Der vierzigste Jahrestag eines denkwürdigen Ereignisses förderte eine erfreuliche Harmonie der verschiedenen „traditionalistischen“ Strömungen zutage. In ungewohnter Einmütigkeit gedachten sowohl die offizielle „Piusbruderschaft“ als auch ihre Dissidenten von links bis rechts der berühmten Erklärung von Erzbischof Lefebvre vom 21. November 1974. Sie fand sich nicht nur auf sämtlichen „Pius“-Webseiten, vom Generalhaus über „DICI“ bis zu den Distrikten, sondern auch auf denen des „Widerstands“ wie der „USML – Union Sacerdotale Marcel Lefebvre“ oder der „Initiative St. Marcel“, sie wurde von Abbé Aulagnier vom „konziliar“ geeinigten „IBP – Institut du Bon Pasteur, Institut vom Guten Hirten“ ebenso zitiert wie von „Widerstands“-Bischof Williamson in seinem „Eleison“-Kommentar. Womit zum einen erwiesen wäre, daß es sich bei ihnen allen, ihren Streitereien und Divergenzen zum Trotz, um eingefleischte Lefebvristen handelt, zum anderen, daß der Lefebvrismus ein in sich widersprüchliches und ganz und gar uneinheitliches System ist.
Eine Analyse des Lefebvrismus
Ein gewisser „Petrus“ auf dem französischsprachigen „Forum catholique“ bemerkt dazu: „Auf den ersten Blick könnte man erstaunt sein: Wie kann es sein, daß feindliche Brüder, die eine diametral entgegengesetzte Sichtweise haben über das Prinzip eines Abkommens mit dem 'modernistischen Rom', mit gleichem Enthusiasmus und schöner Einmütigkeit die Erklärung vom 21. November 1974 für sich beanspruchen? Die Antwort ist einfach: Es kommt daher, daß man in dieser Erklärung, dem Gründungsakt des Lefebvrismus, die ganze fundamentale Inkohärenz der lefebvristischen Bewegung und Denkweise zusammengefaßt und konzentriert findet. In diesem Dokument erkennt Mgr. Lefebvre in Paul VI. und seiner Umgebung im Vatikan gleichzeitig das modernistische Rom (welchem man ungehorsam sein muß) und das ewige Rom (dem man treu sein muß). Man kann in der Tat die Erklärung nicht anders auffassen, denn diejenigen, die dachten und sagten, daß das modernistische Rom in keiner Weise das ewige Rom und daher illegitim, häretisch, apostatisch und ohne jede Autorität sei, wurden systematisch aus der FSSPX gejagt. Das gilt bis heute, denn alle Priester oder Seminaristen auszuschließen, die vom Sedisvakantismus überzeugt sind, wurde schnell ein Nationalsport (oder sogar ein internationaler) im Schoß genannter Bruderschaft.“
Er fährt in seiner Analyse fort: „Im übrigen erkennt in dieser Erklärung, die oberflächliche und falsche Geister für großartig halten, während sie theologisch nichtig und absurd ist, ganz nach dem Bild ihres Autors, Mr. Lefebvre öffentlich die Autorität Pauls VI. an, den er als 'Heiligen Vater', 'Obersten Pontifex' und 'Nachfolger Petri' bezeichnet. Drei mal anerkennt in dieser Erklärung der Gründer der FSSPX öffentlich in Montini den Vikar Christi. Hut ab! Noch schlimmer (wenn man das sagen kann), in diesem Text führt Mgr. Lefebvre das Prinzip der protestantischen 'freien Forschung' ein, das darin besteht, in den Aussagen und Akten desjenigen, den er als Nachfolger Petri anerkennt, zu sieben: 'wenn ein gewisser Widerspruch sich zeigt in seinen Worten und Handlungen (denen Pauls VI., der von ihm als Papst anerkannt wird) sowie in den Akten der Dikasterien, so wählen wir das, was immer gelehrt worden ist und stellen uns taub gegenüber den Neuheiten, welche die Kirche zerstören.' Anders ausgedrückt, Mgr. Lefebvre macht sich zum Parallel-Lehramt bei gleichzeitiger voller