Jedes Jahr zur Adventszeit stolpere ich wieder über den Text des hl. Thomas von Aquin aus seiner „Summe wider die Heiden“, wo er schreibt: „Das Geheimnis der Menschwerdung übersteigt von allen göttlichen Werken am meisten die Vernunft. Nichts Wunderbareres kann man sich als Gottestat ausdenken, als daß der wahre Gott, Gottes Sohn, wahrer Mensch würde. Und weil dies Geheimnis unter allen das wunderbarste ist, so folgt, daß alle anderen Wundertaten auf den Glauben an dieses Wunderbarste hingeordnet seien.“
Wenn man diesen Text aufmerksam liest und versucht zu verstehen, was da so ruhig und unauffällig formuliert ausgesagt ist, so beginnt man doch sehr daran zu zweifeln, ob wir diese große Wahrheit entsprechend würdigen und dem Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes, welches das wunderbarste ist, so daß alle anderen Wundertaten auf den Glauben an dieses Wunderbarste hingeordnet sind, den rechten Platz in unserem Glauben einzuräumen bereit sind. Das Weihnachtsfest ist jedes Jahr erneut ein Prüfstein für diesen unseren Glauben an die Menschwerdung, daß der wahre Gott, Gottes Sohn, wahrer Mensch wurde. Womöglich haben wir uns aber schon so sehr an dieses wunderbarste aller Wunder gewöhnt, daß es uns gar nicht mehr so geheimnisvoll erscheint und uns die Worte des hl. Thomas sogar wie eine fromme Übertreibung vorkommen. Wir müssen uns doch zumindest fragen lassen, wie wir an dies wunderbarste aller Wunder glauben können, ohne daß sich durch diesen Glauben in unserem eigenen Leben etwas ändert, ohne daß wir auch nur anfangen, neu über unser Menschenleben nachzudenken und ohne daß wir uns ernsthaft bemühen, gleich Ihm ein „göttliches“ Leben, d.i. ein Leben vollkommen geformt aus der Gnade zu beginnen? Wie oft haben wir schon Weihnachten gefeiert, ohne die Gnade spürbar in uns zu mehren? Leider sind wir Menschen nur recht selten wirklich konsequent, und diese Feststellung gilt in ganz besonderem Maße für den modernen Menschen. Für diesen modernen Menschen bedeutet der Glaube durchaus keine von Gott geschenkte, allein wahre und darum für alle Zeit festgefügte Lebensform mehr, eine Lebensform, die von Gott als Meßlatte an unser Menschenleben angelegt wird und gemäß der wir einst gerichtet werden. Nein, der Glaube ist für den modernen Menschen nicht viel mehr als ein Spiel, für das jeder selber seine Spielregeln erfinden kann – und der Gott dieses Spieles kann sodann noch froh darüber sein, daß wir modernen Menschen uns soweit herablassen, überhaupt noch mit ihm zu spielen. Wie kümmerlich ist solch ein selbstgemachter Glaube gegenüber dem wahren, gottgeschenkten katholischen Glauben und ein solch selbstgemachter Gott gegenüber dem wahren Gott der Offenbarung!
Da die Gnade jedes Weihnachtsfestes wesentlich davon abhängt, ob wir dieses Fest auch im Glauben recht erfaßt und dementsprechend unser Herz vorbereitet haben, wollen wir uns über das Weihnachtsgeheimnis im Voraus einige Gedanken machen, Gedanken, die uns womöglich stille werden und sogar noch ein wenig staunen lassen über das wunderbarste aller göttlichen Wunder.
1. Der Zauber der hl. Weihnacht
Weihnachten scheint zunächst, oberflächlich betrachtet, ein recht einfaches Fest zu sein, spricht es doch wie kein anderes Fest des Kirchenjahres unser Gemüt an. Man muß sich nur der Weihnachtsstimmung überlassen, so wähnen viele, dann wird es wie von selbst Weihnachten. Solches Denken ist jedoch in vielerlei Hinsicht falsch, weshalb es zu keiner Zeit des Jahres so viele Familiendramen gibt wie an Weihnachten, wird doch diese naive Erwartung nur allzu leicht und allzu schnell bitter enttäuscht. Wie feiert man also richtig Weihnachten? Wie begegnet man dem Zauber der hl. Weihnacht wirklich?
