Im alten Heidentum war das Wissen noch lebendig, daß sich unsere Welt, unsere irdische, sichtbare Menschenwelt mit der himmlischen, unsichtbaren Welt überschneidet. Die Götterwelt der Heiden zeigte jedem gläubigen Heiden, über den natürlichen Dingen, Kräften, Geschehnissen steht eine transzendente Wirklichkeit. So sagt etwa Lucius, dessen Einweihung in die Mysterien der Isis in den Metamorphosen des Apuleius beschrieben werden, mit Überzeugung: „Ich war unter die Sterne entrückt, dann bin ich wieder an meinen Ort zurückgekehrt; ich habe die Schwelle der Proserpina (der Göttin der Unterwelt) betreten und mich allen Göttern genähert.“ Wenn auch diese Vorstellungen von der Transzendenz unserer Welt und der Welt der Götter auch nur ein pompöse Art ist, dort symbolische Zeremonien zu sehen, wo natürliche Kräfte für Offenbarungen an den Eingeweihten gehalten werden, wenn hier sich auch Göttliches und Menschliches irrtümlicher Weise auch allzu sehr vermischten, war dennoch das Wissen um eine überirdische Wirklichkeit dem damaligen Heiden noch eine Selbstverständlichkeit.
Anders ist es im Neuheidentum. Der Neuheide ist seinem Wesen nach – wenigstens zunächst und zur Zeit noch – atheistisch, also gottlos. Jegliches Gespür für eine transzendente Welt ist bei ihm verloren gegangen, ein bloßer, plumper oder auch naiver Materialismus hat sich der Geister bemächtigt, die nichts so sehr meinen und wollen, als ungeistig sein zu sollen. Man könnte in vielen Bereichen der modernen Forschung meinen, es habe die Leute ein geistiger Masochismus ergriffen, da sie mit unglaublich viel intellektuellem Aufwand zeigen wollen, daß es gar keinen Geist geben kann, weshalb sie jeglichen Ansatz von Transzendenz, ja jegliche Erkenntnis, die auch nur in diese Richtung zu zielen droht, sofort wieder mit Stumpf und Stiel ausrotten, worüber sie dann eine geradezu dämonische Freude zu empfinden scheinen. Das alles geschieht nicht fernab in irgendeinem immer noch heidnischen Land, sondern im Bereich des ehemals christlichen Abendlandes, also vorwiegend in jenen Ländern, denen der Glaube an Jesus Christus bis vor nicht allzu langer Zeit noch etwas bedeutete und irgendwie etwas Selbstverständliches war.
Das Neuheidentum ist durchaus nicht so neutral, wie man es meist darstellt, es ist seinem Wesen nach antichristlich, wächst es doch aus Renaissance und Aufklärung heraus. In der Renaissance hat man sich ausdrücklich auf das antike Heidentum rückbesonnen und dieses gegen die eigene christliche Vergangenheit gestellt und es als das Höherstehende, Überlegene darzustellen begonnen. In der folgenden Zeit der Aufklärung wurde das Licht der menschlichen Vernunft über alles gepriesen und als Überwindung der selbstverschuldeten Unmündigkeit hingestellt, womit nichts anderes gemeint war als die Bereitschaft, das eigene Urteil dem des göttlichen Glaubens unterzuordnen.
Wer das übersieht, der übersieht letztlich das Wesentliche der heutigen, modernen Gesellschaft und wird dadurch zu einer ganzen Reihe von Fehlurteilen verleitet. Die Folge dieser Fehlurteile wiederum ist, daß man die aktuelle Gefahr, die konkrete Situation des Verfalls des christlichen Glaubens, der christlichen Kultur und Moral ständig schönredet. Man muß nur an die meisten Würdenträger der Menschenmachwerkskirche denken, die geradezu einen eigenen literarischen Stil des Schönredens entwickelt haben, um ja nicht der Wahrheit ins Gesicht sehen zu müssen. Der wahre Katholik dagegen kann durchaus der Wahrheit ins Gesicht sehen, ja er will ihr gerade ins Gesicht sehen, denn nur dadurch gelingt es auch, den Glauben heute noch zu leben.
