und worauf es dabei heute besonders ankommt
Spricht man heute mit jemandem über den Glauben, so muß man feststellen, die allermeisten Zeitgenossen haben keinen klaren Begriff mehr davon, was Glaube eigentlich, seinem Wesen nach ist. Der Grund für diese Unwissenheit ist wohl großteils in einer falschen Auffassung von Wissenschaft oder genauer gesagt, den sog. exakten Wissenschaften zu finden. Exakt, sicher, zuverlässig sind für den modernen Menschen ausschließlich jene Wissenschaften, welche es mit meßbaren, wägbaren, durch wissenschaftliche Experimente nachvollziehbaren Sachverhalten zu tun haben, also die sog. Naturwissenschaften. Alle anderen Wissenschaften könnten dagegen nur „Meinungen“ wiedergeben. Hinter dieser Ansicht steckt die irrige Philosophie des Agnostizismus, nach der wir Menschen das eigentliche Wesen der Dinge nicht erkennen können, weshalb uns die Wahrheit der Dinge für immer verschlossen bleibt. Die Folge davon ist wiederum: Jede unserer Einsichten ist immer nur augenblickshaft, alle Erkenntnis ist und bleibt immer vorläufig, ist eine bloße Hypothese. Damit wird „Erkenntnis“ unbemerkt von den meisten zu einem Evolutionsprozeß umgeformt, weshalb sich der Zeitgenosse auch einbildet, er wüßte selbstverständlich heute weit mehr als jemand in der Vergangenheit – ganz besonders als im finsteren Mittelalter.
Daß man angesichts der Geistesriesen der Vergangenheit einem denkfähigen Menschen überhaupt so etwas einreden kann, setzt voraus, daß der Blick der Masse schon lange allein auf das Gebiet der Technik eingeengt ist. Denn nur in diesem Bereich gab und gibt es die letzten zwei Jahrhunderte Fortschritte. Wobei man sich aber selbst auch hier die Frage stellen kann, ob es einen wirklichen oder doch nur vermeintlichen Fortschritt darstellt, wenn die Menschheit nunmehr fähig ist, sich nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals per Knopfdruck vollkommen auszulöschen.
Jedenfalls hat sich das Denken der Mehrheit gemäß dem philosophischen Agnostizismus in den letzten zwei Jahrhunderten radikal verkehrt, und die Einbildung, mehr zu wissen als die früheren Menschen, hat die meisten blind gemacht für den wahren Sachverhalt, daß das meiste Wissen der Zeitgenossen letztlich nur eingebildetes Wissen ist. Denn wer hat schon selbst sein vermeintliches Wissen überprüft? Wer hat selber die notwendigen Experimente gemacht – außer den wenigen im Physik- oder Chemieunterricht während seiner Schulzeit? So ist also der Großteil des Wissens des modernen Menschen ein allein durch andere vermitteltes Wissen – was nichts anderes ist als Glaube! Dabei beruht dieser Glaube – was fast irrsinnig ist – auf dem Vertrauen auf die modernen Wissenschaften und Medien! Fast keiner hinterfragt die Berechtigung dieses Vertrauens, keiner bekommt Zweifel, ob das Gesagte wirklich zuverlässig ist, geschweige denn, ob es wahr ist. Dabei könnte jeder leicht einsehen, daß der moderne Wissenschaftsbetrieb alles andere als vorurteilsfrei ist. In vielen Bereichen dieser Wissenschaften werden etwa allgemein anerkannte Ausschlußverfahren verwendet, mit denen unpassende oder auch ungewollte Ergebnisse spielend eliminiert werden können. Dieses Verfahren ist also nicht auf die Wahrheit ausgerichtet, sondern auf die durch die Ideologie vorgegebenen Vor-urteile.
Mit dieser im Telegrammstil gemachten Erwägung sind wir nun schon einen Schritt weiter gekommen: Es ist sicher, der Großteil unseres „Wissens“ ist nicht durch eigene Einsicht, sondern aufgrund von Glauben erworben. Jeder Glaube hat nun einen doppelten Aspekt: Im Akt des Glaubens wird etwas geglaubt aufgrund des Zeugnisses von jemandem. Dabei befindet sich dieses Etwas notwendigerweise außerhalb unseres eigenen Erfahrungswissens. Wenn mir etwa jemand von einem Unglück erzählt, dann werde ich, insofern ich selbst dieses Unglück miterlebt habe, diesem sagen: „Das glaube ich Dir nicht nur, das habe ich sogar selbst gesehen, denn ich war dabei.“ Wir können somit präzisieren: Beim Glauben handelt es sich um einen von jemand anderem bezeugten Sachverhalt, der einem selbst nicht bekannt ist.
Die Schlüsselstelle jedes Glaubens ist der Zeuge. Wer jedem alles glaubt, der ist leichtgläubig. Leichtgläubigkeit kann sehr gefährlich werden, wenn man etwa einem Betrüger begegnet. Der moderne Mensch ist viel leichtgläubiger als er sich einbildet. Der heutige Durchschnittsbürger etwa glaubt blauäugig alles, was ihm die Medien vor Augen stellen, ohne je zu bedenken, daß hinter all diesen Informationen, all diesen Berichten, ja selbst hinter der Unterhaltung ein Jemand steckt, der natürlich mit seinem Programm, seinen ausgewählten Informationen und Berichten bestimmte Absichten und Ziele verfolgt.
Man muß nicht besonders intelligent sein, um herauszufinden, daß es in den Medien zunächst einmal um sehr viel Geld geht und damit verbunden natürlich um viel Macht, bzw. ganz konkrete Machtinteressen. Kann man aber jemandem, dem es um sehr viel Geld geht und der ein diesem entsprechendes Machtinteresse hat, blindlings einfach Vertrauen schenken? In Deutschland kommt seit einigen Jahren noch ein Kuriosum hinzu: Der Bürger muß – ob er es will oder nicht, ob er einen Radio oder Fernseher hat oder nicht – seine Desinformation selber bezahlen. Das ist offensichtlich die neue Meinungsfreiheit der modernen Demokratie oder vielmehr die Diskriminierung einer Minderheit von Menschen, die im mehr und mehr um sich greifenden Wahnsinn sich die Fähigkeit bewahrt haben, sich selbst zu beschäftigen und selber zu denken.
In der alten Zeit – besonders im „finsteren Mittelalter“ – sprach man nicht nur von der Freiheit der Wissenschaften, man bemühte sich, diese zu verwirklichen. Damit war natürlich nicht der moderne Unsinn gemeint, daß jeder denken und sagen und schreiben kann und darf, was ihm beliebt – das wäre ja die Freiheit der Dummköpfe! – sondern, daß die Wissenschaften frei sein müssen von äußerem Zwang, von all den die Wahrheit hindernden Fremdinteressen. Dem wahren Wissenschaftler soll es allein um die Wahrheit gehen, deswegen soll er allzeit ungehindert die Wahrheit sagen können, denn allein Wahrheit verbürgt Wirklichkeit. Allein die klar erkannte Wahrheit schützt vor Illusion und vor Täuschung durch sich selbst oder andere!
Sobald man sich dies in Erinnerung ruft, leuchtet einem die umfassende Möglichkeit der Manipulation durch die modernen Medien schlagartig ein. Denn Information in Wort und Bild suggeriert dem Medienkonsumenten einen Sachverhalt, der jedoch in keiner Weise abgesichert ist: Ich selbst war dabei! Ich habe es ja im Fernsehen gesehen und gehört! Wenn der Fernsehzuschauer nüchtern und vernünftig denken würde, so müßte er sich ständig vor Augen halten: Im Grunde weiß ich doch gar nicht, was wirklich geschehen ist. Alle Berichte könnten genausogut in Studios gedreht oder mit Computern nach Belieben verändert worden sein. Bei den modernen technischen Möglichkeiten kann letztlich keiner mehr sicher unterscheiden, was echt ist und was gefälscht, also kann ich auch aufgrund der Fernsehbilder gar nicht sagen, was wirklich geschehen ist – außer ich glaube, was ich gesehen habe und dieser Glaube ist ziemlich blind.
