Seit dem Amtsantritt von Jorge Mario Bergoglio mühen sich vor allem die halbkonservativen Auchkatholiken ab, des neuartigen Phänomens „Franziskus“ Herr zu werden. Daß freilich dieses Bemühen vergeblich ist, wird einem dann sofort klar, wenn man die allzu kurz greifenden geistigen Grundlagen derselben betrachtet. Wer schon den Modernismus nicht richtig aufgearbeitet hat und darum diesen auch nicht wirklich verstehen kann, wie soll der mit dem Postmodernismus und seinen breit gestreuten Erscheinungsbildern zurechtkommen, wobei der Postmodernismus zumindest in manchen Bereichen noch um einiges anspruchsvoller daherkommt und darum schwerer zu greifen und zu beurteilen ist als der Modernismus? Und Jorge Mario Bergoglio ist ganz gewiß, genauso wie sein Vorgänger, kein Modernist der alten Schule mehr – wenigstens nicht, wenn man über einen ersten, oberflächigen Eindruck hinausgeht. Wer dies übersieht, wird sicherlich seine liebe Not mit ihm haben – und immer an ihm vorbeiurteilen. Zur Zeit beweisen viele der halbkonservativen Auchkatholiken dieses Urteil. Ihre Unfähigkeit, Bergoglio recht einzuschätzen, zeigt sich in so manchen Stilblüten, die momentan über Bergoglio alias Franziskus kreiert werden.
Bergoglio in den Augen der Auchkatholiken
Jorge Mario Bergoglio macht es den halbkonservativen Auchkatholiken auch deswegen besonders schwer, weil er sich von ihnen nicht einfach in ihre Tradi-Schubläden einordnen läßt, oder soll man vielleicht passender sagen, einzwängen läßt. Solch vergeblichen Versuchen entwindet sich Franziskus jeweils mühelos und mit großer Leichtigkeit. Sein Auftreten ist einfach zu bizarr, zu skurril, zu regenbogenfarbenschillernd und unberechenbar – eben Bergoglio.
Wenn da ein halbkonservativer Auchkatholik mit seiner Tradimeßlatte daherkommt, um sie an den ständig sich wandelnden Bergoglio anzulegen, ist leicht vorherzusehen, daß er fehlmißt und deswegen im Nachhinein ständig nachbessern muß, greift doch seine Tradimeßlatte immer zu kurz, niemals erfaßt sie ihn ganz. Aber dieses „nicht ganz“ ist für diese Leute sodann sofort wieder die Beruhigungspille, mit der sich trösten, denn jedem „nicht ganz“ können sie ein erleichtertes „immerhin“ folgen lassen – immerhin hat er dies und das auch noch gesagt, wobei dies und das immerhin noch ein wenig katholisch klingt! Und damit ist der Auchkatholik dann auch schon wieder zufrieden! Ja, im Laufe der Zeit – dieser nun schon so lange währenden Nachkonzilszeit – sind die Auchkatholiken recht anspruchslos geworden. In ihren Augen muß etwas nur noch ein klein wenig katholisch klingen, das reicht ihnen schon, um auch katholisch zu sein. Aber mit mehr würden sie sich in der nachkonziliaren Menschenmachwerkskirche auch nicht mehr zurechtfinden.
Ein Schulbeispiel in dieser Hinsicht ist bei „katholisches.info“ mit dem Artikel „Papst Franziskus: ‚Wind von Pfingsten‘ möge über Bischofssynode wehen, damit sie den ‚Schrei des Volkes‘ hört“ vom 5. Oktober 2014 veröffentlicht worden. Nach einer kurzen Einleitung zum Thema folgt gleich zu Beginn der doch recht merkwürdige Satz: „Daraus ergeben sich zwei Fragen: Was sagte der Papst? Und vor allem: Was meinte der Papst damit genau?“ Immerhin haben diese Auchkatholiken inzwischen bemerkt, daß das, was ihr „Papst“ sagt, nicht unbedingt das sein muß, was er meint, oder vielleicht auch umgekehrt – aber über die Brisanz dieser Aussage geben sie sich natürlich keinerlei Rechenschaft – wobei im Laufe des Textes, wie wir sehen werden, sich dem Leser unwillkürlich die Frage aufdrängt: ob denn unsere Auchkatholiken nun wirklich so genau herausgefunden haben, was Herr Bergoglio nicht nur gesagt, sondern wirklich gemeint hat. Zugegebenermaßen ist das aber auch gar nicht so leicht bei jemanden, der gar nicht sagt, was er meint.
