Leo XIII. war ein gebildeter, weitsichtiger, glaubensstarker, er war mit einem Wort gesagt ein großer Papst. Er regierte die Kirche Jesu Christi in einer schweren Zeit, denn die Angriffe der Feinde wurden immer heftiger. Auf der einen Seite widersetzten sich kirchenfeindliche Regierungen und Kräfte der übernatürlichen Religion und bedrohten mehr und mehr ihre Existenz. Zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl gab es keine diplomatischen Beziehungen mehr, und der Papst war ein „Gefangener“ innerhalb der Mauern des Vatikans. Der Kulturkampf in Deutschland und der Schweiz versuchte die Kirche in die Sakristeien einzusperren und jeglichen öffentlichen Einfluß zu rauben, und die Regierungen von Frankreich und Belgien wollten die Kontrolle über die kirchlichen Schulen erhalten und deswegen die kirchlichen Lehrkongregationen vom Lehrbetrieb ausschließen. Auf der anderen Seite war die Freimaurerei, über die der Papst in einer eigenen Enzyklika gesprochen hat, der Kirche unverhohlen feindselig gesonnen und versuchte mit allen Mitteln, Einfluß auf das kirchliche Leben zu gewinnen, indem sie die Kirche unterwanderte. Hinzu kam noch, daß die sog. neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft lang vertretene kirchliche Lehren zu widerlegen schienen und damit das Lehramt in eine gefährliche Defensive drängten.
Leo XIII. erkannte all diese Gefahren und bemühte sich, ihnen entgegenzuwirken. Neben all seinen politischen und kirchenpolitischen Bemühungen sah er vor allem noch ein weiteres notwendiges Mittel, um die Kirche vor ihren vielen Feinden zu schützen, ein Mittel, das nicht natürlich, sondern übernatürlich war – der hl. Rosenkranz!
Papst Leo XIII verfaßte während seines Pontifikates zwölf Enzykliken und fünf Apostolische Schreiben über den hl. Rosenkranz. Von 1883 bis 1889 erschien fast jedes Jahr, in der Regel als Vorbereitung auf den Monat Oktober, eine Enzyklika über den hl. Rosenkranz. In der Enzyklika „Supremi apostolatus“ aus dem Jahr 1883 erklärt Leo XIII., warum es ihm besonders notwendig erscheint, in dieser bedrängten Lage Zuflucht zu Maria zu nehmen:
„Das apostolische Amt, das Wir bekleiden, sowie die außerordentlich kritischen Zeitverhältnisse ermahnen Uns und zwingen Uns fast täglich, um so mehr auf den Schutz und das Heil der Kirche bedacht zu sein, je heftiger Wir sie umkämpft sehen. Indem Wir nach Kräften auf jede mögliche Weise für die Rechte der Kirche Uns einsetzen und bemühen, die drohenden und vorhandenen Gefahren abzuwehren oder ihnen zuvorzukommen, besteht Unsere ständige Sorge um die Erlangung der Hilfe von oben. Nur dadurch können Unsere Mühen und Sorgen den gewünschten Erfolg sicher erlangen. Um dieses Ziel zu erreichen, erachten Wir nichts für so heilsam und machtvoll, als in kindlicher Verehrung für Uns das Wohlwollen der hocherhabenen Gottesmutter und Jungfrau Maria zu erflehen. Sie ist bei Gott die Mittlerin des Friedens für uns und die Spenderin der himmlischen Gnaden. Mit großer Macht und Herrlichkeit thront sie im Himmel, um den Menschen ihren Schutz zu gewährleisten auf ihrer mühsamen und gefahrvollen Wanderung in die ewige Heimat.“
