1. Gerne wird Dr. Martin Luther als Begründer der deutschen Sprache gefeiert, als erster deutscher Bibelübersetzer wie auch als Erfinder des deutschen Kirchenliedes. Daß all das ein Mythos ist, wird von ernsthaften Forschern heute kaum noch bestritten. Allerdings hat er es verstanden, die deutsche Sprache (bzw. die damalige chursächsische Kanzleisprache) in ganz eigener Weise seinen Zwecken dienstbar zu machen und mit ihrer Hilfe durch seine Bibelübersetzung und seine Kirchenlieder seinen „neuen Glauben“ geschickt auszubreiten.
2. In einem Artikel mit dem Titel „Ein neues Lied. Singen als Motor der Reformation“ schreibt Andreas Hilger, Luther habe im Jahr 1523 „an Georg Spalatin, den Privatsekretär und Bibliothekar seines Landesherren Friedrich II. von Sachsen“ geschrieben, „er wolle ‚nach dem Beispiel der Propheten und der alten Väter der Kirche deutsche Psalmen‘ schaffen, um ‚das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Leuten‘ zu halten“. „Verbunden mit dieser Mitteilung war die Einladung zur Teilnahme an einem solchen Projekt – ein Aufruf an geistige wie geistliche Verbündete, die sich für die Verbreitung des neuen Glaubens wie für die Vereinheitlichung der hochdeutschen Sprache einsetzen sollten.“
Bis „zu Luthers Zeiten“ sei der geistliche Gesang „lediglich den Priestern und dem Chor vorbehalten geblieben“, so unser Autor. „Das Basler Konzil hatte 1435 darüber hinaus verboten, im Gottesdienst Lieder in der Muttersprache zu singen. Diese Regel wirkte als weiteres Ausschlussverfahren, da die Gemeinde nun meist nicht einmal verstand, was sie mit ‚Halleluja‘ und ‚Amen‘ bekräftigen durfte – oder mit jenen kurzen deutschen Einwürfen, die ihren Namen – die Leisen – dem abschließenden ‚Kyrieleis‘ verdankten.“ Weiter: „Wenn Luther diesem exklusiven Gesetz nun ein demokratischeres Verständnis des Singens entgegensetzt, dann geht er in bewährter Manier hinter die von späteren Kirchenvätern gesetzten Regeln auf deren biblischen Grund zurück“, denn, wie Luther selber „in seiner Vorrede zum Wittenberger Chorgesangbuch 1524“ geschrieben habe: „Dass geistliche Lieder zu singen gut und Gott wohlgefällig ist, denke ich, sei keinem Christen verborgen, da doch jedem nicht nur das Beispiel der Propheten und Könige im Alten Testament (die mit Singen und Klingen, mit Dichten und allerlei Saitenspiel Gott gelobt haben) vertraut ist, sondern auch dieser Brauch selbst, besonders im Psalmengesang, der ganzen Christenheit von Anfang an bekannt ist.“
„Dass ‚Christus unser Lob und Gesang sei‘, ist in seiner Vereinnahmung der Leser also auch eine Abgrenzung von der Konvention, der er an gleichem Ort zudem mit Verweis auf Moses und Paulus entgegentritt. In dieser biblischen Ahnengalerie von Gesetz und Gnade sah sich der Autor, als er sich ans Werk machte, um die Liturgie der Messe dem veränderten Verständnis der Sakramente sowie der mündigeren Rolle der Gemeinde anzupassen – und zugleich neue Lieder für die neue Zeit zu schreiben und zu sammeln.“ Zugleich zeigt sich damit Luther selber als Ahn einer späteren „Reform“, als man ebenfalls daran ging, „die Liturgie der Messe dem veränderten Verständnis der Sakramente sowie der mündigeren Rolle der Gemeinde anzupassen – und zugleich neue Lieder für die neue Zeit zu schreiben und zu sammeln“.
3. Damit haben wir Grund genug, uns einen katholischen Blick auf das deutsche Kirchenlied zu gönnen, und wir schlagen wie immer unser gutes und bewährtes „Kirchenlexikon“ von Wetzer und Welte auf. In Band 7 finden wir den entsprechenden Artikel, und er beginnt nach gut katholischer Weise mit einer Definition. Deutsches Kirchenlied, heißt es dort, sei der „Inbegriff solcher geistlicher Gesänge in deutscher Sprache, welche geeignet sind, von der Gemeinde bei gottesdienstlichen Anlässen gesungen zu werden und für diesen Zweck von der kirchlichen Obrigkeit stillschweigend oder ausdrücklich gebilligt sind“ (Sp. 600). Das katholische Verständnis war halt nie „demokratisch“, sondern legte immer viel Wert auf die „kirchliche Obrigkeit“. Denn diese ist von Christus eingesetzt und vertritt Seine Stelle, kann uns also sagen, was wirklich christlich ist.