Von einer Ordensfrau wird uns folgendes Verhalten während der Weihnachtszeit berichtet: „Am hohen Christfest wurde sie Kind mit dem neugeborenen Gotteskinde. Menschliche Größe und Weisheit verschwinden vor ihm. Zärtlichst umfing und küßte sie das Kindlein in der Krippe. Wahrscheinlich gab es dabei kleine Unglücksfälle, denn bei Beginn des Advents 1862 sagte sie einer Ordensschwester: ‚Letztes Jahr hat man mir verboten, dem Jesulein in der Kapelle die Füße zu küssen, damit ich es nicht beschädige; das war grausam. Jetzt ist es mir einerlei; ich habe selber eins und kann es küssen, so viel ich will.‘ Am hl. Abend also brachte man ihr ein wächsernes Jesuskind, das sie bis Maria Lichtmeß im Zimmer behielt. Strahlend vor Freude liebkoste sie das Kindlein, nahm es zum Gebet auf die Knie, drückte es ans Herz, hielt mit ihm trauliche Zwiesprache; es war ihr Schatz, ihr Alles.“
Kommt uns dieses Verhalten der Ordensschwester nicht ein wenig übertrieben vor? Ja, sind wir nicht sogar geneigt, es als allzu sentimental abzutun und deswegen sogar zurückzuweisen? In unserer durch die Charismatiker geistig so verdorbenen und verworrenen Zeit würde man es wohl jedenfalls kaum wagen, jemand ein solches Verhalten zu empfehlen. Wie überrascht ist man darum, sobald man erfährt, die Ordensschwester, von der solches berichtet wird, war die hl. Magdalena Sophie Barat. Diese äußerst tatkräftige Frau, deren Ordensgemeinschaft am Ende ihres Lebens 3500 Ordensfrauen in 85 Klöstern zählte, kann man nun beileibe keiner sentimentalen Frömmigkeit zeihen, sondern man muß ganz im Gegenteil ihre große Nüchternheit und ihren außerordentlichen Sachverstand bewundern. Wie ist also so ein auffälliges Verhalten zu erklären? Nun, die Heilige bewahrte im Übermaß einer kaum vorstellbaren Arbeitslast eine wunderbar zärtliche Verehrung ihres menschgewordenen Gottes, weil ihr Glaube ganz tief und vollkommen echt und gnadenhaft lebendig war.
In ihrer Lebensbeschreibung heißt es weiter: „Immerhin zeigte sie eine Vorliebe für das Geheimnis der Menschwerdung, das Geheimnis der Erniedrigung des göttlichen Wortes. Beständig kam sie darauf zurück, fand nie genug Ausdrücke, um zu sagen, was der Gedanke an den im Schoß Mariens verborgenen Gottessohn ihr einflöße. Der Text des hl. Paulus: ‚Er hat sich selbst erniedrigt‘ (Phil 2,8); der des hl. Johannes: ‚Das Wort ist Fleisch geworden‘ (Joh 1,14) wirkten auf sie wie ein lebendiger Quell, der ihr stets neues Sehnen nach Verdemütigung zutrug. Bei Beginn des Advents gewahrte man an der Heiligen eine tiefe Sammlung. Mit den Tagen der heiligen Vorbereitung schien ihr Eifer zu wachsen. Am köstlichen Kern der feierlichen Antiphonen, die während der Woche vor Weihnachten bei der Vesper gesungen werden, nährte und labte sie ihre Andacht.“
Für die hl. Magdalena Sophie Barat war das Geheimnis der Erniedrigung des göttlichen Wortes …wie ein lebendiger Quell, aus dem sie tiefe Erkenntnisse über die wunderbare Erlöserliebe Gottes schöpfte und zudem ein stets neues Sehnen nach Verdemütigung. Die heilige Gründerin beginnt im Glauben, die Wirklichkeit des Wunders aller Wunder immer tiefer zu erfassen und wird von der Erniedrigung des Sohnes Gottes, „der, in Gottes Gestalt seiend, das Gott-gleich-Sein nicht für einen Raub gehalten hat, sondern sich entäußerte, Knechtsgestalt annahm und den Menschen gleich wurde“ (Phil 2,6f), persönlich zutiefst ergriffen. Sie erkennt, wie diese Erniedrigung des Sohnes Gottes die Liebe seiner Geschöpfe herausfordert. Wie sollte die hl. Magdalena Sophie Barat auf diese sich für uns derart entäußernde Liebe anders antworten als mit dem beständigen Bemühen, Gott wiederzulieben aus ganzem Herzen, mit dem ganzen Gemüte und allen Kräften der eigenen Seele? Offenbar sah ihr Herz, was andere aufgrund ihrer Herzenskälte und –härte nicht sehen konnten. Vor dem Wunder der hl. Weihnacht wurde sie selbst wieder ganz Kind, sie erfaßte nämlich vollkommen, was dieses göttliche Kind einmal lehren wird: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen“ (Matth 18,3).