Hiermit wird greifbar, wie sensibel „Glaube“ ist. Wir sagten schon: Die Nahtstelle des Glaubens ist der „Jemand“, dem man Glauben schenkt. Dieser „Jemand“ hat beim menschlichen Glauben zwei Schwachstellen: Ein Mensch kann sich jederzeit irren oder er kann auch den Glaubenden bewußt täuschen, er kann lügen. Darum darf man einem Menschen niemals einen absoluten Glauben schenken. In diesem Sinne ist und bleibt der Glaube immer bedingt.
Anderseits setzt der echte Glaube immer schon ein Vertrauensverhältnis voraus, sobald man jemandem wirklich glaubt, gibt es keinen Zweifel mehr. Aus diesem Grund ist ein Vertrauensmißbrauch bezüglich des Glaubens auch so schwerwiegend. Dieser kann mit einem Schlag eine ganze Seelenwelt zerstören! Darum würde ein wahrhaftiger Zeuge, sobald er einen Irrtum seinerseits erkennen würde, diesen auch sofort korrigieren. Dagegen wird ein Ideologe alles tun, um seine Ideologie auch dann noch zu verteidigen, wenn sie als solche durchschaut wurde, weil die Widersprüche offenbar geworden sind. Ein Ideologe ist jederzeit bereit zu manipulieren, zu verschweigen, zu entstellen, wenn es nur der eigenen Ideologe nützt, denn dem Ideologen geht es niemals um die Wahrheit.
Grundsätzlich muß man darum als Folge des Gesagten festhalten: Es ist vollkommen naiv, jemanden zu glauben, den man nicht gut kennt. Das gilt heutzutage noch viel mehr als in früheren Zeiten. Denn früher war doch wenigstens die Auskunft der öffentlichen Meinung einigermaßen zuverlässig, wenn es darum ging, einen Fachmann auszuweisen. Heutzutage kann man sich auf die öffentliche Meinung kaum mehr stützen.
Nachdem wir den natürlichen Glauben dargelegt haben, können wir uns dem religiösen Glauben zuwenden. Hier ist die Verwirrung noch größer als beim natürlichen Glauben. Die meisten Zeitgenossen denken, der religiöse Glaube habe mit der Vernunft nichts zu tun. Auf der einen Seite stehe die Wissenschaft, auf der anderen der religiöse Glaube. Wenn beide sich an ihre je eigenen Sachgebiete und Methoden halten, so gebe es auch keinen Konflikt zwischen Wissen und Glauben, so die gängige Meinung. Diese Ansicht ist jedoch eine bloße Halbwahrheit und als solche besonders gefährlich. Denn es gibt durchaus Fragen, in denen sowohl der Glaube als auch die Wissenschaft Antworten geben – und zwar verschiedene oder auch vollkommen widersprechende Antworten. Wem soll ich aber dann glauben? Dem Wissenschaftler oder dem Prediger? Heute ziehen selbstverständlich die allermeisten den Wissenschaftler vor, was bei den heutigen Predigern auch gar nicht so verwunderlich ist.
Wie ist es nun wirklich? Hat der religiöse Glaube mit Wissen wirklich nichts zu tun? Wenn wir im vorherigen Abschnitt den Akt des Glaubens recht verstanden haben, werden wir zumindest eine Antwort ahnen. Glaube heißt immer jemandem etwas glauben, so haben wir allgemein festgestellt. Damit ich aber im religiösen Glauben etwas glauben kann, muß zuvor feststehen, muß im Voraus erkannt sein, daß es einen Jemand – nämlich Gott – gibt, dem ich Glauben schenken soll. Der Glaube setzt somit die Erkenntnis der Existenz eines Gottes voraus. Nur wenn es wirklichen einen Gott gibt, kann dieser auch mit mir reden und als Folge davon von mir Glauben fordern.
Nun hat die hl. Kirche immer daran festgehalten und gelehrt, daß es möglich ist, Gottes Existenz aus den geschaffenen Dingen zu erkennen. Gerade die Leugnung dieser Möglichkeit ist ein Kennzeichen der modernen irrigen Philosophien, die zur Grundlage des Modernismus wurden. Das Vatikanische Konzil lehrte: „Dieselbe heilige Mutter Kirche hält fest und lehrt, daß Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der menschlichen Vernunft aus den geschaffenen Dingen gewiß erkannt werden kann; ‚das Unsichtbare an ihm wird nämlich seit der Erschaffung der Welt durch das, was gemacht ist, mit der Vernunft geschaut‘ [Röm1,20]: jedoch hat es seiner Weisheit und Güte gefallen, auf einem anderen, und zwar übernatürlichen Wege sich selbst und die ewigen Ratschlüsse seines Willens dem Menschengeschlecht zu offenbaren, wie der Apostel sagt: ‚Oftmals und auf vielfache Weise hat Gott einst zu den Vätern in den Propheten gesprochen: zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns gesprochen in seinem Sohn‘ [Hebr 1,1f; Kan. 1]“ (DH 3004).
Der Gott, der auf natürliche Weise als Schöpfer aller Dinge von jedem erkannt werden kann, offenbart sich uns aber nicht nur in den sichtbaren Dingen, sondern es gefiel IHM zudem noch auf einem anderen „und zwar übernatürlichen Wege sich selbst und die ewigen Ratschlüsse seines Willens dem Menschengeschlecht zu offenbaren, wie der Apostel sagt: ‚Oftmals und auf vielfache Weise hat Gott einst zu den Vätern in den Propheten gesprochen: zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns gesprochen in seinem Sohn‘“.
Also auch im religiösen, ja übernatürlichen Glauben haben wir einen Jemand, der zu uns spricht und Glauben von uns fordert. Dieser „Jemand“ unterscheidet sich jedoch wesentlich von einem menschlichen Zeugen. Während, wie angeführt, ein menschlicher Zeuge sich irren und auch lügen kann, ist beides bei Gott ausgeschlossen. Ersteres widerspricht Seiner Allwissenheit, zweiteres Seiner vollkommen Wahrhaftigkeit und Heiligkeit. Somit ist allein Gott der Glaube im vollen Sinne des Wortes zu leisten. Alles, was Er uns sagt, muß wahr sein, muß Wirklichkeit benennen.
Aber wie weiß ich eigentlich, daß Gott mit mir redet, ist doch Gott seinem Wesen nach vollkommener Geist und somit unsichtbar? Wenn ich eine Stimme hörte, die zu mir sagte: „Ich bin Dein Gott!“ – woher wüßte ich, daß dies wahr ist? Könnte die Stimme nicht auch eine Einbildung meiner Phantasie sein oder die Stimme des Teufels, der sich als Engel des Lichts ausgibt?
Es kommt noch etwas Weiteres hinzu, das man bedenken muß: Das Reden Gottes zu uns ist auch inhaltlich verschieden vom menschlichen Reden. Ein Mensch kann mir, wenigstens im Rahmen der Vernunft, nichts sagen, was ich nicht auch selbst verstehen könnte. Wenn mir darum eine Rede absurd erschiene, würde ich sicherlich auch nicht glauben, was mir gesagt wurde. Das Gesagte muß vernünftig sein, es muß im Rahmen der Vernunft begreifbar sein.