Der Papst war der festen Überzeugung, ohne Hilfe vom Himmel ist den vielen Gefahren nicht mehr Herr zu werden. Um aber diese Hilfe zu erlangen, ist es notwendig, übernatürliche Mittel zu ergreifen – Mittel, die dem Weltmenschen töricht erscheinen, dem Glaubenden aber unerschütterliches Vertrauen auf die Gnadenhilfe Gottes verleihen. Dabei ist es vor allem „heilsam und machtvoll, sich in kindlicher Verehrung für Uns das Wohlwollen der hocherhabenen Gottesmutter und Jungfrau Maria zu erflehen“. Leo XIII. erklärt dementsprechend weiter:
„Es war von jeher für den katholischen Menschen ein Herzensbedürfnis, in den Stunden des Bangens und der Not zu Maria seine Zuflucht zu nehmen und sich in ihre mütterlichen Arme zu werfen. Darin kommt die felsenfeste Hoffnung und das unerschütterliche Vertrauen zum Ausdruck, das die katholische Kirche mit Recht stets auf die Mutter des Herrn gesetzt hat. Die ohne Makel der Erbsünde empfangene Jungfrau, die zur Gottesmutter Auserwählte, die zur Mitwirkung an der Erlösung des Menschengeschlechtes berufen ist, steht bei ihrem Sohne in so großem Ansehen und besitzt eine so große Macht, daß weder Mensch noch Engel mit ihr verglichen werden, ja niemals gleichkommen kann. Weil es ihr das liebste ist, jedem, der ihre Hilfe anruft, beizustehen mit ihrem Trost, wird sie zweifelsohne noch bereitwilliger die Bitten der ganzen Kirche erhören, ja, sie wird in gewissem Sinn nach solchen Bitten verlangen. Einen hoffnungsfrohen Aufschwung nahm die große Verehrung der erhabenen Himmelskönigin jedesmal, wenn Irrtümer in großer Zahl aufstiegen, wenn Sittenverderbnis sich ausbreitete oder gefährliche Angriffe auf die kämpfende Kirche gestartet wurden.“
Instinktiv nimmt der Katholik bei besonderen Gefahren Zuflucht zur Gottesmutter Maria. Sie, die „ohne Makel der Erbsünde empfangene Jungfrau, die zur Gottesmutter Auserwählte, die zur Mitwirkung an der Erlösung des Menschengeschlechtes berufen ist, steht bei ihrem Sohne in so großem Ansehen und besitzt eine so große Macht, daß weder Mensch noch Engel mit ihr verglichen werden, ja niemals gleichkommen kann“. Sie ist die Mittlerin aller Gnaden und die Siegerin in den Schlachten Gottes. Wobei wir Katholiken wissen, das Reich Christi auf Erden ruht auf anderem Fundament als die Reiche dieser Welt. Der Katholik kämpft deswegen nicht mit irdischen Waffen, nicht mit Gewehren, Panzern und Flugzeugen, sondern mit Waffen des Geistes, Waffen des Himmels. Die Hauptwaffe in diesem Sinne des Wortes aber ist das Gebet, und unter den Gebeten wiederum besonders der hl. Rosenkranz, wie Leo XIII. hervorhebt.
