1. Das Zauberwort bei den „liturgischen Reformen“ des vorigen Jahrhunderts, welche in den „Novus Ordo Missae“ mündeten, war die „tätige Teilnahme“ der Gläubigen. Dieses Schlagwort, das die „Liturgische Bewegung“ eifrig in die katholische Welt streute, ging angeblich auf keinen geringeren zurück als den heiligen Papst Pius X., näherhin auf sein Motu proprio „Tra le Sollecitudini – Inter pastoralis officii“, auch „Gesetzbuch der Kirchenmusik“ genannt, vom 22. November 1903. Die einschlägige Passage findet sich in Nr. 3 und lautet in der deutschen Übersetzung: „Im besonderen sorge man dafür, daß der gregorianische Gesang beim Volke wieder eingeführt werde, damit die Gläubigen am kirchlichen Gottesdienst wieder tätigeren Anteil nehmen, so wie es früher der Fall war.“
Daraus entnahmen die „liturgisch bewegten“ Reformer zweierlei, nämlich erstens, daß das Volk oder die „Gemeinde“ früher sehr viel aktiver an der Liturgie beteiligt gewesen sei, zweitens, daß man diesem Ziel sich wieder nähern müsse, indem man etwa als ersten Schritt das Volk den Choral singen lasse, um ihnen später noch weitere liturgische Funktionen anzuvertrauen, denn schließlich handelt es sich beim Choralgesang nach Aussage desselben heiligen Papstes um ein „echtes liturgisches Amt“.
Letztere Aussage findet sich in genanntem Motu proprio unter Nr. 13, und der Kontext mag uns ein wenig stutzig machen. Schon in der vorhergehenden Nr. 12 wird über die „Sänger“ gehandelt, und da lesen wir: „Einige Gesänge sind dem Zelebranten am Altare und der Assistenz vorbehalten und dürfen stets nur im gregorianischen Gesang und ohne jede Orgelbegleitung ausgeführt werden. Alle anderen Stücke des liturgischen Gesanges fallen der Schola der Kleriker zu. Die Kirchensänger vertreten also, auch wenn sie Laien sind, im eigentlichen Sinne die kirchliche Schola.“ Daher führt die Nr. 13 aus: „Aus demselben Grundsatz ergibt sich, daß die Sänger in der Kirche ein echtes liturgisches Amt ausüben und daß daher Frauen, die doch zu einem solchen Amt nicht fähig sind, zur Mitwirkung in der Schola oder im Chor nicht zugelassen werden dürfen. Will man Sopran- und Altstimmen verwenden, so haben nach uraltem Brauch der Kirche Knaben diese Aufgabe zu erfüllen.“
Die Nr. 14 ergänzt: „Schließlich soll man in den Kirchenchor nur anerkannt fromme und rechtschaffene Männer aufnehmen, die sich aufgrund ihres bescheidenen und andächtigen Benehmens während der liturgischen Handlungen des heiligen Dienstes, den sie ausüben, würdig erweisen. Auch wird es geziemend sein, daß die Sänger, wenn sie in der Kirche singen, das geistliche Gewand und den Chorrock tragen. Wenn sie auf einer Empore ihren Platz haben, die allzusehr den Blicken der Leute ausgesetzt ist, sollen sie durch ein Gitter abgeschirmt sein.“
Das klingt nicht so, als wolle der Papst, daß das „Volk“ die liturgischen Gesänge übernehme. Im Gegenteil. Gerade, weil der Gesang in der Hl. Messe ein „echtes liturgisches Amt“ ist, das normalerweise „der Schola der Kleriker“ zufällt, sind nach ihm etwa Frauen ausgeschlossen und auch von den Männern nur bewährte zuzulassen, die möglichst liturgische Kleidung tragen und nicht „allzusehr den Blicken der Leute ausgesetzt“ sein sollen. Wie vereinbart sich das mit der „tätigen Teilnahme“ des Volkes am liturgischen Gesang?
2. Der Brite Dr. Carol Byrne hat sich in einer auf der Internet-Seite „traditioninaction.org“ erschienenen bzw. noch erscheinenden Reihe von Artikeln mit der Frage der „tätigen Teilnahme“ der Gläubigen an der Liturgie befaßt. Dabei stieß er auf die bemerkenswerte Tatsache, daß sich der Ausdruck „tätig“ in der einzig relevanten lateinischen amtlichen Fassung des Motu proprio von Pius X. gar nicht findet. Im Lateinischen lautet die entsprechende Passage so: „Praesertim apud populum cantus gregorianus est instaurandus, quo vehementius Christicolae, more maiorum, sacrae liturgiae sint rursus participes.“ Also etwa: „Insbesondere beim Volk ist der gregorianische Gesang wieder herzustellen, damit die Christgläubigen nach Art der Alten wieder inniger mit der heiligen Liturgie verbunden sind.“
„Apud populum – beim Volk“ bedeutet hier: dort, wo die Christgläubigen sich versammeln, wie Dr. Byrne zeigt, also in den Kirchen. Es bedeutet jedoch nicht, daß das Volk selber den Choralgesang übernehmen soll. Dieser ist vielmehr, wie wir gesehen haben, einer Sängerschola anzuvertrauen. Tatsächlich führt Pius X. aus: „Auch lasse man es sich angelegen sein, wenigstens an den bedeutenderen Kirchen die alten Sängerscholen wieder ins Leben zu rufen, wie es an mehreren Orten bereits mit größtem Nutzen geschehen ist. Es wird einem eifrigen Klerus nicht schwerfallen, solche Scholen sogar an kleineren und an Landkirchen zu errichten. Ja, man wird darin ein ganz einfaches Mittel finden, Kinder und Erwachsene um sich zu sammeln zu deren eigenem Nutzen und zur Erbauung für das Volk“ (Nr. 27).