Was also tatsächlich will und denkt Jorge Mario Bergoglio mit seiner Synode in Rom? Gehen wir dem Ganzen einmal inhaltlich auf den Grund.
Zunächst dokumentiert der Artikel anhand der Predigt Jorge Mario Bergoglios beim Pontifikalamt im Petersdom einen durchaus schlüssigen Gedankengang:
1. „Das ist die Aufgabe der Führenden im Volk: den Weinberg mit Freiheit, Kreativität und Fleiß zu pflegen.“
2. „Und um diese Gier zu befriedigen, laden die schlechten Hirten den Menschen unerträgliche Lasten auf die Schultern, die zu tragen sie selber aber keinen Finger rühren (vgl. Mt 23,4).“
3. Dann meinte der Papst an die Synodenväter gerichtet: „Wir sind alle Sünder, und auch für uns kann es die Versuchung geben, aus Gier, die in uns Menschen immer vorhanden ist, den Weinberg ‚an uns zu reißen‘. Der Traum Gottes kollidiert stets mit der Heuchelei einiger seiner Diener. Wir können den Traum Gottes ‚vereiteln‘, wenn wir uns nicht vom Heiligen Geist leiten lassen.“
Es gilt also, den Weinberg mit Freiheit, Kreativität und Fleiß zu pflegen, wobei es besonders wichtig ist, den Menschen keine unerträgliche Lasten auf die Schultern zu laden, weil man dadurch zu einem Heuchler würde, der den Traum Gottes verunmöglicht. Also müssen wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen. Wenn man die vorbereitenden Maßnahmen zur Synode in Erwägung zieht, dann ist das von Bergoglio gewünschte Ergebnis, so meinen wir, leicht erratbar – daß dieses Ergebnis aber vom Heiligen Geist stammen soll, das ist uns jedenfalls ganz neu.
Auch unser Autor wird durch diesen Gedankengang verunsichert und meint deswegen zwischenfragen zu müssen: „Was aber meint Papst Franziskus, wenn er sagt, sich vom ‚Heiligen Geist leiten lassen‘?“ Diese Frage ist sicherlich grundlegend, ja entscheidend. Die Antwort darauf wird nicht an der Sache selbst, sondern mit folgenden Sprachspiel Bergoglios gegeben: „Der Geist schenkt uns die Weisheit, die über das reine Wissen hinausgeht, um großherzig in wahrer Freiheit und demütiger Kreativität zu arbeiten.“
Ist es Ihnen aufgefallen, sind Sie darüber gestolpert, wie Bergoglio hier mit den Begriffen spielt? Was ist hier mit „Weisheit“ gemeint? Was ist eine „Weisheit, die über das reine Wissen hinausgeht“ und was soll dieses „reine Wissen“ eigentlich genau sein? Ja gibt es ein „reines“ Wissen? Kein Begriff in dem Wortspiel hat eine klare Bedeutung, weshalb das, was hier letztlich gemeint ist, das dunkle Geheimnis Bergoglios bleibt. Wenn dieses Vorgehen aber Absicht ist, wenn der Zuhörer gar nicht erfahren soll, was Bergoglio genau und auf den Punkt gebracht meint, wenn dieses bergogliosche postmoderne Sprachspiel dazu dient, die Wahrheit zu umspielen, um sie um so effektiver leugnen und zerstören zu können, dann ist etwas Furchtbares passiert. Was ist, wenn es Bergoglio gar nicht mehr um die Wahrheit geht, weil er schon lange nicht mehr an sie glaubt? Es versteht sich von selbst, daß diese erschreckende Einsicht weit außerhalb der geistigen Reichweite der halbkonservativen Auchkatholiken befindet, denn wie soll diese in eine ihrer Traditiönchenschubladen passen! (Übrigens hatte die Stelle in einer ersten vom Vatikan verbreiteten Übersetzung so gelautet: „Der Geist schenkt uns die Weisheit, die über die Lehre hinausgeht, um großherzig ...“ Sofort gab es Proteste, weshalb „die Lehre“ dann in das „reine Wissen“ umgewandelt wurde. „Und das ist ein großer Unterschied zu der vom Vatikan veröffentlichten falschen deutschen Version. Somit sprach der Papst wie sein Vorgänger, wie der heilige Thomas, wie der heilige Augustinus, wie der heilige Paulus, wie....“, so kommentierte treuherzig ein „Konservativer“.)
