Aus historischem Interesse bringen wir hier unseren Beitrag von vor sieben Jahren zum Motu proprio "Summorum Pontificum".
1. Nun ist es also geschehen, an jenem symbolträchtigen, geradezu biblischen Datum, dem 07.07.07: Die Apokalypse, die Parusie ist eingetreten, das "Motu aller Proprios", es ist endlich erschienen, die „alte Messe“ ist „freigegeben“! Die „Petrusbruderschaft“ begrüßt freudig „aus ganzem Herzen mit großer Dankbarkeit die schon lange erhoffte Veröffentlichung des Motu Proprios 'Summorum Pontificum' unseres Heiligen Vaters Benedikt XVI., das die erweiterte Zulassung der überlieferten Liturgie regeln soll“. „Mit besonderer Freude erfüllt“ sie dabei nach den Worten ihres Distriktoberen „die hierin erfolgte Klarstellung über den bedeutenden Platz, den das Missale des seligen Johannes XXIII. im Leben der Kirche einnimmt“. Benedikt XVI. habe „die tridentinische Messe wieder in ihre Rechte eingesetzt“, so jubelt der Generalobere der „Piusbruderschaft“ und freut sich, „daß die Kirche so ihre liturgische Tradition wiederfindet“. Im Namen seiner Gemeinschaft spricht er „für diese große geistige Wohltat“ „dem Obersten Hirten ihre innige Dankbarkeit aus“. „Mit großer Freude und Dankbarkeit“ begrüßen auch „die in den katholischen Vereinigungen Pro Missa Tridentina, Una Voce Deutschland und Pro Sancta Ecclesia zusammengeschlossenen traditionsverbundenen Gläubigen“ das weltbewegende Ereignis. Es sei dies „ein historischer Wendepunkt in der nachkonziliaren Entwicklung“. Der „seit vielen Jahrhunderten gefeierte klassische römische Ritus“ werde „als außerordentliche Form des römischen Ritus anerkannt“ und erhalte „damit endlich nach mehr als 35 Jahren der de-facto-Abschaffung wieder seinen festen Platz in der Kirche zurück“.
Etwas betroffen stehen wir neben dieser geradezu bacchantischen Welle der Euphorie und fragen uns erschrocken, welchem Rauschtrank diese „Traditionsvertreter“ wohl zugesprochen haben. „Auch diese da schwanken vom Wein, sie taumeln vom Rauschtrank; Priester und Propheten schwanken vom Rauschtrank, sind überwältigt vom Wein; sie taumeln vom Rauschtrank, schwanken bei der Schau, wanken beim Schiedsspruch“ (Is 28,7). Oder wie anders ist eine solche Blindheit und Verblendung noch zu erklären? Denn sehen wir nüchtern auf den Befund, so müssen wir feststellen, daß nichts, aber auch gar nichts, eine solche Begeisterung und einen solchen Jubel rechtfertigen kann. Das in Rede stehende Dokument Benedikts XVI. schreibt im wesentlichen nur die Linie seiner Vorgängerdokumente fort, jenes unseligen „Indultes“ von Johannes Paul II. aus dem Jahr 1984 und des noch unseligeren Motu proprio „Ecclesia Dei“ von 1988. Und in dem, worin es darüber hinausgeht, liegt letztlich wahrhaft kein Grund zur Freude, wie wir bald sehen werden.
