1. Im Katechismus des heiligen Pius X. beginnt der Abschnitt über die Karwoche mit der Frage: „Warum nennt man die letzte Woche der Fastenzeit auch die Heilige Woche?“ Die Antwort lautet: Sie heißt auch „die Heilige Woche, weil in ihr das Gedächtnis der größten Geheimnisse, die Jesus Christus zu unserer Erlösung vollbracht hat, gefeiert wird“. Der Heiland hat uns ja durch Sein heilbringendes Leiden und Kreuz erlöst, und eben diese Geheimnisse feiert die „Heilige Woche“.
2. Die Karwoche beginnt mit dem Palmsonntag, und welches Geheimnisses gedenkt man an diesem Tag? „Am Palmsonntag denkt man daran, daß Jesus Christus sechs Tage vor Seinem Leiden glorreich in Jerusalem einzog.“ Davon berichtet uns der heilige Johannes im 12. Kapitel seines Evangeliums: „Sechs Tage vor dem Osterfeste kam Jesus nach Bethanien, wo Lazarus war, der gestorben gewesen und den Jesus auferweckt hatte. ... Als aber am folgenden Tage eine große Volksmenge, welche zu dem Feste gekommen war, hörte, daß Jesus nach Jerusalem komme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus Ihm entgegen, und riefen: Hosanna! Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels! Und Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich auf denselben, wie geschrieben steht: Fürchte dich nicht, du Tochter Sions! Siehe, dein König kommt, sitzend auf dem Füllen einer Eselin“ (Joh 12,1.12-15).
Doch aus welchem Grund wollte Jesus Christus vor Seinem Leiden glorreich in Jerusalem einziehen? „Jesus Christus wollte vor Seinem Leiden, wie es vorausgesagt war, glorreich in Jerusalem einziehen: 1. um seine Jünger zu ermutigen, indem Er ihnen auf diese Weise einen klaren Beweis gab, daß Er Sein Leiden freiwillig auf sich nehme; 2. um uns zu lehren, daß Er durch Seinen Tod über den Teufel, die Welt und das Fleisch triumphieren werde und daß Er uns den Zugang in den Himmel eröffnen werde.“ „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe um es wieder zu nehmen. Niemand nimmt es von mir, sondern ich gebe es von mir selbst hin; und ich habe Macht, es hinzugeben, und habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen“ (Joh 10,17f). Es ist nicht ein armer, unterdrückter Mensch, der unwillig oder gar widerwillig etwas erleiden muß, sondern es ist der König der Glorie, der hier aus vollem, freien Willen Seinen königlichen Kreuzweg antritt, so wie es der Vater im Himmel für Ihn vorgesehen hat, um vom Kreuz herab zu triumphieren und den Weg zum Himmel wieder zu öffnen: „Wahrlich ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Darum die feierlichen Zeremonien der Palmweihe, der Prozession und des Einzugs in die Kirche, die wir gleich noch sehen werden.
3. Die nächsten wichtigen Tage der Karwoche sind der Gründonnerstag, der Karfreitag und der Karsamstag. „Am Gründonnerstag feiert man die Einsetzung des heiligsten Sakramentes der Eucharistie“, am „Karfreitag gedenken wir des Leidens und Todes des Retters“, am „Karsamstag ehrt man die Grablegung Jesu Christi und Sein Hinabsteigen in die Vorhölle; nach dem Zeichen zum Gloria beginnt man Seine glorreiche Auferstehung zu ehren“. „Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten...“ All diese zentralen Wahrheiten unseres Glaubens, deren wir in diesen Tagen gedenken, sind bereits vorweggenommen und eingeschlossen im Geheimnis des Altarsakramentes und des heiligen Meßopfers, deren Einsetzung wir am Gründonnerstag feiern.
Was jedoch „müssen wir tun, um die Karwoche im Geist der Kirche zu verbringen“? Drei Dinge sollen wir tun: „1. mit dem Fasten eine größere innere Sammlung und einen größeren Eifer im Gebet verbinden; 2. beständig im Geist der Zerknirschung die Leiden Jesu Christi betrachten; 3. im selben Geist, wenn möglich, dem Gottesdienst beiwohnen.“ Die ersten beiden Punkte sind auch und besonders dann zu beobachten, wenn wir aus irgendwelchen Gründen ganz oder teilweise verhindert sind, an den Liturgien der Heiligen Woche teilzunehmen.