Es sollen mithin in den jeweiligen Kirchen „beim Volk“ Sängerscholen eingerichtet werden, welche „zur Erbauung für das Volk“ die Choralmelodien singen, was zu einer innigeren Anteilnahme der Gläubigen an der Liturgie beiträgt. Daß der vom Volk gesungene Choral eher selten zur Erbauung und somit zur innigen Teilnahme an der Liturgie beiträgt, weiß jeder, der mit den verschiedenen Gemeinden seine Erfahrung hat, vornehmlich wenn sie sich an einer anderen als der 8. Choralmesse, der sog. „Missa de Angelis“, versuchen. Der heilige Papst spricht auch nicht von einer „aktiven“ Teilnahme der Gläubigen, sondern wünscht, daß sie „vehementius“, also inniger, mit mehr innerer Teilnahme an der Liturgie partizipieren. Gerade das Gegenteil äußerer Aktivität ist hier ausgesagt. „More maiorum“ heißt soviel wie nach altem Brauch und Herkommen, und es soll nicht aussagen, es sei das Volk in früheren Zeiten aktiver an der Liturgie beteiligt gewesen als heute, sondern bezieht sich auf die überlieferte Musik des Gregorianischen Chorals, die eine Teilnahme „nach der Sitte der Alten“, also der Christenheit der vorangegangenen Jahrhunderte, ermöglicht.
Der Papst will somit sagen: Der Gregorianische Choral, wie er seit Jahrhunderten in der Kirche gepflegt wurde, soll durch geschulte männliche Sängerscholen in den verschiedenen Kirchen wieder verstärkt eingeführt und gesungen werden, um so den Gläubigen wieder zu jener innigen und innerlichen Anteilnahme an der Liturgie zu verhelfen, wie sie von jeher üblich war und in neuerer Zeit durch gewisse kirchenmusikalische Entgleisungen verdunkelt wurde.
3. Wie Dr. Byrne herausfand, erschien das Motu proprio Papst Pius' X. in den „Acta Sanctae Sedis“ (ASS) des Jahres 1903 in zwei Versionen, einer italienischen und der lateinischen. Die italienische fand sich mehr als fünfzig Seiten vor der lateinischen Version, mit etlichen anderen Dokumenten dazwischen. Auch war die italienische Fassung vom 22. November datiert, die lateinische mit „X Kalendas Decembris“, was zwar dasselbe Datum in der lateinischen Zählweise darstellt, einen der Sache unkundigen Leser jedoch verleiten könnte zu glauben, die lateinische Fassung sei erst im Dezember nach der italienischen entstanden. Das ist deshalb von Bedeutung, weil schon die italienische Übersetzung den eigentlichen Sinn der Aussage des hl. Pius X. an der genannten Stelle verfälscht.
Heißt es im Lateinischen, daß „apud populum“, also einfach beim Volk der Gregorianische Gesang wieder hergestellt werden soll, so lautet die italienische Version „nell'uso del populo“, also zum Gebrauch des Volkes. Spricht der lateinische Text davon, daß die Gläubigen „vehementius“, also inniger Anteil nehmen sollen an der Liturgie, so sagt der italienische, sie mögen „piú attiva“, also tätiger Anteil nehmen. Bezieht sich die lateinische Fassung auf die „mos maiorum“, also die kirchliche Überlieferung, so heißt es im italienischen „come anticamente solevasì“, also „wie es früher üblich war“. Man fragt sich, wer es fertiggebracht hat, diese falsche Übersetzung bereits 1903 in den „Acta Sanctae Sedis“ unterzubringen.
Die Tendenz der Fälschung ist klar. Dr. Byrne faßt sie in vier Punkten zusammen: „1. Ein Appell, die liturgische Praxis der frühen Kirche hinsichtlich des Gemeindegesangs wiederaufzunehmen ('wie es früher üblich war'). 2. Die Suggestion, daß das Ertönen der Stimme der Lackmustest für ihre wahre Teilnahme an der Liturgie ist. 3. Ein gewaltiger Schritt hin zum 'allgemeinen Priestertum der Getauften' und weg vom sakramentalen Priestertum des Priesters, der die Messe alleine darbringt in offizieller Beauftragung für die Lebenden und die Toten. 4. Eine implizite Kritik an der stillen Teilnahme durch die Laien, welche während der Messe private Gebete verrichten.“
Dom Lambert Beauduin, ein ehemaliger „Arbeiterpriester“, der dann Benediktiner geworden war, ohne jedoch nach eigenem Eingeständnis mit der Liturgie je etwas anfangen haben zu können (er sprach z.B. vom Missale als einem „livre fermé et scellé“, einem verschlossenen und versiegelten Buch, betrachtete die liturgischen Bücher generell als nicht mehr denn „mumbo jumbo“, „Beschwörungen und magische Formeln“, und gestand, das Brevier nie mit auch nur der geringsten Andacht oder Teilnahme gebetet zu haben), dieser Mann also griff die durch Falschübersetzung insinuierte Idee auf und startete damit 1909 die liturgische Revolution.
