Reform ohne Ende

Am 4. Dezember feierte die Liturgiekonstitution des "II. Vatikanums", "Sacrosanctum Concilium", ihren 50. Geburtstag - oder ihr Goldenes Jubiläum. Zur Oktav dieses Jubeltages bringen wir hier eine kleine Würdigung.

50 Jahre Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium

Es ist sicher kein Zufall, sondern vielmehr eine von den führenden Kräften auf dem Zweiten Vatikanum gewollte ausdrückliche Entgegenstellung gewesen, daß gerade am 4. Dezember 1963, also genau 400 Jahre nach dem Abschluß des Konzils von Trient, die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ zur endgültigen Abstimmung vorgelegt und mit 2147 Ja- gegen vier Nein-Stimmen angenommen wurde. Mit diesem Dokument wollte man sich offensichtlich von der eigenen „tridentinischen“ Vergangenheit verabschieden, um ein neues Kapitel in der Kirchengeschichte aufzuschlagen, was sich auch in der nachfolgenden Sprachregelung von der vor- und der nachkonziliaren Liturgie, bzw. der vor- und der nachkonziliaren Kirche deutlich widerspiegelt. Wenn dann 40 Jahre später Johannes Paul II. in dem Apostolischen Schreiben „Spiritus et Sponsa“ sagte: „Die Verkündigung der Liturgiekonstitution hat für das Leben der Kirche einen Abschnitt fundamentaler Bedeutung für die Förderung und Entwicklung der Liturgie dargestellt“, dann ist im Folgenden zu prüfen und zu erläutern, inwieweit diese Behauptung den geschichtlichen Tatsachen gerecht wird, zumal heute im Rückblick von weiteren 10 Jahren.

1. Das Ziel der Liturgiekonstitution

Papst Paul VI. faßte, unmittelbar bevor die endgültige und förmliche Abstimmung über das Schema über die Liturgie stattfand, das Anliegen des Konzils noch einmal wie folgt zusammen: Das erste Schema sei das der heiligen Liturgie und der Gegenstand sei auch „in gewissem Sinn der erste nach seiner inneren Vorzüglichkeit und seiner Bedeutung für das Leben der Kirche.“ Es gehe dem Konzil darum, den liturgischen Ritus zu vereinfachen und dem Volk verständlicher zu machen und auch die liturgische Sprache der von dem jeweiligen Volk gesprochenen anzupassen. Es gehe aber nicht darum, die Liturgie ärmer zu machen - „im Gegenteil, wir wünschen uns die Liturgie reiner, treuer, mehr in Übereinstimmung mit der Quelle der Wahrheit und Gnade und geeigneter, in ein spirituelles Erbe des Volkes verwandelt zu werden.“

Was hier so fromm und beinahe einleuchtend gesagt wird, ist genauer betrachtet etwas in der katholischen Kirche ganz Unerhörtes und Neues. Um das zu sehen, muß man das von Paul VI. Gesagte jedoch vom nicht ausgesprochenem Gegenteil her formulieren. Wenn er nämlich sagt, es gehe nicht darum, die Liturgie ärmer zu machen - „im Gegenteil, wir wünschen uns die Liturgie reiner, treuer, mehr in Übereinstimmung mit der Quelle der Wahrheit und Gnade und geeigneter, in ein spirituelles Erbe des Volkes verwandelt zu werden“, so behauptet er damit andererseits, daß die Liturgie der katholischen Kirche bisher weniger rein oder gar unrein, weniger treu oder gar untreu, weniger in Übereinstimmung mit der Quelle der Wahrheit und Gnade und weniger geeignet war, in ein spirituelles Erbe des Volkes verwandelt zu werden! Eine solche Behauptung ist nun freilich aus dem Munde eines Papstes etwas recht Erstaunliches. Eine Liturgie, die sich immerhin 400 Jahre hindurch als äußerst anpassungsfähig erwiesen hat und einen geradezu unglaublichen missionarischen Elan entwickelte, die zudem 400 Jahre hindurch durchaus eine ständige Quelle der Wahrheit und der Gnade war, indem sie ungezählte Generationen von Katholiken aller Sprachen und Nationen im Glauben formte und stärkte und zudem eine Unzahl von Heiligen hervorbrachte, sollte mit einem Mal nicht mehr gut genug sein, so daß jetzt eine neue, bessere Liturgie geschaffen werden müsse? Eine Liturgie, von der das Konzil von Trient sagte: „Und weil es sich ziemt, daß das Heilige heilig verwaltet werde, und dieses das heiligste aller Opfer ist, so hat die katholische Kirche, damit dasselbe mit Würde und Ehrfurcht dargebracht und aufgenommen werde, vor vielen Jahrhunderten den hl. Kanon festgesetzt, welcher so von allem Irrtum rein ist, daß sich in ihm nichts befindet, was nicht in höchstem Maß eine bestimmte Heiligkeit und Frömmigkeit erkennen läßt und die Herzen der Darbringenden zu Gott emporrichtet...“, sollte nun nicht mehr rein genug, nicht mehr treu genug und nicht mehr in Übereinstimmung mit der Quelle der Wahrheit und der Gnade sein?

