Das Leben des hl. Alfons von Liguori war in vieler Hinsicht außerordentlich. Seine abgebrochene Karriere als Rechtsanwalt, seine Bekehrung, sein Wirken als Priester und dann als Bischof von S. Agata dei Goti – Gott führte diesen Heiligen auf nicht alltäglichen Wegen. Wir haben in unseren einzelnen Bildern dieses Heiligenleben bisher noch gar noch von der bedeutendsten und weitreichendsten Aufgabe gesprochen, der hl. Alfons war Gründer der Redemtoristen. Diese waren eine Ordensgemeinschaft, die sich zu Aufgabe machte, den Ärmsten und Verlassensten Missionen zu predigen, sie also in den Grundwahrheiten des katholischen Glaubens zu unterrichten und zu einem Leben mit und aus den hl. Sakramenten und der Gottesmutter Maria anzuleiten.
Schon als Seminarist war der hl. Alfons mit den Missionen vertraut worden. Während seines Studiums hatte er Katechismusunterricht für die Kinder gegeben, Hausbesuche gemacht und zuweilen eine geistliche Betreuung übernommen. Nach seiner Priesterweihe war der einstige Rechtsanwalt schnell zu einem der meistgeachteten und einsatzfreudigsten Mitglieder der Kongregation der Dompriester geworden. Zusehends vereinnahmten ihn die Volksmissionen: Diese forderten seine Zeit, genauso wie sein Herz und seine Kräfte. Ohne es selbst zu merken, stand er im Begriff, sich von dieser Form der Seelsorge ganz und auf Lebenszeit mitreißen zu lassen.
In einem Schreiben Pater von Liguoris an einen neugewählten Bischof erwähnt er auch den großen geistlichen Nutzen, der für das Volk aus den heiligen Missionen entspringt: „Nachdem der Herr im Alten Testament Propheten gesandt hatte, um sein Gesetz zu verkünden, schickt er im Neuen seinen eingeborenen Sohn, um das neue Gesetz der Gnade als Vervollkommnung und Erfüllung des alten zu lehren. Paulus sagt: In dieser Endzeit aber hat Gott zu uns gesprochen durch den Sohn (Heb 1,2). Weil aber Jesus Christus nur gesandt war, den Juden zu predigen, beauftragte er die Apostel, nach seinem Tod das Evangelium allen Völkern zu verkünden: Gehet hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen (Mk 16,15). So begann das Evangelium durch die Missionen der Apostel in aller Welt Frucht zu tragen, wie Paulus für seine Zeit bestätigt: Die Heilsbotschaft trägt in der ganzen Welt Frucht und wächst (Kol 1,6). Die Apostel wiederum beauftragten ihre Schüler, den Glauben überall dort zu verkünden, wohin sie selbst nicht gekommen waren. So wurden, wie wir aus der Kirchengeschichte wissen, im Laufe der Zeit immer wieder heilige Menschen von den Päpsten und Bischöfen beauftragt, in allen Teilen der Welt das Evangelium zu verkünden.“
Aus diesen Worten wird ersichtlich, daß der hl. Alfons die Missionen keineswegs nur für eine seelsorgliche Zugabe oder sogar einen Luxus für christliche Pfarreien hielt, sondern diese waren, genau wie das Priesteramt, mit der Sendung der Apostel, ja sogar mit der Sendung Jesu Christi, des vom ewigen Vater Gesandten und Sendenden, unlösbar verbunden. Für Alfons haben die Heidenmission und die christliche Mission eine gemeinsame Wurzel, weshalb er weiter ausführt: „Im 13. Jahrhundert wurden die Brüder des hl. Dominikus und des hl. Franziskus vom Papst nach Griechenland, Armenien, Äthiopien, ins Tartarenland und nach Norwegen gesandt, um dort zu predigen ... Aus jüngster Zeit kennen wir die zahlreichen Bekehrungen, die der hl. Franz Xaver in Ostindien und Japan und der hl. Ludwig Bertrand in Westindien bewirkt haben! Ich brauche nicht die vielen anderen häretischen und ungläubigen Länder aufzuzählen, die durch Missionen bekehrt wurden: es sei hier nur das Chablais genannt, wohin Franz von Sales von seinem Bischof gesandt wurde, und wo er 72.000 Häretiker bekehrte. Ebenso bekannt ist die Tatsache, daß Vinzenz von Paul eine durch den hl. Stuhl approbierte Kongregation von Priestern gründete, die Missionen hielten, wo immer man nach ihnen verlangte; daher ihr Name Missionsväter. Kurzum, wenn irgendwo in der Welt der Glaube eingepflanzt oder die Sitten reformiert wurden, dann geschah dies durch Missionen.“
Schon der hl. Dominikus und der hl. Franziskus waren Volksmissionare, haben sie doch dem Volk den Glauben gepredigt und sie zu einem heiligen Leben ermahnt und angeleitet. Das IV. Allgemeine Laterankonzil – Franz von Assisi und Dominikus von Guzman waren bei diesem Konzil anwesend – formuliert in Kanon 10 folgende Regel: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Daher sind die Bischöfe gehalten, Männer zur Verkündigung des Wortes Gottes heranzuziehen, die kraftvoll in Werk und Wort und fähig sind, ersprießliche Predigten zu halten, und die durch ihr Wort und Beispiel die seelsorgliche Gegenwart des Bischofs an alle Orte tragen. Sie sind unmittelbare Mitarbeiter des Bischofs nicht nur in der Predigt, sondern auch im Beichtstuhl, sowie bei der Zuteilung der Buße... Bischöfe, die diese Pflicht vernachlässigen, werden streng bestraft.“
Die ersten Missionsorden und die Ausbreitung der missionarischen Kongregationen
Die „kleinen Brüder“ (Minoriten) des hl. Franziskus und die Predigerbrüder des hl. Dominikus sind neuartige Ordensmänner. Sie leben nicht einfach zurückgezogen in ihren Klöstern, sondern arbeiten durch ihr Beispiel, durch ihre Predigt und als Beichtväter unermüdlich am Heil des Menschen. Sie geben die wirtschaftliche Sicherheit auf und leben vom Betteln. So bilden sie die ersten Missionsorden. Mutig ziehen sie ins ferne Marokko, nach Ägypten, zu den Türken, Mongolen und Tartaren. Sie leben in der Nähe der Häretiker und Schismatiker — und suchen innerhalb der Katholiken jene auf, deren Glaubensleben in Sünde, Gleichgültigkeit oder Lauheit abgesunken ist. Der hl. Alfons erkennt die Notwendigkeit der Missionen – oder besser gesagt er erlebt sie im Königreich Neapel. Hier hatten die Jesuiten schon bald die Schwäche der kurzen Missionen erkannt. Der größte dieser Jesuiten, Pater Paul Segneri der Ältere, begründete das System der „zentralen Mission“, die das Dekanat und die angrenzenden Pfarreien umfaßte. Die Morgenpredigt wurde in jeder Kirche gehalten. Zur Abendandacht kamen dann alle ins Zentrum, wo sie für ihre Mühe reichlich belohnt wurden: drei Stunden Gebet, Predigt, Beichte, wegen des überaus großen Zustroms natürlich unter freiem Himmel. Am darauffolgenden Montag begann man in einem anderen größeren Ort, der vom ersten nicht allzu weit entfernt sein sollte, damit auch die Unentschlossenen der vergangenen Woche noch eine Chance hatten, von neuem. Im Kielwasser der Gesellschaft Jesu widmen sich die besten neapolitanischen Weltpriester in gemeinschaftlichen oder nicht gemeinschaftlichen Kongregationen, die im 17. Jahrhundert gegründet wurden, den Missionen.
Die erste war die der Pii Operai, der „Frommen Arbeiter“, die Carlo Carafa (1561—1633) 1601 in Neapel gegründet hatte. Eine eigenständige Gründung, die das Statut des Weltpriesters ohne Gelübde mit allen Ansprüchen des Ordenslebens verband: Gemeinschaftsleben mit intensivem Gebet — einschließlich Nachtoffizium —, mit Güterteilung, wirklicher Armut und einer Strenge, die großmütige Seelen begeistern konnte. Der erste Bischof, der aus ihren Reihen hervorging, war Pater Emilio Cavalieri, Alfons' Onkel. Tommaso Falcoia ist einer ihrer führenden Köpfe. Zwar beherbergen und betreuen sie in S. Giorgio Maggiore, Via Duomo, zahlreiche Bruderschaften — Priester, Adelige, Doktoren, Studenten, Künstler, Musiker, Kaufleute, Handwerker, Jugendliche —, ihr Hauptziel bleibt aber nach wie vor die Abhaltung mitreißender und kurzer Missionen „in Städten, Dörfern und Weilern“.
Daneben gab es noch Kongregationen von Weltpriestern, die nicht in Gemeinschaft lebten und sich ebenfalls den Volksmissionen widmeten. Zu den wichtigsten zählte die von dem Jesuiten Francesco Pavone (1569—1637) 1611 unter dem Namen „Kleriker der Assunta“ (Himmelfahrt) gegründete Kongregation, die auch als „Väter der Konferenz“ bekannt wurde und sich über Westeuropa bis nach Indienverbreitete. Sodann die etwas jüngere Kongregation von S. Maria della Purita, 1680 vom angesehensten Mitglied der Frommen Arbeiter, Antonio Torres, gegründet. Und schließlich die Kongregation der „Apostolischen Missionen“, auch „Domkongregation“, oder wegen ihrer ursprünglichen Bestimmung für die heidnischen Länder „Propagandakongregation“ genannt. Ihr widmete Alfons mit Hingabe sein Herz und seine Bemühungen. Die „Illustrissimi“, also die „Erleuchtetsten“ des Doms machten ihrem Ruf alle Ehre: sie wurden im gesamten Königreich verlangt. Der Biograph schreibt über diese Zeit: „Nie wich er einer Aufgabe aus, in der man auf ihn zählte. Seine Kongregation der Apostolischen Missionen verfügte über eine gutdotierte tägliche Kaplanei, die vom Stifter ausdrücklich für den eifrigsten ihrer Brüder bestimmt war. Obwohl Alfons noch gar nicht lange Priester war, vielleicht sogar der jüngste dem Weihedatum nach, schätzte man ihn bereits so hoch ein, daß die Illustrissimi nicht zögerten, sie ihm zu übergeben.“
Das Leben eines Missionars
Tauchen wir nun einmal in dieses Leben des Missionars ein.
