Pragmatiker und Dogmatiker

1. Als sich in den 1970er Jahren immer unabweislicher zeigte, daß die Unterminierung der Kirche durch ihre Feinde eine neue „Menschenmachwerkskirche“ hervorgebracht hatte, die sich nun an die Stelle der Kirche Christi setzte und so tat, als sei sie vom Heiligen Geist, wurde die Notwendigkeit eines katholischen Widerstands stets deutlicher und drängender. Tatsächlich erhob sich dieser weltweit auf recht breiter Basis, wobei es von Anfang an zwei Strömungen gab, die wir die „dogmatische“ und die „pragmatische“ nennen wollen.

Die dogmatische Richtung sah vor allem die theologischen Probleme, vor welche die neue und bisher nie dagewesene Situation die Katholiken stellte. Es waren im wesentlichen drei große Fragen zu beantworten, die den Glauben direkt angingen: Wie kann es sein, daß Rom eine Messe promulgiert, die offensichtlich kein katholischer Ritus mehr ist; wie konnte ein ökumenisches Konzil neue, der kirchlichen Tradition entgegengesetzte Lehren verkünden; und wie konnte es vor allem geschehen, daß der Papst dies alles nicht nur zuließ, sondern als Hauptmotor dieser antikirchlichen Umtriebe gesehen werden mußte? Die Lösung dieser Fragen war von größter Wichtigkeit, aber auch Schwierigkeit und höchster Delikatesse, berührte sie doch unmittelbar das Unfehlbarkeitsdogma und die Ekklesiologie des (I. und einzig wahren) Vatikanischen Konzils.

So machte sich ein Großteil der Katholiken in die pragmatische Richtung davon. Man ließ die Antwort auf die großen Fragen möglichst beiseite und konzentrierte sich darauf, einfach weiterzumachen, als ob es das „II. Vatikanum“ und damit die größte Katastrophe in der Kirchengeschichte nicht gegeben hätte. Vereine wurden gegründet, meist nach dem hl. Pius V. benannt, und Meßzentren, in welchen die „Messe Pius' V.“ weitergefeiert wurde. Es entstand die Szene der „Traditionalisten“.

2. Bald wird man auf einen französischen Erzbischof aufmerksam, der ebenfalls eine pragmatische Richtung vertritt und mit Einverständnis der kirchlichen Behörden eine Priesterbruderschaft gegründet hat und ein Seminar betreibt, in welchem er Priester ausbildet in der Art und Weise, wie er das bereits vor dem „II. Vatikanum“ erfolgreich getan hat. Dies scheint ihm der geeignete Weg, der kirchlichen „Krise“ zu begegnen. Schnell richten sich die Hoffnungen der „Traditionalisten“ auf diesen Bischof, zumal als dieser in Konflikte mit dem konziliaren Rom gerät und so den Ruf erlangt, als „zweiter Athanasius“ der gotterweckte Verteidiger des wahren Glaubens und der wahren Hl. Messe gegen die konziliaren Behörden zu sein.

In der Tat hatte Erzbischof Marcel Lefebvre seine „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ mit dem Segen der (konzils-)kirchlichen Behörden gegründet, und er hatte nichts im Sinn, als Priester im Geist der Tradition zu formen und auf diese Weise die modernistischen Bischöfe allmählich in die Knie zu zwingen. 1973 schreibt Mgr. Lefebvre voll Optimismus: „Ohne Zweifel, unser entschlossenes Sich-Stützen auf die Tradition der Kirche ruft bei einem Teil gewisser Bischöfe Zurückhaltung hervor. Denn wir erscheinen als solche, die widerspenstig sind gegenüber der konziliaren Anpassung. Indessen: die recht einzigartigen Erfolge der Bruderschaft St. Pius X. geben Probleme auf. Warum kommen die jungen Leute, die eine sehr ernsthafte Berufung haben, so zahlreich zu diesem Seminar, da die Mehrzahl der Seminare immer leerer werden! Von Jahr zu Jahr spüren wir, dass der erste Widerstand sich in Neugier und Überraschung umwandelt. Schon sind mehrere Bischöfe gekommen oder haben uns geschrieben, um von uns Priester zu erbitten. Fünf Bitten sind bei uns eingegangen, um Professoren zu entsenden fürs große Seminar und um uns Pfarreien anzubieten. Von Rom aus haben wir Indulte empfangen, die es uns erlauben, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass in der Tat unsere Bruderschaft das Recht hat, zu inkardinieren (= Priester eingliedern), obwohl sie nur diözesanen Rechtes ist. Mehr noch, wir haben durch einen Vermittler an hoher Stelle die Versicherung erhalten, dass der hl. Vater unser Apostolat segne.“