Aber zu dieser schon so befremdenden Feststellung kommt noch eine weitere hinzu: Paul VI. hat sich mit dieser Zielsetzung der Liturgiekonstitution im Wesentlichen die Grundforderung der Reformatoren und Aufklärer aller Zeiten nach einer Liturgie zu eigen macht, die einfacher sein und dadurch dem apostolischen Ursprung mehr entsprechen soll als die bisherige Liturgie der Kirche. Schon Martin Luther hat 1520 in seiner Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ geschrieben: „Die Messe nun, je näher und gleichförmiger sie ist der allerersten Messe, die Christus nach dem Nachtmahl gehalten, desto christlicher ist sie.“ Seither wurde dieses spezifisch protestantische Prinzip der Ursprungsnähe der Liturgie immer wieder von allen „Reformern“ wiederholt und als Hauptargument für eine Legitimation einer Veränderung der katholischen Liturgie verwandt. Ende des letzten Jahrhunderts schrieb der zu den freimaurerischen Rosenkreuzern übergetretene Ex-Abbé Roca (1830 - 1893) in seinem Buch „L' Abbé Gabriel“ in prophetischer Voraussicht oder vielleicht auch mit dem geheimen Wissen eines Eingeweihten: „Ich glaube, daß der Gottesdienst, wie ihn die Liturgie, das Zeremoniale, das Rituale und die Vorschriften der Römischen Kirche regeln, in naher Zukunft auf einem ökumenischen Konzil eine Umwandlung erfährt, die ihn - indem sie ihm die ehrwürdige Einfachheit des goldenen, apostolischen Zeitalters zurückgibt - mit dem neuen Stand des Bewußtseins und der modernen Zivilisation in Einklang bringt.“ Wenn man auf dem Hintergrund dieser Aussage Rocas den ersten Satz der Liturgiekonstitution liest, in dem es heißt: „Das Heilige Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen, die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen, zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann, und zu stärken, was immer helfen kann, alle in den Schoß der Kirche zu rufen“, so erscheint das durchaus ganz dem Gedankengut von Herrn Roca zu entsprechen. Die Zielrichtung jedenfalls ist vollkommen identisch und klar: Die „Notwendigkeiten unseres Zeitalters“ und „zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann, und zu stärken, was immer helfen kann, alle in den Schoß der Kirche zu rufen.“ – Also Aggiornamento und Ökumene! So heißen nunmehr die neuen Schlagwörter, mit denen man die Liturgie verzwecken und die eigene Tradition totschlagen wird! Der Rosenkreuzer Roca wäre sicher begeistert gewesen!

Der amerikanische Professor George A. Lindbeck, seinerzeit Delegierter des lutherischen Weltbundes beim Konzil, hatte damals ganz richtig gesehen, als er mit Blick auf die Liturgiekonstitution vom „Ende der Gegenreformation“ sprach und die theologischen Grundsätze der Liturgie-Reform in einem Artikel folgendermaßen darlegte: „...es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Grundprinzipien des Schemas nichts weniger als revolutionär sind - zumindest in protestantischer Sicht... In jedem Fall stellen sie... das Manifest der Umkehrung der wesentlichen liturgischen Bestrebungen (und Richtungen) aus den letzten - vielleicht kann man so weit gehen - fünfzehnhundert Jahren dar.“

