1. Der heilige Cölestin V. bestieg den Thron Petri als Nachfolger von Nikolaus IV. „Nach dem Tod des Letzteren blieb der päpstliche Stuhl zwei Jahre und drei Monate verwaist, weil das heilige Kollegium sich über die Neuwahl nicht einigen konnte“, schreibt Wetzer und Welte‘s Kirchenlexikon. „Endlich lenkte der Kardinaldekan Latino Malabranca die Aufmerksamkeit der Wähler auf den heiligmäßigen Petrus von Morone, den Stifter des Cölestinerordens“ (Bd. 3, Sp. 581).
2. Petrus von Morone „war 1215 in dem neapolitanischen Städtchen Isernia als der Sohn armer, gottesfürchtiger Eltern geboren und erwirkte sich nach dem Tode seines Vaters von seiner Mutter die Erlaubnis zum Studieren. Sobald aber Peter seine Studien vollendet hatte, begab er sich, schon nach zwei Tagen von seinen Gefährten verlassen, allein in eine Einöde und übte daselbst drei Jahre lang außerordentlich strenge Askese. Der Ruf seiner Heiligkeit sammelte bald heilsbegierige Seelen um ihn, und diese erbauten sich so sehr an seinen feurigen Reden, daß er auf ihre Bitten nach Rom reiste, um sich daselbst zum Priester weihen zu lassen“ (Sp. 582). Es hielt ihn jedoch nicht dort.
„Allein kaum hatte er diese heiligen Weihen empfangen, als er sich wieder nach Apulien begab und auf dem Berge Morone in einer Höhle Wohnung nahm. Da aber nach fünf Jahre diese Gegend urbar gemacht wurde, verließ er die ihm unterdessen teuer gewordene Stätte und begab sich auf den Berg Majella. Hier sammelten sich 1254 mehrere Genossen seiner Lebensweise um ihn, und er war daher genötigt, ihnen ein Kloster und ein Bethaus zu errichten. Urban IV., ein um das Mönchtum verdienter Papst, bestätigte dieses neue Institut und gab ihm die Regel des hl. Benedictus; vielleicht wollte er so dem im Anfange desselben Jahrhunderts erlassenen Verbot, einen neuen Orden zu stiften, ausweichen. Zehn Jahre später, als die Kongregation bereits 16 Klöster zählte, wiederholte Gregor X. die Bestätigung und befreite die Klöster von der Jurisdiktion der Bischöfe wie von der Entrichtung des Zehnten. Peter stand seiner Stiftung bis 1286 in dem Kloster St. Maria von Majella, das nachmals zum heiligen Geiste genannt wurde, vor, bestellte dann einen Nachfolger und zog sich abermals in die Einsamkeit zurück“ (ebd.).
Hier war es nun, daß ihn die Kunde ereilte, daß er vom heiligen Kollegium zum Papst gewählt worden war. „Nur die große Verlegenheit, in der man sich befand, macht es erklärlich, daß die Wähler auf diesen allerdings heiligen, aber gänzlich welt- und menschenunkundigen Mann am 5. Juli 1294 sich vereinigten. In der außerordentlichen Wahl sah Petrus den Finger Gottes und erklärte den Abgeordneten des Konklave unter Weinen und Schluchzen die Annahme. Er nannte sich Cölestin V. Die Kardinäle luden ihn nach Perugia ein, er aber beschied sie mit Hinweis auf die drückende Hitze nach Aquila, nahe der Grenze des Kirchenstaates. Er selbst ritt auf einem Esel, angetan mit einem Eremitengewande, dorthin; am 29. August wurde er hier geweiht und gekrönt“ (Sp. 581).