Das Jahr 1730 folgt einem Jahr der Überanstrengung und beginnt mit der Aussicht auf vermehrte Missionen. An diesem Samstag, dem 14. Januar, haben die Gläubigen von Spirito Santo in Marano di Napoli (etwa 5.000 Einwohner) nur Augen für die abgetragenen Kleider des Heiligen: „Schaut nur den zerlumpten Missionar an! Wenn seine Predigten wie seine Soutane sind, dann wehe uns!“ Sie werden noch Gelegenheit genug haben, sich davon persönlich zu überzeugen, denn der hl. Alfons hat die Morgenbetrachtungen, den großen Katechismus am Nachmittag und die Beichten zu übernehmen. Es wird eine intensive Mission in beiden Pfarreien. Wegen der regen Teilnahme wird sie um weitere acht Tage verlängert. Damit auch alle Platz finden, organisiert jede der beiden Pfarreien von Marano am Sonntag, dem 29., zwei Abschlußpredigten, aber viermal können die Kirchen die Mengen bei weitem nicht fassen. Es folgen zwei Tage zum Atemholen, und schon wird Alfons wieder eingesetzt, diesmal in der benachbarten Stadt Casoria (4.000 E.) im Norden Neapels. Bei jeder dieser beiden Missionen besteht die Mannschaft aus „zwölf Aposteln“.
Am Samstag, dem 22. April, beginnt eine neue Mission auf dem Vorgebirge Capodimonte. „Ein in der Welt vielleicht einmaliger Blick“, schreibt Stendhal. In dieser Dekanatskirche erhält Pater von Liguori, der jüngste der dreizehn Missionare, die höchste Weihe, die nur anerkannter Kompetenz und Beredsamkeit gegeben wurde: er ist es, der allabendlich die Predica grande, die große, eineinviertelstündige Predigt hält – nach nur drei Jahren und vier Monaten Priestertum! Am Sonntag, dem 30. schließt er die Mission und kommt zu seinen Mitbrüdern, die im Kloster dell'Annunziata missionieren: Ordensfrauen, großes Hospiz, Waisenhaus mit Station für verlassene Säuglinge, conservatorio für junge Mädchen und unverheiratete Frauen, Asyl für Reumütige. Achtzehn Missionare für diese „Stadt“. Diese letzte Anstrengung wurde Alfons zu viel.
„Er verausgabte sich so sehr“, sagt Tannoia, „daß seine Widerstandskraft erlahmte. Er wurde lungenkrank und bekam Fisteln und andere eitrige Geschwüre. Mehr als einen Monat lang fürchtete man um sein Leben. Wie mir P. Fatigati versichert, kam er nur durch ein offensichtliches Wunder Mariens davon.“ Unsere Liebe Frau erwartete ihn in ihrer bescheidenen Bergkapelle von S. Maria dei Monti, „Heilige Maria von den Bergen“, inmitten der Ziegenweiden oberhalb von Scala. Nach einiger Zeit konnte der Kranke zur Erholung aufbrechen, obschon die Zurückgebliebenen sich noch immer um ihn ängstigten. Die Priester seiner Gruppe, die ihm am nächsten stehen, bewegen ihn dazu. Einer davon, Don Giuseppe Panza stammt aus Amalfi und er kennt die Einsiedelei S. Nicola, die ihnen hoch über Minori Ruhe, Bergluft und einen herrlichen Blick auf die Bucht von Amalfi bieten kann. Spätestens Mitte Mai besteigen die Freunde einen Segler, der sie nach 60 km Fahrt in Amalfi an Land setzen soll. G. Panza, G. Mazzini, V. Mannarini, G. Iorio und G. Porpora sind fürsorglich um Alfons bemüht. Also: „Adieu Neapel! Adieu Vesuv mit deiner Rauchsäule!“ Linkerhand taucht in zwei Meilen Entfernung schon bald Castellamare di Stabia mit seiner Bucht auf und das strahlende Capri. Hinreißende Ausblicke bieten sich den Reisenden. „Aber was ist mit dem Meer los, daß es uns so durchrüttelt?“
Nachdem unsere Seefahrer zwischen Capri und der Landzunge von Campanella di BoccaPiccola durchfahren haben, empfängt sie der Golf von Salerno ziemlich abweisend, denn der Sturm ist so heftig, daß er sie leicht gegen die Felsen der Monti Lattari schleudern könnte. Darum ist es einfach unmöglich, in Amalfi an Land zu gehen. Der Wind bläst auch für das Notsegel noch viel zu stark. So können unsere Reisenden erst 5 km weiter in der geschützter gelegenen Bucht von Minori landen. Gerade über ihnen befindet sich die Einsiedelei S. Nicola, aber als Priester bestehen sie darauf, sich zuerst der Diözesanautorität vorzustellen. Sie erfrischen sich, während das Meer sich wieder beruhigt, und segeln dann zurück nach Amalfi, wo unsere Urlauber den Erzbischof Mgr. Michele Bologna begrüßen. Während sie miteinander plaudern, kommt Don Matteo Angelo Criscuolo, der Generalvikar von Scala, herein. Sie werden einander vorgestellt. Er informiert sich und fragt: „Was gibt uns die Ehre, Euch in unserer Gegend begrüßen zu dürfen?... Ihr wollt Euch oberhalb von Minori zurückziehen? Aber nicht doch! Kapselt Euch doch nicht in den Wäldern und Felsen von S. Nicola ab. Dort oben werdet Ihr die Messe nur für die Eichhörnchen lesen. Warum geht Ihr nicht nach S. Maria dei Monti? Es liegt oberhalb von Scala: eine Einsiedelei mit genügend Wohnmöglichkeiten; da könnt Ihr bleiben und obendrein noch etwas Gutes tun für die vielen armen Ziegenhirten, die ganz verlassen dort oben leben. Ich gebe Euch die Jurisdiktion und alle meine Vollmachten. Eine Einsiedelei ist so viel wert wie eine andere!“
Alfons‘ Wirkungsbereich und erste Erfahrungen in S. Maria die Monti
Der Biograph bemerkt, daß besonders Alfons drängt, das Angebot anzunehmen, denn „vor allem können wir hier diesen armen Bergbewohnern helfen“. So folgen sie also dem Tal des Dragone und erklimmen über eine Art „Treppe“ mit einer Steigung von 45° über Terrassen von Zitronen- und Rebenpergolas den Berg. Schließlich folgen sie im Schatten von Hecken und Kastanienbäumen steilen und steinigen Pfaden, die in einer Höhe von 1.080 m zwischen dem Cervigliano (1.204 m) und dem Ceretto (1.306 m) in wunderbare Almwiesen einmünden. Die „Muttergottes von den Bergen“ erwartet sie in ihrem Kirchlein mit den drei Altären. Und zudem bietet ihnen ein steinernes Gebäude mit Obergeschoß mit seinen fünf oder sechs Räumen genügend Platz.
Nach einer guten Nachtruhe ist es die erste Freude unserer Sommerfrischler, gemeinsam das Brevier zu beten und das hl. Meßopfer zu feiern, sodaß das kleine Heiligtum wieder vom göttlichen Herrn in der kleinen weißen Hostie bewohnt wird. Dann geht es sicher an die Erkundung der näheren Umgebung. Alfons' Blick sucht jedoch nicht so sehr den Apennin oder das Mittelmeer als vielmehr die Menschen. „So viele arme Ziegenhirten leben hier verlassen“, hatte der Generalvikar gesagt. „Die Ankunft der Missionare“, so berichtet unser Biograph, „hatte sich schnell herumgesprochen, und so dauerte es nicht lange, bis Sennen und Ziegenhirten und andere Bewohner dieser Gegend herbeikamen. Man kann sich nicht vorstellen, wie glücklich Alfons über diesen Zulauf war, und er begann mit seinen Gefährten, diese Bauern den Katechismus zu lehren und sie liebevoll zur Beichte zu führen. Ein Hirte erzählte es dem anderen, und so kamen immer mehr aus immer größerer Entfernung. Die Sommerfrische unserer Apostel wandelte sich in eine permanente und fruchtbare Mission.“
Bei dieser Gelegenheit ließ Gott Alfons die große geistige Not erkennen, die so viele Seelen erleiden, weil sie jahraus jahrein ohne Sakramente und ohne das Wort Gottes leben müssen und verlassen auf dem Land und in den kleinen Dörfern verloren sind und vergessen werden. „Sein Herz war in S. Maria dei Monti geblieben“, schreibt der Biograph. „Er konnte seine Sennen und Ziegenhirten nicht mehr verlassen. Der Gedanke an ihre Verlassenheit trieb ihm die Tränen in die Augen, und er flehte zum Herrn, er möge unter den Söhnen Abrahams einen rufen, der sich des Schicksals dieser Unglücklichen erbarme.“
Und wenn Gott niemand finden würde? Wäre dann dies nicht seine, Alfons von Liguoris Berufung? Beim Heiligsprechungsprozeß sagten drei Zeugen aus, er habe sich bereits in S. Maria dei Monti „mit dem Gedanken getragen, eine Missionskongregation zu gründen, die sich das Heil der Menschen in den kleinen und kleinsten Dörfern des ländlichen Hinterlands, die ohne jede geistliche Betreuung leben mußten, zur Aufgabe machen sollte“. Dies hatten die drei nach ihren Aussagen aus seinem eigenen Mund gehört. Nach P. Caiones Aussage war er nach Neapel hinabgestiegen „mit dem neuen Entschluß, eine Kongregation von Missionaren zu gründen, die sich ganz der Seelsorge der Verlassensten in den ländlichen Gebieten widmen sollte; er wollte sich darüber mit seinem Beichtvater (damals P. Pagano) besprechen... Ich habe es aus dem Mund des Dieners Gottes selbst gehört ... und sofort, nach dem ich sein Zimmer verlassen hatte, schriftlich festgehalten.“
Aus all diesen Zeugnissen geht eindeutig hervor, daß sich Alfons bereits im Juni1730 mit dem Gedanken eines neuen Instituts trug, das er als eine dringende Notwendigkeit für die Kirche und möglicherweise auch als seine persönliche Pflicht ansah. Sein Herz und Gewissen sprachen hierin die gleiche Sprache: Man kann diese Armen nicht weiterhin in ihrer Verlassenheit verkommen lassen.