2. Die von Rom verordnete Meß-Reformation

Es kann nicht genug betont werden, daß die Reformation, die im Namen des Zweiten Vatikanischen Konzils stattfand, eine Revolution von oben war. Nicht so sehr das Volk wollte eine neue Liturgie, sondern Rom, d.h. der Papst, die Kardinäle, die Bischöfe und die Priester. Heinz-Joachim Fischer führt in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus: „Es ist zwar richtig, daß sich die römische Kirche Ende der fünfziger Jahre - als Papst Johannes XXIII. auf die Idee einer allgemeinen Bischofsversammlung kam - nach allen meßbaren Kriterien wie dem sonntäglichen Meßbesuch oder der Priesterzahl, nach Sakramentenempfang und Vertrauen in die Hierarchie in einem fast paradiesischen Zustand befand. Also hätte man nach den gängigen Regeln gar nichts oder so wenig wie möglich oder lediglich dort ändern müssen, wo der Reformdruck nicht nur von kleinen Eliten ausging, von Theologen oder den Anhängern kräftiger 'Bewegungen', der 'Liturgischen', jener der pluralistischen Religionsfreiheit oder der Ökumene für die Einheit aller Christen etwa, sondern vom Kirchenvolk. Dieses schien damals aber ziemlich zufrieden, wie die Statistiken ausweisen. Deshalb mußten Bischöfe, Theologen und eifrige Laien immer wieder nach 1963 dem nur teilweise vorbereiteten, in der Mehrheit eher verdutzten Kirchenvolk erklären, was für eine großartige Sache das Konzil sei und daß man nur dann ein guter Katholik sein könne, wenn man die angeordneten Veränderungen getreulich und begeistert mitvollziehe.“

Man hat dem verdutzten Kirchenvolk eine Reform aufgezwängt, die ursprünglich von einer kleinen elitären Minderheit ausging. Was gestern noch gut katholisch war, der Gottesdienst in seinen vielerlei Gestalten, mit den verschiedenen Andachten, Prozessionen und Wallfahrten, war mit einem Mal verpönt oder sogar verboten. Im Namen der Konzilsreform wurde alles verändert, was nicht niet- und nagelfest war. Eine 400jährige liturgische Beständigkeit wurde durch eine liturgische Bewegung „ad experimentum“ abgelöst. Heute, nach 50 Jahren, ist der Schaden, den die konziliare Revolution für das Heil der Seelen angerichtet hat, unermeßlich. Was vor 50 Jahren von der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanum angestoßen worden ist, war wirklich keine Meß-Reform in Sinne eines Konzils von Trient, sondern eine Meß-Reformation im Sinne Luthers.

Schon vom äußeren Geschehen her gesehen, ist mit dem nachkonziliaren Vandalismus in allen Kirchen der Welt nur noch der Bildersturm des 16. Jahrhundert zu vergleichen. Dabei ist die Zertrümmerung ungezählter Hochaltäre ein sehr treffendes Symbol für die geistige Zertrümmerung der Theologie der hl. Messe im Gefolge der konziliaren „Reformen“. Mit einem geradezu dämonischen Haß hat man damals – und mancherorts auch heute noch – alles, was an die vorkonziliare Liturgie erinnerte, diffamiert und brutal ausgemerzt, um fortan „Neue Liturgie“ zu machen. Noch heute wird vor allem von den halbkonservativen Kreisen völlig verkannt, daß das „Liturgia semper reformanda“ – „die immer zu reformierende Liturgie“ zum Wesen der Neuen Messe gehört. Sobald ich nämlich beginne, die Liturgie den Bedürfnissen der Zeit anzupassen, werde ich damit niemals mehr fertig. Bekanntermaßen ändern sich ja die Zeiten ständig und die der modernen Zeit angepaßte Liturgie der 60er und 70er Jahre muß einer Liturgie weichen, die der postmodernen Zeit im Jahr 2013 entspricht – Reform der Reform heißt das fortan – ad infinitum!

3. Die den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassende Liturgie

In der "Welt" vom 4. Dez. 2003 schrieb Gernot Facius: „Die Liturgie ist von nun an nicht mehr nur eine Gott dargebrachte 'Priesterliturgie', der das gläubige Volk teilnahmslos beiwohnt. Jetzt ist die Gemeinde das Subjekt der liturgischen Feier, eine Gemeinde, in der der geweihte Priester nur eine, wenn auch unersetzliche, Rolle spielt. Kirche als Gemeinschaft ('Communio'), das ist revolutionär, das bedeutet die Abkehr von dem über die Jahrhunderte bewahrten hierarchischen Modell. Damit die Riten nicht vieler Erklärungen bedürfen, 'mögen sie den Glanz edler Einfachheit an sich tragen', formulierte das Konzil. Dem Gebrauch der Muttersprache wurde ein 'weiter Raum' zugebilligt, das Latein sollte 'an sich' erhalten bleiben. Schließlich, in der Folge der nachkonziliaren Entwicklung, wurde sie für alle Teile der Messe gestattet, sogar für die Wandlungsworte. Selbst die fortschrittlichsten Experten, so erinnert sich der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl, der als Konzilsstenograf fungierte, hätten das seinerzeit nicht angenommen. Auch die 'Handkommunion' sei vom Konzil selbst noch nicht diskutiert worden: 'Beides wurde aber von den zuständigen Autoritäten genehmigt, ist also ganz legitim und zeigt nur, wie nach dem Konzil (wohl ganz in seinem Geist) weitergedacht worden ist'.“

