Für einen Rompilger gibt es dort in der Tat viel zu sehen, so viel wie wohl in keiner anderen Stadt der Welt. Denn die Stadt Rom ist geprägt von einer großen Zahl von Gnadenorten, Denkwürdigkeiten und Sehenswürdigkeiten. Wenn man von einem der sieben Hügel auf die Stadt hinunterblickt, fallen die vielen Kuppeln auf. Es gibt in Rom etwa 1000 Kirchen, wobei die meisten römischen Kirchen nicht freistehend, sondern ganz harmonisch in die Häuserfassaden eingebaut sind. Auf den ersten Blick sind sie meist gar nicht zu erkennen, sobald man jedoch durch eine der alten Holztüren ins Innere tritt, verschlägt es einem angesichts der Größe und der Schönheit jedes Mal den Atem. Es ist eine durchaus erwähnenswerte Tatsache: In den Kirchen Roms finden sich mehr Meisterwerke von Michelangelo, Caravaggio und anderen großen italienischen Künstlern als in allen Museen der Welt.
Es gibt eine eher kleine Kirche in Rom, die Kirche des Heiligen Herzens der Fürbitten für die Verstorbenen, die besonders zum Nachdenken über die Armen Seelen anregt. In dieser Kirche befindet sich nämlich das kleine Museum für die Armen Seelen des Fegfeuers. Darin werden viele Beweisstücke für die Not der Armen Seelen und ihr gottverordnetes Brennen ob ihrer noch abzubüßenden Sündenstrafen gezeigt. Zuweilen wurde nämlich Armen Seelen von Gott die Erlaubnis erteilt, unserer Welt einen greifbaren Nachweis für ihre Existenz und ihre Not zu hinterlassen. Da findet man etwa Brandspuren von Fingern in einem Buch, eine ganze Handfläche in ein Türfutter eingebrannt, ebenfalls eine eingebrannte Hand auf einem Hemd oder Mantel, und vieles mehr. Heute verirrt sich wohl kaum noch ein Tourist ins Museum für die Armen Seelen. Der moderne Mensch schaut sich zwar eine Unzahl von Horror- und Gruselfilmen an, den Gedanken ans Fegfeuer oder gar an die Hölle empfindet er dagegen als unzumutbar oder sogar grausam. Wer macht sich noch die Mühe, sich über die Theologie des Fegfeuers ernsthaft Gedanken zu machen? Dabei würde gerade darin der moderne Mensch mehr Einsicht über die wahre Gottesliebe finden als in all dem leeren Gerede der modernistischen Schreiberlinge.
Wie ernst eine Sünde ist, wie notwendig eine echte Reue und ein fester Vorsatz, das offenbaren wohl am allerbesten die Armen Seelen in ihren Genugtuungsleiden des Fegfeuers. Zudem aber weisen sie auf die Barmherzigkeit Gottes hin, der dem Sünder großzügig verzeiht. Es ist letztlich nicht Gott, der Seiner Barmherzigkeit eine Grenze setzt, sondern der Mensch mit seinem Mangel an Vertrauen und Reue. Von dieser Wahrheit zeugt ganz besonders die Lehre vom Ablaß. Darum sei hier ein kurzer Überblick über die Lehre der katholischen Kirche vom Ablaß gegeben, den wir dem Buch von Franz Beringer, Die Ablässe, ihr Wesen und Gebrauch. Handbuch für Geistliche und Laien, Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh, Paderborn 1900, entnommen haben.
Die katholische Lehre und allgemeine Bestimmungen über die Ablässe
Begriffsbestimmung des Ablasses
Das uns geläufige Wort Ablass ist die kirchensprachliche Übersetzung vom lateinischen indulgentia, welches von indulgere (mit Güte und Nachsicht behandeln, entgegenkommen und milde sein, verzeihen) kommt. Demnach bedeutet es: milde Nachsicht, Barmherzigkeit, Begnadigung oder Vergebung. Im weltlichen Bereich wäre dabei z. B. an einen König zu denken, der seinen aufrührerischen Untertan aus der Haft freigibt; an einen Gläubiger, der seinem Schuldner einen Teil der Schuld erläßt; an einen Vater, der seinen verirrten Sohn, wenn er in sich geht, nicht nach Gebühr bestraft, sondern ihm großmütig verzeiht. Sie üben milde Nachsicht oder Indulgenz. In der hl. Schrift begegnet uns das Wort beim Propheten Isaias (Is. 61, 1): „ …(Dominus) misit me … ut praedicarem captivis indulgentiam …“ – der Herr hat mich gesandt, den Gefangenen die Befreiung zu künden. Im Laufe der Zeit hat der Sprachgebrauch den Sinn des Wortes indulgentia bzw. Ablass dahin beschränkt, daß es die kirchliche Nachlassung zeitlicher Sündenstrafen bezeichnet, wofür die ersten Kirchenversammlungen und die Kirchenväter noch die Ausdrücke pax (Frieden), remissio (Nachlassung), donatio und condonatio (Schenkung, Vergebung) gebrauchten. Die jetzt allgemein übliche Definition des Ablasses lautet: Der Ablass ist eine außerhalb des Bußsakramentes von der Kirche erteilte Nachlassung der zeitlichen Strafen, welche wir nach Vergebung der Sünde entweder hier oder im Fegfeuer noch abbüßen sollten.
Zum besseren Verständnis dieser Begriffsbestimmung des Ablasses müssen wir vor allem auf den Unterschied zwischen Schuld und Strafe achten. Nach der katholischen Lehre läßt jede Sünde (also sowohl die läßliche als auch die Todsünde) Schuld (reatus culpae) und Strafe (reatus poenae) zurück. Bei der schweren Sünde besteht der Zustand der Schuld in der gänzlichen Abwendung der Seele von Gott, also in einem vollständigen Bruche und in der Feindschaft mit Gott: denn die schwere Beleidigung Gottes zerreißt die innigen Bande der Liebe und Freundschaft, welche die Seele mit Gott durch die heiligmachende Gnade vereinigte; daraus folgt dann als Strafe die ewige Verwerfung, der ewige Tod, die ewige Verdammnis, die in der Hölle zu erleiden ist. Zur Nachlassung der Schuld hat die göttliche Barmherzigkeit das Sakrament der Buße eingesetzt. Die in diesem Sakrament würdig empfangene Lossprechung (bei Unmöglichkeit der Beichte kann dies durch einen Akt vollkommener Reue geschehen) versöhnt uns wieder mit Gott, gibt uns die Kindschaft und Freundschaft Gottes durch die heiligmachende Gnade zurück und hat zugleich die Wirkung, daß sie uns das Anrecht auf den Himmel zurückerstattet und damit von der verdienten ewigen Höllenstrafe befreit. Es bleibt nur noch eine zeitliche Strafe zurück, wie wir weiter unten sehen werden.
Bei der läßlichen Sünde besteht der Zustand der Schuld in einer nicht vollkommenen Abwendung von Gott, denn diese Sünden rauben uns nicht die heiligmachende Gnade. Aber sie stören und trüben das vollkommene Freundschaftsverhältnis zwischen Gott und dem Menschen. Daher verdienen sie zwar keine ewige, doch aber eine zeitliche Strafe, welche entweder hier auf Erden oder im Fegfeuer abgebüßt werden muß. Die in der läßlichen Sünde liegende Schuld oder Beleidigung Gottes kann gleichfalls durch die priesterliche Lossprechung getilgt werden. Dies kann aber auch außerhalb des Bußsakramentes geschehen durch einen Akt der Reue oder durch andere gute Werke (z. B. andächtiges Anhören der Hl. Messe, beten, Sakramentalien u. s. w.), insofern sie die Seele zur Liebe und Reue anregen oder diese von Gott erlangen. Je nach dem niederen oder höheren Grad dieser „Seelenstimmung“ trägt sie zur Nachlassung der durch die läßlichen Sünden verdienten zeitlichen Strafen mehr oder weniger bei. Die Nachlassung der Schuld erfolgt aber auch hier nicht immer für alle zeitlichen Strafen; die verbleibenden müssen dann im Fegfeuer abgebüßt werden.