Anderseits mußte die Entscheidung erst noch reifen, denn ist es wirklich die Stimme des Geistes Gottes, oder treiben ihn Ehrgeiz und Eigensinn zu einer Selbsttäuschung? P. De Meulemeester beschreibt das Vorgehen des hl. Alfons bei der Lösung dieser Fragen so: „Er akzeptierte stets die Vorschläge anderer klarsichtiger Menschen, wie Falcoia, Schwester Crostarosa, Kanonikus Torni, um Lebensprogramm und Wirken seiner Ordensfamilie festzulegen. Doch unterschieden sich diese Vorschläge immer von seinen persönlichen Absichten, da sie nicht, wie er selbst, die Hauptbetonung auf die Seelsorge für jene legten, die am wenigsten geistliche Betreuung hatten. Die ausdrücklichere Erwähnung dieses Apostolats, dem seine Vorliebe galt, kann uns in den aufeinanderfolgenden Texten der Regel gelegentlich sogar als Anhaltspunkt für den mehr oder weniger umfangreichen Anteil Alfons' an ihrer Ausarbeitung dienen. Die Fassung, die er später dem hl. Stuhl zur Approbation vorlegte und in der er sich stärker von den früher von Falcoia vorgeschlagenen Formulierungen lösen konnte, meißelt in energischen Begriffen seine großen persönlichen Gedanken auf dem Titelblatt der neuen Regel ein: Das einzige Ziel des Instituts wird es sein, dem Vorbild unseres Erlösers Jesus Christus folgend, den Armen das Wort Gottes zu verkünden, wie er selbst gesagt hat: Er hat mich gesandt, den Armen die Frohbotschaft zu bringen (Lk 4,18). Daher werden sich die Mitglieder dieser Kongregation im Gehorsam gegenüber dem jeweiligen Bischof gänzlich der Aufgabe widmen, den Bewohnern der Landgebiete und Dörfer, insbesondere denen, die der geistliche Hilfe am meisten entbehren, durch Missionen, Unterweisungen... zu Hilfe zu kommen.“
Die Gründung der Redemptoristen
Die Gründung der Redemptoristen ist ein Gewirr von Intuitionen, himmlischen Erleuchtungen, mehreren Versuchen oder auch Versuchungen – und einen Gründer, der mit unbeschreiblicher Geduld und Gottvertrauen all diese Stationen des Werdens eines großen Werkes der Kirche durchläuft und durchträgt, sodaß man schließlich dieses Wunder der göttlichen Vorsehung bestaunen kann. Es ist unmöglich, in diesem Rahmen dieses Gewirr auch nur einigermaßen erschöpfend darzustellen. Es bleibt darum nichts anders übrig, als einige Stationen herauszugreifen, um wenigstens eine grobe Skizze des Ganzen zu erstellen. Ein Mann von entscheidender Bedeutung in der göttlichen Planung dieses Werkes war Mgr. Falcoia. Dieser war von Gott eingesetzt worden, das Entstehen der neuen Gemeinschaft sozusagen zu moderieren. Die verschiedenen Puzzleteile, die ihm zugetragen wurden, sollte er zusammenzufügen.
Als Alfons ihn eines Tage besucht, kommt Falcoia sofort zur Sache: „Also. Ich habe die Absicht, in der Kirche ein neues Institut von apostolischen Arbeitern zu errichten, und Ihr werdet der Grundstein dieses Gebäudes sein.“ Alfons ist überrascht und errötet, dann dankt er und stammelt Entschuldigungen: „Eure Freundschaft führt Euch auf einen Irrweg, Pater... Ihr schlagt mir ein Abenteuer vor, dessen Ausgang eher negativ denn positiv sein wird. In Neapel, bei den Cinesi, den Missionen und Exerzitien dagegen kann ich mit Sicherheit viel Gutes tun, und das nimmt meine Kräfte und meine Zeit voll und ganz in Anspruch. Soll ich denn das Sichere für das Ungewisse aufgeben? Auf jeden Fall müßte ich zuerst viel darüber nachdenken, beten und mich beraten.“
Falcoia ist mit dieser Antwort durchaus nicht zufrieden, denn das Werk drängt in seinen Augen: „Ich hätte Euch auf der Stelle hierbehalten wollen, um sofort anzufangen. Man kann Gott nicht warten lassen... Aber ich gebe zu, daß Eure Umsicht nicht ohne Vernunft ist. Nein, ganz und gar nicht. Ich verstehe Euch... Ich billige Euer Denken sogar. Es handelt sich hier um ein großes Unternehmen, in dem es um die Ehre Gottes geht. Überdenkt die Sache; beratet Euch; Euer Beichtvater ist ausgezeichnet. Empfehlen wir uns dem Herrn, um seinen Willen zu erfahren.“ Dann deckt er seine Karten auf: „Ich erwarte vertrauensvoll Eure Antwort. Denn dieser Gedanke kommt weniger von mir als von einer Inspiration des Herrn, die mich schon lange verfolgt. Visionen, die heilige Seelen in jüngster Zeit hatten, skizzieren den Plan dieser Kongregation und drängen auf seine baldige Verwirklichung.“ Hinter diesen „Visionen“ steht ein Name: M. Celeste Crostarosa.
Alfons‘ Ruf nach Santa Maria dei Monti …
Die Schauungen dieser Schwester haben das Werk zwar in Gang gesetzt, aber sodann sofort auch einen Berg von Schwierigkeiten aufgetürmt. Denn die entscheidenden Leute waren zunächst durchaus nicht davon überzeugt, daß dies Werk von Gott komme, sie hielten das Ganze vielmehr für Phantasien einer hysterischen Nonne. Auch Alfons wollte durchaus nicht aufgrund dieser Visionen an die Gründung des Werkes gehen.
Als er wieder einmal nach Scala kommt, waren die Schwestern beglückt und sie quartieren ihn und seine drei Gefährten in ihrem Gästehaus ein. Alfons geht mit Mazzini in die Kirche. In dem kleinen Beichtzimmer, das noch heute rechts vom Chor gezeigt wird, hört er einige Beichten, dann folgt ein langes Gespräch mit Schw. M. Celeste. Mazzini betet währenddessen im Kirchenschiff. Mit einer Sicherheit, wie sie nur die Aufrichtigkeit gewährt, berichtet Schw. M. C. Crostarosa von den Offenbarungen des 3. und 4. Oktobers und eröffnet dem Pater: „Das Werk des Herrn umfaßt auch eine Männerkongregation... Und Gott will, daß du sie gründest.“
Diese Eröffnung verschlägt Alfons zunächst die Sprache. Hat er nicht selbst die Echtheit der ersten Offenbarungen der Schwester anerkannt? Bestätigen diese hier nicht den Aufruf, der ihn in S. Maria dei Monti in Herz und Gewissen traf? Er sieht seine Sennen und Ziegenhirten wieder vor sich, er hört den Ruf der Verlassenen... Ja, aber die Aufgabe übersteigt menschliches Maß. Nein, nein, er ist so armselig, das kann einfach nicht sein. Und außerdem, auf Visionen bauen? „Du hältst deine Träumereien für göttliche Manifestationen, Celeste. Deine Phantasie verwirrt dich“, wirft er ihr vor. Doch sie entgegnet unbeeindruckt: „Verwirrt, verrückt, was immer du willst. Gott aber will dieses Institut und daß du es verwirklichst.“
„Je mehr Alfons ihr widersprach“, berichtet unser Biograph Tannoia, „umso nachdrücklicher behauptete sie, Gott wünsche von ihm dieses Werk für die Landbewohner und die Verlassensten.“ Im Verlauf dieses Gesprächs hatte Mazzini, wohl deswegen, weil die Unterhaltung immer lebhafter wurde, die Kirche verlassen und war zu Mannarini ins Gästehaus zurückgekehrt. Die Zeit verging, man erwartete Alfons zum Essen. Hören wir, was Mazzini beim Heiligsprechungsprozeß berichtet: „Ich hatte Alfons im Beichtzimmer mit einer Schwester sprechen hören. Nach Beendigung der Beichten hatte er sich in sein Zimmer zurückgezogen. Vincenzo und ich hörten ihn schluchzen. Es war höchste Zeit, sich zu Tisch zu setzen. So übernahm ich es, zu ihm hinaufzugehen. 'Was betrübt Euch so sehr, Alfons?', forschte ich nach. 'Das Gespräch, das Ihr soeben mit einer Schwester geführt habt? Wenn es nicht das Beichtgeheimnis betrifft, so sagt mir, was vorgeht und wie wir Euch helfen können.' 'Schwester M. Celeste hat mir gesagt, ich müsse Neapel verlassen, um hier eine Ordensgemeinschaft ausschließlich für Volksmissionen in den Dörfern und Weilern auf dem Land, die ohne geistlichen Beistand sind, zu gründen. Sie sagt, die Städte und entwickelten Gegenden hätten kein Bedürfnis dafür, und es sei der Wille Gottes. Aber wie sollte ich vorgehen... Es ist ganz und gar unmöglich: Ihr kennt meine Aufgaben in Neapel: der Missionsdienst, meine anderen seelsorglichen Pflichten...' Und er übertrieb die Unmöglichkeit eines Erfolgs, wandte aber gleichzeitig ein, daß er sich dem göttlichen Willen widersetze, wenn er den Rat dieser Dienerin Gottes nicht befolge. Diese Zweifel setzten ihm so sehr zu, daß ihn schwindelte und er beinahe die Besinnung verlor. Nun versuchte ich, ihn mit vielen Argumenten zu trösten und sagte zu ihm: 'Laß dich nicht unterkriegen, mein Lieber. Wer weiß, wo der Wille Gottes ist? Das will überlegt sein.' Er aber spann seine Gedanken weiter: 'Aber wo sind meine Gefährten?' Worauf ich antwortete: 'Schau her, ich bin der erste... Also, komm nun essen und überlassen wir Gott diese Sorge.' Alfons wurde plötzlich wieder heiter und ging zu Tisch.“
Auch Mannarini gab deutlich zu verstehen, daß er der dritte im Bunde sein werde. Man würde demnächst nach Neapel zurückkehren, und dort solle ein jeder das Problem seinem Beichtvater vorlegen, um so den Willen Gottes zu ergründen.
