Allein und zu Fuß

Versuch eines Lebensbildes des hl. Ignatius von Loyola

Die Heiligen sind alles andere als Massenmenschen, was der moderne Mensch eigentlich von ihnen annehmen muß, haben sie doch alle denselben Glauben und halten sich an dieselben göttlichen Gebote, leben im Gehorsam gegenüber der hl. Kirche und bemühen sich, die evangelischen Räte zu verwirklichen. Wo ist da die Freiheit? Müssen unter dieser gemeinsamen Voraussetzung nicht lauter gleiche Menschen entstehen? Das genaue Gegenteil ist der Fall, jedes Heiligenleben ist so einmalig, daß man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Das liegt letztlich an den unermeßlich vielen Möglichkeiten der Gnade. Zudem gilt, je reicher jemand an Gnade ist, desto individueller, einmaliger, unvergleichlicher ist er. Der Gipfel dieser Einmaligkeit ist die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria, die Gnadenvolle, die Immakulata!

Der Heilige ist ein Mensch, der gelernt hat, sich vollkommen an der göttlichen Vorsehung zu orientieren und im Einklang mit dieser zu leben. Der Heilige schlägt ab einem bestimmten Zeitpunkt seiner inneren Reifung auch nicht mehr das kleinste Gnadenangebot Gottes aus. Dabei muß aber jeder Heilige seinen eigenen Weg zur Heiligkeit finden und gehen. So gibt es etwa stille Heilige, die ihr Leben lang im Verborgenen wirkten und immer nur in dem kleinen Kreis ihrer Gemeinschaft geblieben sind. Sodann gibt es aber auch Heilige, die wie die Propheten des Alten Bundes wortgewaltig in die Geschichte der hl. Kirche und der Völker eingegriffen haben. Sie waren die von Gott gesandten Künder der göttlichen Wahrheit und Seines Ratschlusses, die das Volk zu Umkehr und Buße mahnten. Was für ein Segen ist von ihnen ausgegangen!

Einer dieser großen, von Gott geschenkten Weltenlenker, wie man sie auch nennen könnte, war der hl. Ignatius von Loyola. Er ist einer der bedeutenden spanischen Heiligen jenes so aufgewühlten und doch auch so fruchtbaren Jahrhunderts der Reform. Je mehr man über diesen großen Mann nachforscht und nachsinnt, desto ehrfürchtiger wird man angesichts einer solch strahlenden Heiligkeit und innigen Gottverbundenheit.

Zwei vollkommen gegensätzliche Zeitgenossen

Während in Deutschland Martin Luther sein Unwesen trieb und unzählige Menschen ins Verderben riß, begab sich in Spanien ein junger Edelmann auf Abenteuersuche, wobei die Vorsehung Gottes wollte, daß aus dem weltlich begonnenen Abenteuer mit einem Mal ein geistliches wurde. Luther wurde acht Jahre vor Ignatius geboren (1483) und stirbt zehn Jahre vor ihm (1546). Beide waren also Zeitgenossen, Zeitgenossen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Während der eine in prometeischer Selbstüberhebung gegen Gott und die hl. Kirche schimpfte, fluchte und wetterte, versuchte der andere, die verborgenen Reichtümer der hl. Kirche neu zu entdecken und einen gangbaren Weg zu Gott zu finden und diesen allmählich auch andere zu lehren. Irgendwer hat einmal bemerkt, in den Schriften des hl. Ignatius würde der Namen Luthers kein einziges Mal vorkommen. Dies wirft ein erstes, helles Licht auf den Basken, der allezeit sich bemüht, nur auf Gott zu schauen, Seinen hl. Willen zu erforschen und zu erfüllen. Seine geistlichen Söhne werden sich mit Luther beschäftigen müssen, Ignatius aber ist von Gott ausersehen, der Kirche Jesu Christi mit allen seinen Kräften und Fähigkeiten beim Wiederaufbau zu helfen. Doch greifen wir damit schon allzu weit vor. Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die wichtigsten Lebensdaten.

Eine merkwürdige Prophezeiung

Der hl. Ignatius, mit bürgerlichem Namen Iñigo López Oñaz de Recalde y Loyola, kurz „Iñigo“ genannt, wurde im Jahre 1491 auf dem Stammschloß seiner Familie in Loyola in der spanischen Provinz Guipuzcoa als letztes von 13 Kindern des Beltrán de Oñas und der Doña Marina geboren. Als junger Mann diente er am Hof des Königs Ferdinand als Page. Dort eignete er sich eine höfisch-ritterliche Bildung an, hörte aber auch von fernen Ländern und großen Abenteuern. Sein Bruder Hernandos zog in die Neue Welt und kam nicht wieder zurück. Das weltliche Treiben am Hof faszinierte Iñigo, weshalb er mehrere Jahre alles andere als geistliche Manieren an den Tag legte. Er trug Waffen, den offenen Mantel, die Haare lang bis auf die Schulter und ohne jeden Anschein einer Tonsur. Seine Tante Marina de Guevara, eine Ordensschwester, sagte eines Tages zu ihm: „Iñigo, du wirst nicht gescheit und willst nicht lernen, bis daß sie dir ein Bein brechen.“ Damals ahnte aber sicher noch niemand, wie wörtlich sich diese Vorhersage erfüllen würde. Am Hof erlebte Iñigo auch, wie wankelmütig das weltliche Glück sein kann. Als nämlich sein Beschützer starb, „ohne ihn gut zu versehen“, wie ein Freund schreibt, waren plötzlich nur noch zwei Pferde und ein paar Schilde seine ganze bewegliche Habe. Als letzte Möglichkeit nach seinem Weggang blieb ihm der Heeresdienst. Er wandte sich an den Herzog von Nájera: Don Manrique de Lare, der seit 1516 Vizekönig von Navarra war.

