„Wege zu Gott“

Bergoglio hat wieder für moralische Entrüstung gesorgt. Auf seiner „Apostolischen Reise“ in Singapur, wo er am 13. September an einem „Interreligiösen Treffen mit jungen Leuten“ teilnahm, sprach er folgende Worte (übersetzt aus dem Italienischen):

„Alle Religionen sind ein Weg, um zu Gott zu gelangen. Sie sind – im Vergleich – wie verschiedene Sprachen, verschiedene Idiome, um dorthin zu gelangen. Aber Gott ist Gott für alle. Und weil Gott Gott für alle ist, sind wir alle Gottes Kinder. ‚Aber mein Gott ist wichtiger als deiner!‘ Ist das wahr? Es gibt nur einen Gott, und wir, unsere Religionen sind Sprachen, Wege zu Gott. Manche Sikh, manche Muslime, manche Hindus, manche Christen, aber es sind verschiedene Wege.“

Die Aufregung unter den „Traditionalisten“ war groß und gab ihren „Super-Helden“ reichlich Gelegenheit, sich erneut als Glaubenshüter zu profilieren. Der unvermeidliche „Weihbischof“ Schneider, derzeit wieder ständig auf Reisen (trotz eines einstens ergangenen „Reiseverbots“ aus Rom), tönte energisch: „Mit dieser Aussage widerspricht Papst Franziskus leider eindeutig dem ersten Gebot Gottes und dem gesamten Evangelium“, die Behauptung sei „eindeutig gegen die göttliche Offenbarung“. So etwas nennt man eigentlich Häresie, ein Wort, das der „Weihbischof“ sorgfältig vermied. Doch sogleich veröffentlichte er sein eigenes „Glaubensbekenntnis zu Jesus Christus und seiner Kirche als dem einzigen Weg zu Gott und zum ewigen Heil“, um sein höchstes Lehr- und Wächteramt den ketzerischen Aussagen seines „Papstes“ entgegenzusetzen. Damit war die Geschichte für ihn auch schon erledigt, und er konnte sich wieder seinen Bewunderern der „Pontifikalämter im alten Ritus“ und den sie begleitenden Banketten überlassen.

Kurzes Gedächtnis

Was uns an der ganzen Sache interessiert, sind nicht die „empörenden“ Aussagen Bergoglios, die wir seit nunmehr über elf Jahren schon zur Genüge kennen. (Wir erinnern nur an seine inzwischen längst vergessene „Videobotschaft“ vom Januar 2016 oder das inzwischen ebenfalls weitgehend aus dem Gedächtnis geschwundene „Abu-Dhabi-Dokument“ vom Februar 2019, das so große Erschütterung verursachte.) Was uns immer wieder erstaunt, ist vielmehr das kurze Gedächtnis der „modernen Menschen“, zu denen auch die „Traditionalisten“ gehören. Eine Gläubige, die ganz entsetzt zu uns kam, um uns Bilder und Berichte von Bergoglios „Apostolischer Reise“ in den fernen Osten zu zeigen, und sich wunderte, wie gelangweilt wir darauf reagierten, starrte uns ungläubig an, als wir sie darauf hinwiesen, daß es derlei Fotos und Ansprachen gleichen oder ähnlichen Inhalts in reicher Zahl bereits seit Jahrzehnten von Wojtyla alias „Johannes Paul II.“ gebe, und eine andere wollte gar nicht glauben, daß dieser großartige „heilige Papst“ jemals so etwas wie das „Interreligiöse Friedensgebet“ von Assisi veranstaltet habe, obwohl sie es selber als junge Frau mitbekommen haben mußte.

Der „Super-Ökumenist“ Wojtyla

Im Jahr 1990 hat die „Piusbruderschaft“ ein Buch herausgebracht von Daniel le Roux mit dem Titel „Petrus, liebst du mich?“ Der Untertitel lautete: „Johannes Paul II., Papst der Tradition oder Papst der Revolution?“ Darin waren einige Beispiele der „interreligiösen Aktivitäten“ des „Super-Ökumenikers“ Wojtyla dokumentiert, die ihn pausenlos in der ganzen Welt umhertrieben. Unnötig zu erwähnen, daß dieses Buch von der „Piusbruderschaft“ später nicht mehr aufgelegt oder verkauft wurde. Es ist heute nur noch antiquarisch erhältlich. Hier nur zwei Zitate. Im Mai 1985 hielt „Johannes Paul II.“ in Belgien bei einer „Begegnung mit Vertretern der islamischen Gemeinschaft“ eine Rede und äußerte unter anderem:

