Nun leben schon seit fast 200 Jahren mitten unter den Katholiken sog. Modernisten, also Menschen, die sich zwar noch Katholiken nennen, es aber nicht mehr sind. Von außen betrachtet sieht man es den Modernisten nicht an, daß sie anders sind als die Katholiken, denn Modernisten können durchaus fromm sein und sehr bemüht, gegen den Nächsten gut zu sein, sie können sich für ihren Glauben engagieren und besonders eifrig für alle Christen und den Frieden in der Welt beten. Ein oberflächlicher Blick reicht also in keiner Weise aus, einen Modernisten als solchen zu enttarnen und einzusehen, daß es keine Katholiken mehr sind.
Tritt ein Modernist heutzutage sogar in der Form des Postmodernismus auf, wird die Unterscheidung noch schwerer, denn dieser liebt nicht nur die modernen Formen der Frömmigkeit, er geht durchaus auch in eine „hl. Messe in der außerordentlichen Form“ oder pflegt andere nostalgische Formen religiösen Lebens, was ihn jedoch wiederum nicht daran hindert, bei irgendwelchen charismatischen Spektakeln genauso begeistert mitzumachen. Von den meisten Konservativen oder Traditionalisten der Menschenmachwerkskirche wird dieses Phänomen nicht einmal wahrgenommen. Sie betrachten sich immer noch als eine starke Bastion gegen den Modernismus, obwohl genau genommen keiner von ihnen weiß, was der Modernismus seinem Wesen nach ist und wie viele Modernisten inzwischen in ihren eigenen Reihen sich befinden.
Letztlich ist es die perfektionierte Kunst der Täuschung, die den Modernismus so gefährlich macht. Frühere Irrlehrer haben sich ausdrücklich in Gegensatz zur Lehre der römisch-katholischen Kirche gesetzt und sich sodann auch als Organisation gegen diese formiert. Sie hielten sich für die wahren Christen, die wahre Tradition, für diejenigen, die das wahre Evangelium verkünden. Der Widerspruch zum katholischen Glauben war jedem offenbar. Ein Anhänger Luthers war selbstverständlich antikatholisch, er lebte vom Protest gegen die römische Kirche und das Papsttum.
Ein Modernist ist zwar auch antikatholisch, antichristlich, ja im Grunde vollkommen glaubenslos, wenn man den Glauben im katholischen Sinne als übernatürliche Tugend versteht, aber dennoch fühlt er sich als besserer Katholik und ist überzeugt, in der katholischen Kirche bleiben zu müssen, um diese zur ihren eigentlichen Wurzeln zurückzuführen. Für einen Modernisten ist die Kirchengeschichte eine Geschichte ständigen Abfalls vom ursprünglichen Ideal. Die Päpste haben all die Jahrhunderte Christus und den Glauben verraten, also muß man sie dazu bringen, zu den urchristlichen Wurzeln zurückzukehren.
Der Modernist ist so gefährlich, weil er sich nicht mehr ausdrücklich in Gegensatz zur kirchlichen Hierarchie setzt, sondern diese heuchlerisch anerkennt, indem er so tut, als stünde diese im Grunde hinter ihm. Wenn sie nur die Sache recht verstehen würde, so bildet er sich ein, dann würde sie genau so urteilen wie er. Man muß also nur warten, bis sich die modernistische Lehre (eigentlich Irrlehre) durchgesetzt hat, dann zeigt sich allen diese Übereinstimmung – was sich seit dem sog. Konzil und dem Abfall fast der ganzen Hierarchie auch bewahrheitet.
Die Wiederentdeckung des religiösen Gefühls
Ein Modernist ist seinem Wesen nach unbelehrbar, weil er felsenfest davon überzeugt ist, den Stein der Weisen gefunden zu haben, weshalb er sich einbildet, alle belehren zu können, weil nämlich er allein das wahre Verständnis des Evangeliums besitzt. All diejenigen, die das nicht oder noch nicht einsehen wollen, sind nicht auf der Höhe der modernen Wissenschaft, sie sind hinter der modernen Entwicklung zurückgeblieben und in erstarrten Traditionen gefangen.