2. Welche „Freiheiten“ wird die „alte Messe“ - pardon: die „außerordentliche Form“ des „einen römischen Ritus“, wie sie nunmehr heißt, oder auch „Messe des seligen Johannes XXIII.“ - also fortan genießen? In den „Messen ohne Volk“ werden die Priester sie feiern dürfen, „und zwar an jedem Tag mit Ausnahme des Triduum Sacrum“. Und dafür braucht der Priester noch nicht einmal eine Erlaubnis, „weder vom Apostolischen Stuhl noch von seinem Ordinarius“ (das gilt übrigens bei jedweder Privatzelebration „nach dem einen oder dem anderen Meßbuch“, sodaß also auch ein Priester beispielsweise der „Petrusbruderschaft“ keine Erlaubnis braucht, um „privat“ die „ordentliche Form“ zu verwenden). An diesen „Messen ohne Volk“ dürfen „entsprechend dem Recht auch Christgläubige zugelassen werden, die aus eigenem Antrieb darum bitten“, sodaß aus diesen „Messen ohne Volk“ merkwürdigerweise dann doch wieder Messen mit Volk werden, aber privat, im Hinterstübchen, ein erlauchter Kreis, ein verschworener Cercle. Welch ein Fortschritt!
Auch sonst gehen die Bestimmungen, jedenfalls in bezug auf die Messe, kaum über das hinaus, was bereits bisher auf der Grundlage des „Indult“ möglich war. In den Pfarreien darf an Werktagen und höchstens einmal am Sonntag eine Messe in der „außerordentlichen Form“ gefeiert werden, aber nur, „wo eine Gruppe von Gläubigen, die der früheren Liturgie anhängen, dauerhaft existiert“. Außerdem ist selbstredend „darauf zu achten, daß das Wohl dieser Gläubigen harmonisch in Einklang gebracht wird mit der ordentlichen Hirtensorge für die Pfarrei, unter der Leitung des Bischofs nach der Norm des Canon 392, wobei Zwietracht zu vermeiden und die Einheit der ganzen Kirche zu fördern ist“. Zwar hat der Pfarrer „Gläubigen oder Priestern, die darum bitten“, auch „zu besonderen Gelegenheiten Feiern in dieser außerordentlichen Form zu gestatten, so zum Beispiel bei der Trauung, bei der Begräbnisfeier oder bei situationsbedingten Feiern, wie etwa Wallfahrten“. Jedoch müssen die „Priester, die das Meßbuch des seligen Johannes XXIII. gebrauchen“, dazu „geeignet und dürfen nicht von Rechts wegen gehindert sein“. Somit sind etwa die Priester der „Piusbruderschaft“ - die ja „offiziell“ als zumindest suspendiert gelten - von diesen großzügigen Gnadengeschenken wiederum ausgenommen, zumal der Begleitbrief Benedikts XVI. zu seinem Motu proprio präzisiert, daß „die Priester, die den Gemeinschaften des alten Usus zugehören, selbstverständlich die Zelebration nach den neuen liturgischen Büchern im Prinzip nicht ausschließen“ dürfen (das gilt dann wohl auch für die Herren von der „Petrusbruderschaft“ oder die von den feinen „Instituten“). Damit sind wir wieder bei den alten Einschränkungen des „Indult“, der ebenfalls seine Privilegien nur denjenigen Priestern zukommen lassen wollte, die den „erneuerten Ritus“ nicht etwa grundsätzlich ablehnen.
