Mgr. Joseph Clifford Fenton (6. Jan. 1906 bis 7. Juli 1969) war Priester der Diözese Springfield in Massachusetts, USA. Er lehrte als Professor für Fundamentaltheologie an der Katholischen Universität von Amerika und war von 1943 bis 1963 Herausgeber der „American Ecclesiastical Review“. Er war Peritus von Kardinal Alfredo Ottaviani auf dem „II. Vatikanischen Konzil“ und galt als einer der letzten aufrechten Antimodernisten.
Die Lehrautorität päpstlicher Enzykliken
In der „American Ecclesiastical Review“ erschien im August und September 1949 ein sehr interessanter zweiteiliger Artikel von Msgr. Joseph Clifford Fenton über die Lehrautorität päpstlicher Enzykliken: „The Doctrinal Authority of Papal Encyclicals“. Er sagt, daß seit Beginn des Pontifikats von Leo XIII. im Jahr 1878 mehr als hundertfünfzig Enzykliken von den Päpsten erlassen worden sind, im Schnitt eine in weniger als einem halben Jahr, welche großen Einfluß auf die katholische Lehre und das katholische Leben gewonnen haben. Diese Dokumente wurden allgemein anerkannt als das häufigste Mittel, das ordentliche Lehramt des Heiligen Vaters gegenüber der ihm anvertrauten Herde zu üben. Dennoch finde man über die päpstlichen Enzykliken und deren Lehrautorität kaum etwas in den theologischen Lehrbüchern, jedenfalls keine gründlichen Untersuchungen. Einige der Bücher beschäftigten sich gar nicht damit, andere sprächen in bezug auf die Enzykliken pauschal von „nicht-unfehlbaren“ päpstlichen Stellungnahmen, eine dritte Gruppe, die sich der Sache mit mehr wissenschaftlicher Kompetenz nähere, würde zwar diesen Dokumenten bescheinigen, einige unfehlbare Lehren zu enthalten, ohne freilich genauer zu explizieren, nach welchen Kriterien wir das ordentliche Lehramt des Papstes in den Enzykliken erkennen.
Die Theologen seien sich jedoch einig, daß alle Katholiken im Gewissen streng verpflichtet seien, der in diesen Schreiben enthaltenen Lehre wahre religiöse innere Zustimmung zu leisten. Ihre gemeinsame Lehre gehe dahin, diese innere Zustimmung, welche einer großen Anzahl von in päpstlichen Enzykliken enthaltenen Lehren zu leisten ist, als verschieden und geringer als den Akt des göttlichen katholischen Glaubens und den zumeist als „fides ecclesiastica“ eingestuften Glaubensaktes einzustufen. Die meisten Theologen hielten dafür, daß in den Enzykliken der Papst nicht mit höchster Autorität spreche, unbeschadet dessen, daß darin durchaus auch unfehlbare Entscheidungen oder andere unfehlbare Aussagen enthalten sein können. Dennoch hielten sie alle daran fest, daß der Heilige Vater auch auf dieser Stufe seines ordentlichen Lehramtes das Recht hat, eine definitive und unerschütterliche innere Zustimmung aller Katholiken zu dieser Lehre zu fordern, und in der Tat sei diese auch gefordert worden.
Da in letzter Zeit, so Mgr. Fenton, die Autorität päpstlicher Enzykliken bestritten werde und behauptet werde, man schulde ihnen keine Zustimmung, da man nicht wisse, ob sie überhaupt vom Papst kämen, und da sie keine absolute Garantie der Unfehlbarkeit hätten, hält er es für seine Pflicht, die Lehre der Theologen zu diesem Gegenstand kurz zusammenzufassen. Bei einer erstaunlich großen Anzahl von Theologen werde die Frage der Enzykliken im Traktat über die Unfehlbarkeit recht stiefmütterlich behandelt. Diese begnügten sich meist damit, die Definition des Vatikanums über die Unfehlbarkeit des Papstes zu untersuchen und zu beweisen. Sie vermittelten insgesamt den Eindruck, daß sie nur jene Wahrheiten für unfehlbar definiert hielten, welche der Heilige Vater „solemni judicio“, mit feierlichem Urteil vorlegt, unter Beiseitesetzung jener Wahrheiten, die er „ordinario et universali magisterio“, durch sein ordentliches und allgemeines Lehramt vorträgt. Zu diesen Theologen sind zu rechnen u.a. Bischof Michael d‘Herbigny und der Priester Sylvester Berry.