Doch weiter: „Das einzelne Lied ist entweder die Übersetzung eines in der offiziellen Sprache schon vorhandenen Kirchenliedes (Hymnus und Sequenz), welcher dann die alte Gesangsweise des gregorianischen Chorals, bisweilen auch eine neuerfundene Melodie unterlegt wird, oder das Kirchenlied ist eine neue, freie Dichtung mit eigener Melodie“ (ebd.). Diese Art von Gesang existierte bereits im Mittelalter. Das Lexikon berichtet: „In dem universalen Charakter der katholischen Kirche liegt es begründet, daß bei der Ausübung der Liturgie im Abendlande Eine Sprache, die lateinische, als Kultussprache herrschend wurde.“ „Katholisch“ bedeutet ja nichts anderes als „universal“. Die Kirche ist Eine für alle Völker, alle Länder, alle Menschen, alle Zeiten. Darum hat sie eine einheitliche Kirchensprache, und zwar die ihres Hauptes und ihrer Mutter, der römischen Kirche.
Wir hören weiter: „Da das Verständnis dieser Sprache den romanischen Völkern nahe liegt, so war bei diesen der Gemeinde die Möglichkeit geboten, am öffentlichen Kirchengesange sich zu beteiligen. Aus diesem Grunde entwickelte sich bei diesen Völkern weniger ein kirchlicher Volksgesang in der Landessprache.“ Man höre und staune: Das Volk hat sich „am öffentlichen Kirchengesange“ beteiligt! Und wir dachten, der geistliche Gesang sei bis „zu Luthers Zeiten“ „lediglich den Priestern und dem Chor vorbehalten geblieben“. „Die Glaubensboten, welche in Deutschland das Evangelium verkündigten, führten mit der römischen Liturgie auch den gregorianischen Choralgesang ein. Das Volk, welches durch Belehrung in den Geist der Liturgie eingeführt wurde, verhielt sich anfangs mehr zuhörend, während die Sänger, welche den lateinischen Choralgesang vorzutragen hatten, manche Schwierigkeiten überwinden mußten.“ Das Lexikon zitiert den berühmten Satz des Diakon Johannes, welcher berichtet: „Die widerspenstigen Stimmen der Deutschen brachten nur Töne hervor, welche dem Gepolter eines von der Höhe herunterrollenden Lastwagens ähnlich waren“ (Vita S. Gregorii c. 6). Man kann sich vorstellen, wie „erbaulich“ ein solcher Gesang geklungen haben mag.
„Allmählich lernten jedoch die Deutschen den lateinischen Gesang, und nachdem sie die Elemente christlichen Glaubens und christlicher Sitte in sich aufgenommen und mit ihrem ganzen Gemüte erfaßt hatten, fühlten sie den unwiderstehlichen Drang in sich, das, was sie im tiefsten Grunde des Herzens empfunden, im Gesange zum lebendigen, seelenvollen Ausdruck gelangen zu lassen“ (a.a.O. Sp. 601). Alles andere wäre wohl auch unnormal. „Karl der Große, der diesem Bedürfnisse des Volkes Rechnung tragen wollte, verordnete durch ein Capitular vom Jahre 789, daß das Volk die Doxologie Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto etc. singen und der Priester mit dem Volke in das Sanctus der Engel einstimmen solle. Ludwig II. wies im Jahre 856 dem Volke den Responsoriengesang zu.“ Das war schon recht „demokratisch“!
„Ob diese Verordnungen befolgt worden sind, ist nicht zu ermitteln“, fährt das „Kirchenlexikon“ fort, „wohl wissen wir, daß die beiden Worte ‚Kyrie eleis‘ es waren, welche in Ermangelung von Liedern in der Muttersprache vom Volke dazu benutzt wurden, seine religiösen Gefühle im Gesange kund zu geben. Auf den Silben dieser beiden Worte wurden lange ‚Jubilationen‘ gesungen, ähnlich wie auf dem Alleluja nach dem Graduale.“ Auf ähnliche Weise sind übrigens die Sequenzen entstanden, die im Mittelalter sehr zahlreich waren und die wir teilweise heute noch in der Liturgie finden (z.B. ‚Stabat Mater‘ oder ‚Dies irae‘). „Nicht nur beim Gottesdienste (z.B. nach der Predigt) und bei Prozessionen, sondern auch außerhalb der Kirche, bei allen möglichen Veranlassungen bediente man sich dieses Rufes. Vielfach artete er jedoch in einen unverständlichen Jubel aus, so daß die Statuten von Salzburg vorschreiben mußten: ‚Das Volk soll lernen Kyrie eleison singen und zwar nicht so ungeschlacht wie bisher, sondern besser.‘“ Vermutlich war dieser Gesang allzu sehr dem Jodeln ähnlich geraten, zumal in den Alpenländern.
3. Aus diesen Jubellauten entwickelten sich nun kirchliche Gesänge. „Nach der Mitte des 9. Jahrhunderts kam man auf den Gedanken, diesen volkstümlich gewordenen Kyrieleis-Melodien deutsche Texte unterzulegen, ähnlich wie Notker es mit seinen Sequenzen machte. Auf diese Weise entstanden die ersten deutschen Kirchengesänge, welche man, weil am Schlusse der Strophen das ‚Kyrieleis‘ beibehalten wurde, Leisen nannte.“ Das war jedenfalls lange vor Luther. „Das Kirchenlied gelangte zu dieser Zeit zu einer so bedeutenden Entwicklung, daß der Propst Gerhoch von Reichersberg (gest. 1169) schreiben konnte: ‚Das ganze Volk jubelt das Lob des Heilandes auch in Liedern der Volkssprache; am meisten ist dies unter den Deutschen der Fall, deren Sprache zu wohltönenden Liedern besonders geeignet ist‘“ (a.a.O. Sp. 602).