„Weil die Allerseligste Jungfrau gerade an diesem heiligen Gebet besonderes Wohlgefallen zu haben scheint und weil es sich zur Verteidigung der Kirche und der Christenheit eignet sowie zur Erlangung von Gnaden für das private und öffentliche Leben, ist nicht zu verwundern, wenn auch andere Unserer Vorgänger vor Uns das Rosenkranzgebet mit Lobsprüchen überhäuften und die Andacht zu verbreiten suchten. Urban IV. erklärt, ‚daß durch den Rosenkranz die Gläubigen täglich Gnaden erlangen‘. Sixtus IV. erklärt diese Gebetsweise als sehr geeignet ‚zur Verehrung Gottes und der Allerseligsten Jungfrau und zur Abwehr drohender Gefahren für die Welt‘. Leo X. nennt den Rosenkranz ‚eine Einrichtung gegen Irrlehren und schleichende Irrlehren‘ und Julius III. ‚eine Zierde der römischen Kirche‘. Im gleichen Sinn äußert sich der Heilige Vater Papst Pius V.: ‚Wenn dieses Gebet gepflegt wird und die Gläubigen sich in diese Betrachtung versenken, dann bewirkt diese Flamme des Gebetes eine plötzliche Bekehrung in anderen Menschen. Die Finsternis der Irrlehren weicht zurück, und das Licht des katholischen Glaubens erstrahlt in neuem Glanze.‘ Gregor XIII. erklärt schließlich: ‚Das Rosenkranzgebet wurde vom heiligen Dominikus eingeführt, um Gottes Zorn zu versöhnen und die Fürbitte der Heiligsten Jungfrau zu erwirken.‘ Derartige Erwägungen in Verbindung mit dem Beispiel Unserer Vorgänger leiten auch Uns, wenn Wir jene feierliche Andacht auch für Uns gegenwärtig für zeitgemäß halten, damit auch wir durch Anrufung der erhabenen Jungfrau im Rosenkranzgebet eine ähnliche Hilfe in unserer Notlage von Christus, ihrem Sohn, erlangen.“
Solche Worte sind für den modernen Menschen wohl eher befremdlich, glaubt er ja schon gar nicht mehr an Gott und wenn noch, dann nicht an die Wirksamkeit des Gebetes. Die übernatürliche Welt der Gnade ist ihm ein Rätsel. Wie sollte man durch das Gebet die Welt verändern oder verbessern können, wie Einfluß nehmen können auf die Politik und den Verlauf des gesellschaftlichen Entwicklung? Ohne den Glauben erscheinen solche Vorstellungen geradezu absurd, mit dem Glauben aber naheliegend: „Wenn dieses Gebet gepflegt wird und die Gläubigen sich in diese Betrachtung versenken, dann bewirkt diese Flamme des Gebetes eine plötzliche Bekehrung in anderen Menschen. Die Finsternis der Irrlehren weicht zurück, und das Licht des katholischen Glaubens erstrahlt in neuem Glanze.“ Darum nimmt die hl. Kirche, je größer die Gefahr ist, immer mehr Zuflucht zu Maria und zum hl. Rosenkranz. Leo XIII. erinnert:
„Ehrwürdige Brüder, die täglichen schweren Kämpfe und Leiden der Kirche sind Euch bekannt. Welch großen Gefahren sind täglich die christliche Frömmigkeit, öffentlicher Anstand und Moral, ja der Glaube selbst, die Krone und Grundlage aller übrigen Tugenden, ausgesetzt! Wir brauchen nicht auf Unsere eigene bedrängte Lage und auf Unsere vielen Sorgen hinzuweisen; Eure Liebe fühlt ja mit Uns, und Ihr empfindet sie als Eure eigenen. Bei weitem schlimmer und beklagenswerter ist die Tatsache, daß so viele durch Christi Blut erkaufte Seelen vom Strudel der unseligen Zeitverhältnisse fortgerissen werden, immer mehr dem Bösen verfallen und sich in ewiges Verderben stürzen. Aus diesem Grunde ist heute ebenso die Hilfe von oben notwendig wie in den Zeiten des heiligen Dominikus, als dieser große Heilige sich darum bemühte, die Schäden und Wunden der Zeit durch das Rosenkranzgebet zu heilen. Durch göttliche Erleuchtung erkannte er, daß es für die Übel seiner Zeit kein wirkungsvolleres Heilmittel gebe als die Rückkehr der Menschen zu Christus, der ‚Weg, Wahrheit und Leben‘ ist. Es war ihm klar, daß diese Rückkehr sich vollzieht einmal in der betrachtenden Versenkung in die Geheimnisse des Heiles, das er uns gebracht hat, und in die Zuflucht zu Maria, unserer Fürsprecherin bei Gott, der es verliehen ist, alle Irrlehren zu besiegen. Darum hat der Heilige das Rosenkranzgebet so geformt, daß man die Heilsgeheimnisse der Reihe nach betrachtet und diese Betrachtungen zu einem mystischen Kranz webt, der aus dem Englischen Gruß und dem Gebet zu Gott, dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, besteht. Weil unsere Notlage der damaligen Notlage gleicht und wir ihr durch das gleiche Heilmittel zu begegnen suchen, zweifeln Wir nicht daran, daß dieses Gebet auch die Nöte unserer Zeit beseitigen wird, ebenso wie ehemals, als es der Heilige zum großen Segen für die katholische Welt einführte.“
Das rechte Beten des hl. Rosenkranzes verändert einerseits die Herzen und öffnet anderseits den Strom der Gnade, denn Gnade will immer erbetet werden, Gnade muß immer erbetet werden. Der Rosenkranz ist eine „Rückkehr der Menschen zu Christus, der ‚Weg, Wahrheit und Leben‘“ ist. Wie der hl. Dominikus, so sollen auch wir erkennen, „daß diese Rückkehr sich vollzieht einmal in der betrachtenden Versenkung in die Geheimnisse des Heiles, das er uns gebracht hat, und in die Zuflucht zu Maria, unserer Fürsprecherin bei Gott, der es verliehen ist, alle Irrlehren zu besiegen“.