Der Modernismus verdankt seine Entstehung einer vermeintlichen Entdeckung, bzw. Wiederentdeckung: Der Entdeckung des religiösen Gefühls. Dabei tun sie so, als hätte es in der hl. Kirche nicht seit ihrem ersten Anfängen eine mystische Theologie gegeben, durch welche der übernatürliche Glaube immer schon mit dem Gnadenleben verbunden und gezeigt wurde, wie notwendig und oft schwierig gerade bei den mystischen Erfahrungen die rechte Unterscheidung der Geister ist.
Der modernistische „Prozess vitaler Immanenz“
Die Modernisten sprechen gerne von einer Rationalisierung des Glaubens durch die Verbindung mit der griechischen Philosophie, womit sie eine Überbetonung der Vernunft gegenüber dem religiösen Gefühl meinen. Wer sich auf deren sophistischen Einwände einläßt, der verliert schnell jeglichen übernatürlichen Grund seines Glaubens aus den Augen und vertauscht seinen übernatürlichen göttlichen Glauben mit einem Menschenmachwerksglauben. In seiner Enzyklika „Pascendi Dominici gregis“ gegen die Modernisten hat der hl. Pius X. ausdrücklich auf diese Gefahr hingewiesen:
„Das religiöse Gefühl also, das durch vitale Immanenz aus dem verborgenen Quell des Unterbewusstseins hervorbricht, ist der Keim jeglicher Religion und zugleich der Grund von allem, was in irgendeiner Religion war oder sein wird. Anfänglich roh und fast ungestaltet, ist dieses Gefühl allmählich unter dem Einfluss jenes geheimnisvollen Prinzips, von dem es herstammt, gewachsen zugleich mit dem Fortschritt des menschlichen Lebens, von dem es ja, wie gesagt, eine Art Form ist. So haben wir also hier den Ursprung jeder Religion, mag sie auch übernatürlich sein; denn die Religionen sind alle nur Entfaltungen des religiösen Gefühls. Und man glaube nicht, die katholische Religion sei ausgenommen; sie steht vielmehr den übrigen vollkommen gleich; ist sie doch im Bewusstsein Christi, des auserlesenen Mannes, dem niemand gleich war noch sein wird, durch den Prozess vitaler Immanenz, und nicht anders, entstanden. – Wahrlich, man staunt über die Kühnheit solcher Behauptung, über solchen Frevel am Heiligen! Aber, ehrwürdige Brüder, das ist nicht nur verwegenes Geschwätz der Ungläubigen, nein Katholiken, ja mehrere Priester sogar, haben das öffentlich gelehrt, sie brüsten sich mit solchem Wahnsinn die Kirche zu reformieren!“
Wenn der Glaube durch vitale Immanenz aus dem Unterbewußtsein hervorbricht, so ist er einerseits ganz und gar natürlich, nämlich eine Gefühlsregung oder –empfindung, und anderseits inhaltlich nicht mehr zu bestimmen, also nicht mehr von einem falschen Glauben zu unterscheiden. Jeder hat sodann letztlich berechtigterweise seinen eigenen Glauben. Für den Modernisten ist jeweils das „wahr“, was er fühlt und denkt und meint und empfindet und erlebt, – „denn die Religionen sind alle nur Entfaltungen des religiösen Gefühls“.
Im Grunde gilt das auch schon für den Glaubensbegriff des Protestantismus. Der sog. „Fiduzialglaube“ (Vertrauensglaube) ist nichts anderes als das Gefühl, daß ich von Christus gerettet bin. Ob das nun wirklich, also objektiv richtig ist oder nicht, das kann keiner mehr nachprüfen. Ein Protestant kann noch so sehr in der Sünde leben – und sich dennoch einbilden, er sei gerettet, wofür Luther selbst das beste und zugleich abschreckendste Beispiel ist. Wobei die Protestanten aber noch meinten, diesen im Grunde vollkommen blinden Gefühlsglauben an das Wort Gottes binden zu müssen und zu können, was aber ebenfalls nicht mehr als ein Gefühl ist und sein kann, denn jeder soll die Heilige Schrift durch Erleuchtung des Heiligen Geistes recht verstehen können.
Aber wie soll dieses „rechte Verstehen“ wiederum überprüfbar sein? Wenn zwischen der Schriftinterpretation von Protestanten Widersprüche auftreten – und wie hat schon Martin Luther gegen all jene gewettert, gepoltert und unflätig geschimpft, die seinem Evangelium, also seiner Schrifterklärung widersprochen haben – wer soll dann Schiedsrichter sein? Die fast 3000 offiziellen protestantischen Sekten auf der Welt beweisen, daß es einen solchen Schiedsrichter nicht gibt und auch nach deren Irrlehre nicht geben kann.