Eine andere sehr beachtliche Gruppe von Theologen zählen die päpstlichen Enzykliken, wenigstens im allgemeinen, ausdrücklich zu den nicht-unfehlbaren Dokumenten. Zu diesen Autoren gehören u.a. Mgr. Caesar Manzoni und P. Reginald Schultes. Auch P. Mangenot vertrete diese These in seinem im übrigen ausgezeichneten Artikel im „Dictionnaire de théologie catholique (DTC)“, ebenso P. Thomas Pegues in seinem vielzitierten Artikel in der „Revue thomiste“, und andere angesehen Autoren. P. Hermann Dieckmann stelle die Lehre in den päpstlichen Enzykliken mit jener der römischen Kongregationen gleich.
Selbst jene Theologen, welche den päpstlichen Enzykliken nicht den Status der Unfehlbarkeit zumessen, lehrten dennoch, daß die Gläubigen im Gewissen gebunden seien, diesen Schreiben nicht nur respektvolles Schweigen, sondern definitive und aufrichtige innere religiöse Zustimmung zu leisten. Zu diesem Zweck wendeten viele von ihnen wie P. De Groot auf die Enzykliken das an, was der ausgezeichnete Theologe Palmieri über die katholische Haltung gegenüber der nicht-unfehlbaren Lehre der Kirche herausgearbeitet hat. Pegues macht diese Anwendung ebenfalls in seinem Artikel in der „Revue thomiste“ und schreibt: „Daraus folgt, daß die Autorität von Enzykliken ganz und gar nicht dieselbe ist wie die feierlicher Definitionen im eigentlichen Sinn. Die Definition verlangt Zustimmung ohne Rückhalt und verpflichtet zu einem formellen Glaubensakt. Im Fall päpstlicher Enzykliken ist es anders.“
Pegues erläutert weiter: „Diese Autorität (päpstlicher Enzykliken) ist zweifellos groß. Sie ist in gewissem Sinn hoheitlich. Es ist die Lehre des obersten Hirten und Lehrers der Kirche. Daher haben die Gläubigen die strikte Pflicht, diese Lehre mit grenzenlosem Respekt entgegenzunehmen. Man darf sich nicht damit begnügen, ihr nur nicht offen und in mehr oder weniger skandalöser Weise zu widersprechen. Eine innere geistige Zustimmung ist gefordert. Sie muß angenommen werden als das amtlich autorisierte Lehramt in der Kirche.“
Andererseits: „Dennoch ist diese Zustimmung letztlich nicht dieselbe, wie sie bei einem formalen Glaubensakt verlangt wird. Streng genommen ist es möglich, daß diese Lehre (die in einer Enzyklika vorgelegt wird) einem Irrtum unterliegt. Es gibt tausend Gründe zu glauben, daß es nicht so ist. Das war wahrscheinlich auch nie der Fall, und es ist normalerweise sicher, daß es nie sein wird, aber absolut gesprochen könnte es sein, weil Gott hier nicht die Garantie leistet wie Er sie der Lehre leistet, wenn sie als Definition formuliert wird“ (Pegues S. 531 f). Einige Theologen bezeichnen diese Zustimmung daher als „interpretative condicionatus“, also mit einer stillschweigenden Bedingung wie „solange die Kirche es nicht anders entscheidet oder diese Entscheidung sich als irrig erweist“.
Mgr. Manzoni listet die Enzykliken unter den Dokumenten mit nicht-unfehlbarem Charakter auf. Er behauptet, daß die Definition, von welcher das Vatikanische Konzil bei seiner Aufstellung der Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit spricht, nur in der Ausübung des feierlichen Lehramtes in Abgrenzung zum ordentlichen Lehramt zu finden ist. Für die bindende Kraft dieser Dokumente greift er auf eine Lehre zurück, die Kardinal Franzelin ein seinem „Tractatus de divina traditione et scriptura“ aufgestellt hat. Nach Franzelin kann der Papst alle Katholiken zur Zustimmung zu einer vorgelegten Lehre verpflichten aus zwei Gründen. Zunächst kann er beabsichtigen, die Lehre unfehlbar als wahr und „de fide“ vorzulegen. Dann kann er beabsichtigen, allein die Gewißheit der katholischen Lehre sicherzustellen. Das Lehramt der Kirche sei von Gott so ausgestattet, daß die erste Art des Lehrens die unfehlbare Wahrheit verbürgt, die zweite Art die unfehlbare Sicherheit.
Indem die Kirche die Fülle ihrer Lehrgewalt übt, sprechen wir von „auctoritas infallibilitatis“, sofern sie nicht definieren will, sondern nur jene Schritte ergreifen, welche zur Sicherstellung des Glaubens notwendig sind, sprechen wir von der „auctoritas providentiae doctrinalis“. Dieser „auctoritas providentiae doctrinalis“ schulden die Gläubigen den Gehorsam respektvollen Schweigens und innerer geistiger Zustimmung, gemäß welcher die vorgelegte Lehre nicht als unfehlbar wahr, sondern als sicher angenommen wird, als garantiert von der Autorität, welche den göttlichen Auftrag hat, den christlichen Glauben zu bewahren.