4. Der nächste Abschnitt im Katechismus des heiligen Pius X. behandelt einige Zeremonien der Karwoche, zunächst die des Palmsonntags. Dieser werde „Palmsonntag genannt wegen der Prozession, die an diesem Tage stattfindet und bei der die Gläubigen Öl- oder Palmzweige in der Hand halten“. Dies geschehe, „um an den triumphalen Einzug Jesu Christi in Jerusalem zu erinnern, bei dem Ihm die Volksmenge mit Palmzweigen in der Hand entgegenging“. Es ist ja der Triumph des Christkönigs, der nicht in Jerusalem endet, sondern bis ins himmlische Paradies hinauf führt. Deshalb wird auch bei der Rückkehr der Palmprozession dreimal an die Kirchenpforte geschlagen, bevor sie sich auftut. Es geschieht dies, um „zu versinnbildlichen, daß der Himmel durch die Sünde Adams verschlossen war und daß Jesus Christus uns den Eintritt in den Himmel mit seinem Tod verdient hat“. „Erhebt eure Häupter, ihr Tore! Reckt euch, ihr uralten Pforten, daß einziehen kann der König voll Herrlichkeit! - Wer ist denn der König voll Herrlichkeit? - Der Herr, der Starke, der Held! Der Herr, der Recke im Streit! - - Erhebt eure Häupter, ihr Tore! Reckt euch, ihr uralten Pforten, daß einziehen kann der König voll Herrlichkeit! - Wer ist denn der König voll Herrlichkeit? - Der Herr der Heerscharen, das ist der König voll Herrlichkeit!“ (Ps. 23,7-10). Dasselbe verkündigt auch der Wechselgesang, der an der Kirchenpforte gesungen wird: „Gloria, laus et honor tibi sit, Rex Christe, Redemptor. - Ruhm und Preis und Ehre sei Dir, Christkönig, Erlöser.“
Wer aber „waren jene, die Jesus Christus entgegengingen, als Er im Triumph in Jerusalem einzog“? „Als Jesus Christus im Triumph in Jerusalem einzog, gingen Ihm das einfache Volk und die Kinder entgegen, nicht aber die Großen der Stadt; so fügte es Gott, um uns erkennen zu lassen, daß der Stolz sie unwürdig machte, am Triumph unseres Herrn teilzunehmen, der die Einfalt des Herzens, die Demut und die Unschuld liebt.“ Es war am Ende Seines Lebens nicht anders als zu dessen Beginn, als die Großen der Stadt Jerusalem ebenfalls nicht den Weg hinaus nach Bethlehem fanden.
5. Am Gründonnerstag läuten die Glocken ein letztes Mal, bevor sie ihr Geläut bis zum Karsamstag einstellen. „Vom Gründonnerstag bis zum Karsamstag läuten die Glocken nicht zum Zeichen der großen Trauer über das Leiden und den Tod des Retters.“ In dieser Zeit müssen hölzerne Klappern und Ratschen für sie eintreten. Weitere Besonderheiten des Gründonnerstags sind die Aufbewahrung einer großen konsekrierten Hostie, die Entblößung der Altäre und die Fußwaschung.
„Warum wird am Gründonnerstag eine große konsekrierte Hostie aufbewahrt?“ Bekanntlich konsekriert der Zelebrant am Gründonnerstag zwei große Hostien, deren eine er wie gewöhnlich konsumiert, deren andere aber in einen Kelch gelegt und für den Karfreitag aufbewahrt wird. Dies geschieht: „1. damit dem Sakrament der Eucharistie am Tag seiner Einsetzung eine besondere Anbetung erwiesen werde; 2. damit die Liturgie am Karfreitag gefeiert werden könne, an dem der Priester nicht konsekriert.“ Bis zur Bugnini-Reform im Jahr 1955 wurde ja am Karfreitag nicht einfach eine „Liturgie vom Leiden und Sterben des Herrn“ begangen in Gestalt von Wortgottesdienst und Kommunionfeier, sondern eine wahre Messe gefeiert, wenngleich mit einer vorkonsekrierten Hostie, eine „missa praesanctificatorum“, in welcher dann auch einzig der Zelebrant kommunizierte. Damit war zugleich der innige Zusammenhang zwischen Gründonnerstag und Karfreitag, zwischen heiligem Meßopfer und dem Kreuzesopfer, deutlich hergestellt. Diese große Hostie für die Messe am Karfreitag war es, die am Gründonnerstag verehrt und angebetet wurde.