Wenn man einmal diesen irrigen Pfad des Modernismus betreten hat, wird alles von dieser grundlegenden Lehre her geformt, bzw. verformt. Pius X. mußte schon damals voller Erstaunen feststellen: „Und man glaube nicht, die katholische Religion sei ausgenommen; sie steht vielmehr den übrigen vollkommen gleich; ist sie doch im Bewusstsein Christi, des auserlesenen Mannes, dem niemand gleich war noch sein wird, durch den Prozess vitaler Immanenz, und nicht anders, entstanden. – Wahrlich, man staunt über die Kühnheit solcher Behauptung, über solchen Frevel am Heiligen!“
Nach den Modernisten gilt selbst für den Gottmenschen Jesus Christus diese Grunderfahrung allen religiösen Wissens. Auch Sein Glaube war ein Prozess vitaler Immanenz. Mit anderen Worten: Sein Gottessohnbewußtsein, wie es die Modernisten nennen, floß allein aus seiner Gebetserfahrung. Dementsprechend erklärt einmal Joseph Ratzinger: „Das Grundwort des Dogmas ‚wesensgleicher Sohn‘, in dem sich das ganze Zeugnis der alten Konzilien zusammenzufassen läßt, überträgt einfach das Faktum des Betens Jesu in philosophisch-theologische Fachsprache“ (Schreiben der „Kongregation für die Glaubenslehre“ über einige Aspekte der Meditation 1989, Deutsche Tagespost vom 20. April 1989).
Jesus Christus wird also „Sohn Gottes“ durch seine Gebetserfahrung – und auch wir werden „Gott“ durch unsere Gebetserfahrung, die sich an derjenigen Jesu anlehnt: „Wir werden Gott in der Teilhabe an der Gebärde des Sohnes. Wir werden Gott, indem wir ‚Kind‘, indem wir ‚Sohn‘ werden; das heißt, wir werden es im Hineingehen in Jesu Reden mit dem Vater und im Hineintreten dieses unseres Gesprächs mit dem Vater in das Fleisch unseres täglichen Lebens: ‚Einen Leib hast du mir bereitet…‘“ (Joseph Ratzinger, Der Gott Jesus Christi. Betrachtungen über den Dreieinigen Gott, München 1976, S. 55).
Diese wenigen Worte des wohl zur Zeit bekanntesten Modernisten zeigen uns, der Modernismus geht über alle früheren Irrlehren hinaus, wie ebenfalls schon der hl. Pius X. feststellt: „Hier handelt es sich nicht mehr um den alten Irrtum, durch den man der menschlichen Natur gleichsam das Recht einer übernatürlichen Ordnung zuschrieb. Darüber ist man weit hinausgegangen: man gibt unserer allerheiligsten Religion in dem Menschen Christus und in uns einen durchaus natürlichen Ursprung aus sich selbst. Das ist aber das beste Mittel, jede übernatürliche Ordnung abzuschaffen. Daher wurde vom vatikanischen Konzil mit Recht bestimmt: ‚Wenn einer sagt, der Mensch könne zu einer Kenntnis und Vollkommenheit, die die Natur übersteigt, nicht von Gott erhoben werden, sondern könne und müsse zum Besitz des Wahren und Guten von sich selbst aus in wachsendem Fortschritt gelangen, der sei im Banne!‘“
Das modernistische religiöse Glaubensgefühl
Sobald man die modernistische Art des Glaubens übernommen hat – wissentlich oder unwissentlich, das ist gleichgültig – sind letztlich alle Glaubensaussagen dem eigenen religiösen Gefühl unterworfen. Der Glaube wird nicht mehr von der Sache her beurteilt – also von der Glaubenslehre her – sondern vom eigenen Erleben. Diese Tatsache wird jedoch nicht bei allen Glaubenslehren gleich greifbar. Solange etwa eine katholische Glaubenslehre dem eigenen Geschmack eines Modernisten entspricht, fällt es gar nicht auf, daß er diese nicht aufgrund der Autorität Gottes und Seiner Kirche glaubt, sondern aufgrund der eigenen Glaubenserfahrung, dem eigenen Glaubensempfinden, dem eigenem religiösen Gefühl.