Unterm Strich wird sich bei all den Unklarheiten und Fußangeln dieses Dokuments an der bisherigen Praxis wenig ändern. Der in Sachen „klassische Liturgie“ sehr engagierte emeritierte Philosophieprofessor und Papst-Vertraute Robert Spaemann erklärte gegenüber der Zeitung „Welt“: „Es werden Probleme bleiben, die das Motu Proprio nicht lösen kann, weil sie tatsächlich weiter vom guten Willen der Bischöfe abhängen. Das Motu Proprio geht als Normalfall davon aus, dass sich innerhalb der Pfarreien 'stabile Gruppen' bilden, die um die Alte Messe bitten. Wie soll sich aber eine stabile Gruppe bilden, wenn noch nicht existiert, was die Gruppe stabilisieren kann, nämlich die Feier der alten Messe. Bis jetzt zeigt die Erfahrung, dass solche Gruppen überpfarrlich sind. Es schließen sich Menschen aus verschiedenen Pfarreien mit dieser Bitte zusammen. Das Motu Proprio sieht das vor und spricht davon, dass der Bischof auch Personalgemeinden einrichten kann. Das ist es, was wir jetzt im Wesentlichen haben. Dort, wo die alte Messe existiert, wird das wohl auch die Lösung der Zukunft sein. Was im Motu Proprio als Normalfall erscheint, bleibt eher Ausnahme.“
Damit dürfte er recht haben. Der Bischof von Würzburg hat bereits an seine Priester geschrieben, daß eine tridentinische Messe auch ohne Gemeinde „nur in Ausnahmefällen“ gefeiert werden soll, daß dafür keine „Meßfeier mit der Gemeinde ausfallen“ darf und daß „sicher nicht alle Priester des Bistums Würzburg“ für diese Aufgabe in Frage kämen. Erzbischof Zollitsch von Freiburg betont in einem Brief an seine „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, die „Feier der Heiligen Messe in und mit Gemeinde“ werde „wie bisher in der 'ordentlichen Form' geschehen, d. h. in der gewohnten Weise nach dem nach der Liturgiereform erneuerten Messbuch“. „Darauf lege ich großen Wert“, so der Erzbischof. „Den Gläubigen ist diese Form durch die letzten Jahrzehnte vertraut, und die meisten haben sie schätzen gelernt.“ Der Augsburger Bischof Mixa hat erklärt, daß die bereits jetzt in seinem Bistum exisitierenden drei Indultmessen den Vorschriften des Motu proprio durchaus genügen und allenfalls um eine vierte erweitert werden sollen. Die „außerordentliche Form“ wird und soll außerordentlich bleiben.
Es bleibt also im Prinizp alles beim alten. Von einer „klaren rechtlichen Regelung“, wie im Begleitbrief behauptet, kann keine Rede sein. Auch Erzbischof Zollitsch stellt fest, daß „einige Fragen offen“ bleiben, „wie z. B., was geschieht, wenn ein Priester sich nicht in der Lage sieht, entsprechend den Bitten von Gläubigen die Heilige Messe nach dem Römischen Messbuch von 1962 zu feiern? Oder, ab welcher Größenordnung ist eine Gruppe von Gläubigen, die der früheren Liturgie anhängen, gegeben? Oder, was heißt das, dass eine solche Gruppe 'dauerhaft existiert'.“ Letztlich bleibt es doch wieder den Bischöfen überlassen, wie sie die Dinge handhaben wollen. Daran wird auch die päpstliche Kommission „Ecclesia Dei“ nichts ändern, die „die Autorität des Heiligen Stuhls ausüben“ soll, „indem sie über die Beachtung und Anwendung dieser Anordnungen wacht“. Wenn man weiß, mit welchem Einsatz und Mut diese Kommission ihr Wächteramt in den letzten zwei Jahrzehnten gegenüber den traditionsfeindlichen Bischöfen ausgeübt hat, wird man wenig Hoffnung haben können.
3. „Die Päpstliche Kommission 'Ecclesia Dei', die von Johannes Paul II. im Jahr 1988 errichtet wurde, fährt fort mit der Erfüllung ihrer Aufgabe“, heißt es in Artikel 11 des Dokuments. Damit ist die Kontinuität mit jenem Motu proprio Johannes Pauls II., dem besagte Kommission ihren Namen verdankt, hergestellt. Wie wir bereits in einem früheren Beitrag gesehen haben, versucht jenes Dokument von vor 19 Jahren das „Schisma“ von 1988 zu überwinden, d.h. die letzten antimodernistischen und katholischen Gläubigen und Priester in jene „Ecclesia Dei“ zu überführen, die wir als die evolutionistische und ökumenistische „Kirche“ des pantheistischen „Gottes“ kennengelernt haben. Dazu wurde ein „Fahrplan“ aufgestellt, der drei Etappen umfaßt: Es soll, so sagten wir, zum einen der allzu rasante und einseitige progressistische Kurs gebremst und gemäßigt werden, es soll das „konservative“ Element wieder mehr Raum und Betonung finden; es soll sodann zweitens eine falsche „Kontinuität“ zwischen der „vorkonziliaren“ und der konziliaren Kirche hergestellt oder vorgetäuscht werden. Drittens wird den Katholiken, die zur Treue entschlossen sind, die Alternative von „Zuckerbrot und Peitsche“ vor Augen gehalten, d.h. man macht ihnen verlockende Angebote, aber nur unter der Voraussetzung, daß sie die Prinzipien der „Ecclesia Dei“ annehmen und sich dieser unterwerfen; andernfalls droht eben die „Peitsche“ der rechtlichen Folgen wie Suspension, Exkommunikation etc.