Anerkennung der Autorität Pauls VI. Ihm obliegt fortan die Aufgabe, zu sieben (im Namen welcher Autorität? mit welcher Unfehlbarkeit? mit welcher Legitimität?), was in den Worten und Handlungen desjenigen, den er als Stellvertreter Christi anerkennt, katholisch ist, was annehmbar ist, was mit der Tradition übereinstimmt und was nicht. Es handelt sich hier um einen exorbitanten Anspruch, denn wer ist der unfehlbare Garant der Tradition wenn nicht das Lehramt, wenn nicht der Papst, welcher, wir erinnern uns, die lebende und nächste Regel des Glaubens ist. Es steht dem Papst zu, mit Autorität zu sagen, was mit der Tradition übereinstimmt und was nicht, was katholisch ist und was nicht. Wenn man anders denkt und handelt, ist man nicht mehr katholisch. Wo der Papst, da die Kirche.“
„Man sieht also, daß der Lefebvrismus sich selbst für die eigentliche Grundlage der Kirche hält und den Akt des Glaubens verfälscht. Denn wenn wir die Glaubenswahrheiten (das Objekt der Offenbarung) im Glauben festhalten, so tun wir es, weil Gott sie geoffenbart hat (der Urheber der Offenbarung) und weil die Kirche sie uns lehrt (Regel des Glaubens). Daher genießt die Kirche Unfehlbarkeit in der Lehre. Sich die lefebvristische Denkweise zu eigen zu machen, heißt nichts weniger als den Fels angreifen, auf dem die Kirche ruht. In der Tat müssen die Traditionalisten Relativisten sein und völliges Desinteresse an Lehrfragen haben, um unablässig in ihrem Mund den heiligen Marcel hier und den heiligen Marcel dort zu tragen.“ Tatsächlich schmücken sich die Lefebvristen von links bis rechts gerne mit diesem Namen.
„Petrus“ weiter: „Wir haben es schon oft geschrieben: Monseigneur Lefebvre, das ist wie der Bazar im Hôtel de Ville in Paris: Man findet dort alles ... und sein Gegenteil! Das ist der Grund, warum man sich in den gegenwärtigen Spaltungen der FSSPX und der befreundeten Gemeinschaften auf widersprüchliche, aber vollkommen authentische Erklärungen von Mgr. Lefebvre stürzt, um seine Position zu rechtfertigen. Ein jeder plustert sich zum authentischen Jünger des verstorbenen Gründers der FSSPX auf, zum Wächter des lefebvristischen Tempelordens, ohne sich je die Frage zu stellen, ob nicht diese Bruderzwiste ihren Ursprung gerade in den Zusammenhanglosigkeiten, Zaudereien und, sagen wir es ruhig, der Zwiegesichtigkeit Mgr. Lefebvres haben, von dem man zumindest sagen kann, daß er nicht gerade ein Modell der Beständigkeit war. Im April 2012 haben sich die Bischöfe der FSSPX einander nicht eben sehr liebenswürdig mit gestrengen Briefen beschickt, voll sich widersprechender, aber authentischer Zitate von Mgr. Lefebvre. Die Abkommens-Befürworter führen zahlreiche Erklärungen und Stellungnahmen des Gründers von Ecône an, die für ein Abkommen mit den Besetzern des Vatikan sprechen, die Abkommens-Gegner stellen die ebenso zahlreichen Erklärungen desselben Mgr. Lefebvre gegen ein Abkommen heraus. Aber alle bleiben unbedingte Lefebvristen, ohne sich irgendwelche Fragen zu stellen. Das ist seltsam!“