Krieg zwischen Frankreich und Spanien

Im Jahre 1521 kommt es zum Krieg mit den Franzosen. Am 18. Mai steht das französische Heer vor Pamplona. Die Bevölkerung hatte die Gelegenheit genützt und kurzerhand das Haus des Herzogs geplündert, die Wappen Spaniens niedergerissen und gegen das spanische Militär gemeutert. Eine Verteidigung der Stadt war im Grunde ein Selbstmordunternehmen. Während Don Martin, der den Hilfstrupp aus Loyola anführt, angesichts der aussichtslosen Lage abzieht, gab Iñigo seinem Pferd die Sporen und ritt mit einer Handvoll Rittern in Pamplona ein. „Als sie in einer Festung waren, die von den Franzosen belagert wurde, und als alle meinten, daß es besser sei, sich zu ergeben, um mit dem Leben davonzukommen, da man klar sah, daß keine Verteidigung möglich war, machte er dem Kommandanten so viele Vorstellungen, daß er ihn sogar zur Verteidigung überredete, obwohl alle Ritter gegensätzlicher Meinung waren, die er aber mit seinem Mut und seiner Entschlossenheit aufrichtete.“

Der Soldat Christi

Am 19. Mai begann das Artillerieduell: „Nachdem der Beschuß eine Weile gedauert hatte, erwischte ihn ein Schuß am Bein und zerschlug es ihm völlig, und weil die Kugel zwischen beiden Beinen durchging, war auch das andere in Mitleidenschaft gezogen. Und deshalb, nachdem er gestürzt war, ergaben sich die von der Festung bald...“ Nun war es wahr geworden, was seine Tante vorausgesagt hatte – und damit begann die von Gott gewollte Wandlung des etwas seltsamen Soldaten Iñigo in einen Soldaten Jesu Christi.

Die Sieger „behandelten den Verwundeten sehr gut, höflich und freundlich zumal“. Polanco, einer seiner ersten Gefährten berichtet: Die Sieger „brachten ihn in die Stadt hinunter und die Feinde selbst sorgten sehr gut für seine Heilung, indem sie nach Ärzten und allem möglichen schickten, bis es ihnen besser schien, ihn nach Hause zu schicken, damit man in seiner Behandlung, die sehr lange werden würde, mit Bedacht vorangehen könne“.

Monatelang lag er schließlich im Schloß von Loyola auf dem Krankenlager. Weil das Bein nicht richtig zusammengewachsen war, mußte es wieder gebrochen und neu eingerichtet werden: „Und von neuem begann diese Schlächterei, während derselben, wie bei allen Vorfällen, die er davor und danach erlitt, er kein Wort verlor und kein anderes Zeichen von sich gab, als nur die Fäuste sehr fest zu ballen.“ Aber die Genesung wollte nicht voranschreiten, vielmehr zeigten sich am 24. Juni, dem Johannistag, alle Anzeichen, die „gewöhnlich den Tod bedeuten“. Iñigo beichtete und empfing die hl. Kommunion, aber sein Zustand wurde nicht besser. Die Ärzte meinten, „wenn er bis um Mitternacht keine Besserung verspüre, könne er sich für verloren halten“. Am Vorabend des Festes der hl. Apostel Petrus und Paulus, denen der Kranke eine „besondere Verehrung zu erweisen pflegte“, begann die Besserung und innerhalb weniger Tage war er außer Lebensgefahr.

Am Scheideweg

Da jedoch die Heilung seines Beines länger dauerte, war er ans Bett gefesselt. In Ermangelung von Ritterromanen vertrieb er sich die lange Zeit mit dem Lesen von Heiligenleben und des Lebens Jesu von Ludolf von Sachsen. Die Bücher gefielen ihm „im gewissen Maß“ und manchmal „verweilte er in Gedanken –‚ was wäre, wenn ich das machte, was der heilige Franziskus gemacht hat, und das, was der heilige Dominikus gemacht hat?‘ Und so durchdachte er viele Dinge. Er nahm sich immer für sich selbst schwierige und harte Dinge vor. Und wenn er sie sich vornahm, schien ihm, er finde Leichtigkeit in sich, sie ins Werk zu setzen.“ Iñigo beginnt das zu ahnen, was wir Heiligkeit nennen und er erkennt, daß diese Heiligkeit etwas Mühevolles und Schwieriges ist, das man tun muß. Wobei es ihm sodann doch auch wieder einfach erscheint, das zu tun.

Aber die Gedanken des Kranken bleiben noch nicht ausschließlich bei diesen heiligen Träumen, diese wechseln ab mit jenen der weltlichen Ehren im Dienste seines Königs oder auch der Königin seines Herzens. Dabei machte er eine immer deutlicher werdende Beobachtung: Diese weltlichen Träume erfreuten ihn, während er sich mit ihnen beschäftigte, aber „wenn er danach aus Ermüdung davon abließ, fand er sich trocken und unzufrieden“. Dagegen, wenn er sich in die Heldentaten der Heiligen vertiefte und sich vorstellte, diese ebenfalls zu tun, wie „barfuß nach Jerusalem zu gehen und nur Kräuter zu essen und alle übrigen Härten auszuführen, von denen er las, daß die Heiligen sie ausgeführt hatten, war er nicht nur getröstet, ...sondern blieb auch, nachdem er davon abgelassen hatte, zufrieden und froh“.