Es fällt nicht schwer, diese drei Punkte in unserem Motu aller Proprios wiederzufinden – wie übrigens bereits vorhergesagt. In seinem Begleitschreiben spricht Benedikt XVI. von „kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie“, die sich nach dem „II. Vatikanum“ angeblich in Folge einer falsch verstandenen Liturgiereform durch „eigenmächtige“ Abweichungen eingestellt haben, indem „das neue Missale vielerorts nicht seiner Ordnung getreu gefeiert“ wurde. Demgegenüber wollte schon Johannes Paul II. den „gerechtfertigten Wünschen“ solcher Gläubiger entgegenkommen, die „um diesen Usus des Römischen Ritus baten“, d.h. um die Feier der Messe des heiligen Pius V., pardon: des „seligen Johannes XXIII..“. Dies sei nun umso mehr notwendig, als „in manchen Gegenden durchaus nicht wenige Gläubige den früheren liturgischen Formen“ mit „großer Liebe und Empfindung“ anhingen und „dies weiterhin“ tun, und obendrein „sich inzwischen gezeigt“ habe, daß auch „junge Menschen diese liturgische Form entdecken, sich von ihr angezogen fühlen und hier eine ihnen besonders gemäße Form der Begegnung mit dem Mysterium der heiligen Eucharistie finden“.
Der „Vatikanexperte“ Ludwig Ring-Eifel sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk u.a., das Motu proprio werde „vielleicht Auswirkungen dann auch auf die moderne Form haben, dass man dann sagt, na ja, vielleicht konnte man die moderne Form ja auch wieder etwas würdiger, etwas heiliger, etwas anspruchsvoller gestalten und nicht so, wie es in manchen Gemeinden leider hier und da auch eingerissen ist“. Und: „Es gibt ... da unterschiedliche Geschmäcker, und in sofern hat die Zeitung schon Recht, die neulich titelte, der Papst erlaubt jetzt mehr Möglichkeiten. Es gibt eine größere Pluralität, nur dass eben diese Pluralität auch mal in Richtung auf die Konservativen geht.“ Wie wir schon sagten, es soll der allzu rasante und einseitige progressistische Kurs gebremst und gemäßigt werden und das „konservative“ Element wieder mehr Raum und Betonung finden.
Die falsche Kontinuität wird vorgespiegelt durch die geradezu unverfrorene Lüge, es handle sich lediglich um „zwei Ausdrucksformen“ der einen „lex orandi“. Die Messe Unseres Herrn Jesus Christus, die Messe des heiligen Petrus und des heiligen Pius V., sowie die Pseudomesse Pauls VI., die Aftermesse Annibale Bugninis seien „zwei Anwendungsformen des einen Römischen Ritus“! Es sei „nicht angebracht, von diesen beiden Fassungen des Römischen Meßbuchs als von 'zwei Riten' zu sprechen“, wie es im Begleitbrief heißt. Es handle sich „vielmehr um einen zweifachen Usus ein und desselben Ritus“, die „ordentliche“ und die „außerordentliche“ Form. „Es gibt keinen Widerspruch zwischen der einen und der anderen Ausgabe des Missale Romanum.“ Und dazu haben die „Vertreter der Tradition“ noch applaudiert! Eine größere Schmach könnte man der wahren heiligen Messe kaum antun! Umso unverständlicher der „traditionalistische“ Jubel, sie sei nun „in ihre Rechte wieder eingesetzt“ worden!