Es ist also Lehre der katholischen Kirche, daß Gott mit der Sündenschuld zwar die ewige Strafe, aber nicht immer die zeitliche Sündenstrafe nachläßt; mit anderen Worten: nach Verzeihung der Sünde bleibt oft oder besser gewöhnlich noch eine Strafe hier auf Erden oder im Fegfeuer zu dulden. Zuweilen wird mit der Sündenschuld auch jede zeitliche Sündenstrafe getilgt, wie uns das Beispiel des guten Schächers am Kreuz zeigt, zu dem Jesus sprach: „Heute noch wirst du bei mir im Paradies sein.“ Zwei offenkundige Beispiele aus der hl. Schrift sollen uns diese Wahrheit belegen: Als das widerspenstige Volk Israel gegen Moses und Aaron murrte und Moses zum Herrn um Verzeihung flehte, da sprach der Herr zu ihm: „Ich habe vergeben nach deinem Worte … ; aber alle Männer, die meine Herrlichkeit geschaut und die Wunder, die ich in Ägypten getan und in der Wüste, und mich schon zehnmal versucht haben und nicht auf meine Stimme gehört haben, die sollen das Land nicht sehen, welches ich ihren Vätern zugeschworen habe.“ (4. Mos. 14, 20-23) Und das andere: Nachdem der König David sich durch Ehebruch und Mord schwer versündigt hatte, kam der Prophet Nathan und hielt ihm seine Verbrechen vor, indem er ihm zugleich die vielen und großen Gnaden und Wohltaten, welche der Herr ihm erwiesen hatte, lebhaft vor Augen stellte. David erkannte und bekannte in Demut und Reue die Größe seiner Schuld. Der Prophet erwiderte: „Der Herr hat deine Sünde hinweggenommen“, kündigte ihm aber zugleich die zeitlichen Strafen an, welche Gott um dieser Sünde willen über ihn verhängt habe, nämlich daß der im Ehebruch gezeugte Sohn ihm sterben und anderes Unheil über seine Familie hereinbrechen werde; wie dies alles wirklich auch geschehen ist (vgl. 2 Kön. 12, 13-14).
Dass auch im Neuen Bund nach Verzeihung der Sündenschuld die zeitliche Sündenstrafe nicht vollständig getilgt ist, ergibt sich aus dem Glauben der Kirche. Namentlich in den ersten Jahrhunderten machte sie den Sündern strengste Buße zur Pflicht – langwährende Buße, um Gottes Barmherzigkeit zu erflehen, wie der hl. Cyprian sich ausdrückt; eben die Abtragung einer der göttlichen Gerechtigkeit schuldigen Strafe, die andernfalls im Fegfeuer getilgt werden müsse. Und der hl. Augustinus lehrt (Ps. 50, n. 11): „Auch die Sünden derjenigen, denen du (o Gott!) verzeihst, läßt du nicht ungestraft.“ Und von jeher ließ die Kirche für die Verstorbenen Opfer aus dem Grund entrichten, weil sie voraussetzte, daß nach Verzeihung der Schuld noch Strafen im jenseitigen Leben zu büßen seien, in jenem Kerker nämlich, aus welchem man nach der Lehre des göttlichen Heilandes (Matth. 5, 26) nicht herauskommt, bis der letzte Heller bezahlt ist. Diese Anordnung entspricht ganz der göttlichen Gerechtigkeit und Güte. Das ist uns auf dem Konzil von Trient gelehrt worden (14. Sitzung, 8. Kap.): „Auch der göttlichen Güte geziemt es, die Sünden nicht so ohne alle Genugtuung uns nachzulassen, daß wir aus diesem Anlaß die Sünden gar zu gering achten, so in noch schwerere fallen, dem Hl. Geist gleichsam Unrecht und Schmach zufügen und Gottes Zorn für den Tag der Rache auf uns häufen.“
Wenn wir nun diese Lehren unseres Glaubens erwägen und dann die Zahl und Größe der Sünden betrachten, die wir schon begangen und leider noch alltäglich begehen, was sollen wir alsdann von den zeitlichen Strafen denken, die wir bereits auf uns geladen und zu deren Tilgung wir vielleicht noch wenig geleistet haben? Was haben jene Christen zu erwarten, denen die läßlichen Sünden beinahe zur zweiten Gewohnheit geworden sind, wo schon fromme und heiligmäßige Personen wegen scheinbar leichter Fehler zu einem langen Fegfeuer verurteilt worden sind? Welch große und lange Qual bereiten wir uns durch jede noch scheinbar so geringe Sünde im Fegfeuer zu!
Um aber den Qualen des Reinigungsortes zu entgehen und die zeitlichen Strafen unserer Sünden schon in diesem Leben zu tilgen, gibt es zwei Mittel: erstens die Übung von Genugtuungswerken und zweitens die Gewinnung von Ablässen. Hier werden unter den zeitlichen Strafen nicht die allen gemeinsamen Armseligkeiten wie Kälte, Hunger und Durst verstanden – sie sind entweder natürliche Folgen der Sünde oder Gott hat sie nach Maßgabe der subjektiven, ihm allein bekannten Verschuldung den einzelnen Sünden bestimmt, die im Geiste der Buße getragen, dem Sünder ebenfalls sehr heilsam sein und zu erduldende Leiden abtragen können.
Die andere Art zeitlicher Strafen soll der Büßer nach dem Willen Gottes in der Weise tilgen, daß er die vom Stellvertreter Christi in der Beichte auferlegten Bußwerke erfüllt und daß der Büßer selbst das Fehlende durch freiwillige Bußwerke ergänzt (das nennt man Genugtuungswerke). Diesbezüglich sagt das Konzil von Trient (14. Sitzung, 8. Kap.): „Kein Mittel wurde jemals in der Kirche Gottes zur Abwendung der drohenden göttlichen Strafen für sicherer erachtet als die eifrige Übung dieser Bußwerke, die man mit wahrem Seelenschmerze vornimmt.“ Werke der Genugtuung sind: 1. freiwillige von uns übernommene Bußwerke (Gebet, Fasten, Almosen); 2. die vom Beichtvater in der Beichte auferlegten Bußen; 3. alle von der Vorsehung über uns verhängten Züchtigungen (Krankheiten, Unglücksfälle…), sofern wir sie mit Geduld und Ergebung tragen.
Als Ergänzung unserer eigenen Genugtuungswerke ist uns das zweite, weit leichtere Mittel gegeben, nämlich die Ablässe. Denn der Ablass ist die Nachlassung unserer zeitlichen Sündenstrafen, welche die Kirche uns auf einige gute Werke hin in der Weise gewährt, daß sie für das unserer eigenen Genugtuung noch Fehlende Gott dem Herrn Ersatz leistet aus dem Schatz der überreichen Genugtuungen Christi und der Heiligen. Kardinal Nikolaus von Cusa drückt es in folgender Weise treffend aus: „Ablässe werden deshalb verliehen, damit die Kirche aus dem ihr anvertrauten Gnadenschatz ersetze, was der Mensch zu einer entsprechenden Genugtuung noch als mangelnd erkennt, da derselbe, der so oft in Sünden fällt, eine völlig genügende Buße kaum zu leisten vermöchte, indem man manchmal schon für eine einzige Todsünde eine siebenjährige Buße wirken müßte.“ Wie wunderbar groß erweist sich doch hierin die göttliche Barmherzigkeit: nicht genug uns mit Verzeihung unserer schweren Sünden die ewige Strafe in eine zeitliche umzuwandeln, diese im Bußgerichte in eine geringere und die noch übrig bleibende will sie nochmals mildern oder ganz erlassen durch den Ablass – so dass der göttlichen Gerechtigkeit Genüge geschieht durch die ihr von der Kirche dargebotenen Genugtuungen Christi und der Heiligen.
Was ist der Ablass nicht?