Die Notwendigkeiten unseres modernen Zeitalters haben eine gewisse Eigendynamik, der sich die neue, diesen Notwendigkeiten anzupassende Liturgie natürlich nicht entziehen kann. Die allgemeine Hinwendung zum Menschen etwa, die sog. anthropologische Wende, ergreift den neuzugestaltenden Ritus dermaßen, daß auch alle Kirchen dem neuen Denken angepaßt, d.h. entsprechend umgestaltet werden müssen, um den neuesten Erfordernissen entsprechen zu können. Der Wechsel der Zelebrationsrichtung ist durchaus kein nebensächliches Detail, sondern „theologisches“ Programm, denn nicht nur der Priester dreht sich um 180 Grad, mit ihm dreht sich alles mit. Nicht mehr Priesterliturgie ist gefragt, sondern Gemeindefeier, liturgischer Event! Hans Küng stellte schon 1968 in seinem Buch „Wahrhaftigkeit. Zur Zukunft der Kirche“ ganz zutreffend fest: „Im Vergleich zur nachtridentinischen, gegenreformatorischen Kirche bedeutet das Zweite Vatikanische Konzil - bei allen Halbheiten, die wir nie vertuschen dürfen - in seiner Grundtendenz eine Wende um 180 Grad.“

Und im Hinblick auf die Anliegen der Erneuerung der Liturgie führt Küng in demselben Werk genauer aus, welche Grundsätze es zu beachten gilt:

Echter Volksgottesdienst: Als Verwirklichung reformatorischer Anliegen können dabei gelten:
a) gegenüber der früheren Klerikerliturgie der Gottesdienst des ganzen priesterlichen Volkes: Gemeinschaft betont durch verständliche Gestaltung, aktive Teilnahme der ganzen Gemeinde...
b) gegenüber der früheren Verkündigung in der lateinischen Fremdsprache ein neues Hören auf das verständlich verkündigte Wort Gottes...
c) gegenüber der früher ganz romanisierten Liturgie die Anpassung an die verschiedenen Nationen: Mitzuständigkeit der Landesepiskopate für die Ordnung der Liturgie statt der bisherigen exklusiven päpstlichen Zuständigkeit;
d) gegenüber der früheren Überwucherung und Verdeckung Vereinfachung und Konzentration auf das Wesentliche: Revision aller Riten und so größere Ähnlichkeit der Messe mit dem Abendmahl Jesu....

Heute können wir nur verblüfft feststellen, wie treffend Hans Küng alles vorgedacht hat, denn genauso ist es dann auch gekommen: Revision aller Riten. Was sich seither im Namen der aktiven Teilnahme der ganzen Gemeinde, der Anpassung an die verschiedenen Nationen und der Vereinfachung und Konzentration auf das Wesentliche über das pilgernde Gottesvolk hereingebrochen ist, ist wirklich kaum noch zu glauben. Die nachkonziliare Wirklichkeit bei den sonn- und werktäglichen „Gottesdiensten“ hat bei weitem alle Erwartungen der Progressisten übertroffen und läßt sich am treffendsten wohl nur noch mit dem Werbespot einer großen Autofirma beschreiben: „Nichts ist unmöglich!“ Der gottesdienstbesuchende Katholik muß seither wirklich auf alles gefaßt sein, denn die Liturgie ist nun dauernd in Bewegung. Dabei wird von vielen übersehen, daß solche kreative Eigenheiten durchaus nicht als Mißbrauch anzusehen sind, als ein Verstoß gegen die Norm der Neue Messe als solche, da es die Neue Messe ja gar nicht gibt. Vielmehr ist die Neue Messe von Anfang an eine breit angelegte Palette von legitimen Möglichkeiten, Liturgie zu feiern. Die Kreativität hat Heimatrecht in der Neuen Liturgie, sie gehört zum Selbstverständnis derselben.