Als „Zuckerbrot“ locken nun jene großartigen Angebote, die wir oben schon gesehen haben. Doch wer in ihren Genuß gelangen will, darf natürlich „nicht von Rechts wegen gehindert sein“ (etwa durch „Schisma und Exkommunikation“?). Noch präziser im Begleitbrief: „Um die volle communio zu leben, können die Priester, die den Gemeinschaften des alten Usus zugehören, selbstverständlich die Zelebration nach den neuen liturgischen Büchern im Prinzip nicht ausschließen. Ein völliger Ausschluß wäre nämlich nicht in Übereinstimmung mit der Anerkennung des Wertes und der Heiligkeit des Ritus in seiner erneuerten Form.“ Wer also die „ordentliche Form“ des „einen Ritus“ in ihrem „Wert“ und ihrer „Heiligkeit“ (NB: hier ist von der „Neuen Messe“ die Rede!) nicht anerkennt, befindet sich logischerweise nicht in der „vollen communio“, er ist im „Schisma“ und verfällt der „Exkommunikation“.
In seinem Begleitbrief macht Papst Benedikt auch keinerlei Hehl daraus, worum es ihm letztlich geht: um die „Heilung“ gewisser „Spaltungen“, insbesondere mit der „von Erzbischof Lefebvre angeführten Bewegung“. Denn bereits im Jahr 1988 hatte Johannes Paul II. „besonders auch der 'Priester-Bruderschaft des heiligen Pius X.' helfen wollen, wieder die volle Einheit mit dem Nachfolger Petri zu finden, und hatte so eine immer schmerzlicher empfundene Wunde in der Kirche zu heilen versucht“. „Diese Versöhnung ist bislang leider nicht geglückt.“ Es ist also ganz klar, was das neue Motu proprio will, und daß es genau dort angeknüpft, wo das Vorgänger-Motu – nicht ganz – erfolglos geendet hat. Es geht darum, „alle Anstrengungen zu unternehmen, um all denen das Verbleiben in der Einheit oder das neue Finden zu ihr zu ermöglichen, die wirklich Sehnsucht nach Einheit tragen“, also nach wie vor um die Überführung der hartnäckigsten unter den Traditionalisten in die „Ecclesia Dei“, und zwar mit exakt den vor 19 Jahren bereits angegebenen Mitteln.
4. Das eigentlich Neue und Bahnbrechende, das so begeisterte Reaktionen auf „traditionalistischer“ Seite geweckt hat, ist die Aussage des Motu aller Proprios, daß die „vom seligen Johannes XXIII.“ promulgierte „außerordentliche Form“ des römischen Ritus „niemals abgeschafft“ worden ist. Im Begleitbrief Benedikts wird noch einmal ausdrücklich festgehalten, „daß dieses Missale nie rechtlich abrogiert wurde und insofern im Prinzip immer zugelassen blieb“.
Nun ist das zwar eine Binsenweisheit, die bereits durch die Bulle „Quo primum“ des heiligen Papstes Pius V. unmißverständlich, unfehlbar und unveränderlich festgeschrieben worden ist und seither so unablässig und von so vielen Päpsten wiederholt wurde, daß es wahrhaftig keines Motu proprio eines Benedikt XVI. bedurft hätte, sie erneut ins Gedächtnis zu rufen, daß nämlich dieses Missale gar nicht abgeschafft werden kann und „im Prinzip immer zugelassen“ bleibt und bleiben wird. Aber es ist immerhin bemerkenswert, daß nach 45 Jahren das „konziliare“ Rom erstmals diese Wahrheit offiziell zugibt. Daher die Freude der „Traditionalisten“, ihr Jubel, daß nunmehr endlich der tridentinischen Messe Gerechtigkeit widerfahre, ja daß sie „in ihre Rechte wieder eingesetzt“ worden sei. Doch ist das wirklich so? Was steckt in Wirklichkeit hinter dieser Aussage?