Anders ist es mit der Rede Gottes. Die göttlichen Offenbarungen übersteigen unseren menschlichen Verstand und bleiben auch nach der Offenbarung für uns Geheimnis, wie ebenfalls das Vatikanische Konzil lehrt: „Zwar ist es dieser göttlichen Offenbarung zuzuschreiben, daß das, was an den göttlichen Dingen der menschlichen Vernunft an sich nicht unzugänglich ist, auch bei der gegenwärtigen Verfaßtheit des Menschengeschlechtes von allen ohne Schwierigkeit, mit sicherer Gewißheit und ohne Beimischung eines Irrtums erkannt werden kann. Jedoch ist die Offenbarung nicht aus diesem Grund unbedingt notwendig zu nennen, sondern weil Gott aufgrund seiner unendlichen Güte den Menschen auf ein übernatürliches Ziel hinordnete, nämlich an den göttlichen Gütern teilzuhaben, die das Erkenntnisvermögen des menschlichen Geistes völlig übersteigen; denn ‚kein Auge hat gesehen, kein Ohr hat gehört, noch ist in das Herz eines Menschen gedrungen, was Gott denenbereitet hat, die ihn lieben‘ [1 Kor 2,9; Kan. 2 und 3]“ (DH 3005).
Hieraus wird ersichtlich, daß zum übernatürlichen Glauben eine besondere Gnadenhilfe notwendig ist und der Glaube selber Gnade, eine von Gott eingegossene Tugend ist. Das von Gott geschenkte Glaubenslicht hilft uns, das unsere menschliche Vernunft übersteigende Geheimnis festzuhalten und auch soweit zu verstehen, daß wir es aus dem Glauben heraus leben können, womit wir das durch den Glauben geoffenbarte übernatürliche Ziel zu erreichen imstande sind.
Sobald man diesen Sachverhalt ernst nimmt, wird man sofort auch einsehen, dieser göttliche Glaube braucht eine besondere Stütze. Gott muß uns mit Seiner Gnade beistehen, damit wir glauben und den Glauben entsprechend leben können. Aber bevor wir darauf näher eingehen, wollen wir nochmals zusammenfassen: Im übernatürlichen Glauben spricht der Seinem Wesen nach unsichtbare Gott zu uns über etwas, das seinem Wesen nach unsere menschliche Vernunft übersteigt. Wir glauben dieses „Etwas“, weil wir wissen, Gott ist vollkommen vertrauenswürdig in seiner Offenbarung, denn Er kann sich weder irren, noch kann Er uns belügen. Damit uns aber dieser Akt des Glaubens möglich ist, schenkt uns Gott ein übernatürliches Glaubenslicht, eine besondere Gnade, die uns das von Gott Geoffenbarte mit absoluter Sicherheit und Festigkeit als göttliche Wahrheit festhalten läßt. Somit ist der Glaube, den man Gott schenkt, der vollkommenste Glaube, den man sich denken kann.
Das ist wohl an und für sich theoretisch leicht einsehbar und soweit klar. Es kommt jedoch in der Praxis eine nicht geringe Schwierigkeit hinzu: Gott spricht nicht zu jedem persönlich, vielmehr spricht Er zu uns durch die Propheten und zuletzt hat Er zu uns gesprochen durch Seinen Sohn. Nun, die Propheten sind gestorben und der Sohn ist in den Himmel aufgefahren. Wie aber komme ich da zum Glauben, wenn der Zeuge dessen, was ich glauben soll, nicht mehr erreichbar ist? Wie erfahre ich all das, was Gott mir zu sagen hat und wovon immerhin mein ewiges Heil abhängt? Gott muß beglaubigte Zeugen Seines Wortes einsetzen, die Sein Wort weitergeben. Diese von Gott beglaubigten Zeugen, so wissen wir Katholiken, waren die Propheten und die Apostel und sind deren Nachfolger, die das kirchliche Lehramt bilden.
Um die Bedeutung des kirchlichen Lehramtes für unseren persönlichen Glauben besser verstehen zu lernen, soll im Folgenden dieses möglichst kurz anhand von Auszügen aus einer recht umfangreichen Arbeit von Prof. Dr. Wilhelm Bartz über „Die lehrende Kirche“ dargelegt werden. Prof. Bartz stützt sich in seinen Ausführungen auf das Gedankengut des Dogmatikers M. J. Scheeben. Auch wenn die Sprache und die Gedankengänge Scheebens nicht immer leicht zu verstehen sind, so lohnt sich die Mühe des Lesens dennoch umso mehr, weil sie nicht Selbstzweck sind, sondern von einer ungewöhnlichen Einsicht in die Tiefe des Geheimnisses zeugen. Wir werden uns bemühen, das von Scheeben Gesagte durch unsere Kommentare allgemeinverständlich zu machen. In seiner Darlegung der Notwendigkeit eines kirchlichen Lehramtes für den Glauben geht Scheeben vom Wesen der Offenbarung aus:
„Das Wort Gottes als eine frohe Botschaft Gottes an die Menschen darf und soll nicht bloß durch beliebige Ausrufer verbreitet oder auch nur durch einfache Boten oder Herolde Gottes verkündigt werden. Die Verkündigung muß vielmehr durch wahre Botschafter, d. h. mit der Macht und Gewalt Gottes ausgerüstete Gesandte ausgeführt werden. Und weil es sich nicht um eine Botschaft Gottes an einen Souverän neben ihm (also von einem König zu einem anderen König oder einem Fürst zu einem anderen Fürsten), sondern an seine Kreaturen (Geschöpfe) handelt, welchen die Botschaft als Gesetz verkündigt werden soll, so müssen die Botschafter, namentlich der oberste unter ihnen, zugleich die Kanzler Gottes für das Reich seiner Wahrheit und die von ihm für die treue Auslegung und Ausführung seiner Botschaft bestellten Richter sein. Weil nun kein anderer Ausdruck den ganzen Umfang und den vollen Inhalt der den Gesandten Gottes zukommenden Vollmacht darstellt: so ist der beste Ausdruck für dieselbe der einfachste, nämlich Apostolat oder Lehrapostolat, der jedenfalls weitbezeichnender ist, als unser deutsches Lehramt“ (Dogmatik 1. Buch n. 74).
Scheeben befürchtet, daß, weil die Bezeichnung „Lehramt“ auch im Sinn von „Predigtamt“ genommen werden kann, die Gefahr des Mißverständnisses bei der kirchlichen Lehrverkündigung von vornherein in ihr enthalten ist. Kirchliches Lehramt ist wesentlich mehr als das Predigtamt etwa bei den Protestanten. Das kirchliche Lehrapostolat ist seinem Wesen nach übernatürlich und kann deswegen nur aus dem, was Gott uns darüber geoffenbart hat, verstanden werden. Weil inzwischen auch die meisten sog. Katholiken vom Naturalismus angesteckt sind, möchten wir hierzu den großen deutschen Dogmatiker, dessen Hauptanliegen es war, das übernatürliche Wesen der Kirche Gottes möglichst umfangreich aufzuzeigen, besonders zu Wort kommen lassen.
Martin Grabmann hebt in seinem Buch über „Scheebens theologisches Lebenswerk“ hervor, daß der „das ganze Denken und Leben Scheebens beherrschende Grundgedanke des Übernatürlichen“ seine Lehre über die hl. Kirche umspannt. Was Scheeben unter „übernatürlich“ begreift, das hat er in „Natur und Gnade“ mit aller Klarheit und Kraft auseinandergesetzt. Übernatürlich nennt er „das außerhalb und unabhängig von der Schöpfung von der höheren Natur der niederen mitgeteilte Gute, wodurch diese jener ähnlich wird ... nach dem Maße der Kraft, das die höhere Natur entfalten will und kann, um der niederen auch das zu geben, was sie aus sich nicht hat und nicht erreichen kann“ (J. M. Scheeben, Natur und Gnade. 3. Aufl. Hrsg. von M. Grabmann. In: M. j. Scheeben, Gesammelte Schriften Bd. I, 25).