„Warum wird am Gründonnerstag die Fußwaschung vorgenommen?“ Dies geschieht, „1. um das Gedächtnis an diesen Akt der Demütigung zu erneuern, mit dem sich Jesus Christus herabließ, Seinen Aposteln die Füße zu waschen; 2. weil Er selbst die Apostel und in ihnen die Gläubigen ermahnte, Sein Beispiel nachzuahmen; 3. um uns zu lehren, daß wir unser Herz von jedem Makel reinigen und einer gegenüber dem anderen die Pflichten der Liebe und christlichen Demut üben sollen“. Wäre man nur der in diesem Beispiel des Heilands enthaltenen Lehre treuer gefolgt, so hätten wir heute nicht jene bitteren Zustände zu beklagen, unter welchen sich die Katholiken durch die „Konziliare Kirche“ leiden, die eine Folge von Stolz ist, von Machtmißbrauch, von erkalteter Liebe.
In früheren, katholischen Zeiten, noch vor der genannten Bugnini-Reform, fanden die Liturgien der Karwoche, darunter auch die vom Gründonnerstag, am Morgen statt. Das gab den Gläubigen Gelegenheit, am Nachmittag und Abend des Gründonnerstags das Allerheiligste zu besuchen und anzubeten. Dazu begaben sich die Gläubigen „zum Besuch des allerheiligsten Sakramentes öffentlich in Prozessionen oder einzeln in mehrere Kirchen“. Das geschah „zum Gedächtnis der Schmerzen, die Jesus Christus an mehreren Orten, wie im Garten am Ölberg, in den Häusern des Kaiphas, des Pilatus und des Herodes und auf dem Kalvarienberg, gelitten hat“. Der Katechismus belehrt uns, in welchem Geist diese Besuche zu verrichten sind: „Am Gründonnerstag dürfen wir die Besuch nicht aus Neugier, aus Gewohnheit oder zur Unterhaltung machen, sondern müssen sie aus aufrichtiger Zerknirschung über unsere Sünden verrichten, die der wahre Grund des Leidens und Sterbens unseres Erlösers sind, und im wahren Geist des Mitleidens mit Seinen Schmerzen, indem wir sie in verschiedenen Leiden betrachten: z.B. beim ersten Besuch Sein Leiden im Garten am Ölberg, beim zweiten Sein Leiden im Gerichtshaus des Pilatus und so ähnlich bei den anderen.“ Leider wird dieser schöne und heilsame Brauch heute kaum noch durchzuführen sein, nicht nur wegen der Bugnini-Reformen, sondern auch, weil man nicht mehr viele Kirchen findet, wo man am Gründonnerstag den wahren Heiland anbeten kann.
6. Die besonderen Zeremonien des Karfreitags sind die großen Fürbitten sowie die Kreuzverehrung. „Warum bittet die Kirche am Karfreitag den Herrn in besonderer Weise für alle Menschen, auch für die Heiden und für die Juden?“ „Die Kirche bittet am Karfreitag den Herrn in besonderer Weise für alle Menschen, um zu zeigen, daß Christus für alle Menschen gestorben ist, und um die Frucht Seines Leidens für das Heil aller zu erflehen.“ Es ist so unendlich schade um jeden Tropfen Blutes, den der Heiland umsonst vergossen hat. Er hat für alle Menschen genuggetan am Kreuz, doch leider wollen nicht alle Seine Erlösung annehmen. Darum ist es gerade am Karfreitag das Anliegen der Kirche, möglichst vielen Seelen die Früchte der Erlösung zukommen zu lassen.