Sobald jedoch eine Glaubenslehre dem eigenen Geschmack nicht entspricht, wird der Widerspruch greifbar. Doch hat der Modernist sodann immer noch die Möglichkeit, sich selbst zu täuschen, indem er die konkrete Glaubensverpflichtung durch die Kirche herunterspielt und relativiert, ja letztlich negiert, aber ein gewisser Widerspruch bleibt dennoch zurück.
Die letzten Dinge
Eine Lehre, die dem Geschmack der Menschen sehr entgegensteht, ist die Lehre vom Fegfeuer und ganz besonders von der Hölle. Der Gedanke einer ewigen Hölle, also eines Zustandes ewiger Strafverfallenheit mit nie endenden Schmerzen fällt jedem Menschen schwer. Deswegen haben die Modernisten auch schon sehr früh die Existenz der Hölle geleugnet – oder wenigstens geleugnet, daß sich jemand in der Hölle befindet. Wenn es eine Hölle gibt, dann ist sie leer.
Der Gedanke einer ewigen Hölle scheint ihnen mit dem Gedanken eines Gottes, der die Liebe ist, nicht vereinbar zu sein. Die bekanntesten neueren Vertreter dieser Irrlehre sind sicherlich Hans Urs von Balthasar und in dessen geistiger Nachfolge Karol Wojtyla, alias Johannes Paul II. In seiner „Theodramatik“ empfindet es Balthasar nicht nur als für den Menschen allzu dramatisch, wenn dieser wirklich sein Heil verscherzen könnte, sondern auch für Gott. Nach ihm verstößt das „Verstoßen-müssen“ des Sünders durch Gott gegen Gottes Liebe und er bezeichnet dieses „Verstoßen-müssen“ als eine „Niederlage Gottes, der in seinem eigenen Heilswerk scheitert“. Dazu kann man mit dem hl. Pius X. nur bemerken: „Wahrlich, man staunt über die Kühnheit solcher Behauptung, über solchen Frevel am Heiligen!“
Das Ende der menschlichen Willensfreiheit
Solch mahnende Worte fechten jedoch einen Meister in der modernistischen Theologie wie Hans Urs von Balthasar nicht an, er meint vielmehr allen Ernstes: „Die Frage ist, ob Gott im Letzten bei seinem Heilsplan von der Wahl des Menschen abhängig ist, abhängig sein will oder ob seine nur das Heil wollende Freiheit, die absolut ist, der menschlichen, geschöpflichen und deshalb relativen, nicht überlegen bleibt” (aus: Johannes Rothkranz, Die Kardinalfehler des Hans Urs von Balthasar, Verlag Pro Fide Catholica 1988, S. 346).
Wenn es so wäre, wie Balthasar hier vermutet, gäbe es natürlich keine wahre Freiheit des Menschen mehr, denn das ist damit implizit ausgesagt. Nach Balthasar muß Gott alle Menschen zum Heil führen – ob sie wollen oder nicht, wobei er damit zugleich suggeriert, daß letztlich doch alle gerettet werden wollen – und die Hölle muß leer sein, wenn Gott sich nicht sagen lassen wolle, er sei mit Seinem Heilswerk gescheitert. Die diesem absurden Konstrukt entgegenstehende kirchliche Lehre umschreibt Balthasar folgendermaßen: „Dort also, wo das Erbarmen Gottes (das hier offenbar als endlich angesetzt wird) überstrapaziert wird, bleibt der ‚reinen‘ Gerechtigkeit‘ zu handeln übrig“ (Ebd. S. 351). Wenn er zu seinem Ergebnis – also zur Allerlösungslehre – kommen will, dann nur, wenn „eine solche Endlichsetzung göttlicher Eigenschaften nicht angeht“.
Balthasar muß also aus der Barmherzigkeit Gottes eine unendliche Barmherzigkeit machen, denn wie sollte jemand einer solchermaßen unendlichen Barmherzigkeit noch widerstehen können? Wäre nicht jeder Verdammte eine lebendige Anklage gegen diese unendliche Barmherzigkeit Gottes? Ist man nicht geneigt, die Frage gefühlsmäßig mit „ja“ zu beantworten! Wie kann denn ein unendlich barmherziger Gott so grausam sein, einen Menschen ewig leiden zu lassen!?