Darum konnte sie vor dem göttlichen Kind begeistert ausrufen und klagen: „O, wer da erkennen möchte, wie bezaubernd, wie liebenswürdig Jesus in den Armen seiner Mutter ist! Wie sein kleines Herz schon für uns brennt! Wer würde ihn nicht lieben? Wer seinem Zauber widerstehen? Ach nein! Man kennt ihn nicht. Darum sind die Menschen so gleichgültig für einen so gütigen Gott. Wie groß ist der Herr und wie würdig allen Preises, wie klein ist der Herr und wie liebenswert! Tragen Sie, mein Kind, also zu seiner Kenntnis bei, und bald wird man ihn liebgewinnen. Bringen Sie ihn besonders jenen albernen Frömmlerinnen zur Kenntnis, die sein göttliches Erbarmen einschränken möchten.“
Mit den albernen Frömmlerinnen sind wahrscheinlich jansenistisch angehauchte Pietistinnen gemeint, die sich einbildeten, Gottes Herz sei genauso eng und eisig wie ihr eigenes. Man kennt Ihn nicht, darum liebt man Ihn auch nicht! War dies nicht ebenfalls die Klage des hl. Franz von Assisi, des Erfinders unserer Weihnachtskrippen und Krippenspiele? Auch dieser war vom Feuer der göttlichen Liebe verwundet worden, dieser Liebe, die uns sichtbar erschienen ist in einem kleinen Kind. Wie uns der bekannte Biograph des Heiligen, Thomas von Celano (1190 – 1260), in seiner ersten Lebensbeschreibung schildert (§ 84-86), ließ der hl. Franziskus mitten im Wald auf dem Gipfel des Berges in Greccio eine lebendige Krippe errichten: “Etwa vierzehn Tage vor dem Fest der Geburt des HERRN sprach Franziskus: ‚Ich möchte das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde - und ich möchte die bittere Not, die es schon als Kleinkind zu erleiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar wie möglich mit leiblichen Augen schauen…‘”
Der hl. Franziskus war noch nicht lange aus dem Heiligen Land zurückgekehrt und hatte sicher noch eine lebendige Erinnerung an die Geburtsgrotte in Bethlehem in seinem Gemüt bewahrt. Als er eines Tages von Rieti aus in das nördlich angrenzende Bergland hinaufstieg, erblickte er hoch oben einen kleinen Ort namens Greccio. Dort angelangt, sah er vor sich eine hohe Felswand, unter der sich eine stattliche Höhle befand. Bei diesem Anblick kam ihm spontan eine Idee: Man könnte doch hier den Stall von Bethlehem möglichst getreu nachbauen, und somit allen Bewohnern der ganzen Gegend die Möglichkeit geben, sich davor zu versammeln und die Geburt des Gottessohnes würdig zu feiern.
Als er dieses so bei sich überlegte, kam ein Mann namens Johannes auf ihn zu, um ihn ehrfurchtsvoll – Franziskus wurde damals bereits überall wie ein Heiliger verehrt – zum Mittagessen einzuladen. Gerne nahm dieser die Einladung an und benutzte sogleich die Gelegenheit, seinen Gastgeber zu bitten, ihm bei der Verwirklichung seines Vorhabens zu helfen: „Johannes, ich will hier in Greccio mit euch das Weihnachtsfest auf eine Weise feiern, wie man es vorher noch nicht erlebt hat. Ich möchte hier in der Höhle bei dem hohen Felsen eine Krippe errichten, in die wir eine Puppe legen wollen, Leute aus dem Dorf sollen Maria, Joseph, die Hirten, die Könige, aber auch die musizierenden Engel darstellen. Schließlich dürfen auch Ochs und Esel nicht fehlen, um die Armseligkeit der Behausung des Jesusknaben zu veranschaulichen. Über der Krippe wollen wir ein Hochamt feiern sowie aus dem Evangelium und aus den Psalmen lesen.“
In der Grotte von Greccio stand neben der Futterkrippe auch ein Altar, auf dem man die Christmette feierte. Während der hl. Messe nahm Franziskus das Kind, das in der Futterkrippe auf dem Heu lag, in seine Arme. Durch den feurigen Glauben des hl. Franziskus schien es zum Leben zu erwachen und in den Herzen der Anwesenden wiedergeboren zu werden. – Es erschien allen in dieser Nacht so, als befänden sie sich in der Geburtsgrotte von Bethlehem inmitten der Hirten. Thomas von Celano berichtet noch von einem erstaunlichen Vorfall, der sich während des Geschehens ereignet haben soll. Ein frommer Mann habe eine wunderbare Vision gehabt. „Er sah nämlich in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen; zu diesem beugte sich der Heilige nieder und erweckte das Kind wie aus tiefem Schlaf.“ Dem fügt der Chronist deutend hinzu: „Gar nicht unzutreffend ist dieses Gesicht; denn der Jesusknabe war in den Herzen vieler vergessen. Da wurde er in ihnen durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt.“
