1. Der Katholik hat es in den heutigen Tagen wahrlich mehr als schwer. Von der „Konziliaren Kirche“, die sich als die katholische ausgibt, hat er ohnehin nichts zu erwarten und will er auch nichts. Bei den „Traditionalisten“, in welchen er Gesinnungsgenossen zu haben glaubte, wird er schief angesehen, umgehend ausgestoßen und auf den Haufen der „Sedisvakantisten“ entsorgt. Hier aber fühlt er sich auch nicht wirklich wohl, sondern eher fremd, zumal da so allerhand lagert, was ihm nicht unbedingt katholisch zu sein scheint.
Der Grund liegt darin, daß der Begriff „Sedisvakantist“ mehrdeutig ist und auch bewußt mehrdeutig gebraucht wird, um damit die braven Katholiken zu „diskriminieren“. Zu allen Zeiten gab es Ausdrücke, welche die wahren Katholiken schmähen und herabsetzen sollten. Man nannte sie etwa „Ultramontane“ oder „Hyperkatholiken“ oder auch „Antimodernisten“. Heute nennt man sie „Sedisvakantisten“.
2. Wollen wir also zuerst sehen, was den guten Katholiken heute wie zu allen Zeiten ausmacht. Da ist vor allem eines: Er nimmt seinen Glauben ernst, man könnte fast sagen, tödlich ernst. Denn er weiß, daß am Glauben alles hängt. „Wer glaubt, wird gerettet; wer nicht glaubt, wird verdammt werden.“ Darum läßt er lieber sein Leben als den Glauben. Das ist das Blutzeugnis so vieler Märtyrer durch all die Jahrhunderte. Ihm liegt alles daran, die Seelen zu retten, indem er sie zum wahren Glauben führt. Davon zeugt der Seeleneifer so vieler Missionare, die unter Einsatz ihres Lebens den in Unglauben und Heidentum verlorenen Seelen zur Hilfe eilten. Und er kann nicht zulassen, daß der Glaube verfälscht und getrübt wird. Davon spricht der unablässige Kampf so vieler Päpste und tapferer Kirchenlehrer gegen den Irrtum und die Häresie.
Sein Glaube schließt den Glauben an die wahre Kirche ein und setzt diesen sogar in gewisser Weise voraus, denn von der Kirche empfängt er seinen Glauben. Sein Glaube ist wesentlich kirchlich, weil es der Glaube der Kirche ist und sie ihm diesen durch die Taufe und ihre Lehre mitteilt, gemäß dem Missionsbefehl, den sie von ihrem Haupt und Bräutigam, Unserem Herrn Jesus Christus, selbst empfangen hat: „Gehet also hin, und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie alles halten, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19 f). „Gehet hin in die ganze Welt, und prediget das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen läßt, wird selig werden, wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden“ (Mk 16,15f).
Darum hängt der Katholik mit kindlichem Sinn an seiner Kirche und an ihren amtlichen Lehrern und Hirten, namentlich dem Papst als seinem obersten Hirten und „Heiligen Vater“. Er vertraut unverbrüchlich auf den himmlischen Beistand, den der Heiland dem Petrus und seinen Nachfolgern verheißen hat, er glaubt fest, daß Petrus der Fels ist, dessen Glaube nicht wanken wird, daß auf diesen Felsen die Kirche gebaut ist und die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Der Katholik hält unbedingt fest an der Heiligkeit und Makellosigkeit der Kirche, der Braut Christi, und verteidigt ihre Ehre mit derselben Unnachgiebigkeit wie die der allerseligsten Jungfrau. Die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes ist ihm ebenso ein Herzensanliegen wie die Unbefleckte Empfängnis.