Übernatürlich betrachtet ist das Versinken des ehemals christlichen Abendlandes ins Neuheidentum etwas zutiefst Erschütterndes, eine Strafe Gottes für die durch Jahrhunderte wachsende Untreue im Glauben. Denn diese allgemeine Apostasie konnte unmöglich ohne eigenes Verschulden geschehen, wie es der hl. Paulus im Hebräerbrief erklärt: „Denn, die einmal erleuchtet worden sind und von der himmlischen Gabe genossen haben, die teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes und gekostet haben das herrliche Wort Gottes und die Kräfte der künftigen Welt und trotzdem abgefallen sind, die kann man nicht wieder zur Sinnesänderung erneuern, da sie für ihre Person den Sohn Gottes aufs neue kreuzigen und verhöhnen. Denn ein Boden, der den reichlich niederströmenden Regen trinkt und denen, die ihn bebauen, das erwünschte Gewächs erzeugt, empfängt Segen von Gott; bringt er Dornen und Disteln hervor, so ist er verwünscht und fast verflucht, und schließlich wird er ausgebrannt“ (Hebr. 6, 4-8).
Deshalb findet derjenige, welcher der einmal erkannten Wahrheit nicht treu bleibt, selten wieder zum göttlichen Glauben zurück. Meist verstockt er immer mehr im Unglauben und wird schließlich zum Feind des hl. Kreuzes und zum Verfolger der Kirche Jesus Christi. Die Schuld ist dabei umso größer, als Gott Jahrhunderte hindurch die Wahrheit des hl. Evangeliums wunderbar geoffenbart hat. Eine ganze Heerschar von Heiligen bezeugten die Wahrheit von der göttlichen Erlösung durch ihr heroisches Leben und unzählige Wunder. Dennoch hat sich der Glaube an Jesus Christus und Seine hl. Kirche inzwischen in einem Maße verflüchtigt, daß man unwillkürlich an die Zeit des großen Abfalls denken muß, von dem der hl. Paulus sagt, daß er kommen muß, ehe der Sohn des Verderbens auftreten kann.
Für uns, die wir mit der Gnade Gottes den heiligen übernatürlichen Glauben bewahren durften, ist es sicherlich hilfreich, während des kommenden Advents besonders auf die Wirklichkeit desjenigen zu schauen, der in unsere Welt gekommen ist, um uns von unseren Sünden zu erlösen und eine Fülle von Gnaden zuzuwenden. Während die allermeisten Menschen ihren hl. Glauben aufgegeben haben und die hl. Evangelien für Märchenerzählungen halten, erkennen wir in ihnen die Offenbarung der unergründlichen göttlichen Erlöserliebe. An dieser unergründlichen göttlichen Erlöserliebe kommt niemand mehr vorbei, denn „das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh. 1, 14).
Der kommende Advent gibt uns erneut eine ganze Reihe von Anregungen, das übernatürliche Wesen unseres hl. Glaubens wieder einmal von Grund auf, d.h. von den Anfängen her zu durchdenken. Die hl. Liturgie beginnt das neue Kirchenjahr jeweils mit einem Blick in die Zeit des langen Weltenadvents, der sehnsuchtsvollen Zeit der Erwartung des Erlösers im Alten Bund, um uns dadurch auf das Fest der Geburt unseres göttlichen Erlösers vorzubereiten. Es dauerte viele Jahrhunderte, ehe die Zeit für das Wunder der Menschwerdung reif war. Die Geheimnisse der göttlichen Vorsehung, des göttlichen Wartenlassens, sind für uns weitgehend unergründlich. Diesen so langen Advent, dieses mühsame Warten über Generationen und Generationen auf die verheißene göttliche Hilfe, können wir mit unserem begrenzten Menschenverstand niemals recht erklären. Unser kurzsichtiger Menschenverstand fragt etwa: Hätte der Erlöser viel mehr wirken können, wenn er früher in unsere verlorene Welt gekommen wäre? Wenn er den Menschen die Gnadenmittel schon Jahrhunderte vorher gebracht hätte, wie viele Menschen hätten dadurch gerettet werden können? Wie viele Menschen hätte die Frohbotschaft des hl. Evangeliums schon damals im Alten Bund zu einem heiligen Leben angeeifert und wie hätte die Gestalt des göttliche Erlösers die Herzen erobert, die so aber kalt und gleichgültig geblieben sind, wenn nur der Erlöser früher auf die Erde gekommen wäre?