1. Der Ablass ist nicht die Nachlassung der Sündenschuld selbst. Es tilgt einzig und allein die nach der Sündenvergebung noch übrig bleibende zeitliche Strafe. Denn um einen Ablass gewinnen zu können, muß man vor allem im Stand der Gnade Gottes sein, d. h. frei von schwerer Sünde; wer vor Gott mit schwerer Schuld und ewigen Strafen beladen ist, kann unmöglich die Nachlassung der zeitlichen Strafe erlangen. Ja selbst die durch läßliche Sünden verdienten zeitlichen Strafen können nur dann durch den Ablaß getilgt werden, wenn die läßlichen Sünden selbst vorher gehörig bereut und nachgelassen sind. Deshalb werden auch die unvollkommenen Ablässe nur denjenigen verliehen, welche „wenigstens reumütigen Herzens“ sind. So schrieb der hl. Bernhard im Namen des Papstes Eugen III. an die Geistlichkeit und das Volk, um sie zur Teilnahme am Kreuzzuge aufzufordern: „Nimm das Zeichen des Kreuzes, und du wirst Ablaß für alles erlangen, was du mit zerknirschtem Herzen wirst gebeichtet haben.“
2. Der Ablaß ist keineswegs nur ein Nachlaß jener Bußen, die ehemals nach dem überaus strengen kirchlichen Satzungen den Büßenden auferlegt wurden (gleich als ob dieser kirchliche Nachlaß keine Geltung hätte zur Tilgung unserer Sündenstrafen Gott gegenüber); sondern er ist zugleich ein wirklicher Nachlaß jener zeitlichen Strafen, wodurch wir der beleidigten Majestät Gottes für die begangenen Sünden entweder hier auf Erden oder jenseits im Reinigungsort Ersatz zu leisten haben. Daraus ergibt sich, daß der Ablaß eben nicht nur eine bloße Freisprechung von der Kirchenbuße ist, wie Luther fälschlich behauptet hat, sondern auch die Nachlassung der von Gott geforderten Genugtuung für unsere wirklichen Sünden durch die Verdienste Christi und der Heiligen. Sonst hätten wir nur um so länger und schlimmer im Fegfeuer zu leiden oder müßten auf Erden um so strengere freiwillige Buße üben. Ferner verleiht die Kirche viele Ablässe zugunsten der Armen Seelen im Fegfeuer, die aber nicht mehr an die kanonischen Strafen gebunden sind.
An dieser Stelle sei mir ein kleiner Exkurs über die früheren Kirchenbußen erlaubt, um einmal etwas von dem Ernst erahnen zu lassen, mit welchem die Kirche Sünder behandelt hat, gerade weil sie die Majestät Gottes beleidigt haben. Natürlich dienten die (damals viel strengeren )Bußen vielfach zur Besserung der Fehlenden und bei öffentlichen Vergehen zur Sühnung des gegebenen Ärgernisses und Abschreckung anderer vor solcher Sünde. Aber ein Hauptzweck der Buße war immer die Ersatzleistung für die Gott zugefügte Beleidigung. Hier folgen nun einige Beispiele früherer, in Bußbüchern verzeichneter Bußen, mit denen verglichen unsere heutigen Bußen unbedeutend sind.
Wer Wahrsager befragt hatte, mußte 5 Jahre büßen. Wer Gott, die selige Jungfrau Maria oder einen Heiligen öffentlich gelästert hatte, mußte an 7 Sonntagen vor der Kirchentür stehen, am letzten davon mit bloßen Füßen und einem Strick um den Hals, an 7 Freitagen bei Wasser und Brot fasten, an jedem der genannten Sonntage drei bis einen Armen speisen oder falls das unmöglich war, ein anderes Bußwerk verrichten. Weigerte er sich, so wurde ihm der Eintritt in die Kirche und nach dem Tod das kirchliche Begräbnis versagt! Wer an einem Sonn- oder Festtag knechtliche Arbeit verrichtet hatte, mußte 3 Tage, wer einmal das kirchliche Fastengebot übertreten, 20 Tage bei Wasser und Brot fasten. Wer in der Fastenzeit ohne dringende Not Fleischspeisen genossen hatte, ward zu Ostern der Kommunion beraubt und zur Enthaltung von Fleischspeisen verpflichtet. Ein gegen die Eltern ausgestoßener Fluch wurde mit 40tägigem Fasten bei Brot und Wasser gesühnt. Vorsätzlicher Mord zog eine lebenslängliche Buße an der Kirchentür nach sich, und nur im Tod wurde dem Mörder die hl. Kommunion gereicht. Unzucht wurde mit 3, Ehebruch mit 7 oder 10 Jahren Buße gesühnt.
Schon Mitte des 3. Jahrhunderts wurde ein öffentliches schweres Vergehen (Ursache für diese Praxis der häufige Glaubensabfall in der Decianischen Verfolgung 249-252) durch öffentliche Buße gesühnt, um die begangene Sünde gebührend zu sühnen und die ganze Gemeinde von dem guten Willen des Büßers und seiner treuen Anhänglichkeit an den Glauben zu überzeugen. Daraus entwickelten sich die drei später vier „Bußstufen“ für alle sehr schweren öffentlichen Vergehen. Die erste Stufe war die der Weinenden: Sie mußten mit rauhem Bußkleid, das Haupt mit Asche bestreut, im Vorhof außerhalb der Kirche die Eintretenden um ihre Fürbitte anflehen und waren von der Teilnahme am Gottesdienst ganz ausgeschlossen. Dann kam die Stufe der Hörenden: Gleich den Katechumenen durften sie hinten in der Kirche nur der Vormesse beiwohnen. Die dritte Klasse, die Knieenden, durfte während der Bußzeit (meist mehrere Jahre) in der Kirche bis zur Kanzel vortreten. Dort wurden ihnen nach dem Evangelium vom Bischof oder Priester die Hände aufgelegt und ein Gebet über sie gesprochen, worauf sie die Kirche verlassen mußten. Schließlich gab es die Stehenden: Sie durften ohne Bußkleid wie die übrigen Gläubigen der hl. Messe beiwohnen, waren aber von der Darbringung der Opfergaben und von der Kommunion bis zur Vollendung der Bußzeit ausgeschlossen. Darüber hinaus wurden den Büßenden noch andere Bußwerke auferlegt wie strenge Fasten, eifriges Gebet, Wachen, rauhe, harte Arbeit, andere körperliche Strengheiten, und Liebeswerke. Dem Bischof oblag es, in Ansehung des Bußeifers, des Alters oder der Schwäche die Zeit oder auch die Bußstrenge zu mildern. Die Bußstationen fanden bereits Ende des 4. Jahrhunderts ihr Ende.
Um aber die Bußauferlegung nicht der Willkür des einzelnen Priesters anheim zu stellen und die Bußpraxis mit dem geziemenden Ernst fortzusetzen, entstanden die sogenannten „Bußbücher“ oder „Bußgesetze“, z. T. In diözesaneigenen Verzeichnissen, in welchen für jede einzelne Sünde die Buße bestimmt und festgestellt wurde. Diese kirchlichen Bußen dürfen aber nicht für übertrieben streng gehalten werden, denn es wäre Gotteslästerung zu behaupten, durch solche Strafen wären die Sünder schwerer gezüchtigt worden als sie es ihrer inneren Bosheit nach verdienten. In der Tat kamen die Gläubigen der damaligen Zeit der Kirche durch ihren großen Bußeifer entgegen: selbst Kaiser und Könige unterzogen sich in jenen glaubensvollen Zeiten diesen Strengheiten. Erst im 13. Jahrhundert kamen diese alten Bußsatzungen, von Ausnahmen abgesehen, nicht mehr zur Anwendung. Damals ergänzten aber die Gläubigen mit viel Eifer die auferlegten Bußen durch selbstgewählte Züchtigungen. Auch wenn die Kirche wegen der vielen Schwachen, die schwere Bußen von der Beichte zurückschrecken könnten, von so strengen Bußen absieht, bleibt der gerechte, heilige, ewige und unveränderliche Gott durch die Sünde noch ebenso schwer beleidigt wie in den Zeiten der strengsten Kirchenbußen. Wir sind nicht weniger strafwürdig als die Sünder jener Zeiten, nur dass wir um so schwerer im Fegfeuer leiden müssen, wenn wir nicht eifrig Bußwerke üben für das, was unseren Genugtuungen mangelt. Das Mittel, um der göttlichen Gerechtigkeit Ersatz zu leisten, bietet uns seine Barmherzigkeit dar. Benutzen wir es eifrig: gewinnen wir Ablässe. Denn der Ablass ist ein wirklicher Nachlaß jener zeitlichen Strafen, für die wir der beleidigten Majestät Gottes für unsere Sünden entweder hienieden oder im Fegfeuer Ersatz zu leisten haben; ein Nachlaß jeder zeitlichen Sündenstrafen, zu deren Sühnung die Kirche ehedem so überaus strenge Bußen von ihren Kindern forderte.