Erstaunlicher Weise endet das Gedankenspiel des Artikels hier noch nicht, der Schreiber setzt noch ein Highlight oben drauf, indem er auf die Rede Bergoglios bei der Gebetsvigil auf dem Petersplatz für einen guten Verlauf der Bischofssynode zu sprechen kommt. Folgen wir nochmals aufmerksam den Darlegungen des Autors – oder nein, vielleicht doch gleich besser den Sprachspielen Bergoglios. Dieser sagt also: „Bereits das convenire in unum um den Bischof von Rom ist ein Gnadenereignis, in dem sich die bischöfliche Kollegialität auf einem Weg der geistlichen und pastoralen Urteilsfähigkeit manifestiert.“ Hört sich das nicht toll an, „in dem sich die bischöfliche Kollegialität auf einem Weg der geistlichen und pastoralen Urteilsfähigkeit manifestiert“? – aber wieder einmal gefragt: was heißt es genau und auf den Punkt gebracht? Dieses Wortspiel klingt jedenfalls wortlautgemäß sehr nach dem „2. Vatikanum“, was Jorge Mario Bergoglio damit wirklich sagen will, werden wir aber womöglich niemals erfahren, so ist zu befürchten.
Jorge Mario Bergoglio spricht in dieser Ansprache von drei Gaben – er möchte damit womöglich an die sieben Gaben des Heiligen Geistes anspielen, wobei er jedoch keine dieser Gaben des Heiligen Geistes erwähnt, sondern es vorzieht, ganz neue zu erfinden. Die erste seiner Gaben ist die Gabe des Hörens. Die Synodenväter sollen „auf das Volk hören, bis sie den Willen einatmen, zu dem Gott uns ruft“. Bei Bergoglio hört man, bis man einatmet, wir dachten immer, man hört, bis man versteht.
Aus dieser Gabe des Hörens fließt sodann die „Bereitschaft zu einem ehrlichen, offenen und brüderlichen“ Dialog, „der uns dazu führt, uns mit pastoralem Verantwortungsbewußtsein der Fragen, die dieser Epochenwandel mit sich bringt, anzunehmen. Lassen wir es zu, da sie sich in unser Herz ergießen, ohne je den Frieden zu verlieren, sondern mit der gelassenen Zuversicht, da der Herr zu gegebener Zeit es nicht daran fehlen lassen wird, zur Einheit zurückzuführen. Berichtet uns die Kirchengeschichte, wie wir wissen, nicht vielleicht von vielen ähnlichen Situationen, die unsere Väter mit beharrlicher Geduld und Kreativität zu überwinden wußten?“ Wenn diese Worte kein Sprachspiel erster Güte sind! Sprachspiel, damit ist gemeint: die hohe Kunst, viele, kuriose, Aufmerksamkeit haschende, Geist vernebelnde, möglichst nichtssagende Worte zu machen, nach denen die Leute staunend meinen, wie gebildet und lichtvoll und anrührend dieser gelehrte Herr doch gesprochen hat.