Erst als in den Jahren 1974/1975 offensichtlich wurde, daß der „Heilige Vater“ Paul VI. das Apostolat Mgr. Lefebvres keineswegs segnete, sondern vielmehr die Aufhebung seiner Bruderschaft betrieb, fand der Erzbischof jene starken Worte, die ihn als wortmächtigen Anführer im Kampf gegen das konziliare Rom erscheinen ließen: „Diese konziliare Kirche ist eine schismatische Kirche, weil sie mit der katholischen Kirche aller Zeiten bricht.“ Die berühmt gewordene Predigt von Lille festigte seinen Ruf als unerschütterlicher Kämpfer und Zeuge für die Tradition. Dabei wurde gerne übersehen, daß Seine Exzellenz diese Predigt endete mit einem Aufruf zum „Experiment der Tradition“: „Dies wäre so einfach, wenn jeder Bischof in seiner Diözese uns, den treuen Katholiken, eine Kirche zur Verfügung stellen würde und ihnen sagen würde: ‹Diese Kirche gehört euch!› Wenn ich daran denke, dass der Bischof von Lille den Mohammedanern eine Kirche zur Verfügung gestellt hat, so sehe ich nicht ein, warum es nicht eine Kirche geben sollte für die Katholiken der Tradition. Und die Frage wäre dann endgültig gelöst. Und das ist es, was ich vom hl. Vater verlangen werde, wenn er mich wohl empfangen wollte: ‹Lasset uns, sehr heiliger Vater, das Experiment der Tradition machen. Inmitten all der Experimente, die man jetzt macht, möge es doch zum mindesten das Experiment dessen geben, was man während zwei Jahrtausenden gemacht hat!›“

3. In Wahrheit also war Erzbischof Lefebvre der Pragmatiker geblieben. Ihm ging es einfach nur darum, sein „Experiment der Tradition“ fortführen zu können, sprich das ihm mehr als alles am Herzen liegende Werk seiner „Piusbruderschaft“ weiterzubetreiben, am liebsten natürlich im Einverständnis mit Rom und den „konzilskirchlichen“ Behörden, notfalls aber auch ohne und gegen diese. Ein anderes Anliegen hat er tatsächlich nie gehabt, und so brachte er es auch dem „Heiligen Vater“ gegenüber zum Ausdruck, als die oben schon angedeutete Audienz bei Paul VI. im Jahr 1976 wirklich zustande kam, und erneut, als er vom neugewählten Johannes Paul II. 1978 in Audienz empfangen wurde. Letzterer schien seinem Ansinnen günstig gesonnen, und dies führte in der Folge zu einem erheblich versöhnlicheren Ton des Erzbischofs dem konziliaren Rom gegenüber.

Bei Priesterexerzitien im Jahr 1980 relativierte er etwa seine eigenen Aussagen von der schismatischen „konziliaren Kirche“: „Ich sage nicht, daß man nicht von den Aussagen einen Satz herausnehmen und dann einem anderen gegenüber stellen kann, daß man ihn aus dem Kontext entfernen und dann auf diese Weise tun kann, als hätte ich Dinge gesagt, die ich nicht gemeint habe. Ich war bisweilen imstande, recht starke Worte zu äußern, beispielsweise daß das Konzil mehr oder weniger schismatisch war. In einem gewissen Sinn ist das wahr, denn es war ein gewisser Bruch mit der Tradition. Daher kann man sagen, daß in diesem Sinn, wonach das Konzil sich in einem Bruch mit der Tradition befindet, es in einem gewissen Maße schismatisch ist. Aber als ich das gesagt habe, wollte ich damit nicht sagen, daß das Konzil wahrhaft, definitiv zutiefst schismatisch ist. Man muß es zusammen sehen mit allem, was ich sage. Das Konzil ist schismatisch in dem Maße, wie es mit der Vergangenheit bricht, das ist wahr. Aber damit soll dennoch nicht gesagt sein, daß es im präzisen, theologischen Sinn des Wortes schismatisch sei. Wenn man freilich die Begriffe in diesem Sinn auffaßt, kann man sagen: 'Sieh da! Wenn das Konzil schismatisch ist, dann ist der Papst, der das Konzil unterzeichnet hat, schismatisch und alle Bischöfe, die das Konzil unterzeichnet haben, sind schismatisch, also hat man kein Recht mehr, mit ihnen zusammen zu sein.' Das sind falsche Gedankengänge. Das ist Wahnsinn, das hat keinen Sinn!“

