Ausnahme der oben angeführten Sünden, deren indes, wie wir bemerkt haben, gewöhnlich nur der böse Geist und die Verdammten fähig sind. Folglich ist der Liberalismus, welcher Häresie ist, und die liberalen Werke, welche häretische Werke sind, die größte Sünde, die man im Codex des christlichen Gesetzes kennt. Folglich ist liberal zu sein, mit Ausnahme jener Fälle, in denen die bona fides, die Unwissenheit und Unüberlegtheit eine Entschuldigung bilden, sündhafter als ein Gotteslästerer, ein Betrüger, ein Ehebrecher oder Mörder zu sein oder was immer zu tun von dem, was Gottes Gesetz verbietet und Gottes unendliche Gerechtigkeit bestraft.“