3. Der Ablaß ist nur ein Nachlaß jener zeitlichen Strafen, durch welche wir Gott für unsere Sünden Genugtuung zu leisten schuldig sind; - nicht aber ein Erlaß der aus unserer Sünde entspringenden Pflicht, unserem Nächsten, den wir ungerecht geschädigt haben, Ersatz zu leisten, fremdes Gut zurückzuerstatten, das gegebene Ärgernis wiedergutzumachen; - ferner ist er nicht ein Nachlaß der zur Besserung unseres Lebens dienenden Strafen und befreit uns nicht von der Pflicht, ein bußfertiges Leben zu führen.
Daß der Ablaß niemals von der Pflicht entbindet, dem Nächsten Ersatz zu leisten, wenn wir ihn in irgendeiner Weise ungerecht geschadet haben, bedarf keines besonderen Beweises; denn hier handelt es sich einfach um Verpflichtungen, welche der natürlichen Gerechtigkeit entspringen, nicht um zeitliche Sündenstrafen, zu deren Tilgung die Ablässe eintreten. Niemals kam es der Kirche in den Sinn, von den einstgenannten Pflichten durch den Ablaß freizusprechen. Das Konzil von Trient (14. Sitz. 8. Kap.) befiehlt den Beichtvätern bei der Auferlegung der Buße folgendes ausdrücklich: „Diese genugtuenden Strafen rufen uns ohne Zweifel mächtig von der Sünde zurück, halten uns gleichsam im Zaume und machen die Büßenden für die Zukunft vorsichtiger und wachsamer; sie heilen auch die Überbleibsel der Sünden und räumen durch entgegengesetzte Tugendhandlungen die durch schlechten Lebenswandel angenommenen sündhaften Gewohnheiten hinweg.“
Aber wir sehen ebenfalls, daß Gott selbst, wenn er auch die Sünden vergeben hat, dennoch bestimmte zeitliche Strafen oder Übel die aus der Sünde hervorgegangen sind, nicht aufhebt, sondern fortbestehen läßt. So mußte Davids Sohn sterben, obwohl der König „um des Kindes willen fastete und betete.“ (vgl. 2 Köng. 12). Gott wollte für diese von ihm verhängte Strafe kein anderes genugtuendes Werk annehmen, weil die Strafe zur Prüfung und Besserung verhängt war. Aus dem gleichen Grund hören mit Verzeihung der Sünden die natürlichen schlimmen Folgen derselben wie z. B. Krankheit, Schande, Armut nicht auf, und selbst in dem Getauften bleiben trotz Verzeihung aller Sünden und Nachlassung der ewigen wie der zeitlichen Strafen dennoch die Hinneigung zum Bösen und überhaupt die zeitlichen Straffolgen zurück. Gott hat nämlich außer der bloßen Bestrafung noch viele andere Gründe, die Armseligkeiten und Leiden dieser Welt bestehen zu lassen: Prüfung und Geduld, Übung vieler Tugenden, Losschälung des Herzens von den Geschöpfen usw. – So hat auch die Kirche bei Gewährung von Ablässen nur die Nachlassung der zeitlichen Strafen, insofern dieselben eine Sühne für die begangene Schuld sind, im Auge; niemals aber wollte oder will sie jene Strafen erlassen, welche zur Bekämpfung böser Gewohnheiten und überhaupt zur Besserung des Lebens notwendig sind. Endlich wollte die Kirche uns niemals durch die Ablässe von der Pflicht befreien, ein bußfertiges Leben zu führen, Jesus unser Kreuz nachzutragen und unsere Genugtuung mit der seinigen zu vereinigen. Durch die Ablässe kommt sie nur den Menschen, die eines guten Willens sind, zu Hilfe, indem sie ihnen die Mittel bietet, sich von den hienieden oder im andern Leben verdienten Züchtigungen frei zu machen.
Grundlagen des Ablasses: die Gemeinschaft der Heiligen, die stellvertretende Genugtuung und der Kirchenschatz
Der Ablaß beruht hauptsächlich auf der Lehre von dem geistlichen Kirchenschatz, welcher aus den überreichen, ja unendlichen Genugtuungen Jesu Christi besteht, zu denen noch die Genugtuungen der allerseligsten Jungfrau und der Heiligen kommen; diese Lehre aber stützt sich auf jene von der Gemeinschaft der Heiligen und der stellvertretenden Genugtuung.
1. Die Gemeinschaft der Heiligen bekennen wir im 9. Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses. In dieser Gemeinschaft, der einen Kirche, dem einen Leib, ist Christus das Haupt, alle Gläubigen die Glieder und der Heilige Geist die belebende Seele. Die Heiligen sind alle jene Seelen, welche in der Gnade Gottes aus diesem Leben geschieden sind (die triumphierende und leidende Kirche ) und die noch hier auf Erden lebenden Gläubigen (die streitende Kirche). „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht … ein heiliges Volk.“ (1 Petr. 2, 9) Alle bilden, trotz der Verschiedenheit ihrer gegenwärtigen Lage, nur eine einzige Kirche. Sie ist die kostbare Frucht jener vollkommenen Einheit, welche der Geist Jesu Christi unter allen seinen Gliedern hervorbringt. „Vater, ich bitte dich für sie, damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir bist, und ich in dir bin, damit sie in uns eins seien, … ich in ihnen, und du in mir, damit sie vollkommen eins seien.“ (Joh. 17, 21; 23) Ein Leib, ein Geist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller (vgl. Ephes. 4, 3-6) – Die Kirche ist durch diese Einheit das Abbild und die lebendige Darstellung der göttlichen Einheit. Was aber die Gemeinschaft der Heiligen für uns noch ganz besonders wertvoll macht, das ist der unmittelbare Anteil an allen zeitlichen Gütern (dem hl. Meßopfer, den Gebeten …) der ganzen Kirche, welche infolge der Gemeinschaft der Heiligen jedem einzelnen zugute kommen. Und damit haben wir auch Anteil an den guten Werken aller Gerechten. Jeder wahre Gläubige trägt also durch seine Gebete, durch seine Werke der Buße, des Seeleneifers und der Liebe zum Wohl des ganzen Körpers und jedes einzelnen Gliedes bei; indem er für sich betet, betet er in einem gewissen Sinne für alle; von seiner Kraft wird allen denen aus seinen Brüdern zuteil, die schwach sind, von seinem Überfluß erhalten alle, die dessen bedürfen, und die durch das Band der Liebe oder der heiligmachenden Gnade mit ihm verbunden sind.