… erste Widerstände
Am Samstag, dem 17. November, sind sie wieder in der Hauptstadt. Die erste Reaktion P. Paganos ist hart: „Visionen, Neuerungen, zwei Dinge, denen ich a priori mißtraue. Ihr brecht mit Scala und geht Euren gewohnten Pflichten nach!“ Das ist der Rat eines Weisen und Alfons hat zu gehorchen. Er würde es mit Freuden tun, wenn ihn der Gedanke an diese Verlassenen nicht Tag und Nacht verfolgte. Genau darauf aber baut Falcoia, wenn er am 24. November erneut einen Anlauf nimmt: „Der Herr will Euch. Mehr noch, er hat Euch zu einem Grundstein für dieses Gebäude auserwählt. Ich weiß nicht, was Euch motiviert, die Angelegenheit in Frage zu stellen und zu bezweifeln. Sagt Euch nicht Euer Herz dasselbe? Bestärkt Euch nicht der Zustand, in dem es sich befindet, all das mutig auf Euch zu nehmen, was dem irdischen Herzen am meisten widerstrebt, um dem großen Meister nachzufolgen, der uns vorangeht? Können diese Pläne denn von einem anderen als dem Heiligen Geist herrühren? Sie sind den Wünschen des alten Adam so konträr und entsprechen dem neuen, der, um unser Vorbild zu werden, so viel auf sich genommen und gelitten hat, in so hohem Maße. Sprechen wir nicht mehr darüber. Bittet den Herrn, er möge Euch mit seiner Gnade beistehen, und bereitet Euch darauf vor, für seine Liebe jede Prüfung zu erdulden. Tausend Umarmungen für meinen liebsten Don Matteo (Ripa); bittet ihn, von dem, was er weiß, keinen Gebrauch zu machen.“
… und sein Aufbruch ins Bergland – Die Icona Vetere
Am 1. Dezember 1731 reiste Liguori zum ersten Mal als Missionsleiter, mit fünf Mitbrüdern in das acht Tagereisen entfernte Taranto und sodann noch in die Ferse des italienischen Stiefels. Der Missionsleiter übernahm selbstverständlich die „große Predigt“ und trug die schwerste Last dieser zwei Missionsmonate. Dieses südländische Volk übertraf sich dabei in Reuekundgebungen: Frauen fielen bei der großen Predigt in Ohnmacht, Männer schlugen sich die Köpfe auf dem Straßenpflaster und an den Kirchenmauern wund...
Dennoch war dies immer noch nicht die Welt der Verlassenen, nach der Alfons hungerte und dürstete. Gegen Mitte Februar 1732 kehrte die Gruppe nach Neapel zurück – natürlich über Foggia, um hier der Jungfrau „mit dem lebendigen Gesicht“ einen Besuch abzustatten. Mgr. Pietro Faccolli, der Bischof von Troia, weilte gerade in der Stadt. Er empfing den heiligen Missionar und Neffen seines Vorgängers, Mgr. Cavalieri, mit großer Herzlichkeit. Ein Domherr der Kollegiatskirche, Don Francesco Garzilli, bestand darauf, die vier Missionare bei sich aufzunehmen. Der Herr wird ihm diese Gastfreundschaft besonders vergelten, denn mit 56 Jahren wird er ein „Sohn Alfons‘“ und bleibt es noch vierzig Jahre lang. Klerus und Honoratioren belagerten den Neffen ihres einstigen Bischofs mit ihren Besuchen. Sie luden ihn ein, sie zwangen ihn, eine Muttergottesnovene zu halten. Alfons hatte Bedenken: „Was wird Don Giulio Torni sagen, von dem ich weder den Auftrag, geschweige denn die Erlaubnis dazu habe?“ Der Ortsbischof jedoch, der ebenfalls ein „Bruder“ der Propaganda war, ersuchte ihn persönlich darum und nahm alle Verantwortung auf sich. Schließlich war es ja für Unsere Liebe Frau und für ein unglückliches Volk... Die Karosse der Mitbrüder fuhr also ohne Liguori ab, und er stieg auf die Kanzel der Kirche S. Giovanni Battista. Allerdings nur am ersten Abend, denn es mußten weit mehr Menschen außerhalb der Kirche bleiben, als in ihr Platz fanden. So brachte man die Kanzel kurzerhand an die Kirchentüre und stellte ihr gegenüber die Icona Vetere, das alte Gnadenbild auf.
Alle Beichtväter der Stadt reichten nicht aus, um nach den Predigten die Menge der Beichtwilligen zu bewältigen. Die Jungfrau tat in ihrer mütterlichen Liebe das ihre dazu, wie Alfons 48 Jahre später als Bischof im Ruhestand den Domherrn von Foggia auf dessen Anfrage hin bestätigt: „Allen, die diesen Brief lesen, bekunden und bestätigen wir unter Eid die Wahrheit folgender Tatsache: Als wir uns im Jahr 1732 in Foggia befanden, hielten wir in der Kirche S. Giovanni Battista für das Volk eine Reihe von Predigten. Diese Kirche besaß damals ein großes Bild, die sogenannte Alte Ikone, in deren Mitte sich eine ovale, mit einem schwarzen Schleier bedeckte Öffnung befand. An verschiedenen Tagen und zu wiederholten Malen sahen wir außerhalb dieser Öffnung das Antlitz der Allerseligsten Jungfrau Maria erscheinen. Es ähnelte dem eines dreizehn- bis vierzehnjährigen Mädchens, war weiß verschleiert und bewegte sich nach rechts und nach links... Dieses hehre Antlitz glich nicht einer Malerei, sondern einem lebendigen Gesicht, in vollem Relief, fleischfarben, wie das einer jungen Person, die sich nach rechts und links bewegt. Wir waren außerdem nicht die einzigen, die es betrachten konnten; das ganze zur Predigt versammelte Volk sah es ebenfalls. Es empfahl sich unter einem Ausbruch von Rufen und Seufzern innigst der Allerheiligsten Mutter Gottes. Im Glauben an die Wahrheit des Gesagten haben wir vorliegendes Zeugnis mit unserem Siegel versehen. Gegeben zu Nocera dei Pagani, am 10. Oktober 1777. Alfons Maria von Liguori, Bischof.“
Der Heilige hat jedoch aus Bescheidenheit nicht alles gesagt, sondern Folgendes verschwiegen: Eines Abends, als die Menge schon verabschiedet und die Ikone wieder in die Kirche zurückgebracht worden war, stieg der Missionar auf den Altar, um sie sich genauer anzuschauen. Dabei fiel er unvermittelt in Verzückung und konnte das schönste Antlitz auf Erden und im Himmel in aller Ruhe betrachten. Als er nach einer langen Stunde — außer sich vor Freude und... Verwirrung — wieder in diese Welt zurückkehrte, löste er die Spannung, indem er das „Meerstern ich dich grüße“ anstimmte und mit seiner herrlichen Stimme auch die dreißig anwesenden Priester und Herren mitriß. Am nächsten Tag beauftragte er einen Maler und gab ihm Anweisungen, wie er einen Abglanz der Züge der wunderbaren Jungfrau wiedergeben sollte. Die Überlieferung berichtet ferner, er selbst habe die letzten Pinselstriche zur Vollendung des Gemäldes geführt. Diese Madonna von Foggia ist noch heute bei den Redemptoristen von Ciorani zu sehen.
Auf dem Rückweg erstieg er noch den Berg, auf dem sich die berühmteste der 800 italienischen Pilgerstätten zum hl. Michael befindet, und feierte dort die hl. Messe mit einer Frömmigkeit, die alle anrührte. Lange verweilte er im Gebet. Er schärfte sein geistiges Schwert für einen Kampf, von dem er ahnte, daß er schrecklich sein würde. Im Vergleich dazu würde G. Tornis Gardinenpredigt, die er nach seiner Rückkehr zu erwarten hatte, nur eine sanfte Rüge sein.Am Montag, dem 3. März, notiert das Jahrbuch der Illustrissimi: „Der Obere erinnert an das für jeden Bruder gleichermaßen geltende Verbot, ohne seine ausdrückliche Erlaubnis zu predigen.“ Alle denken an den noch nicht wieder anwesenden Alfons von Liguori. Am 10. März — der „Übeltäter“ sitzt wieder auf seinem Platz — „erneuert Torni die Anweisungen, daß keiner sich erkühnen möge, Predigten ohne seine ausdrückliche Erlaubnis zu halten“. Am 17. März nochmals derselbe kategorische Aufruf. Alfons muß sich durchbohrt fühlen.