Die Übernatürlichkeit des Lehrapostolates wird wesensgesetzlich bedingt und bestimmt durch die Übernatürlichkeit der Glaubenswahrheit und der Glaubenstugend. „Das Wort Gottes als eine frohe Botschaft Gottes an die Menschen darf und soll nicht bloß durch beliebige Ausrufer verbreitet oder auch nur durch einfache Boten oder Herolde Gottes verkündigt werden. Die Verkündigung muß vielmehr durch wahre Botschafter, d. h. mit der Macht und Gewalt Gottes ausgerüstete Gesandte ausgeführt werden“ (Dogmatik a. a. O. n. 73). Sie kann ihrer Aufgabe nur dann gerecht werden, wenn sie erfolgt „durch göttliche, im Namen Gottes auftretende Gesandte, welche dieselbe kraft göttlichen Auftrages, göttlicher Vollmacht und mit einer ihnen von Gott übertragenen göttlichen Gewalt öffentlich vollziehen“ (A. a. O. n. 67). Ebenso verlangt die Übernatürlichkeit der Tugend des Glaubens ein „entsprechendes übernatürliches Medium, d. h. … ein unter seiner übernatürlichen Einwirkung stehendes Organ Gottes“ (A. a. O. n. 766; vgl. n. 63). In dieser Auffassung gelten die Mitglieder des Lehrapostolates „nicht mehr bloß als Boten und Botschafter Gottes, sondern zugleich als Organe und Stellvertreter seiner geistigen Vaterschaft ..., kraft welcher er das geistige Leben, das er seiner Kreatur durch die Schöpfung und Gnade verleiht, auch nährt, bildet und regelt“ (A. a. O. n. 82).
Die authentische Lehrbezeugung aber ist „ein Akt der Übermittlung übernatürlicher Güter und der Erzeugung bzw. Vollendung übernatürlichen Lebens“ (A. a. O. n. 114; vgl. n. 63). Nur unter dieser Voraussetzung kann die Offenbarung „als Prinzip übernatürlicher, göttlicher Glaubenserkenntnis erfaßt werden“ und „ihrerseits als Gesetz eines übernatürlichen, der Majestät Gottes entsprechenden Glaubensgehorsams den Menschen erfassen“, weshalb Gott die Verkündigung des Lehrapostolates durch eine dreifache übernatürliche Mitgift ausgezeichnet hat, nämlich durch Unfehlbarkeit, äußere Legitimation und seine persönliche Sanktion (A. a. O. nn. 63; 77ff und 95f). Die Übernatürlichkeit dieser drei Vorzüge ist für Scheeben heilig und unantastbar, und er verteidigt sie ebenso entschieden gegen alle häretische Verfälschung wie gegen das theologische Mißverständnis in dem eigenen Lager. Es fällt dabei besonders auf, daß die Argumentation Scheebens gegen die damaligen Häretiker, die Altkatholiken, fast gleichlautend auch einen Großteil der heutigen Traditionalisten trifft. Haben diese doch offensichtlich ihre Argumente den Häretikern entlehnt, denken wir nur an die vermeintlichen Irrtümer der früheren Päpste und die unausrottbare Lüge, die Päpste Honorius, Liberius und Johannes XXII. seien Häretiker gewesen.
Weil es sich hierbei um die Nahtstelle zum Verständnis des kirchlichen Lehrapostolates handelt, möchten wir den Ausführungen Scheebens noch eingehender folgen. Scheeben gibt zu bedenken: „Um die Offenbarungswahrheit durch die Kirche zu erhalten, bedient sich die göttliche Vorsehung in hervorragender Weise aller Mittel, die im weltlichen Bereich angewandt werden, um Rechtstitel zu sichern: der Urkunde - von der Privaturkunde bis zur Gesetzesurkunde -, der Zeugenaussage - der authentischen und der privaten, der richterlichen Entscheidung aller Instanzen. Nur eine Trennung der Gewalten kennt die Kirche im allgemeinen nicht, vielmehr liegen in der Regel authentische Zeugnisvollmacht, Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung in den Händen derselben Personen. Der Protestantismus läßt die Offenbarungsurkunde (nämlich die Heilige Schrift) allein gelten und schließt Zeugen, Gesetzgeber und Richter aus“ (Vgl. Dogmatik a. a.O. n. 401).
Demzufolge wird vielfach die Verschiedenheit der katholischen und der protestantischen Anschauung über das Material- und Formalprinzip des Glaubens dahingehend zusammengefaßt, daß der Protestantismus nur eine Glaubensquelle anerkenne und die Glaubensregel überhaupt leugne. Ohne diesen grundlegenden Unterschied irgendwie übersehen zu wollen, was unbedingt falsch und verkehrt wäre, muß man jedoch nach Scheeben ausdrücklich darauf hinweisen, daß die gemachte Feststellung „nur dann adäquat richtig ist, wenn hinzugefügt wird, daß die Verwerfung der Zeugen ebenfalls nicht bloß einen materiellen Unterschied, nämlich bezüglich des Umfanges der Glaubenswahrheit, sondern auch einen formellen, bezüglich der Art der Zuführung des Glaubensinhaltes und der Erzeugung des Glaubens, enthält, indem die Protestanten geradezu das fides ex auditu (der Glaube kommt vom Hören) und damit die lebendige Übermittlung des Wortes Gottes verleugnen“. Diese Bemerkung Scheebens ist von höchster Aktualität!
Wir haben schon öfter darauf hingewiesen, daß von den meisten Traditionalisten der Irrtum der Altkatholiken übernommen wurde, der die niedergeschriebene Tradition (also die sog. entfernte Norm unseres Glaubens) über das Lehramt (die nächste Norm des Glaubens) setzte. Sie machen somit ein totes Buch, einen toten Buchstaben zur letzten Instanz ihres Glaubens und somit ihr eigenes persönliches Urteil! Die meisten Traditionalisten tun folglich ganz selbstverständlich so, als ob sie die göttlich legitimierten Glaubenszeugen gar nicht bräuchten, weil sie nämlich selbst viel besser wüßten als die Römer (womit sie immerhin ihren Papst und somit ihr Lehramt meinen!), was Tradition und somit katholisch ist. Der Grund für diese Verkehrung ist ihre irrige Ansicht, auch ein öffentlicher Häretiker könne weiterhin Papst bleiben. Wenn aber ein Häretiker ihr „Papst“ ist, dann müssen sich diese Traditionalisten gegen ihren eigenen „Papst“ schützen, müssen sie doch immer Angst haben, ihr Papst würde sie ebenfalls in die Häresie führen. Sie sind also gezwungen, sich selber das letzte Urteil über alle Akte und Handlungen dieses häretischen „Papstes“ vorzubehalten, womit freilich das Verhältnis auf den Kopf gestellt wird. Nicht mehr das Lehramt belehrt den Traditionalisten, vielmehr belehrt der Traditionalist das Lehramt. Infolgedessen haben sich die allermeisten dieser Traditionalisten ganz selbstverständlich daran gewöhnt, daß sie die göttlich legitimierten Glaubenszeugen gar nicht brauchen, weil sie nämlich selbst viel besser wissen als die Römer (womit sie ernsthafterweise oder vielmehr unernsthafterweise ihren Papst und somit ihr Lehramt meinen!), was Tradition und somit katholisch ist. Dieses falsche Grundverständnis „bezüglich der Art der Zuführung des Glaubensinhaltes und der Erzeugung des Glaubens“ kommt in Formulierungen wie folgenden zum Ausdruck: Man müsse der Kirche die Tradition zurückbringen, oder Rom bzw. der Papst müsse sich bekehren usw.