In diesem Jahr 1909 fand im belgischen Malines auf Einladung von Kardinal Désiré Joseph Mercier ein Kongress der Nationalen Katholischen Aktion statt, der allgemein als Beginn der „Liturgischen Bewegung“ gewertet wird. Auf diesem Kongress hielt Dom Beauduin einen vielbeachteten Vortrag, in welchem er ausführte, daß eine „aristokratische Elite“ des Klerus das Volk seiner ursprünglichen „aktiven Teilnahme“ an der Liturgie beraubt und die Laienschaft so für Jahrhunderte um ihre Rechte gebracht habe. „Was für eine Schande, wenn die Liturgie die Pfründe einer Elite bleibt“, so seine damalige Anklage. „Wir sind Aristokraten der Liturgie. Jedermann sollte die Möglichkeit haben, sich von ihr zu nähren, selbst das einfachste Volk. Wir müssen die Liturgie demokratisieren.“ Hier sprach eindeutig der „Arbeiterpriester“.
Dr. Byrne: „Es war Beauduin, der als erster den Mythos verbreitete (oder nennen wir es vielmehr die Lüge), daß der Brauch der stillen Teilnahme die Laien von der Liturgie 'abhängte', was dazu führte, daß die Messe ihren Gemeinschaftscharakter verlor und die Laien ihren 'Gemeinschaftsgeist'.“ „Beauduin war auch verantwortlich für eine andere Lüge: Die Laien, in ihre eigenen privaten Gebete versunken, ergingen sich in individualistischer Andacht und ließen den Priester ohne sie zelebrieren. Er interpretierte die Abwesenheit von 'aktiver Teilnahme' als Zeichen einer 'beinahe vollständigen Ignoranz oder Apathie unter den Gläubigen in bezug auf den liturgischen Gottesdienst' und folgerte, daß sie nichts von der Messe verstanden.“ Diesen Gedanken griff später Bugnini auf, der große Architekt des „Novus Ordo“, der seine „Reformen“ mit einem „Mangel an Verständnis, Ignoranz und finsterer Nacht“ begründete, die seit dem 6. Jahrhundert in der Liturgie geherrscht hätten.
4. Der von Beauduin gefaßte Begriff der „tätigen Teilnahme“ wurde zum „politisch korrekten“ Mantra der Liturgischen Bewegung und sämtlicher von ihr in Gang gebrachten „Reformen“. Bereits nach weniger als 20 Jahren hatte die Idee den Vatikan erobert. Papst Pius XI. erließ am 20. Dezember 1928 eine „Apostolische Konstitution über die Liturgie, den gregorianischen Gesang und die Kirchenmusik, die täglich immer mehr zu fördern sind 'Divini cultus sanctitatem'“. Darin nimmt er in der Einleitung Bezug auf das Motu proprio des heiligen Pius X. und sagt, es kämen die Gläubigen „im Gotteshaus zusammen, dort die Frömmigkeit gleichsam aus erster Quelle zu schöpfen durch tätige Teilnahme an den verehrungswürdigen Mysterien und am öffentlichen feierlichen Gebet der Kirche“.
In Kapitel IX führt er aus: „Damit aber die Gläubigen tätiger am Gottesdienst teilnehmen, soll der gregorianische Gesang beim Volke wieder eingeführt werden, soweit er für das Volk in Betracht kommt. Es ist in der Tat höchst notwendig, daß die Gläubigen nicht wie Fremde oder stumme Zuschauer [!], sondern, von der Schönheit der Liturgie zuinnerst ergriffen, an den heiligen Zeremonien so teilnehmen, daß sie mit dem Priester und dem Sängerchor nach den gegebenen Vorschriften im Gesange abwechseln. Das gilt auch, wenn bei feierlichen Umzügen, Prozessionen genannt, Klerus und fromme Vereine in geordnetem Zuge mitgehen. Wenn das gut gelingt, wird es nicht mehr vorkommen, daß das Volk entweder gar nicht oder kaum mit schwachem, unterdrücktem Gemurmel auf die gemeinsamen Gebete antwortet, die in der liturgischen oder in der Volkssprache vorgetragen werden.“ Dabei werden übrigens, wie Dr. Byrne anmerkt, liturgischer und außerliturgischer Gottesdienst durcheinandergewirbelt, was später immer wieder als Scharnier benutzt wurde, um gewisse Dinge wie etwa den Gebrauch der Volkssprache über den außerliturgischen in den liturgischen Bereich einzuschmuggeln.
