1. Im November betrachten wir die „Letzten Dinge“: Tod, Gericht, Fegefeuer, Himmel und Hölle. Mit letzteren beiden wollen wir uns hier beschäftigen anhand der Erklärungen, die uns der heilige Thomas von Aquin zum Glaubensbekenntnis gibt. Er schreibt: „Es ist zweckmäßig, an das Ende des Glaubensbekenntnisses das Ziel aller unserer Wünsche, nämlich das ewige Leben, zu setzen; daher heißt es am Schluß: 'Ein ewiges Leben. Amen.'“
2. Es gibt Gegner dieser Wahrheit, solche, die „annehmen, das Dasein der Seele höre mit dem Dasein des Körpers auf“. Jedoch: „Wenn dies wahr wäre, so befände sich der Mensch im gleichen Zustand wie die Tiere.“ Exakt das denken ja die „aufgeklärten“ Evolutionisten unserer Tage. „Die menschliche Seele ist jedoch in ihrer Unsterblichkeit Gott ähnlich, in ihrer Sinnenhaftigkeit aber den Tieren. Wenn also einer glaubt, die Seele sterbe zugleich mit dem Körper, so gibt er die Ähnlichkeit mit Gott auf und wird wie ein Tier.“ Eine Erklärung für den traurigen Zustand vieler heutiger Seelen. Im Buch der Weisheit klagt Gott: „Sie kennen nicht die göttlichen Geheimnisse. Nicht hoffen sie auf einen Lohn für die Gerechtigkeit; nicht schätzen sie die Ehre heiliger Seelen. Zur Unvergänglichkeit schuf Gott den Menschen und machte ihn zu Seines eigenen Wesens Bild“ (Weish 2,22f).
3. Wir wollen nun betrachten, „was das ewige Leben eigentlich ist, und da ist zu sagen, daß es vor allem in vier Dingen besteht“. Erstens besteht das ewige Leben in der „Verbindung des Menschen mit Gott“, denn „Gott selbst ist das Ziel und der Lohn all unserer Mühen“. „Ich selbst bin dein Beschützer und dein übergroßer Lohn“ (Gen 15,1). Gott, das höchste Gut, das Gut aller Güter, was für ein gewaltiger Lohn und Siegespreis! Wir verstehen, warum der heilige Paulus die Korinther ermahnt: „Wißt ihr nicht, daß die Läufer in der Rennbahn zwar alle laufen, jedoch nur einer den Preis erlangt? Lauft so, daß ihr ihn erhaltet! Jeder, der im Wettkampf steht, enthält sich von allem. Diese tun es, um einen vergänglichen Kranz zu empfangen, wir aber um eines unvergänglichen willen“ (1 Kor 9,24f). Der Aquinate weiter: „Diese Vereinigung mit Gott besteht aber in der vollkommenen Schau.“ Wie der heilige Paulus schreibt: „Jetzt sehen wir gleichnishaft, wie in einem Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13,12). Und der Heiland offenbart: „Das aber ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus“ (Joh 17,3).
Zweitens besteht das ewige Leben in „höchstem Lobpreis und in der vollkommenen Erfüllung aller Wünsche“. „Wir werden schauen, lieben und loben“, sagt der heilige Augustinus (De civ. Dei XXII), und der Prophet Isaias: „Freude und Frohlocken finden sich darin, Danksagung und Lobgesang“ (Is 51,3). Der heilige Thomas erklärt: „Dort wird jedem Seligen über alles Erwünschte und Erhoffte hinaus gegeben: in diesem Leben kann nämlich keiner sein Sehnen ganz erfüllen, und auch kein geschaffenes Gut sättigt des Menschen Verlangen. Nur Gott allein sättigt es unendlich, und daher findet es Ruhe nur in Gott. So sagt auch der heilige Augustinus: 'Du hast uns für Dich geschaffen, o Herr, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir' (Conf. 1,1).“ Weil aber nun die Heiligen „in der ewigen Heimat Gott vollkommen besitzen, so ist offenbar, daß dort ihr Sehnen gestillt und von der Herrlichkeit noch übertroffen sein wird“, denn Gott ist immer größer als alles Sehnen und Erwarten und Wünschen des Menschen sein kann. Darum die Worte des Heilands, die der Richter zu den Guten sprechen wird: „Gehe ein in die Freud deines Herrn“ (Mt 25,21). In den Psalmen hören wir: „Ich werde gesättigt, wenn Er erscheint in Seiner Herrlichkeit“ (Ps 16,15), und: „Mit Segen erfüllt Er dein Verlangen“ (Ps 102,5).