Man könnte Fragen um Fragen dieser Art formulieren und sodann endlos darüber diskutieren, was hätte sein können, wenn, doch hat solches Fragen keinerlei Sinn, denn in Wirklichkeit war es von Gottes Allwissenheit und Allweisheit seit Ewigkeit anders gefügt und Gott hatte es allein für richtig befunden, daß Jesus Christus zu genau dieser Zeit hat geboren werden sollen, denn: „Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, der aus einem Weibe geboren und dem Gesetz unterworfen war. Er sollte die unter dem Gesetz Stehenden erlösen, damit wir die Annahme an Kindes Statt empfingen. Weil ihr nun Söhne seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater“ (Gal. 4,4-7).
Der Mensch befand sich seit der Erbsünde am Rande eines Abgrundes und dieser Abgrund heißt Hölle, ewige Verdammnis, selbstverschuldete Gottesferne. Niemand aus unserer Welt konnte den Menschen aus dieser Not befreien, denn alle standen zusammen unter dem Fluch der Sünde. Keiner war mehr fähig zur Not-Wende, die absolut notwendig war, sollte das durch die Sünde vorherbestimmte Los nochmals abgewendet werden. Darum mußte Gott eingreifen. ER selbst mußte die Initiative ergreifen, sollte es für die Menschen noch irgendeine Rettung geben.
Unser hl. Glaube beschreibt das Wunder dieser außerordentlichen Rettung. Einer Rettung, die alle Erwartung des Menschenherzens himmelweit übertrifft. Das Staunen über diesen göttlichen Einfall, über diese überraschende göttliche Hilfe kennzeichnete vor allem die frühe Christenheit, aber auch die ganzen Jahrhunderte hindurch jedes wahrhaft christliche Herz. Dieses Staunen kommt in den vielen Weihnachtsgeschichten zum Ausdruck, welche mithin zum Schönsten gehören, was man in unserer Menschenwelt erzählen kann. Jede dieser Geschichten gibt eine Nuance des Geheimnisses wieder oder berichtet davon, wie ein Mensch durch das Wunder der hl. Weihnacht verwandelt wurde. Immer wieder enthüllt sich in den Erzählungen etwas Neues vom Wunder der Heiligen Nacht, das man letztlich vielmehr liebend erahnen kann als intellektuell erfassen. Wie ist es nur möglich, daß ER selber in unsere Menschenwelt kommt als göttlicher Gast? Nicht in Seiner göttlichen Unnahbarkeit oder Größe, nicht in Seiner erschreckenden Majestät, sondern als Kind, geboren aus der Jungfrau Maria – oder wie es der hl. Paulus schon hymnisch formuliert: „Er, der in Gottesgestalt war, hat dennoch nicht geglaubt, das Gottgleichsein wie ein Beutestück festhalten zu sollen; nein, er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, wurde den Menschen gleich und ward im Äußern als ein Mensch erfunden“ (Phil. 2, 6f).
Versuchen wir im Folgenden, dem Geheimnis der Heiligen Nacht gedanklich ein wenig nachzuspüren und zwar als Hilfe für den kommenden Advent. Denn der Advent ist vor allem eine Zeit des stillen Nachsinnens über dieses verborgene Geheimnis, ein Hineinschauen in die Wunderwelt des göttlichen Ratschlusses. Wer in diesen Tagen meint, nichts zum Nachdenken zu haben, der wird schließlich vergeblich darauf warten, daß es Weihnachten wird...
Das Kind, das in der Krippe im Stall von Bethlehem liegt, kommt vom Himmel. So pointiert formuliert, erahnt man besser, worum es letztlich bei der weihnachtlichen Wahrheit geht. Das Kind in der Krippe ist ein Kind ohne irdischen Vater, ein Kind, das nicht wie alle anderen Kinder geboren werden wird – nicht in Schmerzen, sondern auf wunderbare Weise, eine Jungfrauengeburt, denn die Mutter bleibt vor, während und nach der Geburt Jungfrau. Warum das so geschieht, ja geschehen muß, erkennt man, sobald man auf den Ursprung dieses Kindes schaut, also auf den Himmel. Und was sieht man, sobald man auf den Himmel schaut und zu verstehen beginnt, woher das Kind eigentlich kommt?