Ganz offensichtlich stand für diese Vorstellungen nicht der heilige Pius X., sondern Dom Beauduin Pate. Pius XI. selber gibt in der Einleitung an, mit seiner Konstitution auf die „Wünsche“ zu reagieren, „die auf so vielen Musikkongressen, besonders auf dem jüngst in Rom abgehaltenen, nicht wenige Seelenhirten und eifrige Vorkämpfer dieser Sache Uns vorgetragen haben“, also kurzum auf die Impulse der „Liturgischen Bewegung“. Unter diesen „Vorkämpfern“ befand sich wohl vor allem Kardinal Mercier, der in seiner Diözese lange vor „Divini cultus“ bereits den Choral-Volksgesang eingeführt hatte. Eine weitere „Vorkämpferin“ war eine Dame namens Justine Ward, eine wohlhabende Amerikanerin und großzügige Gönnerin verschiedener kirchlicher Einrichtungen, welche im Jahr 1920 den „Internationalen Kongress über den Gregorianischen Choral“ an der St. Patrick's Cathedral in New York veranstaltete. Ein Teilnehmer des Kongresses, der englische Benediktiner-Prior Dom Augustine Gatard, schrieb: „Was sie vor allem anstrebt, das ist die Gläubigen, und zwar alle Gläubigen, in die Lage zu versetzen, so weit wie möglich aktiv an der Liturgie und dem Gesang in der katholischen Kirche teilzunehmen.“ Sie unterstützte und ermutigte zu diesem Zweck vor allem Mädchenchöre. In einer Privataudienz erteilte ihr Papst Pius XI. 1924 den Segen für ihr Werk.
Dr. Byrne macht auf die „liturgische Revolution“ aufmerksam, die sich hinter dieser Konstitution verbirgt, nämlich die Einführung von Frauen in den liturgischen Dienst. Im Gegensatz zu Papst Pius X., der wollte, daß Sängerscholen von Männern oder Knaben gebildet und entsprechend unterrichtet würden, fordert Pius XI. dazu auf, daß „vor allem die Schulen, frommen Bruderschaften und anderen religiösen Vereine im liturgischen Gesang unterrichtet werden“, denn „solche Unterweisung ist ja ein Stück des Religionsunterrichts“. „Die Kommunitäten der Ordensleute, Schwestern und frommen Frauen sollen dieses Ziel mit allem Eifer zu erreichen suchen in den verschiedenen Anstalten, in denen ihnen Erziehung und Unterricht anvertraut sind.“ Diese den „Schwestern und frommen Frauen“ anvertrauten Anstalten waren aber in aller Regel Mädchenschulen. Indem also Frauen und Mädchen am liturgischen Gesang beteiligt wurden, übertrug man ihnen gleichsam ein liturgisches Amt.
Bereits 1922 und 1925 zelebrierte Papst Pius XI. persönlich sog. „dialogisierte Messen“ und ermutigte auch sonst die „Liturgische Bewegung“ in jeder Weise. Diese experimentierte daher bereits in den späten 1920er Jahren in ihren verschiedenen Zentren wie etwa der Benediktiner-Abtei Maria Laach mit Neuerungen wie Zelebration „versus populum“, also hin zum Volk, Einführung der Volkssprache in die Messe, Prozessionen zur „Gabenbereitung“, Händeschütteln und dergleichen mehr, um die Liturgie zu „demokratisieren“.
5. Als Pius XII. 1939 den päpstlichen Thron bestieg, waren die Dinge schon weit gediehen und die liturgische Revolution bereits im vollen Gange, was natürlich auf der anderen Seite auch Widerstand erregte. Pius XII., Diplomat der er war, versuchte beiden Seiten gerecht zu werden. Er orakelte über den „Selbstmord“ der Veränderung des Glaubens in der Liturgie, ernannte aber gleichzeitig Bugnini zu ihrem Totengräber, indem er ihn 1948 zum Sekretär der Kommission für die Liturgiereform machte. Er verurteilte 1947 in „Mediator Dei“ die Mißbräuche der „Liturgischen Bewegung“ und erklärte 1956, nachdem er die Verbreitung ebendieser Mißbräuche in der ganzen Kirche zugelassen hatte, daß „die liturgische Bewegung als ein Zeichen der göttlichen Vorsehung für unsere Zeit erschien, als eine Bewegung des Heiligen Geistes in Seiner Kirche“. Er hielt in „Mediator Dei“ an der Notwendigkeit der lateinischen Sprache fest und gestattete gleichzeitig großzügig den Gebrauch der Landessprache in vielen Ländern. Er lehrte, daß der inneren Teilnahme an der Liturgie die Priorität zukomme, pries jedoch gleichzeitig die „Tätigkeit“ der Laien als bestes Mittel, um wirklich teilzunehmen. Er zeigte Verständnis für das Bedürfnis der Laien nach dem betrachtenden Gebet in der Stillen Messe, gleichzeitig drängte er auf die verstärkte Einführung der „dialogisierten Messe“. Kein Wunder, daß Bugnini in der Enzyklika „Mediator Dei“ von 1947 das „Siegel“ sah, das die „höchste Autorität“ der „Liturgischen Bewegung“ verliehen hatte, „die von nun an überall in der Kirche präsent sein würde“.