Wie wir sehen, wurde der hl. Franziskus mit derselben Ergriffenheit vom wunderbarsten aller Wunder erfaßt wie die hl. Magdalena Sophie Barat. Ist es nicht dieselbe Verwundung der Liebe durch den menschgewordenen Sohn Gottes, der als kleines Kind ganz arm im Stall von Bethlehem geboren werden wollte, welche beide Heilige entflammt? Wie könnte es auch anders sein, die Heiligen sind hierin alle eins, eint sie doch der hl. Glaube, die christliche Hoffnung und die göttliche Liebe. Wie aber schaut es in unseren Herzen aus? Ist das Jesuskind vielleicht auch bei uns in Vergessenheit geraten? Dann sollten wir jetzt im Advent schnell beginnen, es wieder zu neuem Leben zu erwecken.
Kehren wir nach diesen Gedanken über die Weihnacht des hl. Franziskus nochmals kurz zurück zur hl. Magdalena Sophie Barat, denn die Verehrung des göttlichen Kindes zeigte bei ihr ganz erstaunliche Tugendfrüchte. An eine Ordensschwester schreibt sie etwa: „In der Wiege des göttlichen Kindes habe ich meine Wünsche für Ihre Ordensfamilie niedergelegt. Jeden Morgen bitte ich das anbetungswürdige, so große und zugleich so kleine Herz, uns allen dafür Verständnis zu geben, daß die wahre Größe in der Niedrigkeit, in Demütigung und Leiden liegt. Dann erst können wir uns ihm nähern, der uns das Geheimnis des wahren Glückes verrät. Lehrt er uns doch, wie kostbar die Abkehr vom Geschöpflichen ist, weil sie uns den Besitz des Schöpfers erschließt. Der Heiland kam, um diese Gegenpole zu verbinden, und man begreift, daß Gott das Nichts erwählte, um daraus seine Welt zu schaffen.“
Welch erhabene Lehre! Der Sohn Gottes kommt in unsere Welt, um uns Sein göttliches Leben zu lehren und zu schenken. Dafür ist aber die Abkehr vom Geschöpflichen notwendig, weil sie uns den Besitz des Schöpfers erschließt. Erst wenn wir unser eigenes Nichts erkennen und uns als Sünder bekennen, kann Er daraus Seine neue Welt der Gnade schaffen. Die hl. Magdalena Sophie Barat lehrte dies nicht nur, sie lebte es auch ihren Mitschwestern vor: „In der Weihnachtszeit erforschte sich die Heilige gern über die Übung der klösterlichen Armut und schaffte aus ihrer Umgebung alles Entbehrliche fort. - 1844 lag sie krank zu Aix in der Provence. Sie verlangte eine ganz enge Zelle und duldete beim Speisen nur das älteste Geschirr. Es war eben Dezember, und dem Herzen nach lebte sie ganz in Nazareth, wo alles Losschälung predigt, wo der Eigenliebe, dem Hochmut und kleinen menschlichen Anhänglichkeiten der Abschied gegeben wird. Sie wiederholte: ‚Mir ist es unverständlich, daß beim Anblick der Krippe eine Ordensfrau sich mit Nichtigkeiten, mit kleinlichen Ansprüchen der Eigenliebe abgeben kann. Gott, die ewige Weisheit, das Wort des himmlischen Vaters, verurteilt sich zum Schweigen und unterbricht dieses nur durch kindliches Klagen; Gott unterwirft sich zwei Geschöpfen, die allerdings vollkommen, aber doch seine Geschöpfe sind ... o, wie muß der Hochmut hier zunichte werden!‘“
Und einer Ordensfrau schrieb sie: „Vom göttlichen Kinde werde ich für Sie völlige Entäußerung alles Geschöpflichen erflehen. Jesus allein gebührt Ehre und Ruhm, uns Mühe und Demütigung. Närrisch und blind sind wir, wenn die Krippe uns nicht diese Auffassung, dieses Leben beibringt; dann sollten wir in die Welt zurückkehren, wo die Narren nach ihrem Geschmack leben können.“
2. Die Wahrheit über das Kind in der Krippe