Es ist beinahe schon bewundernswert, nach dieser Kostprobe eines exzellenten Sprachspiels übertrifft Bergoglio sich nochmals selbst, er setzt dem Gesagten noch ein „Geheimnis“ drauf, eine „dritte Gabe“ nämlich, die in einem „Blick“ liege. Denn „wenn wir wirklich unsere Schritte auf dem Boden der heutigen Herausforderungen überprüfen wollen“, so müßten wir den „Blick fest auf Jesus Christus gerichtet“ lassen. „Wenn wir uns seine Art zu denken, zu leben und mit Menschen umzugehen, zu eigen machen, werden wir uns nicht schwertun, die Arbeit der Synode in Hinweise und Wege für die Seelsorge der Person und der Familie zu gießen. Denn jedes Mal, wenn wir zum Ursprung der christlichen Erfahrung zurückkehren, öffnen sich neue und ungeahnte Möglichkeiten.“
Da muß man Bergoglio zweifelsohne Recht geben, seine Sprachspiele eröffnen „neue und ungeahnte Möglichkeiten“ – erschreckend antichristliche Möglichkeiten, nämlich ganz neue „Hinweise und Wege für die Seelsorge der Person und der Familie“. (Vielleicht ist das auch ein Grund, warum auf dieser Synode erstmals Latein nicht mehr die offizielle Sprache ist. Die lateinische Sprache ist zu präzise, um allzu viele Sprachspiele möglich zu machen.) Doch lassen wir dieses Thema beiseite und Jorge Mario Bergoglio sein Spiel zuende spielen, was sich so anhört: „Möge der Wind von Pfingsten über der Synodenarbeit wehen, über der Kirche, über der ganzen Menschheit. Möge er die Knoten lösen, die die Menschen daran hindern, sich zu begegnen. Möge er die blutenden Wunden heilen und die Hoffnung neu entfachen. Es gibt so viele Menschen ohne Hoffnung! Möge er uns jene kreative Liebe schenken, die es möglich macht zu lieben, wie Jesus geliebt hat. Und unsere Verkündigung wird die Lebendigkeit und die Dynamik der ersten Missionare des Evangeliums wiederfinden.“
Da kann man Gott nur darum bitten, all diese konfusen Wünsche nicht zu erfüllen, denn trotz der Sprachspiele kann man erahnen, welche Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes hier herbeigewünscht wird.
Bergoglio in den Augen der Liberalen
Während die halbkonservativen Auchkatholiken der Zeit hinterherhinken und sich verzweifelt damit abmühen herauszufinden, was Bergoglio mit seinen Sprachspielen wirklich meinen könnte, kommen die Liberalen zu echten, recht erstaunlichen Einsichten. Gleichzeitig mit oben erwähnten Artikel erschien unter Welt.de ein interessanter Beitrag mit dem Titel: „Der schwächste Papst aller Zeiten“. Der Autor, Lucas Wiegelmann, geht darin der Frage nach: „Der schwächste Papst aller Zeiten – Oder ist es ein Zeichen der Stärke, dass Franziskus die Bischöfe auf der vatikanischen Familiensynode über Sexualmoral der Kirche beraten lässt?“
Anders als die halbkonservativen Auchkatholiken bemüht sich der Autor, nicht kindisch die Sprachspiele Bergoglios mitzuspielen, sondern zentrale Aussagen herauszukristallisieren, anhand derer man erkennen kann, was nun eigentlich wirklich hinter diesen Sprachspielen steckt. Lucas Wiegelmann stellt fest: „Einer der bemerkenswertesten Sätze, die Papst Franziskus in seiner Schrift 'Evangelii gaudium' formuliert hat, beschäftigt sich mit der Ohnmacht des Vatikans. Franziskus schreibt: 'Ich weiß sehr wohl, dass heute die Dokumente nicht dasselbe Interesse wecken wie zu anderen Zeiten und schnell vergessen werden.'“
Es folgt eine Einsicht, die das Wesen der nachkonziliaren Kirche recht gut wiedergibt: „Das Oberhaupt einer der größten Religionsgemeinschaften der Welt hält fest, dass die Lehrdokumente seiner Behörde kaum noch Wirkung auf die Gläubigen besitzen. Als sei das ganz selbstverständlich.“ Diese Verwunderung ist nicht ganz zu verstehen, denn im Rahmen der Menschenmachwerkskirche des „2. Vatikanums“ ist gerade dies selbstverständlich, denn in der auf dem Konzil neu konstiuierten „Kirche“ gibt es im Grunde keine verbindlichen Lehrdokumente mehr, sondern nur noch Vorschläge, wie man dies oder jenes sehen könnte. Daß sich die Konzils- und Nachkonzils“päpste“ in der ersten Phase nach dem Konzil an diese Neuerung selbst nicht gehalten haben, gehört ganz einfach zum revolutionären Verwirrspiel. Heute kann Franziskus darüber ruhig offen sprechen, denn das Eigentliche ist schon geschehen und die meisten wissen gar nicht mehr, wie es eigentlich sein soll.