„Als im 13. Jahrhundert die deutsche Poesie in schönster Blüte prangte, und das Rittertum sich zum Träger einer besonderen Art von Gesängen, der ‚Minnelieder‘, gemacht hatte, entstanden auch mancherlei innig empfundene religiöse Poesien, namentlich Marienlieder, gingen aber ebenso wie die späteren Lieder der Meistersinger nur vereinzelt in den kirchlichen Gebrauch über. Auf den strophischen Bau des Kirchenliedes sind jedoch diese dichterischen Erzeugnisse nicht ohne Einfluß geblieben“ (ebd.). „Die Erweiterung der Liturgie durch neue Feste (Dreifaltigkeit, Fronleichnam), ferner das im 14. Jahrhundert immer mehr in Schwung kommende religiöse Schauspiel (Weihnachts-, Oster- und Passionsspiele, Marienklage) beförderten den geistlichen Volksgesang in der Muttersprache. Zwar war bei diesen Aufführungen anfangs die lateinische Sprache die herrschende, aber bald wurden dem Volke zuliebe deutsche Lieder eingeschaltet. Neue Bereicherungen erhielt das Kirchenlied aus den Übersetzungen lateinischer Hymnen, wie sie der Mönch von Salzburg im 14. Jahrhundert anfertigte…“ (a.a.O. Sp. 602 f) „Oft wurde in diesen Übersetzungen der lateinische Text neben den deutschen gesetzt … oder das Latein wurde mit Deutsch untermischt“ (a.a.O. Sp. 603), wie dies etwa bei „In dulci jubilo“ geschah, das wir heute noch kennen und singen.
„Im 15. Jahrhundert war die Erfindung der Buchdruckerkunst der Vervielfältigung und Verbreitung der Kirchenlieder sehr günstig, noch günstiger zu Anfang des 16. Jahrhunderts die Erfindung des Notendruckes mit beweglichen Typen. Viele Kirchenlieder erschienen jetzt im Druck auf einzelnen Blättern (…), sodann in Gebetbüchern (…), als Anhang zu Agenden und Plenarien, in weltlichen Liederbüchern und besonderen Sammlungen“ (a.a.O. Sp. 603 f). Das war die Situation, die Luther vorfand und sich zunutze machte.
4. Allerdings war der „lateinische gregorianische Choralgesang … während des ganzen Mittelalters auch in Deutschland der einzige liturgische Gesang der katholischen Kirche“ (Sp. 604). „Auf den Provinzial- und Diözesansynoden ist nur von diesem die Rede. Die Bischöfe wachten mit großer Sorgfalt über die Reinerhaltung desselben und suchten alles Fremdartige und Neue von ihm fernzuhalten. Die Synode von Eichstätt (1446) verbietet, im Hochamte die lateinischen Gesänge abzukürzen und Lieder in der Volkssprache einzuschieben. Das Baseler Konzil rügt in der 21. Sitzung (1435) den Mißbrauch, daß während des feierlichen Hochamtes Lieder in der Volkssprache gesungen würden. Ebenso wird untersagt, die vom Priester angestimmten lateinischen Gesänge nicht ganz auszusingen oder gar auszulassen. Eine Synode zu Schwerin (1492) bestimmt ebenfalls, daß alle lateinischen Meßgesänge den Beschlüssen der heiligen Canones gemäß von Anfang bis zu Ende ausgesungen werden sollen, ohne daß etwas ausgelassen, gekürzt oder beschnitten werde, und ohne daß die im Chor anwesenden Geistlichen ein anderes Responsorium oder ein Lied in der Volkssprache anstatt der genannten Gesänge sängen bzw. von der Orgel allein spielen ließen. Ähnlich lauten die Beschlüsse der Synode von Basel 1503 und Köln 1536“ (a.a.O. Sp. 604 f). Das ist das „exklusive Gesetz“ und „Ausschlussverfahren“, von welchem Hilger oben sprach. Dem hatte ja nach seiner Meinung Luther „ein demokratischeres Verständnis des Singens entgegensetzt“, indem er das Volk im Gottesdienst nicht zuletzt dank seiner deutschen Lieder mitsingen ließ.
Doch lesen wir weiter: „Neben diesem liturgischen Gesange kam aber auch das deutsche Lied in der Kirche selbst zur Geltung, nicht bloß bei den dramatischen Aufführungen, welche an den höchsten Festtagen innerhalb der Kirche stattfanden, sondern auch während des Gottesdienstes, und zwar in Verbindung mit den Sequenzen nach dem Graduale, dann beim Liede vor und nach der Predigt; selbstverständlich außerhalb der Kirche bei den Prozessionen und Bittfahrten“ (Sp. 605). Die Augsburger Synoden von 1567 und 1610 bestimmen: „Die alten katholischen Lieder in der Volkssprache, besonders diejenigen, welche unsere Vorfahren an größeren Festen gesungen haben, gestatten wir dem Volke und billigen es, daß sie in den Kirchen und bei Prozessionen gesungen werden“ (ebd.).