3. Es muß ein bewegender Augenblick gewesen sein, als dieser einfache Einsiedler aus den Bergen den Thron Petri bestieg. „Man begrüßte den neuen Papst in Spiritualenkreisen als den von der joachitischen Bewegung erwarteten Engelpapst und glaubte, ein neues Zeitalter der Kirche bräche an“, bemerkt Jedin in seiner Kirchengeschichte (Bd. III/1, S. 342). Doch: „Daß die Wahl eine unglückliche gewesen, zeigte sich alsbald“, lesen wir wieder im Kirchenlexikon. „Er war ganz von König Karl II. von Neapel abhängig, und auch die früheren Genossen seiner Siedelei konnten mit bestem Erfolge für ihre Interessen auf ihn einwirken; die wichtigsten Entscheidungen traf er, ohne irgendwelche Rücksicht auf die Kardinäle zu nehmen. Unter den zwölf Kardinälen, die er ernannte, waren sieben Franzosen und drei Neapolitaner; dem Könige von Neapel bewilligte er den Zehnten in Frankreich und England, den 21jährigen Sohn desselben erhob er zum Erzbischof von Lyon, Gregors X. Konstitution über das Konklave setzte er wieder in Kraft; Privilegien, Dispensationen, Gunstbezeugungen aller Art erteilte er mit unerhörter Leichtigkeit. Besonders wurde sein Orden auf alle Weise begünstigt; Monte Cassino sollte sich unter seine Regel beugen. Das ganze Kirchenregiment drohte in äußerste Verwirrung zu geraten“ (Sp. 581).
Heiligkeit des Lebens genügt eben nicht, um ein guter Papst zu sein. „Cölestin fühlte bald, daß seine Schultern für die schwere Bürde des Papsttums zu schwach seien, und von den Kardinälen, besonders dem fähigsten unter ihnen, Benedict Gaetano, wurde der Entschluß in ihm zur Reife gebrachte, auf die päpstliche Würde zu verzichten. Selbst Karl II. konnte sich, so gern er den ihm ergebenen Papst halten wollte, der Überzeugung von der Notwendigkeit seiner Abdankung nicht verschließen. Am 13. Dezember 1294 erließ Cölestin eine Dekretale, welche den Päpsten das Recht der Abdankung zusprach, und legte dann seine Würde vor den versammelten Kardinälen nieder, ‚wegen meiner Niedrigkeit, wegen besseren Lebens und ruhigen Gewissens, wegen Schwäche des Leibes und Mangels an Wissenschaft, wegen der Bosheit der Menschen und um zurückkehren zu können zum Trost und zur Ruhe meiner früheren Lebensweise‘. So kehrte Cölestin V. zu dem geliebten einfachen Mönchsleben zurück“ (ebd.).
So ging der heilige Cölestin V. in die Geschichte ein, als der erste Papst, der von seinem Amt zurückgetreten war. Im Zuge des „Rücktritts“ von „Benedikt XVI.“ wurde viel an ihn erinnert, obwohl die Fälle völlig verschieden liegen. „Da sein Nachfolger Bonifaz VIII. mit Recht fürchtete, seine Gegner könnten den schwachen Mann zur Errichtung eines Schismas benutzen, ließ er ihn strenge überwachen. Als er entfloh, schloß er ihn auf dem sChlosse Fumone bei Anangni ein, wo eine nach dem Vorbilde seiner früheren eingerichtete Zelle ihn aufnahm. In strenger Askese verbrachte er hier seine letzten Tage bis zu seinem am 19. Mai 1296 erfolgten Tode. Das Volk verehrte ihn schon zu Lebzeiten als einen Heiligen; 1313 wurde er von Clemens V. heilig gesprochen. Sein Andenken wird in der Kirche am 19. Mai gefeiert“ (Sp. 581 f). Jedin bemerkt: „Der Traum vom Engelpapst war gescheitert, fromme Askese genügte nicht für die Leitung der universalen Kirche, darüber hinaus fehlten die Eigenschaften, welche dem Träger der plenitudo potestatis [der Fülle der Gewalt] ein fruchtbares Wirken erlaubt: Klugheit, Erfahrung, herrscherliche Autorität, Kraft und staatsmännischer Wille zum Entschluß. Das alles brachte Bonifaz VIII., der unmittelbare Nachfolger Cölestins VI., in sein Amt mit“ (S. 343 f).
4. Wir ersehen an diesem Beispiel, wie eine Person ein Heiliger sein kann und trotzdem ein schlechter Papst, weil ihm die Fähigkeiten dazu abgehen. Andererseits kann eine Gestalt wie Bonifaz VIII. ein guter Papst sein, ohne doch ein Heiliger zu sein. Es kann natürlich jemand heilig und ein guter Papst zugleich sein, der Idealfall, wie es bei Pius X. war und bei so vielen anderen Päpsten der frühen Jahrhunderte. Auf die „konziliaren“ und „nachkonziliaren Päpste“ trifft nichts von alledem zu. Sie sind und waren weder schlechte noch gute noch gar heilige Päpste, sondern allesamt häretische und schismatische Schein- und Gegenpäpste.