In Nr. 250 von „Mediator Dei“ lesen wir: „Die kirchliche Hierarchie hat jederzeit von ihrem Recht in liturgischen Dingen Gebrauch gemacht; sie hat den Gottesdienst eingeführt, geregelt und mit immer neuer Pracht und Würde zur Ehre Gottes und zur Erbauung der Gläubigen bereichert. Sie hat auch kein Bedenken getragen - immer unter strenger Wahrung der wesentlichen Eigenart des eucharistischen Opfers und der Sakramente - zu ändern, was sie nicht für angebracht hielt; hinzuzufügen, was geeignet schien zur größeren Verherrlichung Jesu Christi und der Heiligsten Dreifaltigkeit, wie zur Belehrung und heilsamen Aneiferung des christlichen Volkes.“ Nr. 251: „Die heilige Liturgie besteht nämlich aus menschlichen und göttlichen Bestandteilen; die letzteren lassen, da sie vom göttlichen Erlöser festgesetzt sind, natürlich in keiner Weise Änderungen durch Menschenhand zu; die ersteren hingegen können, den Forderungen der Zeiten, Verhältnisse und Seelen entsprechend, mannigfache Umgestaltungen erfahren, so wie sie die kirchliche Hierarchie unter dem Beistand des Heiligen Geistes gutheißt.“
Wie staunen wir, wenn wir einen anderen Text damit vergleichen: „Damit das christliche Volk in der heiligen Liturgie die Fülle der Gnaden mit größerer Sicherheit erlange, ist es der Wunsch der heiligen Mutter Kirche, eine allgemeine Erneuerung der Liturgie sorgfältig in die Wege zu leiten. Denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind. Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben.“ Dies ist der Abschnitt 21 aus der Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ des „II. Vatikanums“, welche zur Grundlage für den „Novus Ordo Missae“ Pauls VI. wurde. Spricht hier nicht derselbe Geist, der die Liturgie der Kirche, vom Heiligen Geist geformt und durch die Jahrhunderte getreu bewahrt, geübt und überliefert, der Beliebigkeit der Menschen ausliefert – zumal in beiden Dokumenten nicht gesagt wird, was denn nun „menschlich“ ist an der heiligen Liturgie und wie weit die „kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen“ Teile reichen. So kommt schon Papst Pius XII. zu der sonderbaren Aussage: „Deshalb steht nur dem Papst das Recht zu, eine gottesdienstliche Praxis anzuerkennen oder festzulegen, neue Riten einzuführen und gutzuheißen, sowie auch jene zu ändern, die er für änderungsbedürftig hält“ (Nr. 258). Eine solche Willkür in liturgischen Dingen hätte man in früheren Zeiten selbst dem Papst nicht zugestanden. Kein Wunder aber, daß in der Folge ein „Konzil“ und sein „Papst“ sich für berechtigt hielten, eine völlig „neue Messe“ einzuführen.
Auch der folgende Abschnitt aus der Enzyklika Papst Pius' XII. klingt schon sehr nach „II. Vatikanum“: „Der Gebrauch der lateinischen Sprache, wie er in einem großen Teil der Kirche Geltung hat, ist ein allen erkennbares und schönes Zeichen der Einheit und eine mächtige Schutzwehr gegen jegliche Verderbnis der wahren Lehre. Bei manchen kirchlichen Zeremonien kann indes die Verwendung der Landessprache dem Volke sehr nützlich sein“ (Nr. 260). In „Sacrosanctum Concilium“ heißt es so: „Der Gebrauch der lateinischen Sprache soll in den lateinischen Riten erhalten bleiben, soweit nicht Sonderrecht entgegensteht. Da bei der Messe, bei der Sakramentenspendung und in den anderen Bereichen der Liturgie nicht selten der Gebrauch der Muttersprache für das Volk sehr nützlich sein kann, soll es gestattet sein, ihr einen weiteren Raum zuzubilligen ...“ (Nr. 36).
6. 1948 gründete Pius XII. die „Päpstliche Kommission für eine allgemeine Reform der Liturgie“. Ihr Präsident war Kardinal Clemente Micara, ihr Sekretär der Lazaristenpater und spätere Erzbischof Annibale Bugnini, der Schöpfer der „Neuen Messe“, ihr Generaldirektor P. Giuseppe Antonelli, später Kardinal und Mitautor des „Novus Ordo“. Mitglieder waren außerdem u.a. P. Augustin Bea, der schon für „Mediator Dei“ von großem Einfluß war, Beichtvater von Pius XII., später ebenfalls Kardinal und einer der Drahtzieher für den Ökumenismus des „II. Vatikanums“, P. Dante, der päpstliche Zeremonienmeister von 1947 bis 1967, seinerseits auch später zur Kardinalswürde erhoben, P. Joseph Löw, der zusammen mit Antonelli an der „erneuerten Osternacht“ von 1951 sowie der Änderung der Zeremonien der Karwoche von 1955 beteiligt war, sowie P. Carlo Braga, ein enger Mitarbeiter Bugninis, der unter Paul VI. Sekretär des „Consilium“ für die Liturgiereform wurde. Diese Kommission arbeitete weitgehend im Geheimen und völlig an der päpstlichen Ritenkongregation vorbei, nur direkt dem Papst verantwortlich.
Bugnini sah die Liturgie der Kirche als ein altes, vom Verfall bedrohtes Gebäude, das dringend der Reparatur oder Erneuerung bedürftig war. Ihre „Mängel, Unzulänglichkeiten und Beschwerlichkeiten“ machten sie geistig „steril“ und unzugänglich für das moderne Empfinden. Man müsse zur Einfachheit der ersten Zeiten, zur Liturgie der frühen Kirche zurückkehren und alle späteren Entwicklungen, speziell des Mittelalters und der nachtridentinischen Zeit, wieder rückgängig machen. Die Karwochenreform von 1951 bis 1955 sollte damit ernst machen.