„Wir Christen und Moslems begegnen einander im Glauben an den einzigen Gott, unseren Schöpfer, unseren Führer, unseren gerechten und barmherzigen Richter. Wir bemühen uns, in unserem täglichen Leben den Willen Gottes gemäß der Lehre unserer jeweiligen heiligen Bücher in die Tat umzusetzen.“

(S. 164, Hervorhebungen von uns bzw. von Daniel Le Roux)

Bekannt wurde das Foto von Wojtylas Korankuß aus dem Jahr 1999, der damals große Erregung hervorrief: Ein „Papst“ küßt den Koran und erweist ihm dadurch größte religiöse Verehrung! Doch entspricht dies nur seinem Verständnis der „jeweiligen heiligen Bücher“, das den Koran neben der Heiligen Schrift der Christen einreiht. Ganz in diesem Sinn und dies erklärend sprach Joseph Ratzinger, damals „Kardinal“ und „Präfekt der Glaubenskongregation“, in seinem vielbeachteten Dokument „Dominus Jesus“, das im Jahr 2000 erschien und bei den „Traditionalisten“ reichlich positive Resonanz fand, von den „heiligen Büchern anderer Religionen, die faktisch das Leben ihrer Anhänger nähren und leiten“, und „vom Mysterium Christi jene Elemente des Guten und der Gnade“ erhalten,„die in ihnen vorhanden sind“.

Wenn der Koran ein „heiliges Buch“ ist, das „vom Mysterium Christi … Elemente des Guten und der Gnade“ erhalten hat, warum soll man ihn nicht küssen? Und wenn der Koran uns ebenfalls den „Glauben an den einzigen Gott“ und ein „Leben“ nach dem „Willen Gottes“ lehrt, ist er dann nicht ebenfalls „ein Weg zu Gott“? Im Jahr 1986 unternahm Wojtyla eine Reise nach Indien und sagte dort:

„Heute sind wir als Hinduisten, … als Sikhs, Buddhisten, Dschainisten, Parsen und Christen vereint, um die Wahrheit über den Menschen zu verkünden, um besonders die Menschenrechte zu verteidigen und um Hunger, Armut, Unwissenheit und Verfolgung zu beseitigen … Diskriminierungen, welche auf der Rasse, der Hautfarbe, dem Credo, dem Geschlecht oder der Abstammung von bestimmten Völkern beruhen, sind mit der Menschenwürde völlig unvereinbar.“

(S. 176, Hervorhebungen von Daniel Le Roux)

In Indien ließ er sich am 2. Februar 1986 öffentlich und in vollem Ornat von einer Hindu-Priesterin mit dem Tilak, dem Zeichen der Shiva-Verehrer, bezeichnen (Vom Lehramt zum Leeramt IV.2). So etwas nennen wir öffentliche Apostasie, Abfall vom Glauben. Und doch gilt dieser große Ketzer und Apostat den heutigen „Traditionalisten“ als Hort der Rechtgläubigkeit und des „Konservativismus“.

Vollkommene Kontinuität

Sieht man die Dinge nüchtern und nicht mit dem kurzen Gedächtnis unserer Zeitgenossen, so befindet sich Bergoglio in bester Gesellschaft und in vollkommener Kontinuität mit seinen Vorgängern auf dem „Konziliaren Papststuhl“ sowie den Lehren des „II. Vatikanums“, die er als Seminarist und junger Priester aufgesogen hat. In dem Dokument „Nostra Aetate“ erklärt jenes glorreiche „Konzil“ über die „Nichtchristlichen Religionen“ (Nr. 2, Nr. 3) :

  • So erforschen im Hinduismus die Menschen das göttliche Geheimnis und bringen es in einem unerschöpflichen Reichtum von Mythen und in tiefdringenden philosophischen Versuchen zum Ausdruck…

  • In den verschiedenen Formen des Buddhismus wird … ein Weg gelehrt, auf dem die Menschen mit frommem und vertrauendem Sinn entweder den Zustand vollkommener Befreiung zu erreichen oder – sei es durch eigene Bemühung, sei es vermittels höherer Hilfe – zur höchsten Erleuchtung zu gelangen vermögen.

  • Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft.

Läßt sich diese Lehre nicht perfekt zusammenfassen in die Worte: „Alle Religionen sind ein Weg, um zu Gott zu gelangen. Sie sind … wie verschiedene Sprachen, verschiedene Idiome, um dorthin zu gelangen. … Es gibt nur einen Gott, und wir, unsere Religionen sind Sprachen, Wege zu Gott. Manche Sikh, manche Muslime, manche Hindus, manche Christen, aber es sind verschiedene Wege“? Nein, Bergoglio tut nichts Unrechtes, er erfüllt nur seine Aufgabe als „Konziliarer Papst“ und setzt die Linie fort, welche die „Konziliare Kirche“ von Anfang an beschritten und verfolgt hat. Daß die Lehre dieser „Kirche“ nicht die der katholischen Kirche ist, wissen wir schon seit Jahrzehnten. Und doch regen sich die „Traditionalisten“ jedesmal wieder aufs neue darüber auf.

„Papst-Verteidiger“

Die „Piusbruderschaft“, früher – wie das Buch von Daniel Le Roux zeigt – führend auf der Seite der „Papst-Kritiker“, hat diese Stelle inzwischen an Leute wie „Weihbischof“ Schneider abgegeben und zu den „Papst-Verteidigern“ gewechselt. Der „Spitzentheologe“ der „Piusbrüder“, Jean-Michel Gleize, der Unvergleichliche, hat die offiziöse Stellungnahme verfaßt, die auf den „Pius“-Seiten veröffentlicht wurde – allerdings nicht in deutscher Sprache, denn die Deutschen interessiert Theologie grundsätzlich nicht. Zur Person des Abbé Gleize wird angegeben, er sei „Professor für Apologetik, Ekklesiologie und Dogma am Seminar St. Pius X. in Ecône“ sowie der Hauptautor des „Courrier de Rome“. Auch habe er an den „lehrmäßigen Gesprächen“ teilgenommen, welche in den Jahren 2009 bis 2011 „zwischen Rom und der FSSPX“ stattgefunden haben und die, wie wir wissen, auf eine „volle“ Eingliederung der „Piusbruderschaft“ in die „Konziliare Kirche“ abzielten, welche aus verschiedenen Gründen nicht zustandekam.

Des Paters Beitrag trägt den Titel „Die Neo-Pastoral des Franziskus“. Louie Verrecchio hat sich die Mühe gemacht, das Wichtigste für uns herauszuholen. Gleich zu Beginn stellt er den Titel seiner eigenen Reaktion auf Bergoglios „Leeramts“-Aussagen gegenüber, der da lautete: „Bergoglios jüngste Häresie ist nicht zu übersehen.“ Das klingt natürlich längst nicht so akademisch und fein wie das von der „Neo-Pastoral“, und Verrecchio fragt sich, was mit der „Piusbruderschaft“ geschehen sein mag, daß aus einer Häresie die „Neo-Pastoral“ wurde, zumal er sich noch erinnert, selber dabei gewesen zu sein, als im Oktober 2013 der damalige „Pius“-Vorsitzende Bergoglio öffentlich einen „genuinen Modernisten“ genannt hatte.

In den elf Jahren seitdem habe Bergoglio fortwährend Christus verleugnet, habe Häresie auf Häresie und Blasphemie auf Blasphemie gehäuft und sich nicht nur als ehernen Modernisten, sondern als offenen Feind des wahren Glaubens gezeigt. Abbé Gleize aber habe bereits im Jahr 2017 die Ehre gehabt, in einer sechsteiligen Arbeit über „Amoris Laetitia“ aufzuzeigen, daß man in bezug auf Bergoglio nicht von Häresie sprechen könne. Nun also erneut eine Rechtfertigung der bergoglianischen Ketzereien.