Wir dürfen nie vergessen, daß wir es zwar physisch mit einem einzigen Rom zu tun haben, moralisch jedoch mit deren zwei: dem „katholischen Rom, der Hüterin des katholischen Glaubens und der für die Erhaltung dieses Glaubens notwendigen Traditionen“, dem „Ewigen Rom, der Lehrerin der Weisheit und Wahrheit“, wie Erzbischof Lefebvre es in seiner berühmten Erklärung von 1974 formulierte, und andererseits mit dem „Rom der neo-modernistischen und neo-protestantischen Tendenz“, dem „konziliaren“ Rom, wie wir es nennen können. Das katholische, das Ewige Rom, hat stets an seiner heiligen, überlieferten römischen Messe festgehalten, wie sie vom heiligen Pius V. kanonisiert worden ist. Das „konziliare“ Rom hat sie durch eine menschengemachte „neue Messe“ ersetzt. Somit wurden die beiden Messen jeweils zum Kennzeichen für das eine wie für das andere Rom. Jetzt aber bemächtigt sich das „konziliare“ Rom der überlieferten, wahren heiligen Messe und macht sie sich zu eigen. Sie ist ja nun die „außerordentliche Form“ der falschen Messe, jenes halbprotestantischen „Bastard-Ritus“, wie ihn Erzbischof Marcel Lefebvre einmal nannte. Um sie sich anzueignen, muß sie freilich erst wieder rechtlich zugelassen sein, rechtlich zugelassen in der „konziliaren Kirche“ wohlgemerkt, denn in der römisch-katholischen Kirche ist sie es ohnehin immer gewesen.
Das also und nichts anderes ist der eigentliche unerhörte Vorgang, den dieses Motu aller Proprios ins Werk setzt: die unrechtmäßige Aneignung des wahren, heiligen, römisch-katholischen Meßritus durch das neo-modernistische und neo-protestantische, ökumenistische und charismatische Rom. Ein Grund zum Jubel, fürwahr! Aber nicht für die wahren Katholiken! So reklamiert inzwischen sogar ein Kardinal Lehmann, bisher nicht gerade bekannt für „traditionsfreundliche“ Tendenzen, diese Messe für sich: „Ich finde diese Messe ist etwas, was schon immer der ganzen Kirche gehörte. Sie gehörte schließlich auch mir. Schließlich habe ich als junger Priester darin meine eucharistische Frömmigkeit aufgebaut.“
Die tridentinische Messe „gehört“ also nunmehr der „konziliaren“ Kirche. Was hat das für Folgen? Wir werden kaum überrascht sein, wenn wir im Begleitschreiben Papst Benedikts lesen, daß er wünscht, es möchten sich „beide Formen des Usus des Ritus Romanus gegenseitig befruchten“: „Das alte Meßbuch kann und soll neue Heilige und einige der neuen Präfationen aufnehmen. Die Kommission Ecclesia Dei wird im Kontakt mit den verschiedenen Institutionen die sich dem usus antiquior widmen, die praktischen Möglichkeiten prüfen.“ Im Gegenzug kann dann in der Feier der Messe nach dem Missale Pauls VI. „stärker, als bisher weithin der Fall ist, jene Sakralität erscheinen, die viele Menschen zum alten Usus hinzieht“. Siehe da: die „Reform der Reform“! Beide „Formen“ sollen letztlich verschmelzen, indem insbesondere das „alte Meßbuch“ nunmehr, da es ja der „konziliaren Kirche“ untersteht, zu verändern ist. Diese neue Aufgabe kommt nun ebenfalls der Kommission „Ecclesia Dei“ zu.