Wenn manche Verantwortliche, wie etwa Joseph Ratzinger, das nicht wahrhaben wollten und diese Entwicklung der liturgischen Praxis als eine Fehlinterpretation des Konzilstextes hinstellten, so schienen sie ganz einfach vergessen zu haben, was von seiten Roms und den Bischöfen inzwischen alles erlaubt und vor allem tagtäglich zumindest stillschweigend geduldet und infolgedessen überall praktiziert wurde. Es half dem damaligen Kardinal Ratzinger nichts, sich darüber zu beschweren, daß die „wilde Kreativität“ nach dem Konzil „das Mysterium des Heiligen zunichte gemacht“ habe, denn diese Entwicklung der Liturgie ad experimentum zur wilden Kreativität hätte jeder noch mit ein wenig gesundem Menschenverstand begabte Mensch von Anfang an voraussehen müssen. Wer die hl. Liturgie der Kirche „ad experimentum“ freigibt, der setzt damit letztlich stillschweigend voraus, daß jeder Dilettant fähig ist, tagtäglich ein Kunstwerk vom Format der Pieta Michelangelos zu schaffen, und das muß natürlich mißlingen, wie der Neuentwurf einer Konzilsmesse seit 50 Jahren notwendigerweise mißlingt. Schließlich ist die wahre hl. Messe eines der größten Meisterwerke des Heiligen Geistes und keine am grünen Tisch entworfene Gemeindefeier.

Paul VI. und den Konzilsenthusiasten war jedoch dieses göttliche Meisterwerk nicht mehr gut genug, weshalb sie meinten, alles besser machen zu müssen. Leider war in diesem Fall, wie so oft im Leben, das Bessere der Feind des Guten. Wenn es daher in dem Apostolischen Schreiben Johannes Pauls II. heißt: „Wenn die liturgischen Rechtsvorschriften nicht respektiert werden, kommt es manchmal auch zu schwerem Mißbrauch, der die Wahrheit des Mysteriums verdunkelt und im Volk Gottes Betroffenheit hervorruft oder zu Spannungen führt. Ein solcher Mißbrauch hat nichts mit dem wahren Geist des Konzils gemein und muß von den Hirten mit kluger Bestimmtheit korrigiert werden“, so ist das eine bloße Schutzbehauptung, welche mit den tatsächlichen Gegebenheiten der letzten 50 Jahre vollkommenen im Widerspruch steht. In keinem anderen Bereich würde man es wagen, einen angeblich so guten Geist zu verteidigen, wenn er so viel schlechte Früchte hervorgebracht hätte, wie der sagenhafte Geist des Konzils. Die nachkonziliare Wirklichkeit sieht doch nüchtern betrachtet so aus: Wie viele Priester sind in diesen 50 Jahren wegen der nicht nur würdigen, sondern dem Mysterium einzig entsprechenden Form der Zelebration der Messe im tridentinischen Ritus verfolgt, gemaßregelt oder sogar des Amtes enthoben worden, während alle Arten von Ehrfurchtslosigkeit bis hin zur Blasphemie im Rahmen einer Neuen „Messe“ ohne jede Folge blieben?

4. Es gibt kein Zurück

Über eines sind sich die Verantwortlichen in der Konzilskirche einig: Es gibt keinen Weg zurück zum alten Ritus. In Würzburg erklärte Kurienerzbischof Gerhard Ludwig Müller, derzeit Präfekt der Glaubenskongregation, anläßlich des 50. Jahrestags von „Sacrosanctum Concilium“ nach einem Bericht der „Tagespost“ (7. Dez. 2013), ohne „die Liturgiereform wäre die Entchristlichung vielleicht noch weiter vorangeschritten“, die Reform „könne 'ein guter Weg sein' zur missionarischen Kirche“. Gegen die Kritiker der Liturgiereform wandte der Glaubenspräfekt ein, die „nicht wegen, sondern nach dem Zweiten Vaticanum 'dramatisch sich zuspitzende Krise des Glaubens'“ sei „die Ursache der nicht noch größeren positiven Wirkung der aktiven bewussten Teilnahme der Gläubigen an der Liturgie“. „Kirchengeschichtlich könne man die Liturgiereform zusammen mit der Ausführung und Umsetzung in den Jahren nach dem Konzil 'ebenso wenig als dramatischen Bruch mit der Tradition, wie als bloß kosmetische, äußerliche Gestaltveränderung, die nur auf Effekte hinzielt', interpretieren, erklärte der Erzbischof. Unruhe hat es gegeben, wo der neue Ritus in ungeordneter Weise, ohne entsprechende Vorbereitung oder mit dem alten Geist der Rubrizistik eingeführt worden sei.“ „Aufs Ganze gesehen werden Katholiken, die mit der Kirche denken und fühlen, diese Reform im Wesentlichen als gelungen bezeichnen und die reichen Früchte begrüßen, die in einer aus der Liturgie gespeisten Frömmigkeit reifen konnten.“

In dem schon erwähnten Apostolischen Schreiben Johannes Pauls II. heißt es ebenfalls in diesem Sinne: „Während in der Anfangszeit die erneuerten Texte allmählich in die liturgischen Feiern eingefügt wurden, ist es nun notwendig, ihre Reichtümer und die in ihnen, enthaltenen Möglichkeiten zu vertiefen.“ Nach der Phase der schöpferischen Neugestaltung des Ritus kommt also nunmehr die Phase der Entdeckung der hinzugewonnenen Reichtümer an Banalität und Ehrfurchtslosigkeit.