„Denn was immer es Erfreuliches gibt, findet sich dort in Überfülle“, fährt der engelgleiche Lehrer fort. „Dort findet sich der höchste und vollkommenste Genuß, nämlich der Genuß an dem höchsten Gut, an Gott.“ „Dann wirst du ob des Allmächtigen überfließen vor Lust“ (Job 22,26). „Sucht einer Ehren, so findet er dort ihren Inbegriff“, denn nicht umsonst heißt es: „Du hast uns zu einem Königtum und zu Priestern gemacht für Gott“ (Off 5,10). „Oder sucht einer Wissenschaft, so findet er dort die vollkommenste, denn die Natur aller Dinge und jegliche Wahrheit werden wir wissen, und alles, was wir haben wollen, werden wir im ewigen Leben besitzen.“ So lesen wir im Buch der Weisheit: „Mit ihr kamen mir alle Güter zugleich“ (Weish 7,11). Und im Buch der Sprüche: „Den Gerechten wird gegeben, was sie begehren“ (Spr 10,24).
Drittens besteht das ewige Leben in „vollkommener Sicherheit“. „In dieser Welt gibt es keine vollkommene Sicherheit, denn je mehr einer hat und je mehr er hervorragt, um so mehr fürchtet er und um so mehr begehrt er. Aber im ewigen Leben gibt es keine Traurigkeit, keine Mühe, keine Furcht.“ „In Fülle wird man genießen und hat kein Unglück zu fürchten“, heißt es im Buch der Sprüche (1,33). Der Heiland ermahnt uns deshalb: „Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie verzehren und wo Diebe einbrechen und stehlen, sondern sammelt euch Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie verzehren und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen“ (Mt 6,19f).
Viertens besteht das ewige Leben in „der frohen Gemeinschaft mit allen Seligen“. „Diese Gemeinschaft wird höchste Freude bedeuten, weil jeder teilhat an den Gütern aller Seligen; denn ein jeder liebt die anderen wie sich selbst und freut sich daher über die Güter der anderen wie über seine eigenen.“ Das ist die wahre und höchste „Gütergemeinschaft“. „Und daher wird die Freude und das Glück des Einzelnen vermehrt nach dem Maß der Freude aller.“ Wie das Sprichwort sagt: Geteiltes Leid ist halbes Leid, doch geteilte Freude ist doppelte Freude. Der Psalmist faßt diese Freude in die Worte: „Wie Frohlockende sind alle, die in Dir wohnen“ (Ps 86,7). Der heilige Thomas schließt diesen Abschnitt: „Dieses also und vieles andere, was sich nicht aussprechen läßt, wird der Besitz der Seligen in der ewigen Heimat sein.“
4. Wie jedoch sieht es auf der anderen Seite aus? „Die Bösen aber, die dem ewigen Tode verfallen, werden nicht weniger an Pein und Strafe haben als die Guten an Freude und Herrlichkeit.“ Auch ihre „übergroße Strafe besteht in viererlei“, da sie in allem sozusagen das Gegenteil des ewigen Lebens darstellt. Erstens besteht sie in der „Trennung von Gott und allen Guten“, der sogenannten „'Strafe des Verlustes' (poena damni), die ihrer Abkehr von Gott entspricht und die größer ist als die 'Strafe der Sinne' (poena sensus)“. Deshalb heißt es in der Heiligen Schrift: „Den unnützen Knecht werfet in die äußerste Finsternis hinaus“ (Mt 25,30). Der Aquinate: „In diesem Leben haben die Bösen innere Verfinsterung, die durch die Sünde hervorgerufen wird; dort werden sie auch äußere Verfinsterung haben.“ Mehrfach verwendet der Heiland in Seinen Gleichnissen das Bild vom Hochzeitsmahl oder Gastmahl, von welchem die Sünder ausgeschlossen sind und in der „Finsternis draußen“ bleiben müssen, wo „Heulen und Zähneknirschen“ ist.
