1. Die Zeiten sind böse, wie der hl. Paulus in seinem zweiten Brief an Timotheus schreibt: „Du sollst aber wissen, daß in den letzten Tagen schlimme Zeiten hereinbrechen werden“ (2Tim 3,1). Ja, es ist wirklich schlimm geworden, weil nichts mehr so ist, wie es einmal war. Natürlich ist damit nicht einfach ein verallgemeinerndes, alles über einen Kamm scherendes Urteil behauptet – das, was einmal war, war immer alles besser als das, was heute ist – dennoch gilt in einer zerbrechenden Zeit dieser Satz fast ausschließlich, weil in der Tat in den allermeisten Fällen nichts Besseres nachkommt.
Die tägliche Erfahrung lehrt einen die Wahrheit dieser Aussage oft genug neu, denn wie oft denkt man spontan: „Früher, ja früher war das und das und das noch besser“. Heute ist fast alles zwar anders, aber nichts ist wirklich besser geworden, die Bewußtseinsveränderer haben zwar nicht das Bewußtsein verändern können – weil man entweder bei Bewußtsein ist oder man ist bewußtlos, daran kann man nicht viel ändern – aber das Urteilsvermögen und die Urteilskriterien haben sie fast alle und zwar von den meisten Menschen unbemerkt verändert. Man hat in den letzten 100 Jahren das Denken vollkommen auf den Kopf gestellt, das wird jeder einsehen müssen, der noch eigenständig denken kann und noch nicht ganz den eigenen Verstand verloren hat. Dabei ist im Grunde noch mehr, viel mehr geschehen, als man selbst wahrnimmt und sich einzugestehen bereit ist. Das erkennt man besonders an dieser Tatsache: „Früher“, d.h. bis Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, gab es noch Reaktionäre, Reaktionäre, die diesen Namen noch wirklich verdienten. Heute sind fast alle Reaktionäre ausgestorben.
Eine Gesellschaft aber ohne Reaktionäre, echte Reaktionäre, Reaktionäre, die kein konservativ-halbkonservativer Verschnitt sind, ist unfähig, auf die revolutionären Kräfte zu reagieren. Eine solche Gesellschaft degeneriert notwendiger Weise zur Masse, wenn nicht sogar zum Mob, weil nämlich die Revolution den Menschen wie in einem dialektischen Sprung nicht, wie sie vorgibt, individualisiert, sondern entpersönlicht. Eine Gesellschaft ohne reaktionäre Kräfte hat kein Standvermögen mehr, da die geistigen Wurzeln durch die Revolution abgeschnitten worden sind, wodurch das Urteilsvermögen verlorengeht. Ohne geistige Tradition wird der Mensch zu einer Fahne im Wind, die sich vor lauter Meinungsvielfalt meinungslos um sich selbst dreht, was dazu noch mit der Selbsttäuschung verbunden ist, eine profunde eigene Meinung zu haben und überall mitreden zu können.
2. Angesichts dieser ruinösen Situation ist der echte Reaktionär zum Revolutionär geworden. Er weiß nämlich ganz genau: Seine „alte“ Welt kann nur noch durch eine Gegen-Revolution zurückgewonnen werden, durch eine Rückwärtswälzung der neuen Ordnung zurück zur „alten“ Ordnung. Dabei hat der revolutionäre Reaktionär jedoch eine besondere Schwierigkeit zu bewältigen, seine Revolution kann nicht die revolutionären Mittel der Revolutionäre gebrauchen, da die Wahrheit ihre eigenen Gesetze hat. Deswegen gelingt seine Revolution nur dann, wenn der Geist zurückgewonnen wird und die Wahrheit wieder zu ihrem Recht kommt. Ein Reaktionär braucht darum heutzutage tiefbegründete Überzeugungen – ja, er braucht im gewissen Sinne Visionen, d.h. er braucht viel Geist, große Ideen, tiefgründige Inspirationen. Aber woher soll er diese noch nehmen, wenn alles um ihn herum zerbricht und die geistige Zersetzung des Denkens fast vollendet ist? Ist überhaupt noch irgendwo Land in Sicht?