An diesem Punkt sieht man, daß den Liberalen genauso wie den halbkonservativen Auchkatholiken das geistige und dogmatische Rüstzeug fehlt, diese grundlegenden, wesentlichen Veränderungen richtig und treffend zu beurteilen. Das hindert sie jedoch nicht, anders als die Halbkonservativen Auchkatholiken, wenigstens das Phänomen der Wirklichkeit entsprechend wahrzunehmen und richtig zu deuten: „Kirchenhistorisch gesehen erlebt das alte Papsttum derzeit eine Krise. Und niemand scheint das mehr zu begrüßen als der Papst selbst.“
Darum geht es offensichtlich in dieser Phase des Umbruchs: das „alte Papsttum“ muß nun endgültig zu Grabe getragen werden, d.h. die letzten noch stehenden Fassadenteile dieses alten Papsttums werden jetzt auch noch eingerissen und beseitigt. Was unbegreiflicher Weise noch nicht ins Blickfeld unseres Autors gekommen ist, ist: Das alte Papsttum gibt es gar nicht mehr, weil schon auf dem „2. Vatikanum“ ganz gezielt und systematisch ein neues „Papsttum“ kreiert wurde, das man in der Folgezeit Schritt für Schritt in die Tat umsetzte. Der eigentliche Sinn des Petrusamtes, wie die moderne Sprachregelung hieß und z.T. noch heißt, war aber seit dem „2. Vatikanum“ grundsätzlich schon pervertiert, dieses war nicht mehr dazu da, die von Gott gestiftete Kirche durch die Wirrnisse der Zeit ohne Schaden am Glauben und den Sitten zu leiten, sondern im Gegenteil, sie der modernen Welt anzugleichen, also den modernen Irrtümern und dem moralischen Verfall gegenüber aufzuweichen und preiszugeben. Nur nicht verurteilen, so hieß es, nur nicht die Wahrheit sagen, nur nichts verlangen!
Seit dem Amtsantritt Jorge Mario Bergoglios wird es ganz und gar offenbar: „Das lehramtliche Machtvakuum an der Spitze der Kirche ist theologisch gewollt.“ Das ist eine Umschreibung dessen, was wir die papstlose Zeit zu nennen pflegen, denn dies ist doch wohl die notwendige und einzig mögliche Folge dieses theologischen Willens der Spitze der Kirche, keinerlei lehramtliche Macht mehr einzufordern, sie verliert damit ihr Amt. Letztlich wollen die Herren in Rom schon lange nicht mehr „Papst“ sein, wenn man mit diesem „Papst sein“ jemanden meint, der gemäß der katholischen Theologie des Papsttums sein Amt auszuüben bereit ist. Das neue „Papsttum“ hat mit dem alten nichts mehr zu tun, es ist nur eine Nachäffung desselben und diese Nachäffung degeneriert notwendigerweise im Laufe der Jahre immer mehr zur Karikatur. Das Ziel des lehramtlichen Machtvakuums ist: „Es soll dem Volk – den Priestern und Laien – einen größeren Handlungsspielraum öffnen.“ Mit „Handlungsspielraum“ ist hier nichts anderes gemeint als die Einforderung der modernen Freiheit, also der Freiheit zum Irrtum und zur Sünde.
Den kirchengeschichtlichen Vergleich, der an dieser Stelle im Sinne der modernistischen Interpretation einer Entwicklung hin zum Papsttum gemacht wird, übergehen wir hier einfach und leiten gleich zu den folgenden Gedanken über: „Damit der Spielraum noch besser genutzt werden kann, hat Papst Franziskus wichtige theologische und strukturelle Voraussetzungen geschaffen. Zu ersteren gehört seine Entscheidung, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte 'Hierarchie der Wahrheiten' zum Leitgedanken katholischer Verkündigung zu machen.“ Nochmals eine sehr treffende Feststellung. Das „2. Vatikanum“ hat mit diesem Sprachspiel von der „Hierarchie der Wahrheiten“ die Basis für den modernistischen Pluralismus der Meinungen innerhalb der neuen Kirche geschaffen. Gleichzeitig ist es damit möglich, diejenigen Katholiken hinters Licht zu führen, die dieses sprachliche Verwirrspiel nicht sofort durchschauen. Denn auf den ersten Blick scheint es doch unmittelbar einleuchtend zu sein, es gibt wichtigere und weniger wichtigere Wahrheiten. Das wird doch niemand bestreiten, oder etwa doch?