Mit Blick auf einen Artikel über die alte Messe, den eine überregionale Tageszeitung veröffentlicht hatte, empfahl der damalige Kardinal Ratzinger in einem Festvortrag in Trier, eine „liturgische Versöhnung“ anzustreben. Die überhastete Durchführung der Liturgiereform sei die Ursache, daß nicht nur Freude über die neue Form aufgekommen sei. Seiner Auffassung nach werde die Liturgiereform im Wesentlichen bleiben, solle aber vertieft werden. Einfach zum alten Missale zurückzukehren sei nicht möglich. Der Reichtum an Präfationen und Lesungen im Novus Ordo, auch die neuen Heiligen seien positive Elemente. „Man kann Liturgie nicht einfrieren“, lautete das Fazit des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation und Vorgängers von Erzbischof Müller. Ganz in diesem Sinne hat er als Papst Benedikt dann auch in seinem Motu Proprio „Summorum Pontificum“ versucht, mit seinen Vorstellungen Ernst zu machen.

Damit ist also der weiter zu beschreitende Weg der Reform der Reform klar vorgezeichnet: Es gilt, das Wesentliche des Gottesdienstes zurückzugewinnen. Und das geht auch mit neuem Meßbuch, selbst nach 50 Jahren gegenteiliger Erfahrung – weil nämlich nicht sein darf, was nicht sein soll. So einfach ist das!

5. Die Reform der Reform der Reform der Reform ...

Die neue Liturgie ist offensichtlich nach 50jähriger Dauerreform immer noch nicht auf dem neuesten Stand der Zeit angekommen und somit immer noch verbesserungsbedürftig. Freilich gibt es über die Art der Reform der Reform der Reform der Reform keine einheitliche Meinung, wie sollte das auch unter liturgisch bewegten Brüdern möglich sein.

Immerhin fehlte es in den letzten zehn Jahren nicht an reformerischen Bemühungen, von der „Enzyklika Ecclesia de Eucharistia“ und der nachfolgenden Liturgie-Instruktion Johannes Pauls II. angefangen über „Papst Ratzingers“ bereits oben erwähntes „Motu Proprio Summorum Pontificum“ und die von diesem zwar nicht vorgeschriebenen, aber beispielhaft vorexerzierten Reförmchen wie Austeilung der Mundkommunion am Betschemel (während die übrigen Kommunionausteiler weiterhin die Handkommunion spenden) oder das Aufstellen eines Kreuzes in der Mitte des „Altars“, um die „Zelebrationsrichtung“ neu zu bestimmen, bis hin zum liturgischen Vakuum von „Franziskus I.“, der wenigstens in dieser Beziehung über seine Seminarzeit Ende der 1960er Jahre nicht hinausgekommen zu sein scheint und alle diese „Reform“-Bemühungen wieder im Keime erstickt (so hat er etwa den von seinem Vorgänger entfernten Sperrholz-Luthertisch aus der Sixtina umgehend wieder dort aufstellen lassen).

Das Phänomen „Zelebrationsrichtung“ verdient noch einige Aufmerksamkeit, zeigt es doch, daß es mit der „Reform der Reform“ auch wirklich nicht ganz so einfach ist:

In dem Aufsatz „Anmerkung zur Frage der Zelebrationsrichtung“ machte Ratzinger schon als Kardinal einen konkreten Verbesserungsvorschlag in diese Richtung, dem wir etwas nachspüren wollen. Er meinte, man solle zumindest auf dem Altar ein großes Kreuz aufstellen, daß es Priester und Gläubige gemeinsam anschauen können: „Im Hochgebet sollen sie nicht sich anblicken, sondern gemeinsam auf Ihn – hinschauen auf den Durchbohrten.“ Ein solches Kreuz sei kein Hindernis, sondern im Gegenteil eine Voraussetzung für die Zelebration hin zum Volk. Kaplan Ulrich Filler findet in seinem Artikel zur Liturgiekonstitution in „Theologisches“ diesen Vorschlag Ratzingers „unbedingt beachtenswert“. Alexander Kissler bemerkt in der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel „Zwecklos, sinnvoll, heilig“: „Ein generelles Umdenken ist nötig, was die Gebetsrichtung betrifft. Zumindest ist es widersinnig, daß Priester und Gemeinde einander anstarren. Nur der gemeinsame Blick nach Osten kann Ausdruck sein der gemeinsamen Hoffnung.“ Wenn das Thema nicht so ernst wäre, dann könnte man über solche Reformvorschläge beinahe lachen: Das große Kreuz auf dem Luthertisch, und schon schauen alle nach Osten, von woher Christus wiederkommen wird – all das, um sich nicht gegenseitig anstarren zu müssen. Bekanntlich hat Papst Benedikt das dann auch beharrlich durchgezogen.