Das Kirchenlexikon stellt fest: „Luther fand also das deutsche Kirchenlied vor und ist nicht, wie irrtümlich angenommen wird, der Schöpfer oder Vater desselben“ (ebd.), was er übrigens selber auch nie behauptet hat. „Luther erhob nur den vor seiner Zeit mehr geduldeten außerliturgischen deutschen Kirchengesang allmählich zum liturgischen Gesang der lutherischen Gemeinden, ohne jedoch den lateinischen Gesang ganz abzuschaffen. Auch benutzte er das deutsche Kirchenlied als Mittel zur Verbreitung seiner Lehre. Die Augsburger Confession bemerkt in Bezug auf den letztern Punkt, es sei eine merkliche Änderung, daß an etlichen Orten deutsche Gesänge neben dem lateinischen Gesange in der Messe gesungen wurden, um damit das Volk zu lehren und zu üben“ (ebd.). Wie Hilger es ausdrückte, Luther hat sich ans Werk gemacht, „um die Liturgie der Messe dem veränderten Verständnis der Sakramente sowie der mündigeren Rolle der Gemeinde anzupassen – und zugleich neue Lieder für die neue Zeit zu schreiben und zu sammeln“.
5. Wie ging es nach der „Reformation“ mit dem katholischen Kirchenlied weiter? „Im Jahre 1524 erschienen zuerst protestantische Gesangbücher, und seitdem folgten neue rasch von Jahr zu Jahr. Bei der großen Sangeslust der damaligen Zeit kamen solche auch in die Hände vieler Katholiken, welche sich in die neue Lehre hineinsangen, ohne es zu wissen“ (ebd.). Das protestantische Kirchenlied hat viel dazu beigetragen, protestantisches Gedankengut in die katholische Kirche hineinzutragen. Die „Einheitslieder“ waren Vorläufer der Ökumenismus. „Deshalb sann man katholischerseits auf Gegenmittel; man sammelte alte und neue Lieder und setzte den lutherischen Gesangbüchern katholische zur Seite. Das erste katholische Gesangbuch erschien im Jahr 1537 und ist herausgegeben von dem Stiftspropste Michael Vehe in Halle“ (ebd.).
Vom Schlag der „Reformation“ konnte sich das Kirchenlied allerdings nicht mehr erholen. „Die Pflege der deutschen Sprache und Reimkunst, welche durch die schlesische Dichterschule ins Leben gerufen wurde, blieb nicht ohne Einfluß auf die Gestaltung des Kirchenliedes. Zwar behielten nach Corners Zeit die meisten Gesangbücher bis in das 18. Jahrhundert hinein einen Kern von alten Liedern bei, zu diesen gesellten sich aber mehr und mehr neue Lieder. Je zahlreicher diese wurden, desto weniger Platz gönnte man den alten Lieder. Friedrich von Spee publizierte in seiner ‚Trutznachtigall‘ und auch im ‚Güldenen Tugendbuch‘ 1649 eine Anzahl herrlicher Lieder, die aber mehr den Charakter subjektiver Empfindung als gemeinschaftlicher Erbauung tragen. Ähnlich verhält es sich mit den Liedern der ‚Heiligen Seelenlust‘ von Angelus Silesius, 1657“ (Sp. 607). Der Protestantismus hatte schon seine Spuren hinterlassen in der mehr subjektiven „devotio moderna“.
„Die Melodien des alten Kirchenliedes lehnten sich in ihrem Bau an den gregorianischen Choral an, aber schon in Corners großem Gesangbuche, 1631, und noch mehr in dessen ‚Geistlicher Nachtigall‘, 1649, macht sich eine Wendung durch Aufnahme von Melodien, ‚die etwas frisch und weltlich lauten‘, bemerkbar. Die Melodien zu den geistlichen Hirtenliedern des Angelus Silesius, 1657, von Georgius Josephus, werden in der Vorrede als ‚ausbündig schön‘ bezeichnet und die in den ‚Harpffen Davids‘, 1659, als ‚anziehend und angenehm‘. Je mehr man den Choralstil aufgab, desto mehr näherten sich die Melodien der galanten Schreibweise der figurierten Musik bzw. der Arie. Das Mainzer Gesangbuch, 1661, Brauns Echo, 1675, und das Münster‘sche Gesangbuch, 1677, weisen schon verbesserte Melodien und Texte auf“ (Sp. 608).
„Im 18. Jahrhundert erlebten noch viele ältere Gesangbücher veränderte und vermehrte Auflagen. … Sie enthalten das Beste, was in diesem Jahrhundert an Liedern hervorgebracht worden ist. … Um die Mitte des 18. Jahrhunderts trat plötzlich an verschiedenen Orten der vollständige Bruch mit der Tradition ein. Infolge der Richtung, welche die schlesische Dichterschule in der Poesie eingeschlagen hatte, erlitten die Kirchenlieder eine bedeutende Veränderung nach Sprache und Inhalt. Viele alte Lieder, als im Texte anstößig oder schlecht gereimt, wurden abgeschafft und neue an deren Stelle gesetzt“ (Sp. 609).