Dieses Kind ist der Sohn des ewigen Vaters im Himmel. Man kann darum nicht über IHN, also diesen Sohn der Jungfrau Maria, sprechen, ohne zugleich über den ewigen Vater im Himmel sprechen zu müssen und den Heiligen Geist. Das Geheimnis von Weihnachten umschließt das innerste Geheimnis Gottes, das uns im Glauben an die Menschwerdung offenbart wird, das Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Pierre de Bérulle, der Gründer des französischen Oratoriums, war ein großer Beter und Anbeter. Vom Geheimnis der Menschwerdung besonders ergriffen, sieht er im menschgewordenen Gottessohn den ersten vollkommenen Anbeter des Vaters. Erst durch den Sohn wird der Mensch nach dem Sündenfall wieder fähig, sich zu Gott zu erheben. Der menschgewordene Sohn Gottes ist das wirksame Urbild unseres Heiles, in dem uns zu allererst die dreifaltige Tiefe des Gottesgeheimnisses erschlossen wird. Wir wollen nun einem Gedanken Bérulles zu Menschwerdung und Dreifaltigkeit folgen (wir fügen zum besseren Verständnis des Textes jeweils in den Klammern kurze Erklärungen hinzu):
„Eines der tiefsten Geheimnisse der christlichen Religion liegt in der Unterscheidung und Einheit der göttlichen Personen. Und einer der tiefsten Anlässe, bei dem diese Einheit und Unterscheidung aufscheint, ist das Geheimnis der Inkarnation (Menschwerdung). Schon in der Dreieinigkeit selbst besitzen wir Hinweise darauf: der Vater übergibt dem Sohn seine Wesenheit (also sein göttliches Wesen, sein Gottsein), jedoch nicht seine Vaterschaft (also nicht sein Person- und Vatersein), die doch eins ist mit seinem Wesen; aber das Licht dieses hohen Mysteriums blendet so sehr, daß seine Lichter für uns Finsternisse sind (unmöglich ist es für unseren begrenzten Verstand, diese göttliche Wirklichkeit zu erfassen, weshalb sie uns wie eine undurchdringliche Finsternis erscheint, also selbst nach der Offenbarung immer noch ein Geheimnis bleibt). Die Unterscheidung der Personen ist in der Gottheit real, sogar die größte, die wir uns vorstellen können (der Vater ist nicht der Sohn und der Sohn nicht der Vater; der Sohn ist nicht der Heilige Geist und der Heilige Geist ist nicht der Sohn, usw.; dennoch sind Vater, Sohn und Heiliger Geist nicht drei Götter, sondern nur ein Gott), aber auch die Einheit ist völlig einfach und absolut, somit die größte auch, die sich der geschaffene Geist vorstellen kann (obwohl es drei real verschiedene Personen in Gott gibt, sind diese dennoch so in der einen göttlichen Wesenheit vereint, daß sie nur ein einziger Gott sind), ohne daß die Einheit diese Unterscheidung, noch die Unterscheidung dieser Einheit im Wege stünde. (Was uns wie ein Widerspruch erscheint, ist es dennoch nicht. Vielmehr ist die wahre Wirklichkeit Gottes unendlich weit über unsere Vorstellungen erhaben. Alles, was unser Verstand erfassen kann ist, daß es nicht unvernünftig ist, dies zu glauben, da Gott nicht in derselben Hinsicht einer ist und drei. Einer ist ER nämlich in Hinsicht auf seine göttliche Wesenheit, drei hin Hinblick auf sein Personsein.)
Bei der Menschwerdung werden die drei Personen ausdrücklich genannt und sind dabei tätig, und das Amt der einen ist das der andern. (In allen Werken der Allerheiligsten Dreifaltigkeit nach „außen“ wirken immer alle drei göttlichen Personen zusammen.) Es ist klar, daß der Sohn sich in einer Weise verhält, die ihm allein zukommt, denn nur er wird Mensch, während die beiden anderen Personen es nicht werden. (Obwohl also alle drei göttlichen Personen bei der Menschwerdung tätig sind, wird dennoch nur die zweite göttliche Person, der Sohn, Mensch und als solcher, Sohn Mariens.) Auch der Vater hat sein eigenes Antlitz und Amt, das ihm allein zukommt: er sendet den Sohn, und diese Sendung kommt ihm allein zu. Er schenkt seinen Sohn der Welt und der Jungfrau: 'So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn dahingab': diese Macht, ihn hinzugeben, gehört ihm allein; 'Gott' bezeichnet hier den Vater, weil der Logos hier sein Sohn genannt wird und ein Sohn nur des Vaters ist.