5. Zum Abschluß sei noch hierhergesetzt, was das römische Brevier in der zweiten Nachtstunde in der Matutin zum Fest des heiligen Cölestin V. betet. „Aus dem Buche über Moralfragen vom heiligen Papste Gregor: ‚Es wird verlacht die Einfalt des Gottesdieners.‘ Die Weisheit dieser Welt besteht darin, daß man das Herz durch äußere Kniffe verbirgt, die Gedanken durch die Worte verschleiert, was falsch ist, als wahr ausgibt, das Wahre als falsch darstellt. Diese Weisheit wird auf Grund der Übung schon von den jungen Leuten verstanden, sie wird von den Kindern gegen Entgelt gelernt. Wer diese kennt, zeigt seinen Stolz in der Verachtung der anderen; wer sie nicht kennt, staunt sie untertänig und zaghaft in anderen an; denn auch bei diesen ist dieselbe mit dem Namen Zweideutigkeit umhüllte Schlechtigkeit sehr beliebt, so daß die Verkehrtheit des Sinnes Feinheit genannt wird. Diese schreibt ihren Anhängern vor, nach den Gipfeln der Ehrenstellen zu streben; über das, was man an Wertlosigkeit zeitlichen Ruhmes erreicht hat, Freude zu haben; die von anderen erlittenen Schädigungen mit Vielfachem zu vergelten; falls die Kräfte reichen, keinem, der sich widersetzt, nachzugeben; wenn die Möglichkeit kräftigen Auftretens fehlt, das, was man auf Grund von schlechter Handlung nicht auszuführen vermag, auf Grund freundlicher Gutmütigkeit mit Verstellung anzustreben.“ Hier ist die „Weisheit dieser Welt“ vortrefflich beschrieben.
„Doch steht dem entgegen die Weisheit der Gottesdiener: In keiner Weise zum bloßen Schein zu heucheln, die Gedanken in den Worten zu offenbaren, das Wahre, wie es ist, zu lieben, dem Falschen auszuweichen, Gutes umsonst zu erweisen, Böses lieber zu ertragen als zuzufügen, nach keiner Rache für Unrecht zu verlangen, Beschimpfung für die Wahrheit als Gewinn anzusehen. Aber diese Einfalt der Gottesdiener wird verlacht, weil von den Trägern der Weisheit dieser Welt die reine, echte Tugend als Blödigkeit angesehen wird. Alles nämlich, was frei von Schuld geschieht, gilt ihnen zweifellos als töricht; und was bei einem Werke die Wahrheit gutheißt, das klingt der fleischlichen Weisheit als verkehrt. Was scheint denn der Welt verkehrter als die Gedanken in Worten zu offenbaren, nicht in schlauen Kniffen vorzuheucheln, Unrecht durch keine Beschimpfung zu vergelten, nach Armut zu streben, für die Verleumder zu beten, den Besitz aufzugeben, dem Raubenden keinen Widerstand zu leisten, dem Schlagenden die andere Wange hinzuhalten?“
Daran hat sich im Lauf der Welt nichts geändert. Es ist heute so, wie es immer schon war. Nur, daß die „Weisheit der Gottesdiener“ heute eine überaus seltene Perle geworden ist, die man mit Lampe und Lupe suchen muß, um sie noch irgendwo zu finden, selbst bei den Frommen. Der heilige Cölestin ist unser leuchtendes Vorbild. Gerade sein Rücktritt im Namen jener Weisheit macht ihn trotz allem zum großen Papst. Möge er uns erbitten, ebenfalls die wahre Weisheit zu erlangen. Wir beten mit der Kirche: „O Gott, der du den heiligen Petrus Cölestinus zur höchsten Stufe der bischöflichen Würde emporgehoben und der du ihn gelehrt hast, sie dem Leben in der Niedrigkeit nachzusetzen, verleihe uns huldvollst die Gnade, daß wir nach seinem Beispiel alles Irdische verachten und würdig werden, zu dem den Demütigen versprochenen Lohn glücklich zu gelangen.“