Die Schlangenzertreterin

I

Gaude, Maria Virgo: cunctas haereses sola interemisti in universo mundo. - Freue dich, Jungfrau Maria, du allein hast alle Häresien in der ganzen Welt überwunden.“ So betet die Kirche in der dritten Nachtstunde der Muttergottesfeste. Der Teufel ist der „Vater der Lüge“ und Urheber von Irrtum und Häresie. Schon im Paradies lehrte er Adam und Eva die erste Häresie, indem er der Offenbarung Gottes direkt widersprach: „Keineswegs werdet ihr sterben“, und seinen Irrtum an deren Stelle setzte: „Ihr werdet sein wie Götter“. Die allerseligste Jungfrau ist die Schlangenzertreterin, sie zerstört alle seine Irrlehren und Häresien.

II

Die Grundhäresie des Teufels ist der Naturalismus. Der Naturalismus kennt zwei Formen: Die Ablehnung alles Übernatürlichen überhaupt, oder die Verlegung des Übernatürlichen in die Natur selber. Beiden Richtungen gemeinsam ist, daß sie ein Eingreifen oder einen Einbruch des Übernatürlichen in diese Welt ablehnen. Auf diesem Irrtum beruht das ganze moderne Denken. Alles ist irgendwie natürlich erklärbar. Wenn es einen Gott gibt, dann ist es ein deistisch gedachter, der mit dieser Welt nichts oder nichts mehr zu tun hat, oder ein pantheistisch aufgefaßter, der in diese Welt selber verlegt wird. Ein transzendenter Gott, der diese Welt nicht nur erschaffen hat, sondern sie auch dauernd erhält und regiert, paßt nicht in dieses Weltbild. Erst recht nicht ein Gott, der dieser Welt eine übernatürliche Bestimmung und Verfassung gegeben hat, der auf übernatürliche Weise in sie eingreift, der sich den Menschen offenbart, der sogar selber Mensch geworden ist, um sie zu erlösen. Nein, einen solchen Gott kann der „moderne Mensch“ nicht mehr brauchen.

Da erscheint in einer Grotte bei Lourdes am 11. Februar 1858 und von da an noch mehrfach einem 14jährigen Mädchen die allerseligste Jungfrau. Es ist ein offensichtlicher Einbruch des Übernatürlichen in diese Welt. So sehr die Rationalisten, Freimaurer, Freidenker sich sträuben, sie können weder verhindern, daß sich die Kunde von diesen Ereignissen überall ausbreitet, noch gelingt es ihnen, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu erschüttern. Als auch noch eine sonderbare Quelle aufbricht und die ersten Heilungen und Wunder geschehen, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Wahrheit zu leugnen. Es bleibt nur der Ausweg, den die Pharisäer angesichts der Wunder und Zeichen des Heilands gewählt haben: die Augen vor der Wahrheit bewußt zu schließen und sie sehenden Auges zu verleugnen. Wir nennen das eine Sünde gegen den Heiligen Geist.

Wer immer jedoch bereit war, Augen und Herz zu öffnen, konnte nicht umhin, die Wahrheit der Geschehnisse und damit der übernatürlichen Welt anzuerkennen. Wie viele haben sich durch die Ereignisse in Lourdes von ihrem Unglauben, ihrer Gottlosigkeit, ihrem Rationalismus und Materialismus bekehrt und wieder oder neu zum Glauben gefunden! Unsere Liebe Frau von Lourdes hat die Grundhäresie des Naturalismus vollständig zerstört.