„Franziskus“ habe bei jenem Treffen die jungen Leute zum „Dialog“ aufgefordert und dabei einen „interessanten Vergleich“ gebraucht, schreibt der „Pius-Ekklesiologe“. Alle Religionen seien „Wege zu Gott“, und sie verhielten sich wie verschiedene Sprachen, welche das Göttliche ausdrückten. Demgegenüber besteht Louie Verrecchio darauf, daß Bergoglio nicht gesagt habe, die verschiedenen Religionen seien verschiedene „Sprachen, um das Göttliche auszudrücken“, sondern vielmehr, sie seien Wege, um zu Gott zu gelangen. Die Vatikanische Website, die anfangs durch eine „geglättete“ englische Übersetzung die Häresie hatte ein wenig ausbügeln wollen, habe aufgrund von Protesten eine Korrektur ihrer falschen Version vornehmen müssen. Haben Abbé Gleize und die „Piusbruderschaft“ davon nichts mitbekommen?

Zwölf rhetorische Fragen

Ausgehend von jener falschen Übersetzung stelle Abbé Gleize zwölf rhetorische Fragen, bei denen man zumeist nicht genau wisse, worauf sie hinauswollten, was denn nun zu verurteilen und was zu verteidigen sei. Eine Passage lautet: „Es scheint schwierig zu sein, in so vielen verschiedenen Religionen Wege zu sehen, die zu Gott führen, da diese grundlegenden Wahrheiten von der Religion des heutigen Judentums ebenso geleugnet werden wie von der des Islam und ganz allgemein von den ‚nichtchristlichen’ Religionen.“ Für Verrecchio ist es kaum zu glauben, daß ein vernünftiger und gut gebildeter Katholik und noch viel weniger ein Priester, in einer so schwachen Sprache und einer so „schonenden“ Weise über eine so klare und wichtige Angelegenheit des Glaubens sprechen könne.

Eine weitere befremdliche Aussage des Abbés ist diese: „Wenn Papst Franziskus behauptet, dass ‚alle Religionen Wege zu Gott sind’, sagt er damit nicht, dass sie ‚gleich‘ oder gleichwertig zu ihm führen.“ Abermals spiele er hier, wie schon bei „Amoris Laetitia“, den Advokaten und Verteidiger Bergoglios, stellt Louie fest. Sein ganzer tausend Wörter langer Artikel sei nichts als eine beredte und wenig überzeugende Verteidigungsschrift für „Jorge“. Man müsse sich das wohl so vorstellen, als sei der Hinduismus ein Ruderboot, der Islam eine Eisenbahn, das Christentum ein Flugzeug usw., doch allesamt führten zu Gott. Bergoglio, so formuliert Verrechio seinen Schlußgedanken, sei ein Geschenk Gottes, um die Schafe von den Böcken zu trennen. Zu welcher Seite müssen wir wohl die „Piusbrüder“ rechnen?

Noch ein Advokat

Ein weiterer Beschwichtiger und Verteidiger Bergoglios hat sich auf „kath.net“ zu Wort gemeldet. Es ist der „Theologe“ Klaus Obenauer, der sich unter dem Titel „Papst Franziskus und die vielen Wege“ um eine „faire Analyse der Einzelaussagen in sich und im Kontext, den Abgleich mit anderen etc.“ bemüht, für die es freilich mehr Zeit und eigentlich „eine Doktorarbeit“ bräuchte. Dennoch will er sein „Scherflein“ beitragen, „nach bestem Wissen und Gewissen“, da die Sache doch sehr wichtig sei. Bei den Sätzen speziell, welche „Franziskus“ zu den jungen Leuten in Singapur gesagt hat, scheint ihm „das grundlegende Problem Folgendes zu sein: ‚Irgendwie‘ stimmen diese Sätze – aber ohne präzisierende Einschränkung sind sie unerträglich.“ „Zumindest dem nicht-nuancenversierten Leser“ dränge sich „der Spontaneindruck auf, hier werde eine christliche (nicht nur katholische) Fundamentalwahrheit verraten, nämlich die von der Heilsuniversalität Christi und seiner Kirche“. Um zu erkennen, daß dieser „Spontaneindruck“ falsch ist, muß man wohl so „nuancenversiert“ sein wie der Autor selber.