„An Gesangbüchern ist von jetzt ab kein Mangel, aber die meisten haben fade Texte und seichte Melodien. Kein Wunder! War doch längst die Instrumentalmusik, auf den neuen Tonarten Dur und Moll fußend, in die Kirche eingezogen und mit ihr die Form der Arien und des Menuetts. Wenn Messen im glänzenden Opernstil aufgeführt wurden, um so durch äußeren Prunk die innere Glaubenslosigkeit zu maskieren, wie konnte es da um den deutschen Kirchengesang anders stehen, namentlich als auch noch der Josephinismus mit dem Streben nach einer deutschen Nationalkirche seinen Einfluß geltend machte“ (Sp. 611).
6. „Als nach den Befreiungskriegen das Glaubensleben neu erwachte, machte sich unter dem Einflusse der romantischen Dichterschule auch auf dem Gebiete des katholischen Kirchenliedes eine Reaktion geltend. Man suchte zunächst das alte Erbe, die schönen, längst verklungenen Lieder der Vorzeit wieder auf. Auf katholischer Seite stand an der Spitze Clemens Brentano. Wie er durch seine, in Gemeinschaft mit Achim von Arnim herausgegebene Sammlung älterer (weltlicher und geistlicher) Volkslieder, genannt ‚Des Knaben Wunderhorn‘, das allgemeine Interesse für das alte Volkslied wieder wachzurufen suchte, so dichtete er auch selbst im alten Geiste seine geistlichen Lieder. Sie sind ‚kein modernes, christlich geschminktes Geklimper‘, sondern der vollendete Ausdruck eines tief religiösen Gemütes in echt lyrischer Sprachweise. Ihm schließen sich an Joseph Freiherr von Eichendorff, Guido Görres, Eduard von Schenk, Fürstbischof Melchior von Diepenbrock, Wilhelm Smets“ und viele andere (Sp. 612). „‚Im Allgemeinen‘, sagt Lindemann, ‚erscheint die neuere geistliche Dichtung noch zu subjektiv, nicht selten auch zu kraus und formlos, als daß sie den Weg zum echten Kirchenliede finden könnte‘“ (ebd.).
„Das Bestreben der neueren Zeit [Ende des 19. Jahrhunderts, als das Kirchenlexikon geschrieben wurde] geht überhaupt dahin, die alten kräftigen, an den lateinischen Choral sich anlehnenden Lieder unserer Vorfahren, welche den Glaubensinhalt mit einer so unbeschreiblichen Fülle und Kraft ausdrücken und die Seele so tief bewegen, wieder hervorzuholen. … Sowohl in Bezug auf den Text als auch die Melodie und Harmonie knüpft man an die Tradition wieder an und baut auf dem alten Fundamente weiter auf“ (Sp. 612 f). Parallel dazu verliefen die Bemühungen um Wiederherstellung des Gregorianischen Chorals, wobei sich die Benediktiner von Solesmes besonders hervortaten. In Deutschland war es der „Cäcilianismus“, benannt nach der heiligen Cäcilia, der Patronin der Kirchenmusik, welcher sich um die Restauration der Kirchenmusik bemühte. 1868 wurde in Bamberg der Allgemeine Cäcilien-Verband für Deutschland gegründet, der 1870 von Papst Pius IX. approbiert wurde. „Wikipedia“: „1870 erhielt er die Approbation durch Papst Pius IX. In dem Breve Multum ad movendos animos vom 16. Dezember 1870 ist nicht nur der Name des Verbandes festgelegt – Associatio sub titulo Sanctae Caeciliae pro universis Germanicae linguis Terris (‚Allgemeiner Cäcilien-Verband für die Länder der deutschen Sprache‘) –, sondern auch seine internationale Zusammensetzung und seine kirchenrechtliche Stellung. Diese päpstliche Approbation wurde durch die Bestellung von Kardinalprotektoren ergänzt, die eine Aufsichts- und Vermittlerfunktion zwischen Verband und dem Heilgen Stuhl einnahmen.“
Am Fest der heiligen Cäcilia, dem 22. November 1903, veröffentlichte der heilige Papst Pius X. sein „Gesetzbuch der Kirchenmusik“, das Motu proprio „Tra le Sollecitudini“. Darin stellt der heilige Papst folgenden Grundsatz auf: „Die Kirchenmusik muss in höchstem Maße die besonderen Eigenschaften der Liturgie besitzen, nämlich die Heiligkeit und die Güte der Form; daraus erwächst von selbst ein weiteres Merkmal, die Allgemeinheit. Diese Eigenschaften finden sich in höchstem Maße im Gregorianischen Choral, besitzt in vorzüglichem Maße auch die klassische Polyphonie. Eine Kirchenkomposition ist um so heiliger und liturgischer, je mehr sie sich in Verlauf, Eingebung und Geschmack der gregorianischen Melodik nähert; und sie ist umso weniger des Gotteshauses würdig, als sie sich von diesem höchsten Vorbild entfernt.“ Er fordert die Wiederherstellung des Gregorianischen Chorals, insbesondere seine Wiedereinführung in den Kirchen und Basiliken und „beim Volk“. Kirchenkomponisten sollen sich den Gregoriansichen Choral als Muster und Vorbild nehmen, als „ungeeignet empfand der Papst den italienischen Opernstil jener Zeit und einen weltlich modernen Stil“ (Wikipedia). „Er verband nun die Elemente der Kirchenmusik an die Anforderungen der Liturgie, die Kirchensprache sei lateinisch und deshalb verbiete sich im Gottesdienst der Gesang in der Volkssprache“ (ebd.).