Um seine Romtreue unter Beweis zu stellen, ließ er es sich insbesondere angelegen sein, all diejenigen zu bekämpfen und aus seiner Bruderschaft zu entfernen, welche der dogmatischen Richtung des Widerstands anhingen und daher allem voran die Papstfrage stellten. Ohnehin befand er sich mit seiner „Piusbruderschaft“ dank ihrer pragmatischen Ausrichtung in einem nicht zu unterschätzenden Vorteil. Erstens war da die Stärke einer weltweiten Organisation, welche inzwischen entstanden war, mit Seminaren, Prioraten, Meßzentren etc., zweitens die „gemäßigte“ Position, die den Zulauf von allen Seiten beförderte, drittens der gezielt ausgeübte Druck – der durchaus auch sehr handfest sein konnte, wenn es etwa um die Besitznahme gewisser Meßzentren oder die Übernahme von Vereinen ging – gegen die dogmatische Richtung, die endlich als „Sedisvakantismus“ ins abseitige Eck gedrängt wurde.

So entstand die pragmatische „Pius“-Position als „ausgewogene Mitte“ zwischen „Sedisvakantismus“ und Modernismus. D.h. wir anerkennen den Papst als solchen, widersetzen uns aber seinen Weisungen in Richtung Ökumenismus und Religionsfreiheit, wir anerkennen das „II. Vatikanum“, aber als „Pastoralkonzil“ im „Licht der Tradition“ gesehen, wir anerkennen den „Novus Ordo“ als grundsätzlich gültig, aber gefährlich. Wie wir sehen, ist dies eine ganz und gar praktische Haltung, die in Kurzfassung lautet: Wir anerkennen Papst, Konzil und „Novus Ordo“ in der Theorie, in der Praxis gehen sie uns nichts an und sind uns völlig gleichgültig. Die dagegen von der dogmatischen Richtung eingebrachten sehr schwerwiegenden Einwände wurden mit Sophismen und bisweilen sogar Gewaltmitteln abgetan. Für die Masse der „Traditionalisten“ genügte das allemal, zumal sie ja bei der „Piusbruderschaft“ alles fanden, was sie vermißten: Priester, Sakramente, Hl. Messe, Katechismus. Bis Mitte der 1980er Jahre war es auf diese Weise gelungen, die unumstrittene Oberhoheit über die „Traditionalisten“-Szene zu erlangen und die dogmatische Richtung zu einem Schattendasein in „sedisvakantistischer“, anrüchiger Düsternis zu verdammen. Sie wurde schließlich kaum mehr wahr- und jedenfalls nicht ernstgenommen.

4. Wie gefährlich es war, die gesamte „Bewegung der Tradition“ nur noch auf den Sand der Pragmatik zu bauen, zeigte sich deutlich gegen Ende der 1980er Jahre, als Erzbischof Lefebvre wegen seines vorgerückten Alters die Zukunft seines Werks in Gefahr sah. Damit es weiterhin wie bisher funktionierte, schien wenigstens ein Bischof vonnöten, welcher die Weihen und Firmungen spenden konnte. In gewohnter Manier versuchte Mgr. Lefebvre einen Trick mit doppeltem Boden. Er strebte einerseits eine römische Anerkennung seiner Bruderschaft und des künftigen Bischofs an, die aber andererseits keinerlei Einbußen für deren praktische Tätigkeit, namentlich ihre völlige Unabhängigkeit von allen kirchlichen Behörden, bedeuten durfte. Darum machte er einerseits erhebliche Zugeständnisse in der Theorie, bestand aber in der Praxis auf der Freiheit, seinen Bischof bzw. seine Bischöfe – denn inzwischen hatte er erkannt, daß er mehr als einen benötigte – selbst auszuwählen und zu weihen, sowie auf der Notwendigkeit jener zu errichtenden römischen Kommission, welche zum größten Teil aus den eigenen Leuten bestehen und sie vor jeder Einflußnahme der Ortsbischöfe schützen sollte.