Es sei an dieser Stelle als kleiner Exkurs auf eine besonders kuriose Formulierung eines Piusbruderschaftspriesters in seiner Gottesdienstordnung hingewiesen – übrigens direkt am Distriktsitz, also unmittelbar unter den Augen des sog. Distriktsoberen. Der Schreiber macht sich zunächst Gedanken über den „Verfall des Petrusamtes“ – man höre und staune –, und zwar angesichts der bergoglioschen Eskapaden, besonders auf der sog. Familiensynode. Der Priester beklagt allen Ernstes Folgendes: „Der eklatante Widerspruch der ‚Päpste von heute‘ in ihrem Reden, Handeln und Zulassen zum Text dieses Eides (nämlich des früher geleisteten päpstlichen Krönungseides) ist ein schaudererregender Beweis dafür, wie weit der Verfall des Petrusamtes bereits fortgeschritten ist. Das Licht des Leuchtturmes, welches die Lehre des Papstes sein sollte, um die Seelen zum Glauben und damit zum Heil zu führen, scheint durch die zahllosen Skandale seit ‚dem Konzil‘ fast ganz verfinstert. Die neuen Lehren - Ökumenismus, Kollegialität der Bischöfe, Interreligiösen Dialogs (!), Kultfreiheit für falsche Religionen, ‚Schwamm-drüber-Barmherzigkeit‘ für Geschiedene-Wiederverheiratete und Sodomisten - sind zu scharfen Klippen geworden, an denen der Glaube zahlloser Seelen zerschellt ist und zerschellt. Und die Konsequenz? Sie gehen unter - nicht in einem Meer aus Wasser, wie damals Petrus, sondern in einem Meer von Feuer!“
Der „Verfall des Petrusamtes“ ist also schon soweit fortgeschritten, daß der Inhaber dieses zerfallenen Petrusamtes, nämlich der vermeintliche Stellvertreter Jesu Christi und Nachfolger des hl. Petrus, aufgrund seiner vielen der ganzen „Kirche“ aufgezwungenen Irrlehren „zur Klippe geworden“ ist, an der „der Glaube zahlloser Seelen zerschellt ist und zerschellt“. Die Konsequenz davon ist wiederum: „Sie gehen unter - nicht in einem Meer aus Wasser, wie damals Petrus, sondern in einem Meer von Feuer!“ Also zusammengefaßt soll das wohl heißen: Aufgrund der vielen Irrlehren des unfehlbaren, von Gott eingesetzten und unter dem ständigen Beistand des Heiligen Geistes die Kirche leitenden Stellvertreters Jesu Christi werden die Seelen scharenweise in die Hölle gestürzt.
Natürlich nimmt selbst der Piusbruderpriester den von uns pointiert formulierten Zwiespalt, in dem er sich befindet, noch irgendwie wahr, aber anstatt einmal in einer etwas ausführlicheren Dogmatik nachzulesen und womöglich sogar Scheeben zu studieren, beginnt er aus dem Stegreif zu phantasieren und zu schwafeln: „Damit das verfallene Petrusamt wiederersteht, bleiben uns freilich rein äußerlich betrachtet nur sehr bescheidene Mittel. Zuerst sei, bei allem berechtigten Ärger und Skandal über den amtierenden Papst, das Gebet für ihn geraten. Nur Gott kann sein Herz anrühren, um es aus seiner Verblendung zu retten und ihm die heiligen Pflichten und die große Verantwortung seines Amtes wieder begreiflich zu machen. Das Gebet für den heiligen Vater ist ein bescheidener Dienst echter Barmherzigkeit und auch ein Zeichen der Treue eines echten Katholiken, der nicht nur zu einem glänzenden, heiligmäßigen Papst aufschaut, sondern auch einem ärgerniserregenden Amtsträger zu Hilfe eilen gewillt sein muß.“
Also nach Ansicht dieses traditionalistischen Seelsorgers muß man für den „heiligen“ Vater – er hätte wenigstens das „heilig“ unter Anführungszeichen setzen können, wenn dieser schon ein ärgerniserregender Amtsträger ist – beten, weil ein echter Katholik „nicht nur zu einem glänzenden, heiligmäßigen Papst aufschaut, sondern auch einem ärgerniserregenden Amtsträger zu Hilfe eilen gewillt sein muß“. Es zeigt sich wieder einmal, wie wichtig klare Begriffe sind. Der Pater hätte besser und genauer „häretischer Amtsträger“ schreiben sollen, und er hätte zudem erwägen sollen, daß ein unfehlbares Lehramt, das für die ganze Kirche gelten sollende Häresien verkündet, nicht nur ein Widerspruch in sich ist, sondern auch das ganze übernatürliche Fundament der hl. Kirche vollkommen vernichtet.
Weil der H.H. Pater dies jedoch versäumt, faselt er weiter: „Zweitens stehen wir jedoch auch in der Pflicht, soweit es unser Einfluß zuläßt, die Verdunkelung des Leuchtturmes des aktuellen Lehramtes auszugleichen, indem wir uns in die Lage versetzen, unter Anleitung rechtgläubiger Priester, der Überlieferung in unseren Familien und unseren sonstigen Wirkungskreisen Gehör und Beachtung zu verschaffen. Freilich, auf die Lehrverkündigung des jetzigen Nachfolgers Petri können wir uns hierfür nicht stützen, ist doch das Wahre, das er sagt, all zu oft vermengt mit Falschem. Das heißt jedoch nicht, daß unserem Glauben deshalb der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre. Der Felsen Petri ist größer als der amtierende Papst. Er besteht aus den Lehren aller Päpste. Diese müssen wir kennen. Diese müssen wir studieren. Diese müssen wir vor allem lieben. Wo finden wir diese Lehre? In den Katechismen, in den päpstlichen Lehrschreiben, wie sie beispielsweise am Schriftenstand ausliegen oder auch in der Prioratsbibliothek ausgeliehen werden können.“
Wie wir sehen können, ist nun die Verwirrung perfekt. Es ist nach Ansicht dieses Paters die Pflicht der Stunde, die „Verdunkelung des Leuchtturmes des aktuellen Lehramtes auszugleichen“. Wie soll das geschehen? Wie soll man die Verdunkelung des Lehramtes ausgleichen? Unser Seelsorger meint: „indem wir uns in die Lage versetzen, unter Anleitung rechtgläubiger Priester, der Überlieferung in unseren Familien und unseren sonstigen Wirkungskreisen Gehör und Beachtung zu verschaffen“. Woher weiß nun der Seelsorger aber, daß er seine Herde als rechtgläubiger Priester leitet, wenn er doch andauernd seinem Papst mißtrauen und widersprechen muß, weil dieser ihn mit seinen Irrlehren gleichsam erdrückt? Die FSSPX-Priester sind wirklich Meister in unsinnigen Ausreden und Lösungen. Gott sei Dank, so ist man versucht zu sagen: „Der Felsen Petri ist größer als der amtierende Papst. Er besteht aus den Lehren aller Päpste.“ Der in der FSSPX ausgebildete „Theologe“ scheint noch nie etwas von einem wesentlichen und entscheidenden Unterschied zwischen der Tradition als entfernter Norm des Glaubens und dem lebendigen Lehramt als nächster Norm des Glaubens gehört zu haben. Ohne es zu merken, stellt er die entfernte Norm des Glaubens über die nächste Norm des Glaubens, denn: „Der Felsen Petri ist größer als der amtierende Papst!“ Und inwiefern ist er größer? „Er besteht aus den Lehren aller Päpste.“ Wie so viele Häretiker beruft sich der Piusbruder gegen seinen Papst auf die Tradition. Er stellt also seine Tradition – die er fälschlicherweise für katholisch hält oder auch naiverweise – über die lebendige Tradition des Lehramtes, denn er bildet sich ein, die Tradition würde sich selbst erklären und deuten, wie es die Protestanten von der Heiligen Schrift glauben. Beides ist ein von der Kirche verurteilter Irrglaube.
Wenn wir Gott mit übernatürlichen Glauben anhangen sollen, so brauchen wir nicht nur irgendeine in Büchern niedergeschriebene Tradition, sondern notwendigerweise einen von Gott unmittelbar legitimierten Zeugen, der uns genauso wie Gott den Glaubensinhalt irrtumslos vorlegt und lebendig lehrt und uns auch deswegen allein zum übernatürlichen Glauben verpflichten kann. Darum ist die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehrapostolates absolut notwendig für einen übernatürlichen Glauben. Gott muß dieses Lehrapostolat vor jeglichem Irrtum in Glaubens- und Sittenfragen bewahren, wenn es überhaupt einen übernatürlichen Glauben geben soll.