III

Aus der Grundhäresie des Naturalismus ergibt sich die Häresie der Leugnung der Erbsünde und daraus die Leugnung der Erlösung durch Unseren Herrn Jesus Christus. Der heilige Papst Pius X. sieht darin die Wurzel aller modernen Häresien: „Womit setzen denn tatsächlich die Hasser des Glaubens den Anfang bei der Verbreitung ihrer schweren Irrtümer nach allen Seiten, wodurch dann gerade bei vielen der Glaube zum Wanken gebracht wird? Sie leugnen, daß der Mensch durch die Sünde gefallen ist und aus seiner ehemaligen Würde verstoßen wurde.“ Er fährt fort: „Deshalb zählen sie die Erbsünde und alle von ihr ausgehenden Fehler und Gebrechen zu den unwahren Erdichtungen, nämlich: die Verderbtheit des Menschengeschlechtes in seinen Stammeltern und die Ausdehnung derselben auf alle Nachkommen, die auf diese Weise erfolgte Hinaustragung von Leid und Verderben unter die Sterblichen und die daraus folgende Notwendigkeit eines Wiederherstellers. Unter diesen Voraussetzungen ist leicht einzusehen, daß es da für Christus keinen Platz mehr gibt, ebensowenig für die Kirche, für die Gnade und für eine übernatürliche Ordnung. Mit einem Wort, das ganze Gebäude der christlichen Wahrheit ist bis in das Innerste untergraben.“

Nun offenbart sich in Lourdes die allerseligste Jungfrau als die „Unbefleckte Empfängnis“. Sie setzt damit diesen Zeitirrtümern die unleugbare katholische Wahrheit entgegen. Der heilige Pius X.: „Wenn hingegen die Völker glauben und bekennen, daß Maria die Jungfrau im ersten Augenblick ihrer Empfängnis von jedem Sündenmakel frei geblieben ist, so bedeutet dies, daß dieselben auch die Erbschuld, die Wiederherstellung der Menschen durch Christus, das Evangelium, die Kirche und selbst das Gesetz des Duldens und Erleidens zugeben und annehmen müssen; damit haben aber die Völker alles, was mit dem ‚Rationalismus‘ und dem ‚Materialismus‘ zusammenhängt, völlig beseitigt und abgeschüttelt, und es bleibt der Vorzug der christlichen Weisheit bestehen: Wächterin und Verteidigerin der Wahrheit zu sein.“

Die allerseligste Jungfrau zerstört zugleich alle Irrtümer über die Kirche. Sie bestätigt deren Heiligkeit und Unfehlbarkeit, den Papst, das kirchliche Lehramt. Nur vier Jahre zuvor hat Papst Pius IX. die Unbefleckte Empfängnis zum Dogma erklärt. Unsere Liebe Frau von Lourdes stellt dieses Dogma in den Mittelpunkt ihrer Botschaft.

IV

Unsere Liebe Frau von Lourdes lehrt uns beten. Sie trägt den Rosenkranz an ihrem Arm und fordert die heilige Bernadette auf, ihren Rosenkranz zu beten. Die modernen Häresien zerstören das Gebet. Wenn es keinen Gott gibt oder keinen Kontakt mit ihm, dann hat das Gebet keinen Sinn. Der Philosoph der „Aufklärung“, Immanuel Kant, weigerte sich noch auf dem Sterbebett konstant, aber auch konsequent, zu beten. Das Gebet schafft unsere Verbindung mit dem transzendenten Gott, mit dem Reich der Übernatur. Die Kirche befindet sich darum in dauerndem Gebet. Der Rosenkranz ist die „Kette“ der Muttergottes, mit welcher sie uns an den Himmel bindet.

Der Rosenkranz ist die Waffe der Unbefleckten, mit welcher sie der alten Schlange den Kopf zertritt, alle Machenschaften des Teufels zunichte macht und alle Häresien der Welt überwindet. Es war das Gebet, das sie den heiligen Dominikus lehrte, um damit über die Häresie der Albigenser zu siegen. Es ist das Gebet, das sie auch uns lehrt, um die Häresien unserer Zeit zu besiegen.

Vergessen wir nicht die Buße. Unsere Liebe Frau von Lourdes mahnt zur Buße. Seit dem Sündenfall stehen wir unter dem „Gesetz des Duldens und Erleidens“, die Buße ist es, die unserem Gebet Kraft und Wirkung gibt. Durch Fasten und Gebet wird der Teufel ausgetrieben, wie der Heiland uns sagt, und wie Er es uns selber in seinem vierzigtägigen Fasten in der Wüste vorgemacht hat. Bereiten wir uns vor auf eine fruchtbare Fastenzeit, um mit Unserer Lieben Frau von Lourdes Teufel und Welt zu überwinden.