Sichtbarkeit der Kirche

1. Ein beliebter Einwand gegen den „Sedisvakantismus“ - oder was manche dafür halten – ist der Hinweis auf die Sichtbarkeit der Kirche. Die „Sedisvakantisten“, so sagt man, würden die Sichtbarkeit der Kirche leugnen, da es für sie ja keinen Papst und keine Hierarchie mehr gibt (es sei denn die „virtuelle“ der „Sedisprivationisten“), und obendrein die Apostolische Sukzession unterbrechen, seien doch nach ihnen keine Kardinäle mehr vorhanden, die den Papst wählen könnten, und somit gebe es entweder gar keinen Papst mehr, oder aber einen aus irgendwelchen „Küchen-Konklaven“ hervorgehenden Pseudo-Papst, jedenfalls keinen wahren Nachfolger Petri.

2. Wir wollen uns zunächst der Sichtbarkeit der Kirche zuwenden. Gewiß gehört die Sichtbarkeit wesentlich zur Kirche, wobei diese freilich zum Teil sichtbar, zum anderen aber unsichtbar ist. Auch der Mensch ist ja sichtbar in seinem Leib, aber unsichtbar in seiner Seele. Analog hat man auch von einem „Leib der Kirche“ gesprochen und von einer „Seele der Kirche“. Die „Seele der Kirche“ ist natürlich der in ihr wirkende Heilige Geist, welcher die menschlichen Seelen heiligt und alle Gnaden und geistigen Schätze hervorbringt, deren sich die Kirche erfreut. Sichtbar aber ist die Kirche in ihrem „Leib“, vorzüglich durch ihr sichtbares Oberhaupt, den Stellvertreter Christi auf Erden, den Papst. Darum hat man die Sichtbarkeit der Kirche immer gerne kurz zusammengefaßt in die Devise: „Ubi papa, ibi ecclesia. - Wo der Papst, da die Kirche.“

3. Bernhard Poschmann unterscheidet in seiner Dissertation „Die Sichtbarkeit der Kirche nach der Lehre des heiligen Cyprian“ (Breslau 1907) die „Sichtbarkeit der Kirche in ihrer äußeren Konstitution“ und die „Sichtbarkeit der Kirche in ihrem dreifachen Amte“. Er meint, die Begriffe von „sichtbarer“ und „unsichtbarer“ Kirche seien überhaupt erst seit Luther im Schwange, welcher der hierarchisch verfaßten katholischen Kirche eine „Versammlung der Herzen im Glauben“, also eine unsichtbare „Geistkirche“ entgegenstellte. Lieber als vom „sichtbaren“ spreche er daher vom „hierarchischen“ Kirchenbegriff, „ein Ausdruck, der in der Tat bezeichnender ist und anderseits doch alle Momente in sich einschließt, welche den Begriff der 'Sichtbarkeit' der Kirche ausmachen, insofern eben die Hierarchie die Grundlage der sichtbaren Kirche ist“. Er fährt fort: „Sichtbar ist nämlich die Kirche, um den Inhalt des Begriffs näher zu bestimmen, 1. in ihrer äußeren Konstitution, indem sie sich darstellt als die geschlossene Gemeinschaft aller derer, welche mit der Hierarchie, d. i. konkret mit den rechtmäßigen Bischöfen in Verbindung stehen, 2. in Bezug auf ihr dreifaches von der Hierarchie ausgeübtes Amt, indem ihre Lehre die äußere Regel für den Glauben, ihr Gesetz die äußere Norm für das sittliche Handeln, ihre Kultformen die sichtbaren Mittel zur Erlangung der Gnade sind.“