Der Vater handelt somit in diesem Geheimnis ausdrücklich in seiner Eigenschaft als Vater, denn er gibt seinen Sohn, gibt ihn der Welt und der Jungfrau; das Schenken und Senden steht dem Vater allein zu und erfolgt durch die gleiche Kraft, die ihm allein zukommt, als die Kraft des Allerhöchsten, der seinen Sohn von Ewigkeit her zeugt und ihn jetzt untrennbar davon in der Fülle der Zeiten der Jungfrau schenkt und dahingibt. (Der Sohn Gottes, die zweite göttliche Person nimmt aus der Jungfrau Maria die menschliche Natur an. Natürlich hört er damit nicht auf, ewiger Sohn des Vaters und ein Gott mit ihm zu sein. Dennoch ist er in seiner angenommenen Menschennatur nun zugleich Sohn Mariens.)
Der Vater greift in seiner Vatereigenschaft in dieses Geheimnis ein; durch das Wort des Engels wendet er sich an die Jungfrau, und zwar durch die Kraft, die der Engel die Kraft des Allerhöchsten nennt, nämlich die des Vaters, entsprechend der Redeweise des Engels. Die Kraft des Vaters also wirkt jetzt in der Jungfrau zur neuen Hervorbringung dessen, den der Vater nicht allein in der Jungfrau, sondern immer auch in seinem Schoß und in seiner Ewigkeit hervorbringt. Denn der Vater ist immerdar am Erzeugen des Sohnes innerhalb seiner selbst, und der Akt dieses Hervorbringens hat niemals ein Ende. So bringt der ewige Vater seinen einzigen Sohn auf doppelte Weise hervor: durch ewige Zeugung in sich und in seiner Ewigkeit, woran weder die Jungfrau noch selbst der Heilige Geist einen Anteil haben, und durch Hineinzeugung in die Jungfrau, unter Mitwirken der Jungfrau und mit der Vorbereitung, die der Heilige Geist hierfür geleistet hat, und er gibt ihm so aus einer gleichen Kraft eine doppelte Geburt, der Kraft, die der Engel die des Allerhöchsten nennt, da sie ihm gehört; (Die Allerheiligste Dreifaltigkeit wendet sich bei der Erlösung des Menschengeschlechtes diesem in einer Weise zu, welche unvorstellbar geheimnisvoll ist. Was hier mit menschlichen Worten beschrieben wird, ist letztlich unergründlich – die ewige Zeugung des Sohnes durch den Vater genauso wie seine Annahme der menschlichen Natur in der einen göttlichen Person des Sohnes. Die Kraft des Allerhöchsten bewirkt, daß der ewige Sohn des Vaters im Schoße der Jungfrau wahrer Mensch wird, womit er nun Gott und Mensch zugleich ist, der Gottmensch, unser Herr Jesus Christus.) ihm allein sage ich, nicht einfach seiner Natur, sondern seiner Person und nicht den andern göttlichen Personen, die weder die Kraft haben, ewig zu zeugen noch den Sohn in die Welt zu senden. Einzig der Vater zeugt den Sohn, einzig der Vater sendet den Sohn. Der Sohn erscheint in der Welt aufgrund der Sendung des Vaters; der Geist kann ihn nicht senden, da er ihn nicht erzeugt hat. Diese Sendung des Sohnes ist seine Inkarnation; (Der Sohn kommt in unsere Menschenwelt als Gesandter vom Vater, dessen Willen Er allezeit tun wird. In dieser Sendung ist Er von Beginn seiner Empfängnis an ewiger Hohepriester nach der Ordnung des Melchisedek, der sich für uns in einem Akt vollkommener Hingabe dem Vater darbringt.Während der Vater zu ihm spricht: 'Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt' (Ps. 2,7; vgl. Hebr. 5,5), antwortet der Sohn: 'Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gewollt; aber einen Leib hast du mir bereitet. An Brand- und Sühneopfern hast du kein Wohlgefallen. Da sprach ich: Sieh ich komme – in der Buchrolle steht von mir geschrieben –, O Gott, deinen Willen zu vollziehen' (Ps. 40, 7-9; vgl. Hebr. 10,5ff) sie erfolgt durch die einmalige Kraft, die ihn als Sohn erzeugt, und die deshalb weder dem Sohn noch dem Heiligen Geist zusteht. Die Menschwerdung geschieht somit aus der Kraft des Vaters, denn als Vater erzeugt er seinen Sohn und als ewiger Vater wird er der Jungfrau innerlich, wendet der Vater sich ihr zu, sendet ihr, schenkt ihr, überantwortet ihr seinen Sohn, indem er seine Person und seine Kraft sich in ihr auswirken läßt, damit sie in sich den Gleichen hervorbringe, den er in sich hervorbringt. (Ein wirklich unsagbares Geheimnis, der Sohn, den Maria in Bethlehem gebiert, in Windeln wickelt und in eine Krippe legt, ist zugleich der Sohn, den der himmlische Vater in Ewigkeit zeugt. Dieser Sohn wird in der Jungfrau Maria wahrer Mensch und bleibt dennoch wahrer Gott, die menschliche und die göttliche Natur – unvermischt und ungetrennt zugleich – in der Einheit der einen göttlichen Person des Logos besitzend).