So viel Aufhebens um die Predigten in Foggia? Nein, es geht nicht nur im Foggia. Torni sieht viel weiter; er denkt an die Gerüchte über Loslösung und Neugründung. Jeder spürt, daß ein Drama in der Luft liegt. Das steht außer Zweifel und es läßt auch wirklich nicht lange auf sich warten. Sein Beichtvater hatte Alfons geraten, zunächst einfach seinen Pflichten nachzugehen, was dieser auch sofort macht, er begibt sich wieder auf Missionsreise. Als Alfons nach drei Monaten aus Apulien zurückkehrte, fand er zunächst einen ganz anderen Pagano vor: er hat nachgedacht, er hat gebetet. Das Ergebnis davon war: „Ihr habt mir ein schwieriges und ungemein heikles Problem aufgegeben. Jetzt sage ich Euch ohne Zögern: Das Werk ist von Gott; es gereicht zur Ehre Jesu Christi und zum sicheren Heil der Seelen. Doch wäre es sinnvoll, noch zwei klügere Männer als mich um Rat zu fragen: Pater Cuttica, den Ihr seit zwanzig Jahren kennt, und Pater Domenico Manulio, einen Jesuiten voll Heiligkeit und Wissen.“
Alfons‘ Entschluß zur Gründung des Redemptoristenordens – Er verläßt Neapel
Die Entscheidungen der beiden wichtigsten Ratgeber sind somit eindeutig und gleichlautend: Gott will diese Gründung, die Kirche bedarf ihrer, und Alfons soll sie in Angriff nehmen, ohne weitere Zeit zu verlieren. Dieser Ansicht sind auch andere Gottesmänner, die Liguori konsultiert hat. Lange nachdenken, sich umfassend beraten und noch mehr beten, um dann zu entscheiden und vom einmal gefaßten Entschluß nicht mehr abzuweichen: das ist sein Grundsatz.
„Alfons war sich des Willens Gottes sicher“, sagt Tannoia, „und so gewann er neuen Aufschwung und faßte Mut. Er opferte die Stadt Neapel ganz für Christus, und war bereit, den Rest seiner Tage in Schafställen und Strohhütten zu verbringen und inmitten von Hirten und Dorfbewohnern zu sterben.“
„Die Stadt Neapel“ ist für Alfons ein gesellschaftliches und kulturelles Milieu, das für ihn nicht ohne Anreiz ist, denn sie ist „sein Milieu“. Das Milieu, aus dem er auf der Ebene der Besten hervorgegangen ist, ein Volk, das auch in den ärmeren Schichten reich an guten Priestern ist. Die „Hirten und Dorfbewohner“ dagegen sind damals die Welt der wirtschaftlich, kulturell und religiös Unterentwickelten, der „Verlassenen“. Sie sind verlassen, weil sie arm sind. Man muß die Radikalität der hier von Alfons beschlossenen Veränderungen begreifen, um den Ordensgründer, den Schriftsteller und den Moraltheologen Liguori verstehen zu können. Der neapolitanische Cavaliere vornehmer Abstammung, der vollkommene Intellektuelle, der feinsinnige Künstler, der von den Honoratioren und der geistlichen Elite aufgesuchte Priester, der angesehenste der Illustrissimi in der Hauptstadt und den Städten des Königreichs trifft im März 1732 mit fünfunddreißig Jahren und sechs Monaten die Lebensentscheidung, allem den Rücken zu kehren, was vor der Welt zählt. „Er bringt die Stadt Neapel Jesus Christus zum Opfer.“
Erneute Widerstände
Es ist gut verständlich, daß sich nun ganz Neapel dagegen wehrt, ihn zu verlieren. Das Gerücht von seinem Plan und seiner bevorstehenden Abreise verbreitete sich immer mehr. So erhob sich schon nach wenigen Tagen ein gewaltiger Sturm gegen ihn. „Er hat den Kopf verloren! Ein Fanatiker! Ein Visionär!...“, so urteilten die einen. „Er ist selbstüberheblich! Der Weihrauch, den man ihm überall streut, ist ihm in den Kopf gestiegen... Und außerdem, Visionen einer Nonne! Die Kirche Gottes ruht nun auf Halluzinationen! Als ob die 'Aufklärung' nicht längst das Mittelalter vertrieben hätte!“, so munkelten die anderen. Seine Mitbrüder von der Propaganda sind die ersten, die diese beißenden Kommentare austauschen. Der bloße Gedanke, daß Liguori, ihr bedeutendstes Mitglied, in solcher Einfalt dahindämmert, treibt ihnen die Schamröte ins Gesicht. Sie kämpfen am erbittertsten gegen ihn.
An ihrer Spitze aber stehen, und das bereitet Alfons den meisten Kummer, sein Lehrer Torni, Oberer des Seminars, und sein Onkel Gizzio, sein Oberer bei den Missionen. „Torni“, sagt Tannoia, „hielt ihn tatsächlich für einen Wirrkopf. Verwirrt durch ein Frauenzimmer!... Für Gott und die Seelen verloren... Gizzio konnte sich ebensowenig beruhigen: diese Intelligenz, die nun in Visionen und ähnlichen Abgeschmacktheiten versumpfte! So vermehrten die beiden ihre Bemühungen, ihn von diesem Unternehmen abzubringen.“
Respektvoll, aber unerschütterlich setzte Alfons die Meinung seines Seelenführers entgegen, was Gizzio wiederum veranlaßte, von bloßen Argumenten zum Angriff überzugehen: „Nicht Gott ist es, der Euch leitet, sondern die Fantastereien einer Klosterfrau; Ihr solltet ihnen nicht glauben, sondern sie als Illusionen betrachten.“ Doch Alfons konnte entgegnen: „Ich richte mich nicht nach Visionen, sondern nach dem Evangelium...“ Darauf der Onkel: „Schön, schön! Aber woher wollt Ihr die Mittel nehmen, um diese Pläne zu verwirklichen?“ Hierauf der Heilige: „Wer auf Gott baut, Herr Onkel, der kann alles hoffen und erhofft alles.“ Wie gespannt das Verhältnis war, zeigte sich, als der „Erleuchtete“ eines Morgens in die Sakristei der Kathedrale kam und Alfons antraf. Sofort ging ein Hagel von Beschimpfungen auf ihn nieder, die in beißender Ironie gipfelten: „Schändliche Vermessenheit! Ihr könntet diese neuen Gründungen und Institute ja gleich in der Kirche errichten!“ Alfons erwiderte kein Wort.
In einer etwas weniger emotionalen Unterhaltung sagt Gizzio zu seinem Neffen: „Ich habe auch einen Seelenführer, dem ich in allem gehorche. Er ist ein Heiliger: Fra Ludovico Fiorillo, ein hingebungsvoller Prediger. Wie, wenn Ihr Euch seiner Meinung unterwerfen würdet? Ich rate Euch überhaupt, Euch seiner Führung anzuvertrauen.“ Der Neffe darauf: „Ich bestimme meine Führung nicht nach meinem Gutdünken, Onkel, sondern hänge in allem von Pater Pagano ab.“ Hierauf wußte Pietro Marco Gizzio nichts weiter zu sagen. Aber sein Seelenführer Pagano hebt selbst, als Alfons ihm von diesem Mißtrauen berichtet, den Fehdehandschuh auf: „Ich bin einverstanden. Wenn P. Fiorillo sagt, daß Gott dieses Werk will, dann will ich es ebenfalls; sagt er nein, so sage auch ich nein.“
Damit schien alles wieder von neuem in Frage gestellt, und zwar ganz im Sinne Gizzios. Alfons vermehrte darum seine Gebete und Bußübungen, damit Gott endlich seinen Willen kundtun möge. In Scala bestürmte man — nun ebenfalls unruhig geworden — den Herrn in Nachtwachen und Kasteiungen, er möge die Seelenführer des Freundes und Vaters erleuchten.
Fiorillo und Liguori kannten einander nur vom Hörensagen. In den ersten Apriltagen aber trafen sie zufällig ausgerechnet beim Oberen des Seminars zusammen. „Wer seid Ihr denn?“ fragte Fiorillo den Eintretenden. „Alfons von Liguori“, erhielt er zur Antwort. Ein Lächeln glitt sofort über das Gesicht des ehrwürdigen Dominikaners, und er sprach folgende Worte: „Gott ist nicht zufrieden mit Euch. Er will Euch ganz. Und er erwartet von Euch etwas anderes als das, was Ihr jetzt macht.“ Alfons atmete auf und Freude erfüllte sein Herz. Gizzio jedoch blieb sein Mund offen. Man verabredete sich im Kloster von S. Domenico Maggiore zu einem Gespräch. Hier, in den Kreuzgängen, in denen der Ex-Anwalt als Student einst wandelte, informiert er Fiorillo über alles: sein Gewissensproblem gegenüber den Verlassenen von Lukanien und S. Maria dei Monti, die Erleuchtungen von Scala, das Ja der Patres Pagano, Cuttica und Manulio, die verpflichtende Zusage von Mazzini, Mannarini, Sarnelli, Sportelli, sowie des Beichtvaters von Scala, Pietro Romano, und eines gewissen Silvestro Tosquez, die Beschwörungen des Bischofs von Castellamare, die Ordensregel, die gerade erarbeitet wird.