Grundlage der Sichtbarkeit ist nach dem heiligen Cyprian zunächst der Episkopat, und zwar als Ganzes gesehen. Wer nicht den Bischof als Hirt anerkennt, gehört nicht zur Kirche Christi. „Wo der Bischof ist, da ist die Kirche.“ Der heilige Cyprian: „Der Bischof macht die Gemeinde zur Christenheit.“ Poschmann: „So tritt uns die Einzelgemeinde als eine organisierte, sichtbare Gesellschaft entgegen. Aber auch in ihrer Gesamtheit bilden die Gemeinden ein organisch zusammengefügtes, abgeschlossenes Ganzes, die katholische Kirche.“ Freilich müssen dazu die einzelnen Bischöfe in der Gesamtheit des Episkopats verbleiben, denn wenn sie sich aus dieser Einheit losgelöst haben, „haben sie aufgehört, rechtmäßige Bischöfe, Stellvertreter Christi zu sein“. „Wie die Einzelkirche ihren Einheitsgrund in ihrem Bischofe hat, so sind die Bischöfe in ihrer Gesamtheit die Grundlage der ganzen Kirche.“ Trennt sich ein Bischof vom Gesamtepiskopat, „so ist seine Gewalt erloschen; er betrügt seine Gemeinde, welche ihn vielleicht noch weiter als Bischof betrachtet und in der Kirche zu sein vermeint, während sie es tatsächlich nicht mehr ist“.

Ausgangspunkt und Mittelpunkt des Gesamtepiskopates ist jedoch der Papst. Die römische Kirche ist „die Hauptkirche, weil Ausgangspunkt und Zentrum der katholischen Kirchengemeinschaft“, sie ist „die Wurzel, aus welcher die übrigen herausgewachsen sind, von welcher sie sich aber auch nicht trennen können, ohne ihre Lebenskraft einzubüßen“. Gemeinschaft mit dem römischen Papst bedeutet Gemeinschaft mit der Kirche. „Ohne Gemeinschaft mit Rom keine Kirche. Durch die Verbindung mit Rom sind die um ihre Bischöfe konzentrierten Einzelkirchen vereinigt zu einem einzigen großen Weltverbande, der katholischen Kirche, die sich nunmehr als eine abgeschlossene sichtbare Größe präsentiert.“

Die Zugehörigkeit zur Kirche ist notwendig für das Heil. Denn sie allein besitzt das dreifache Amt Christi, sie allein ist „imstande, die Wahrheit zu verbürgen, weil in ihr die traditio Dei hinterlegt ist“, sie allein hat die hirtenamtliche Gewalt. „Die Bischöfe und Priester sind vom Herrn als Hirten des Volkes aufgestellt, sie haben dafür zu sorgen, daß Zucht und Sitte gewahrt wird; aus ihrer Hand wird Gott die Seelen am Gerichtstage fordern. Deswegen ist es notwendig, daß die Gläubigen ihnen gehorchen.“ Die Kirche allein besitzt auch das wahre Priestertum, wobei der heilige Cyprian so weit geht, alle außerhalb der Kirche gespendeten Sakramente einschließlich der Taufe für ungültig zu halten. Er hat sich hier, so meint Poschmann, durch „seinen Eifer in der Bekämpfung der Spaltungen in der Kirche“ zu einer „Überspannung des Einheitsgedankens verleiten lassen“. „So wahr es nämlich ist, daß nur derjenige Bischof ein rechtmäßiger Bischof der Kirche ist, welcher mit dem Gesamtepiskopat in Verbindung steht, und daß ein Bischof, der sich von der Gemeinschaft der übrigen trennt, damit sich und die ihm mala fide folgenden Anhänger von den Gnaden der Kirche ausschließt, so falsch ist es, auch den Fortbestand der priesterlichen Amtsgewalten von der Aufrechterhaltung der kirchlichen Gemeinschaft abhängig zu machen und zu lehren, daß es außerhalb der Kirche auch keine objektive Gnadenwirkung, kein gültiges Sakrament und kein Opfer gebe. Der Satz 'salus extra ecclesiam non est' enthält so im Sinne Cyprians eine Übertreibung, welche der kirchlichen Lehre widerspricht.“ In ihrem dreifachen Amt ist die Kirche sichtbar durch die „kirchliche Lehre als äußere Glaubensregel“, durch das „kirchliche Gesetz als Norm für das sittliche Handeln“, sowie in der sichtbaren „Gnadenvermittelung durch das Priestertum“.