7. Leider gerieten all diese positiven Ansätze und Wegweisungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits wieder auf Abwege, als die „Liturgische Bewegung“ sich ihrer annahm, allerdings mehr im Sinne Luthers mit seinem „veränderten Verständnis der Sakramente sowie der mündigeren Rolle der Gemeinde“, und sie schließlich zu den falschen „Reformen“ des „II. Vatikanums“ führte. Doch das soll hier nicht unser Thema sein, wenden wir uns vielmehr noch einmal der „liturgischen Stellung des katholischen deutschen Kirchenlieds nach der Reformation“ zu, wie das „Kirchenlexikon“ sie uns darstellt. „Infolge der Reformation nahm auf katholischer Seite das deutsche Kirchenlied einen großartigen Aufschwung“, heißt es dort (Sp. 613), „den immer zahlreicher erscheinenden protestantischen Gesangbüchern wurden katholische zur Seite gestellt. Die liturgische Stellung des alten gregorianischen Kirchengesangs wurde aber dadurch nicht alteriert. Die katholische Kirche Deutschlands hielt auch nach der Reformation am hergebrachten lateinischen Choralgesang fest; dieser blieb der offizielle liturgische Kirchengesang“ (ebd.). An dieser Tradition hat sich also nie etwas geändert, weshalb sie auch als unveränderlich anzusehen ist.
„Dagegen wurde das deutsche Kirchenlied in einzelnen Diözesen (z.B. Mainz, Münster) in einem größeren Umfange, als es bisher üblich gewesen war, zum Hauptgottesdienste zugelassen, jedoch ohne Beeinträchtigung des lateinischen Choralgesanges. Beim Offertorium, nach der Wandlung und während der Spendung der Kommunion ließ sich ein deutsches Lied einschieben, ohne daß vom lateinischen Gesang etwas wegfiel. Wenn einzelne Bischöfe es gestatteten, anstatt des lateinischen Chorals deutsche Lieder zu singen, so geschah das notgedrungen mit Rücksicht auf den Mangel an Sängern, namentlich auf dem Lande; andererseits mag es eine Konzession gewesen sein für Gegenden mit gemischter Konfession, um denen, die zur katholischen Kirche zurückkehren wollten und ‚zuvor des verführerischen Singens gewohnt gewesen‘, den Rücktritt nicht zu erschweren. Nahm so das deutsche Kirchenlied im liturgischen Gottesdienste, für welchen die Kirche den lateinischen Choral vorgeschrieben hat, nur eine exzeptionelle Stellung ein, so konnte es sich desto freier und selbständiger entfalten im außerliturgischen Gottesdienste, im Leseamte, bei der Predigt und Christenlehre, bei Bruderschaftsandachten, Prozessionen und allen kirchlichen Übungen, die nicht streng zur Liturgie gehören“ (ebd.).
„So blieb es bis in das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts hinein, als die sogen. deutschen Singmessen aufkamen. Der Rationalismus und Josephinismus, die alles verdeutschen wollten, führten auch die deutschen Singmessen ins Hochamt ein. Werkmeister sagt in der Vorrede seines Gesangbuches zum Gebrauch der württembergischen Hofkapelle 1784, daß in der dortigen Gegend außer bei der Predigt und Christenlehre vom deutschen Kirchengesang wenig Gebrauch sei gemacht worden. In Domstiften, Klöstern und Städten habe man Choral- und Figuralmusik, nur auf dem Lande könne man während der heiligen Messe deutsche Lieder hören; nachdem aber der Geist der Aufklärung tiefer in die katholischen Provinzen Deutschlands eingedrungen sei, habe man mehr Geschmack an den deutschen Gesängen gefunden. Die Nation habe den Mangel einer deutschen Liturgie nie so sehr gefühlt als jetzt; diese ließe sich aber schwerlich einführen: nicht weil die Sache untunlich, sondern weil sie neu sei; man solle sich deshalb um so eifriger auf deutsche Gesänge verlegen, weil diese althergebracht seien. In Bayern, Salzburg, Österreich, am Rhein usw. seien diesbezügliche Versuche mit großem Beifall aufgenommen worden“ (Sp. 613 f). Auch hier zeigt sich die „Liturgische Bewegung“ als legitime Nachfolgerin im rationalistisch-josephinistischen Erbe. Auch sie zielte auf eine volkssprachliche Liturgie und verwendete dazu die bereits eingeführten deutschen Gesänge.