Die Unterscheidung der Geister

Es zeigt sich hier nicht nur, daß Ignatius ein Meister der Vorstellungkraft war. Er verstand es auch, seine eigene Seele zu beobachten und lernte, seine wechselnden Stimmungen zu deuten, d.h. er lernte die „Verschiedenheit der Geister“ kennen und unterscheiden, die in ihm kämpften. Sein späterer Schüler Ribadeneira erklärt dazu, daß Iñigo „einsah, daß es zwei Geister gab, nicht nur verschieden, sondern ganz und gar gegensätzlich zueinander“ – und wie es in der hl. Schrift heißt, die sich wie Licht und Finsternis zueinander verhalten. Camara ergänzt: „Dies war die erste Überlegung, die er in den Dingen Gottes anstellte. Und danach, als er die Geistlichen Übungen verfaßte, begann er von hieraus Licht bezüglich der Verschiedenheit der Geister zu gewinnen.“

Iñigo war ein Mann der Tat, es konnte nicht immer nur bei Überlegungen und Träumen bleiben. Er notiert: „Alles, was er zu tun verlangte, war, sobald er gesund würde, die Reise nach Jerusalem, wie es oben gesagt ist, mit so vielen Geißelungen und solchen Enthaltungen wie sie ein großzügiger Sinn, der von Gott entzündet ist, auszuführen zu verlangen pflegt.“ Von Anfang an faszinierte ihn die heilige Stadt Jerusalem. Jerusalem ist die Stadt, in der Unser Herr Jesus Christus wirkte, es ist der Schauplatz unserer Erlösung – die ersehnte Wüste seiner Taten der Großmut im Gefolge der Heiligen. Aber noch war die Bekehrung nicht vollbracht, die verschiedenen Geister kämpften um seine Seele: „Mit dem heiligen Verlangen, das er hatte, begann er bereits, die vergangen Gedanken zu vergessen.“ Das große heilige Ideal drohte wieder zu verblassen, denn die Welt lockte mit ihren Freuden und Genüssen. In diesem Hin-und-Herschwanken wurde ihm eine innere Stärkung zuteil, eine „Heimsuchung“ wie er sie nennt:

„Eine Nacht war er wach und sah deutlich das Bild unserer Herrin mit dem heiligen Jesuskind, bei deren Anblick er über einen beachtlichen Zeitraum sehr übermäßigen Trost empfing. Und er verblieb mit solchem Ekel gegen sein ganzes vergangenes Leben und besonders gegen Fleischesdinge, daß ihm schien, ihm seien alle Vorstellungsbilder aus der Seele genommen, die er zuvor in ihr gemalt trug. Und so hatte er seit jener Stunde bis zum August des Jahres 1553, da dies geschrieben wird, niemals mehr auch nur eine geringste Zustimmung in Fleischesdingen. Und aus dieser Wirkung kann man urteilen, daß die Sache von Gott war, obwohl er nicht wagte, es zu bestimmen, und auch nicht mehr sagte, als das Obengenannte zu behaupten.“

Iñigo spricht über diese himmlische Schau sehr sachlich und zurückhaltend. Er wagt es nicht, mit letzter Sicherheit zu behaupten, daß sie von Gott stammte. Was aber ganz und gar dafür sprach war die Tatsache der wunderbaren, unmittelbaren und dauerhaften Folgen dieses Eingreifens. Daraus wuchs seine Überzeugung, daß ein so grundlegender und andauernder Wandel nicht von seinen eigenen Kräften und Neigungen herrühren konnte. In seinem Exerzitienbüchlein wird er schreiben, daß die Fleischesdinge „wie eine Wunde oder ein Geschwür (sind), aus dem so viele Sünden und so viele Schlechtigkeiten und so schändliches Gift hervorgegangen sind“ (Nr. 58).

Der bekehrte Iñigo

Nun war er ganz bekehrt, und seiner Eigenart gemäß begann er sofort, das neu Erkannte zu tun, die neu gewonnenen Erkenntnisse in der Tat zu erproben. Im Jahre 1522 verließ er „auf dem Rücken eines Maultieres“ seine Heimat mit dem Ziel Montserrat. Auf dem Weg dorthin beschloß Iñigo eine Kutte zu kaufen, die er anziehen und auf seiner Jerusalemfahrt tragen wollte: „Stoff, aus dem man Säcke zu machen pflegt, von einer Art, die nicht sehr gewebt ist und viele Borsten hat.“ Irgendjemand fertigte ihm aus dem rauhen Stoff einen Überwurf, der ihm bis auf die Füße reichte. Auch kaufte er den Stock und die Kürbisflasche, die gewöhnliche Pilgertracht, und hängte alles an den Sattelknauf seines Maultiers. Außerdem kaufte er ein Paar Hanfschuhe, da sein Bein noch ziemlich schlimm und verbunden war, behielt aber nur einen. Nachts begann nämlich das Bein anzuschwellen, obwohl er ritt, deswegen brauchte er wenigstens für das kranke Bein einen Schuh.

Auf dem Weg kommen ihm wieder die Heiligen in den Sinn: „Dabei dachte er, wie er es immer pflegte, an die Großtaten, die er aus Liebe zu Gott zu machen hatte. Und da er den ganzen Verstand voll von jenen Dingen hatte, Amadis de Gaula und ähnlichen Büchern, kamen ihm einige Dinge in den Sinn, die jenen ähnlich waren. Und so entschloß er sich, eine ganze Nacht Waffenwache vor dem Altar unserer Herrin von Montserrat zu halten, ohne sich zu setzen oder zu legen, sondern bald stehend, bald kniend. Er hatte beschlossen, dort seine Kleider zu lassen und sich mit den Waffen Christi zu kleiden.“

Ein Geschenk an die Jungfrau von Montserrrat

Im Heiligtum angekommen beichtet Iñigo, er überläßt dem Kloster sein Maultier, sein Schwert und seinen Dolch schenkt er als Votivgaben der Jungfrau von Montserrat. „Am Vortag unserer Herrin im März, bei Nacht, im Jahr 1522, ging er so geheim, wie er nur konnte, zu einem Armen und legte alle seine Kleider ab. Er gab sie einem Armen und kleidete sich mit dem ersehnten Gewand.“