„Ich bitte um sechs Monate Bedenkzeit“, ist das letzte Wort Fiorillos. „Ein Jahr, wenn Ihr wollt“, entgegnet ihm Alfons.
Aber schon in den nächsten Tagen sieht ihn Fiorillo wieder und umarmt ihn voller Freude. Was er ihm damals sagte, hat Alfons selbst sozusammengefaßt: „Fiorillo: Wenn ich (in jüngeren Jahren) diese neue Kongregation gekannt hätte, hätte ich Dir nicht (nur) ohne Zögern dazu geraten, sondern wäre ihr selbst beigetreten. Außerdem ist ihre Verwirklichung schon im Gange, und entsprechende Schritte wurden getan. Das Werk. Ich gebe Dich Falcoia zurück. Vertraue auf Gott. Wirf Dich in ihn, wie man einen Stein in den Abgrund wirft, ohne Dich darum zu kümmern, was noch zu tun bleibt, und wie sich die göttliche Vorsehung dazu verhält... Gott erwartet von Dir Mut und ein großmütiges Herz, denn Verfolgungen werden nicht ausbleiben. Wenn ich (ein junger) Priester wäre, würde ich Dir folgen.“
Doch verbot Fiorillo Alfons, von seiner Meinung Gebrauch zu machen und ihn noch einmal zu besuchen, mit der Begründung, daß der Klerus ihm nicht verzeihen und sein Apostolat darunter leiden würde. Für den Fall aber, daß man ihm diese erste Intervention zum Vorwurf machen würde: „Ich werde sagen, ich habe Dich weggeschickt und mich von Dir distanziert. Und schreibe mir. Beim Jüngsten Gericht werde ich mich dafür verantworten müssen. Gebe Gott, daß dies das einzige Unrecht ist, das Du getan hast!“
Für Pagano und Falcoia gilt diese Geheimhaltung natürlich nicht. Letzterer reagiert am 7. April: „Treibt die Werke Gottes auch weiterhin voran, ohne zu ermüden, ohne mit dem schon Erreichten zufrieden zu sein, so lange, bis sie endgültig geregelt sind. Es steht außer Frage, daß der Herr von Euch erwartet, diese so bedeutende Angelegenheit zu einem guten Ende zu führen. Ich habe es Euch vorausgesagt und betone es in Übereinstimmung mit P. Fiorillo noch einmal, wennschon ich weder dessen Verstand noch seine Erleuchtung besitze... Ihr sagt mit Recht, daß weder die apostolische Struktur, noch die Offenbarungen erwähnt werden dürfen; die Schwestern sind darüber informiert, und die Regel ist in diesen Punkten sehr nüchtern... Wir werden uns darüber, wie auch über alles andere, noch einmal unterhalten. Ich habe vor, zu diesem Zweck nach Neapel zu kommen... Daher möchte ich gerne das genaue Datum Eurer Abreise zur Mission wissen... Uneingeschränkte Freude für das heilige Osterfest.“
Am 28. Mai ist Alfons wieder in der „Löwengrube“, zu der die Hauptstadt nun für ihn geworden ist. Er will nur in aller Eile einige Gefährten um sich versammeln und dann wieder entfliehen. Cuttica und Manulio drängen, Pagano bremst und Falcoia, der nicht in Neapel aufgetaucht ist, sucht in Scala nach einer Heimstätte. An Fiorillo, den er ja nicht aufsuchen darf, schreibt Alfons in etwa folgendes: „Ihr laßt mich fallen. Erklärt Euch. Und schickt mir Leute.“ Am 2. Juni kommt folgende Antwort: „Ihr meint, ich habe Euch verlassen und die Angelegenheit vergessen, die so sehr zum Ruhme Gottes gereicht. Sie liegt mir mehr denn je am Herzen. Freut Euch und vertraut auf Gott: Er wird Euch in dieser Sache, die ihm so wohlgefällig ist, all seinen Beistand geben. Ich kann Euch keine Mitglieder vorschlagen, sollte mir aber jemand unterkommen, werde ich an Euch denken. Wie gerne würde ich mein Priesterleben noch einmal beginnen, um das Glück zu haben, mich Euch anschließen zu können und Eure Last zu tragen. Laßt Euch von der geringen Zahl der Mitglieder nicht abschrecken: der Herr wird Euch allmählich mehr schicken,und eine Handvoll Guter wiegt viele auf. Ich segne Euch im Namen Jesu und Mariens und umarme Euch mit demütiger Hochachtung herzlich in der Liebe des Herrn.“
Das Embargo aber, das seine Meinung geheim hält, hebt der gute Dominikaner nicht auf. Aus Angst, seine Seelsorge in dem wachsenden Mißkredit, der Alfons entgegenschlägt, zu kompromittieren.
Der Zorn und die Scham der Illustrissimi haben nun ihren Höhepunkt erreicht. „Fanatiker!“, schleudert ihm eines Tages Gizzio in höchster Erregung entgegen, „ganz Neapel ist gegen Euch. Pagano, Fiorillo sind gegen Euch. Ihr habt nur die einfältigen Schwestern mit ihren Wahnvorstellungen auf Eurer Seite. Dreifacher Narr, der Ihr seid, seht Ihr denn nicht, daß Ihr Illusionen und Hirngespinsten nachhängt?“ Alfons verteidigt sich: „Ich habe Euch schon einmal gesagt, daß ich mich nicht nach Visionen richte, sondern nach dem Evangelium Jesu Christi und dem Gehorsam meinem Seelenführer gegenüber.“
Das Geheimnis, hinter dem sich Fiorillo versteckt hat, muß nun gelüftet werden. Aber der Dominikaner ist soeben zu einer Reise aufgebrochen. Pagano vertrat die Ansicht, man müsse sich über sein Gebot hinwegsetzen und seinen Brief veröffentlichen. Derselben Meinung war auch ein Freund Alfons', Gennaro Fortunato, früherer Professor am Seminar und nunmehriger Bischof von Cassano. Falcoia erholte sich auf der Insel Ischia. In einer Blitzreise fuhr Alfons zu ihm und holte seinen Rat ein. Die Antwort war: „Ja, natürlich.“ Cuttica und Manulio? Der eine sagte ja, der andere nein. Das Ja aber war gewichtiger.
Fiorillos Brief in der einen Tasche, die Kopie in der anderen, begibt sich Liguori also zum Seminar, wo die beiden Oberen wohnen. Er hat den Mund noch nicht aufgemacht, als er bereits wieder mit neuen Vorwürfen überhäuft wird: „... und Ihr habt Pater Fiorillos Billigung nicht erhalten.“ Alfons erleichtert: „Fiorillos Billigung. Ich habe sie. Bitte, lest.“ Betretenes Schweigen der beiden Domherrn. Torni versucht einen erneuten Ausbruch: „Dieses Papier genügt mir nicht. Ich möchte das Original sehen.“ Alfons greift in die andere Tasche und zieht das Original heraus: „Hier ist es...“ Hierauf streckt der „Lehrer“ endgültig die Waffen: „Dieser Brief genügt, um mich zu beruhigen und die Ehre meiner Kongregation wiederherzustellen.“ Gizzio ist verwirrt und bringt kein Wort hervor. Er erkennt schlagartig, was sein Neffe durchgemacht hat. Von nun an verteidigt er ihn im Seminar, bei den Apostolischen Missionen und auch beim Erzbischof.
Endlich: Die Gründung der Kongregation vom Allerheiligsten Erlöser
Am Morgen des 9. November 1732 haben sich sechs Missionare (Alfons von Liguori, Giovanni Mazzini, Pietro Romano, Giovanni B. De Donato, Vincenzo Mannarini, Silvestro Tosquez), unter Falcoias Vorsitz um den Altar versammelt. Nach einer langen Betrachtung singen die sieben die Messe vom Heiligen Geist und sodann das Dank-Tedeum. Diese Zeremonie wird allerdings nicht im Dom von Scala abgehalten — was hätten sie auch in diesem großen Kirchenschiff, das 2.000 Personen faßte, gemacht? — sondern in der bescheidenen Hauskapelle des Gästetrakts. Dies war die Geburtsstunde der Kongregation der Väter vom Heiligsten Heiland, deren Name von Rom schon bald umgewandelt wurde in den der Väter vom Allerheiligsten Erlöser und darum allgemein „Redemptoristen“ genannt wird. Es war ein großes Fest für ganz Scala: für den Klerus, den Adel und das Volk. Nun weilte er endlich unter ihnen, dieser Alfons, den sie schon zwei Jahre früher hätten behalten wollen. Und nicht nur er, mit ihm zusammen waren diese Missionare nach seinem Bild.
Streitigkeiten über die Ordensregel
In der Woche nach der Gründung kommt die Gruppe der Brüder zusammen, um sich über die Regel für die neue Gemeinschaft zu beraten. Falcoia leitet die Beratungen. Schon bei den ersten Besprechungen zeigen sich jedoch unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten. Die fünf sind sich weder über die Regel noch über die Zielsetzung, noch auch über die Führungsrolle des Bischofs von Castellamare einig. Donato, der Älteste von ihnen, hat ebenfalls eine Regel in seinem Gepäck und zwar die von den Jesuiten inspirierte Regel seiner ehemaligen kleinen Kongregation von Teano. Diese sollte nun in Scala zu neuem Leben erweckt werden. Wenn es nach ihr geht, sollte kein gemeinsames Chorgebet gehalten werden — nur das nicht! —; außerdem sollte man neben den Missionen auch Schulen unterhalten. Deshalb müsse man sich in größeren Städten und nicht auf dem Land und in den kleinen Dörfern niederlassen. Tosquez und Mannarini sind mit ihm in der Frage der Schulen einig, seine Regel aber liegt ihnen nicht im Blut. Sie sind für die Regel Schw. M. Celestes, allerdings ohne Falcoias Veränderungen.