Wie viele Menschen sind heutzutage geistig erblindet? Wie viele sind durch ihre Gottlosigkeit närrisch geworden? Wir leben zweifelsohne in der Zeit des großen Abfalls vom christlichen Glauben. Die christlichen Wahrheiten haben in unserer Gesellschaft inzwischen vollkommen ihre prägende Bedeutung verloren. Das Neuheidentum hat die Institutionen bis in die Spitzen hinein erobert und alles entheiligt. Im alltäglichen Leben der allermeisten Menschen kommt Gott nicht mehr vor, kein einziger Gedanke findet mehr den Weg zu Ihm. Was bedeutet da das hl. Weihnachtsfest noch für diese Menschen? Wobei man hier nicht einmal nur an die Weltmenschen denken muß, gilt dasselbe doch genauso von den sog. Taufscheinkatholiken – und sind das inzwischen nicht fast schon alle? Doch werden wir noch etwas persönlicher: Was bedeutet uns Weihnachten? Was bedeutet die Menschwerdung des Sohnes Gottes für mich? Ist Weihnachten für mich womöglich nur noch ein sentimental wohliges Gefühl – mit ein wenig Glauben kaschiert? Versuchen wir einmal, dem Weihnachtsfest theologisch auf den Grund zu gehen.
Das Evangelium der dritten Weihnachtsmesse, gefeiert am Tage, mit der Stationskirche in Groß St. Marien, ist der Anfang des Hl. Evangeliums nach Johannes. Der „Adler“ unter den Evangelisten blickt aus erhabener, göttlicher Distanz herab auf das Geschehen in unserer Menschenwelt. Aus göttlicher Höhe fixiert er jenen Ort in unserer Welt, an dem sich das Wunder Gottes vollzieht: die Menschwerdung des WORTES GOTTES. Dieses wunderbarste aller Wunder erklärt uns Johannes, der Theologe, der Gottesgelehrte, in unnachahmlich schönen, einfachen, tiefen Worten. Satz für Satz nähert er sich jenem Wunder der Heiligen Nacht, um es sodann in jenem einem Satz auszuworten: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“
Wir wollen uns anhand einer Frage des hl. Thomas von Aquin, die er in seiner Summe der Theologie (III. Teil, 3. Frage, 8. Artikel) stellt, dem hl. Weihnachtsevangelium nach Johannes nähern. Thomas fragt: Entspricht die Menschwerdung mehr dem Sohne als dem Vater und dem Hl. Geist? Es geht also darum abzuwägen, warum die zweite göttliche Person Mensch wurde und nicht etwa die erste oder dritte? Welche Gründe lassen sich dafür anführen? Wobei der hl. Thomas in diesem Zusammenhang nur von Angemessenheitsgründen spricht, denn im letzten bleibt der göttliche Ratschluß auch nach seiner Offenbarung ein Geheimnis.
Der hl. Thomas erklärt nun erstens: „Die Menschwerdung des Sohnes war im höchsten Maße sinnvoll. Man betrachte zunächst die Vereinigung selbst. Es ist sinnvoll, ähnliche Dinge miteinander zu verknüpfen. Nun bemerken wir, daß die Person des Sohnes, das WORT Gottes, in bestimmter Hinsicht in einem Ähnlichkeitsverhältnis zur gesamten Schöpfung steht. Denn das ‚Wort‘ des Künstlers, sein Gedanke, ist das Vorbild dessen, was er schafft; mithin ist Gottes ‚WORT‘, Seine ewige Idee das [bestimmende] Urbild der ganzen Schöpfung. Je nach ihrem Anteil an diesem Urbild sind die Geschöpfe unbeschadet ihrer Wandelbarkeit in besondere Arten eingeordnet. Dementsprechend war es sinnvoll, die Geschöpfe nicht durch bloße Anteilnahme am WORTE, sondern durch die Vereinigung mit Ihm in der Person in ihrer Ordnung wiederherzustellen, um sie ihrer ewigen, wandellosen Vollendung zuzuführen. Denn auch der Künstler stellt ein zerbrochenes Kunstwerk nach derselben Idee wieder her, nach der er es schuf.“
Dem Menschengeschlecht ist sein eigenes Urbild durch die Sünde verloren gegangen, das göttliche Kunstwerk ist schuldhafterweise zerbrochen. Der moderne Mensch ist kaum noch fähig, die Tragik dieses Geschehens zu ermessen und sie als geoffenbarte Wahrheit ernst zu nehmen. Wir dagegen wissen aus der Offenbarung: durch die Erbsünde ist nicht so sehr das natürliche Urbild zerstört worden, wenn auch die Natur des Menschen durch die Sünde großen Schaden erlitt, sondern vor allem das inwendige, gnadenhafte, ihn Gott verähnlichende Urbild seiner Seele wurde durch den Verlust der heiligmachenden Gnade zerstört. Durch die Erlösung soll dieses zerstörte inwendige Urbild in wunderbarer Weise wiederhergestellt werden. Wie könnte aber diese Wiederherstellung angemessener und besser geschehen, als durch die Menschwerdung des ewigen Wortes, jenes Wortes, von dem der hl. Johannes schreibt: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“ In diesem Satz-Dreiklang erklärt uns der hl. Evangelist, daß im Geheimnis Gottes im Anfang ewig ein Wort war, nämlich der ewige Sohn des Vaters. Dieses „WORT“, Seine ewige Idee ist das [bestimmende] Urbild der ganzen Schöpfung. Oder wie der hl. Evangelist Johannes in seinem Prolog sich ausdrückt: „Durch das Wort ist alles geworden; und nichts, was geworden, ward ohne das Wort.