Zweitens besteht die Strafe in „den Gewissensbissen“. Der Heiland spricht eindringlich vom „Wurm“, der „nicht stirbt“ (Mk 9,44.46.48), vor dem auch Isaias schon gewarnt hat, und meint damit das bohrende Gewissen in der Hölle. „Sie werden vor innerer Angst aufseufzen“, heißt es im Buch der Weisheit (5,3), und doch „wird dieses Seufzen und diese Reue nichts nützen, weil ihr Grund nicht der Abscheu vor dem Bösen, sondern der Schmerz der Strafe ist“, gibt der heilige Thomas zu bedenken.
Drittens besteht ihre Strafe in der „Unermeßlichkeit der sinnenhaften Strafe“. „Das Feuer der Hölle, das Seele und Leib peinigen wird, ist eine überaus harte Strafe, wie die Heiligen sagen; die Bösen werden gleichsam ewig Sterbende sein und doch nie sterben können; deshalb wird dies auch der 'ewige Tod' genannt, denn was der zeitliche Tod in diesem Leben bedeutet – die härteste aller irdischen Strafen –, bedeutet die Hölle für die Ewigkeit.“ Der Heiland spricht vom „nie erlöschenden Feuer“ (Mk 9,43), vom „Feuer, das nicht erlischt“ (Mk 9,44.46.48). Wir können ein wenig erahnen, wieso die Kinder in Fatima beim Anblick der Hölle ein solcher Eifer packte, die Seelen der Sünder vor diesem schrecklichen Abgrund zu retten.
Viertens schließlich besteht die Strafe in „der Verzweiflung am Heil“. Die „Strafe wäre gemildert, wenn sie eine Hoffnung auf Befreiung von ihr hätten“, so wie es im Fegefeuer der Fall ist, wo die Seelen den großen Trost haben, nach Beendigung ihres Leidens den Himmel zu erwarten. Nicht so in der Hölle. Diese ist ewig und hört nie auf. „Da ihnen aber alle Hoffnung genommen ist, ist ihre Strafe die allerschwerste.“ So erblickte der heilige Don Bosco bei seiner Vision der Hölle dort die Aufschrift: Hier ist alle Hoffnung dahin, oder: Laß alle Hoffnung fahren.
5. Der Aquinate beschließt seine Erwägungen: „Daraus erhellt, was für ein Unterschied zwischen guten und bösen Taten besteht. Die guten Taten führen hinauf zum Leben, die bösen ziehen hinab zum Tode“, und deshalb „sollten die Menschen sich dies oft in Erinnerung rufen, weil sie dadurch zum Guten bewogen und vom Bösen abgeschreckt würden“. Die Kirche hat deswegen stets gemahnt, oft der Letzten Dinge zu gedenken, da dies ein mächtiger Antrieb ist, ein gutes Leben zu führen und die Sünde zu meiden. „Daher werden auch sinnvoll an den Schluß des Glaubensbekenntnisses die Worte gesetzt: 'Ein ewiges Leben', damit sie sich immer tiefer unserem Gedächtnis einprägen, zu welchem Leben uns führen möge der Herr Jesus Christus, unser Gott, der hochgelobt sei in alle Ewigkeit. Amen.“