Im Dekret der römischen Ritenkongregation „Maxima Redemptionis“ über die „liturgische Neuordnung der Karwoche“ vom 16. November 1955 heißt es: „Diese Gottesdienste wurden anfänglich an denselben Wochentagen und zu denselben Tagesstunden gefeiert, an denen sich die heiligen Geheimnisse ereigneten. … Im Mittelalter führten dann verschiedene Ursachen dazu, dass man begann, die liturgische Feier an diesen Tagen zeitlich vorwegzunehmen. Gegen Ende des Mittelalters waren alle diese liturgischen Feierlichkeiten bis an die Morgenstunden vorverlegt. Das geschah natürlich nicht ohne Schaden für den liturgischen Sinn und nicht ohne Verwirrung zwischen den Berichten der Evangelien und den zugehörigen liturgischen Darstellungen. Zumal die Liturgie der Ostervigil verlor durch die Verlegung von ihrer eigentlichen nächtlichen Stunde ihre ursprüngliche Eindrucksmächtigkeit und den Sinn ihrer Worte und Symbole. Außerdem büßte der heilige Karsamstag durch die Vorwegnahme der Osterfreude den ihm eigenen traurigen Charakter des Gedächtnisses an die Grabesruhe des Herrn ein. In neuerer Zeit kam dann noch eine Änderung der Verhältnisse hinzu, die besonders unter seelsorgerlicher Rücksicht schwerwiegend war. … Von da an ließ die Teilnahme der Gläubigen an diesen heiligen Feiern notwendigerweise nach. Der Hauptgrund lag darin, dass die Feier schon lange auf die Morgenstunden verlegt war, in denen überall auf der Welt an den Werktagen in Schule, Beruf und Öffentlichkeit gearbeitet wird. Tatsächlich beweist die allgemeine Erfahrung, dass fast überall die feierliche und ernste Liturgie des heiligen Triduums vom Klerus vollzogen wird, während die Hallen der Kirchen oft fast leer sind.“
Der Text fährt fort: „Das ist gewiß sehr zu bedauern. Denn die Liturgie der Heiligen Woche besitzt nicht nur eine einzigartige Würde, sondern auch eine besondere sakramentale Kraft und Fruchtbarkeit für das christliche Leben. Sie kann keinen ebenbürtigen Ausgleich finden in den so genannten außerliturgischen Andachten, die während der drei heiligen Tage in den Nachmittagsstunden gehalten werden. Aus diesen Gründen haben Fachleute der Liturgik, Seelsorger und vor allem auch Hochwürdigste Bischöfe in den letzten Jahren den Heiligen Stuhl dringend gebeten, er möge die liturgischen Feiern des heiligen Triduums wie ehedem auf die Nachmittagsstunden zurückverlegen, vor allem zu dem Zweck, dass alle Gläubigen leichter an ihnen teilnehmen können.“ Dies war in der Tat eine der Hauptforderungen der „Liturgischen Bewegung“ gewesen, die nunmehr voll und ganz erfüllt wurde.
Unter dem Vorwand, die Liturgie wieder so herzustellen, wie sie vor ihren „Entstellungen“ durch das Mittelalter und die Neuzeit gewesen sei, und unter der Vorgabe, man habe nur die Tageszeit geändert, zu welcher die Liturgien gefeiert werden, scheute man sich nicht, ganz gravierende Änderungen und Neuerungen vorzunehmen. Gerade jene „Liturgie der Heiligen Woche“, die nach Aussage des Dekrets so eine „einzigartige Würde“ und „besondere sakramentale Kraft und Fruchtbarkeit für das christliche Leben“ besitzt, wurde zur bevorzugten Zielscheibe und Spielball der Neuerer bei ihrem Generalangriff auf die Liturgie der Kirche. Pater Braga sprach später in diesem Zusammenhang vom „Kopf des Rammbocks“, mit „welchem die Festung der bis anhin statischen Liturgie eingerissen wurde“. Tatsächlich hat man ganz im Sinn von „Mediator Dei“ „kein Bedenken getragen ... zu ändern“, was man „nicht für angebracht hielt“, „hinzuzufügen, was geeignet schien“, „neue Riten einzuführen“ und „jene zu ändern“, die man „für änderungsbedürftig“ hielt.
Wichtigste Neuerungen entsprechend den Zielen der „Liturgischen Bewegung“ waren u.a. die Einführung der Volkssprache in die Liturgie (bei den Lesungen des Karfreitags oder der Osternacht), das Verdrängen des Priesters vom Altar (etliche Zeremonien leitet er vom Lesepult aus oder sitzt gar auf den Sedilien und „lauscht“, während ein Laie die Lesung in der Landessprache vorliest), der Vollzug einiger Riten „versus populum“ und mit dem Rücken zum Altar und Tabernakel (etwa die Palmweihe am Palmsonntag oder die Wasserweihe in der Osternacht), das Weglassen von Stufengebet und Schlußevangelium (Palmsonntag und Ostervigil) und vieles mehr. Am schlimmsten traf es freilich den Karfreitag, dessen Liturgie der uralten „missa praesanctificatorum“ beraubt und in ein Modell des „Novus Ordo“, bestehend aus Wortgottesdienst und Kommunionfeier, umgewandelt wurde. Von diesem Schlag sollte sich die Liturgie nicht mehr erholen.