Das Wort „Sendung“ bestätigt diese Wahrheit, denn nach dem hl. Thomas, dem Adler der scholastischen Lehrer, besteht die Sendung einer göttlichen Person darin, daß sie durch die Kraft einer andern Person irgendwo auf eine neue Weise zu existieren beginnt.“
Erst aufgrund unseres tieferen Verständnisses dieses theologischen Hintergrundes sind wir fähig, das Kind in der Krippe von Bethlehem zu verstehen und Ihm in der rechten Weise gegenüberzutreten. Alle echte weihnachtliche Freude stammt ausschließlich aus diesem Wissen um die himmlische Herkunft des Kindes. Dieses Wissen allein verzaubert den Stall, denn es läßt das Geheimnis des Kindes vor uns aufleuchten. Je tiefer man in die himmlische Herkunft eindringt, desto echter und gnadenhafter wird unsere Weihnachtsfreude. Weihnachten muß wesentlich mehr sein als nur ein schöne, anheimelnde Idylle. Sobald unser Glaube das Äußere durchdringt, beginnt das göttliche Licht zu leuchten. Jenes Licht, das letztlich alle wahren Weihnachtsgeschichten immer neu erahnen.
Das Wichtigste an Weihnachten ist, den echten Stall von Bethlehem und darin das Kind mit seiner Mutter zu finden. Und der seligste Augenblick der Heiligen Nacht – nachdem wir hinausgegangen und fündig geworden sind – ist, wenn wir das Kind anschauen dürfen, niederknien und in weihnachtlicher Seligkeit das göttliche Kind anbeten.
Lassen wir uns hierzu noch einmal von Pierre de Bérulle den notwendigen theologischen Hintergrund erklären: „Wir beten einen Gott an, der unendlich ist, aber sich endlich gemacht hat und sich selbst in den beschränkten Kreis der Menschennatur eingeborgen hat. Wir beten an einen ewigen Gott, der sich aber sterblich gemacht hat, einen unsichtbaren Gott, der sich aber sichtbar gemacht hat, einen leidlosen Gott, der sich der Hitze und der Kälte, dem Kreuz und dem Tod ausgesetzt hat, einen vollkommen einfachen und lauteren Gott, der aber nunmehr aus den Elementen zusammengesetzt ist, kurz: einen Schöpfer, der sich selbst zum Geschöpf gemacht hat. Und dieser aus zwei so verschiedenen Naturen zusammengesetzte Gott ist so sehr ewig, daß er sterblich ist, uns so sehr sterblich, daß er ewig ist. Von seinem ersten Wesen verliert er nichts, läßt aber auch nichts von seinem neuen Sein aus, verbindet jedoch beide in einem so teuren, so innigen Band, wie es die Einheit einer einzigen Person ist. Vom Augenblick an, da dieser Neue Lebende durch die Macht des ewigen Vaters, das Wirken des Heiligen Geistes und die göttliche-reine, heilige, wunderbare Mitwirkung der Jungfrau geformt wird, beginnt dieses sowohl göttliche wie menschliche Leben Jesu auf göttlich-menschliche und auf menschlich-göttliche Art zum Vater hin zu wirken: für sich selbst und für die gesamte geschaffene Natur.“
Wenn wir das neugeborenen Kind still anbeten und in seliger Freude uns in sein Geheimnis verlieren, dann wissen wir, die Menschenwelt ist wieder auf dem Heimweg, denn ER, der Weg heim zum Vater ist jetzt mitten unter uns...
