Die Lage für uns Katholiken wird zunehmend unübersichtlicher, ja verzweifelt, möchte man fast sagen. Mit Modernisten auf dem Papstthron hat man sich ja nun schon einigermaßen arrangiert, und jeder hat so seine Lösung dafür gefunden. Da stellt uns das erste Doppelpapst-Jahr, das wir eben hinter uns gebracht haben, vor eine ganz neue Herausforderung und läßt sogar hartgesottene „Papsttreue“ plötzlich zu „Sedisvakantisten“ werden.
Die reichlich perplexe Situation, die durch den „Rücktritt“ – bzw. Nicht-Rücktritt, Schein-Rücktritt oder Teil-Rücktritt, oder wie soll man es nennen? – von „Papst Ratzinger“ und die etwas skurrile Persönlichkeit seines Nachfolgers Bergoglio entstanden ist, bereitet selbst gestandenen Kirchenhistorikern und Vatikanisten keine geringen Probleme. Anläßlich des Jahrestags des Ratzinger-Rücktritts erinnern viele an den Blitz, der an jenem denkwürdigen Tag im Petersdom einschlug, gleichsam wie ein Symbol für das, was sich in Wahrheit abgespielt hatte.
Päpstliche Doppelspitze
Der Historiker Roberto Mattei schreibt am 13. Februar 2014 in einem Artikel mit dem Titel „Motus in fine velocior“, der 11. Februar 2013 sei ein wahrhaft historisches Datum gewesen. Die Ankündigung Benedikts XVI. habe nach Kardinal Sodanos Worten eingeschlagen wie ein „Blitz aus heiterem Himmel“, und das Bild eines solchen Blitzes, wie er am selben Tag in die Kuppel der Petersbasilika fuhr, sei denn auch um die Welt gegangen. Er erinnert an den Entschluß Benedikts, auch nach seinem Rücktritt im Vatikan zu verbleiben, ein bisher beispielloser Vorgang und noch überraschender als der Rücktritt selbst. Die Wahl des Nachfolgers habe zu neuen historisch einzigartigen und bedeutsamen Fakten geführt, angefangen von der Wahl eines argentinischen Jesuiten über dessen Namenswahl bis zu seinem legeren „Guten Abend“, mit welchem er auf der Loggia des Petersdoms erstmals die Gläubigen begrüßte, und seiner Selbstbezeichnung als „Bischof von Rom“. „Die Photographie der beiden Päpste, die am 23. März in Castelgandolfo gemeinsam beteten, bot das Bild einer unerhörten päpstlichen 'Diarchie' und vermehrte die Verwirrung jener Tage. Aber man war erst am Anfang.“
Auch Paul Badde erinnert sich in einem Artikel für den Figaro mit dem bezeichnenden Titel „Rücktritt eines Revolutionärs“ an den Blitz vom 11. Februar 2013. Auch für ihn weist dieser auf das Unerhörte, das Revolutionäre dieses Rücktritts hin. Ratzinger habe zwar seinen Fischerring zertrümmert, nicht aber seinen Papstnamen zurückgegeben. „Seit dem 11. Februar 2013 ist das Papstamt deshalb nicht mehr, was es vorher war. Fundament der katholischen Kirche wird es bleiben. Doch diesen Grund hat Benedikt XVI. nachhaltig verändert und er hat es so souverän getan wie Karl V., als der am 25. Oktober 1555 in Brüssel die Krone des mächtigsten Reiches der Erde niederlegte.“
Er verweist auf den „Petrusdienst“, von dem Ratzinger in seiner Rücktrittserklärung spricht, und als welchen „Benedikt seine Aufgabe vor und nach dem Rücktritt“ verstehe. „Diesen Dienst hat er mit seinem Schritt vom 11. Februar 2013 nicht verlassen. Er hat das personale Amt damit ergänzt um eine kollegiale Dimension, als gemeinsamen Dienst. Seitdem gibt es keine zwei Päpste, aber ein erweitertes Amt. Darum hat er weder den weißen Habit noch seinen Namen abgelegt. Darum zog er sich auch nicht wie Kaiser Karl V. in ein Kloster im fernen Spanien zurück, sondern in das Innere des Vatikans – als sei er nur beiseite getreten, um seinem Nachfolger und einer neuen Etappe in der Geschichte des Papsttums Raum zu geben, das er mit diesem Schritt bereichert hat um ein Kraftwerk des Rats und Gebets in den Vatikanischen Gärten. Er ist vor dem Petrus-Amt nicht geflohen. Er hat es potenziert. Das wird bleiben.“