2. Auf dieser Gemeinschaft der Heiligen beruht auch die sogenannte stellvertretende Genugtuung. Infolge dieser göttlichen Einrichtung können wir durch unsere Werke der Genugtuung, d. h. durch die demütige und mühevolle Übung von Bußwerken, einer für den anderen Genugtuung leisten und so gegenseitig der göttlichen Gerechtigkeit die zeitlichen Strafen entrichten. Da jedes gute Werk des Gerechten einen doppelten Wert hat, nämlich den der Genugtuung und den des Verdienstes, erwerben wir durch Buße nicht nur Verzeihung, sondern auch eine Krone. Denn es ist sühnend insofern es mühevoll ist und gleichsam eine Züchtigung enthält; verdienstlich, insofern es in sich lobenswert ist und auf einem Gott wohlgefälligen Beweggrunde beruht. Es kann jedoch ein gutes Werk, insofern es verdienstlich ist, keinem anderen zugewendet werden; denn das Verdienstliche des Werkes gehört notwendig demjenigen, der das Werk vollbringt, und der, indem er es verrichtet, sich der Belohnung würdig macht. Man kann das Verdienst seiner guten Handlungen nicht einem andern überlassen, denn „jeder wird seinen Lohn gemäß seiner Arbeit empfangen“ (1 Kor. 3,8); was aber die Genugtuung betrifft, die nichts anders ist als die Entrichtung einer Strafe oder die Abtragung einer Schuld, so kann diese einem anderen überlassen, abgetreten, zugewendet werden, und zwar so, daß man sagen kann, dieser andere habe wirklich Genugtuung geleistet. Durch diese stellvertretende Genugtuung soll in der Gemeinschaft der Gläubigen der eine des anderen Last tragen (vgl. Gal. 6, 2). Daher ist der Ausspruch des hl. Paulus (Kol. 1, 24): „Ich freue mich nun in dem Leiden für euch und ersetze das in meinem Fleische, was an dem Leiden Christi für seinen Leib, welcher die Kirche ist, mangelt“ nach vielen Kirchenlehrern so zu verstehen: Ich opfere mein Leiden für die Glieder der Kirche auf, damit die Leiden Jesu Christi ihnen zugute kommen. Denn diese Zuwendung an die Menschen mangelt den Leiden Christi noch.
Kraft der Gemeinschaft der Heiligen können wir uns gegenseitig Hilfe leisten und zwar so, daß die einen wirklich im Stande sind, die zeitlichen Strafen zu entrichten, welche die anderen verdient haben. Und: „Darin muß man die ungemeine Güte und Huld Gottes mit dem größten Lob und Dank preisen, daß er der menschlichen Schwachheit dies zugestand, daß einer für den anderen Genugtuung leisten kann. … Diejenigen, welche die Gnade Gottes besitzen, vermögen wohl für einen andern das abzutragen, was dieser Gott schuldet.“ (Röm. Katechismus) Und etwas sollte uns noch zu den Liebeswerken anspornen, wie der hl. Thomas (Sum. c. Gen. III, c. 158, n. 4) dazu sagt: „Was wir durch Freude tun, tun wir gleichsam selbst, weil die Freundschaft und namentlich die übernatürliche Liebe durch die gegenseitige Zuneigung aus zweien eins macht; und deshalb kann einer sowohl selbst für sich, als auch durch einen andern Gott Genugtuung leisten, zumal in der Zeit der Not; denn die Strafe, welche der Freund für ihn erduldet, sieht er so an, als leide er sie selbst, und so fehlt auch ihm die Strafe nicht, indem er mit dem duldenden Freund Mitleid hat und zwar um so größeres, weil er ja selbst die Ursache von dessen Leiden ist. – Und andererseits bewirkt die innige Liebe dessen, der für den Freund duldet, daß die Genugtuung Gott noch wohlgefälliger ist, als wenn er für sich selbst litte: denn jenes ist Sache der hingebenden Liebe, dieses aber Sache der Notwendigkeit. Daraus ergibt sich, daß einer für den anderen genugtun kann, wenn nur beide in der Liebe sind.“
Daher ließen auch während der Verfolgung die Hirten der Kirche oft auf Bitten der Bekenner, welche im Begriffe standen, die Palme des Martyriums zu empfangen, und in Ansehung ihrer Leiden, den öffentlichen Sündern und Büßern den Rest jener strengen Buße nach, welcher sie nach den kanonischen Gesetzen verfallen waren. Es geschah dies im Hinblick auf die überreichen Genugtuungen und Verdienste Christi und im Hinblick auf die Qualen, welche die Märtyrer zu erdulden im Begriffe standen. Das führt uns zum nächsten Punkt.
3. Der Kirchenschatz besteht aus den überreichen Genugtuungen Christi, der seligsten Jungfrau und der Heiligen. Für die durch die Sünde des Menschen zugezogene Schuld gegenüber der göttlichen Gerechtigkeit hat sich Jesus Christus als Sühnopfer dargebracht, unsere Schuld bezahlt und für uns genuggetan. „Dieser ist die Versöhnung für unsere Sünden; doch nicht allein für die unsrigen, sondern auch für die der ganzen Welt.“ (1 Joh. 2, 2) Christi Genugtuung wog die Sünden und Sündenstrafen des ganzen Menschengeschlechtes nicht bloß auf, sondern sie war überschwänglich, und zwar unendlich überschwänglich wegen ihres unendlichen Wertes. Diese unendlichen Genugtuungen, welche eigentlich und wesentlich den Schatz ausmachen, bilden den Grundstock des großen geistlichen Schatzes, der sich im Besitz der Kirche befindet und deshalb Kirchenschatz genannt wird. Zu den Verdiensten Christi kommen dann noch die Genugtuungen der allerseligsten Jungfrau Maria. Ihr ganzes Leben war ein Leben des Gebetes, der Entsagung, des Opfers. Obwohl Marias Tugenden und guten Werke ihre Belohnung erhalten haben, so haben sie doch, insofern sie genugtuend waren, keine Verwendung bei ihr, der Unbefleckten, finden können. Da sie aber in dieser Beziehung nicht verloren gehen und wirkungslos sein können, so schließen sie sich den Verdiensten Jesu Christi an. Endlich treten zu diesem geheimnisvollen Schatz noch die genugtuenden Werke der Märtyrer, Jungfrauen und aller Gerechten hinzu. Sie alle haben Bußwerke verrichtet, welche das für ihre persönlichen Mängel erforderte Maß der Genugtuung weit überschreiten. Sie haben nun im Himmel als unsere Freunde und Beschützer, da sie nicht mehr für uns leiden und genugtuen können, den sehnlichen Wunsch und freuen sich, wenn die Kirche uns den reichen Schatz ihrer Opfer zuwende, welche sie ihr als Erbteil hinterlassen haben.
Die Verdienste Christi und der Heiligen bilden aber nicht in gleicher Weise den Kirchenschatz, denn die Heiligen konnten ja nur verdienen und genugtuen in Kraft der Verdienste Christi; aber in Kraft dieser Verdienste haben ihre guten Werke wirklich auch verdienstlichen und genugtuenden Wert vor Gott, und zur Ehre Christi selber nimmt Gott bei Nachlassung der zeitliche Sündenstrafen, die er uns durch den Ablaß zuteil werden läßt, nicht bloß Rücksicht auf die Mühen und Leiden, welche Christus selbst in Person ertragen hat, sondern auch auf die Mühen und Leiden, welche Christus in seinen mystischen Gliedern, den Heiligen oder diese durch Christus erduldet haben. Sooft die obersten Hirten uns Ablässe verleihen, schöpfen sie aus diesem wunderbaren Schatz, ohne ihn je zu vermindern, und bezahlen so für uns das Lösegeld, das wir sonst der göttlichen Gerechtigkeit entrichten müßten. Machen wir uns die mütterliche Sorge unserer hl. Kirche zunutze durch Gewinnung der dargebotenen Ablässe in Vereinigung „mit den Tränen, den Seufzern, den Abtötungen, den Arbeiten und Leiden aller Märtyrer und Heiligen, besonders aber mit dem Todeskampfe, der Verlassenheit, dem Leiden und Sterben Jesu Christi, in dem und durch den jegliche Genugtuung und alle guten Werke der Heiligen von seinem Vater angenommen werden.“ (so Bossuet)
Gewalt der Kirche, Ablässe zu verleihen. - Ausübung dieser Gewalt in allen Jahrhunderten.