Um diese Frage von der Ebene des Gefühls auf die Ebene des von der Gnade erleuchteten Glaubens zu heben, lassen wir ganz kurz den hl. Thomas von Aquin zu Wort kommen: „Barmherzigkeit ist nur lobenswert, wenn sie mit der Vernunft geübt wird, die ja die Regel der Gerechtigkeit ist, oder nach der Ordnung der Weisheit im Fall Gottes“ (In IV d 46 q 2 a 2b co). Hierzu erklärt Johannes Rothkranz: „Pohle-Gierens (Lehrbuch der Dogmatik) erblicken die ‚Wurzel‘ von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes gleichermaßen ‚in der von Liebe getragenen Heiligkeit‘. Die im Anschluß daran gegebene nähere Erläuterung macht aber klar, daß unmittelbare Wurzel nur die göttliche Weisheit sein kann: Als ’Eiferer für seine Ehre’ (Ex 20,5; 34,14) darf der Allheilige weder die Barmherzigkeit ausarten lassen in unzeitige Nachsicht oder unmännliche Schwäche noch die Gerechtigkeit in übergroße Härte oder rücksichtslose Grausamkeit. Auch daraus geht hervor, daß beides von der göttlichen Weisheit abhängt“ (Ebd. S. 352f).
Die unendliche Barmherzigkeit ist somit eine bloße Fiktion, ein Wunschgebilde der Modernisten, um die Hölle leer zu bekommen. Dabei verkehrt ihre unendliche Barmherzigkeit die göttliche Liebe zu einer unwürdigen Affenliebe, wie man es nennt. Die wahre Liebe fordert notwendigerweise einen heiligen Ernst, wie der Dogmatiker J. B. Heinrich zu bedenken gibt: „So unendlich die Liebe des heiligsten Willens zu dem unendlichen Gute, zum heiligsten Willen Gottes ist, so unendlich liebt dieser Wille auch die sittliche Ordnung, so notwendig muß er diese Ordnung den Geschöpfen als Norm ihres Handelns auferlegen. Der Sünder frevelt also gegen das heiligste Wesen Gottes selbst, widersetzt sich dem absoluten Willen seines Schöpfers und höchsten Herrn. Eine solche Erhebung muß also den stärksten Haß des Urgrundes und Urhebers der sittlichen Ordnung auf sich herabbeschwören“ (J. B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Verlag der Aschendorffschen Buchhandlung, Münster i. W. 1904, Zehnter Band, S. 471).
Die Unendlichkeit der jenseitigen Strafen
Wie gesagt spielen die Modernisten gerne mit dem Gefühl des Menschen, was bezüglich der Frage der ewigen Verdammnis ganz besonders leicht möglich ist. Dem menschlichen Gefühl erscheint eine ewige Strafe für eine (im Grunde dem menschlichen Gefühl immer klein erscheinende) Sünde doch etwas hart oder auch übertrieben. Wenn man überhaupt noch an eine göttliche Strafe glaubt, so doch immer nur an eine zeitlich begrenzte, eine, welche irgendwann wieder aufhört, wie es schon Origenes mit seiner Lehre von der allgemeinen Apokatastasis, nach welcher die Strafen der verdammten Engel und Menschen ein Ende nehmen, formuliert worden war.
Diese Lehre wurde von der Kirche feierlich verurteilt, weil die Ewigkeit der Hölle in der Heiligen Schrift vielfach ausdrücklich und förmlich ausgesprochen und aufs stärkste betont wird. Dementsprechend stellt Leonhard Atzberger für die nachapostolischen Väter fest: „Die Ewigkeit der jenseitigen Strafen ist so klar und so oft von den nachapostolischen Zeiten hervorgehoben, daß an irgend ein Ende derselben nicht gedacht werden kann. Weder durch Vernichtung noch durch Bekehrung wird die Strafe der Sünder je ein Ende nehmen“ (Geschichte der christlichen Eschatologie innerhalb der vornicänischen Zeit. Mit teilweiser Einbeziehung der Lehre vom christlichen Heil überhaupt, Freiburg i. Br. 1896).