3. Jeder echte Katholik war selbstverständlich auch immer ein Reaktionär, d.h. er war geistig so wachsam, daß er sofort auf die Irrtümer, die Irrlehren, den sittlichen Verfall reagieren konnte. Sobald dem Katholiken von den von Gott gegebenen Hirten klar gesagt wurde, um was es eigentlich, wesentlich geht, war er sofort bereit, sich dafür einzusetzen – und wenn es auch nur in der dritten oder vierten Reihe war, er stand dahinter. Die Katholiken auf der ganzen Welt waren eine geschlossene geistige Einheit, geeint in dem einen göttlichen Glauben!
Diese Fähigkeit, geistig wacher Reaktionär zu sein, haben die allermeisten Katholiken im Laufe des letzten Jahrhunderts eingebüßt. Mit der Unterwanderung der katholischen Kirche durch die Modernisten verloren die Katholiken allmählich ihr katholisches Gespür. Wegen ihrer vermeintlichen geistigen Inferiorität, also ihrer vermeintlichen Unterlegenheit gegenüber dem modernen Denken, sehnten sich nicht wenige Katholiken (sog. liberale Katholiken) danach, die Kirche zu modernisieren, sie der heutigen Welt anzupassen. Und diese Sehnsucht wuchs mit den Jahren – d.h. mit der fortschreitenden Wühlarbeit der Modernisten in der Kirche – immer mehr. Der heilige Pius X. mußte etwa schon 1910 feststellen: „Auch nachdem ihnen die Enzyklika ‚Pascendi‘ die Maske, hinter der sie sich verbargen, vom Gesicht gerissen hat, haben die Modernisten ihre Pläne, den Frieden der Kirche zu stören, nicht aufgegeben. Sie haben in der Tat nicht aufgehört, neue Anhänger anzuwerben und in einer geheimen Vereinigung zu sammeln.“ Nicht zufällig kamen die neuen Gedanken in die Kirche, die Revolutionäre hatten sich in sie eingeschlichen, um sie von innen her nicht einfach nur zu zerstören, sondern sie heimlich umzugestalten, sie zu durchsetzen mit ihrem modernen Ungeist. So wurde es für die Reaktionäre immer schwerer, denn man wußte nicht mehr so genau, wer noch wirklicher Reaktionär war. Aber eines war in dem wachsenden Durcheinander doch noch eine Beruhigung: Wir wußten noch sicher, daß der Papst der große Reaktionär war, der die ganze Reaktion zusammenhielt und leitete. Dennoch waren die wahren Antimodernisten allmählich nur noch eine Minderheit. Viele begnügten sich nämlich einfach damit, konservativ zu sein. Das genügte aber natürlich ein keiner Weise, um gegen den Modernismus Stand halten zu können. Darum kam es auch schließlich und endlich zur Katastrophe.
Mit dem sog. 2. Vatikanum, jener Räubersynode zu Beginn der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts im Vatikan, gab es plötzlich keine katholischen Reaktionäre mehr. Sie sind seitdem eine aussterbende Rasse, denn der Modernismus zerstörte fast flächendeckend alle restaurierenden Kräfte. Die Päpste haben im 19. Jahrhundert und auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts mit aller Kraft versucht, dem Modernismus entgegenzutreten. Mit dem 2. Vatikanum aber brach jeglicher Widerstand in sich zusammen und es geschah das Unerwartete, das Unglaubliche, das bis ins Mark erschütternde: Plötzlich hatten die Reaktionäre keine Rückendeckung mehr von Rom. Auf diesem sog. Konzil wurde die Tradition entmachtet und als bloße dialektische Korrektur in den revolutionären Prozess des modernistischen Systems integriert. Ihrem ganzen Wesen nach war die neu geschaffene Konzilskirche revolutionär, also antikatholisch, antichristlich. Der konservative Anstrich diente allein dazu, die noch übrig gebliebenen Reaktionäre zu täuschen und ins eigene System einzubinden. Grundsätzlich aber klinkte sich die neue Kirche, d.h. richtiger gesagt Gegenkirche, in den antichristlichen Zeitgeist ein, bzw. hechelte diesem nunmehr mehr oder weniger verzweifelt hinterher. Ein Katholik aber, der diesem Zeitgeist hinterherläuft, ist kein wahrer Katholik mehr. Er ist nur noch eine Karikatur seiner selbst. Denn ein Katholik kann niemals im heutigen Sinne des Wortes modern sein. Ein Katholik ist niemals im modernen Sinne zeitgemäß, weil er seinem Wesen nach zeitlos ist, zeitlos wie die Wahrheit, mit der ihn Gott beschenkt hat und wodurch er auch haushoch über allen geistigen oder auch ungeistigen Modeströmungen seht.