Armin Schwibach nennt in seinem Rückblick den 11. Februar 2013 einen „einzigartigen Tag in der Geschichte der Kirche“, den „Tag des singulären, einmaligen Ereignisses schlechthin“. Er erinnert an die letzte Katechese Benedikts bei der Generalaudienz am 27. Februar 2013, in welcher dieser den „Petrusdienst“ als einen „immer“ und „für immer“ auszuübenden bezeichnete, und zitiert Ratzinger mit den Worten: „Es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausführung des Amtes zu verzichten, nimmt dies nicht zurück. Ich kehre nicht ins private Leben zurück – in ein Leben mit Reisen, Begegnungen, Empfängen, Vorträgen usw. Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich trage nicht mehr die amtliche Vollmacht für die Leitung der Kirche, aber im Dienst des Gebetes bleibe ich sozusagen im engeren Bereich des heiligen Petrus.“
Das beschäftigt auch den Vatikanisten Antonio Socci, der anläßlich des neu ausgestellten argentinischen Reisepasses für Bergoglio spekuliert, dieser wolle vielleicht gar nicht „Papst Franziskus“ sein, sondern lieber Bergoglio bleiben, wohingegen Ratzinger nicht wieder Ratzinger werden, sondern „Benedikt XVI.“ bleiben wolle. Er stellt sogar die Frage, ob der Rücktritt Ratzingers nicht vielleicht kanonisch ungültig gewesen sein könnte, und spricht damit sicher vielen „konservativen“ Katholiken aus dem Herzen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ihren „Papst Ratzinger“ wieder zu haben. Neuerdings sah sich sogar der „Alt-Papst“ selbst genötigt, in einem Brief an den Vatikanisten Andrea Tornelli auf dessen Anfrage hin zu betonen, daß sein Rücktritt gültig gewesen sei, weil er frei erfolgte: „Die einzige Bedingung für die Gültigkeit meiner Resignation ist meine vollständige Entscheidungsfreiheit. Spekulationen bezüglich der Gültigkeit sind schlicht absurd.“
Socci freilich gibt eine andere Begründung für eine mögliche Ungültigkeit an, nämlich daß Benedikt innerlich nicht abgedankt habe (nicht daß er unter Zwang gehandelt habe, wie andere meinen). Das zeige sich darin, daß er weiterhin im Vatikan bleibe, die weiße Soutane ebenso weiter trage wie den Papstnamen und den Titel „Seine Heiligkeit“ sowie die petrinischen Schlüssel in seinem Wappen beibehalten habe (oder hat er auch dies nur getan, weil er nichts anderes zur Hand hatte, wie Ratzinger in seinem Brief an Tornelli in bezug auf das Weitertragen der weißen Soutane behauptet?). All das ist in der Tat ungewöhnlich. In den wenigen vergleichbaren früheren Fällen war es nicht so. Der hl. Cölestin V. etwa legte nach seinem Rücktritt die päpstlichen Gewänder ab, nahm wieder seinen Namen Petrus von Morone an und zog sich in die Einsiedelei zurück. Gregor XII., der durch seinen Rücktritt das abendländische Schisma zu beenden half, wurde ebenfalls wieder zu Kardinal Angelo Correr und diente dem neuen Papst sogar als Delegat.
Socci erinnert nun ebenfalls an die letzte Ansprache Benedikts XVI. bei der Generalaudienz, die wir mit Schwibach oben schon erwähnten, in welcher er betonte, daß der Petrusdienst „für immer“ sei und er sich nur von dessen „aktiver“ Ausübung zurückziehe. Er unterscheidet also gewissermaßen eine „aktive“ und eine „passive“ Ausübung des „Petrusdienstes“. Während sein Nachfolger die „aktive“ übernehme, behalte er gewissermaßen die „passive“, den „Gebetsdienst“. Und so haben denn die beiden Päpste, der „aktive“ und der „passive“, gemeinsam eine Enzyklika verfaßt und ihre innere Verbundenheit schon bei mehreren Gelegenheiten durch gemeinsame Auftritte zur Schau gestellt, zuletzt sicher sehr eindrucksvoll bei dem Konsistorium, in welchem der Glaubenspräfekt Müller, den Ratzinger ernannt und Bergoglio bestätigt hatte, zum Kardinal erhoben wurde. Auch ein solches Konsistorium mit zwei Päpsten dürfte historisch einzigartig sein.