Während Iñigo mit der ganzen Sehnsucht seines ungestümen Herzens davon träumte, arm zu sein um Jesu Christi willen, träumte der Bettler wohl davon, reich und angesehen zu sein, und die kostbaren Kleider schienen das erträumte Wunder wahrzumachen. Es kommt nicht auf den äußeren Schein an, sondern auf das Herz, weshalb unser göttlicher Lehrmeister auch die Armen im Geiste selig preist. Iñigo wollte jedenfalls ernst machen mit dem neuen Leben aus dem Glauben „und ging, sich vor dem Altar unserer Herrin niederzuknien. Und die einen Male auf diese Weise und andere Male stehend, mit seinem Stock in der Hand, verbrachte er die ganze Nacht“. Es war die Nacht vom 24. auf den 25. März. Für ihn war es eine Nacht der großen Versprechen und innigen Bittgebete, eine Nacht, die in der Früh mit der hl. Messe gekrönt wurde. Er kommunizierte verloren zwischen den Pilgern in der dunklen Klosterkirche – „Und bei Tagesanbruch brach er auf.“

Manresa

Das nächste Ziel war Manresa. Eigentlich wolle er dort nur einige Tage im Hospital verbringen „und auch einige Dinge in seinem Buch notieren, das er sehr sorgfältig verwahrt bei sich trug und das ihn sehr getröstet sein ließ“. Auf dem Weg dorthin holte ihn die Vergangenheit viel schneller als erwartet wieder ein. Es folgte ihm nämlich jemand von Montserrat aus und als er ihn erkannte, fragte er aufgeregt, ob er seine Kleider einem Armen gegeben habe, wie dieser behaupte. „Ich habe sie ihm gegeben“, antwortete Iñigo trocken, aber „da sprangen ihm die Tränen aus den Augen, aus Mitleid mit dem Armen, dem er die Kleider gegeben hatte“. „Aus Mitleid“, erklärt er selbst, denn er sah ein, „daß man ihn belästigte, weil man dachte, er habe sie gestohlen.“ Es ist schon zu Herzen gehend und bezeichnend, Iñigo konnte aus Mitleid mit dem Nächsten spontan weinen, obwohl er ertragen konnte, daß man ihm die Knochen zersägte, ohne zu jammern und ohne etwas anderes zu tun, als nur die Fäuste zusammenzuballen.

Es holte ihn auf dem Weg jedoch nicht nur die Vergangenheit ein, die göttliche Vorsehung fügte sogleich eine erste Begegnung. Inés Pascual, seine spätere große Wohltäterin, war ebenfalls gerade auf dem Weg von Monserrat nach Manresa. Sie war in Begleitung ihrer Patenkinder und dreier Witwen. Während sie so dahingingen, begegneten sie einem Armen, der wie ein Pilger eine Kutte trug. „Nicht sehr groß, blaß, mit geröteten Wangen, von gutem und würdigem Gesicht, vor allem von großer Bescheidenheit in den Augen ... kam er sehr müde daher und humpelnd auf seinem rechten Bein.“ Inés Pascual hatte Mitleid mit dem Pilger mit dem „etwas kahlen Kopf“, der auf kastilisch frage, ob es in der Nähe ein Hospital gebe, wohin er sich zurückziehen könne. Da eine der Witwen die Hospizmeisterin des Hospitals Santa Lucia war, konnten sie ihm zusichern, daß er in Manresa finden würde, was er suche. Sie luden ihn auch ein, ihrer kleinen Gruppe zu folgen.

Der Pilger begann im Hospital Santa Lucia ein neues Leben. Er schlief wenig und auf dem Boden, betete viel und dachte viel nach. Gekleidet in seine Kutte von grobem Stoff, erweckte er durch seine Würde im Benehmen und mit seiner Bescheidenheit im Blick unwillkürlich Aufmerksamkeit. Die Leute vermuteten in ihm einen armen Büßer, der irgendein Geheimnis verbarg. Diese Ahnung wurde durch die Nachricht von der Waffenwache am Montserrrat und den verschenkten Kleidern noch verstärkt. Inés Pascual war von den Tugenden und der Geduld des Pilgers tief beeindruckt. Sie brachte es zuwege, daß Iñigo im Konvent der Dominikaner wohnen konnte und nahm ihn wie einen Sohn auf. Fortan bettelte Iñigo jeden Tag in den Straßen von Manresa, aß außer sonntags kein Fleisch und trank keinen Wein, auch wenn man ihm einen anbot. Jeden Tag nahm er an der hl. Messe teil und betrachtete das Leiden Jesu. Nachts verbrachte er viele Stunden im Gebet, er beichtete und kommunizierte wöchentlich. Auch besuchte er das Hospital, um den Kranken Liebesdienste zu leisten. Die Kinder von Manresa liefen manchmal hinter ihm her und riefen: „l’ome sant“ – Heiliger Mann!

Die verschiedenen Zeiten der Seele

Weil Ignatius ganz ernst machte mit dem Leben aus dem Glauben, mußte er die verschiedenen Zeiten der Seele kennen und unterscheiden lernen.

Freude und Traurigkeit

Die ersten Wochen war seine Seele mit einer „großen Gleichheit in der Freude“ erfüllt. Aber diese Zeit der Freude konnte nicht lange anhalten, wird sie doch von Gott zunächst den Anfängern gewährt, um sie auf dem Weg der Gnade ein wenig zu festigen. Aber allmählich nähert sich Iñigo der Versucher und es ist, „als ob ihm im Innern der Seele gesagt würde: ‚Und wie wirst du dieses Leben sechzig Jahre erleiden, die du zu leben hast?‘“ Mit einem Mal spürt er die täglichen Mühen doppelt auf sich lasten und eine ungewisse Unruhe wegen der Zukunft, die ihn quält. Es ist seine „erste Versuchung“ wie er sie nennt. Die Freude weicht plötzlich der Traurigkeit, die so finster ist wie die vorhergehende Freude hell war. Er erlebt auch, wie schnell Freude und Traurigkeit wechseln können, denn die verloren geglaubte Freude kann ebenso plötzlich und unerwartet wieder zurückkehren. Es kommt ihm vor, als würden Freude und Traurigkeit von ihm genommen, „als ob jemand einen Mantel von den Schultern nimmt“. Was für eine wertvolle Erfahrung für einen Mann des Gebetes.