Wenn schon keinerlei Übereinstimmung in den großen Linien waren, wie sollte es da im Kleinen besser bestellt sein? Soll das Offizium im Chor gebetet werden oder soll es jeder für sich beten? Soll es gesungen oder rezitiert werden? Wird man auf Wolle oder auf Stroh schlafen? Alfons stimmt für die gesunde Mitte: Überlassen wir die Matratzen den Reichen und den Kranken, die Diele und den blanken Erdboden den Armen und den überstrengen Mönchen. Der Strohsack ist genau das Richtige für Menschen, die zur Abtötung gelangen müssen. Tosquez wird hier nicht widersprechen, aber als unbedingter Anhänger M. Celestes ist er für eine wörtliche Nachfolge Christi, d.h. ein rotes Gewand und ein blauer Mantel! Zudem ist er für das wirtschaftliche System der Kirche von Jerusalem: ein jeder soll seinen ganzen Besitz veräußern und den Erlös dem Superior zu Füßen legen. Liguori lächelt bei diesen Vorschlägen und versucht zu mäßigen. Dieses Gewand? „In der Öffentlichkeit wäre es eine Maskerade.“ Der totale Zwangsverkauf? „Es gäbe nicht genug Totengräber, um all die Ananiasfiguren zu bestatten, die in unserer Mitte lügen würden.“ Der Biograph ergänzt: „Über dieses Problem des Eigenbesitzes war Alfons mit keinem von ihnen einig. Ohne wirkliche Armut, so sagte er, fehlt alles. Denn dann fehlen der wahre Geist Jesu Christi und das Gemeinschaftsleben. Ohne dieses Gemeinschaftsleben aber, der Mutter und dem Schutzwall der Armut, kann es in der Kongregation keine Heiligkeit geben. Sobald die Begriffe ,mein‘ und ,dein‘ bei uns Fuß fassen, wird es zu den schwersten Mißständen kommen: dann wird man nicht mehr für Gott und die Seelengewinnung in die Mission ziehen, sondern zum eigenen Nutzen und Gewinn.“
Trotz intensiver Beratungen kommt es zu keiner Einigung. Wird Alfons von diesem Sturm überrascht? Das neue Schiff ist noch kaum im Wasser, als es schon in eine gefährliche Schräglage gerät. Doch der Gründer wird durchaus nicht seekrank. Er bewahrt Ruhe und macht sich Falcoias Leitmotiv zu eigen: tempus et deus — auf die Zeit und auf Gott vertrauen. Wichtig ist vor allem, die Gruppe vor der Zersplitterung zu bewahren, um Zeit zu gewinnen, bis die Erleuchtung kommt und bis die „Seelenbrüder“, auf die er zählen kann, in Scala eintreffen: Mazzini, Sportelli, vielleicht auch Sarnelli. Alfons jedenfalls ist de facto „Superior maior“ – Generaloberer. Er muß deswegen freibleiben für andere Gründungen. Mit ihm allein als dem Verantwortlichen des Werks wird der Direttore, Mgr. Falcoia, alle Fragen direkt besprechen.
Der erste Laienbruder der Gemeinschaft: Don Vito Curzio
Kurz nach Falcoias Abreise erhält die entstehende Gemeinschaft in Don Vito Curzio ihren ersten Laienbruder. Dieser Dienstag, der 18. November 1732, muß mit einem Markstein gekennzeichnet werden. Don Vito Curzio ist sechsundzwanzig Jahre alt, gebildet, Kalligraph und Adeliger. Dieser Mann blickt auf eine Vergangenheit als jähzorniger und gefährlicher Raufbold zurück. „In der Hand hielt ich statt Kruzifix und Rosenkranz Pistole und Dolch“, so wird er später einmal bekennen. Er war aus seiner Heimat Acquaviva bei Bari geflohen, um nicht ins Gefängnis geworfen und womöglich sogar gehängt zu werden. In Kampanien war er dann Verwalter der Güter des Marquese del Vasto auf der Insel Procida geworden. So hatte er sich dem Generalprokurator des Marquese, Don Cesare Sportelli, angeschlossen, in dessen Haus er bei seinen Aufenthalten in der Hauptstadt wohnte. Das Beispiel und die Gespräche mit dem Rechtsanwalt hatten ihn schließlich umgewandelt. Eines Morgens nun erwachte er in tiefer Bestürzung: „Ich hatte einen seltsamen Traum“, berichtete er Sportelli. „Ich stand am Fuße eines steilen Berges und sah viele Priester, die ihn bestiegen. Ich wollte auch hinauf, doch verlor ich bei jedem Versuch den Boden unter den Füßen und blieb traurig und zornig hinter ihnen zurück. Da erbarmte sich einer dieser Priester meiner, kam auf mich zu und nahm mich bei der Hand: nun stieß ich zur Gruppe vor und stieg mit ihnen auf.“
Einige Tage darauf waren unsere beiden jungen Männer bei einem Besuch im Chinesenkolleg zufällig Alfons begegnet. Welch eine Überraschung bei Vito Curzio: „Das ist der Priester, der mir neulich im Traum die Hand gereicht hat.“ Nun erklärt Sportelli ihm, daß dies der berühmte Missionar Don Alfons von Liguori sei, daß er eine Gruppe von Aposteln zur Evangelisierung der armen Leute um sich schare und daß er, Sportelli, sich ihm anschließen werde ... „Das ist es, wozu Gott mich ruft“, ist Vitos Reaktion. Er nimmt sich nur noch die Zeit, seine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und einige Arme mit seiner Garderobe und seinen Talern zu beglücken, und kommt dann an jenem 18. November in Scala an, mit leeren und verfügbaren Händen, mit einem Herzen, das bereit ist zum Aufstieg zur Heiligkeit. Er kommt als Laienbruder auf Lebenszeit, als „dienender“ Bruder, wie man sagen wird.
Es ist gerade Essenszeit; irgendeiner — höchstwahrscheinlich Donato — bittet den feinen Herrn, bei Tisch zu servieren. Widerstand steigt in ihm auf — „Ich sollte bei Tisch bedienen? Dienstbote auf Lebenszeit?“ — und schon überlegt er, wie er sich an diesem unverschämten Priester rächen soll, der ihn wie einen Sklaven behandelt hat... Da aber sieht er, wie Don Alfons, neapolitanischer Cavaliere, sich erhebt, um gemeinsam mit ihm zu servieren. Er ist beschämt: „Elender“, sagt er sich, „dieser serviert bei Tisch und du sträubst dich?“ Damit erhält der „alte Mensch“ den Gnadenstoß!
Erst mit diesem Bruder — weiß Alfons es schon? — ist seine Kongregation wirklich gegründet, denn hier steht nun endlich an der Basis ein Granitblock, der nicht weichen noch wanken wird, trotz der unüberschaubaren Schwierigkeiten, die da kommen werden.
"Approbation" des Königs
„Alfons hatte sich in Villa die Finger verbrannt. Angesichts des schlechten Laufs, den die Dinge nun nahmen, erwog er, den Staub von seinen Füßen zu schütteln und Pagani aufzugeben. Da er Gottes Willen ergründen wollte, ging er nach Neapel, um dort den Rat weiser Männer einzuholen. Er legte seine Lage Kanonikus Torni, den frommen Arbeitern, den Lazaristen und anderen dar. Sie alle waren der Meinung, er solle Nocera verlassen. Nun reiste er nach Castellamare, und auch Mgr. Falcoia war angesichts des drohenden Zusammenbruchs derselben Meinung. Doch da fiel sein Blick auf eine Statue des hl. Michael und in einer plötzlichen inneren Erleuchtung rief er: „Es ist der Teufel! Macht weiter. Gott und der heilige Michael werden Euch beschützen.“ Dies war auch Mgr. De Dominicis' Ansicht: Diese Gründung mußte als ein Werk Gottes verteidigt werden. „Widmet Haus und Kirche dem hl. Michael“, riet Falcoia.
Am 6. März wandte sich der Bischof von Nocera also neuerlich an Herzog Brancone, und am 23. übermittelte der mit den kirchlichen Angelegenheiten betraute Minister endlich die königliche Ermächtigung: vom Gouverneur von Nocera verlangte er die Unterstützung der Patres vom Heiligsten Heiland; dem Bischof bestätigte er „die hohe Wertschätzung des Königs für ein so heiliges, mildtätiges und lobenswertes Werk, wie es das Apostolat bei den verlassensten Seelen ist.“
Zwischen den politischen Machtblöcken
Die Übereinkunft seiner Gemeinschaft mit dem Königreich Neapel kam politisch zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, denn Neapel war seit einiger Zeit mit Rom entzweit. Die römische Diplomatie sah in der königlichen Anerkennung eine erneute Anmaßung und zugleich eine Möglichkeit, die eigene Macht zu demonstrieren. Das Opfer waren Alfons von Liguori und seine Redemptoristen. Sogar der Papst, Pius VI., wendet sich von ihm ab: „Ich weiß, daß Alfons ein Heiliger und dem Heiligen Stuhl treu ergeben ist. In dieser Angelegenheit aber hat er es nicht gezeigt.“
Während De Paola und Leggio die römischen Ämter aufhetzten, antwortete Alfons am 24. August dem Kardinalpräfekten Francesco Carafa, er werde ihm angesichts seiner 85 Jahre und seiner Krankheiten an seiner Stelle nach der heißen Jahreszeit zwei Patres schicken, um die Wahrheit ins volle Licht zu setzen. „Ich hätte nicht erwartet“, fügt er hinzu, „in meinem Alter von den Meinen derart behandelt zu werden.“
Aber plötzlich überstürzen sich die Dinge. Ohne den Ausgang der Untersuchung abzuwarten, brachte die hl. Kongregation am 22. September ein vorläufiges Dekret heraus, das den Häusern des Königreichs Neapel die Indulte und Privilegien entzog, die der Kongregation des Allerheiligsten Erlösers gewährt worden waren, und erklärten, sie seien als dieser niemals zugehörig gewesen zu betrachten; die Niederlassungen der päpstlichen Staaten dagegen sollten einen eigenen Präsidenten erhalten.