So unterschrieb er am 5. Mai 1988, ausgerechnet dem Fest des hl. Pius V., jenes berühmte „Protokoll“ mit Kardinal Ratzinger, in welchem er versprach, „der katholischen Kirche und dem Bischof von Rom, ihrem Obersten Hirten, dem Stellvertreter Christi, dem Nachfolger des hl. Petrus und seinem Primat als Oberhaupt der Gesamtheit der Bischöfe immer treu zu sein“; „die in Nummer 25 der Dogmatischen Konstitution 'Lumen Gentium' des Zweiten Vatikanischen Konzils enthaltene Lehre über das kirchliche Lehramt und die ihm geschuldete Zustimmung anzunehmen“; hinsichtlich „gewisser vom Zweiten Vatikanischen Konzil gelehrter Punkte oder gewisser nach dem Konzil erfolgter Reformen der Liturgie und des Kultes, die uns mit der Tradition schwer vereinbar erscheinen“, bei „deren Studium und einem Vorbringen beim Heiligen Stuhl eine positive Haltung einzunehmen und jede Polemik zu vermeiden“; „außerdem, die Gültigkeit des Meßopfers und der Sakramente anzuerkennen, die mit der Intention, das zu tun, was die Kirche tut, und nach den Riten zelebriert werden, die in den von den Päpsten Paul VI. und Johannes Paul II. promulgierten offiziellen Ausgaben des römischen Meßbuches und den Ritualen für die Sakramente enthalten sind“; sowie schließlich „die allgemeine Disziplin der Kirche und die kirchlichen Gesetze zu achten, insbesondere jene des von Papst Johannes Paul II. promulgierten Kirchlichen Gesetzbuches, unbeschadet der der Bruderschaft durch ein besonderes Gesetz eingeräumten Sonderdisziplin“.

Diese überaus schwerwiegenden Zugeständnisse, die nichts anderes bedeuten als eine völlige Annahme der „konziliaren Kirche“ und ihrer Einrichtungen, wurden freilich von ihm nie umgesetzt. Sie wurden es aber von einem Teil seiner Anhängerschaft, welcher sich der „Konzilskirche“ als „Ecclesia Dei“ eingliedern ließ. Erzbischof Lefebvre seinerseits machte einen Rückzieher, nicht freilich aus theologischen Gründen, weil er etwa eingesehen hätte, daß er hier zu weit gegangen war. Vielmehr zeigte er sich noch in seinem „Widerrufs“-Brief vom 6. Mai sehr zufrieden mit dem unterzeichneten Protokoll. Was ihm Probleme bereitete, war die Erkenntnis, daß Rom ihm vor allem seinen Bischof bzw. seine Bischöfe nicht geben wollte. So schrieb er am 20. Mai an Johannes Paul II.: „Während hinsichtlich einer möglichen Lösung des Problems der Bruderschaft eine gewisse Hoffnung aufgekommen war, erhob sich nach der Unterzeichnung des Protokolls eine ernste Schwierigkeit anläßlich des der Bruderschaft zugestandenen Episkopats für die Nachfolge in meiner bischöflichen Funktion.“ Er bestand nunmehr darauf, „daß unser Werk für sein Fortbestehen und seine Entfaltung mehrerer Bischöfe bedarf“ und legte ultimativ den 30. Juni für sein Vorhaben fest. Am 2. Juni schrieb er nochmals an den „Heiligen Vater“: „Deshalb haben wir um mehrere aus der Tradition ausgewählte Bischöfe und um unsere Majorität unter den Mitgliedern der römischen Kommission gebeten, um uns vor jedem Kompromiß zu schützen. Angesichts der Weigerung, unsere Bitten zu berücksichtigen, und der offenkundigen Tatsache, daß das Ziel dieser Wiederversöhnung für den Heiligen Stuhl keineswegs das gleiche ist wie für uns, halten wir es für besser, auf Zeiten zu warten, die für die Rückkehr Roms zur Tradition günstiger sind. Wir werden uns daher selbst die Mittel schaffen, das Werk fortzusetzen, das uns die Vorsehung anvertraut hat, und sind auf Grund des Briefes Seiner Eminenz des Kardinals Ratzinger vom 30. Mai sicher, daß die Bischofskonsekration nicht dem Willen des Heiligen Stuhles widerspricht, da uns eine solche für den 15. August zugestanden wurde.“