Damit man dieses Verwirrspiel der Modernisten durchschaut, muß man – wie könnte es anders sein, erkennen heißt immer unterscheiden – genauer hinschauen und unterscheiden. Natürlich kann es für das tägliche Leben wichtigere (= das Leben öfter und grundlegender betreffende) und unwichtigere (= im täglichen Leben kaum zu bemerkende) Wahrheiten geben. Das hat aber mit der Wahrheit als Wahrheit nichts zu tun und die Folge davon ist durchaus nicht, daß es eine Hierarchie der Wahrheiten gäbe, sondern die Folge davon ist nur, daß es fürs Leben wichtigere und weniger wichtigere Wahrheit gibt – was sich aber auch je nach Lebenssituation schlagartig ändern kann, denn Wahrheit bleibt immer Wahrheit und Irrtum immer Irrtum, ganz unabhängig vom Leben oder Umständen. Wahrheit verpflichtet immer ganz.
Lassen wir uns nach dieser Klärung des eigentlichen Sachverhalts das Ganze nochmals von unserem Autor erklären: „Die Idee besagt sinngemäß, dass es wichtige und nicht ganz so wichtige Lehren gibt. Die großen Versprechen des Christentums wie die Nähe Gottes, die Vergebung der Sünden oder die Auferstehung sind demnach für einen Katholiken vorrangig gegenüber moralischen Detailfragen wie dem Kondomverbot. Das eröffnet Diskussionsmöglichkeiten.“ Das muß man wirklich zugeben, bei einer solchen Sicht der Dinge kommt plötzlich Bewegung ins Spiel – Wahrheiten, die vorher unverrückbar schienen, werden plötzlich diskutierbar. Wir erinnern uns vielleicht noch an die zweite von Bergoglio genannte „Gabe“, die er den Teilnehmern der Synode wünscht, den Dialog. So ein Dialog eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, Möglichkeiten, die es früher – zur Zeit des alten Papsttums – nicht gab. Denn der Dialog macht die „Wahrheit“ anpassungsfähig, weil er eine Wahrheit – diesmal ohne Anführungszeichen – nicht mehr kennt und anerkennt. Im Dialog gibt es nur noch Wahrheiten in der Mehrzahl, denn das Eigentliche der Wahrheit, ihre Einheit und absolute Geltung, wurde inzwischen stillschweigend eliminiert. Aus diesem Grunde kann man die Meinung des Autors, daß damit „die Unauflöslichkeit der Ehe unangetastet bleibt“, doch nur noch als ein bloßes Wunschdenken bezeichnen – oder als gutwillige liberale Fehlinterpretation.
Seine Schlußfolgerung ist aber dennoch nochmals völlig zutreffend: „So lässt sich Traditionalismus in Kernfragen mit Pragmatismus beim Kleingedruckten verbinden.“ Die sprachliche Formulierung der Schlußfolgerung beweist uns, wie ansteckend Sprachspiele sind, denn der Autor sagt mit seiner Wortwahl viel mehr als er womöglich sagen will. Er setzt nämlich nicht einfach Lehre und Praxis gegenüber, sondern „Traditionalismus“ und „Pragmatismus“ – was doch unwillkürlich gewisse Assoziationen wachruft, gibt es schließlich eine nicht gerade geringe Zahl von sog. Traditionalisten, die inzwischen ihren Glauben einem Pragmatismus geopfert haben, worauf wir noch zurückkommen werden.
Unser Autor kommt sodann nochmals auf Bergoglio zu sprechen, der in seinem Schreiben „Evangelii Gaudium“ meint: „Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen.“ Bisher waren wir immer der Ansicht, daß eine Zentralisierung (was daran übertrieben sein soll, das ist wieder eines der Geheimnisse des Bergoglio – oder auch einfach nur ein weiteres Sprachspiel) vereinfache das Leben der Kirche, weil nur eine lehrmäßige Zentralisierung es vereinheitlichen kann, also fähig ist, in dem allgemeinen Chaos Einheit zu schaffen. Bergoglio ist wieder einmal anderer Meinung, weshalb er alle einlädt, „wagemutig und kreativ zu sein in dieser Aufgabe, die Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungsmethoden der eigenen Gemeinden zu überdenken.“ Und genau das soll zur Zeit in Rom im Rahmen der Synode wagemutig und kreativ geschehen.