4. Wir Reaktionäre haben es zunächst einfach nicht recht wahrhaben wollen: Rom ist zur Revolution übergelaufen. Viele von uns haben Ausflüchte gesucht, um dieser furchtbaren Tatsache auszuweichen. Die einen haben zu einem imaginären Papst ihre Zuflucht genommen, von dem sie sich einbilden konnten, er stünde immer noch hinter ihnen. Wenn dann der konkrete „Papst“, der wirklich jetzt lebende Mann in der weißen Soutane, wieder etwas sagte oder tat, was mit dem göttlichen Glauben so gar nicht zu vereinbaren war, dann waren sie jeweils ganz ratlos und trösteten sich mit der billigen Ausflucht: das haben die dunklen Hintermänner gemacht. Wenn er nur könnte, wie er wollte, dann würde er ganz anders handeln. Andere nahmen Zuflucht zu einem Doppelgängerpapst. Dieser Mann in Rom sei nur der Doppelgänger, wohingegen der echte Papst irgendwo in den Kellern des Vatikans gefangengehalten wird. Wieder andere teilten Rom in ein ewiges und ein neomodernistisches Rom auf, ohne zu merken, daß sie dadurch eine protestantische Geistkirche schufen, die wiederum im Gegensatz stehen sollte zur konkreten Modernistenkirche – und das noch unter der Führung eines einzigen liberalen „Papstes“.
Es hilft alles nichts, wir Reaktionäre müssen es wahr haben wollen: Seit die allermeisten der kirchlichen Hierarchen auf ihrem sog. Konzil den gesunden Menschenverstand verloren haben und vollkommen kindisch, d.h. fortschrittsgläubig geworden sind – weshalb sie auch angefangen haben, der Zeit hinterherzulaufen anstatt ihr vorauszugehen – sind sie unfähig geworden zu reagieren und somit die Kirche zu regieren. Diese Hierarchen sind keine wahren Hirten mehr, ja sie haben ihre göttliche Legitimation als Lehrer der göttlichen Wahrheit verloren. Denn anstatt die ihnen anvertrauten Katholiken vor den vielfältigen, den Glauben zerstörenden Irrtümern zu warnen und im göttlichen Glauben zu bestärken, verführen sie diese durch ihre modernistischen halbkonservativen Halbwahrheiten zum Abfall vom wahren Glauben. Wie sie selber weder kalt noch warm sind, sondern lau, werden auch die ihnen vertrauenden Gläubigen lau. Vom Ungeist des Modernismus verseucht, haben sie jeglichen katholischen Boden unter ihren Füßen verloren, was nach der konziliaren Revolution einen echten wachsamen Reaktionär natürlich nicht verwundert, sondern nur die halbkonservativen Pseudoreaktionäre, die den Balken in ihrem eigenen Auge für den Splitter im Auge des anderen halten, weshalb sie diese Tatsache einfach nicht wahrhaben wollen.
5. Man – damit sind die katholischen Christen gemeint – hat diese günstige Gelegenheit, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, wieder einmal verpaßt. Denn heute, angesichts der Ruinenkirche, könnte man eigentlich besser als jemals zuvor verstehen, was „Kirche“ eigentlich und wirklich ist. Heute, angesichts der Ruinen, sieht man doch noch viel deutlicher, wie Gott trotz der schwachen Menschen mit ihren vielen Fehlern die Kirche immer in ihrem Wesen bewahrt hat. Der göttliche Glaube, die hl. Sakramente, die göttliche Regierung hat allen Stürmen standgehalten. Immer wieder ist die hl. Kirche erneuert worden an Haupt und Gliedern. In allen Stürmen hat der Fels Petri standgehalten. Die hl. Kirche war die Lehrmeisterin der Völker, die Mutter des ewigen Heiles. Wie wenige Katholiken waren aber noch dankbar für diese Festigkeit des Felsens Petri angesichts des alles bedrohenden modernen Geistes? Wie viele verstanden die prophetisch mahnenden Stellvertreter Jesu Christi noch, wenn sie etwa gegen die sog. modernen Freiheiten sprachen? Meinten nicht die meisten von ihnen schon insgeheim, die Herren in Rom seien geistig etwas zurückgeblieben? Die Modernisten taten jedenfalls alles, damit dieser Eindruck bei den Katholiken entstand und sich über die Medien verbreitete.