3. Wie der große Antimodernist und Dominikaner Albert Maria Weiß richtig beobachtet, ist es ein Kennzeichen des modernen, vom Liberalismus geprägten Menschen, alles nur und ausschließlich aus seiner Sichtweise zu betrachten und zu beurteilen. „Das ist nun an und für sich gar nichts absonderliches“, schreibt er. „Es ist die alte und ewig gleiche Krankheit der Menschen, die hier wieder einmal zum Vorschein kommt. Es war nicht erst Pythagoras, der den Satz erfunden hat, der Mensch sei das Maß aller Dinge. Dieser Gedanke sitzt zutiefst im gefallenen Menschen, und es gibt keinen, der nicht dagegen zu kämpfen hätte. Nur durch einen langen, langen Kampf gegen sich selber, und nur durch die volle Unterwerfung unter eine höhere Autorität kann einer dieses leidige Erbstück von Adam her los werden.“
Er fährt fort: „Da nun aber der Mensch im großen und ganzen an den Kampf gegen sich selber so wenig denkt wie an die Unterwerfung unter die Autorität, so hat dieser Hang zur Selbstherrlichkeit und die damit verbundene Tyrannei gegen alles, was von der eigenen Ansicht abweicht, die Herrschaft auf allen Gebieten des Lebens an sich gerissen. Der Liberalismus tut nur etwas besonderes darin, daß er sich selbst zum Maß aller Dinge sogar in Sachen des Glaubens und der Religion macht. Die Berichte von den Tugendübungen der Heiligen müssen Übertreibungen sein, weil ihm derlei Überwindungen fremd sind. Ekstasen und Wunder kann es nicht geben, sonst müßte er doch auch etwas davon wissen. Und die Erzählungen der Bibel kann man nicht so buchstäblich nehmen, denn ihm leuchten sie nun einmal nicht ein. Dies ist der Ausgangspunkt für die Religionskritik und für die Religionsgeschichte des Liberalismus.“
Derselbe kluge Beobachter und erfahrene Menschenkenner weist auch darauf hin, daß für einen kleinwüchsigen Menschen solche normaler Größe oft als übermäßig groß erscheinen. Ebenso erscheint einem liberalen Katholiken, dessen Glaube schwach und dessen Gesinnung lau ist, ein normaler Katholik eben als „Hyperkatholik“. Die für jeden Katholiken normale Orientierung am kirchlichen Lehramt und dem römischen Papst wird zum „Ultramontanismus“. Und der Katholik, der seinen Glauben an die Kirche noch ernst nimmt und daher einen Häretiker und Apostaten auf dem Papstthron mit der Heiligkeit, Unfehlbarkeit und Unvergänglichkeit der Kirche für unvereinbar beurteilt, wird als „Sedisvakantist“ verunglimpft. Der ganz normale Katholik wird zum „Rigoristen“, zum „Extrem“, das es zu meiden gilt, und dem gegenüber man die gemäßigte „Mitte“ sucht.
4. So weit erscheint also die Sache ganz nachvollziehbar. Nun kommt allerdings hinzu, daß der mit dem Etikett „Sedisvakantist“ versehene Katholik damit in eine Nachbarschaft gerückt wird, in welche er offensichtlich nicht gehört. Denn zweifellos dient der „Sedisvakantismus“ so manchem Zeitgenossen als Deckmäntelchen, um sich darunter in völliger Ungebundenheit recht wohl zu fühlen. Damit entpuppt er sich aber nicht als Katholik, sondern vielmehr gerade als Liberaler.