5. Wie wir sehen, hatte sich an seiner Haltung tatsächlich nichts geändert. Nach wie vor war es ihm ganz pragmatisch um sein Werk der „Piusbruderschaft“ zu tun und um nichts anderes. Gerne hätte er mit dem Segen des „konziliaren“ Vatikan dessen Zukunft gesichert, notfalls ging es aber auch ohne diesen, wobei man sich allen Evidenzen zum Trotz den Segen des „Heiligen Stuhls“ trotzdem einbilden konnte, genau wie 15 Jahre zuvor, als er meinte, die Versicherung zu haben, „dass der hl. Vater unser Apostolat segne“. Und ebenso wie 1975 sah er in seinem Handeln keinen eigentlichen Bruch mit dem „konziliaren“ Rom und beabsichtigte auch keinen solchen. Darum äußerte er sich am 15. Juni 1988 in einer Pressekonferenz zu den bevorstehenden Bischofsweihen wie folgt: „Die für die Bruderschaft geweihten Bischöfe werden der Bruderschaft zur Verfügung stehen. Sie werden der Bruderschaft zu Diensten sein, das ist alles. Derjenige, der, wenn ich gegangen bin, in der Hauptsache die Verantwortung haben wird für die Beziehungen mit Rom, wird der Generalobere der Bruderschaft sein, P. Schmidberger, welcher noch sechs Jahre im Amt sein wird. Er ist derjenige, welcher von jetzt an eventuelle Kontakte mit Rom unterhalten wird, um die Diskussionen fortzuführen, wenn die Gespräche weitergehen oder der Kontakt erhalten bleibt, was freilich für einige Zeit unwahrscheinlich ist. Denn im 'Osservatore Romano' werden große Schlagzeilen erscheinen: 'Erzbischof Lefebvre im Schisma', 'Exkommunikation' … Daher wird es für einige Jahre, vielleicht zwei Jahre, drei Jahre, ich weiß es nicht, eine Trennung geben.“ Ein paar Jahre länger hat es dann doch gedauert, wie die Geschichte zeigt.

Mgr. Lefebvre ging also nur von einer vorübergehenden Mißstimmung aus, die aus seiner Sicht zum Fortbestand seiner Bruderschaft leider unvermeidbar war, sich aber mit der Zeit wieder legen würde. Er hat Recht behalten, auch wenn es nicht mehr P. Schmidberger war, der zum Zeitpunkt des Wiederbeginns der Verhandlungen mit Rom das Generalat innehatte, sondern der 1988 zum Bischof geweihte Bernard Fellay. Man hatte in Rom keine Eile, zumal erst einmal abzuwarten war, wie sich die „Bewegung der Tradition“ nach dem Ableben Erzbischof Lefebvres weiter entwickelte. Wie sich zeigte, eignete ihr eine gewisse Stabilität, jedoch die großen Erfolge und Eroberungen der Anfangszeit blieben aus, weshalb denn auch keine Gefahr mehr für die „Konzilskirche“ von dieser Bewegung ausging, die sich zunehmend in ihren eigenen Kreisen drehte und darin aufging. Allerdings mußte umgekehrt auch die „Tradition“ einsehen, daß sich die „konziliare“ Kirche inzwischen soweit gefestigt hatte, daß an eine Umkehr der Verhältnisse nicht mehr zu denken war. So blieb es beim status quo, in welchem „Konzilskirche“ und „Traditionalisten“ nebeneinander her lebten, sich bisweilen gegenseitig ein „Buh!“ zuriefen, im übrigen aber zufrieden waren, in ihren Kreisen vom anderen nicht gestört zu werden. Ansonsten meinte die „Tradition“ weiterhin, mit der Ausbildung von Priestern nach Lehrbüchern aus den 1950er Jahren und dem Festhalten an der 1962er Liturgie genug zu tun für die „Rettung der Kirche“.