6. Mit dem sog. 2. Vatikanum kam der Sieg der Revolution. Wie Gott es vorausgesagt hatte, ist es auch gekommen: Das Hindernis ist beseitigt worden! Die vor Gott verantwortlichen Hierarchen haben handstreichartig den göttlichen Glauben verraten. Fortan wollten sie zeitgemäß sein, wie es alle anderen Menschen auch vermeintlich waren – und sie haben sich dadurch, ohne es womöglich zu merken, selbst überflüssig gemacht. Denn eine moderne, zeitgemäße Kirche braucht natürlich keine Hirten und Lehrer mehr, sie braucht nur noch Moderatoren und Meinungsmacher. Hinterher jammerten dieselben Hierarchen dann, weil sie plötzlich niemand mehr ernst nahm und ihnen niemand mehr gehorchte – außer diejenigen Reaktionäre, die nicht begriffen hatten, was eigentlich geschehen war. Dabei haben sie selbst freiwillig abgedankt, in dem Augenblick nämlich, als sie sich vom göttlichen Glauben trennten und ihn dem Zeitgeist opferten. Seither sind sie nur noch Mietlinge oder sogar Wölfe; Wölfe, die diejenigen verfolgen, die sich noch der göttlichen Wahrheit verpflichtet wissen, also uns Reaktionäre.
Bei Mechthild Thaller-Schönwerth, der Vertrauten der Engel, lesen wir diese tröstlichen Worte Christi: „Meine auserwählten Diener, meine Priester, befeinden sich, und mancher, der mir und der Kirche die allergrößten Dienste geleistet hat, bezahlt seine Treue gegen mich mit der Verbannung. Nicht das Martyrium der ersten Christen, die ihr Leben für mich dahingaben, wird ausschließlich der größten Belohnung würdig sein. Auch die Jetztzeit bringt der Kirche die Glorie des Martyriums. Jetzt ist es ein unblutiges Martyrium, aber grausamer noch als das der ersten Christenzeit. Damals sollten die Christen den Statuen der heidnischen Götter opfern, jetzt aber will man die Menschen mit allen möglichen Mitteln veranlassen, den Götzen der Wissenschaft und der freien Forschung zu opfern. Diejenigen, die mir und ihrem alten Glauben treu bleiben, verfolgt man und gefährdet ihre Existenz, man verspottet und kreuzigt sie.“
Mit dem Konzil hat auch Paul VI. dem Zeitgeist, den Götzen der Wissenschaft und der freien Forschung, sein Weihrauchkörnchen geopfert, und dem Herrn in der weißen Soutane wurde darum auch das gebührende Lob von der Welt für seinen Götzendienst zuteil. Seine Nachfolger widerriefen diesen Verrat durchaus nicht, im Gegenteil, sie führten ihn Schritt für Schritt weiter und vollendeten ihn. Der derzeitige weiße Mann in Rom hat nun endlich die von den Liberalen schon lange herbeigesehnte dogmenfreie „Kirche“ ausgerufen, eine „Kirche“ also, die ganz und gar zu dieser modernen Welt paßt, die nichts so sehr haßt wie die Wahrheit. Eine dogmenfreie „Kirche“, das ist freilich für einen Katholiken ein schwarzer Schimmel. Das ist ein Widerspruch in sich, eine absolute Unmöglichkeit!