Scheeben erklärt dementsprechend weiter: „Denn die propositio ecclesiae (=die verbindliche Vorlage des Glaubens durch die hl. Kirche) bedeutet mehr als die wortgetreue und unfehlbare Darbietung des Offenbarungsinhaltes. Diese Aufgabe könnte auch ein Buch erfüllen, und zwischen der fides divina (göttlicher Glaube) und der fides divina et catholica (göttlicher und kirchlicher Glaube) bestände dann lediglich ein materieller Unterschied. Weil die Kirche die Heilslehre lebendig, im Auftrag, in der Autorität und in der Kraft Gottes kundtut, spricht Gott selbst durch ihren Mund zu uns, so daß folglich das göttliche Motiv des Glaubens eben durch sie und in ihr an uns herantritt und auf uns einwirkt. Mit anderen Worten: die Kirche tritt dem Glauben gegenüber auf, nicht bloß irgendwie als ministra materiae verbi Dei (also als Dienerin der Materie des Wortes Gottes), sondern als ministra Dei loquentis (als die Dienerin des zu uns sprechenden Gottes) oder als Organ und bevollmächtigte Gesandte des redenden Gottes selbst, der eben durch sie sein Wort in lebendiger, der Würde und Kraft desselben entsprechender Weise uns vorführt“ (Dogmatik a. a. O. n. 765). Nur so vermag die „göttliche Offenbarung“ „einen wahrhaft göttlichen Glauben zu erzeugen“.
Man könnte es auch so ausdrücken: Der sprechende Gott muß möglichst konkret und für uns greifbar vor uns treten, damit wir Ihm einen vollkommenen Glauben schenken können. Er muß Sein Sprechen uns soweit wie möglich verbürgen. Dies aber geschieht durch den ständigen Beistand des Heiligen Geistes, der das kirchliche Lehrapostolat vor Irrtum in Glaubens- und Sittenlehren bewahrt.
Darum darf die göttliche Offenbarung nicht „als ein totes Wort einmal im Schoße des Menschengeschlechtes niedergelegt sein, sondern muß als ein lebendiges Wort fort und fort durch die Jahrhunderte von Gott selbst weiter gesprochen und geltend gemacht werden, so daß sie zu jeder Zeit mit derselben Kraft und Würde an die Menschen herantreten kann, wie zur Zeit, wo sie zum ersten Male ausgesprochen wurde; im andern Falle würde das einmal gesprochene Wort Gottes für die Nachkommen nicht mehr als ein gegenwärtiges in seiner ursprünglichen Frische erscheinen, nicht mehr seinerseits an die Menschen herantreten, um sie zu ergreifen und zu durchdringen, sondern darauf warten müssen, ob und wie weit es von ihnen ergriffen und aufgenommen werde“. Diesem Sachverhalt entspricht denn auch das ausdrückliche Gebot des Herrn an seine Apostel, „in seinem Namen und unter seinem Beistand in ihren Nachfolgern“ sein Evangelium über Zeit und Raum hinweg zu predigen, und an die Menschen, das Wort der Apostel wie sein eigenes anzunehmen (vgl. Mt. 28, 18-20; Lk. 10, 16). Es ist der Wille Christi, daß seine Lehre durch eine von ihm eingesetzte und bevollmächtigte Autorität allzeit verkündigt, eingeschärft und zu glauben befohlen wird. Darum schreibt der Apostel: „Also kommt der Glaube aus der Predigt; die Predigt aber geschieht im Auftrag Christi“, und zwar durch seine Gesandten, von denen Paulus sagt: „Ihr Schall ist über die ganze Erde ergangen und bis an die Grenzen des Erdkreises ihr Wort“ (Röm. 10, 17f). Aufgrund dieser Tatsache bezeichnet das Vatikanum nicht das Wort Gottes einfachhin als Gegenstand des Glaubens, sondern das von der kirchlichen Lehrautorität vorgetragene Wort (Vgl. DZ 1792). „Je deutlicher und bestimmter jene Autorität in ihrem wahren Charakter hervortritt, je mehr sie als eine wahrhaft göttliche, auf übernatürlicher Sendung beruhende, von übernatürlicher Kraft getragene erscheint: um so mehr muß auch die Offenbarung, zu deren Geltendmachung und Erhaltung sie bestimmt ist, in ihrer vollen übernatürlichen Erhabenheit hervortreten und der ihr entsprechende Glaube in seiner göttlichen Kraft und Lebendigkeit sich entwickeln.“
Durch diese enge und lebendige Verbindung der kirchlichen Verkündigung mit dem Glauben erfährt also der einfache göttliche Glaube eine gewisse Veränderung. Denn der göttliche Glaube tritt durch die Vorlage durch die Kirche „in ein so inniges Verhältnis zur Kirche, daß eben die Unterwerfung und der Anschluß an sie in naturgemäßer Weise die vollkommene Unterwerfung und den lebendigen Anschluß an Gott vermittelt, und daß beide Verhältnisse so innig verwachsen sind wie das Verhältnis des Kindes zu seiner Mutter und seinem Vater“.
Zweifellos ist es für den Menschen schwerer, sich mittelbar durch die Kirche Gott im Glauben zu unterwerfen als Gott unmittelbar das Gehorsamsopfer des Glaubens zu bringen. Aber eben dadurch kann und soll der Glaube zur vollkommenen Unterwerfung unter Gott werden, und die durch die Bindung an die Kirche erhöhte Verdemütigung und Hilfsbedürftigkeit des Gläubigen vermögen „erst recht den kindlichen Sinn gegen Gott und den kindlichen Verkehr mit Gott, welcher die Seele des göttlichen Glaubens bildet“, zur Entfaltung zu bringen, indem „wir das Wort Gottes gerade aus dem Munde der Kirche als unserer von Gott bestellten und von seinem Geiste geleiteten Mutter mit kindlichem Sinne empfangen sollen“ (Dogmatik a. a. O. n. 765).
Es ist eine evidente Tatsache, in der Folge der Modernismuskrise ist der kindliche Glaubenssinn bei den meisten Katholiken verlorengegangen. Und inzwischen haben nicht nur die Modernisten, sondern auch ein Großteil der sog. Traditionalisten keine Ahnung mehr, wozu das Lehramt der Kirche eigentlich da ist und welch unersetzliche Stelle im Gefüge des eigenen, persönlichen Glaubens es einnimmt. Sie meinen deswegen, es genüge durchaus, wenn das Lehramt nur ab und zu tätig wird, um unseren Glauben vor den gröbsten Irrtümern zu bewahren. Allein bei „größeren“ Irrtümern oder besonders wichtigen Lehren nähme der Papst seine Unfehlbarkeit in Anspruch, um sodann „ex cathedra“ den Streit zu entscheiden.