Die Umwandlung des Papsttums in einen kollegial auszuübenden „Petrusdienst“ zeigt uns zum einen erneut, daß Ratzinger der effektivere Revolutionär auf dem Papstthron war. Schon von Paul VI. hatte man im Jahr 1972 den Rücktritt erwartet als Signal für einen neuen Pontifikat, der sich nicht mehr von den übrigen Bischöfen unterschied, die ja auch neuerdings mit 75 Jahren ihren Rücktritt einzureichen haben. Wiederum wurde um das Jahr 2000 heftig über den Rücktritt Johannes Pauls II. spekuliert. Seinerzeit äußerte sich auch Kardinal Ratzinger in dem Sinn, daß er sich so einen Rücktritt durchaus vorstellen könne. Ihm selbst blieb jedoch vorbehalten, das fertigzubringen, was seinen Vorgängern nicht gelang, auch wenn sie ständig davon redeten: die Neugestaltung des Papsttums durch einen revolutionären „Rücktritt“.
Da Unser Herr Jesus Christus nur einer ist und deswegen Seiner Kirche auch nur einen Stellvertreter auf Erden in der Gestalt des hl. Petrus und seiner Nachfolger hinterlassen hat, ist daher auch klar, daß eine solche Institution mit Doppelspitze nicht mehr der Stiftung Unseres Herrn entspricht. Selbst dem Blinden müßte nun in die Augen fallen, daß die „konziliare Kirche“ nicht die katholische Kirche ist. Das ist das entscheidende Destillat aus der ganzen Affäre, nicht die Frage, ob denn der Ratzinger-Rücktritt überhaupt rechtskräftig war und wer denn nun der wahre Papst sei. Bei einem Kollegiat aus zwei Päpsten ist keiner der richtige, das steht außer Frage. Wenn zwei Päpste sich streiten, könnte immerhin einer der echte sein, bei zweien, die sich einig sind, ist das von vornherein ausgeschlossen. „Du bist Petrus, der Fels“, hat der Heiland gesagt, nicht: „Ihr gemeinsam seid der Petrusdienst...“
Zwei Bischofslinien
Doch damit der Wirrungen nicht genug. „Schlage den Hirten, und die Herde wird sich zerstreuen.“ Angesichts des dramatischen Vakuums in der höchsten Spitze der Kirche, richtet sich der Blick der Gläubigen naturgemäß hilfesuchend auf die Nachfolger der Apostel, die Bischöfe. Und da ragen in den Jahrzehnten des „konziliaren“ Niedergangs zwei Gestalten hervor, die eine große Anzahl von Gemeinsamkeiten haben.
Der eine wurde 1897 geboren, der andere 1905, der eine wurde 1925 zum Priester geweiht, der andere 1929. Beide sind also deutlich „vorkonziliar“, und beide hatten in Rom studiert, wo sie jeweils in Philosophie und Theologie promovierten, der eine sogar noch in Kirchenrecht. Beide wurden zu Bischöfen geweiht und zu Apostolischen Vikaren in Missionsgebieten und dann zu Apostolischen Delegaten ernannt, der eine durch Pius XI. im Jahr 1938, der andere 1947 durch Pius XII. Beide wurden dann zu Erzbischöfen in den neu errichteten Diözesen, der eine 1960 Erzbischof von Hue, der andere 1955 Erzbischof von Dakar. Beide nahmen als Väter am „II. Vatikanum“ teil und beide gingen 1968 als Altbischöfe und Titular-Erzbischöfe in den Ruhestand. Die Rede ist von dem vietnamesischen Erzbischof Pierre Martin Ngo Dinh Thuc und dem französischen Erzbischof Marcel Lefebvre.
Die Gemeinsamkeiten sind damit jedoch noch nicht zu Ende. Denn beide gerieten in den 1970er Jahren nolens volens in die „nachkonziliaren“ Wirren und Kämpfe und dadurch in Konflikt mit dem „konziliaren“ Rom, was beiden im Jahr 1976 eine Tatstrafe „latae sententiae“ wegen „unerlaubter“ Weihen eintrug, Mgr. Thuc wegen „unerlaubter“ Bischofsweihen die Exkommunikation, Mgr. Lefebvre wegen „unerlaubter“ Priesterweihen die Suspension. In den 1980er Jahren nahmen beide Erzbischöfe wiederum „unerlaubte“ Bischofsweihen vor, was nun auch Erzbischof Lefebvre die „Exkommunikation“ einbrachte.