Der arbeitet aus dem „Glauben“, „so wie er katholisch aus-formuliert ist bis hin zum Zweiten Vatikanum und der Erklärung ‚Dominus Iesus‘ von 2000“, heraus, daß „dort und nur dort, wo es nicht die eigene Schuld des Betroffenen ist, welche die (volle) Gliedschaft in dieser Kirche verhindert“, in welcher nach katholischer Lehre allein das Heil liegt, „Gottes Heilswille wirksam“ werde „durch ein Supplement für diese (volle) Kirchengliedschaft, nämlich qua Dennoch- Bezug zu dieser einen Kirche (Auch-irgendwie-Dazugehören, Verbindung, Hinordnung…)“ Das hat der „Theologe“ aus „Lumen Gentium“ eruiert, jener „Dogmatischen Konstitution“ des „II. Vatikanums“ „über die Kirche“. Dort nämlich heißt es in Nr. 13: „Zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes, die den allumfassenden Frieden bezeichnet und fördert, sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene Weise gehören ihr zu oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind.“ Obenauer weiß zu ergänzen, daß dieser „Heilswille Gottes“, um wirksam zu werden, „nach klassischer Lehre auch das wenigstens einschlussweise Verlangen, dieser Kirche zuzugehören, mitumfasst“. Das steht allerdings nicht im „II. Vatikanum“. Warum nur?

Hier ist er nun am Punkt: „Mit diesem Dennoch-Bezug zur einen Kirche Christi, und zwar qua bloßer Hinordnung auf sie, kommen, ganz knapp gesagt, die nichtchristlichen Religionen ins Spiel: Sie gewährleisten, auf je ihre Weise und in sehr unterschiedlichen Niveaus, die ausdrückliche Artikulation der heilsnotwendigen Gottesbeziehung in Glaube – Hoffnung – Liebe.“ So kommt der „Theologe“ zu folgendem Resultat: „Die Kirche ist ‚gemäß ihrer selbst‘ (‚secundum se‘) und so einfachhin (‚simpliciter’), mithin einschränkungslos so zu nennender Weg zum Heil in Gott, während die anderen Religionen nur in gewisser Hinsicht (‚secundum quid‘) Wege zum Heil in Gott sind, um nicht einschränkungslos als solche benannt werden zu dürfen.“ Damit hat er die „konziliare“ „nouvelle théologie“ ganz gut eingefangen und meint, Bergoglio salviert zu haben. Was er dabei übersieht, ist zweierlei: Erstens ist bereits diese „konziliare Theologie“ nicht mehr „klassisch“, d.h. nicht katholisch, und zweitens hat sie sich, wie das bei „nouvelle théologie“ so sein muß, inzwischen erheblich weiterentwickelt. Bergoglio ist da – anders als Obenauer – ganz auf der Höhe der Zeit.

Die Lehre des Katechismus

Da wir nicht so „nuancenversiert“ sind wie der feingebildete „Theologe“, schlagen wir einen Katechismus auf, um uns über die „klassische“, d.h. die wahre katholische Lehre zu informieren. Im „Kompendium der christlichen Lehre“ des heiligen Pius X. lesen wir: „166. Genügt es, um sich zu retten, auf irgendeine Weise ein Glied der katholischen Kirche zu sein? Nein, um sich zu retten, genügt es nicht, auf irgendeine Weise ein Glied der katholischen Kirche zu sein, man muß ihr als lebendiges Glied angehören.“ Doch welches „sind die lebendigen Glieder der Kirche“, fragt Nr. 167. „Die lebendigen Glieder der Kirche sind alle Gerechten und nur die Gerechten, das heißt jeweils jene, die im Stand der Gnade Gottes sind.“ Demgegenüber gibt es auch „tote Glieder der Kirche“, und das sind „jene Gläubigen, die sich im Stand der Todsünde befinden“ (Nr. 168).

So weit, so gut. Doch nun Frage 169: „Kann sich jemand außerhalb der katholischen, apostolischen, römischen Kirche retten?“ Antwort: „Nein, außerhalb der katholischen, apostolischen, römischen Kirche kann sich niemand retten, wie sich auch niemand außerhalb der Arche Noahs, die ein Vorbild dieser Kirche war, vor der Sintflut retten konnte.“ Aber könnte nicht ein „Dennoch-Bezug“ zu dieser Arche ausreichen, könnten nicht andere Boote, die in der Sintflut treiben, zwar nicht „secundum se“, aber doch „secundum quid“ zur Rettung beitragen? Lesen wir, was der Katechismus zu sagen hat. Zunächst geht er auf die Frage ein, wie sich „die alten Patriarchen, die Propheten und all die anderen Gerechten des Alten Bundes gerettet“ haben (Frage 170). Diese, so lautet die Antwort, haben sich „kraft des Glaubens gerettet, den sie an den kommenden Christus hatten, durch den sie geistig schon dieser Kirche angehörten“. Der Alte Bund war der Vorläufer des Neuen Bundes und wurde durch diesen abgelöst, wie das Unvollkommene durch das Vollkommene. Es war aber ein und dieselbe „Arche“, die die Gerechten des Alten wie des Neuen Bundes gerettet hat.