Das dialektische Spiel der Modernisten
Es gehört bekanntlich weiter zur Unart der Modernisten, daß sie meist nicht offen zu ihrer vorgetragenen Lehre stehen, sondern diese bewußt unklar formulieren. Wenigstens war das zu der Zeit noch üblich, als man meinte, sich noch vor Rom in Acht nehmen zu müssen. Und selbst als die Modernisten Rom eingenommen hatten, gab es immer noch das dialektische Spiel zwischen konservativen und progressiven Kräften, was weiterhin zu einer gewissen Vorsicht führte. Es sollte nicht allzu sehr auffallen, daß man im Grunde einer Meinung war. Seit Bergoglio in Rom das Sagen hat, hat sich das erheblich geändert.
Der Fall des Judas Iskariot
Wenn ein Modernist nicht zu offen seinen Unglauben zeigen möchte, dann weicht er aus. Von der Frage der Lehre auf die Frage der Praxis. Wenn es konkret wird, dann stellt sich die Frage, können wir überhaupt von jemandem sicher sagen, er sei verdammt worden? Die Kirche hat zwar Menschen heilig gesprochen, aber sie hat von niemandem definitiv erklärt, er sei verdammt. Im Zusammenhang damit kommt sodann die Sprache meist auf Judas Iskariot. Die Modernisten sind natürlich dafür, daß selbst Judas Iskariot nicht verdammt, sondern gerettet worden ist.
Wie weit diese Ansicht in der Menschenmachwerkskirche um sich greift, zeigt ein Leserbrief einen Priesters aus der Petrusbruderschaft, P. Dr. Martin Lugmayr, in der Zeitung „Die Tagespost“ vom 26. April 2018. Der Priester der Petrusbruderschaft überschreibt seine Überlegungen mit dem Satz: „Nicht zu viel wissen wollen“. Sodann liest man, wie er das meint:
Nach Heinz-Lothar Barth wissen wir, dass Judas verdammt ist, denn: „Unverzeihlich aber war, dass der Verräter den Glauben an Gottes Güte und Barmherzigkeit aufgegeben und sich selbst getötet hatte“ (Leserbrief vom 19. April 2018). Zwei Argumente also: Aufgabe des Glaubens an die Barmherzigkeit Gottes und Selbsttötung. Beginnen wir mit letzterem: Woher weiß Barth, dass Judas diese mit vollem Wissen und Bewusstsein vorgenommen hat? Und selbst wenn dem so gewesen ist, woher weiß Barth, ob Judas bei der Tat selbst nicht doch noch bereut hat? Bekannt ist aus dem Leben des hl. Pfarrers von Ars ein Gespräch mit einer Frau, die voller Sorge um das Schicksal ihres Mannes war, der sich selbst durch den Sprung von einer Brücke getötet hatte. Durch innere Eingebung erleuchtet, antwortete der Pfarrer: „Noch im Herunterfallen hat er bereut.“
Nun zu Judas: es gibt kein einziges Wort Christi über das ewige Schicksal des Judas. Alle warnenden Worte an oder über ihn sind vor dem Verrat gesprochen (auch Joh 17,12). Kein einziges nach dem Tod des Judas! Und: hätte der Herr nach seiner Auferstehung etwas über die Verdammnis des Judas gesagt, warum wissen die Apostel nichts davon, als sie zur Wahl eines Nachfolgers des Judas schreiten (vgl. Apg 1,16ff).
Wir tun gut daran, uns an die Worte Papst Benedikt XVI. zu halten, die er in der Generalaudienz vom 18. Oktober 2006 über Judas sagte: „Noch mehr verdichtet sich das Geheimnis seines ewigen Schicksals durch das Wissen, dass Judas seine Tat reute. ,Er brachte den Hohenpriestern und den Ältesten die dreißig Silberstücke zurück und sagte: Ich habe gesündigt, ich habe euch einen unschuldigen Menschen ausgeliefert’ (Mt 27,3-4). Obwohl er dann wegging, um sich zu erhängen (vgl. Mt 27,5), steht es uns nicht zu, seine Tat ermessen zu wollen und uns damit an die Stelle des unendlich barmherzigen und gerechten Gottes zu setzen.“
Offensichtlich ist also P. Lugmayr mit Joseph Ratzinger der Ansicht, man könne nicht sicher wissen, ob Judas verdammt sei oder nicht, wobei die angeführte unendliche Barmherzigkeit, wie wir schon gesehen haben, auf die Frage letztlich auf jedem Fall eine negative Antwort nahelegt, wenn nicht sogar befiehlt: Judas ist auf jeden Fall noch gerettet worden!