7. Zu Weihnachten 1955, am 25. Dezember, erschien die Enzyklika Papst Pius' XII. über die Kirchenmusik, „Musicae sacrae disciplina“. Darin wird erstmals offen der liturgische Gesang auch Frauen und Mädchen übertragen. Es heißt darin: „Wo aber solche Sängerscholen nicht eingerichtet werden können oder sich die entsprechende Zahl von Sängerknaben nicht findet, ist es gestattet, daß 'ein Chor von Männern und Frauen oder Mädchen an einem nur für ihn bestimmten Platz außerhalb des Altarraumes im Hochamt die liturgischen Texte singen könne, vorausgesetzt, daß die Männer von den Frauen und Mädchen ganz getrennt sind…'.“ Wir dürfen dagegen noch einmal den Text des „Motu proprio“ des hl. Pius X. setzen, in welchem noch stand, „daß die Sänger in der Kirche ein echtes liturgisches Amt ausüben und daß daher Frauen, die doch zu einem solchen Amt nicht fähig sind, zur Mitwirkung in der Schola oder im Chor nicht zugelassen werden dürfen“.
1956 machte Pius XII. Bugnini zum Berater der Ritenkongregation, was dieser sofort nützte, um eine größere Brevierreform einzuleiten, nachdem er schon 1955 mit Erlaubnis des Papstes einige Kürzungen und Erleichterungen zur „Vereinfachung“ des göttlichen Offiziums vorgenommen hatte. Ebenfalls im Jahr 1956 fand in Assisi ein liturgischer Kongress statt, auf dem die Neuerer ihre Siege feierten. Es war dies der letzte einer Reihe großer Kongresse, welche die liturgischen Neuerungen vorangebracht hatten. So war etwa 1953 bereits ein Kongress in Lugano gehalten worden, auf welchem Kurien-Kardinal Ottaviani, Kardinal Frings von Köln, 15 Erzbischöfe und Bischöfe und einige hundert Priester anwesend waren. Die Resolutionen dieses Kongresses lauteten u.a.: verstärkte „aktive Teilnahme“ der Laien an der Liturgie, eine Forderung, welche Mgr. Montini (der spätere „Paul VI.“) aus Rom durch eine Botschaft unterstützte; die Forderung nach Gesang und Vortrag sämtlicher Schriftlesungen in der Hl. Messe in der Volkssprache; Revision der gesamten Karwoche (wie sie dann 1955 auch erfolgte). Diesem Kongress hatte Pius XII. mit einer Botschaft vom 9. September 1953 seine Ermutigung und seinen Segen übersandt. Kardinal Ottaviani (später bekannt für seine „Intervention“ gegen den „Novus Ordo“) feierte anläßlich dieses Kongresses eine Messe „versus populum“.
Der Kongress von Assisi 1956 wurde später in Rom fortgesetzt und erhielt vom Papst eine Botschaft an die Teilnehmer, in welcher er die „Liturgische Bewegung“ als „ein Zeichen der Vorsehung Gottes für unsere Zeit und die Tätigkeit des Heiligen Geistes in der Kirche“ bezeichnete. Bugnini triumphierte später: „Wer hätte damals voraussagen können, daß drei Jahre später das größte kirchliche Ereignis des Jahrhunderts, das II. Vatikanische Konzil, angekündigt würde, bei welchem sich die in Assisi ausgesprochenen Wünsche erfüllen würden, und dies durch dieselben Männer, die auch in Assisi dabei waren?“ War es Zufall, daß ausgerechnet Assisi der Schauplatz dieses das „II. Vatikanum“ vorbildenden Triumphes war?
Am 3. September 1958 erließ die Ritenkongregation eine „Instruktion über die Kirchenmusik und die heilige Liturgie im Geiste der Enzykliken Papst Pius' XII. 'Musicae sacrae disciplina' und 'Mediator Dei'“. Im III. Kapitel finden wir einige „Grundregeln über die Teilnahme der Gläubigen“ an der Heiligen Messe. Da wird zwar zunächst betont: „Diese Teilnahme muß in erster Linie innerlich sein“, doch gleich darauf wird festgestellt: „Die Teilnahme der Anwesenden wird vollkommener, wenn zur inneren Aufmerksamkeit auch äußeres Mittun hinzutritt, das sich in äußeren Akten kundgibt, wie durch die Körperhaltung (durch Knien, Stehen, Sitzen), durch rituelle Handlungen und vor allem durch Antworten, Gebete und Gesang.“ Ferner: „Eine vollkommene tätige Teilnahme wird schließlich erreicht, wenn auch die sakramentale Teilnahme dazukommt“, also die sakramentale Kommunion der Gläubigen.