Beide Darlegungen, die von Franzelin und Palmieri, seien hervorragend, schreibt Fenton, und könnten gewinnbringend auf gewisse Äußerungen der römischen Kongregationen angewendet werden sowie auf viele Lehrgegenstände der Enzykliken. Freilich wäre es verfehlt zu meinen, man könne sie einfach auf die gesamte Lehre anwenden, welche in diesen päpstlichen Dokumenten dargelegt wird. Übrigens haben weder Franzelin noch Palmieri eine solche explizite Anwendung ihrer Theorien unternommen.
Einige der einflußreichsten modernen Theologen lehren ausdrücklich, daß manches, was in den päpstlichen Enzykliken enthalten ist, zur unfehlbaren Lehre der Kirche gehört. Tanquerey und De Guibert sagen, daß einiges, was in den päpstlichen Enzykliken gelehrt wird, unfehlbar wahr ist, da es vom Heiligen Vater in seinem unfehlbaren ordentlichen Lehramt vorgetragen wird. Die Kardinäle Billot und Lepicier lehren, daß viele der in den Enzykliken enthaltenen Aussagen als unfehlbar wahr angenommen werden müssen. Hervé, Yelle, Blanch, Herrmann, Scheeben und Saiz Ruiz zeigen sich überzeugt, daß die Enzykliken nicht einfach als nicht-unfehlbare Dokumente angesehen werden können. Wilhelm-Scannell, Michelitsch, Van Noort, Pesch und Calcagno kommen auf andere Weise zu derselben Schlußfolgerung und warnen ihre Leser, nicht alles, was in den Enzykliken enthalten sei, als unfehlbar anzusehen.
Das Vatikanische Konzil und das ordentliche Lehramt des Heiligen Vaters
Bei all den auseinandergehenden Ansichten sind sich doch alle Theologen einig, daß alle Katholiken im Gewissen verpflichtet sind, den Lehren des Heiligen Vaters eine innere religiöse Zustimmung zu erteilen, selbst wenn sie nicht mit dem Charisma der Unfehlbarkeit vorgetragen werden. Der Grund dafür ist die Autorität des obersten Hirten selber. Der Pflicht des Heiligen Vaters, die Herde Christi zu weiden, entspricht auf der anderen Seite die Verpflichtung ihrer Glieder, seinen Anweisungen zu folgen, in der Lehre wie in der Disziplin. Gott hat dafür dem Heiligen Vater eine Unfehlbarkeit verliehen, welche von dem Charisma der Unfehlbarkeit in der Lehre verschieden ist. Er hat die Kirche so errichtet und geordnet, daß jene, welche den Anleitungen folgen, welche dem gesamten Reich Gottes auf Erden gegeben werden, niemals in die Lage geraten können, sich durch ihren Gehorsam selber zu ruinieren. Unser Herr weilt in Seiner Kirche in der Weise, daß jene, welche den disziplinären und lehrmäßigen Anweisungen dieser Gesellschaft folgen, niemals Gott mißfällig werden können durch ihr Anhangen an die Lehren und Befehle, welche der universalen streitenden Kirche erteilt werden. Es gibt somit keinen triftigen Grund, die Lehrautorität des Stellvertreters Christi auf Erden zurückzuweisen, selbst in seinen nicht-unfehlbaren Lehren.
Das Vatikanische Konzil bestand in seinem berühmten Nachwort der Konstitution „Dei Filius“ in energischer Weise auf der Pflicht der Katholiken, alle Arten der päpstlichen Lehre anzunehmen einschließlich der Enzykliken: „In Erfüllung der Schuldigkeit Unserer höchsten Hirtenpflicht beschwören Wir deshalb um der Liebe Christi willen alle Christgläubigen, vor allem aber die, welche Vorsteher sind oder ein Lehramt bekleiden, und befehlen ihnen kraft der Autorität ebendieses unseres Gottes und Erlösers, Eifer und Mühe aufzuwenden, damit diese Irrtümer von der heiligen Kirche abgehalten und aus ihr entfernt sowie das Licht des reinsten Glaubens ausgebreitet werde. Da es aber nicht genügt, der häretischen Verkehrtheit aus dem Wege zu gehen, wenn nicht auch diejenigen Irrtümer sorgsam gemieden werden, die sich ihr mehr oder weniger nähern, erinnern Wir alle an die Pflicht, auch die Konstitutionen und Dekrete zu beachten, in denen solche verkehrten Auffassungen, die an dieser Stelle nicht ausdrücklich aufgezählt werden, von diesem Heiligen Stuhl geächtet und verboten wurden“ (DH 3044, 3045).