Wo aber sind die Reaktionäre, die dies von den Dächern schreien? Es ist schon recht bedrückend, feststellen zu müssen, die meisten Katholiken haben das Entscheidende gar nicht begriffen: Der Modernismus ist keine einzelne Irrlehre, er ist die Änderung des ganzen Systems, er ist seinem ganzen Wesen nach antichristlich. Und da kommen dann die halbkonservativen Schwätzer und beschwichtigen die verwirrten Gläubigen damit, daß doch alles nicht so schlimm sei und man nur nichts übertreiben dürfe. Und sie jonglieren genauso wie die Modernisten mit Worthülsen und sprechen vom ewigen Rom, von der Kirchenkrise und den bösen Bischöfen und dem armen Heiligen Vater; sie sprechen von einem klassischen Ritus und einer neuen Messe, die doch immerhin noch gültig sei; sie sprechen von Ökumenismus und Synkretismus, Demokratisierung der Kirche, usw. Wenn man genau hinhört, erkennt man, all ihre Begriffe sind ohne Inhalt, lauter Wörter, die nichts Bestimmtes mehr aussagen. Warum ist das so gekommen? Weil sie nicht verstanden haben, daß sie im System des Modernismus nicht den Modernismus bekämpfen und schon gar nicht überwinden können. Nur ein Antimodernist ist noch Reaktionär.
Und wir? Hand aufs Herz, wissen Sie, was ist damit genau, auf den Punkt gebracht, gemeint, wenn man vom ewigen Rom oder dem liberalen Rom spricht? Von einer Protestantisierung der Kirche? Wohlbemerkt der Kirche! Usw.
Was ist eigentlich geschehen – genau betrachtet, auf den Punkt gebracht? Wie haben wir Reaktionäre unseren katholischen Glaubenssinn verloren? Zu allen Zeiten konnte sich der Katholik auf das kirchliche Lehramt stützen. Nicht nur dann und wann, sondern jeden Tag. Die Kirche hat ihm durch das sog. ordentliche Lehramt täglich gesagt, was auf diese oder jene aktuelle Frage zu antworten ist. Dadurch ist die Glaubenssicherheit trotz der immer wieder aufkommenden Irrtümer bewahrt worden. Nur haben es die allermeisten Katholiken gar nicht mehr wahrgenommen, woher denn eigentlich ihre Glaubenssicherheit kommt und deswegen haben es auch nur noch die allerwenigsten wertgeschätzt, ein von Gott geschenktes und vom Heiligen Geist erleuchtetes Lehramt zu besitzen. „Deshalb ist die Kirche die Säule und Grundfeste der Wahrheit, weil sie die Kirche des lebendigen Gottes ist, dessen Name und Schutz nicht leere Titel, sondern Tat und Leben sind“, schreibt der Dogmatiker J.B. Heinrich. Und weiter: „Weil Christus das Haupt der Kirche ist, ist die Kirche die Fülle Christi, daher das Reich der Wahrheit. Deshalb stehen wir in der Kirche unerschütterlich auf dem Fundamente der Apostel und Propheten, weil Christus selbst der Eckstein ist, auf dem und in dem die Kirche erwächst… Deshalb ist die Kirche die unversehrte Braut Christi, die nimmer zum Bruche ihrer Ehe, d.h. zur Häresie gebracht werden kann; deshalb kann das reine Wasser ihrer Lehre nie gefälscht werden. Wie der Mond durch die Sonne leuchtet, so die Kirche durch Christus.“
Wenn man diese Worte aufmerksam liest, so möchte man spontan ausrufen: Das kann nicht die neue Kirche in Rom sein! Der Modernismus machte doch mit dem Konzil offiziell alle Römer, die Konzilspäpste eingeschlossen, zu bloßen Begriffsjongleuren, denen es gar nicht mehr um den wahren Glauben ging und geht. Aus Lehrern der göttlichen Wahrheit wurden weltoffene Schwätzer! Das postkonziliare Rom hat die orientierungslos gewordenen Katholiken zu Mitläufern im Wettlauf mit dem modernen Fortschritt gemacht. Diesem Rom ist es sogar gelungen, die allermeisten Noch-Reaktionäre zu konservativen Modernisten umfunktionieren. Antimodernisten gab es jedenfalls plötzlich kaum mehr. Die Revolution in Tiara und Chorrock war gelungen. Die ehemaligen Reaktionäre wurden letztlich genauso profillos und nichtssagend wie die Progressisten und machten sich sogar zu deren Steigbügelhaltern. Deswegen ist auch die Bewegung der Tradition unweigerlich zum Traditionalismus degeneriert und deren Anhänger sind nunmehr schon mit ihren Traditiönchen vollauf zufrieden und bilden sich dazu noch ein, immer noch katholisch zu sein. Das letzte Jahrzehnt war für die Bewegung der Tradition ein Jahrzehnt der Traditiönchen, des „Hauptsache, wir haben wieder die Alte Messe“ etwa, was nun wirklich die dümmste und kurzsichtigste Art eines katholischen Widerstandes ist.