Wie Leo XIII. erklärt, ist der Rosenkranz sowohl eine „Schule des Glaubens“ als auch eine „Schule der Liebe“. Durch die ständige und beharrliche Betrachtung der Heilsgeheimnisse gelangt man zur immer vollständigeren Bekehrung des Herzens und zur Umwandlung des eigenen Verhaltens. Die drei verschiedenen Geheimnisreihen des freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Rosenkranzes sind ein Gegenmittel oder auch Heilmittel für die von vielen Irrtümern geplagte moderne Gesellschaft. Die freudenreichen Geheimnisse, bei denen wir auf das „verborgene“ Leben Jesu Christi und der hl. Familie in Nazareth blicken, stehen im Gegensatz zur gegenwärtigen Verachtung von Armut und Einfachheit des Lebens. Die schmerzhaften Geheimnisse, während der wir das Leiden Christ betrachten und uns mit Maria unter das Kreuz stellen, stehen im Gegensatz zur Leidensscheu des modernen Menschen. Und die glorreichen Geheimnisse, die die Auferstehung, die Himmelfahrt, die Herabkunft des Heiligen Geistes und die Aufnahme der allerseligsten Jungfrau Maria in den Himmel erwägen, sind eine immerwährende Gedächtnishilfe, daß dieses Leben nur ein Vorspiel für ein zukünftiges, ewiges Leben bei Gott ist, das nur im Glauben und mit Hilfe der göttlichen Gnade erreicht werden kann.
Wer immer sich ernsthaft mit dem Rosenkranzgebet beschäftigt, wird erkennen und erfahren, der Rosenkranz selber ist eine himmlische Schule des Gebetes. Man muß nur seinen Vorgaben treu folgen und sich bemühen, durch den von der Gnade erleuchteten Glauben die Rosenkranzgeheimnisse immer tiefer zu durchdringen.
Der berühmte französische Arzt, Josef Recamier, der 1852 zu Paris starb, machte folgenden bemerkenswerten Ausspruch über das Rosenkranzgebet: „Der Rosenkranz ist wie eine Glocke beim Haus. Bei jedem Ave Maria läuten wir an, damit uns die Pforte der Gnade geöffnet werde. Jedes Ave Maria ist eine Eingabe einer Bitte bei der allergnädigsten Königin.“
„Das ist alles, was du vom Rosenkranz erreichen kannst: alle Todsünden vermeiden und alle Versuchungen überwinden. Dies inmitten der Ströme der Bosheit der Welt, die oft die Tugendhaftesten mitreißen, inmitten der dichten Finsternis, die oft die Erleuchtetsten blenden und inmitten der bösen Geister, die wohl wissen, daß ihnen nur wenig Zeit bleibt für die Versuchung der Seelen“ (hl. Ludwig Maria Grignion de Montfort).