Auch der gegenwärtige Glaubenspräfekt Erzbischof Müller hat sich so seine Gedanken dazu gemacht, denn schließlich dürfe man Kritiker der erneuerten Liturgie nicht einfach als „rückwärtsgewandt“ abstempeln, sondern müsse ihnen „mit theologischen Vernunftgründen entgegentreten“, und diese sehen bei ihm so aus: „Als Beispiel führte er die veränderte Zelebrationsrichtung an: Die Gegenargumente seien nicht damit abzutun, dass 'gegen die Wand' zelebriert werde und der Priester dem Volk den Rücken zukehre. Ebensowenig könnte geltend gemacht werden, der Priester sei nun zum Unterhalter gemacht worden und [daß] das Volk die Zuschauerrolle wie bei einem Schauspiel einnehme.“ Vielmehr habe die „theologische Idee der Ostung“ der „alten Zelebrationsrichtung zugrunde gelegen und westliches und östliches Christentum verbunden“ - siehe da, die Ökumene, und dieses Argument zählt heute ja allemal! „Das Volk Gottes mit dem Priester an der Spitze wende sich Christus zu, der im Osten aufgehenden Sonne.“ Diese „Idee sei theologisch einsichtig, gehöre aber nicht zur Substanz der Eucharistie“, daher „könnten hier Änderungen erfolgen.“ - Man beachte die Dialektik durch die an dieser Stelle erfolgte Einführung des beliebten Arguments der Neuliturgiker: Allles, was nicht „Substanz“ ist, kann geändert werden. Aber was bleibt noch von der „Substanz“, wenn alles geändert wird? Oder anders gefragt: Wieviel kann ich an einem Menschen z.B. wegschneiden, ohne seine „Substanz“ zu schädigen? - „Auch der Zelebrationsrichtung versus populum liege eine theologische Idee zugrunde und nicht nur ein praktischer Zweck – die Communio aller mit Christus, um den sich die Gemeinde im Zeichen des geweihten Altars versammelt.“ Na, dann kann man auch schon nicht mehr wirklich dagegen sein, nicht wahr, wenn dem ebenfalls eine „theologische Idee“ zugrunde liegt! - „Der Priester vergegenwärtige sichtbar Christus als Haupt und Mittelpunkt der Kirche. Um einer ideologische Engführung und der Gefahr eines neuen Klerikalismus, der den Priester als 'Macher' in den Blickpunkt nehme zuvorzukommen, erinnere Benedikt XVI. daran, dass die Liturgie auf jeden Fall christuszentriert bleiben müsse – auf das Kreuz in der Mitte des Altars.“

Man muß schon sagen, die Herren haben nach immerhin 50 Jahren Verbesserung des Ritus doch noch recht seltsame Probleme. Früher, im „alten“ Ritus gab es solche Probleme nicht, da war alles ganz anders und so einfach: Alle schauten auf den Tabernakel, wo Christus mit Gottheit und Menschheit, mit Fleisch und Blut gegenwärtig ist. Der Tabernakel scheint jedoch inzwischen schon so lange zur Seite in irgendeine Ecke der Kirche gestellt worden zu sein, daß die Verantwortlichen ihn offensichtlich ganz aus dem Blickfeld der Reform der Reform der Reform der Reform verloren haben. Anstatt des sakramental gegenwärtigen Gottes, braucht man darum als Ersatz ein großes Kreuz (das dann übrigens wohl möglichst zwei Korpus haben muß, einen auf der Vor- und einen auf der Rückseite, wobei man sich dann durchaus streiten darf, was Vor- und was Rückseite ist!) auf dem Luthertisch und den Christus, der am Ende der Zeiten als Richter auch dieser Konzilskirche und ihrer Verantwortlichen wiederkommen wird. Ob man nicht doch vor lauter Reformen das Wesentliche aus dem Blick verloren hat und nun nicht mehr in der Blick zurückbekommt? Ich stelle mir jedenfalls das Wiederentdecken des eucharistischen Geheimnisses ganz anders und zudem recht einfach vor. Erzbischof Müller sollte womöglich einfach einmal unvoreingenommen einem tridentinischen Hochamt an einem Hochaltar vor ausgesetztem Allerheiligsten beiwohnen. Das würde ihm dann zeigen, was eine katholische Gebetsrichtung und was eucharistische Frömmigkeit ist: Anbetung des Gottmenschen Jesus Christus, der in der hl. Hostie mitten unter uns thront!