„Warum wird am Karfreitag das Kreuz feierlich verehrt?“ Dies geschieht, „weil an diesem Tag Jesus Christus an das Kreuz genagelt wurde und daran gestorben ist und es so mit Seinem Blut heiligte“. Doch die „Anbetung gebührt Gott allein; warum also betet man das Kreuz an“? Ist es nicht Gotteslästerung, ein solches Marterwerkzeug auch noch anzubeten? „Anbetung gebührt Gott allein; wenn man jedoch das Kreuz anbetet, so bezieht sich unsere Anbetung auf Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist.“ Der heilige Ludwig Maria Grignion von Montfort preist in seinem Büchlein „Die Liebe zur ewigen Weisheit“ das Kreuz als den Inbegriff der Weisheit Gottes. Er weist darauf hin, daß Jesus Christus sich das Kreuz gewissermaßen zur Braut gewählt hat. „Ihr Band ist unauflöslich, ihr Bund währt ewig. - Niemals ist das Kreuz ohne Jesus, noch Jesus ohne das Kreuz!“
Er schreibt: „Die menschgewordene Weisheit hat durch ihren Tod die Schande des Kreuzes so glorreich, seine Armut und Blöße so reich, seine Schmerzen so angenehm und seine Härte so reizend gemacht, daß es gleichsam vergöttlicht und Engeln und Menschen anbetungswürdig wurde. Und Jesus Christus hat verordnet, daß alle Seine Untergebenen Ihn und Sein Kreuz anbeten. Sie [die menschgewordene Weisheit] will nicht, daß die Ehre der Anbetung, selbst der relativen, einem anderen Geschöpfe erwiesen werde, so erhaben es auch sei, wie z.B. Seiner heiligsten Mutter; diese große Ehre ist nur Seinem geliebten Kreuze vorbehalten und gebührt ihm allein. Am großen Tage des Gerichtes wird sie die Verehrung aller, auch der kostbarsten Reliquien der Heiligen aufheben. Für das heilige Kreuz jedoch wird sie den ersten Seraphim und Cherubim befehlen, in der ganzen Welt alle Teilchen des wahren Kreuzes zu sammeln, und die Allmacht des liebevollen Erlösers wird alle diese Teile so gut zusammenfügen, daß sie nur noch ein Kreuz ausmachen werden, und zwar dasselbe Kreuz, an dem die menschgewordene Weisheit gestorben ist. Sie wird dieses Kreuz unter den Jubelgesängen der Engel im Triumph einhertragen lassen. Dasselbe Kreuz wird auf der glänzendsten Wolke, die je erschienen, dem Weltenrichter vorausgehen, und mit dem Kreuz und durch das Kreuz wird Er die Welt richten.“ Wie wohl wird uns sein, wenn wir dann zu den Anbetern und Freunden des Kreuzes gehört haben. „Wie groß wird alsdann die Freude der Freunde des Kreuzes sein, wenn sie es erblicken werden!“ „Heil'ges Kreuz, sei uns gegrüßet!“ „Wie schrecklich hingegen wird die Verzweiflung seiner Feinde sein, die den Anblick des strahlenblitzenden Kreuzes nicht werden ertragen können und zu den Bergen sprechen werden: Fallet über uns! Und zu der Hölle: Verschlinge uns!“
7. „Von den Zeremonien des Karsamstags sind es die Weihe der Osterkerze und des Taufwassers, über die man besonders betrachten muß.“ Was nämlich versinnbildlicht die Osterkerze? „Die Osterkerze versinnbildlicht den Glanz und die Herrlichkeit, welche der auferstandene Christus der Welt brachte.“ Alle Jahre am Karsamstag ereignet sich am Heiligen Grab in Jerusalem ein Wunder: Aus der Grabbank, auf welcher Jesu heiligster Leichnam gelegen und von wo Er auferstanden ist, steigt ein heiliges Licht, an welchem der Patriarch von Jerusalem eine Kerze entzündet, um sie nach draußen zu tragen. In Blitzesschnelle verbreitet sich dieses Licht durch die ganze Grabkirche und darüber hinaus.
„Warum wird am Karsamstag das Taufwasser geweiht?“ Das Taufwasser wird am Karsamstag geweiht, „weil in alter Zeit an diesem Tag, ebenso wie am Vigiltag von Pfingsten, feierlich die Taufe gespendet wurde“. Die Taufe läßt ja das österliche Geheimnis in uns Wirklichkeit werden. Wir sind der Sünde gestorben, um fortan mit Christus zu leben. Was müssen wir also tun, während das Taufwasser geweiht wird? „Während das Taufwasser geweiht wird, müssen wir dem Herrn danken, daß Er uns zur Taufe zugelassen hat, und jene Versprechungen erneuern, die wir damals abgelegt haben.“ Wir haben damals dem Satan widersagt und all seinem Gepränge und dem Heiland Treue versprochen durch ein gehorsames Leben im Glauben. „So erachtet auch ihr euch als solche, die tot sind der Sünde, doch lebend für Gott in Christus Jesus unserem Herrn. Es herrsche darum nicht die Sünde in eurem sterblichen Leib, um euch hörig zu machen dessen Gelüsten; und gebt eure Glieder nicht der Sünde hin als Werkzeuge der Ungerechtigkeit, sondern gebt euch Gott hin als solche, die aus Toten Lebende wurden, und eure Glieder als Werkzeuge der Gerechtigkeit für Gott!“ (Röm 6,11-13). „Wurdet ihr also auferweckt mit Christus, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes! Was droben ist, habet im Sinn, nicht was auf Erden! Denn gestorben seid ihr, und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott“ (Kol 3,1-3).