4. Der Katechismus des heiligen Pius X. definiert die katholische Kirche so: „Die katholische Kirche ist die Gesellschaft oder die Vereinigung aller Getauften, welche auf Erden leben und denselben Glauben sowie das Gesetz Christi bekennen, an denselben Sakramenten teilhaben und den rechtmäßigen Hirten gehorchen, besonders dem Obersten Hirten in Rom.“ Hier ist die doppelte Sichtbarkeit im dreifachen Amt und der Hierarchie kurz und knapp zusammengefaßt. Zur Sichtbarkeit der wahren Kirche Jesu Christi gehört freilich auch ihre Unterscheidbarkeit von „den vielen Gesellschaften oder von Menschen gestifteten Sekten, die sich christlich nennen“, anhand ihrer vier Kennzeichen: „Sie ist einig, heilig, katholisch und apostolisch.“ Man nennt die Kirche auch die „römische“, „weil man die vier Charaktere der Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität nur in jener Kirche antrifft, die den Bischof von Rom, den Nachfolger des heiligen Petrus, als Oberhaupt anerkennt“.

Die Kirche Jesu Christi „ist als eine wahre und vollkommene Gesellschaft verfaßt, und man kann an ihr wie an einer juristischen Person Seele und Leib unterscheiden“. „Die Seele der Kirche besteht in dem, was sie an Innerlichem und Geistigem besitzt, das sind der Glaube, die Hoffnung, die Liebe, die Gaben der Gnade und des Heiligen Geistes und alle himmlischen Schätze, welche ihr durch die Verdienste Christi, des Erlösers, und der Heiligen zugeflossen sind.“ Ihr Leib „besteht in dem, was sie an Sichtbarem und Äußerlichem besitzt, sei es in der Versammlung ihrer Glieder, sei es im Kult, sei es in ihrem Lehramt, sei es in der äußeren Ordnung und Regierung“. Zwar kann sich niemand „außerhalb der katholischen, apostolischen, römischen Kirche“ retten, wer sich aber „ohne seine Schuld, das heißt im guten Glauben, außerhalb der Kirche befindet und die Taufe empfangen oder unausgesprochen wenigstens das Verlangen danach hat, wer außerdem aufrichtig die Wahrheit sucht und den Willen Gottes erfüllt, so gut er kann, der ist, wenn auch getrennt vom Leib der Kirche, dennoch mit ihrer Seele vereinigt und daher auf dem Wege des Heiles“.

5. Die Sichtbarkeit der Kirche umfaßt also notwendig ihre Erkennbarkeit als wahre Kirche Christi. Sie muß als die eine, heilige, katholische und apostolische in Erscheinung treten, und das sowohl in ihrer äußeren Konstitution als auch in ihrem dreifachen Amt. Damit stellt sich die Frage: Wo finden wir diese sichtbare Kirche Christi heute? Der „Generalobere“ der „Piusbruderschaft“ sieht das ganz einfach: „Die offizielle Kirche ist diejenige, die sichtbar ist, und das ist die katholische Kirche, ein für allemal.“ So formulierte er es in einer Ansprache im argentinischen La Reja, und viele dürften es ähnlich sehen wie er.