Das kurz angeführte Beispiel zeigt uns jedenfalls nur zu deutlich, auf welchem Niveau sich die Reform der Reform der Reform der Reform bewegen wird. Aber kann das anders sein? Wenn man sich selbst den einzig sinnvollen Weg einer wahren Reform, nämlich den Weg zurück zur katholischen tridentinischen Liturgie, versperrt hat, was bleibt dann noch als Alternative übrig?

Der kolumbianische Schriftsteller Nicolás Gómes Dávila schreibt einmal: „Wer einen Ritus reformiert, verletzt einen Gott.“ Wie wahr ist dieser Satz für uns Katholiken, die wir glauben und bekennen, daß Gott Mensch geworden ist und daß der Ritus, mit dem wir IHN verehren, nichts anderes ist, als die sakramentale Vergegenwärtigung des Erlösungsopfers dieses menschgewordenen Gottes. Wer so, wie die Konzilskirche, seit 50 Jahren mit dem eigenen, gottgeschenkten Ritus umgeht, der verletzt wahrlich einen Gott! Und Umkehr und Buße wäre bitter nötig!

Anstatt eine Schlusses

12. September 1820: “Ich sah eine wunderliche, verkehrte Kirche bauen. Es waren im Chore drei Abtheilungen, jede um einige Stufen höher, als die andere. Unter ihnen war ein dunkles Gewölbe voll Nebel. Auf die erste Abtheilung sah ich einen Stuhl schleppen, auf die zweite ein Wasserbecken, auf der obersten stand ein Tisch. Ich sah keinen Engel bei dem Bau; aber die heftigsten Arten von mannigfaltigen Geistern aus den Planeten schleppten allerlei in das Gewölbe, und da heraus brachten Menschen in geistlichen Mäntelchen Alles herauf. Nichts kam von oben in diese Kirche, Alles kam aus der Erde und dem Dunkel und die Planetargeister pflanzten es hinein. Nur das Wasser schien eine Heiligung zu haben. Ich sah besonders eine ungeheure Anzahl von Instrumenten der verschiedensten Art, um irgend etwas zu machen und hervorzubringen; aber Alles war dunkel, verkehrt und ohne Leben, und ein bloßes Trennen und Zerfallen. Ich sah in der Nähe eine andere Kirche, hell und mit allen Gnaden von Oben; ich sah die Engel auf- und niedersteigen, ich sah Leben und Wachstum drinnen, aber Lauheit und Verschleuderung; und dennoch war sie wie ein Baum voll Saft gegen die andere, die wie ein Kasten voll todter Anstalten war. Jene war wie ein Vogel, der schwebt, diese wie ein papierner Drache voll Schnüren und Zetteln am Schweife, der sich über ein Stoppelfeld schleppt, während er fliegen soll. Ich sah viele Instrumente in der neuen Kirche nur zum Gebrauch gegen diese lebendige Kirche dahin gesammelt, z.B. Pfeile. Jeder schleppte was anderes hinein, Stöcke, Ruthen, Spitzen, Knüppel, Puppen, Spiegel. Sie hatten Trompeten, Hörnchen, Blasebälge und allerhand Zeug in allen Formen und Gestalten. Sie kneteten unten im Gewölbe (Sakristei) Brod; aber es ward nichts daraus und blieb sitzen. Ich sah auch die Männer in den Mäntelchen Holz bringen vor die Stufen, wo der Rednerstuhl stand, und Feuer anmachen und blasen und wehen und sich abarbeiten; aber es ward ein entsetzlicher Rauch darauf, aber es wollte nicht aufsteigen und Alles ward finster und zum Ersticken. Andere bliesen und lärmten auf den Hörnchen, daß ihnen die Augen übergingen, und es blieb Alles an der Erde und ging in die Erde und Alles war todt und gemacht und Menschenwerk. Es ist dieses recht eine ganz neumodische Menschenmachwerkskirche, wie die neue unkatholiche in Rom, die auch von dieser Art ist.”
(Aus: P. K.E. Schmöger: Anna Katharina Emmerich, Bd. I, S 494f, 1870)