Im einzelnen führt das Dokument an, wie die „tätige Teilnahme“ der Gläubigen jeweils zu verwirklichen sei. „Beim Hochamt kann die tätige Teilnahme der Gläubigen in drei Stufen erfolgen“, heißt es da (Nr. 25). Die erste „besteht darin, daß alle Gläubigen im Gesangston die liturgischen Antworten geben“, die zweite „darin, daß alle Gläubigen auch die Teile des Ordinariums der Messe singen“, und die dritte „schließlich besteht darin, daß die Anwesenden im gregorianischen Gesang so geschult sind, daß sie auch die Teile des Propriums der Messe singen können“. Auf diese letztere „volle Teilnahme am Gesang“ sei „vor allem in religiösen Gemeinschaften und in den Seminarien zu dringen“. Im übrigen sei „mit aller Sorgfalt darauf hinzuarbeiten, daß alle Gläubigen auf der ganzen Erde“ die „liturgischen Antworten im Gesangston geben können“, sowie dafür „Sorge zu tragen, daß auf der ganzen Erde die … leichteren gregorianischen Melodien von den Gläubigen gelernt werden“.
Was die „Teilnahme der Gläubigen bei gesprochenen Messen“ anbelangt, so sei „mit Eifer … dafür zu sorgen, daß die Gläubigen auch der gesprochenen Messe 'nicht wie Fremde oder stumme Zuschauer' beiwohnen, sondern so teilnehmen, wie es das hohe Geheimnis erfordert und überreiche Früchte bringt“ (Nr. 28). Bei seinem Zitat bezieht sich das Dokument auf die Apostolische Konstitution von Pius XI. „Divini cultus“, die wir oben schon gesehen haben. Immerhin jedoch bestehe die „erste Art der Teilnahme der Gläubigen an der gesprochenen Messe“ darin, „daß jeder einzelne selbst sich um die Mitfeier bemüht, sei es innerlich, d.h. durch fromme Aufmerksamkeit auf die wichtigeren Teile der Messe, oder äußerlich, entsprechend den verschiedenen bewährten Gewohnheiten der Länder“ (Nr. 29). Hier findet das Dokument „vor allem jene lobenswert, die ein kleines, dem eigenen Verständnis angepaßtes Missale zur Hand haben und gemeinsam mit dem Priester in denselben Worten der Kirche beten“. Früher war es das Vorrecht der Priesters, das Missale zu haben und die Messe zu „lesen“, nun soll also jeder Gläubige die Messe „mitlesen“.
Da jedoch die Gläubigen nicht nur wie „stumme Zuschauer“ beiwohnen sollen, so sollen sie die Messe nicht nur mitlesen, sondern auch mitsprechen. Somit besteht die „zweite Art der Teilnahme“ darin, „daß die Gläubigen durch gemeinsames Beten und Singen sich am eucharistischen Opfer beteiligen“ (Nr. 30). „Eine dritte und zwar vollkommenere Art wird schließlich erreicht, indem die Gläubigen dem zelebrierenden Priester in liturgischer Form antworten, gleichsam in einem 'Dialog' mit ihm, und die ihnen zustehenden Teile mit lauter Stimme sprechen“ (Nr. 31). Man beachte, daß hier sogar gewisse „Teile“ der Liturgie offensichtlich den Gläubigen „zustehen“, ihnen also wohl tatsächlich im Laufe der Zeit geraubt worden waren, wie es die „Liturgische Bewegung“ anprangerte. Nun soll die Messe wohl die alte Form des „Dialogs“ zwischen Priester und Gemeinde wiedererlangen. Der „Volksaltar“, welcher diesen „Dialog“ erst recht ermöglicht, ergibt sich daraus fast wie von selbst als logische Konsequenz.
Die letztgenannte „vollkommenere Art“ der „tätigen Teilnahme“ kennt wieder mehrere Stufen. Die erste ist erreicht, „wenn die Gläubigen dem zelebrierenden Priester die leichteren liturgischen Antworten geben“, die zweite, „wenn die Gläubigen auch die Teile sprechen, die nach den Rubriken dem Meßdiener zukommen“, die dritte, „wenn die Gläubigen auch Teile des Ordinariums der Messe … gemeinsam mit dem zelebrierenden Priester rezitieren“, die „vierte Stufe schließlich, wenn die Gläubigen auch die zum Proprium der Messe gehörenden Teile … gemeinsam mit dem Priester sprechen“. In Nr. 32 lesen wir dann sogar: „Bei gesprochenen Messen kann das ganze Pater noster, da es ein passendes, altes Gebet zur Kommunion ist, von den Gläubigen gemeinsam mit dem zelebrierenden Priester rezitiert werden.“ Es ist erstaunlich, was den Gläubigen plötzlich alles „zusteht“! Darunter das Mitbeten mit dem zelebrierenden Priesters und die Übernahme jener Gebete, die dem Meßdiener, also dem Klerus vorbehalten waren.
So war also der Stand der Dinge am Ende des Pontifikats von Pius XII. Er starb gut einen Monat nach Veröffentlichung dieses Dokuments, am 9. Oktober 1958. Am 28. Oktober wurde Roncalli zum Gegenpapst „Johannes XXIII.“ erhoben, und damit begann ein neues Kapitel in der Geschichte der „tätigen Teilnahme“, mit dem wir uns in einem zweiten Teil dieser Arbeit beschäftigen wollen.