Die „offizielle Kirche“ meint wohl die Kirche Bergoglios, d.h. die „Konziliare Kirche“. So müssen wir uns fragen, ob diese tatsächlich die „katholische Kirche“ ist, wie der „Pius-General“ behauptet. Ist sie die „eine, heilige, katholische und apostolische“ Kirche? Der hochwürdigste Herr „Generalobere“ scheint dem und sich selbst höchstpersönlich zu widersprechen, denn in seinem jüngsten „Rundbrief an die Freunde und Wohltäter“ behauptet er: „Immer mehr löst sich die Einheit des Glaubens und die Einheit der Regierung in der heiligen Kirche auf.“ Das aber ist obendrein ein Widerspruch in sich, denn wenn sich die Einheit auflöst, kann es auch nicht die heilige Kirche sein, denn alle vier ihrer Kennzeichen sind untrennbar mit ihr und untereinander verbunden. Wenn sie heilig ist, ist sie auch einig. Immerhin jedoch muß er uns zugeben, daß das Kennzeichen der Einheit der „Konziliaren Kirche“ fehlt bzw. sich auflöst.

6. Die Einheit der Kirche wird gewöhnlich als dreifache dargestellt: Einheit in der Lehre, Einheit im Kult, Einheit in der Hierarchie (Papst und Bischöfe). Es war immer Kennzeichen der katholischen Kirche, der wahren Kirche Jesu Christi, daß überall und zu allen Zeiten in ihr derselbe Glaube gepredigt und bekannt wurde. In ihr galt überall derselbe Katechismus, während im Protestantismus schon vor langem beklagt wurde: „Jeder protestantische Pfarrer predigt seinen eigenen Katechismus“ (Berner Tagblatt 1921). Doch wie ist es um die „Konziliare Kirche“ bestellt? Nicht zuletzt die jüngste römische „Familiensynode“ hat die Abweichung von der katholischen Ehe- und Familienmoral sowie tiefgehende Divergenzen selbst unter den Bischöfen bezüglich der Lehre offen zutage treten lassen. Von den Theologen ganz zu schweigen, bei denen das Spektrum von linken „Befreiungstheologen“ bis hin zu konservativen „Scholastikern“ reicht. Auch in der „Konziliaren Kirche“ wird wie im Protestantismus je nach Prediger ein je anderes Evangelium verkündet. Die Laien machen sich ohnehin ihren Glauben zurecht, wie sie ihn brauchen, und haben keinerlei Skrupel, selbst Elemente anderer Religionen wie die „Reinkarnation“ einzubauen. Ein französischer Soziologe hat unlängst eine Studie veröffentlicht, die Frucht einer drei Jahre dauernden Untersuchung unter 177 französischen Katholiken. Darin zeichnet er das Porträt von 12 verschiedenen Typen von Katholiken, von „dem am meisten von der Kirche entfernten bis zum am meisten traditionalistischen“.

Entsprechend groß ist auch die Vielfalt der „Liturgie“. Sie reicht von prunkvollen Pontifikalämtern im „außerordentlichen Ritus“ bis hin zu hemdsärmeligen „Western-Messen“ am Lagerfeuer mit Steak, Cola und Zigaretten. Jeder Gläubige darf und muß suchen, wo er für seinen Geschmack am besten bedient wird. „Pfarrer X macht's noch ganz gut, da kann man hingehen.“ „Aber bei Pfarrer Y ist es viel schöner, der gibt sich immer soviel Mühe mit der Gottesdienstgestaltung.“ Und so weiter. Wo also ist die Einheit in der Liturgie zu finden? Garant der Einheit ist die kirchliche Hierarchie. Diese müßte normalerweise die katholische Lehre predigen, die Liturgie vorschreiben und alle dazu verpflichten und Verstöße dagegen ahnden. Die „konziliare“ Hierarchie beschränkt sich jedoch in der Regel darauf, die Vielfalt zu verwalten und nur bei extremsten Auswüchsen einzuschreiten, und auch das meist erst dann, wenn diese allzu öffentlich und zum Skandal werden. Wir erinnern etwa an den Fall Gotthold Hasenhüttl, der auf einem „Kirchentag“ entgegen dem ausdrücklichen Verbot der Bischöfe offen zur „Interkommunion“ einlud, was in den Medien hohe Wellen schlug, und der sich bei seiner anschließenden „Maßregelung“ durch seinen Bischof sehr wunderte, warum er plötzlich für etwas bestraft wurde, was er schon seit Jahr und Tag unbeanstandet praktiziert hatte. Die „Einheit“ der „katholischen Kirche“ in Deutschland definiert sich heute nur noch durch die Zugehörigkeit zum Kirchensteuerverband.