“ Das ganze Universum, dieses göttliche Wort, das sich in Raum und Zeit ausdehnt, ist ein Echo jenes unerschaffenen Wortes, das im Anfang bei Gott war. Die ganze sichtbare und unsichtbare Welt ist Gottes Geheimnis, das ER im „Hymnus der sechs Tage“, wie Augustinus es nennt, ausgesprochen hat. Dabei ist die Erschaffung des Menschen der alles zusammenfassende Schlußstein der ganzen Schöpfungswirklichkeit. Wenn nun dieses göttliche WORT, in dem alles geschöpfliche Sein, also auch der begnadete Mensch, geworden ist, selbst wahrer Mensch wird, dann ist in IHM die menschliche Natur wiedervereinigt mit der göttlichen Natur, d.h. in IHM wird sie in ihrer ursprünglichen Reinheit und Heiligkeit wiederhergestellt, ja sie wird in IHM sogar noch wunderbarer erneuert, als sie vor der Erbsünde war, wie wir in jeder hl. Messe bei der Vermischung von Wein und Wasser beten. Wenn wir also in der hl. Nacht vor der Krippe knien und das göttliche Kind betrachten, dann sollen wir in diesem göttlichen Kind unser eigenes gnadenhaftes Urbild wiederentdecken, um dieses sodann im durch die Liebe geformten Glauben an IHN wiederherzustellen. Deshalb schreibt der hl. Paulus im zweiten Korintherbrief: „Wer in Christus ist, ist eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17).
Dieser Gedanke wird vom hl. Thomas noch ausgefaltet: „Überdies liegt in der Menschwerdung eine eigentümlich sinnvolle Beziehung zur menschlichen Natur. Denn das ‚WORT‘, in dem der Vater Seine ewige Weisheit ausspricht, ist die Quelle, von der alle Weisheit des Menschen ausströmt. Als geistiges Wesen findet der Mensch in der Weisheit seine eigentliche Vollendung, und deshalb wird er in dem Maße in der Weisheit fortschreiten, als er am WORTE Gottes Anteil hat.“
Die Erbsünde beeinträchtigt sowohl die Erkenntnisfähigkeit des Menschen als auch seinen Willen. Der erbsündliche Mensch ist darum in der ständigen Gefahr, die sichtbare, materielle Welt absolut zu setzen. Sein geistiges Auge ist erblindet. Wobei dem heutigen Menschen nicht nur das Reich des Geistes vollkommen fremd geworden ist, sondern noch viel mehr das Reich der Gnade. Wie soll dieser heillose Zustand wieder geheilt werden? Der hl. Evangelist Johannes schreibt: „In Ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.“ Wir werden durch das „WORT“, in dem der Vater Seine ewige Weisheit ausspricht, erleuchtet und finden in IHM das Leben der Gnade wieder. ER ist die Quelle, von der alle Weisheit des Menschen ausströmt. Man kann es kaum fassen, in der Heiligen Nacht wird dieses Wort allen sichtbar, oder soll man sagen hörbar – und damit jedem von uns leicht zugänglich. In IHM wird uns die ganze Wirklichkeit, sichtbare und unsichtbare, Erde und Himmel unmittelbar zu Gesicht gebracht, ja in IHM, auf Seinem Antlitz, leuchtet uns die göttliche Unendlichkeit entgegen. Wenn wir nur recht hinschauen, führt uns der Glaube an das in der Krippe sich offenbarende WORT unmittelbar hinein in das unergründliche Geheimnis der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, wie wir beim Evangelisten Johannes lesen: „Philippus sagte zu ihm: ‚Herr, zeige uns den Vater! Das genügt uns.‘ Jesus erwiderte ihm: ‚Solange schon bin ich bei euch, und du kennst mich noch nicht, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du nur sagen: Zeige uns den Vater? Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist?‘“ (Joh 14,8ff). Eigentlich sollte es uns unheimlich werden, ja wir sollten zutiefst erschrecken, wenn wir dem göttlichen Kind in die Augen schauen!