Beide waren wohl nicht die strahlenden und makellosen Glaubenshelden, als die sie von ihren Anhängern gerne gesehen und dargestellt werden. Mgr. Thuc hat seine großen Fehler offen eingestanden und bereut, so die Weihe von Bischöfen für die „marianisch-traditionalistische Palmar de Troya-Gruppe um Clemente Dominguez y Gomez“ (die übrigens nach manchen Aussagen durch Vermittlung von Mgr. Lefebvre zustande kam), welcher dann von seinen Anhängern zum „Papst“ erhoben wurde und eine sektiererische Sonderkirche gründete, oder seine Teilnahme an der Konzelebration zur Ölweihmesse mit dem Bischof von Toulon im „Novus ordo“. Erzbischof Lefebvre hat zumindest den einen Fehler eingestanden, das berühmt-berüchtigte Protokoll mit Kardinal Ratzinger am 5. Mai 1988 unterzeichnet zu haben, womit er um ein Haar die gesamte „Bewegung der Tradition“ verraten und verkauft hätte. Im übrigen waren beide oft schwankend und widersprüchlich in ihrer Haltung gegenüber dem „konziliaren“ Rom, mit dem sie immer wieder verhandelten und Vereinbarungen trafen, um sodann wieder mit ihm zu brechen. S.E. Erzbischof Thuc starb 1984, S.E. Erzbischof Lefebvre 1991.
Immerhin war es Mgr. Lefebvre gelungen, mit seiner „Priesterbruderschaft St. Pius X.“ eine weltweite Organisation aufzubauen, welche die Mehrzahl der widerständischen Katholiken auffing, die sog. „Traditionalisten“, und ihm in dieser Bewegung so etwas wie die Führerrolle zuwies. Welch dramatische Folgen das haben sollte, war freilich damals nicht abzusehen, wir sehen es aber heute, wo der Zusammenbruch jener „Piusbruderschaft“ zugleich den Zusammenbruch praktisch des gesamten katholischen Widerstands bedeutet. Die wenigen verbliebenen Restkatholiken suchen nun verzweifelt nach Bischöfen, an welche sie sich halten können, und da bleiben eigentlich nur übrig die Weihelinien der Erzbischöfe Thuc und Lefebvre. Doch dem Feind alles Guten ist es gelungen, auch hier eine grenzenlose Verwirrung zu stiften.
So gibt es auf beiden Seiten Leute, welche einander mit dem Vorwurf überziehen, daß die Weihen jeweils der anderen Seite ungültig seien. Von „Lefebvristen“ wird u.a. gerne behauptet, Mgr. Thuc sei bei der Spendung der Weihen nicht mehr bei Sinnen gewesen, was deren Gültigkeit zumindest sehr in Frage stelle. Unter den „Sedisvakantisten“ hingegen verstummt nicht der Verdacht, Erzbischof Lefebvre sei gar nicht gültig geweiht, weil sein Konsekrator, Kardinal Liénart, ein Hochgradfreimaurer gewesen sei. Überdies habe Mgr. Lefebvre durch den Fünfzackstern in seinem Wappen (den der heutige „Pius“-Generalobere Mgr. Fellay gewissermaßen von ihm erbte) deutlich genug seine eigene Zugehörigkeit zur Freimaurersekte zu erkennen gegeben.
Beiden Einwänden eignet im Grunde derselbe Fehler. Sie berücksichtigen nicht die zur Gültigkeit (nicht Erlaubtheit!) eines Sakraments einzig notwendigen Faktoren, und sie beachten nicht die für die Anfechtung der Gültigkeit erforderliche Beweispflicht eines positiven Zweifels. Damit ein Sakrament gültig zustandekomme, ist neben dem kompetenten Spender und dem fähigen Empfänger notwendig die richtige Form, Materie und Intention. Spender der Bischofsweihe ist ein gültig geweihter Bischof, Empfänger ein geweihter, katholischer Priester. Materie ist die Handauflegung des konsekrierenden Bischofs, Form die von ihm zu sprechende Weiheformel, welche aus 16 Wörtern besteht. Die Intention ist die, zu tun, was die Kirche tut. Eine solche Intention sieht die Kirche grundsätzlich als gegeben, wenn der Weihespender eine Weihe nach dem Ritus der heiligen römischen Kirche vornimmt. Eine eventuelle innere Gegenintention wäre eigens nachzuweisen.