Diese reservierte Haltung gegenüber dem kirchlichen Lehramt ist letztlich schon eine Folge der modernistischen Irrlehre und ein Ausfluß eines bloß naturalistischen Denkens. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts gingen die Modernisten dazu über, zwar noch nicht die Unfehlbarkeit als solche zu bestreiten, aber umso mehr ihre Häufigkeit. Eine unfehlbare Entscheidung wäre, so sagten die Modernisten, letztlich äußerst selten – und sie sagten auch: in allen anderen Akten des Lehramtes aber kann der Papst fehlen, also sich irren und die Kirche in Irrtum führen, weshalb wir in diesen ihm natürlich keinen Glaubensgehorsam schuldig sind. Diese Haltung hat sich in der Folge der nachkonziliaren Wirren auch bei den meisten Traditionalisten durchgesetzt, die sich der Einsicht der papstlosen Zeit verschlossen. Einer dieser Priester schreibt doch tatsächlich in seinem sog. „Katholischen Katechismus zu kirchlichen Krise“: „Eine solche Dogmatisierung eines Glaubenssatzes kommt nicht allzu häufig vor, und viele Päpste haben von dieser Vollmacht gar keinen Gebrauch gemacht. In unserem Jahrhundert hat es nur eine einzige Dogmatisierung gegeben, nämlich jene der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel durch Papst Pius XII. am 1. November 1950.“
Wir haben hier eine schon recht kuriose Auffassung von Unfehlbarkeit vor uns, die letztlich ihre modernistische Herkunft nicht verleugnen kann, auch wenn sie von einem sog. Traditionalisten stammt. Denn so kann man nur über die von Jesus Christus gestiftete Kirche reden, wenn einem das übernatürliche Wesen und die Heiligkeit derselben vollkommen aus dem Blick geraten ist, wenn man sich mit anderen Worten vom modernistischen Naturalismus hat anstecken lassen. Der große Dogmatiker Scheeben war da natürlich ganz anderer Meinung als die Modernisten: „Das Allerwichtigste ist die Unfehlbarkeit der öffentlichen Lehre selbst, so daß, wenn diese Lehre auch nur einen Tag und in einem Punkte irrig wäre, damit die Kirche zugrunde ginge und alle von ihr gelehrten Wahrheiten ihre Kraft verlieren würden. Im übrigen ist nur notwendig, daß die öffentliche Lehre zu jeder Zeit wenigstens die fundamentalsten Wahrheiten ausdrücklich vorlege, und keine zum ewigen Depositum der Offenbarung gehörige Wahrheit jemals so abhanden komme, daß sie auch nicht im habituellen Besitze der Kirche verbliebe“ (Dogmatik a. a. O. nn. 192 und 312).
Also durchaus nicht nur alle 100 Jahre muß Gott Seine Kirche vor dem Irrtum bewahren, sondern jeden Tag, denn „wenn diese Lehre auch nur einen Tag und in einem Punkte irrig wäre, ginge damit die Kirche zugrunde … und alle von ihr gelehrten Wahrheiten würden ihre Kraft verlieren“. Genauso ist es geschehen in der Menschenmachwerkskirche. Alle von ihr gelehrten Wahrheiten haben ihre Kraft verloren, weil sie inmitten der vielen Irrtümer gar nicht als Wahrheiten wirken können, sondern immer nur als eine Meinung neben anderen erscheinen. Darum kann ein Bergoglio jetzt auch noch die letzten Wahrheitstrümmer in aller Seelenruhe beseitigen, weil fast niemand mehr zwischen Wahrheit und Irrtum unterscheiden kann. Und die sog. Konservativen, welche die eine oder andere Wahrheit vor dem Zugriff Bergoglios noch zu retten suchen, übersehen dabei das Entscheidende, die diesem Versuch zugrunde legende Einsicht ist die der papstlosen Zeit. Wer meint, er müsse die Wahrheit gegen seinen Papst schützen, der hat den Boden des katholischen Denkens verlassen und befindet sich im Treibsand irgendeiner modernistischen Irrlehre.
Prof. Bartz führt in dem Abschnitt „Die innere Unfehlbarkeit der kirchlichen Verkündigung“ noch einen weiteren erhellenden Gedanken aus Scheebens Schrift „Das ökumenische Concil vom Jahre 1869“ zu dem Thema an: „Die Glaubensverkündigung will übernatürliche, göttliche Gewißheit wecken. Das kann sie nur unter der Voraussetzung, daß sich ihre Authentie (Echtheit) auf das donum infallibilitatis (=das Charisma der Unfehlbarkeit) stützt. Ebenso muß die zweckgebotene, unsere vorbehaltlose Unterwerfung unter den Supremat (=Oberhoheit) Gottes einschließende Autorität der Verkündigung durch Unfehlbarkeit garantiert werden. Wäre der Lehrapostolat durch Irrtum und Fehlentscheidung bedroht, so würde seine Sendung nicht nur vereitelt, vielmehr sogar in ihr Gegenteil verkehrt werden. Denn in diesem Fall trüge die äußere, von Gott verliehene Authentie (Echtheitsgarantie) notwendig in stärkstem Maße dazu bei, die Unwahrheit zu verbreiten, und die äußere Autorität, mit der Gott die Lehrorgane ausgestattet hat, würde zur Quelle geistigen Götzendienstes.“
Letztere Bezeichnung ist wohl am besten geeignet, das zu beschreiben, was in der Menschenmachwerkskirche inzwischen täglich geschieht: geistiger Götzendienst. Die Menschenmachwerkskirche buhlt mit der ganzen Welt. Es darf einen nun wirklich nicht wundern, wenn dieser geistige Götzendienst sich allmählich zum wahren Götzendienst wandelt. Letztlich war das Satans wahres Meisterstück: durch die Eroberung des Stuhles Petri trug die immer noch vermeintlich „von Gott verliehene Authentie (Echtheitsgarantie) notwendig in stärkstem Maße dazu bei, die Unwahrheit zu verbreiten“. Die allermeisten Katholiken liefen nach dem sog. 2. Vatikanum immer noch brav wie Schafe, die zur Schlachtbank geführt werden, ihren vermeintlichen Hirten hinterher, obwohl sie schon lange hätten erkennen können und müssen, daß diese Hirten Wölfe waren. Eine Flut von Irrlehren im Namen Roms ergoß sich über die ahnungslosen Katholiken und hat fast alle mit sich fortgerissen.
Lassen wir uns die gewonnenen Erkenntnisse von M. J. Scheeben nochmals zusammenfassend darlegen: Gemäß der Lehre des Vatikanums „ist der Glaube wesentlich eine Betätigung der Abhängigkeit und Unterwürfigkeit von Seiten des geschaffenen Geistes gegenüber Gott als dem höchsten Herrn und König aller Geister, die sich um ihn als ihren Mittelpunkt sammeln, von ihm durch seine absolute Autorität sich bestimmen, leiten und regeln lassen und dadurch in die vollste Einheit und Übereinstimmung mit ihm und unter sich gebracht werden sollen“ (Denz. 1789). Negativ ausgedrückt haben wir es also bei dem Glauben weder mit einem autonomen (unabhängigen) und subjektiven Akt zu tun, durch den ein Mensch in aller Unabhängigkeit und nach eigenem Ermessen das geoffenbarte Gotteswort zur Grundlage seiner Lebensführung macht, noch mit einer rein persönlichen und privaten Angelegenheit. Vielmehr weiß sich der Glaubende sowohl als Untertan einer transzendenten Macht, der Autorität Gottes, wie als Glied einer Weltgemeinschaft, der Kirche, in der alle Christgläubigen vereint und verbunden sein müssen, weil Gott der beherrschende Mittelpunkt aller denkenden Wesen ist.
„Die Autorität Gottes ist die letzte und höchste Regel des Glaubens, und durch sie wird daher auch innerlich und wesentlich die Einheit des allgemeinen Glaubens bedingt und bestimmt (ein Gott – ein Glaube).“ Gott ist aber auch für den Gläubigen ein „Deus absconditus“ (ein verborgener Gott). Darum kann er seine universale Herrschaft über den menschlichen Geist nicht in eigener Person ausüben. Anderseits soll sein Reich in dieser Welt sichtbare Gestalt annehmen in der Gesamtheit des Glaubensvolkes. Das macht es notwendig, daß er auf Erden Stellvertreter beruft und sie mit seiner Lehrgewalt und Lehrvollmacht ausstattet, damit sie in seiner Autorität und Kraft „jeden Verstand in die Unterwürfigkeit Christi gefangennehmen“ (2 Kor. 10, 5) und zu jeder Zeit und für jedermann das Gesetz und die Richtschnur des Glaubens gewährleisten und geltend machen. Durch diese Unterwerfung unter das eine und allgemeine Glaubensgesetz werden die Gläubigen zu der sichtbaren Glaubensgemeinschaft der Weltkirche um die Träger der Lehrhoheit zusammengeschlossen.