7. Fehlt dieser „Kirche“ die Einheit, dann notwendig auch die Katholizität, denn diese ist gewissermaßen deren spiegelbildliches Pendant. Die eine Kirche Christi nämlich findet sich überall auf der ganzen Welt, bei allen Völkern, in allen Kulturen, auf allen Erdteilen. Überall begegnet man derselben Kirche, demselben Glauben, demselben Kult. Im Gegensatz dazu zerfiel der Protestantismus in unzählige einzelne „Landeskirchen“ und andere Vereinigungen. In den USA sind diese besonders zahlreich; es gibt dort protestantische Gemeinschaften, die oft nur für einen Ort und bisweilen sogar nur für einen bestimmten Bevölkerungsteil desselben eingerichtet sind. Auch bei den schismatischen Orthodoxen existieren etliche „autokephale“ Nationalkirchen. Wir kennen die russisch-orthodoxe, die griechisch-orthodoxe, die serbisch-orthodoxe, die rumänisch-orthodoxe usw.

Ebenso verhält es sich bei der „Konziliaren Kirche“. Dort haben sich ebenfalls „Nationalkirchen“ gebildet, die deutsche Kirche etwa, die spätestens seit der „Königsteiner Erklärung“ im „Schisma“ ist, wie sogar ein Ratzinger zugeben mußte, aber auch afrikanische, indische, südamerikanische „Kirchen“, die ihre je eigenen „inkulturierten“ Riten pflegen und entsprechende Glaubensvarianten mit zum Teil heidnischen Einsprengseln aufweisen. Schon allein das zunehmende Aufgeben der Kirchensprache Latein sorgte dafür, daß die Katholizität zugunsten nationaler und regionaler Besonderheiten aufgegeben wurde. Fand der Katholik einst überall auf der Welt dieselbe Heilige Messe und konnte ihr problemlos folgen, so ist der „konziliare Katholik“ heute oft verloren, wenn er im Ausland einer ganz und gar fremdartigen „Meß“-Veranstaltung beiwohnt. Hinzu kommen die vielen geistlichen Gemeinschaften und Sondergruppen, die im Grunde ebenfalls Eigenkirchen darstellen, wie der „Katechumenale Weg“, die „Fokolar-Bewegung“, „Opus Dei“, „Schönstatt“ oder auch die „Ecclesia Dei“-Gemeinschaften und viele andere. Die „Konziliare Kirche“ ist zweifellos nicht katholisch.

8. Zur Heiligkeit der Kirche schreibt Spirago: „Die wahre Kirche muß heilig sein, d.h. sie muß solche Lehren und Einrichtungen haben, die die Menschen zur höchsten sittlichen Vollkommenheit, also zur Heiligkeit führen können.“ Er fügt hinzu: „Sobald ich also einer Kirche nachweisen kann, daß sie einen Grundsatz oder eine Einrichtung hat, wodurch die Vollkommenheit gehemmt wird, so ist erwiesen, daß sie nicht die wahre Kirche Christi ist.“ Es genügt also im Grunde bereits die Einrichtung der sakrilegischen „Handkommunion“, um eindeutig darzutun, daß die „Konziliare Kirche“ nicht die wahre Kirche Christi ist. Hinzu kommen etwa die Grundsätze der Religionsfreiheit und des Ökumenismus, welche die sittliche Vollkommenheit im höchsten Maße hemmen. Denn wenn etwa der protestantische Weg ebenso zur Seligkeit führt, obwohl dort gewisse Dinge erlaubt sind, die bei den Katholiken als verboten gelten wie etwa Ehescheidung oder künstliche Verhütung, und gewisse Dinge nicht notwendig sind, wie etwa der allsonntägliche Meßbesuch oder der Empfang des Bußsakramentes, dann werden solche Gebote und Verbote in den Augen der Gläubigen obsolet und werden schließlich durch den „Druck der Basis“ allmählich abgeschafft oder geändert. Diesen Prozeß beobachten wir im Moment bezüglich der Ehe- und Familienmoral.