Die Sicherheit über die Gültigkeit gespendeter Sakramente verbürgt uns unter normalen Umständen die Kirche. Da zur Zeit der Weihe von Erzbischof Lefebvre noch normale Zustände herrschten, dürfen wir davon ausgehen, daß eine Ungültigkeit auch festgestellt worden wäre. Die verwendeten Riten hatten noch nicht ihre „konziliare“ Neugestaltung erfahren, welche sie zweifelhaft bis ungültig machen. So war bereits Kardinal Liénart, so dürfen wir fest annehmen, gültig zum Bischof geweiht worden, ungeachtet irgendeiner Zugehörigkeit zur Freimaurerei. Andernfalls wäre er sicher nicht zum Kardinal erhoben und vom Papst – damals noch ein zweifelsfrei echter Papst – ermächtigt worden, seinerseits Bischofsweihen vorzunehmen. Ohne jeden Zweifel hat er für die Weihe Marcel Lefebvres den damals noch allein in Geltung befindlichen und gültigen römischen Ritus benutzt. Da die bloße Zugehörigkeit zur Freimaurerei noch kein Beweis für eine Gegenintention ist, ist die Weihe somit als gültig zu betrachten. Daran ändert auch eine freimaurerische Gesinnung nichts.
Aber war er als Freimaurer nicht ipso facto exkommuniziert? Selbst das verschlägt nichts an der Gültigkeit der Weihe. Höchstens deren Erlaubtheit stünde in Frage. Da jedoch die Zugehörigkeit Liénarts zur Freimaurerei ganz offensichtlich zumindest dem Papst nicht bekannt war und er das apostolische Mandat für die Weihe hatte, ist sie auch als erlaubt anzusehen. Dasselbe gilt mutatis mutandis auch von der Priesterweihe Mgr. Lefebvres, die ebenfalls durch Kardinal Liénart gespendet worden war, und entkräftet so auch das Argument, daß Lefebvre bei seiner Bischofsweihe vielleicht gar kein Priester gewesen sei. Erzbischof Lefebvre war also sicher ein gültig geweihter Bischof, selbst wenn er seinerseits ein Freimaurer gewesen wäre, was wir freilich ins Reich der Märchen verweisen.
Wie ist es nun mit den Bischofsweihen, welche Seine Exzellenz Thuc gespendet hat? Sicher und durch Zeugenaussagen belegt ist, daß er diese Weihen recte et rite nach dem „vorkonziliaren“ und sicher gültigen Ritus der heiligen römischen Kirche vorgenommen hat. Keineswegs sicher und durch keinerlei Zeugenaussagen belegt ist sein angeblich so debiler Geisteszustand, im Gegenteil. Alle Zeugen beharren darauf, daß Mgr. Thuc nicht nur zur Zeit der von ihm vorgenommenen Bischofsweihen, sondern auch noch danach im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen ist. In der Tat ist es auch eher unglaubhaft und schwer vorstellbar, wie man im Zustand geistiger Umnachtung eine Bischofsweihe vornehmen sollte. Wenigstens soviel Klarheit muß ja wohl vorhanden sein, daß man noch weiß, was man dafür tun und sagen muß. Dann aber weiß man auch, was man tut, und damit ist die nötige Aufmerksamkeit und Intention bereits gegeben. Übrigens haben u.a. auch Bischof de Castro-Meyer, Mgr. Williamson, der US-amerikanische Nuntius Pio Laghi und sogar der neurömische Vatikan die Gültigkeit der Thuc-Weihen anerkannt.
Der tiefe Graben
Kurzum, wir dürfen davon ausgehen, daß beide Erzbischöfe in ihren Weihelinien uns zur Freude der Katholiken gültig geweihte katholische Bischöfe hinterlassen haben. Da ist die Freude aber auch schon zu Ende. Denn zwischen den beiden Weihelinien besteht heute ein tiefer Graben. Es ist derselbe Graben, welcher die „Sedisvakantisten“ von den zunehmend sedisphoben „Traditionalisten“ trennt. Da rufen die einen hinüber „Häretiker!“, und von der anderen Seite schallt es „Schismatiker!“ zurück. „Wenn ihr einen Papst anerkennt, der Häresien lehrt und schädliche Gesetze für die Kirche macht, leugnet ihr die Unfehlbarkeit und Heiligkeit der Kirche und seid somit häretisch“, sagen die einen. „Wenn ihr den Papst ablehnt, seid ihr schismatisch“, sagen die anderen.