Sehen wir etwas genauer auf die von Lugmayr genannten Gründe. Das Beispiel des hl. Pfr. von Ars zeigt eines: Ohne übernatürliche Offenbarung kann ich von niemanden mit vollkommener Sicherheit behaupten, er sei verdammt. Dennoch gibt es Beispiele von Menschen, die dieses Urteil nahelegen, wie etwa bei Arius, Luther, Heinrich VIII. u.a. Die Überzeugung unter den Theologen und dem katholischen Volk festigte sich, diese seien von Gott aufgrund ihrer schwerwiegenden Irrtümer und öffentlichen Sünden verdammt worden. Wie ist es aber bei Judas Iskariot? Die Ausführungen Lugmayrs hierzu offenbaren eine schon peinlich zu nennende Unkenntnis der Heiligen Schrift und derer katholischer Auslegung.
In seinem Buch „Die Kardinalfehler des Hans Urs von Balthasar“ geht Johannes Rothkranz unserer Frage nach und legt dazu dar: „Daß Judas tatsächlich auf ewig verdammt ist, könnte die Kirche jederzeit als Dogma definieren. Das wäre kein Verdammt-Sprechen sondern nur die unfehlbare Bestätigung einer Glaubenswahrheit, die im Evangelium klar und eindeutig wie weniges andere ausgesprochen ist. In seinem Abschiedsgebet sagt Jesus von seinen zwölf Aposteln: ‚Keiner von ihnen ging verloren (apöleto), außer dem Sohn des Verderbens (ho hyiös tes apolefas)‘ (Joh 17,12). Das griechische Wort ‚apöllymai‘ steht im Neuen Testament aber regelmäßig zur Bezeichnung des ewigen Untergangs (vgl. z.B. 1 Kor 1,18: ‚denen die verlorengehen - tois ... apollymenois‘). Der Ausdruck ‚Sohn des Verderbens‘ wird von Paulus im 2. Thessalonicherbrief nochmals gebraucht, diesmal für den Antichristen (2,3-10), für jenen also, der gemäß Offb 20,10 in dem ‚See von brennendem Schwefel‘ ist und ‚Tag und Nacht‘ gequält wird ‚in alle Ewigkeit‘! Damit sind aber alle vernünftigen Zweifel an der Bedeutung des Titels ‚Sohn des Verderbens‘ und des Verbums ‚verlorengehen‘ in Joh 17,12 ausgeräumt“ (Johannes Rothkranz, Die Kardinalfehler des Hans Urs von Balthasar, Verlag Pro Fide Catholica 1988, S. 409).
Und trotz dieses erdrückenden Zeugnisses der Heiligen Schrift traut sich Lugmayr zu behaupten: „…es gibt kein einziges Wort Christi über das ewige Schicksal des Judas“! Dabei ist das noch bei weitem nicht alles. Johannes Rothkranz fährt in seiner Beweisführung fort: „Eine womöglich noch klarere Aussage über das ewige Schicksal des Judas hat der Herr indessen gemacht, als er (Mk 14,21; vgl. Mt 20,24) am Abend vor seinem Leiden dem Verräter eine letzte unmißverständliche Warnung zukommen lassen wollte, ohne ihn aber bloßzustellen: ‚Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird. Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre‘“ (Ebd.).
In seiner Dogmatik verwendet J.B. Heinrich gerade diesen Satz, um die Ewigkeit der Hölle zu beweisen und erklärt dementsprechend: „Wenn Judas einmal aus der Hölle befreit zur ewigen Glückseligkeit, wenn auch erst nach Millionen von Jahren, gelangen würde, wäre es unendlich besser für ihn, geboren zu sein und auch gesündigt zu haben, als nie ins Dasein gekommen zu sein. Der Untergang, das Verderben, der Ausschluß vom Heile, der zweite Tod bedeuten einen definitiven Heilsverlust, wie dies schon der Wortlaut verlangt und wir früher eigens nachgewiesen haben“ (J. B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Verlag der Aschendorffschen Buchhandlung, Münster i. W. 1904, Zehnter Band, S. 484).