Die katholische Kirche ist im Besitze der Gewalt, Ablässe zu verleihen. Darüber spricht sich das Konzil von Trient (25. Sitz. Dekret über die Ablässe) ganz klar aus: „Da die Gewalt, Ablässe zu verleihen, von Christus der Kirche verliehen worden ist, und sie sich dieser Gewalt, die ihr von Gott übergeben wurde, auch seit den ältesten Jahrhunderten bediente, so lehrt und befiehlt der hochheilige Kirchenrat, daß der Gebrauch der Ablässe, welcher für das christliche Volk sehr heilsam und durch das Ansehen der heiligen Konzilien bestätigt ist, in der Kirche beibehalten werden müsse, und belegt mit dem Bannfluche diejenigen, welche entweder behaupten, sie seinen unnütz, oder leugnen, daß die Kirche die Gewalt habe, sie zu erteilen.“
1. Diese Gewalt der Kirche ist vielfach in der hl. Schrift begründet. Die Neigung des Heilandes, die Sünder aufzusuchen und ihnen liebevoll zu verzeihen, ist in das Herz der Kirche übergegangen. So spricht der Heiland zu Petrus: „Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein; und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst ein.“ (Matth. 16,19) Nichts nimmt der Heiland von dieser Gewalt aus, was nicht die Natur der Dinge oder eine spezielle Bestimmung von ihm ihrer Macht entzieht. Mit der Übertragung der Schlüsselgewalt, ist ihm auch die Gewalt gegeben, den bußfertigen Sündern den Himmel zu öffnen und die Gewalt, die Hindernisse zu heben, welche sie davon ausschließen, nämlich die Sündenstrafen abzubüßen. Daher darf sie auch diese Fesseln lösen. Ferner wurde ihr mit der Schlüsselgewalt die Vollmacht gegeben, über den Kirchenschatz zu verfügen, also auch die Genugtuungen Christi und der Heiligen den Gläubigen zuzuwenden wie bei der Spendung von Ablässen. Dazu kommt, daß der Heiland die größere Gewalt, Sünden zu vergeben und von den ewigen Strafen zu befreien, seiner Kirche mitgeteilt hat; wie sollte er ihr nun die geringere Gewalt, die zeitlichen Sündenstrafen nachzulassen, vorenthalten haben? Auch findet sich in der hl. Schrift selbst schon ein Beispiel des Ablasses: Nachdem der blutschänderische Korinther bereits ein Jahr lang die über ihn verhängte Strafe des Kirchenbannes reumütig und bußfertig getragen hatte und Paulus ihn davon lossprach, war dies nicht bloß eine Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen. Paulus sagt: „Wem ihr etwas verziehen habt, dem habe auch ich verziehen; denn was ich vergeben habe, wenn ich etwas vergeben habe, das geschah euretwillen an Christi statt.“ (2 Kor. 2, 10) Der Zweifel „wenn ich etwas vergeben habe“ bezieht sich nicht auf die bereits tatsächlich vollzogene Wiederaufnahmen in die Kirche, sondern kann sich nur auf die zeitlichen Sündenstrafen beziehen, die eventuell schon hinlänglich gesühnt sind, und nur falls doch noch nicht, der Apostel ihn davon losspricht und zwar „an Christi statt“, d. h. kraft göttlicher Vollmacht. Das aber ist nichts anderes als ein Ablaß.
2. Schon die Überlieferung der ersten christlichen Jahrhunderte bezeugt eindeutig, dass die Kirche sich in der Gewalt wußte, Ablässe zu erlassen, und davon auch Gebrauch machte. Wie bereits oben erwähnt, wurde in der Christenverfolgung den vom Glauben Abgefallenen, wenn sie ihren Fehltritt bereuten und Buße taten, auf Bitten der Märtyrer hin durch die Autorität der Kirche ein Nachlass ihrer Strafe gewährt. Ebenso erklärten das Konzil von Nicäa (325) und das Konzil von Ancyra (314), daß bei öffentlichen Büßern die kirchlichen Vorsteher nach weisem Ermessen die vorgeschriebenen Bußen milder verfahren können, wenn sie ernstlich Buße wirkten. Seit dem achten Jahrhundert wurde die Form der Ablasserteilung insofern geändert, daß die früheren strengen Bußwerke in weniger harte, zumal in Beten, Fasten und Almosen umgewandelt wurden, weil nämlich der Bischof (dem das Recht zustand, den eifrigen Büßern einen Teil oder auch die ganze noch übrige gesetzlich bestimmte Bußstrafe zu erlassen) zumal wegen der Ausdehnung der Diözesen die Verwaltung des Bußsakramentes nicht mehr genau überwachen konnte, so mußten auch hinsichtlich des Ablasses allgemeinere Bestimmungen getroffen werden, indem die kanonischen Bußstrafen gegen andere leichtere gute Werke umgetauscht oder erlassen wurden. Damit war dann der Weg zu den allgemeinen Ablässen, wie wir sie in der Folge finden, gebahnt.
Seit dem zehnten Jahrhundert wurden an die Stelle der früheren Bußen vielfach Geißelungen, Wallfahrten, Beisteuer zu Kirchen- und anderen gemeinnützigen Bauten gesetzt und daran die Ablaßgnade geknüpft. Mit dem Beginn der Kreuzzüge (1095) konnten ein Ablass auch von dem gewonnen werden, der zur Bekämpfung eines Kirchenfeindes beitrug (aktive oder passive Teilnahme am Kreuzzug etc.) Ebenso wurden von da an bei Gelegenheit von Kirchweihen, Heiligsprechungen und sonstigen kirchlichen Feierlichkeiten Ablässe verliehen. Nach den Kreuzzügen bildeten besonders die Jubiläen in Rom (ab 1300) einen neuen Anlaß, Ablässe zu bewilligen; auch wurden von jetzt an Ablässe an fast alle fromme Handlungen, wie die Begleitung des Allerheiliges Sakramentes zu einem Kranken, an die Anhörung von Predigten geknüpft, sowie an Kirchen, Altäre, Rosenkränze usw. dauernd verliehen.
Bis zum 14. Jahrhundert waren vollkommene Ablässe noch sehr selten. Der einzige beim hl. Thomas erwähnte, ist der der Kreuzfahrer; der größte unvollkommene von dem er spricht, ist einer von 7 Jahren. Später begnügten sich die Päpste mit geringeren frommen Werken der Gläubigen, wenn die Ehre Gottes oder der Nutzen der Kirche eine reichere Zuwendung der Genugtuungsverdienste Christi und der Heiligen aus dem ihr anvertrauten geistlichen Schatz zu fordern schien, weil eben das Hauptfundament der Ablässe in diesem unendlichen Kirchenschatz, nicht aber in den Werken liegt. Die Form der Ablässe und die Gründe änderten sich, dem Wesen nach blieben sie aber an sich gleich. Im Vordergrund standen immer die Bedürfnisse und Schwächen der Gläubigen. Zudem hatte der fromme Gebrauch der Ablässe bei den Gläubigen immer mehr Ansehen gewonnen und sich ausgebreitet.
Wer Ablässe erteilen kann.
Die Vollmacht, Ablässe zu verleihen, kommt der Kirche zu, d. i. an erster Stelle der Papst, der Nachfolger des hl. Petrus, dann auch den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, welche mit der Leitung der Kirche vertraut sind.
Die Verleihung derselben ist eine Ausübung der Gerichtsbarkeit.
Die Verleihung der Ablässe ist eine Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit oder ein Akt der geistlichen Regierungsgewalt, eine Gewalt, zu deren Ausübung nicht, wie zur Spendung eines Sakramentes, der priesterliche oder bischöfliche Charakter durchaus erforderlich ist. Denn ein jedes muß so nachgelassen oder gelöst werden, wie es seine Natur erfordert. Da für die bloße Nachlassung der zeitlichen Strafen, welche nach der Vergebung der Sünden noch zu tilgen bleiben, keine neue Eingießung der Gnade erforderlich ist (wie bei der Taufe und der Buße), sondern sie im Gegenteil schon vorausgesetzt wird, muß der gesetzmäßige Ausspender des Kirchenschatzes nur die geistliche Gerichtsbarkeit oder Regierungsgewalt innehaben. Daher können sich die persönlichen Ablässe, die ein Bischof erteilt, nur auf die Bistumsangehörigen erstrecken, da keiner von einem fremden Richter verurteilt oder freigesprochen werden kann. Diese regionalbezogene Ablaßerteilung ist aber dem Umfang nach beschränkt worden, um Mißbräuche zu vermeiden. Da aber die geistliche Gerichtsbarkeit übertragen werden kann, so hat der Papst die Vollmacht, Bischöfe und Priester zur Segnung frommer Gegenstände mit Ablässen, zur Erteilung des vollkommenen Ablasses an Lebende oder Sterbende zu bestellen. Der Papst, welcher allein eine allgemeine Gerichtsbarkeit besitzt, hat in seiner Eigenschaft als oberster Hirt und Richter aller Gläubigen, als unumschränkter Verwalter der geistlichen Güter der Kirche die Vollmacht, Ablässe, für Lebende und Abgestorbene, zu erteilen. Auch ein allgemeines Konzil hat nur die Gewalt, mit und durch den Papst Ablässe zu verleihen.