Er erklärt: „Wenn Mgr. Lefebvre alles und sein Gegenteil gesagt hat, dann deshalb, weil er es nie wagte, den Rubikon zu überschreiten. Aus diplomatischer, liberaler und konsensträchtiger Gemütsart, aus Feigheit, aus Furcht vor den Konsequenzen, kurz aus wesentlich weltlichen Gründen. Aber es gibt nichts Schlimmeres als jene, die nicht bis zum Äußersten ihres Kampfes gehen. Gott speit die Lauen aus. Die Lauheit ist schon eine Form des Verrats, vielleicht die übelste, die es gibt. Man muß sich in Erinnerung rufen, daß Mgr. Lefebvre nur sehr langsam auf die Revolution in der Kirche reagierte. So hat er sich geweigert, seine Unterschrift unter die 'Kurze kritische Untersuchung' der Kardinäle Ottaviani und Bacci zu setzen (in Wahrheit wurde der Text von P. Guérard des Lauriers verfaßt, der ansonsten mehr von Dogmatik verstand als der Gründer der FSSPX, auch wenn seine [Cassiciacum-]These uns in keiner Weise überzeugt!), er hat alle Texte des II. Vatikanums unterschrieben, im Gegensatz zu dem, was er fälschlich über Jahre hinweg behauptet hat (man mußte auf die Biographie des Mgr. Tissier de Mallerais warten, um dieser Legende ein Ende zu setzen), und er hat 1970 die nötigen Genehmigungen erbeten (und erhalten) von den konziliaren (Pseudo-)Autoritäten zur Errichtung der Bruderschaft und des Seminars. Mgr. Lefebvre war also kein Dammbrecher, kein tapferer Streiter für den Glauben. Da, wo wir einen Athleten des Glaubens gebraucht hätten, hatten wir einen Diplomaten. Da, wo ein unermüdlicher Ankläger der Häresie und Apostasie notwendig gewesen wäre, hatten wir einen Politiker, der versuchte, einen Platz im Schoß der Konzilskirche auszuhandeln.“
Bei den berühmten Bischofsweihen von 1988 „hatte Mgr. Lefebvre in seiner Predigt gebeten, daß auf sein Grab die berühmten Worte des heiligen Paulus geschrieben würden: 'Tradidi quod et accepi – ich habe überliefert, was ich empfangen habe.' Seine Schüler folgten offensichtlich dieser Bitte. Und seine Jünger erstarren bis heute vor dieser Erklärung. Doch auch dabei handelt es sich um einen Betrug. Oder hatte Mgr. Lefebvre gelernt, daß ein ökumenisches Konzil, das von einem wahren Papst promulgiert wurde, fehlbar und lediglich pastoral sein könne? Oder hat er gelesen, daß man Bischöfe gegen den ausdrücklichen und öffentlichen Willen dessen weihen dürfe, den man als Stellvertreter Christi anerkennt? Oder hat man ihm beigebracht, daß das ordentliche und universelle Lehramt der Kirche nicht notwendigerweise unfehlbar ist oder daß, um es zu sein, eine Übereinstimmung nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit vorhanden sein muß? Oder hat er gelernt, daß man ein Seminar betreiben und Priester formen und weihen kann gegen den formellen Befehl der Autorität, die man als legitim ansieht? Oder hat er gelernt, daß man das Sakrament der Firmung in gleich welcher Diözese der Welt spenden kann, ohne wenigstens denjenigen darüber Bericht zu erstatten, die man als legitime residierende Bischöfe anerkennt? Oder hat er gelernt, daß man sich katholisch nennen kann und gleichzeitig in allem demjenigen ungehorsam sein, den man öffentlich als Stellvertreter Christi anerkennt? In welchem Lehrbuch der katholischen Theologie hat er gelernt, daß die von einem wahren Papst vollzogenen Kanonisationen nicht unfehlbar sein können, daß eine Messe, ein kanonischer Rechtskodex, ein Katechismus, ein Rituale für Sakramentenspendung, die von einem Papst für die gesamte Kirche promulgiert wurden, für den Glauben schädlich und gefährlich sein können? Oder hat er gelernt, man könne nach Belieben und ohne jede Bedenken Priester oder Diakone, die er selbst geweiht hat, aus seiner sogenannten Bruderschaft verstoßen aus keinem anderen Grund, als weil sie sich im Gewissen nicht im Kanon der Messe als in Gemeinschaft mit den Besetzern des Stuhles Petri bezeichnen können, welche die Kirche zerstören? Oder hat er gelernt, daß man sie ohne alle Gewissensprobleme auf die Straße setzen kann, ohne sich um ihre Lebensgrundlage zu sorgen, um ihre soziale Absicherung, ihre Not, ihre Verlassenheit?“