„Die außerhalb der Kirche sind“

Wie aber ist es nun? Könnte nicht trotzdem „jemand, der sich ohne seine Schuld außerhalb der Kirche befindet, gerettet werden“ (Frage 171)? „Wer sich ohne seine Schuld, das heißt im guten Glauben, außerhalb der Kirche befindet und die Taufe empfangen oder unausgesprochen wenigstens das Verlangen danach hat, wer außerdem aufrichtig die Wahrheit sucht und den Willen Gottes erfüllt, so gut er kann, der ist, wenn auch getrennt vom Leib der Kirche, dennoch mit ihrer Seele vereinigt und daher auf dem Wege des Heiles.“ Also doch! Es gibt diesen „Dennoch-Bezug“ zur Kirche, und somit können auch die anderen Religionen „secundum quid“ Heilswege sein, oder nicht?

Gemach, gemach! Genau hier liegt der Fehlschluß, der aus wenigen Einzelpersonen auf das Ganze schließt und die Ausnahme zur Regel macht. Gewiß kann es in anderen Religionen solche Personen geben, von denen der Katechismus spricht, und es gibt sie auch mit Sicherheit. Das aber bedeutet nicht, daß diese Religionen als solche „Heilswege“ wären, weder „secundum se“ noch „secundum quid“. Vielmehr gilt für diese Religionen, was uns der Katechismus in § 6 lehrt über jene, „die außerhalb der Kirche sind“. Wer nämlich „befindet sich außerhalb der wahren Kirche“ (Frage 225)? „Außerhalb der wahren Kirche befinden sich die Ungläubigen, die Juden, die Häretiker, die Apostaten, die Schismatiker und die Exkommunizierten.“ Das wird noch im einzelnen aufgeschlüsselt. Frage 226: „Wer sind die Ungläubigen?“ „Die Ungläubigen sind jene, welche nicht getauft sind und nicht an Jesus Christus glauben, sei es, weil sie an falsche Götter glauben und sie anbeten, wie die Götzendiener, sei es, weil sie, obwohl sie einen wahren Gott annehmen, nicht an Christus als Messias glauben, weder an den in der Person Jesu Christi gekommenen noch an den künftigen; solche sind die Mohammedaner und ähnliche.“ Das sind die nichtchristlichen Religionen, und diese befinden sich „außerhalb der wahren Kirche“, wo sich „niemand retten kann“, weder „secundum se“ noch „secundum quid“.

„227. Wer sind die Juden? Die Juden sind jene, die sich zum Gesetz des Moses bekennen; sie haben nicht die Taufe empfangen und glauben nicht an Jesus Christus.“ Und wer „sind die Häretiker“ (Frage 228)? „Die Häretiker sind jene Getauften, die sich hartnäckig weigern, eine von Gott geoffenbarte und von der katholischen Kirche als Glaubenssatz gelehrte Wahrheit zu glauben, z.B. die Arianer, die Nestorianer und die verschiedenen Sekten der Protestanten.“ Wer schließlich sind „die Schismatiker“ (Frage 230)? „Die Schismatiker sind jene Christen, die zwar nicht ausdrücklich einen Glaubenssatz leugnen, aber sich freiwillig von der Kirche Jesu Christi, das heißt von ihren rechtmäßigen Hirten, trennen.“ Dazu gehören die „orthodoxen“ Gemeinschaften. All diese Religionen sind ebenfalls „außerhalb der Kirche“ und damit keine „Wege zu Gott“, keine Mittel zum Heil.