Heilige Nacht
Wenn das Jahr seinen Ausklang singt und die Tage immer mehr zur Nacht werden, kann es geschehen, daß die Dunkelheit einem zur Bedrängnis wird und man sich fragt, ob sie nicht die Herrschaft vollkommen an sich reiße, um den Tag ganz zu verdrängen. So geschieht es ja zuweilen in Märchen, eine Nacht beginnt endlos zu werden...
Es geschah vor vielen Zeiten, den Menschen klangen noch die Worte des Anfangs in den Ohren nach, jene Worte, mit welchen Gott die Welt erschaffen hatte. Auch wußten die Menschen noch um die Verfehlung, die Fluch und Strafe auf sie geladen hatte, daß sie nun in Bangen und Hoffnung auf den Erlöser warten mußten, der Fluch und Strafe von ihnen nehmen sollte.
Es war Winter geworden, die Berge hatten sich schon vor Tagen in Jungfräulichkeit gekleidet und nun schneite es auch im Tal. Leise flüsterte der Schnee bei seinem Fallen und sein Flüstern wuchs zu einem laut vernehmbaren Rauschen, wenn die Flocken dicht gedrängt niederschwebten. Der kurze Wintertag war beinahe vollendet, es dunkelte schon draußen und man konnte die ersten Schatten erkennen, welche bald alles in Besitz nehmen würden. Aber durch das leuchtende Weiß wurde das Dunkel gemindert, der Abend legte sich darob mit einer schüchternen Verzagtheit auf die winterliche Welt.
Drunten im Tal, in einem Haus nahe des Baches, hinaufschauend zu den Hügeln, die den Bergen vorangingen, saß ein Junge am Fenster, die Ellenbogen auf das breite Fensterbrett gestützt und den Kopf in den Händen bergend. Er beobachtete die Schneeflocken, die er so sehr ersehnt hatte, vor allem die letzten Tage, und er sah voller Freude wie sie tanzten im leichten Wind und miteinander spielten, herniedergleitend vom Himmel. Manchmal begann er leise mit ihnen zu sprechen, und er meinte in ihrem Flüstern eine Antwort erlauschen zu können. Wie es nun anhob Nacht zu werden, befiel den Jungen eine ungekannte Angst, eine seltsame Bangnis. Die Schneeflocken verbargen sich allmählich in der Dämmerung und ebenso die Hügel, welche nur noch schemenhaft zu ahnen waren. Wie er da so ins Dunkel hineinsann, hörte er mir einem Mal eine undeutliche Stimme aus der Ferne, aber er verstand die Worte nicht. Erschrocken suchte er etwas zu erkennen draußen in der Finsternis, aber da war nur die Nacht. Sein Bangen mehrte sich darauf noch mehr, und es war ihm, als würde die kommende Nacht nie mehr enden, als würde jeder folgende Tag nun vergeblich erwartet. Flehentlich blickte er dem letzten Schimmer des Tages nach und bat inständig das Licht, ihn doch nicht allein zu lassen mit der finstern Nacht – das Licht jedoch erstarb einfach, als würde es ihn nicht hören, ganz ruhig, wie es jeden Tag getan. Schließlich stand nur noch die Nacht vor seinem Fenster und griff unmerklich in das kleine Zimmer, daß auch dieses ganz dunkel wurde. Der Junge schloß seine Augen, er wollte wenigstens in der Erinnerung das Leuchten dieses letzten Tages bewahren. Leise hörte er, wie der Schnee das Fenster berührte und das Dach unter dem sich sein Zimmer befand.