Auch der letzte Hinweis Lugmayrs ist äußerst verwunderlich: „Und: hätte der Herr nach seiner Auferstehung etwas über die Verdammnis des Judas gesagt, warum wissen die Apostel nichts davon, als sie zur Wahl eines Nachfolgers des Judas schreiten.“ Denn in Apostelgeschichte Kap. 1, Vers 23-25 liest man: „Sie stellten zwei auf: Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias. Dann beteten sie: ‚Du, o Herr, kennst die Herzen aller. Zeig an, wen von diesen beiden du erwählt hast, diesen Dienst und das Apostelamt zu übernehmen, das Judas treulos aufgegeben hat, um an den ihm gebührenden Ort zu gehen.‘“ Bei Alioli wird dazu bemerkt: „An einen seiner würdigen Ort, die Hölle. Eine andere Stelle hatte der Heiland ihm angewiesen, einen andere sich Judas selbst gewählt.“
Die Apostel haben also durchaus gewußt, was mit Judas geschehen war, denn indem „er kopfüber stürzte, barst er mitten entzwei, und alle seine Eingeweide traten heraus“ (Apg 1,18), was unschwer für die Zeitgenossen als Gottesgericht zu deuten war. Hat Lugmayr, der selbst auf die Stelle in der Apostelgeschichte verweist, sie womöglich gar nicht aufmerksam gelesen, geschweige denn einen katholischen Kommentar zu Rate gezogen?
Die ultima ratio: Das Urteil Joseph Ratzingers, alias Benedikt XVI.
So bleibt dem Petrusbruder letztlich in seiner Argumentation nur noch sein Verweis auf Joseph Ratzingers Kommentar. So wie die Piusbrüder als letztes Argument immer ihren Meister Marcel Lefebvre anführen, führen die Petrusbrüder ihren Quasi-Gründungsvater Joseph Ratzinger an. Wie gesagt, taucht auch bei ihm wie bei seinem Vorbild Hans Urs von Balthasar als letztes Argument die unendliche Barmherzigkeit auf – womit beide sicherlich ganz im Einklang stehen mit Bergoglios alias Franziskus‘ „Liebesfreud'“! So schließt sich dann der Kreis doch wieder und in trauter Einheit sind die Häresiarchen beisammen – zu denen sich offensichtlich auch gerne ein P. Dr. Martin Lugmayr aus der Petrusbruderschaft gesellt.
Es zeigt sich somit jedem Katholiken, der noch Augen hat zu sehen und Ohren, um zu hören, in welch gefährlichen Zeiten er lebt. Es reicht durchaus nicht, sich einfach nur ein konservatives Gewand umzuhängen, um den katholischen Glauben bewahren zu können, man muß sich ganz konsequent vor jeglichem Einfluß durch die Menschenmachwerkskirche und ihren modernistischen oder postmodernistischen Irrlehren in Acht nehmen. Vielleicht kann Dir die Frage, die uns beschäftigte weiterhelfen: Was meinst Du? Ist Judas Iskariot in der Hölle oder nicht?
Eine zusammenfassende Antwort hierzu entnehmen wir nochmals dem Buch von Johannes Rothkranz: „Was hat unsere Untersuchung ergeben? Balthasars Argumentationsversuch mit der ‚Unendlichkeit‘ der göttlichen Barmherzigkeit geht infolge gänzlichen Mißverstehens dieses Begriffs völlig an der Sache vorbei. Die Hypothese von der Rettung aller wird gerade durch die richtig verstandene Einheit von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes als unhaltbar erwiesen, denn wenn Gott jedem das ihm Zukommende geben will, muß er den verstockten Sündern ihre Strafe zuweisen. ‚Barmherzig‘ im von Balthasar unterstellten Sinn kann Gott nur jenen Geschöpfen gegenüber sein, die sich seiner Liebe und damit der ewigen Seligkeit nicht völlig unwürdig gemacht haben. ‚Gerecht‘ in Balthasarschen Sinn muß Gott an denen handeln, die sich seiner Liebe restlos verschlossen haben. Beides aber, Lohn wie Strafe wird nur an dem einen einzigen Maßstab der unendlichen göttlichen Weisheit, Heiligkeit und Liebe gemessen, die in Gott unabtrennbar eins ist“ (Johannes Rothkranz, Die Kardinalfehler des Hans Urs von Balthasar, Verlag Pro Fide Catholica 1988, S. 358f).