„Die wahre Kirche muß auch glänzende Muster der Tugend, also Heilige hervorbringen“, fährt Spirago fort. Er zitiert Bossuet: „Nur jene Kirche, die Heilige hervorbringt, trägt das untrügliche Siegel ihrer Geburt aus Gott.“ Welche Heiligen bringt die „Konziliare Kirche“ hervor? Wir kennen einige von ihnen: den „heiligen Johannes XXIII.“, den „heiligen Johannes Paul II.“, den „seligen Paul VI.“, allesamt verheerende Irrlehrer und Kirchenzerstörer. „Die wahre Kirche muß auch ihren Mitgliedern die Gelegenheit bieten, die Tugend systematisch zu pflegen. Das tut die katholische Kirche durch ihre Orden. Jene Religionsgesellschaften, die kein Ordensleben haben, verhalten sich zur kathol. Kirche wie leere Steppen zu einer fruchtbaren Landschaft.“ Wer wüßte nicht um das Ordenssterben und das Darniederliegen des Ordenslebens in der „Konziliaren Kirche“? Da werden Ordenshäuser geschlossen, Ordensprovinzen wegen Mitgliederschwund zusammengelegt, ordenseigene Krankenhäuser und Schulen mehr und mehr oder sogar zur Gänze von weltlichen Kräften betrieben, Klöster zu „Wellness“-Oasen oder Seminar-Häusern für „Manager-Training“ umfunktioniert etc. Die „Konziliare Kirche“ ist nicht heilig.

9. „Die wahre Kirche Christi muß apostolisch sein, d.h. sie muß seit den Zeiten der heiligen Apostel bestehen und die Nachfolger der Apostel zu Vorstehern haben.“ Wie wir wissen, besteht die „Konziliare Kirche“, wie ihr Name besagt, seit dem „II. Vatikanischen Konzil“, welches als „Neues Pfingsten“ ihre „Geburtsstunde“ war, also seit ungefähr 50 Jahren. Die katholische Kirche ist wesentlich älter, sie blickt auf das Pfingstfest in Jerusalem zurück, also auf gut 2000 Jahre. Das allein genügt, die „Konziliare Kirche“ als nicht apostolisch zu entlarven. Doch wie steht es nun mit ihren „Vorstehern“? Sind diese die „Nachfolger der Apostel“? Im Katechismus des heiligen Pius X. ist die Definition etwas präziser. Es heißt dort: „Die wahre Kirche heißt außerdem 'apostolisch', weil sie ohne Unterbrechung bis zu den Aposteln hinaufreicht; weil sie alles glaubt und lehrt, was die Apostel geglaubt und gelehrt haben; und weil sie geleitet und regiert wird von ihren rechtmäßigen Nachfolgern.“ Kann man sagen, daß die „Konziliare Kirche“ „alles glaubt und lehrt, was die Apostel geglaubt und gelehrt haben“? Oder beklagt man nicht vielmehr zurecht, daß sie die „Tradition“ aufgegeben hat, also eben gerade das, was die Apostel geglaubt und gelehrt haben? Und kann man daher sagen, daß sie „geleitet und regiert wird von ihren rechtmäßigen Nachfolgern“? Sind Häretiker, Apostaten, Irrlehrer und Kirchenzerstörer die „rechtmäßigen Nachfolger“ der Apostel?