Nach langer Zeit der Angst erst wagte es der Junge, wieder aufzuschauen, bereit dem Grauen der endlosen Nacht zu begegnen. Aber, was war das? Sanft leuchteten die Hügel vor dem Fenster in jungfräulichem Weiß des Schnees. Alles war anders, als es der Junge erwartet hatte, nicht nur Finsternis war der Nacht eigen, es gab auch in ihr das Licht. Sein Bangen verlor sich darum langsam und wich einem immer lebendiger werdendem Staunen: „Wie schön ist diese Nacht“, flüsterte er, „das hätte ich nicht erwartet.“ Die Nacht aber legte ihren Schatten auf den kleinen Jungen und sagte zu ihm: „Ja, ich bin schön, denn ein Geheimnis ist mir geschenkt seit Ewigkeit, ich nämlich bin wahrhaft die Nacht, die endlose, die dennoch ewig beendet ist.“ Der Junge vernahm - ein wenig überrascht - deutlich diese Worte, die er jedoch nicht verstand. Während er ihren Sinn zu deuten suchte, verloren sich seine Gedanken im Anblick der waldbedeckten Hügeln, die immer klarer hervortraten aus der sich verlierenden Düsternis und in ihrem neuen weißen Gewande wie verzaubert glänzten. Einzelne Bäume auch ließen ihre Umrisse erkennen, lange Schatten werfend, da das blaue Licht des Mondes sie berührte. Der Bach plätscherte durch das Tal, von weißen Gestalten begleitet und verlor sich irgendwo in der Ferne. Noch nie hatte der kleine Junge eine solche Schönheit gesehen, weshalb er voller Freude war und Dankbarkeit für diese Nacht, die ihm wie ein Märchen erschien, oder vielmehr noch schöner als alle Märchen, weil sie Wirklichkeit war. In seiner Freude sagte der Junge zur Nacht: „Du hast meine Heimat verzaubert, noch nie habe ich sie so schön geschaut. Du besitzt eine seltsame Macht über die Dinge, Nacht, die Du gleich einer Offenbarung berührst. Dein Geheimnis verbirgt sich nicht in Deinem Dunkel, sondern vielmehr in der Eigenart Deines Lichtes.“
Die Nacht schwieg einen Augenblick nach diesen Worten, dann rief sie den Wind, der anhob zu dröhnen und die Schneeflocken vor sich herjagte, den Himmel aufreißend mehr und mehr, bis zur Mitternacht auf das weite Tal ein Himmel voller Sterne herabsah. Daraufhin verstummte der Wind und die Nacht nahm wieder das Wort an sich, zu den kleinen Jungen sprechend: „Mein Geheimnis hast Du immer noch nicht erkannt. Dieses ist nun erschienen den Menschen. Alle Hoffnung der Welt stammt aus IHM und alle Menschen sollen kommen und es anbeten. Siehe, drunten im Stall, dem alten Bretterverschlag am Bach, dort ist es verborgen. Komme mit mir, ich will Dich hingeleiten, Du sollst es schauen, alle Worte versagen ja, es zu beschreiben. Ich bin die Heilige Nacht, ich habe es Dir offenbart.“
Der Junge zögerte nicht – hatte vertrauen gefunden zu dieser Nacht – faßte ihre Hand und ließ sich hinführen zum alten Stall. Der Schnee lag sehr hoch, er hatte sich in die Fugen der Bretter gelegt und zierte das Dach mit einer wundersamen, weißen Krone. Dadurch war der alte Stall ganz verwandelt und der kleine Junge wollte von Staunen und Ehrfurcht ergriffen schon stehen bleiben, aber die Nacht zog ihn an der Hand und führte ihn bis vor die knarrende Tür des Stalles, die sich vor ihm wie von Geisterhand geführt auftat. Schüchtern schaute er in den Stall, und, da er einen Schritt voranging, gewahrte er das Geheimnis der Heiligen Nacht, welches das Geheimnis der Welt ist und war seit Anbeginn. Und nun verstand er auch, warum sich die Nacht endlos geheißen hatte, weil ihr Geheimnis ewig ist, aber dennoch ewig beendet, weil es fortan keine Nacht der Sünde mehr geben sollte für die, welche ihrem Geheimnis glauben - dem Geheimnis des Kindes in der Krippe, das unser Gott ist. Der Junge glaubte und er kniete nieder und betete das Kind an.
Gegen Morgen, als sich der Junge aufmachte heimzugehen, war es ihm, als sängen vom Himmel her zahllose Chöre der Engel ein neues Lied, das hieß:
„Als alles in tiefem Schweigen lag und die Nacht in ihrem Laufe die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, da kam, o Herr, Dein allmächtiges Wort vom königlichen Thron, alleluja.“