Verstärkt wird der tragische Konflikt durch die vielfachen persönlichen Verflechtungen und Animositäten der beiden Linien, die bisweilen kaum vernarbten Wunden, die man sich in der Vergangenheit gegenseitig zugefügt hat. So war etwa der Dominikaner-Theologe Guérard de Lauriers, Autor der berühmten „Ottaviani-Intervention“ zum „Novus ordo“, zuerst Professor im Lefebvre-Seminar von Ecône, bevor er sich 1981 von Mgr. Thuc zum Bischof weihen ließ. Einige andere Bischöfe aus der Thuc-Linie waren ursprünglich Priester der „Piusbruderschaft“ und hatten die Priesterweihe von Erzbischof Lefebvre empfangen. Am meisten Scherben dürfte der Konflikt von 1983 verursacht haben, als Mgr. Lefebvre ohne viel Federlesen neun Priester seiner Bruderschaft in den USA einfach wegen „Sedisvakantismus“ auf die Straße setzte und mit einem Prozeß überzog. Einige dieser Priester sind heute ebenfalls Thuc-Bischöfe, und der „Pius“-Priester, der damals die undankbare Aufgabe hatte, in den USA wieder Ordnung in die Reihen der „Piusbruderschaft“ zu bringen, hieß Richard Williamson, heute seinerseits Bischof aus der Lefebvre-Linie. Darin liegt vielleicht eine Erklärung für seine bis heute nicht überwundene Sedisphobie.
Eine Verständigung zwischen beiden Linien erscheint nicht sehr aussichtsreich, zumal auch innerhalb der jeweiligen Linien selbst keine Einheit besteht. Die Lefebvre-Bischöfe haben ohnehin unwiderruflich den Weg in die „Konzilskirche“ eingeschlagen, ihr einzig verbliebener „Widerstands“-Bischof blockiert sich selbst nicht zuletzt wegen seiner zum Gallikanismus neigenden Sedisphobie. Im Gegensatz zur sehr überschaubaren Lefebvre-Linie hat sich die Thuc-Linie viel weiter verbreitet und damit auch umso mehr zerstreut; leider ist dabei neben etlichen seriösen auch die eine oder andere unseriöse Gestalt darunter geraten. Im Gegensatz zu den Lefebvre-Bischöfen verfügen die Thuc-Bischöfe nicht über eine weltweite Organisation. Lediglich in den USA sind sie im Besitz nennenswerter Strukturen, was sie letztlich den Ereignissen von 1983 verdanken. Was sie an institutionellem Gewicht im Hintertreffen sind, machen sie freilich auf dem Gebiet der Theologie und Wissenschaft mehr als wett.
Schluß
Dennoch steht der Katholik heute einigermaßen verloren da. Mag er sich auch theologisch an den Thuc-Bischöfen orientieren, so können diese ihm doch nicht die kirchlichen Strukturen bieten, die er braucht und erwartet – es sei denn, er hätte das Glück, irgendwo in den USA zu leben, wo diese zufällig vorhanden sind. Bei den Lefebvre-Bischöfen kann er zwar eine Ersatz-Institution für seine verlorengegangene Kirche finden, jedoch um den Preis einer ideologisch-sektiererischen Engführung, welche die Weite, Klarheit und Wahrheit der katholischen Theologie längst verlassen hat und stracks in Richtung der „konziliaren Kirche“ führt. Wohin also sollen wir uns wenden?
Während uns bei der päpstlichen Doppelspitze gerade deren Einigkeit mißfällt, so bei den beiden bischöflichen Linien deren Uneinigkeit. Umgekehrt schiene es uns hilfreicher. Doch alles bleibt Utopie und Makulatur, solange wir nicht wieder einen wahren, katholischen Papst haben, der alles zusammenführt und eint. Möge der Herr der Kirche Seiner Braut zur Hilfe eilen, und möge Er es bald tun! Das ist unsere einzige Hoffnung. „Und der Geist und die Braut sagen: Komm! Und wer es hört, spreche: Komm! - Der diese Dinge bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. - Amen; komm, Herr Jesus!“ (Off. 22,17.20).