Albert Maria Weiß erklärt dazu: „Was den Liberalismus zum Liberalismus macht, das ist die Selbstherrlichkeit, das Eigenrecht, das Eigenmaß, wie man sich gewöhnlich ausdrückt, die Autonomie, der Subjektivismus. Selbst wenn er ein Gebot hält, und wäre es ein Gebot Gottes, so hält er es, wie Fichte sagt, nicht weil es Gott gesetzt hat, sondern weil er es selbst halten will. Und auch wenn er eine kirchliche Entscheidung befolgt, so tut er das nach dem Worte von Ockam, nicht weil die Entscheidung so lautet, sondern weil er findet, und insoweit er findet, daß diese mit der katholischen Wahrheit übereinstimmt. … Er ist der Herrenmensch, der Schöpfer, und wenn nicht der Schöpfer, so der Ausleger des Gesetzes, für sich, für andere, für alle Welt und alle Zeit, für die Beurteilung der Geschichte und der römischen Entscheidungen, für die Einrichtung der Gegenwart, der Politik, der Wissenschaft, des Rechtes.“
Da ist es natürlich verlockend, wenn man auf den Ausfall der kirchlichen Autoritäten verweisen kann und somit für seine Selbstherrlichkeit die beste Rechtfertigung hat. Darum tummeln sich so viele sonderbare Gestalten unter den „Sedisvakantisten“, die oft genug nur ihren eigenen Vorteil oder ihr armseliges Ich suchen, darum gibt es unter ihnen so viele Sondergrüppchen und Sonderlehren, so viele Päpste und Bischöfe, die ihrerseits ihre eigenen Päpste sind, so viel Fanatismus, der stets Folge des Subjektivismus ist. Doch zugleich sehen wir ohne weiteres ein, daß dies gar nichts mit jenen Katholiken zu tun hat, die wir oben geschildert haben. Sie wollen ja gerade nicht autonom sein, sondern hängen mit ganzem Herzen am römischen Lehramt und müssen sich nun ausgerechnet deshalb als „Sedisvakantisten“ schmähen lassen.
Darin besteht die besondere Niedertracht dieser Schmähung, daß man hier die Dinge durcheinanderwirft und einen Begriff unterschiedslos auf sehr verschiedene, ja diametral entgegengesetzte Sachverhalte anwendet. Man könnte fast von Äquivozität sprechen. Es haben die einen „Sedisvakantisten“ mit den anderen im Grunde nicht mehr gemeinsam, als daß man beide gleichermaßen so nennt. Und indem man sie in einen Topf wirft, fällt das Odium der einen notwendig auch auf die anderen.
5. Wie erkennt man nun die eigentlichen Katholiken unter den sog. „Sedisvakantisten“? Da sie nichts anderes wollen, als dem kirchlichen Lehramt treu zu bleiben und den katholischen Glauben ohne Abstriche zu bewahren, sind sie vor allem ängstlich bemüht, alle Sonderwege und Sonderlehren zu vermeiden, sich nur an zuverlässigsten Texten und Autoren zu orientieren und dabei nach dem Motto vorzugehen: „The older the better – Je älter desto besser.“ Damit meinen sie natürlich nicht eine Rückkehr zu irgendeiner phantastischen „Urkirche“, von welcher die Modernisten schwärmen, sondern sprechen nur die Einsicht aus, daß die Theologie nicht erst seit dem „II. Vatikanum“ auf Abwege geraten ist. Dessen Vorbereitung reicht bekanntlich bis weit ins 19. Jahrhundert zurück und im Grunde noch weiter darüber hinaus, wobei der entscheidende Bruch an der Wende zum 20. Jahrhundert stattgefunden hat. Mit entsprechender Vorsicht muß man die Quellen behandeln, wobei es durchaus noch ausgezeichnete katholische Autoren gibt, vor allem Ende des 19. Jahrhunderts, aber vereinzelt sogar noch im 20., wenn man sie auch zunehmend mit der Lupe suchen muß.
Gleichermaßen bemühen sich die Katholiken, in der katholischen Liturgie zu verharren, soweit sie noch nicht durch Neuerungen des großen Alchimisten und Schöpfers des „Novus Ordo Missae“, Annibale Bugnini, verunreinigt wurde. Da dieser sein Zerstörungswerk bereits vor 1950 unter Pius XII. begann, bedeutet dies, bei den Reformen des hl. Pius X. zu verbleiben und die liturgischen Bücher zu benutzen, die zuletzt von Pius XI. herausgegeben wurden. In einschlägigen Kreisen spricht man von der „Messe des hl. Pius V.“, um sie von der sog. „alten Messe“ nach den Büchern von 1962 abzugrenzen.