Das Konzil spricht von einer Pflicht, einer moralischen Verpflichtung, die im Gewissen bindet. Alle Gläubigen sind im Gewissen verpflichtet, diesen päpstlichen Dokumenten eine dauernde Zustimmung zu geben, welche jene Irrtümer beschreiben und verurteilen, welche mehr oder weniger eng mit der „häretischen Verkehrtheit“ verknüpft sind. Das Vatikanische Konzil spricht von dieser Verpflichtung als von etwas, das zur Integrität des Glaubens selber gehört. Es warnt die Gläubigen ausdrücklich, daß es „nicht genügt, der häretischen Verkehrtheit aus dem Wege zu gehen, wenn nicht auch diejenigen Irrtümer sorgsam gemieden werden, die sich ihr mehr oder weniger nähern“. Vacant und Scheeben schließen auch die Äußerungen der römischen Kongregationen in diese „Dekrete“ ein, welche die Christen anzunehmen verpflichtet sind. Diese sind fraglos nicht-unfehlbar und haben eine geringere Autorität als jene Dokumente, welche direkt aus der Autorität des Heiligen Vaters herstammen. Wenn auch diese nach Aussage des Konzils als Stimme der „ecclesia docens“ von allen Gläubigen „zu beachten“ sind, dann umso mehr die päpstlichen Enzykliken.
Die innere Zustimmung, welche die Gläubigen dieser Art von kirchlicher Lehre zu geben verpflichtet sind, wird als „religiöse Zustimmung“ beschrieben. Sie ist wahrhaft religiös aufgrund ihres Objektes und ihres Motivs. In seinem Brief „Tuas libenter“ vom 21. Dezember 1863 schreibt Papst Pius IX. an den Erzbischof von München von der Zustimmung, welche dem ordentlichen Lehramt der Kirche gebührt, wo es in nicht-unfehlbarer Weise spricht. Nachdem er daran erinnert hat, daß das Dogma selber sowohl vom ordentlichen Lehramt der Kirche als auch durch feierliches Urteil verkündet werden kann, schreibt der Papst: „Da es sich aber um jene Unterwerfung handelt, zu der all jene Katholiken dem Gewissen nach verpflichtet sind, die sich den Geisteswissenschaften widmen, um mit ihren Schriften der Kirche neuen Nutzen zu bringen, so müssen die Männer ebendieser Versammlung anerkennen, daß es für katholische Gelehrte nicht genügt, die vorher genannten Lehrsätze der Kirche anzunehmen und zu achten, sondern daß es auch nötig ist, sich sowohl den Entscheidungen zu unterwerfen, die als zur Lehre gehörig von den Päpstlichen Kongregationen vorgelegt werden, als auch den Lehrkapiteln, die in gemeinsamer und beständiger Übereinstimmung der Katholiken als theologische Wahrheiten und derart sichere Schlußfolgerungen festgehalten werden, daß Meinungen, die diesen Lehrkapiteln entgegengesetzt sind, zwar nicht häretisch genannt werden können, jedoch eine andere theologische Zensur verdienen“ (DH 2880).
Der Papst weist also darauf hin, daß alles theologische Forschen in der Kirche stets unter Leitung ihres obersten Lehramtes stattfinden muß. Wer meint, sich dem entziehen zu können unter dem Vorwand, es handle sich um Bereiche, welche nicht durch das Charisma der Unfehlbarkeit gedeckt seien, verläßt den sicheren Grund der kirchlichen Lehre und begibt sich außerhalb der gemeinsamen theologischen Forschung und Arbeit.
Zwar kann die Kirche ihre Sicht über das eine oder andere Detail in ihrer nicht-unfehlbaren Lehre ändern. Die Natur der „auctoritas providentiae doctrinalis“ in der Kirche ist jedoch von solcher Art, daß sich die „Fehlbarkeit“ auf Fragen relativ kleiner Details und spezieller Anwendungen beschränkt. Die Gesamtheit der Lehre über Rechten und Pflichten der Arbeiter, über Kirche und Staat oder viele andere Gegenstände, welche in einer Serie päpstlicher Schreiben an die gesamte streitende Kirche ausführlich abgehandelt und normativ vorgegeben wurden, kann nicht radikal oder vollständig irrig sein. Die unfehlbare Sicherheit, derer sich nach dem Willen Jesu Christi Seine Jünger in der Kirche erfreuen sollen, ist unvereinbar mit einer solchen Möglichkeit.