Mühen und Skrupel

Hinzu kommen außerdem „viele Mühen und Skrupel“. Wer schon einmal von religiösen Skrupel geplagt wurde, der weiß, was für Seelenqualen mit diesen Worten benannt sind. Hören wir einige Satzfetzen Iñigos, die von diesen Qualen Zeugnis geben: „...große Bedrücktheit – er war nicht zufrieden – kein Ding half ihm – er fand sich sehr verstört – er wußte schon fast, daß diese Skrupel ihm großen Schaden zufügten, daß es gut sei, sie loszuwerden, aber er wurde nicht mit sich fertig“. In den Skrupeln scheint man in Zweifel und Spitzfindigkeiten zu versinken wie ein Ertrinkender im Wasser. Iñigo suchte Hilfe bei einem Beichtvater. Dieser gab ihm den Befehl – und zwar im Gehorsam gegen Christus selbst –, keine einzige der vergangenen Sünden mehr zu beichten. Aber der Beichtvater machte einen verhängnisvolleren Zusatz: „Sofern es sich nicht um eine ganz klare Sache handelt.“ Für einen Skrupulanten sind nämlich immer alle Sachen sehr klar: „Das Gebot nutzte gar nichts, und so blieb er immer in seinen Mühen.“

Iñigo blieb trotz der anhaltenden Qualen der Erfüllung seiner täglichen Gebetsübungen treu, betete weiterhin viele Stunden des Tages und auch der Nacht auf den Knien. Dennoch dauerte die Qual noch Monate. Iñigo schreit in seiner übergroßen Seelennot zu Gott: „Rette mich, Herr, denn ich finde keine Abhilfe bei den Menschen, noch bei irgendeiner Kreatur. Denn wenn ich dächte, sie finden zu können, wäre mir keine Mühe zu groß. Zeige mir du, Herr, wo ich sie finden kann, denn auch wenn es nötig wäre, hinter einem Hündlein herzulaufen, damit es mir die Abhilfe gäbe, ich werde es tun.“ Aber der Himmel schien völlig verschlossen und Gott schien zu schweigen. Da erinnerte er sich an einem Sonntag nach der hl. Kommunion an die Geschichte von einem Heiligen, der so lange kein Essen zu sich nahm, bis Gott ihm Gnade erwies. Auch er faßte den Vorsatz, das zu machen. Nach einer Woche strengsten Fastens fühlte er sich stark genug, sein Fasten noch fortzusetzen, aber sein Beichtvater riet ihm davon ab. Er gehorchte sofort und brach das Fasten ab, infolgedessen er zwei Tage frei von Skrupeln war.

Am dritten Tag jedoch kehrte im Gebet die Erinnerung an seine vergangenen Sünden zurück, „und wie eine Sache, die sich an einem Faden aufreiht, so begann er, an eine Sünde nach der anderen aus der vergangenen Zeit zu denken; und ihm schien, daß er verpflichtet sei, sie noch einmal zu beichten“. In der modernen Psychologie würde man von einer Psychose sprechen. Ein minimaler gedanklicher Anstoß genügt, um eine krankhafte Verhaltensweise auszulösen. Der Gedanke an eine frühere Sünde zieht ihn sofort wieder in den Teufelskreis der Skrupel, den er selbst nicht kontrollieren kann. Die erneuten Skrupel mündeten in „einige Widerwilligkeiten gegen das Leben und einige innere Anstürme, es zu lassen“. Es war die nackte Sinnlosigkeit, die existentielle Leere, der Verlust jeglichen Lebenssinnes, vor der Iñigo stand und erschauderte.

Aber nun geschah etwas Merkwürdiges: Genau in dem Augenblick, als er sich seine Hilflosigkeit eingestand, als er jede egoistische Selbstsicherheit aufgab, trat die Besserung ein. Iñigo kam sich vor, als würde er plötzlich aus einem Alptraum erwachen. Ihm lag plötzlich der Schlüssel zur Lösung des Rätsels in der Hand, nämlich seine Erfahrung von der Verschiedenheit der Geister aus den Stunden von Loyola. Sofort gewann er seine alte Sicherheit zurück, und „er entschloß sich mit großer Klarheit“, daß er nunmehr keine der vergangenen Sünden mehr beichten würde. Es war letztlich die Folge dieses Entschlusses, daß die Skrupel augenblicklich verschwanden. Iñigo glaubte ganz fest, daß Gott es gewesen war, der ihn in seiner Barmherzigkeit von seinen Seelenqualen befreite. Jedenfalls hat er das lebensnotwendige Grundvertrauen in Gottes Vorsehung wiedergewonnen und die rechte und notwendige Unterscheidungsgabe, die Schwierigkeiten zu erkennen. Er beschloß mit einer Sicherheit, die selbst seinen Beichtvater verwirrte, wieder Fleisch zu essen. Zudem wollte er die kurze Zeit der Ruhe, die er sich täglich gönnte, auch wirklich dem Schlaf vorbehalten und von den großen Tröstungen, die ihm kamen, wenn er sich niederlegen wollte, Abschied zu nehmen. Wir sehen, Iñigo war durch die Prüfungen Gottes seelisch gereift.

Rückblickend auf jene schwere Zeit schreibt Iñigo: „In dieser Zeit behandelte Gott ihn auf die gleiche Weise, wie ein Schullehrer ein Kind behandelt, wenn er es unterrichtet. Und sei es, daß dies wegen seiner Ungebildetheit war und seines groben Verstandes oder weil er niemanden hatte, der ihn unterrichtet hätte, oder wegen des festen Willens, den ihm Gott selbst gegeben hatte, ihm zu dienen: Er urteilte deutlich und hat immer geurteilt, daß Gott ihn auf diese Weise behandelte. Ja, wenn er daran zweifelte, würde er denken, seine göttliche Majestät zu beleidigen.“

Die göttliche Schule der Seelenführung

Am Beispiel des hl. Ignatius von Loyola lernt man verstehen, wie die göttliche Vorsehung einen Heiligen zu der Aufgabe formt, die ihm gestellt sein wird. Der Ordensgründer des damals modernsten Ordens der hl. Kirche mußte ein hervorragender Seelenführer sein, ja ein Meister in dieser Kunst, wenn er seinen Orden sollte richtig leiten können. Darum ließ ihn Gott selbst ausgiebig erleben, nach welcher Gesetzmäßigkeit die Gnade in der Seele wirkt – und wie der Teufel jederzeit versucht, dies zu verhindern. Er sollte selber leidvoll erleben, welche Zeiten die Seele im Laufe ihrer inneren Entwicklung durchleben und durchleiden muß, um seine Erfahrung an den ihm anvertrauten Seelen anwenden und ihnen dadurch auf dem Weg zu Gott helfen zu können.