Das „anonyme Christentum“

Das bedeutet nicht, wie wir oben gesehen haben, daß sich nicht einzelne Mitglieder solcher Religionen, die sich ohne eigene Schuld, „das heißt im guten Glauben, außerhalb der Kirche“ befinden, jedoch entweder „die Taufe empfangen“ haben, wie bei den meisten christlichen Religionen der Fall, oder doch wenigstens „unausgesprochen … das Verlangen danach“ haben, was auch in anderen Religionen möglich ist, die „außerdem aufrichtig die Wahrheit“ suchen und „den Willen Gottes“ erfüllen, so gut sie können, daß solche Personen also, „wenn auch getrennt vom Leib der Kirche, dennoch mit ihrer Seele vereinigt und daher auf dem Wege des Heiles“ sind. Das ist der wahre „Dennoch-Bezug“ zur einen wahren Kirche Christi, der sich aber nicht von den einzelnen Personen, die „dennoch“ zur Kirche gehören können, obwohl sie sich in anderen Religionen befinden, auf diese Religionen selber übertragen läßt, so als würden diese, obwohl eindeutig getrennt von der Kirche und ihr widersprechend, ihr „dennoch“ irgendwie angehören. Letzteres wäre ein Widerspruch in sich. Wenn auch der „Heilswille Gottes“ in einigen Angehörigen anderer Religionen wirksam werden kann, werden deswegen nicht die Religionen selber zur „ausdrücklichen Artikulation der heilsnotwendigen Gottesbeziehung“. Sowenig wie sich die Ansichten einiger Dissidenten in einer Partei beispielsweise auf die Partei selber anwenden und als deren Parteilinie ausgeben ließen.

Dieser Irrtum liegt der „konziliaren nouvelle théologie“ zugrunde. Dort machte man aus dem persönlichen Ausnahmefall eine allgemeine Regel, sprach vom „anonymen Christentum“, das dann sogleich von den Personen auf die Gemeinschaften ausgedehnt wurde, so als seien alle Angehörigen anderer Religionen in Wahrheit „anonyme Christen“ und ihre Religionsgemeinschaften bereits auf die eine oder andere Weise zur Kirche gehörig, wenn auch nicht in „voller Gemeinschaft“, oder wenigstens auf die Kirche „hingeordnet“. Das ist das Modell der „konzentrischen Kreise“, das im Grunde sehr übergriffig und arrogant ist. Wir wissen nicht, wie ein überzeugter Jude oder Moslem es aufnehmen würde, wenn man ihm sagte, in Wirklichkeit sei er längst ein Christ und auf die Kirche „hingeordnet“, er wisse es nur nicht.

Begrüßenswerter Fortschritt

Aus den von der Kirche getrennten Gemeinschaften machte man also zur Kirche gehörige oder auf sie hingeordnete. Von da war der Schritt nicht weit, diesen anderen Religionen einen eigenen Heilswert zuzuschreiben, sie als in gottgewollter Verschiedenheit zu ihm führende Wege zu kennzeichnen, wie Bergoglio es tut. (Und er hat ja auch recht. Die „Konziliare Kirche“ führt ebenso wenig zu Gott wie die anderen Religionen.) Es ist eine Fortentwicklung der „konziliaren“ Lehre, die vielleicht ein wenig bescheidener, auf jeden Fall konsequenter daherkommt als die Behauptung, all diese Religionen seien im Grunde „anonymes Christentum“ und gehörten irgendwie schon zur Kirche, sie seien, wenn nicht „secundum se“, so doch wenigstens „secundum quid“ Heilswege. Diesen halbherzigen Versuch, durch eine künstliche Aufblähung der „Kirche“ noch irgendwie oder irgendetwas von der „klassischen“ Lehre zu retten, endlich aufzugeben und abzuschneiden, wäre ein begrüßenswerter Fortschritt, der selbst Leuten wie Obenauer oder Gleize die Augen öffnen könnte über den wahren Charakter jener „Konziliaren Kirche“, die selber nichts anderes ist als eine von der Kirche getrennte Religion.

Bergoglio ist sehr zu danken, daß er sich genau darum bemüht, seine „Synodale Kirche“ mehr und mehr von überflüssig gewordenen „alten Zöpfen“ zu befreien. Das gefällt den „Traditionalisten“ naturgemäß nicht, denn sie hängen ja am „Überkommenen“, also genau an jenen „alten Zöpfen“, die aber zur „Konziliaren Kirche“ nicht passen und nie gepaßt haben. Bergoglio hat das erkannt, die „Traditionalisten“ leider immer noch nicht.