Da sie ihrem Guten Hirten und Seinem Stellvertreter auf Erden, dem Heiligen Vater, unbedingt die Treue wahren wollen, weigern sich die Katholiken, einer anderen Stimme als dieser zu folgen. Sie kennen keine anderen kirchlichen Oberen als die legitimen Autoritäten und können darum weder den „konziliaren“ Behörden noch irgendwelchen selbsternannten „ersetzenden Autoritäten“ Gehorsam leisten. Das verbietet ihr Gehorsam gegenüber ihrem obersten Hirten. Sie freuen sich jedoch keineswegs, angesichts des Ausfalls der kirchlichen Hierarchie Freiheit und Autonomie zu genießen, sondern sie leiden unter der Situation und seufzen voll Sehnsucht nach jener väterlichen Autorität, die ihnen wieder Halt und Sicherheit gibt, die Ordnung in der Kirche und die Einmütigkeit der Katholiken wieder herstellt, das kirchliche Leben wieder erblühen und die Braut Christi in neuem Glanz erstrahlen läßt. Da sie wissen, daß nicht sie selber, sondern nur Gott hier Abhilfe schaffen kann, flehen und beten sie unablässig zu Ihm, Er möge sich unser erbarmen und uns wieder einen wahren Papst, einen Stellvertreter Christi auf Erden, einen wahren Heiligen Vater schenken. „Wenn der Herr nicht das Haus baut, so mühen sich die Bauleute umsonst; wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Hüter umsonst“ (Ps. 126,1). Darum rufen sie: „Zu dir erhebe ich meine Augen, der du im Himmel wohnst! Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren, wie die Augen der Magd auf die Hände ihrer Gebieterin, so schauen unsere Augen auf den Herrn, unsern Gott, bis er sich unser erbarmt. Erbarme dich unser, o Herr! erbarme dich unser; gar sehr sind wir gesättigt mit Verachtung, ja, reichlich gesättigt sind unsere Seelen, zum Gespötte sind wir den Reichen und zur Verachtung den Stolzen“ (Ps. 122).
6. Die Katholiken bilden sich nicht ein, die besseren Menschen zu sein, ganz und gar nicht. Sie blicken nicht mit Verachtung, sondern voll Mitleid und Trauer auf jene, die auf Irrwegen wandeln. Sie möchten ihnen so gerne helfen, wenn sie es vermöchten, und sie wissen gut, daß sie es selber nur einer besonderen Gnade und der Barmherzigkeit des Lieben Gottes zu verdanken haben, wenn Er ihnen nachging und sie mit der Liebe des Guten Hirten in Seinen Schafstall zurückgeholt hat. Ihr Eifer ist darum von Liebe und Barmherzigkeit geprägt, nicht von Fanatismus, Rechthaberei und Stolz. Sie haben Nachsicht mit jeder Schwäche, da sie doch selbst schwach sind. Sie suchen nicht ihren eigenen Vorteil, weder Reichtum noch Ehre, sie wollen nicht die Herren spielen, sondern einzig Gott dienen.
Sie spielen nicht selbst Vorsehung, sondern geben sich redlich Mühe, der Vorsehung Gottes zu folgen. Die Katholiken unserer Tage wissen daher besonders, wie notwendig es ist, sich eng an die allerseligste Jungfrau zu halten. Sie ist unsere Stütze und unsere Zuflucht in diesen finsteren Zeiten. Voll Vertrauen halten sie sich an die Worte des heiligen Bernhard von Clairvaux: „Wenn du ihr folgst, gehst du nicht in die Irre; wenn du sie anflehst, brauchst du nicht zu verzweifeln; wenn du an sie denkst, irrst du nicht; wenn sie dich hält, fällst du nicht; wenn sie dich schützt, hast du nichts zu fürchten, unter ihrer Führung ermüdest du nicht, unter ihrer Gunst erreichst du das Ziel und erfährst so an dir selber, wie wahr geschrieben steht: Und der Name der Jungfrau war Maria.“
7. Das sind die schrecklichen Katholiken, die man „Sedisvakantisten“ heißt und vor denen man fliehen und warnen zu müssen meint, die man zu meiden hat wie die Pest.