Der Ablaß wird den Lebenden nach Art einer Lossprechung zuteil.
Die Ablässe, welche die Kirche den lebenden Gläubigen verleiht, haben, wenn kein Hindernis in den Weg tritt, sicher und unfehlbar ihre Wirkung, nämlich die Nachlassung aller oder eines Teiles der zeitlichen Sündenstrafen; denn für die Lebenden, welche der Gerichtsbarkeit der Kirche unterworfen sind, ist der Ablaß eine wahre richterliche Lossprechung; er ist eine Nachlassung und Vergebung, welche auf der Schlüsselgewalt und auf der richterlichen Vollmacht beruht, die Jesus selbst der Kirche verliehen hat. Daher wurden die Ablässe manchmal in diesem Sinne „Lossprechung“ genannt. Die Kirche spricht also los und bietet Gott dafür eine entsprechende Genugtuung dar und spricht zum Sünder wenigstens durch die Tat ungefähr so: „Mein Kind, du bist jetzt teilweise/gänzlich von der Strafe, welche deine Sünden verdienen, befreit: deine Strafe ist ganz/zum Teil abgezahlt; Jesus Christus, die Mutter Gottes und die Heiligen haben für dich Genugtuung geleistet; erzeige dich ihnen dankbar, besonders durch deine Besserung und durch die Unschuld deines Lebens.“
Ob und wie die Ablässe den Armen Seelen zugewendet werden können
Es ist eine Wahrheit des katholischen Glaubens, die sich auf die hl. Schrift und die ununterbrochene Überlieferung stützt, daß es ein Fegfeuer gibt, und daß die Seelen, welche in demselben zurückgehalten werden, durch die Gebete, Fasten, Almosen und andere gute Werke der Lebenden, namentlich aber durch die Darbringung des allerheiligsten Meßopfers, Hilfe und Trost in ihren Leiden erlangen können. Schon im Alten Bund brachte man Gebete und Opfer für die Toten dar, und die hl. Schrift selbst sagt: „Es ist ein heiliger und heilsamer Gedanke, für die Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren Sünden erlöset werden.“ (2. Makkab. 12, 46) Die Kirche hat es darum nie versäumt, während der Feier der heiligen Geheimnisse für die Verstorbenen zu beten, wie man sich durch einen Blick in die alten Liturgieen überzeugen kann.
Also immer und überall hat man an das Fegfeuer geglaubt, d. h. an einen Ort oder Zustand der Leiden, wo Gott die rechte Ordnung der Dinge wiederherstellt. Dort vollendet er in der Tat die Bestrafung der Fehler, welche auf Erden nicht genugsam gesühnt worden sind; dort unterwirft er die heiligen Seelen der letzten Reinigung, um auch die geringsten Makel an ihnen auszutilgen und sie durch Feuer zu jenem Grade vollendeter Reinheit zu führen, welcher notwendig ist, um Gott selbst von Angesicht zu Angesicht schauen zu können. Ist dieses Verfahren Gottes nicht höchst gerecht und billig? Trösten wir uns also mit dem Gedanken, daß, wenn auch wir dereinst uns unter diesen leidenden Seelen befinden werden, die ganze Kirche für uns beten wird, diese zärtliche Mutter, die immer um ihre Kinder bekümmert ist und ihnen immer zu Hilfe eilt, bis sie dieselben in den Schoß der glückseligen Ewigkeit hinübergeleitet hat!
Aber nicht bloß durch die erwähnten guten Werke, sondern auch vermittelst der Ablässe können wir den Seelen im Fegfeuer Hilfe, Trost und Befreiung verschaffen, wie die Praxis der katholischen Kirche seit vielen Jahrhunderten beweist. […] Papst Leo X. verwarf […] in der Bulle „Exsurge Domine“ den bekannten Satz Luthers: „Sechs Klassen von Menschen sind die Ablässe weder nötig, noch nützlich, nämlich den Verstorbenen usw.“ – Auf der berüchtigten Synode von Pistoja hatte man nach dem Vorgange Luthers die Behauptung aufzustellen gewagt, den Verstorbenen Ablässe zuzuwenden, sei eine leere Einbildung. Pius VI. hat in seiner Bulle „Auctorem fidei“ diesen Satz als „falsch, verwegen, fromme Ohren verletzend, voll Unbilde gegen die Päpste und gegen den Gebrauch und die Gesinnungen der gesamten Kirche“ verworfen und verdammt. […] Zudem ist die Vollmacht, die Qualen der Seelen im Fegfeuer zu mildern und abzukürzen, eine der schönsten Folgerungen aus der Glaubenslehre von der Gemeinschaft der Heiligen, auf der ja, wie wir oben sahen, auch die Lehre vom kirchlichen Ablasse beruht. Die Seelen der Gläubigen, welche in der Gerechtigkeit sterben, sagt der hl. Augustin, werden ja durch den Tod nicht von der Kirche getrennt (neque enim piorum animae mortuorum separantur ab Ecclesia); denn sie sind Glieder eines und desselben Leibes und bleiben mit den Seelen der Gläubigen, die noch auf Erden leben, durch das Band desselben Glaubens und derselben Liebe vereinigt, und hierin liegt eben der Grund, warum wir mitleidsvoll ihnen zu helfen trachten. – […]
Was nun die Art und Weise betrifft, wie die Kirche den Verstorbenen die Ablässe zuwendet, so geschieht diese Zuwendung allerdings nicht, wie bei den Lebenden, durch einen Akt der Gerichtsbarkeit und Lossprechung. Da nämlich die Kirche über die Verstorbenen, welche nicht mehr ihrer Gewalt, sondern nur der Herrschaft Gottes unterworfen sind, keine Gerichtsbarkeit mehr ausübt, so kann sie dieselben auch nicht unmittelbar von ihren Strafen befreien oder lossprechen; sie kann keinen Richterspruch über dieselben fällen; wohl aber kann sie dem Kirchenschatze die Zahlung für ihre Schuld entnehmen, auf daß diese Zahlung Gott dargeboten werde, mit der Bitte, er möge die Genugtuung Christi und der Heiligen statt der von den Verstorbenen zu leistenden gnädig annehmen. So kann z. B. ein König aus seinem Schatze Zahlung anbieten für einen Unglücklichen, der in einem andere Reiche den Strafgesetzen verfallen ist, und kann die Bitte beifügen, die dargebotene Summe annehmen zu wollen, auf daß der Arme aus dem Gefängnisse entlassen werde; durch richterlichen Spruch aber kann er ihn nicht befreien.