Mit einem Mal waren nach päpstlichem Urteil die Redemptoristen im Königreich Neapel keine Redemptoristen mehr: Die Mitbrüder der neapolitanischen Häuser „waren“ — wägen wir die Worte — „zu betrachten, als seien sie niemals Mitglieder der Kongregation des Allerheiligsten Erlösers gewesen“. Maione und Cimino wagten sich nicht mehr „nach Hause“ zurückzukehren. Ersterer starb 1787 vor der Zeit; letzterer wird zum Bischof von Oria ernannt, kommt aber 1818 nach Pagani zurück, um dort als „Oblate“ inmitten seiner Brüder seine Tage zu beenden. Was De Paola und Leggio betrifft, so wollten sie zwar Präsidentschaft und Trennung, hatten aber nie die Vernichtung des neapolitanischen Zweigs gewünscht. Sie hatten nicht bedacht, daß ein einmal entfachter Brand nicht mehr lenkbar ist.
Für den armen Gründer war dies gewissermaßen ein Gnadenstoß. „Seit etwa zwei Jahren“, so schreibt Tannoia, „war Monsignore am Ende seiner Kräfte; dieser Bruch des Instituts war gleichsam sein Todesurteil. Vorher trug er die natürliche Last der Jahre auf einem ausgemergelten und gekreuzigten Leib, nachher fiel er in Agonie und war kein Mensch mehr. Er aß wenig und schlief noch weniger; sein Überleben in all diesen Bitterkeiten erschien allen wie ein Wunder. Er mußte trotz seines diesbezüglichen Gelübdes darauf verzichten, an den Samstagen über die Muttergottes zu predigen. Im November 1780 hielt er seine letzte Ansprache an die Gemeinschaft, in der er über die Wirksamkeit des Gebets, seine große Nützlichkeit, seine unerläßliche Notwendigkeit sprach. Alle waren von der Wärme und Ausführlichkeit seiner Rede angerührt. Es war gleichsam sein Vermächtnis an seine Söhne.“
Bei erster Gelegenheit aber, am 8. Oktober, schreibt Alfons an De Paola: „Mein lieber Francesco ... ich freue mich, daß Ihr nun unter der Gewalt des Papstes steht und man Euch zum Oberen ernannt hat. Ich freue mich auch über die Mission von Velletri. Alles ist gut, und Ihr müßt alles so weiter laufen lassen, da es der Wille des Papstes ist. Der Papst hielt mich wohl für schuldig, weil ich das Regolamento des Königs akzeptiert habe; aber vielleicht könnt Ihr ihm durch eine befreundete Person mitteilen, daß wir Gefahr liefen, alles zu verlieren, wenn ich das Regolamento nicht angenommen hätte? Wenn der Papst das wüßte, würde er mich sicher nicht verurteilen. Ich hoffe, ihm zu gegebener Zeit alles darlegen und von ihm die Gnade erbitten zu können, die ich wünsche; denn ich habe die Liebe nicht vergessen, die er mir Unwürdigem entgegengebracht hat, und ich hoffe, als getreuer Diener seiner Heiligkeit und der Kirche zu leben und zu sterben. Ich ersuche Euch, irgendjemanden zu finden, der mir diesen Dienst beim Papst erweist; denn ich selbst kann ihm derzeit nicht schreiben und muß mich in all den Unruhen, in die ich verwickelt war, dem Willen Gottes ergeben. Ihr alle, die Ihr dort lebt, vergeßt nicht, bei der Messe um einen guten Tod für mich zu bitten, denn ich bin nicht weit davon entfernt. Jeden einzelnen von Euch habe ich sehr geliebt. Der Herr hat diese Trennung gewollt: sein heiliger Wille sei immer gepriesen! Wenn Ihr mir von Zeit zu Zeit schreiben und über Eure Erfolge berichten könntet, wäre ich sehr glücklich. Jesus und Maria mögen Euch alle segnen! Und betet für mich.“
Alfons lädt De Paola nach Pagani ein, doch dieser kommt nicht. Er schreibt dem Papst und versucht, ihm die unmögliche Situation verständlich zu machen. Am 24. Februar 1781 ringt er dem König für seine Mitglieder die Erlaubnis ab, den Eiden der Keuschheit und des Gehorsams die der Armut und der Beharrlichkeit hinzuzufügen; und das ist bereits ein Schritt zur Wiedervereinigung. Die Lage ist jedoch verfahren. P. De Paola, der versprochen hatte, für die Wiedervereinigung zu arbeiten, wird ungeduldig und verlangt von der hl. Kongregation, dem Provisorium ein Ende zu machen. Leggio, jetzt Prokurator der Häuser im Kirchenstaat, besteht auf der Aufrechterhaltung der Beschlüsse vom 22. September 1780. Er gewinnt seine Sache am 24. August 1781, als die hl. Kongregation die endgültige Beibehaltung des Dekrets von 1780 beschließt. Das Institut ist in zwei Teile gespalten; die Mitbrüder des Königreichs gehören nicht mehr zur Kongregation vom Allerheiligsten Erlöser. Der Gründer ist auch unter den letzteren.
Pius VI. persönlich erklärt Mgr. von Liguoris Gesandten, daß politische Motive eine andere Lösung unmöglich gemacht haben: Rom konnte sich diese Gelegenheit, dem König und der Königin von Neapel einen Schlag zu versetzen, nicht entgehen lassen. Der Schlag traf Alfons. Seine einzige Reaktion: „Seit sechs Monaten bete ich nur um dies eine: Herr, ich will, was du willst.“
Alfons bekam ein Magengeschwür. Nachdem er so viel Blut gespuckt hatte, daß er fast daran gestorben wäre, kam er langsam wieder zu sich, und man hörte ihn murmeln: „Wie? Sind wir nicht die Kongregation des Allerheiligsten Erlösers. Haben wir nicht die Regel von Papst Benedikt XIV. empfangen? Wenn wir die Regel des Papstes beachten, warum gehören wir dann nicht zur Kongregation?“
So stieg sein tiefer Schmerz in Augenblicken des Halbbewußtseins auf, dann aber schloß er, wieder bei vollem Bewußtsein: „Man zweifelt vielleicht, daß wir die Regel beachtet haben und beachten, die uns Papst Benedikt XIV. gegeben hat, und wir müssen vielleicht deshalb draußen stehen? Gott will es so, Geduld!“ Seine Söhne versuchen sich, ihn zu beruhigen: „Aber nein, vertreibt diese düsteren Gedanken, wir sind echte Redemptoristen.“ Daraufhin verfiel er in Schweigen. Niemals hörte man ihn in seinen Augenblicken des Halbbewußtseins oder seiner Krankheitsdelirien auch nur die geringste Klage gegen den Heiligen Stuhl oder gegen irgendjemanden äußern.
Gedrängt durch die Briefe zahlreicher Bischöfe gab die Hl. Kongregation am 4. April 1783 „Mgr. von Liguori auf Lebenszeit und jedem seiner Missionare, der jetzt und künftig an seiner Aufgabe teilnimmt, die Ablässe und geistlichen Gnaden ... der Priester der Kongregation des Allerheiligsten Erlösers, die im Kirchenstaat existiert“, zurück. Alfons hatte einen Indult „für seine Missionare“ erbeten; die römischen Juristen aber waren sehr darauf bedacht, ihn Alfons und seinen Missionaren „individuell“ (singularis) zu gewähren, um ja nicht eine „Körperschaft“ anzuerkennen.
Alfons selbst aber dachte nur noch ans Sterben. Und doch war er übervoll der Hoffnung. Immer wieder sagte er: „Bleibt Gott treu, dann wird auch Gott der Kongregation treu bleiben; die Dinge kommen nach meinem Tod wieder ins Lot.“ Eines Tages sagte er zu P. Giuseppe Cardone: „Ich habe gehofft, noch zu erleben, daß sich die Dinge einrenken; ich habe die Muttergottes immer wieder darum gebeten und bitte sie darum; aber es ist nicht Gottes Wille. Die Dinge werden sich einrenken, aber erst nach meinem Tod.“
Im Bewußtsein seiner Ohnmacht und um schädliche Erschütterungen nach seinem Tod zu vermeiden, entschließt er sich, sein Amt abzugeben.
Nachgedanke…
Am 29. Juli dieses für Alfons so heißen Jahres bricht der Vesuv aus und versetzt die ganze Gegend in Angst und Schrecken. Der Vulkan speit eine hohe Flamme und ergießt seine Lava nach Norden in Richtung Somma und Ottaviano. Am 8. August wendet sie ihren Lauf und bedroht das nur zwanzig Kilometer entfernte Pagani. Gegen 9 Uhr abends wird der Anblick gespenstisch. P. Corsano läuft zu Alfons' Zelle. Gestützt auf Romito und Pollio, schleppt sich Monsignore zum Fenster am Ende des Flurs, von dem aus man den Vulkan sehen kann. „Jesus!“, ruft er entsetzt. Er schlägt ein großes Kreuz, und der Vesuv sinkt in seinem Krater zusammen. Wie wir sehen ist die Natur um einiges verständiger und viel leichter zu bändigen als der Mensch mit seinen Leidenschaften…