Es wird wenige geben, die so viel Verständnis für die Schwächen der Menschen aufbringen wie er. Aber es wird auch wenige geben, die so klar und sicher sehen, was Gott mit Seiner Gnade aus einer so schwachen Seele machen kann, wenn sie sich nur Gottes Führung anvertraut. Ignatius reift unter der sicheren Führung des Heiligen Geistes zum Meister heran. Nur so wird er fähig sein, den Orden zu gründen, den die göttliche Vorsehung für diese Zeit als außergewöhnliche Hilfe der hl. Kirche ersonnen hat. Als die ersten Gefährten den Generaloberen wählten, gab Alfons Salmeron seine Stimme wie alle anderen auch für Ignatius ab und bemerkte hierzu: „Ich... erwähle und bezeichne zu meinen und der ganzen Genossenschaft Haupte und Oberen den Herrn Ignatius von Loyola, welcher nach der ihm von Gott verliehenen Weisheit, gleichwie er uns alle in Christus erzeugt und, als wir klein waren mit Milch genährt hat, so auch, nachdem wir in Christus größer geworden sind, uns mit der nahrhaften Speise des Gehorsams auf die Weide des Paradieses und zur Quelle des Lebens leiten und führen wird.“

Die Entstehung des Exerzitienbüchleins

Noch lange bevor der hl. Ignatius daran dachte, Gefährten um sich zu sammeln oder gar einen Orden zu gründen, hat er schon eine große Sehnsucht, nämlich „den Seelen zu helfen“. Aus diesem Anliegen heraus entstand letztlich auch sein Exerzitienbüchlein, in dem er seine reichen Erfahrungen aufzeichnete und zu einer systematischen, in sich stimmigen und harmonischen Anleitung machte, „dazu hin, sich selbst zu überwinden und sein Leben zu ordnen, ohne sich durch irgendeine Neigung, die ungeordnet wäre, bestimmen zu lassen“.

Einen kleinen Einblick in die große Güte und Menschenfreundlichkeit dieses Heiligen, die ganz aus dem Herzen Jesu geformt ist, gibt uns ein Brief an Inés Pascual vom 6. Dezember 1524. Wie wunderschön ist es zu lesen, wie der, der von sich selbst das Letzte forderte, gegen seine Adoptivmutter größte Milde walten läßt: „Der Herr befiehlt Ihnen nicht, Dinge zu tun, die für Ihre Person schwer oder gar schädlich wären. Er will vielmehr, daß Sie in Freude vor ihm wandeln und dem Leib das geben, was ihm not tut. Ihr ganzes Reden und Denken und Verkehren mit den Menschen sei in ihm; und die für den Leib notwendigen Dinge sollen Sie ebenfalls auf dieses Ziel beziehen: die Gebote des Herrn immer an erster Stelle. Denn Er ist es, der das von uns wünscht und uns dies befiehlt... Und so, aus Liebe zu unserem Herrn, machen wir uns stark in ihm, denn wir schulden ihm so viel...“ Ignatius unterzeichnet diesen Brief: „El pobre peregrino, Iñigo“ (Der arme Pilger, Iñigo).

Der Gründer des Jesuitenordens

Normalerweise ist der Ordensgründer die „forma vitae“, die Lebensform des Ordens, d.h. er verkörpert den Ordensgeist exemplarisch durch sein vorbildliches Leben. Das gilt auch in hervorragender Weise für den hl. Ignatius. Die haßerfüllte Feindschaft gegen den Jesuitenorden hat den finsteren, herrschsüchtigen und despotischen Ignatius erfunden. Zu diesem jahrhundertealten Klischee liefert uns Camara das Gegenbild, wenn er Ignatius mit diesen Worten beschreibt: „Alles scheint Liebe ... er ist von allen ganz allgemein geliebt, er kennt niemanden in der Gesellschaft, der nicht größte Liebe für ihn hegte und der Überzeugung sei, sehr von unserem Vater geliebt zu werden.“

Der hl. Ignatius wird von allen seinen geistigen Söhnen respektiert, ja verehrt, aber vor allem wird er geliebt. Sein ganzes Wesen weckt Freimut und Vertrauen, und alle Besucher verlassen seine Zelle getröstet und lächelnd. Freilich ist er äußerst anspruchsvoll gegen sich selbst, aber den anderen gegenüber ist er viel nachgiebiger als das durch den Haß verunstaltete Bild der Feinde glauben machen will. Als der spätere Jesuit Doktor Loarte, der ein Schüler des seligen Johannes von Avila war, ihn kennenlernte, kleidete er seinen Eindruck von ihm in die Worte, Ignatius sei „ein Gefäß voller Balsam“. Man sollte sich durchaus darüber Gedanken machen, was diese Worte, von einem so gebildeten und gereiften Mann gesprochen, bedeuten wollen.