Als zweiten Angemessenheitsgrund für die Menschwerdung der zweiten göttlichen Person führt der hl. Thomas folgendes an: „Ein weiterer Grund für die Angemessenheit der Menschwerdung des Sohnes läßt sich aus dem Zweck der Vereinigung herleiten. Durch sie sollte die Vorherbestimmung derer erfüllt werden, die für das himmlische Erbe ausersehen sind. Nur die Söhne haben einen Anspruch darauf, nach dem Wort des hl. Paulus: ‚Wenn Söhne, dann auch Erben‘ (Röm 8,17). Darum war es angemessen, daß die Menschen durch den, der [Gottes] Sohn von Natur ist, an der Ähnlichkeit dieser Seiner Sohnschaft durch Annahme an Kindes Statt Anteil erhielten. ‚Denn die Er vorher erkannt, hat Er auch vorherbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu werden‘ (Röm 8,29).“
Aus Kindern des Zornes sollen durch den göttlichen Erlöser wieder Kinder Gottes werden, Söhne und Erben. Der Sohn Gottes steigt deswegen – wegen uns Menschen und unserem Heil, wie wir im Credo der hl. Messe beten – vom Himmel hernieder und nimmt unsere menschliche Natur an, denn nur als Gott-Mensch ist er ewiger Hoherpriester und Erlöser des Menschengeschlechtes. Wahrer Mensch geworden, läßt ER auch uns an der Ähnlichkeit Seiner Sohnschaft teilnehmen, indem er uns in der Erlösungsgnade erneut an Kindes statt annimmt. Während ER von Natur aus der Sohn Gottes ist, sollen wir durch gnadenhafte Adoption Kinder Gottes werden. Damit dieses Wunder der Gnade in unserer Seele Wirklichkeit werden kann, müssen wir IHN jedoch im Glauben aufnehmen, wie es wiederum im Evangelium der dritten Weihnachtsmesse heißt: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Wollen des Fleisches und nicht aus dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“
Lassen wir uns nun vom hl. Thomas gedanklich nochmals einen Schritt weiterführen in unserem Wissen über den tieferen Sinn der hl. Weihnacht: „Der dritte Grund für diese Angemessenheit liegt in der Sünde unseres Stammvaters, der durch die Menschwerdung Heilung wird. Denn der erste Mensch hat gesündigt, weil er nach Erkenntnis verlangte. Das geht aus den Worten der Schlange hervor, die ihm Erkenntnis des Guten und Bösen versprach (Gen 3,5). Darum sollte das ‚WORT‘, die wahre Weisheit, den Menschen zu Gott zurückführen, der durch ungeordnetes Verlangen nach Wissen von Gott abgefallen war.“
Durch die Sünde wird die Erkenntnisfähigkeit des Menschen nicht nur getrübt, seine Erkenntnis wird zudem fehlgeleitet. Der Teufel hat dem Menschen eine Erkenntnis als erstrebenswert vorgegaukelt, die es in Wirklichkeit gar nicht war. Der Mensch meinte fälschlicher Weise, durch die Erkenntnis von Gut und Böse würde er Gott gleich werden. Das war ein fataler Irrtum, der ihn in tiefstes Elend stürzte. Seit der Erbsünde beherrscht uns Menschen dieses Verlangen nach falscher Erkenntnis. Heute gilt das sicher mehr denn je, man muß nur den Wissensbetrieb an Schule und Universität einmal genauer unter die Lupe nehmen.