Ein Beispiel wird angegeben, welche Wirkung auf die Lehre ein päpstliches Dokument haben kann. In seiner Enzyklika „Mystici Corporis“ bezeichnet Pius XII. die ordentliche Jurisdiktionsgewalt der Bischöfe als „ihnen unmittelbar vom Obersten Pontifex mitgeteilt“. Mgr. Alfredo Ottaviani nennt daraufhin diese Lehre eine „sententia, hucusque considerata probabilior, immo communis, nunc autem ut omnino certa habenda ex verbis Summi Pontificis Pii XII.“, eine bislang als wahrscheinlicher oder allgemein angesehene Lehre, die nun aber für ganz sicher zu halten ist aufgrund der Worte des Obersten Pontifex Pius XII.
Ein gerüttelt Maß von Verwirrung und Minimismus in bezug auf die Lehrautorität päpstlicher Enzykliken rührt wohl von einem Mißverständnis über das ordentliche und allgemeine Lehramt des Heiligen Vaters. Seit der Zeit des Vatikanischen Konzils gab es eine unglückliche Neigung bei einigen Autoren, sich einzubilden, die Definition des Konzils über die päpstliche Unfehlbarkeit gelte nur für die feierlichen und außerordentlichen Äußerungen des obersten Pontifex im Unterschied zu dem, was man seine ordentliche Verkündigung nennt. Einige vertraten die unzutreffende Ansicht, der Heilige Vater spreche nur unfehlbar, wenn er feierlich ein Dogma definiert. Analysiert man jedoch die Definition des Konzils, besonders wenn man sie im Licht des historischen Hintergrunds betrachtet, so zeigt sich, daß die Kirche keine solche Beschränkung in ihrer Lehre zu diesem Thema beabsichtigte.
Das Konzil definierte die Unfehlbarkeit des Papstes wie folgt: „… lehren Wir … und entscheiden, … daß es ein von Gott geoffenbartes Dogma ist: Wenn der Römische Bischof ‚ex cathedra‘ spricht, das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen kraft seiner höchsten Apostolischen Autorität entscheidet, daß eine Glaubens- oder Sittenlehre von der gesamten Kirche festzuhalten ist, dann besitzt er mittels des ihm im seligen Petrus verheißenen göttlichen Beistands jene Unfehlbarkeit, mit der der göttliche Erlöser seine Kirche bei der Definition der Glaubens- und Sittenlehre ausgestattet sehen wollte; und daher sind solche Definitionen des Römischen Bischofs aus sich, nicht aber aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich“ (DH 3073, 3074).
Hier wird als Glaubensdogma verkündet, daß der Papst unfehlbar lehrt, wenn er „ex cathedra“ in Dingen des Glaubens oder der Moral entscheidet. Damit ist die päpstliche Unfehlbarkeit nicht auf dogmatische Definitionen im strikten Sinn begrenzt. Das Konzil formulierte bewußt so, daß eine solche Beschränkung ausgeschlossen ist. Während der Sitzungen der „Deputatio pro rebus ad fidem pertinentibus“ des Konzils schlug Kardinal Bilio eine Formel vor, welche vom Bischof Conrad Martin von Paderborn vorgelegt worden war, in welcher es hieß, der Heilige Vater übe seine Unfehlbarkeit, wenn er definiere „quid in rebus fidei et morum ab universa Ecclesia fide divina tenendum“, was in Dingen des Glaubens und der Sitten von der ganzen Kirche mit göttlichem Glauben festzuhalten ist. Der heftige Widerstand von Erzbischof Henry Edward Manning und von Bischof Ignatius Senestrey verhinderte letztlich die Approbation dieser Formulierung. Die Worte, welche schließlich gewählt wurden und in der Konstitution „Pastor aeternus“ benutzt werden, gehen im wesentlichen auf einen Vorschlag von Kardinal Cullen zurück, und waren bewußt so formuliert, daß sie die in der Formulierung von Martin und Bilio gelegene Beschränkung ausschlossen.
Es wäre ein großer Fehler zu meinen, daß entsprechend der Lehre des Vatikanischen Konzils der Heilige Vater nur dann unfehlbar spricht, wenn er feierlich ein Dogma des göttlichen Glaubens verkündet oder feierlich eine Lehre als häretisch verurteilt. Die Tatsache, daß Enzykliken keine feierlichen Definitionen beinhalten wie das Dogma der Unbefleckten Empfängnis oder feierliche Verurteilungen von Häresien wie in der Konstitution „Cum occasione“ von Papst Innozenz X., bedeutet nicht, daß in diesen Dokumenten nicht auch im strikten Sinn unfehlbare päpstliche Lehre enthalten sein kann.