Auch in diesem Punkt kann uns das Motu aller Proprios nicht überraschen. Es führt nur das durch, was der Kardinal Joseph Ratzinger bereits lange plante und bekanntlich in einem Brief aus dem Jahr 2003 deutlich beschrieb. Er sprach damals von der Möglichkeit einer „begrenzten Wiederzulassung“ des tridentinischen Ritus; „begrenzt“ sei „ja auch die Nachfrage nach der alten Liturgie“. Ist es nicht genau das, was er nunmehr mit seinem Motu proprio verfolgt? Und ist es nicht dasselbe Argument von der „begrenzten Nachfrage“, wenn er in seinem Begleitschreiben die Furcht der Bischöfe vor Spaltungen beschwichtigt und als Trostgrund dafür angibt: „Der Gebrauch des alten Missale setzt ein gewisses Maß an liturgischer Bildung und auch einen Zugang zur lateinischen Sprache voraus; das eine wie das andere ist nicht gerade häufig anzutreffen. Schon von diesen konkreten Voraussetzungen her ist es klar, daß das neue Meßbuch nicht nur von der rechtlichen Normierung, sondern auch von der tatsächlichen Situation der gläubigen Gemeinden her ganz von selbst die Forma ordinaria des Römischen Ritus bleibt“? Wir erinnern uns außerdem an seine Vision von der zukünftigen Verschmelzung der beiden „Formen“ desselben Ritus in einem einzigen „Ritus der Zukunft“, der, „vollständig in der Tradition des überlieferten Ritus stehend“, doch „einige neue Elemente aufnehmen“ könnte, „die sich bewährt haben, wie neue Feste, einige neue Präfationen in der Messe, eine erweiterte Leseordnung - mehr Auswahl als früher, aber nicht zu viel - eine ‘Oratio fidelium’, d.h. eine festgelegte Fürbitt-Litanei nach dem Oremus vor der Opferung, wo sie früher ihren Platz hatte“. Das soll nun zielsicher durchgeführt werden. Etwas salopp könnte man also sagen: Neurom hat den „Traditionalisten“ ihre Messe gestohlen, und diese bedanken sich noch artig und überschwenglich dafür. Das „konziliare“ Rom hat die wahre heilige Messe annektiert, um sie zu verändern und zu zerstören, und die „Traditionalisten“ jubeln darüber. Das ist nun wirklich ein Fortschritt und neu!
5. Fazit: Das Motu proprio „Summorum Pontificum“ von Papst Benedikt XVI. ist ein erweiterter Indult, der als leider gelungener Versuch gewertet werden muß, auf der Linie von „Ecclesia Dei“ die Bewegung der Tradition samt ihrer tridentinischen Messe und überlieferten Liturgie in die „konziliare“ Kirche aufzusaugen. Ihre Messe ist nun die „Messe des seligen Johannes XXIII.“ und die „außerordentliche Form“ des „einen Ritus“, nämlich der Bugninischen Aftermesse, geworden. Das Dokument bietet zwar einige Verbesserungen und Erleichterungen im Vergleich zu seinen Vorgängern – deren Wert sich freilich erst in der Praxis erweisen muß –, aber auf der Basis der „Integration“ der „Traditionalisten“ in die pantheistische „Kirche Gottes“. Ein Geheimnis bleibt die euphorische Reaktion der tödlich Getroffenen. 070707 – ein treffendes Datum für den endgültigen Sieg – nicht der „Traditionalisten“, sondern des post-modernistischen Rom über sie! Und die Besiegten jubeln, als hätten sie ihre Niederlage ersehnt und verlangt...
„Gott, du hast uns verworfen, zerschlagen; du hast gezürnt, nun stelle uns wieder her! Du hast die Erde erschüttert, gespalten; heile ihre Risse, denn sie wankt! Du hast deinem Volke Hartes erwiesen, mit Taumelwein uns getränkt. Deinen Frommen hast du ein Zeichen gegeben, sie sollten fliehen vor dem Bogen. Damit deinen Lieblingen Rettung werde, hilf mit deiner Rechten, erhöre uns!“ (Ps 60,3-7).