Die Kirche hat also immer unmittelbare Gewalt über den Schatz, aber nicht über die zu befreienden Armen Seelen; daher erläßt sie ihnen die Strafen nur mittelbar, d. h. die Kirche nimmt aus ihrem Schatze gewissermaßen einen dem betreffenden Ablasse entsprechenden Teil von den Verdiensten und Genugtuungen heraus und bietet ihn (durch die Lebenden zumeist) Gott an mit der Bitte, die Leiden der Armen Seelen um so viel zu lindern; es geschieht dies regelmäßig auf bestimmte gute Werke hin, welche von den Lebenden zu dem Zwecke verrichtet werden, um den an diese geknüpften Ablaß den Armen Seelen zuzuwenden. Daß ohne solche guten Werke seitens der Lebenden der Papst einen Ablaß zu Gunsten der Verstorbenen erteilen könne, ist nicht erwiesen. […] Durch diese von der Kirche gebotene Genugtuung Jesu Christi und der Heiligen erhalten die Seelen im Fegfeuer, welchen der Ablaß zugewendet wurde, in der Regel die dem betreffenden Ablaß entsprechende Nachlassung der zeitlichen Strafe, welche sie noch erdulden müßten, vorausgesetzt, daß die von der Kirche zu diesem Zwecke vorgeschriebenen guten Werke von den Lebenden gültig und fehlerfrei geleistet werden. […]
Nach der gewöhnlichen Lehre nützen die Ablässe den Verstorbenen nicht nur im allgemeinen, sondern jenen insbesondere, für die sie eigens Gott dargebracht werden; und zwar in der Regel auch nach ihrem vollen Werte. Denn abgesehen davon, daß eine Zahlung – und das ist ja der Ablaß – eben dem zugute kommt, für den sie eigens entrichtet wurde, gibt uns die Gemeinschaft der Heiligen, zu der ja auch die Seelen des Reinigungsortes gehören, hier fast noch mehr Sicherheit, als bezüglich des Austausches der Genugtuungswerke unter den Lebenden. Einerseits ist nämlich bei den Seelen des Fegfeuers das Hindernis der Sündenschuld gänzlich gehoben, andererseits aber liegt kein Grund vor zu behaupten, der Wille oder die Intention desjenigen, der diese Hilfeleistungen für die Verstorbenen darbietet, finde bei Gott wenigstens in der Regel nicht voll und ganz Berücksichtigung. Dazu kommt die allgemeine kirchliche Praxis und die Überzeugung der Gläubigen, die in jener wurzelt, wonach diese Ablässe wirklich jenen bestimmten Seelen des Reinigungsortes zugute kommen, für welche sie aufgeopfert werden. Man denke nur an den mit dem Altarsprivileg verbundenen vollkommenen Ablaß: derselbe kann ja, wie wir später sehen werden, nur jener bestimmten Seele des Fegfeuers zugewendet werden, für welche vom Priester das hl. Meßopfer dargebracht wird.
Es gilt also auch hier, was der hl. Thomas (Supp. Q. 25, a. 2) sagt: Ablässe haben einfachhin soweit Geltung, wie sie verkündet werden, sofern einerseits die Vollmacht des Gebers vorhanden ist, andererseits die Gottesliebe des Empfängers und zum dritten als Ursache die Frömmigkeit, denn ein Grund, dies auf die Ablässe für die Lebenden zu beschränken, liegt nicht vor. Noch klarer ist das Gleiche in dem oben angeführten Dekretalbrief Leos X. ausgesprochen, woran Suarez (De Sacram. II, disp. 53, sect. 3.) folgende Bemerkung knüpft: Da der Papst mit diesen Worten ohne Unterschied und genau in diesem Sinne von den Lebenden und Toten spricht, macht er ganz deutlich, dass der Ablass ganz sicher und unfehlbar beiden zuteil wird; nun erkläre ich apostolische Autorität: jede mit der apostolischen Autorität durchgeführte Entbindung, ist, auch wenn sie in irgendeiner Form das göttliche Recht berührt, wie z.B. eine Entbindung vom Gelübde oder eine ähnlich andere, gültig, wenn sie aus einem nachvollziehbaren Grund erfolgt; also ist auch in der Gegenwart die Entbindung durch den Kirchenschatz, die mit der apostolischen Autorität für die Toten erfolgt, unfehlbar gültig und wirksam bei Gott, wenn sie aus einem nachvollziehbaren Grund erfolgt, wie wir dargelegt haben.
Bei den … Ablässen für Verstorbene ist es freilich auch nicht unfehlbar gewiß, daß ein vollkommener Ablaß der Nachlassung aller jener Fegfeuerstrafen gleichkommt, welche die betreffende Seele noch abzutragen hätte, sei es, weil das Strafmaß jener Seele ein ungewöhnlich hohes ist, während vielleicht bei einem solchen Ablaß das Maß der Nachlassung hergenommen wird von dem Maße zeitlicher Strafen jener lebenden Person, welche die Ablaßbedingungen erfüllt und den Ablaß den Verstorbenen zuwendet; sei es, weil die vorgeschriebenen Werke von dem Lebenden nicht vollständig oder ohne Andacht und Eifer erfüllt werden. Ausnahmsweise kann es ja auch geschehen, daß die göttliche Vorsehung in gewissen seltenen Fällen diese Hilfeleistung einer bestimmten Seele des Fegfeuer wenigstens einige Zeit vorbehält aus Gründen, die eben Gott allein bekannt sind, z. B. weil diese Seele während ihres irdischen Lebens sich dieser Hilfe wenig würdig gemacht, die Ablässe gering geschätzt oder nichts für die Seelen im Reinigungsorte getan hat. So erklärt es sich, daß die Kirche und die Gläubigen trotz ihrer großen Zuversicht auf dem vollen Wert der Ablässe für die Verstorbenen dennoch bemüht sind, ihnen eine möglichst große Zahl von Ablässen zuzuwenden. Sind die Seelen, welchen wir auf diese Weise helfen wollen, schon im Himmel, so wird die göttliche Weisheit und Güte diese Ablässe anderen armen Seelen (z. B. unseren verstorbenen Angehörigen) zukommen lassen, wie dies ja gewöhnlich unserer Intention bei solchen Ablässen entspricht.
Und seien wir fest überzeugt, dieses Liebeswerk gegen die Verstorbenen wird uns nicht nur durchaus keinen Nachteil, sondern im Gegenteil große Vorteile bringen. Zuerst mehrt es unser Verdienst. Denn das Verdienst steht im Verhältniss zu der Liebe; nun ist es aber zweifelsohne ein Beweis größerer Liebe, wenn man ein Gut, statt es für sich zu behalten, aufopfert, um seinen leidenden Brüdern Linderung zu verschaffen. „Wenig Tugend,“ sagt ein geistreicher Schriftsteller, „gehört dazu, den Armen von seinem Überfluß, aber große, ihnen von seinem Notwendigen mitzuteilen.“ Ferner haben wir auf den besonderen Schutz jener Gerechten zu rechnen, deren Leiden wir gemildert und deren Befreiungsstunde wir beschleunigt haben. Wenn sie einmal in die ewige Herrlichkeit eingegangen sind, so werden sie vor Gott unsere treuesten Fürbitter sein. Und wenn auch wir vielleicht sie nicht kennen, sie kennen uns, sie werden uns nie vergessen. Ja, nicht sie allein werden sich beeilen, die Schuld der Dankbarkeit gegen uns abzutragen, sondern der Herr selbst, dessen Ehre und dessen Interesse unsere aufopfernde Andacht für die Verstorbenen so sehr befördert, wird ihnen helfen, uns die ihnen geleisteten Dienste zu vergelten. (aus einer Predigt des hl. Thomas über die Verstorbenen)
Ablaß am Allerseelentag und im Monat November
Papst Pius XI. entschied am 10.Dezember 1938, daß der vollkommene Toties-quoties-Ablaß für die Verstorbenen am 2. November oder am darauffolgenden Sonntag gewonnen werden kann. Die Bedingungen bleiben die gleichen wie bisher: Beicht, Kommunion, Besuch einer Kirche, eines öffentlichen oder, sofern man dazu berechtigt ist, eines halböffentlichen Oratoriums und bei jedem Besuch 6 Vaterunser, Gegrüßet seist du, Maria und Ehre sei dem Vater nach der Meinung des Heiligen Vaters. (Dekret der päpstlichen Poenitentiarie vom 2. Januar 1939; A. A. S. XXXI, 23)
Den Gläubigen, die innerhalb der Allerseelenoktav in frommer Gesinnung und Andacht den Friedhof besuchen und, wenn auch nur im Herzen, für die Verstorbenen beten, wird an jedem Tag unter den gewöhnlichen Bedingungen ein nur den Verstorbenen zuwendbarer vollkommener Ablaß gewährt. (Pönit. 31. Oktober 1934)