1. Das große Wunder der Weihnacht ist die Menschwerdung Gottes. Es ist dies das größte Werk, das die göttliche Allmacht gewirkt hat. Der heilige Thomas von Aquin hat dazu einige Überlegungen in seiner Erklärung zum Glaubensbekenntnis angestellt.
2. „Es ist für den Christen nicht nur notwendig, an den Sohn Gottes zu glauben, wie gezeigt wurde“, schreibt er, „er muß auch an dessen Menschwerdung glauben. Deshalb deutet uns der heilige Johannes nach seinen ersten, höchst tiefsinnigen und schwierigen Betrachtungen auch die Fleischwerdung an, indem er sagt: 'Und das Wort ist Fleisch geworden' (Joh 1,14).“ Zwei Beispiele sollen uns zum besseren Verständnis dieses Satzes dienen.
Zum einen haben wir gesehen, „daß dem Sohne Gottes nichts so ähnlich ist wie das Wort in unserem Herzen, und zwar als innen gezeugtes, nicht als äußerlich ausgesprochenes Wort“. „Niemand aber kennt das Wort, solange es im Herzen des Menschen verschlossen ist, außer derjenige, der es gezeugt hat; erst nachdem es ausgesprochen wurde, kennen es auch andere. So war auch das Wort Gottes, solange Es nur im Herzen des Vaters war, nur dem Vater bekannt; erst als Es im Fleische erschien – so wie das Wort in der Stimme –, wurde Es anderen offenbar und bekannt.“
Zum anderen: „Das ausgesprochene Wort wird nur durch das Gehör aufgenommen und kann erst dann gesehen und berührt werden, wenn es auf Pergament geschrieben wird. So konnte auch das Wort Gottes erst gesehen und berührt werden, als Es in unserem Fleisch – gleichsam eingeschrieben – erschien. Und wie das Pergament, auf welchem das Wort des Königs geschrieben ist, selbst Wort des Königs genannt wird, so wird der Mensch, der mit dem Worte Gottes in einer Person [Hypostasis] vereint ist, Sohn Gottes genannt.“
3. Ein fünffacher Nutzen ergibt sich für uns aus dem Gesagten. Erstens Stärkung des Glaubens. „Wenn jemand etwas von einem fernen Land erzählt, wo er aber selbst nicht war, dann glauben wir ihm nicht so, wie wenn er selbst dort gewesen wäre. Bevor nun Christus in die Welt kam, erzählten die Patriarchen und Propheten und Johannes der Täufer manches von Gott; aber die Menschen glaubten ihnen nicht so, wie sie Christus glaubten, der selbst bei Gott war, ja mit Ihm eins ist. Deshalb ist unser Glaube so fest, weil er von Christus selbst uns mitgeteilt wurde.“ „Niemand hat Gott je gesehen, aber der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ist, hat uns Kunde gebracht“, schreibt der heilige Johannes (Joh 1,18). Der Aquinate: „Und daher sind uns auch viele Geheimnisse des Glaubens, die vorher verborgen waren, nach der Ankunft Christi geoffenbart worden.“
Zweitens ergibt sich für uns die Erweckung der Hoffnung. Denn es „ist klar, daß Gottes Sohn nicht um einer Kleinigkeit willen zu uns gekommen ist und unser Fleisch angenommen hat, sondern zu unserem hohen Nutzen. Er hat gewissermaßen einen Tausch gemacht: Er nahm einen lebendigen Leib an und würdigte sich, aus einer Jungfrau geboren zu werden, um uns dafür Seine Gottheit zu schenken.“ Das ist jener „selige Tausch“ der Weihnacht, von dem schon der heilige Augustinus sprach. „Und so ist Er Mensch geworden, um den Menschen zu Gott zu erheben.“ Deshalb kann der heilige Paulus an die Römer schreiben: „Durch Ihn haben wir im Glauben Zugang zu dieser Gnade und freuen uns der Hoffnung, der Herrlichkeit Gottes teilhaftig zu werden“ (Röm 5,2).
Drittens dient das Geheimnis der Entzündung der Liebe. „Es gibt keinen deutlicheren Beweis der göttlichen Liebe, als daß Gott, der Schöpfer aller Dinge, selbst zum Geschöpf wurde, daß unser Herr unser Bruder und der Sohn Gottes Menschensohn wurde.“ „So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn hingab“, lesen wir beim heiligen Johannes (Joh 3,16). „Wenn wir dies bedenken, muß sich unsere Liebe zu Gott neu entzünden und entflammen.“ Tantum amantem quis non redamet? - Wer würde einen solchen Liebenden nicht wieder lieben?
Zum vierten fördert das Geheimnis die Reinheit der Seele. „Unsere Natur wurde durch die Vereinigung mit Gott so sehr geadelt und erhöht, daß sie sogar zur Gemeinschaft mit einer göttlichen Person erhoben wurde.“ Darum beten wir in der Heiligen Messe beim Offertorium zur Mischung von Wein und Wasser: „Gott, Du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar erschaffen und noch wunderbarer erneuert: laß uns durch das Geheimnis dieses Wassers und Weines teilnehmen an der Gottheit Dessen, der Sich herabgelassen hat, unsre Menschennatur anzunehmen, Jesus Christus, Dein Sohn, unser Herr: der mit Dir lebt…“ Der Aquinate fährt fort: „Daher ließ der Engel nach der Fleischwerdung nicht zu, daß der heilige Johannes vor ihm niederfiel, während er es vorher sogar von den größten Patriarchen geduldet hatte.“ Das ist die wahre Menschenwürde! „Jene Erhöhung erkennend und erwägend, darf der Mensch sich nicht herabwürdigen, sich und seine Natur durch die Sünde zu beflecken.“ So ermahnt uns der heilige Papst Leo der Große in seiner Weihnachtspredigt: „Agnosce, o Christiane, dignitatem tuam: et divinae consors factus naturae, noli in veterem vilitatem degeneri conversatione redire. - Erkenne, o Christ, deine Würde; und teilhaftig geworden der göttlichen Natur, kehre nicht durch durch unwürdigen Wandel zur früheren Niedrigkeit zurück.“ Er wiederholt damit als getreuer Nachfolger nur die Worte des heiligen Petrus: „Er hat uns Seine kostbaren, erhabenen Verheißungen geschenkt: der göttlichen Natur sollt ihr dadurch teilhaftig werden und der Verderbnis der Selbstsucht der Welt entrinnen“ (2 Petr 1,4).
Fünftens schließlich entnehmen wir dem Geheimnis eine große Sehnsucht nach Christus. „Wenn jemand einen König zum Bruder hätte und fern von ihm wäre, so würde er sich sehr danach sehnen, zu diesem Bruder zu kommen, bei ihm zu sein und bei ihm zu bleiben. Da Christus nun unser Bruder ist, müssen wir uns danach sehnen, bei Ihm zu sein und mit Ihm vereint zu werden. Diese Sehnsucht wird in uns gesteigert durch die Betrachtung der Menschwerdung Christi.“