Wir haben oben gesehen, was der heilige Cyprian sagt: Wenn Bischöfe die Gemeinschaft der übrigen Bischöfe verlassen, also ins Schisma gehen, „haben sie aufgehört, rechtmäßige Bischöfe, Stellvertreter Christi zu sein“. Trennt sich ein Bischof vom Gesamtepiskopat, „so ist seine Gewalt erloschen; er betrügt seine Gemeinde, welche ihn vielleicht noch weiter als Bischof betrachtet und in der Kirche zu sein vermeint, während sie es tatsächlich nicht mehr ist“. Ebenso, das lehrt uns klar und zweifelsfrei die ganze katholische Tradition, ist es mit einem Bischof, der in Häresie fällt. Er hat aufgehört, rechtmäßiger Bischof, Stellvertreter Christi zu sein. Seine Gewalt ist erloschen. Er „betrügt seine Gemeinde, welche ihn vielleicht noch weiter als Bischof betrachtet und in der Kirche zu sein vermeint, während sie es tatsächlich nicht mehr ist“. Er steht auch nicht mehr in der Apostolischen Sukzession. Dasselbe gilt für den römischen Bischof, den Papst. Die häretische und schismatische „Konziliare Kirche“ ist somit in keiner Weise apostolisch.

10. Das Diktum des „Pius-Generaloberen“, die „offizielle Kirche“, also die „Konziliare Kirche“, sei „diejenige, die sichtbar ist, und das ist die katholische Kirche“, ist somit nicht haltbar. Die „Konziliare Kirche“ ist zwar zweifellos sichtbar, aber gerade daher ist auch sichtbar, daß sie nicht die katholische Kirche ist. Und gerade, weil die katholische Kirche sichtbar ist, können wir erkennen, daß sie in der „Konziliaren Kirche“ nicht vorhanden ist. Die heiligen Apostel konnten am Morgen des Ostertages zweifelsfrei urteilen, daß das Grab des Heilands leer war, weil nämlich der Leib des Herrn sichtbar war. Da sie ihn nicht sahen, war er nicht vorhanden. Wäre Sein Leib unsichtbar gewesen, so hätten sie nicht feststellen können, ob das Grab leer war oder nicht. Ebenso können auch wir, weil die Kirche sichtbar ist, erkennen, ob sie irgendwo vorhanden ist oder nicht.

Im Gegensatz dazu orakelt der „Pius-Generalobere“ in einer Ansprache am 11. Januar diesen Jahres: „Es besteht eine Gefahr für uns, nur die menschliche Seite zu sehen, die elende Seite, ganz besonders heute. Die Lage der Kirche ist hart und traurig. Sie gerät durcheinander, das heißt sie ist in Verwirrung, und die Versuchung ist groß, menschliche Mittel zu ergreifen, um alles ins Gleichgewicht zu bringen. Aber das ist ein menschliches Mittel. Um Himmels willen! Man darf es nicht so machen. Man muß nicht alles ins Gleichgewicht bringen, selbst wenn wir zutiefst schockiert sind von diesem oder jenem Vorgang, von einem unwahrscheinlichen Niedergang, von vielen Dingen, die man heute sieht. Es ist mit Sicherheit nicht richtig zu sagen: 'Wir haben damit nichts mehr zu tun.' Wenn man sich auf die menschliche Seite beschränkt, vielleicht, doch einfachhin zu sagen: 'All das, das ist nicht die Kirche', das heißt den Baum mit dem Wald verwechseln, den er verdeckt, oder diesmal in einem anderen Sinn: Man hat den Wald vergessen, weil man einen kranken Baum gesehen hat. Man muß mit aller Kraft festhalten, gerade wenn man heute die kranke Kirche sieht, daß es die Kirche Unseres Herrn Jesus Christus ist. Es ist Seine Kirche. Also wird man den unglücklichen und mangelhaften Elementen diese Definition nicht geben. Man wird vielmehr sagen: Dahinter gibt es noch die Kirche. Die Kirche ist noch da. Sie ist nicht verschwunden. Das heißt nicht, daß man das Gift schlucken muß, aber es heißt, daß man in rechter Weise eine Beziehung zur Kirche aufrechterhalten muß. Wir sind Katholiken, römische Katholiken, und wir bleiben es.“ Man sieht also nur die „kranke Kirche“, muß aber mit aller Kraft daran festhalten, daß sie „die Kirche Unseres Herrn Jesus Christus ist“, weil es „dahinter“ irgendwo „noch die Kirche“ gibt. „Die Kirche ist noch da“, aber offensichtlich unsichtbar - es sei denn, man hat den mystisch-prophetischen Blick des „Pius-Generals“.