6. Erst 1997 begannen auf inoffizieller Ebene wieder die Kontakte, die dann freilich rasch zu konkreten Bemühungen voranschritten und schon im Jahr 2000 wieder eine versöhnliche Atmosphäre schufen, die sich plakativ in der Romwallfahrt der „Piusbrüder“ zum „heiligen Jahr“ bekundete. In der brüchigen Endphase des Pontifikats Johannes Pauls II. war freilich nicht mehr viel zu erwarten. Umso mehr richteten sich alle Hoffnungen nach dem Pontifikatswechsel auf den „Hoffnungsschimmer“ Ratzinger alias Benedikt XVI. Tatsächlich machte dieser bekanntlich einige wichtige Schritte auf unsere „Traditionalisten“ zu. Er hatte dafür seine ganz eigenen, besonderen Gründe, welche uns hier nicht weiter zu beschäftigen brauchen. Fakt ist, daß die „Traditionalisten“ im Jahr 2012 um ein Haar ihr Abkommen mit dem „konziliaren“ Rom geschlossen hätten, wenn nicht einige Umstände eingetreten wären, die dies gegen ihren Willen verhindert haben. Vielleicht hatte freilich auch Ratzinger inzwischen eingesehen, daß mit einem bunten Chaos-Haufen etwas verwilderter „Pragmatiker“, die von Theologie und Kirchlichkeit – und obendrein von Kirchenpolitik und Diplomatie – nicht einmal mehr so viel verstanden wie durchschnittliche Modernisten, kein Staat zu machen war. Es fehlte eben eine charismatische Führungs- und Integrationsfigur wie einst Erzbischof Lefebvre.

Da die Oberen der „Piusbruderschaft“ für die Rettung ihrer Gemeinschaft vor dem restlosen Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit keinen anderen Plan hatten als den, welchen sie schon seit fünfzehn Jahren verfolgten, nämlich um beinahe jeden Preis den Anschluß an das konziliare Rom zu suchen, blieb ihnen auch nichts anderes übrig, als auf diesem Weg fortzufahren. Dies rief nun erneut einen „Widerstand“ auf den Plan, und die Geschichte begann, sich zu wiederholen. Denn abermals teilte sich der Widerstand alsbald in zwei Strömungen: eine pragmatische und eine dogmatische. Die pragmatische fing sogleich damit an, ein Netz von Meßzentren aufzubauen und mit großem Einsatz von vor allem vielen Flugkilometern zu betreuen. Die geringe Zahl der vorhandenen Priester, die sich anfangs an einer Hand abzählen ließen, machte man durch desto größeren Seeleneifer wett und übernahm kurzerhand nicht nur die weltweite Seelsorge, sondern ging auch daran, ein Seminar für den Priesternachwuchs einzurichten. Auch an dem offensichtlich etwas mißglückten Versuch, eine Neuauflage der „Piusbruderschaft“ zu gründen, ließ man es nicht fehlen. Da blieb natürlich nicht viel Zeit für dogmatische Überlegungen, zumal man all seinen theologischen Witz benötigte, um gegen die „Sedisvakantisten“ zu streiten. Denn diese waren, wie schon vor über dreißig Jahren, die Konkurrenz und damit die eigentliche Bedrohung, die es auszuschalten galt.

7. Der Start des „Widerstands“ war somit denkbar ungünstig, zumal auch ihm eine charismatische Führungsgestalt mangelt und er obendrein nicht einmal eine einheitliche Organisationsstruktur besitzt. Dies mag freilich im letzten auch ein Vorteil sein, wenn man bedenkt, daß es gerade die Struktur der „Piusbruderschaft“ ist, welche heute durch deren inneren Ruin den geistigen Zusammenbruch praktisch der gesamten „Bewegung der Tradition“ herbeigeführt hat. Dennoch können wir bereits heute voraussagen, wie es mit dem „Widerstand“ enden muß, wenn es ihm nicht gelingt, das Geleise des bloßen Pragmatismus zu verlassen und sich dem Dogmatismus zu öffnen, welchen er bislang unbesehen ablehnt und verteufelt. Nur ein Miteinander der pragmatischen mit der dogmatischen Seite kann eine Zukunft haben, wobei der Dogmatik die Führung zukommen muß, wie denn allgemein der Wille den Verstand benötigt, der ihm die Richtung weist. Dazu aber müßte man erst einmal bereit sein, die dogmatische Richtung aus ihrem anrüchigen „Sedisvakantisten“-Eck zu befreien und sie einfach wieder als Katholiken wahrzunehmen, die sich die so notwendigen Gedanken machen, welche erst Grundlage für ein sinn- und wirkungsvolles Handeln darstellen können. Wird man also aus der Geschichte lernen, oder wird man wieder dieselben Fehler machen? Noch wäre Gelegenheit, doch scheinen die Weichen schon wieder gestellt. Leider in die falsche Richtung.

Mit freundlicher Genehmigung vom Blog zelozelavi.wordpress.com