Eigentlich sollte dieser verkehrte Erkenntnisdrang durch den Glauben an das WORT diszipliniert werden, wie es beim hl. Johannes heißt: „Das war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt… Allein die Welt hat Ihn nicht erkannt.“ Die meisten Menschen wollen sich nicht von ihrer fehlgeleiteten Erkenntnis, durch welche sie letztlich nur ihre Sünden entschuldigen wollen, trennen. Diejenigen aber, die sich vom göttlichen WORT belehren lassen, werden von diesem zur wahren Gotteserkenntnis zurückgeführt. Darum schreibt der vollkommen christusbegeisterte hl. Paulus: „Ja, in der Tat, ich erachte alles als Verlust angesichts der alles übertreffenden Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich das alles aufgegeben habe und es geradezu für Kehricht halte, damit ich Christus gewinne“ (Phil 3,8). Oder mit den Worten des hl. Johannes ausgedrückt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14).
Diese Worte beschreiben vollkommen den weihnachtlichen Menschen. Dieser hat die Herrlichkeit des ewigen WORTES gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater. Wie aber könnte jemand diese Herrlichkeit sehen, ohne dadurch umgestaltet zu werden, wie der hl. Paulus im zweiten Korintherbrief schreibt: „Wir alle aber, die wir mit enthülltem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn schauen, werden durch den Herrn des Geistes zu dem gleichen Bild umgestaltet, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2Kor 3,18).
3. „Singet dem Herrn ein neues Lied; denn Wunderbares hat Er getan.“
Weihnachten muß man leben. Die hl. Liturgie drückt dies in den Worten der Überschrift aus, welche aus dem Introitus der dritten Weihnachtsmesse stammen. Wer das vom Himmel herabgestiegene ewige Wort des Vaters gehört und verstanden hat, wer also an den menschgewordenen Sohn Gottes wahrhaft glaubt, der beginnt ein neues Lied zu singen, weil ihm, verwandelt durch die heiligmachende Gnade, ein neues Leben geschenkt worden ist. Die hl. Magdalena Sophie Barat schreibt: „Alle Liebes- und Erlösungstaten sind dem heiligsten Herzen Jesu entsprungen. Seit dem Augenblick, wo die zweite göttliche Person sich mit der menschlichen Natur vereinigte, hat ihr heiligstes Herz uns alle seine Schläge geschenkt, dem himmlischen Vater sich angeboten, für uns zu sühnen, uns zu erlösen … Zu sühnen, das heißt, die in der Sünde angegriffene Ehre des Vaters wiederherzustellen und im gleichen Opfer die Menschen zu erlösen.“
Die Verwandlung des Menschen fordert das Opfer. Schon in der Krippe beginnt das heiligste Herz Jesu sein Erlösungswerk. Viel zu wenig denken wir an diese Opferweihnacht. Dabei würde gerade sie uns helfen, das wahre Weihnachtsfest zu finden. Denn vor allem im Opfer bietet sich uns die Möglichkeit, auf die Liebe des göttlichen Kindes zu antworten, wobei die Möglichkeiten dieser Opferliebe unerschöpflich sind, ist diese Liebe doch keine menschliche, sondern eine göttliche Tugend. Im Buche des Propheten Isaias findet sich die Verheißung: „Ich werde dir die verborgenen Schätze und das Geheimnis der Geheimnisse offenbaren“ (Is 45,3). Außerdem sind dort diese wunderbaren Worte niedergeschrieben: „Ein neuer Name wird dir gegeben, der aus dem Munde des Vaters hervorgeht, du wirst heißen: Mein Wille. Denn der Herr erfreut sich an dir… Wie der Bräutigam sich an der Braut erfreut, so bist du die Freude deines Gottes“ (Is 62).
Es stockt einem der Atem, wenn man diese Worte liest und sie ernst nimmt. In ihnen leuchtet das Weihnachtsgeheimnis ganz groß auf und die selige Verheißung für alle Menschen guten Willens. Die hl. Magdalena Sophie Barat erklärt hierzu: „Die Gegenliebe soll der Liebe entsprechen. Ist das göttliche Herz der Glutherd, von dem die Geheimnisse der Krippe, des Kreuzes, des Altars, der Seligmachung ausgehen, so sollen wir uns mit diesen Geheimnissen vereinen, aus Liebe in tätiger Liebe leben. Hat die Liebe Jesus zu allen Opfern gedrängt, so haben wir seinen Opfern die unsrigen anzuschließen. Ist das Herz Jesu in seinem Opferleben das Vorbild aller Tugenden, besonders der Demut gewesen, so sollen wir diese Tugenden, vor allem die Demut in uns weiterüben.“
Es bleibt zu hoffen, diese Gedanken mögen Ihnen ein wenig helfen, sich in diesen letzten Adventstagen würdig auf das kommende Fest vorzubereiten, damit sich erfüllt, was wir im Introitus des ersten Adventssonntags gebetet haben: „Denn all die vielen, die auf Dich warten, werden nicht enttäuscht.“