Das Vatikanische Konzil kam nie dazu, die Lehre über das Objekt der kirchlichen Unfehlbarkeit genauer ins Auge zu fassen und zu vertiefen. Da es dies aber noch vorhatte, vermied es, die Lehre über das Objekt der Unfehlbarkeit in die Konstitution „Pastor aeternus“ einfließen zu lassen. Darum sagt das Konzil nicht ausdrücklich, daß der Heilige Vater unfehlbar sprechen kann, wenn er eine Lehre definiert, welche so eng mit der formell geoffenbarten Wahrheit verbunden ist, daß diese formelle Offenbarung ohne sie nicht adäquat und genau von einem lebenden und unfehlbaren Lehrer vorgelegt werden kann. Die wohlüberlegte Ausschließung andererseits einer Formel, welche nur behauptet hätte, daß der Heilige Vater unfehlbar ist, wenn er eine Wahrheit definiert, die mit göttlichem Glauben festzuhalten ist, zeigt mit Evidenz, daß die lehrende Kirche den obersten Hirten kraft seines Amtes für bevollmächtigt hält, unfehlbare Entscheidungen zu geben über Sachverhalte, welche die heilige Theologie als sekundäre Objekte des kirchlichen Lehramts bezeichnet.
Der theologische Traktat „De ecclesia Christi“ ist sehr ausführlich über dieses sekundäre Objekt des unfehlbaren kirchlichen Lehramtes. Die „ecclesia docens“ kann unfehlbar lehren über jene Gegenstände, welche mit dem Glaubensdepositum so eng verbunden sind, daß eine irrige Auffassung darüber zu einer falschen Lehre über das primäre Objekt des unfehlbaren kirchlichen Lehramts führen würde. Es ist zumindest theologisch gewiß, daß die Kirche unfehlbar lehren kann über theologische Schlußfolgerungen und über jene Wahrheiten der philosophischen Ordnung, die als „praeambula fidei“ dienen, über dogmatische Tatsachen, die Approbation kirchlicher Orden und die Kanonisierung von Heiligen.
Nichts im Vatikanischen Konzil weist darauf hin, daß der gesamte Inhalt der in Enzykliken enthaltenen Lehren schlicht als nicht-unfehlbar beiseite gesetzt werden kann. Im Gegenteil scheint klar, daß insbesondere dann, wenn eine ganze Reihe dieser Dokumente über ein spezielles Thema handeln und wenn jüngere Schreiben das wiederholen und unterstreichen, was in vorhergehenden Enzykliken bereits gelehrt wurde, wenigstens einiges der in dieser Weise der gesamten Kirche vorgelegten Lehre als vom ordentlichen und universalen Lehramt der Kirche unfehlbar gelehrt gelten muß. Solche Aussagen aber verlangen mehr als die übliche innere Zustimmung, welche dem authentischen, aber nicht-unfehlbaren Lehramt der Kirche zu leisten ist, nämlich das, was man in der Theologie „fides ecclesiastica“, kirchlichen Glauben nennt.
Das Konzil sagt, der Papst spreche „ex cathedra“ in Angelegenheiten des Glaubens oder der Moral, „wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen kraft seiner höchsten Apostolischen Autorität entscheidet, daß eine Glaubens- oder Sittenlehre von der gesamten Kirche festzuhalten ist“. Nichts in dieser Beschreibung schließt aus, einige Aussagen des ordentlichen Lehramts des Heiligen Vaters und insbesondere in Enzykliken als unfehlbar anzuerkennen. Es ist evident, daß in diesen Enzykliken, welche an alle Bischöfe der katholischen Kirche in der ganzen Welt gerichtet sind, der Heilige Vater sein Amt als Hirte und Lehrer aller Christen ausübt. Dasselbe ist der Fall, wenn er zwar eine Aussage direkt an eine bestimmte Person oder einen Teil der Kirche richtet, damit aber letztlich auf die Gesamtkirche zielt, um dieser als Norm zu dienen. Alle doktrinellen Enzykliken erfüllen diese Bedingung, wie es zugleich sicher ist, daß sie Angelegenheiten des Glaubens und der Sitten behandeln.
Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß die Gattung der Enzyklika in irgendeiner Weise die Möglichkeit einer eigentlichen päpstlichen Definition ausschließt, in welcher der oberste Hirte in seiner höchsten apostolischen Autorität eine Lehre des Glaubens oder der Moral als von der ganzen Kirche festzuhalten definiert. Eine Definition ist eine letztgültige und unwiderrufliche Lehrentscheidung. Die „ecclesia docens“ legt diese Entscheidung vor und will, daß fortan niemand mehr dieser widerspricht. Eine definierte Lehre kann nicht legitim in Frage gestellt werden, nachdem die Definition einmal gegeben ist.