„Wie es mit Strenge aber treffendem Feuer P. Barbara schrieb: Nach Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul II. (und fügen wir heute noch hinzu: Benedikt XVI. und Franziskus) war Mgr. Lefebvre einer der Haupt-Zerstörer der streitenden Kirche, der furchtbarste Gegner des Sedisvakantismus und mithin der katholischen Wahrheit. Wie viele Priester und Laien haben mir gegenüber erklärt, daß sie Sedisvakantisten geworden wären, wäre nicht Mgr. Lefebvre gewesen, dem sie zu Unrecht volles Vertrauen schenkten? Es gibt sicher nichts, dessen man sich bei dieser unheilvollen Bilanz rühmen könnte. Jedesmal, wenn es eine entscheidende Wahl zu treffen galt, traf Lefebvre die schlechte: über die Gültigkeit der Messe und der neuen Sakramente, über die Autorität der illegitimen Besetzer des Stuhles Petri, über die Annahme der Liturgie und des Breviers von Johannes XXIII., bei der Wahl der Männer für die Schlüsselpositionen.“
Er kommt zu dem Schluß: „Wie man sieht, hat die Bruderschaft St. Pius X. historisch zu nichts anderem gedient, als den katholischen Widerstand gegen das II. Vatikanum und die daraus hervorgegangenen abscheulichen Reformen zu kanalisieren und zu neutralisieren. Wie der 'Front national' erfolgreich den französischen Widerstand gegen den Mondialismus und die Zerstörung Frankreichs neutralisiert hat. Man muß wahrhaft das Hirn eines Kolibri haben, um das nicht zu sehen.“ Soweit „Petrus“ vom „Forum catholique“.
Der Lefebvrismus am Werk
Das sind starke Worte, ohne Zweifel. Eine Gegenreaktion konnte folglich nicht ausbleiben und erfolgte prompt durch den getreuen „Pius“-Gefolgsmann Abbé François Laisney. Dieser meint, „Petrus“ verdiene eigentlich keine Antwort, doch lasse sich die Gelegenheit nutzen, um aus Üblem Gutes zu ziehen. Zunächst, sagt er dann, würde man, „wenn man den Namen von Mgr. Lefebvre durch Jesus Christus ersetzt, meinen, die typische Schmährede eines Atheisten gegen Unseren Herrn Jesus Christus zu lesen, welcher auf die verschiedenen Auslegungen Seiner Worte durch Katholiken, Protestanten und alle möglichen anderen verweist, auf die offensichtlichen Widersprüche usw.“ Eine solche „Schmährede“ beweise jedoch nur eines: „Daß derjenige, der sie führt, nichts von dem verstanden hat, was er kritisiert.“
Für uns beweisen diese Worte eines getreuen Lefebvristen hingegen vor allem eines, nämlich wie beängstigend weit die Verehrung für ihren Gründer inzwischen fortgeschritten und geradezu zur Anbetung zu werden im Begriff ist, da sie ihn nun gar mit Unserem Herrn Jesus Christus und seine Worte mit denen des Gottmenschen vergleichen. Doch wir lassen uns selbstverständlich gerne aufklären, was jener „schmähende“ Kritiker an Mgr. Lefebvre nicht verstanden hat. Wieder vergleicht unser Verteidiger hierzu sein Idol Lefebvre mit Unserem Herrn Jesus Christus: „Um Unseren Herrn Jesus Christus recht zu verstehen, genügt es nicht, seine Worte zu hören, man muß auch sein Beispiel nachahmen, insbesondere was solche Tugenden wie die Demut anbelangt, welche das Herz der Gnade öffnen. Ebenso verstehen jene Mgr. Lefebvre besser, die sich bemühen, seinem Beispiel zu folgen.“ Kurzum, man muß Lefebvrist sein, um Mgr. Lefebvre zu verstehen, wie man Christ sein muß, um Jesus Christus zu verstehen. Oder haben wir es wieder falsch verstanden?