Ein weiterer Gefährte schreibt über ihn: „Im Gespräch ist er so sehr Herr seiner selbst und der Person, mit der er spricht, daß er sogar einen Polanco so beherrscht, wie ein reifer Mann ein Kind überragt.“ Der hl. Ignatius ist ein geistlicher Riese, der die anderen mit seinem Feuereifer entzünden und mitreißen kann, der jedem Sicherheit, Kraft und Begeisterung einzuflößen vermag. Camara skizziert uns meisterlich sein Vorgehen im Umgang mit jeder einzelnen Seele: „Und so gibt der Vater, wenn er mit jemandem umzugehen beginnt, ihm zuerst alles und spricht mit ihm in einer Weise, daß er, auch wenn er sehr unvollkommen wäre, keinen Anstoß nehmen könnte. Danach, wenn er ihn allmählich besser kennt und auch er selbst Kräfte erlangt, nimmt er ihm allmählich immer mehr, so daß er ihm, ohne daß er es als gewaltsam empfände, das ganze Spiel verändert.“

Ein begnadeter Seelenführer

Ignatius ist ein überaus begnadeter Seelenführer, der die Fähigkeit hat, das in der Seele zu sehen und zu verwirklichen, was Gott in ihr sieht und ihr schenken möchte. Im März 1555, als er Camara seine frühen Übertreibungen in Gebet und Bußen berichtete, fügte er die folgende Bemerkung hinzu: „Es schien ihm in den geistlichen Dingen keinen größeren Fehler zu geben, als die anderen nach sich selbst regieren zu wollen.“ Wie viel Leid und Unheil ist dadurch entstanden, daß ein Oberer oder Beichtvater einen anderen nach sich selbst regieren wollte! Dann wird nämlich aus dem Geführten, bzw. besser gesagt Verführten, kein Heiliger, sondern eine Karikatur.

Natürlich liebte der hl. Ignatius die Ordnung und die Erfüllung der Ordensregel über alles, aber zugleich war er auch großzügig, wenn eine Dispens vernünftig erschien. Immer ist er gegenüber den Kranken mütterlich besorgt. Er verlangt von allen eine radikale Selbstverleugnung, aber anschließend zeigt er sich bereit, die Neigungen eines jeden anzunehmen und zu verstärken. Darin ist wohl auch der letzte Grund für den Erfolg des Jesuitenordens zu sehen. Der hl. Ignatius verstand es meisterhaft, seine Leute bestmöglich einzusetzen, d.h. die gottgeschenkten Talente des einzelnen nutzbringend für die vom Orden übernommenen Aufgaben einzusetzen. Und das konnte er nur, weil er fähig war, in seinen Mitbrüdern das zu sehen, was sie wirklich waren und nicht das, was er sich wünschte. Sein Gefährte der ersten Stunde und einer der engsten Mitarbeiter des hl. Ignatius, Jerónimo Nadal, gibt uns die einfühlsamste Beschreibung des Umgangs des Heiligen von Mensch zu Mensch: „Wie jemand, der die Seele küßt und sich ihr mild und ruhig einschmiegt.“

Jeder, der sich schon ein wenig mit dem Jesuitenorden beschäftigt hat, wird sich womöglich verwundert fragen: Wie paßt denn diese Nachgiebigkeit mit seiner Unbeweglichkeit in Sachen des Gehorsams zusammen? Aber das ist eine Frage, die uns zu weit von unserem Vorhaben wegführen würde, zunächst einmal den hl. Ignatius kennen und verstehen zu lernen. Wir werden also über den jesuitischen Gehorsamsbegriff später sprechen.

Ein großer Mystiker

Was jetzt noch aussteht, ist eine Nuance des Wesens der Heiligkeit des Ignatius von Loyola, die zum Verständnis seines Lebensweges entscheidend ist. Der hl. Ignatius war ein großer Mystiker. Wie jeder echte Mystiker war er sich der großen Gefahren bewußt, die damit verbunden waren, der Gefahr vor allem, das eigene mystische Erleben zur letzten Norm des Glaubens zu erheben. Wie wir schon bei seiner Beurteilung der Erscheinung, durch welche seine Skrupel endgültig beseitigt wurden, gesehen haben, ist Ignatius überaus vorsichtig. Wenn er zusammenfassend schreibt: „In dieser Zeit behandelte Gott ihn auf die gleiche Weise, wie ein Schullehrer ein Kind behandelt, wenn er es unterrichtet“, so war das damals nicht ungefährlich, gab es doch viele Illuministen, die behaupteten, direkten Umgang mit Gott zu haben, und lehrte doch auch Luther, es bedürfe keiner Vermittlung durch die hl. Kirche, um zum Glauben und zu Gott zu gelangen.

Aber wie wir schon gesehen haben, kennt Ignatius diese Versuchung gar nicht, er nimmt selbstverständlich am kirchlichen Leben teil, beichtet und kommuniziert regelmäßig, betet den Rosenkranz und den Kreuzweg, macht Wallfahrten und gibt Votivgaben und unterwirft sich einfach wie ein Kind dem Urteil seines Beichtvaters. Erst wenn man dies alles bedenkt, beginnt man zu verstehen, was der hl. Ignatius mit seinem Bild von Gott als Lehrer und der Seele als dessen Schüler meint. Denn im Grunde bleibt das Bild gültig, wirkt doch Gott durch die hl. Kirche, ihre Lehre, ihre Sakramente, ihre Frömmigkeit und ihre Gesetze auf die Seele – und dieses Wirken ist kein Umweg. Deswegen kann aus einer echten mystischen Erfahrung niemals ein Widerspruch zur hl. Kirche und ihrem Glauben kommen. Gerade dafür ist der hl. Ignatius ein beeindruckendes Zeugnis. Alles, was er tut und schreibt, ist von einem tiefen Glauben und Vertrauen auf Gott und Seine hl. Kirche erfüllt.

Von seinen „Lebenserinnerungen“, denen wir die meisten der angeführten Zitate entnommen haben, sagt Alfred Feder: „Es sind zwar nur einige Lichtstrahlen, die aus seinem mystischen Innenleben zu uns dringen, aber sie genügen, um uns ahnen zu lassen, welch herrliche Gnadensonne in seiner Seele leuchtete.“ Dieses Urteil gilt in einem noch viel höheren Grad von seinem „Geistlichen Tagebuch“, dessen wenige uns erhaltenen Blätter „mit zu den schönsten und edelsten Seiten gehören, die christliche Mystiker niedergeschrieben haben“, wie derselbe Autor meint.