„Einzelne Bischöfe, wie z.B. der Mainzer Erzbischof Karl Joseph, erließen den Befehl, daß während des Hochamtes nur deutsche Lieder gesungen werden sollten. In neuerer Zeit hat der ‚Allgemeine deutsche Cäcilienverein‘ auch die Reform des deutschen Kirchenliedes in den Bereich seiner Tätigkeit gezogen und sucht zunächst den durch den Rationalismus in Schwung gebrachten deutschen Volksgesang während des Hochamtes in seiner frühere richtige Stellung wieder zurückzuweisen. Diese läßt sich kurz mit folgenden Worten bezeichnen: Der deutsche Volksgesang ist nicht berechtigt in dem Gottesdienste, für welchen die Kirche die lateinische Liturgie vorgeschrieben hat, also im Hochamte, in der Vesper, in der Komplet. Zulässig ist er nach alter Gewohnheit vor und nach der Predigt und Christenlehre, bei sogen. Stillen Messen, bei deutschen Nachmittags- und Abendandachten, Prozessionen, überhaupt da, wo die Kirche den lateinischen Gesang nicht vorgeschrieben hat“ (Sp. 614). So ist und bleibt die Regel. Aber keine Regel ohne Ausnahme.
8. Am 10. April des Jahres 1943 richtete der damalige Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Bertram von Breslau, ein Schreiben an den Heiligen Stuhl. Darin befand sich unter anderem die Bitte, verschiedene Meßformen mit Volksgesang zu gestatten, welche durch die „Liturgische Bewegung“ in Deutschland Verbreitung gefunden hatten. In der Antwort von Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione vom 24. Dezember 1943 heißt es: „Was aber die verschiedenen Formen betrifft, an der Meßfeier teilzunehmen, von denen im Brief vom 10. April d.J. die Rede ist, haben dieselben Kardinäle es für richtig erachtet, kraft ihrer Vollmacht zu beschließen, daß sowohl der Brauch der ‚Missa lecta in Anwesenheit von Gläubigen, die den Text z.T. in deutscher Sprache mitsprechen (übliche Bezeichnung: Gemeinschaftsmesse), als auch der Missa lecta, an der die Gläubigen teilnehmen, indem sie passende Gebete und Kirchenlieder in deutscher Sprache vortragen‘ (übliche Bezeichnung: Bet-Sing-Messe) dem klugen Urteil der Ortsordinarien überlassen werden soll. Ebenso haben die Väter, unter Berücksichtigung dessen, was Du selbst über die ‚Missa cantata, verbunden mit Volksgesang in deutscher Sprache‘ (übliche Bezeichnung: deutsches Hochamt) geschrieben hast, dem Ansuchen dieser Bischöfe stattgegeben, und zwar dahingehend, daß ‚diese dritte Form, die in Deutschland schon seit mehreren Jahrhunderten blüht, mit größtem Wohlwollen geduldet wird‘“ (zitiert nach: Dokumente zur Kirchenmusik unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebietes, hrsg. von Hans Bernhard Meyer und Rudolf Pacik, Regensburg 1981).
Definitiv neu sind hier die „Gemeinschaftsmesse“ und die „Bet-Sing-Messe“. Derlei hat es, wie wir im geschichtlichen Überblick gesehen haben, vor dem 20. Jahrhundert nicht gegeben, weshalb die römische Kongregation die Entscheidung darüber auch lieber „dem klugen Urteil der Ortsordinarien“ überläßt. Lediglich der Gesang deutscher Kirchenlieder „bei sogen. Stillen Messen“ war üblich und zulässig. Das „deutsche Hochamt“ ist uns jedoch in der frühen nach-„reformatorischen“ Zeit bereits begegnet: „Wenn einzelne Bischöfe es gestatteten, anstatt des lateinischen Chorals deutsche Lieder zu singen, so geschah das notgedrungen mit Rücksicht auf den Mangel an Sängern, namentlich auf dem Lande; andererseits mag es eine Konzession gewesen sein für Gegenden mit gemischter Konfession, um denen, die zur katholischen Kirche zurückkehren wollten und ‚zuvor des verführerischen Singens gewohnt gewesen‘, den Rücktritt nicht zu erschweren.“ Das ist wohl gemeint, wenn es heißt, daß diese Form „in Deutschland schon seit mehreren Jahrhunderten blüht“. In der Zeit der Aufklärung und durch den Josephinismus fand diese Praxis jedoch eine ungebührliche Ausdehnung in der Absicht, allmählich eine „deutsche Liturgie“ einzuführen. In diesem Sinn hat auch die „Liturgische Bewegung“ diese Meßform neben der „Gemeinschaftsmesse“ und der „Bet-Sing-Messe“ bevorzugt.