Lassen wir abschließend den Autor noch sein Resümee ziehen: „Im selbst gewählten Niedergang des päpstlichen Einflusses, der mehr Kollegialität, Mitbestimmung und Subsidiarität ermöglichen soll, spiegelt sich die Logik des Evangeliums: 'Der Größte von euch soll euer Diener sein' (Mt 23,11). Geht der Prozess weiter, könnte sich der Heilige Stuhl aus bestimmten Diskussionen eines Tages ganz zurückziehen. Franziskus hat schon einmal angedeutet, dass nicht alle Details des Katholizismus von Rom geregelt werden müssten. Das hieße auf Dauer wohl: weniger Dokumente aus Rom. Aber die werden ja sowieso rasch vergessen, sagt der Papst.“ Dieser leider verfehlte Schluß dokumentiert uns, daß einem Liberalen das Wesen der Kirche und des Papsttums verborgen ist und bleibt. Die entscheidende Einsicht, in der Kirche Gottes geht es nicht um Diskussionen, sondern es geht um die göttliche Wahrheit und daraus folgend das Heil der Seelen, bleibt dem Liberalen unzugänglich.
Daß der Autor des Artikels aus „Die Welt“ zu dieser Einsicht keinen Zugang mehr hat, liegt jedoch nicht an ihm, sondern an der modernen „Kirche“. Wenn etwa ein Dogmatiker wie Jan-Heiner Tück im Gespräch mit „religion.ORF.at“ sagen kann: „Das Lehramt erwartet natürlich eine gewisse wohlwollende Aufnahme seiner Aussagen, Dissens ist aber durchaus möglich und heute angesichts des Pluralismus in der Kirche fast unumgänglich.“ Und: Pluralismus sei durchaus legitim „so lange die Grundfesten des Glaubens nicht berührt werden. Rom kann zwar mit ‚ex cathedra‘-Entscheidungen eine Art hermeneutische Punktsetzung vornehmen, angesichts der Pluralität, die heute in der Kirche herrscht, muss man aber damit rechnen, dass es in der Theologie immer auch andere Meinungen geben kann“ – dann ist Lucas Wiegelmann durchaus entschuldbar, denn dasselbe sagen nicht nur viele andere moderne Theologen, sondern ebenso viele Würdenträger in dieser Menschenmachwerkskirche auch.
Wir Antimodernisten dagegen wissen noch, beides, die göttliche Wahrheit und daraus folgend das Heil der Seelen, hat Gott dem Lehramt der Kirche unverbrüchlich anvertraut, also zunächst und vor allem dem Stellvertreter Jesu Christi, dem Papst. Darum ist „Die Geschichte einer bewussten Selbstentmachtung“ wie Lucas Wiegelmann in seiner Überschrift anmerkt, keine Geschichte von Päpsten der katholischen Kirche, sondern die Geschichte von Okkupanten und Pseudopäpsten.
Nachtrag
Daß auch Traditionalisten sich mehr und mehr in Sprachspielen verwirren, das wird wohl nur den aufmerksameren Lesern aufgefallen sein. Dennoch ist dies eine leider kaum beachtete und ernst genommene Tatsache. Der Generalobere der „Piusbrüder“ etwa, Mgr. Fellay, hat nach seinem Treffen mit Kardinal Müller in einem Interview Rede und Antwort gestanden und folgenden ganz und gar beachtlichen Satz formuliert, der gekonnt alles, was Exzellenz in den letzten 15 Jahren gesagt hat, zusammenfaßt und eindeutig auf den Punkt bringt: „Ja und nein, je nach Gesichts- oder Standpunkt.“ Diese luzide Aussage durchspielt Mgr. Fellay nun schon ein und ein halbes Jahrzehnt in zahlreichen Variationen, in unzähligen, langatmigen, endlos widersprüchlichen Vorträgen und Predigen – und ein Großteil seiner Anhänger hört ihm immer noch andächtig zu, oder tut wenigstens so als ob. Dabei könnte er, anstatt etwa zwei und eine viertel Stunde quälend langweilig zu reden, was so manchem Priester aus dem deutschsprachigen Raum noch leidvoll in Erinnerung sein dürfte, alles so griffig in einem einzigen Satz sagen: „Ja und nein, je nach Gesichts- oder Standpunkt.“ Wenn das kein Kuriosum ist!
Eines muß dem der Vollständigkeit halber noch hinzugefügt werden: Verglichen mit dem immer noch mit einem kanonischen Mangel behafteten Chef der „Piusbrüder“ aus Menzingen ist Bergoglio doch um einiges spielfreudiger, spielfündiger und spielgewandter. Da sind ganz einfach Welten dazwischen – und der Mann in Rom weiß das auch, so ist wenigstens mit nicht gerade geringer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, und er wird dementsprechend sein Spiel spielen.