Der Papst ist für die unfehlbare Definition einer Lehre nicht an feierliche Formen gebunden, wie es etwa die Definition der Unbefleckten Empfängnis war in „Ineffabilis Deus“ oder die Entscheidung über die anglikanischen Weihen in „Apostolicae curae“. Wenn der Papst beispielsweise eine Frage ein für allemal entscheidet, über die lange diskutiert wurde, handelt es sich ebenfalls klar um eine Definition, die von allen Katholiken ein für allemal festzuhalten ist. Ein Beispiel dafür ist der Brief „Testem benevolentiae“ Leos XIII., den Kardinal Richard, Erzbischof von Paris, für eine Definition im strengen Sinn des Wortes ansah. Dasselbe ist der Fall, wenn ein und dieselbe Lehre in einer ganzen Reihe päpstlicher Enzykliken wiederholt wird, wie beispielsweise bei den päpstlichen Aussagen über Kirche und Staat.
Wenn der Papst eine Lehre lediglich als sicher oder wahrscheinlich vorlegt, ist es klar, daß er nicht die Fülle seiner Apostolischen Gewalt gebrauchen will. Wenn er andererseits seinen Kindern sagt, daß eine definierte Lehre unwiderruflich von allen festzuhalten ist, oder wenn er eine Lehre förmlich und definitiv mit einer dogmatischen Zensur belegt, also nicht nur einer disziplinarischen, dann ist klar, daß er die Fülle seiner apostolischen Autorität in Anspruch nimmt.
Man darf nicht aus dem Auge verlieren, daß gemäß dem Vatikanischen Konzil die unfehlbare Autorität des Heiligen Vaters in Lehren des Glaubens und der Moral exakt dieselbe Ausdehnung hat wie die der Kirche selber. Die Kirche kann unfehlbar durch feierliches Urteil lehren oder durch ihr ordentliches und allgemeines Lehramt. Das feierliche Urteil des heiligen Vaters bei der Definition eines Dogmas ist ebenso gültig und unfehlbar wie das feierliche Urteil eines ökumenischen Konzils. So ist das ordentliche Lehramt des heiligen Vaters, wenn er eine Wahrheit des Glaubens oder der Moral als von der ganzen Kirche auf Erden unwiderruflich festzuhalten erklärt, ebenso gültig und unfehlbar wie die Lehre der gesamten „ecclesia docens“ über denselben Gegenstand.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß viele Lehren des obersten Hirten in den Enzykliken unfehlbare Aussagen sind und die Zustimmung der „fides ecclesiastica“ erheischen. Absolut sicher ist, daß alle in diesen Dokumenten enthaltenen Lehren wenigstens eine innere religiöse Zustimmung verlangen. Es gibt jedoch eine Tendenz in der Haltung gegenüber den Enzykliken, die dogmatische Übel hervorbringt und zu einem praktischen Ignorieren von deren Lehren führen kann. Gemäß dieser Haltung ist es das Geschäft der Theologen, zwei Elemente im Inhalt der verschiedenen Enzykliken zu unterscheiden: ein Element, in welchem sich die genuin katholische Lehre niederschlägt, welche selbstverständlich alle Katholiken zu allen Zeiten anzunehmen verpflichtet sind, und ein anderes Element mit zeitgemäßen Anwendungen, welche vernachlässigt werden können.
Diese oberflächlich anziehend erscheinende Haltung kann die wahre katholische Mentalität von Grund auf zerstören. Diejenigen, welche diese Mentalität angenommen haben, meinen, daß sie den Inhalt von Enzykliken so analysieren können, daß sie Aussagen, welche Katholiken verpflichtend übernehmen müssen, von denen unterscheiden, die nur unbedeutendes Gewicht haben. Damit würden sie als Theologen dem katholischen Volk sagen, sie sollten die katholischen Prinzipien übernehmen und mit dem Rest tun, was sie wollten. Damit läge die Lehrautorität tatsächlich beim jeweiligen Theologen. Der Heilige Vater macht in seiner Enzyklika eine Reihe von Aussagen. Abgesehen von denen, die er selber als Meinungen deklariert, sind alle diese Aussagen die des Heiligen Vaters. Wenn jemand nun diese Dokumente einer Analyse unterzieht, um das Element der katholischen Tradition von anderen Teilen des Inhalts zu unterscheiden, muß er eine andere Norm bemühen als die Autorität des Heiligen Vaters selbst.