Abbé Laisney als gläubiger Lefebvrist vermag durchaus eine geschlossene Einheit im Leben Mgr. Lefebvres zu entdecken, „welche sich in einem Wort zusammenfassen läßt: Treue im Dienst des Christkönigs“. So sei auch die Erklärung vom 21. November 1974 nichts als eine „Charta der Treue“. „Treue zum Glauben aller Zeiten UND Treue zur einzigen Kirche Unseres Herrn Jesus Christus, der heiligen katholischen Kirche.“ Diese Treue werde durch das Anwachsen der Übel auf die Probe gestellt, „doch der katholische Glaube ist nicht der katharische und anerkennt, daß es in der Kirche eine Mischung aus Guten und Bösen gibt ('bonos et malos' Mt. 22,10)“. Dies Dogma sei untrennbar von der durch den heiligen Augustinus gelehrten Wahrheit: „Die Bösen in der Kirche (…) können den Guten nicht schaden, die in ihr Böses nicht einstimmen.“ „Mit anderen Worten, die Gemeinschaft mit den Bösen in der Kirche schadet den Guten nicht, denn sie ist wesentlich eine Gemeinschaft mit Christus in Seinem Mystischen Leib; aber deswegen muß man dem Bösen nicht zustimmen! Daher die beiden Aspekte, die Petrus bei Mgr. Lefebvre nicht verstehen kann: sowohl das Zurückweisen jeden Kompromisses mit dem Irrtum als auch das Aufrechterhalten einer Gemeinschaft mit den Gliedern der Hierarchie der Kirche, trotz ihrer Fehler. Diese beiden Aspekte sind nichts als die Treue zu Unserem Herrn Jesus Christus, Haupt und Leib!“
Das sind wahrhaft salbungsvolle Worte, und wir staunen ehrfurchtsvoll und bewundern unseren Lefebvre-Jünger, wie sehr er doch in der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern bewandert ist! Leider übersieht er geflissentlich das, was alle Lefebvristen im Gefolge ihres Herrn und Meisters tunlichst übersehen, nämlich daß Häresie nicht einfach ein Übel ist, das in der Kirche neben dem Guten bestehen kann, daß nicht gläubige Katholiken mit Häretikern zusammen eine kirchliche Gemeinschaft oder gar den „Mystischen Leib Christi“ bilden können, und daß man mit Häretikern keine geistige „Gemeinschaft“ haben und „aufrechterhalten“ kann. Folgende Stelle im Johannesbrief dürfte unserem Schriftkundigen ja nicht unbekannt sein: „Jeder, der davon abgeht [daß nämlich „Jesus Christus im Fleische gekommen ist“] und nicht in der Lehre Christi bleibt, hat Gott nicht. Wer in der Lehre bleibt, der hat den Vater und den Sohn. Wenn einer kommt und diese Lehre nicht bringt, den nehmt nicht auf in das Haus und sagt ihm auch nicht den Gruß; wer ihm den Gruß entbietet, macht sich teilhaftig seiner bösen Werke“ (2 Joh 9-11). Wie es scheint, war der heilige Johannes durchaus nicht der Meinung, daß man mit Häretikern in guter kirchlicher Gemeinschaft leben könne und dies den Guten „nicht schade“, solange sie nicht in die Häresie „einstimmten“. Er meint vielmehr, wer einem Häretiker „nur den Gruß entbietet, macht sich teilhaftig seiner bösen Werke“! Vermutlich war der heilige Johannes ein „Katharer“...