7. Wir Reaktionäre aber fragen uns besorgt: Wo ist die von göttlicher Wahrheit leuchtende Kirche? In La Salette hat uns die weinende Muttergottes darauf aufmerksam gemacht, daß die Kirche verfinstert werden wird. Leo XIII. ließ in seinem Exorzismus von 1884 beten: „Wo der Sitz des heiligen Petrus und Lehrstuhl der Wahrheit als Leuchte der Nationen errichtet wurde, dort haben sie den Thron ihrer Abscheulichkeit aufgestellt (thronum posuerunt abominationis suae)“. Leo XIII. schreibt nicht, sie werden aufstellen, sondern sie haben aufgestellt! Und trotzdem gibt es auch heute noch eine große Anzahl von Traditionalisten, die noch immer nicht glauben wollen, daß dies überhaupt möglich ist und schon gar nicht wahrnehmen wollen, daß dies zweifelsohne so ist. Nubius, der Führer der Alta Vendita der Carbonari, wußte es vor mehr als 100 Jahren schon besser als die allermeisten Traditionalisten heute: „Wir müssen… durch einen Papst zum Triumph der Revolution gelangen… Möge der Klerus unter eurer Fahne marschieren und dabei glauben, er marschiere immer noch unter dem Banner der apostolischen Schlüssel.“ Genau das ist das Schickal der allermeisten sog. Traditionalisten, sie meinen noch unter dem Banner der apostolischen Schlüssel zu marschieren, dabei laufen sie schon lange hinter der Fahne der Revolution her – selbst wenn Herr Bergoglio den einen oder anderen ganz schön zum Schwitzen bringt. Da braucht man auch wirklich schon sehr viel ewiges Rom, um die antichristlichen Taten dieses Herren noch ertragen und geistig neutralisieren zu können. Oder ist das vielleicht gar nicht mehr möglich?
Aber nochmals zurück zu unserer Frage: Wo ist die von göttlicher Wahrheit leuchtende Kirche? Kardinal Pie sagte 1859 in einem Vortrag, in dem er über den Triumph der Revolution sprach und ihre Folgen erwog: „Man wird den Glauben fast nicht mehr auf Erden finden, was heißt, daß er beinahe gänzlich aus sämtlichen irdischen Institutionen verschwunden sein wird… Die Kirche, als Gemeinschaft zweifellos immer noch sichtbar, wird immer mehr auf rein individuelle und familiäre Dimensionen reduziert werden.“
Diese Einsicht scheint ganz grundlegend zu sein, wenn man noch wahrer Reaktionär bleiben möchte. Wir müssen ohne die großen Organisationsstrukturen auskommen, müssen uns auf kleinere Gemeinschaften konzentrieren und uns wieder und wieder nüchtern eingestehen, wir haben als Reaktionäre keine Rückendeckung mehr, weil wir keinen Papst mehr haben. Und jeder, der sich mit dem abgefallenen, modernistischen, antichristlichen Rom verbindet, ist schon damit selbst ein Modernist geworden, auch wenn er sich noch so stark einbildet, er wäre noch katholisch. Wie schon gesagt, in Wirklichkeit läuft er hinter der Fahne der Revolution her. Warum die Feinde der Kirche das viel besser erkannt haben als die allermeisten Katholiken, ist schon recht merkwürdig.
Aber mag es sein, wie es ist, ich jedenfalls bleibe ein Reaktionär und Antimodernist und mache mich an die äußerst mühsame und aufwendige Arbeit dieser reaktionären Revolution.