Füglich darf man jetzt den Begriff der Glaubensregel enger fassen und sagen: „Die in der Stellvertretung Gottes verkörperte Lehrautorität Gottes ist es, was wahrhaft und eigentlich die katholische, d. h. allgemein gültige und bindende Glaubensregel ausmacht.“ Die Aufgabe der lehrenden Kirche kann sich daher nicht darauf beschränken, das bei ihr deponierte Offenbarungsgut zu erhalten, zu vermitteln und zu bezeugen und es so in seiner Objektivität und Lebendigkeit den Menschen zur Kenntnis zu bringen, damit sie es sich im Glauben zu eigen machen. Sinn und Würde der göttlichen Selbsterschließung verlangen vielmehr, daß das Wort Gottes „in der Kirche so geltend gemacht werde, daß alle Glieder derselben zum gehorsamen, einträchtigen und gemeinschaftlichen Festhalten seines Inhaltes in dessen ganzer Reinheit, Fülle und Kraft verpflichtet und angehalten werden, daß es folglich als öffentliches soziales Gesetz oder Regel des Glaubens und Denkens vorgeschrieben und durchgeführt werde und die ganze kirchliche Gemeinschaft beherrsche und durchherrsche“ (Vgl. Das ökumenische Concil vom Jahre 1869 III, 233 f und Dogmatik a. a. O. n. 397).
Wir wollen diese Einsicht abschließend noch anhand eines bei den Traditionalisten weit verbreiteten Irrtums vertiefen. Wie schon erwähnt, meinen viele Traditionalisten, sie würden die Tradition der Kirche verteidigen, weil sie sich an das halten, was die Kirche immer gelehrt hat. Dabei ist aber das, „was die Kirche immer gelehrt hat“, nicht das, was ihr derzeitiges vermeintliches Lehramt lehrt. Sie rechtfertigen diesen Spagat oft damit, daß sie sich einreden, der Papst sei ein Liberaler, er spreche darum manchmal als Modernist und manchmal als Katholik. Wenn seine Verlautbarungen mit der Tradition übereinstimmen, dann nehmen wir sie an, wenn nicht, dann weisen wir sie zurück. Hier stellt sich aber die entscheidende Frage: Mit welcher Tradition vergleichen diese Traditionalisten die Lehre ihres liberalen Papstes? Und die zweite Frage: Wem glauben sie denn dann eigentlich? Die Antwort auf die erste Frage ist: Sie vergleichen die Lehre ihres Papstes mit ihrer Tradition, von der sie sich fälschlich einbilden, diese sei identisch mit der Tradition der katholischen Kirche. Die Antwort auf die zweite Frage ist: Sie glauben weder Gott noch dem von Gott eingesetzten Lehramt, weil sie ihre eigenes, persönliches Urteil über diese stellen.
Wir wollen nun aus dem „Lehrbuch der Fundamental-Theologie oder Apologetik“ von Franz Hettinger, Herder’sche Verlagsbuchhandlung, Freiburg im Breisgau, 1888, einige Abschnitte wiedergeben über die „Kriterien für die Erkenntnis der echten Überlieferung“. Denn darum geht es in unserem Fall: Wer sagt mir als Katholik, was wahre bzw. was falsche Tradition ist?
Unter I. heißt es: „Das oberste und allgemeine Urteil, ob eine echte Tradition über einen Gegenstand des Glaubens oder der kirchlichen Sitte vorliegt, sowie über den Inhalt derselben, kommt dem kirchlichen Lehramt in seinen verschiedenen Bestätigungsformen zu, bei welchem dieselbe hinterlegt ist und von welchem sie unter dem Beistand des Heiligen Geistes unfehlbar bewahrt wird“ (S. 708). Es ist also unmöglich, einem als legitim anerkannten Papst gegenüber sich auf die Tradition zu berufen, weil er der eigentliche von Gott beauftragte und mit dem Beistand des Heiligen Geistes unfehlbare Interpret derselben ist. Damit ist jede, gegen das kirchliche Lehramt eingeforderte Tradition selbstverständlich eine falsche Tradition. Manche Traditionalisten meinen nun, dieser Konsequenz ausweichen zu können, indem sie sagen: Auch der Papst sei ja an die Tradition gebunden. Wir schauen also auf die gesamtkirchliche Tradition und halten diese dem Papst als Korrektur vor.
Dazu wiederum unser Lehrbuch: „So bildet allerdings auch der gemeinsame Glaube der Gesamtkirche ein Kriterium der echten Tradition, aber nur in Abhängigkeit und Einheit mit dem kirchlichen Lehramt, nicht in selbständiger Weise“ (ebd.). Wie wir sehen, geht auch diese Ausrede daneben. Immer ist das unfehlbare Lehramt die letzte Instanz und auch die allein den Glauben sichernde Instanz. Ein Glaube neben oder gegen dieses Lehramt ist schlechthin unmöglich, darum gibt es auch keine echte Tradition neben oder gegen das Lehramt der Kirche.
Oder mit dem Worten unseres Lehrbuches: „So ist die Verkündigung und Erhaltung der geoffenbarten Wahrheit nach dem Plan Gottes und der tatsächlichen Institution der christlichen Kirche gebaut auf das lebendige, mündliche, authentische Lehramt, das der Herr an seiner Statt in seiner Kirche gewollt und eingesetzt hat, daß es bleibe bis zum Ende. Die lebendige Glaubensregel mit allen vorhin bezeichneten Bedingungen und Attributen ist die wesentliche Form der Verkündigung und Erhaltung des Glaubens. Sie schließt die spätere und außerwesentliche, zufällige Form der Verkündigung durch das geschriebene Wort nicht aus, wird aber durch dieses, das wie ein dem ursprünglichen Modus von außen her Zukommendes erscheint, nicht aufgehoben, noch in seiner Bedeutung alteriert (verändert). Das schriftliche Wort steht von Anfang an im Dienste des mündlichen, zur Erläuterung und Ergänzung desselben für die bereits im Glauben Stehenden“ (S. 646).
Also nochmals die entscheidende Einsicht: Jegliche schriftliche Tradition (welche immer nur entfernte Glaubensregel sein kann) ist nur dann wahre Tradition, wenn sie im Sinne der lebendigen und nächsten Glaubensregel des kirchlichen Lehramtes verstanden wird. Hier einen Widerspruch zu konstruieren, würde bedeuten – nochmals unser Lehrbuch: „Die heiligen Väter erkennen in dem authentischen Lehramt der Kirche die unmittelbare Glaubensregel für alle Glieder derselben, während dessen Verwerfung den gemeinsamen Charakter aller Häresien bildet.“
Abschließend noch eine zusammenfassende Bemerkung aus unserem Lehrbuch: „Nach Natur und Beschaffenheit der Quelle, aus denen die Tradition fließt (also die schriftliche Tradition, die in den Büchern niedergeschrieben wurde), ist die endgültige Entscheidung über ihren Inhalt durch das kirchliche Lehramt in einem gewissen Sinne noch mehr ein Bedürfnis, als für den Sinn der (Heiligen) Schrift; darum ist es wohl war, die Heilige Schrift ist durch die Tradition zu erklären, aber die Tradition selbst bedarf einer Erklärung, da bis zur Häresie des Protestantismus alle Häresien und nach jenem der Jansenismus sich auf eine falsche oder falsch gedeutete Tradition stützten“ (S. 709).
Man nennt somit all die Leute, welche das kirchliche Lehramt mir ihrer Tradition belehren wollen, zurecht Traditionalisten, man könnte sie aber genauso gut Häretiker, Irrlehrer nennen, denn Katholiken sind sie sicher keine mehr.