11. Es sind mithin nicht die „Sedisvakantisten“, welche die Sichtbarkeit der Kirche leugnen. Im Gegenteil. Gerade sie sind es, die sagen, daß die katholische Kirche nach ihrer hierarchischen Seite sichtbar und erkennbar sein muß, und daß wir deswegen die traurige und schmerzliche Feststellung machen müssen, daß die kirchliche Hierarchie derzeit ausgefallen ist. Das bedeutet aber nicht, daß die Kirche verschwunden ist, noch daß sie ihre Sichtbarkeit verloren hätte. Sie ist nur vorübergehend „verfinstert“, wie es Unsere Liebe Frau von La Salette ausgedrückt hat. Die Apostolische Sukzession ist nicht erloschen. Die kirchliche Hierarchie kann und wird wieder erstehen. Wann und wie, das ist das Geheimnis Gottes, doch daß es geschieht, wissen wir aus der sicheren Vorhersage des Heilands selbst, welcher verheißen hat, daß die Pforten der Hölle Seine Kirche nicht überwältigen werden. Einstweilen jedoch besteht die Kirche sichtbar fort, und zwar überall dort, wo die „kirchliche Lehre als äußere Glaubensregel“ geglaubt und das „kirchliche Gesetz als Norm für das sittliche Handeln“ beobachtet wird, sowie in der sichtbaren „Gnadenvermittelung durch das Priestertum“, welches zum Glück noch vorhanden ist.

„Die katholische Kirche ist die Gesellschaft oder die Vereinigung aller Getauften, welche auf Erden leben und denselben Glauben sowie das Gesetz Christi bekennen, an denselben Sakramenten teilhaben und den rechtmäßigen Hirten gehorchen, besonders dem Obersten Hirten in Rom.“ Diese Definition des heiligen Pius X. hat eherne Geltung, und so können wir nach wie vor erkennen, wo wir die wahre Kirche Christi finden. Sicherlich nicht dort, wo Häresie und Schisma herrschen, und nicht dort, wo man falschen Hirten nachläuft, sei es die „konziliare Hierarchie“ oder seien es irgendwelche „ersetzenden Autoritäten“ wie „Generalobere“ nicht existierender Priesterkongregationen, die eine Jurisdiktion simulieren und als „Oberhirten“ und „Stellvertreter Christi“ Priester und Gläubige „regieren“, welche ihnen „heiligen Gehorsam“ schulden, oder auch selbstgewählte „Päpste“ aus „Küchen-Konklaven“. Der Gehorsam ausschließlich gegenüber den „rechtmäßigen Hirten“, und „besonders dem Obersten Hirten in Rom“, ist ein sicheres Kennzeichen katholischen Geistes. Wo findet man dies heute, wenn nicht bei den „Sedisvakantisten“?

12. „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus dieser Hürde sind. Auch diese muß ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören, und es wird eine Herde sein und ein Hirt“ (Joh 10,16). Wir zweifeln nicht, daß es überall solche Schafe geben kann. Aber eben dies ist der Grund, alles zu unternehmen, um sie in jene Hürde zu führen, die dem wahren Hirten Jesus Christus und Seinem Stellvertreter auf Erden die Treue hält und daher geduldig harrt, bis Er uns wieder einen solchen schenkt.