Zwei Visionen aus den Lebenserinnerungen des Heiligen

In seinen „Lebenserinnerungen“ berichtet Ignatius von zwei Visionen am Beginn seines neuen Weges in Manresa, die uns hier noch kurz interessieren sollen. Er erinnert sich an einen Ort der Erleuchtung, wenn er schreibt, er hatte die geheimnisvolle Schau, „als er auf den Altarstufen des Klosters betete ... bei der Wandlung“. Später, als Generaloberer der Jesuiten wird er die meisten seiner Erleuchtungen, die die Formung des Ordens betreffen, während der hl. Messe erhalten. Auch das ist letztlich ganz bezeichnend, fließen doch alle Gnaden aus dem hl. Meßopfer.

Lassen wir nun den Heiligen selbst berichten: „Diese Dinge, die er gesehen hat, bestätigten ihn damals. Und sie gaben ihm immer solche Bestätigung für den Glauben, daß er oft bei sich gedacht hat: Wenn es keine Schrift gäbe, die uns in diesen Dingen des Glaubens unterrichtete, würde er für sie zu sterben sich entschließen, nur um dessentwillen, was er gesehen hat.“ Die göttliche Gnade erleuchtet die Seele so sehr – Ignatius spricht in seinem Exerzitienbüchlein vom inneren Verkosten der Glaubenswahrheiten durch die Seele –, daß sein Glaube aufgrund dieser Erfahrung unerschütterlich wird, so unerschütterlich, daß er jederzeit bereit wäre, für sie zu sterben..., nur um dessentwillen, was er gesehen hat. Das ist wahrhaft lebendiger Glaube, der kein Jota und Strichlein am Gesetz des Glaubens ändert, sondern dieses vertieft und lebt!

Der hl. Ignatius hatte aufgrund seiner mystischen Schauungen ein Buch über die Dreifaltigkeit zu schreiben begonnen, das nach Ribadeneira bereits achtzig Seiten hatte, aber leider verloren gegangen ist. Wie groß und schmerzlich dieser Verlust ist, ahnt man, sobald man sein Geistliches Tagebuch durchblättert und bedenkt, was er etwa unter dem 27. Februar 1544 berichtet: „Beim Niederschreiben dieser Vorgänge wird mein Verstand entrückt, um die heiligste Dreifaltigkeit zu schauen, und dabei sehe ich, wenn auch nicht so deutlich wie vorhin, drei Personen ...“

Aber wir besitzen wenigstens einen Strahl dieses Lichtes in seinem Pilgerbericht: „Einmal ging er seiner Andacht entsprechend zu einer Kirche, die etwas mehr als eine Meile von Manresa lag, die, wie ich glaube, San Pablo heißt, und der Weg führt am Fluß entlang. Und während er so in seinen Andachten daherging, setzte er sich ein wenig, mit dem Gesicht zum Fluß, der in der Tiefe ging. Und als er so dasaß, begannen sich ihm die Augen des Verstandes zu öffnen. Und nicht, daß er irgendeine Vision gesehen hätte, sondern viele Dinge verstehend und erkennend, sowohl von geistlichen Dingen wie von Dingen des Glaubens und der Wissenschaft. Und dies mit einer so großen Erleuchtung, daß ihm alle Dinge neu erschienen. Und es lassen sich nicht die Einzelheiten erläutern, die er damals verstand, sondern er empfing eine große Klarheit im Verstand, so daß ihm im ganzen Ablauf seines Lebens bis über 62 Jahre hinaus scheint, wenn er zusammennehme, wie viele Hilfen er von Gott erhalten hat und wieviele Sachen er erkannt hat, selbst wenn er sie alle in eins zusammenbringe, habe er nicht soviel erlangt wie mit jenem Mal allein. Und das war in so großem Maße, im Verstand erleuchtet zu bleiben, daß ihm schien, als sei er ein anderer Mensch und habe einen anderen Intellekt, als er zuvor hatte.“

Für uns Nicht-Mystiker ist das Beschriebene zumindest eine ferne und gewissermaßen auch immer eine fremde Welt. Unser hl. Glaube hilft uns, diese Welt einigermaßen verstehen zu können – von der Ferne verstehen zu können, muß man ergänzen. Aufgrund seiner Schau, erscheinen dem hl. Ignatius alle Dinge des Glaubens neu. Zudem kommt es ihm vor, als sei er ein anderer Mensch mit einem anderen Intellekt geworden. Laynez erklärt: „Er begann alle Dinge mit anderen Augen zu betrachten.“ Und Polanco ergänzt: „Mit anderen Augen als zuerst.“ Da möchte man doch recht gerne mitsehen und mitverstehen. Wobei dann auch wieder eines ganz besonders zu beachten und zu bestaunen ist: Dieses ganz Neue ist nichts anderes als die uralte Tradition der hl. Kirche, die immer gleichbleibende göttliche Wahrheit, unser heiliger katholischer Glaube. Nochmals sei es betont: Das ist „lebendiger Glaube“!

Zum Schluß noch ein Zeugnis dafür, wie sehr Ignatius die mystischen Gnaden zu schätzen wußte. In einem Brief an Franz Borja schreibt er: „Statt ein wenig Blut durch Kasteiungen zu vergießen, ist es viel besser, unseren Herrn selbst zu suchen, ich will sagen Seine heiligen Gaben, wie die Vermehrung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, geistige Ruhe und Freude, Tränen, starke Tröstung, Erhebung des Geistes, göttliche Eingebungen und Erleuchtungen sowie all die anderen geistlichen Empfindungen und Genüsse. Ich will nicht sagen, daß wir sie einzig suchen müssen, weil sie uns wohlgefallen oder erfreuen, sondern weil wir an uns sehen, daß ohne sie alle unsere Gedanken, Worte und Werke unrein, kalt und verwirrt sind, damit diese zum größeren Dienste Gottes warm, klar und recht werden“ (Rom, 20. September 1548).