Hinter den Aussagen in der Enzyklika steht die Autorität des Heiligen Vaters. Wenn ein Privattheologe darangeht, diese Aussagen zu analysieren, um ein katholisches Prinzip zu finden, auf welchem die päpstlichen Aussagen basieren, und irgendeine eventuelle Methode, gemäß welcher der oberste Pontifex dieses katholische Prinzip in seiner Verkündigung anwendet, dann ist die einzige effektive Lehrautorität die des Privattheologen selber. Bei dieser Art des Vorgehens würde man vom katholischen Volk erwarten, von der Enzyklika soviel anzunehmen, als der Theologe für die eigentliche katholische Lehre ausgibt. „Die katholische Lehre wäre als solche erkennbar, nicht aufgrund der Aussage des Heiligen Vaters in der Enzyklika, sondern aufgrund ihres Enthaltenseins in anderen Monumenten der christlichen Lehre.“
„Es ist schwer vorherzusagen, wo ein solcher Prozeß enden würde. Diejenigen, die diesen Kurs einschlagen, würden notgedrungen dahin gelangen, alle Lehraussagen der Päpste nach Art der Lehre von Privattheologen zu betrachten. Die Schreiben früherer Päpste sind zweifellos nicht weniger autoritativ als die jüngerer Päpste. Wenn jemand die Enzykliken von Papst Leo XIII. demontiert, gibt es keinen Grund, warum nicht die Dokumente eines Gelasius oder Leo I. ebenso behandelt werden sollten. Wenn die Aussagen von Pius IX. nicht so gelten, wie sie dastehen, ist es schwer einzusehen, wie die eines anderen römischen Pontifex von mehr Autorität sein sollen.“
Natürlich ist es Aufgabe der Theologen und ihr Vorrecht, die Lehre der päpstlichen Enzykliken dem Volk näherzubringen. „Es ist ihre Pflicht und ihr Privileg, diese Dokumente zu studieren, um zu einem Verständnis dessen zu gelangen, was der Heilige Vater gegenwärtig lehrt, und dann zu helfen, die Lehre dem Volk zu übermitteln. Jedoch bleibt der Heilige Vater die Lehrautorität, nicht der Privattheologe. Der Theologe hat den Inhalt der päpstlichen Lehre herauszuarbeiten, nicht diese Lehre jener Art von Kritik zu unterziehen, die er zurecht auf die Schreiben eines anderen Privattheologen anwenden würde.“
Wenn wir das Werk eines anderen Privattheologen auswerten, ist es vollkommen in Ordnung darzulegen, was darin authentische katholische Lehre ist oder wenigstens darauf basiert, und was einfach nur Ideen ausdrückt, die zu der Zeit kursierten, als das Buch geschrieben wurde. Die Aussagen der römischen Päpste, wenn sie als autorisierte Lehrer der katholischen Kirche handeln, sind definitiv nicht Gegenstand solcher Untersuchungen.
Unglücklicherweise ist die Tendenz, die Funktion des Privattheologen in der Lehrtätigkeit der Kirche falsch zu interpretieren, nicht neu in der englischen katholischen Literatur. Kardinal Newman hat in seinem „Letter to the Duke of Norfolk“ (sicherlich das am wenigsten wertvolle seiner veröffentlichten Werke) die bizarre These vertreten, daß die letzte Entscheidung darüber, was in einer authentischen kirchlichen Äußerung wirklich verurteilt wurde, Aufgabe der Privattheologen sei und nicht desjenigen Organs der „ecclesia docens“, welches die Verurteilung ausgesprochen hat. Gemäß dieser Theorie könnten die Gläubigen herausfinden, was das Dokument tatsächlich meint, nicht aus den Aussagen des Dokumentes selber, sondern anhand der Spekulationen der Theologen.
Würden wir so bei der Interpretation päpstlicher Enzykliken vorgehen, würden wir wenigstens in praktischer Hinsicht diesen Dokumenten jede wahre Autorität absprechen. Unsere Zustimmung würde von der Interpretation der Theologen abhängen, nicht vom Dokument selber. Diese Tendenz, die Äußerungen der „ecclesia docens“ und besonders jene in päpstlichen Enzykliken als Aussagen zu werten, welche für das christliche Volk interpretiert werden müssen anstatt ihm erklärt und dargelegt zu werden, ist von großem Schaden für die Kirche. „Es ist und bleibt Aufgabe der katholischen Theologen, gläubig den Lehren der Enzykliken anzuhangen und alles in ihrer Macht stehende zu tun, um diese Wahrheiten getreu und wirksam den Gliedern des Mystischen Leibes Christi zu vermitteln.“