Dr. Ferdinand Haberl macht in einer kleinen Schrift mit dem Titel: „Das deutsche Amt und die Enzyklika Musicae Sacrae Disciplina“, erschienen in Regensburg 1956, demgegenüber darauf aufmerksam, daß es sich bei der Erlaubnis Roms um einen Indult handelt, der keineswegs auf eine Ersetzung des Lateins in der Liturgie durch die Volkssprache hinauswill. Dr. Haberl stellt dazu folgende Gesichtspunkte auf: „1. Das deutsche Hochamt - besser »deutsches Liederamt« zu nennen - besteht darin, daß das Volk während einer missa cantata solche deutsche Lieder singt, die es seit frühester Jugend zu singen gewohnt ist, also bereits allgemein bekannte und verbreitete Lieder. Der volkssprachliche Gesang ist also nicht erst durch Einführung eines deutschen Liederamtes anzukurbeln.“ Der Sinn bestand ja gerade darin, den Gläubigen mangels Vorhandenseins geeigneter Sänger die singende Teilnahme an der Messe zu ermöglichen, indem man es seine gewohnten Lieder singen ließ. „2. Es ist nur dort erlaubt, wo es bereits seit Jahrhunderten in Übung ist. Das Gesuch erbittet nur die weitere Erlaubnis für jene Gegenden, in denen dieser Brauch schon seit Jahrhunderten toleriert ist.“ Es geht nicht darum, neue liturgische Formen einzuführen, sondern das Gewohnte fortführen zu können. Daraus ergibt sich: „3. Die Erlaubnis des deutschen Liederamtes kann nicht auf jene Diözesen und Gegenden ausgedehnt werden, die nicht schon seit Jahrhunderten die Erlaubnis für diese Praxis besitzen.“ Außerdem: „4. Von einem gesanglichen Vortrag einer deutschen Übersetzung des Ordinariums oder des Propriums ist weder im Gesuch noch im Antwortschreiben die Rede. Das Gesuch erbittet sogar ausdrücklich die Beschränkung der Erlaubnis auf bereits allgemein verbreitete und seit frühester Kindheit liebgewonnene Lieder.“ Der Versuch der „Liturgischen Bewegung“, damit eine „deutsche Liturgie“ ins Werk zu setzen, muß als Mißbrauch angesehen werden.
Zwei weitere zu beachtende Punkte: „5. Das Gesuch bezieht sich nur auf den Volksgesang. Die Erlaubnis kann nicht auch auf den Chorgesang ausgedehnt werden.“ Und: „6. Das erbittet die Erlaubnis des deutschen Liederamtes nur für den sonntäglichen Pfarrgottesdienst. Auch abgesehen davon, daß die neue Kirchenmusik-Enzyklika die eigenmächtige Ausdehnung der Erlaubnis auf ähnliche Verhältnisse verbietet (III), nimmt das Antwortschreiben deutlichen Bezug auf die vorgetragene Bitte, so daß das deutsche Liederamt dort, wo es gestattet ist, nur als sonntäglicher Pfarrgottesdienst gefeiert werden darf.“ Noch einmal: Der Sinn der Maßnahme ist der, dem sonntäglichen Pfarrgottesdienst in Gegenden, wo geschulte Sänger für den Choral fehlen, größere Feierlichkeit zu geben, indem die Messe als gesungenes Amt gehalten wird, wobei an der Stelle des Gregorianischen Chorals für das Ordinarium (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei) deutsche Volksgesänge treten, welche die Gläubigen bereits kennen und leicht singen können. Jeder, der bereits Gemeinden erleben durfte, die sich im Singen des Gregorianischen Chorals sehr schwer tun, wird diese Nachsicht verstehen; es hat wirklich nichts Erhebendes und Andachtsförderndes, wenn ein paar rohe Stimmen sich mühsam durch eine Choralmesse quälen.
Das Heilige Offizium hat am 16. März 1955 einige einschränkende Bestimmungen erlassen, um den Mißbrauch des „Liederamts“ zur Einführung einer deutschen Liturgie zu verhindern. Diese Einschränkungen sind folgende: „1. Das deutsche Liederamt ist verboten bei allen Pontifikalämtern, Levitenämtern, Ämtern in Seminarien, Konventämtern, Kathedralskapitelämtern und Kollegiatsämtern.“ Das ergibt sich logisch aus dem Sinn dieses Indults. „2. Bei jedem deutschen Liederamt muß das Proprium immer in lateinischer Sprache gesungen werden, während Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus mit Benedictus, Agnus Dei in deutscher Paraphrase, also nicht in deutscher Übersetzung, vom Volk gesungen werden dürfen.“ Der deutsche Volksgesang ist eben kein gleichwertiges Äquivalent zum lateinischen Choral. Er ist kein eigentlicher liturgischer Gesang und kann diesen daher nicht ersetzen; er kann nur die Feierlichkeit erhöhen, indem er dort eintritt, wo sonst der liturgische Gesang seinen Platz hätte.
9. Im Fazit stellen wir fest, daß Luther das Kirchenlied nicht erfunden hat, daß er es jedoch geschickt für seine Zwecke zu nutzen verstand und damit auch im katholischen Raum einiges in Bewegung brachte, was sich bis hin zu den „liturgischen Reformen“ des 20. Jahrhunderts auswirkte. Es war einer der Wege, auf welchem der Protestantismus der Kirche großen Schaden zugefügt hat.