Unser Lefebvrist hingegen bemerkt überaus scharfsinnig in der „sedisvakantistischen“ Position eine „verwerfliche Heuchelei“, welche darin bestehe, daß man die päpstlichen Vorrechte übertreibe, um den Papst besser zurückweisen zu können. „Er [„Petrus“, der „Sedisvakantist“, ist gemeint] macht aus dem Papst 'die lebende und nächste Regel des Glaubens' ohne jede Einschränkung; aber glauben Sie nicht, daß er dieser Regel folgt, er behauptet es nur, um den Papst desto besser zurückweisen zu können.“ Natürlich sei es wahr, daß der Papst hienieden der „oberste Richter“ darüber sei, was zur katholischen Tradition gehört, „aber er übt diese Gewalt präzise nur in seinem ex cathedra-Lehramt aus, wenn er in ultimativer und definitiver Weise in einer Sache des Glaubens entscheidet“. Man dürfe nicht glauben, daß die Gläubigen nicht wissen könnten, was Inhalt der Tradition sei, wenn sie nicht auf das ordentliche Lehramt des Papstes von heute lauschten, so als litten sie alle an Gedächtnisverlust und könnten sich an das Lehramt von gestern nicht erinnern. Ganz im Gegensatz dazu habe der heilige Paulus klar gelehrt, daß man Neuheiten zurückweisen müsse, die dem widersprächen, „was ihr empfangen habt“ (Gal 1,8-10). Man müsse dem Lehramt aller Zeiten seit dem hl. Petrus treu bleiben und daher die Neuheiten der jüngsten Päpste zurückweisen in dem Maße, als sie sich dem vergangenen und beständigen Lehramt widersetzten. Natürlich fehlt auch nicht der Hinweis auf den heiligen Vinzenz von Lérins und sein „Commonitorium“.
Wir sind dem Schriftgelehrten sehr dankbar für seinen Hinweis auf den heiligen Paulus. Die bewußte Stelle, die von ihm wie von allen Lefebvristen stereotyp immer wieder angeführt wird, lautet so: „Doch wenn selbst wir oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündeten, als wir euch verkündet haben, so sei er verflucht! Wie wir schon sagten, so sage ich nun noch einmal: Wenn jemand euch ein anderes Evangelium verkündet, als ihr empfangen habt, so sei er verflucht!“ (Gal 1,8f). Der heilige Paulus benutzt hier den Begriff „anathema sit“, „er sei im Banne“, der auch vom kirchlichen Lehramt zur Verurteilung von Häresien und Häretikern verwendet wird. Es ist immer wieder erstaunlich, wie man diese Stelle so falsch verstehen kann, daß man daraus schließen will, wenn einer uns Häresien verkünde, könne er immer noch das Lehramt der Kirche sein, wenn wir halt nur aufpassen, was wir von ihm brauchbar finden können und was nicht, während doch der heilige Paulus uns klipp und klar erklärt, „er sei verflucht“, „er sei im Banne“, d.h. er ist aus der Kirche ausgeschlossen! Aber das eben ist das Sonderbare, daß die Lefebvre-Jünger, wenn sie sich erst einmal entschlossen haben, dem Beispiel ihres verehrten Meisters zu folgen, zwar problemlos Mgr. Lefebvre verstehen können, aber nicht mehr die Heilige Schrift, nicht mehr den heiligen Paulus, nicht mehr den heiligen Johannes, nicht mehr den heiligen Augustinus, nicht mehr den heiligen Vinzenz von Lérins, nicht mehr den heiligen Thomas von Aquin... ja nicht mehr Unseren Herrn Jesus Christus und Sein kirchliches Lehramt.
Vielleicht wäre es also doch gut, wenn die Lefebvre-Adepten statt ihrem großen Gründer und Meister lieber wieder Unserem Herrn Jesus Christus anhangen und nachfolgen würden, welcher aufrief: „Wer Mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich, und so folge er Mir nach.“