60 Jahre betrogen
Am vergangenen Fest der Unbefleckten Empfängnis, dem 8. Dezember dieses Jahres, waren es 60 Jahre, daß das unselige „Zweite Vatikanum“ zu Ende ging. Allzu viel gefeiert wurde der Gedenktag unseres Wissens nicht. In der „Tagespost“ fand sich jedoch aus diesem Anlaß ein kleiner Beitrag von Gerhard „Kardinal“ Müller, in welchem er sich Gedanken machte, „warum es Zeit ist, über Kategorien wie ‚liberal‘ und ‚konservativ‘ hinauszudenken“. Damit hat er nicht einmal so unrecht, denn tatsächlich sind „liberal“ und „konservativ“ keine Gegensatzpaare; man kann zugleich liberal und konservativ sein, aber man kann nicht zugleich liberal und katholisch sein. Freilich begibt er sich damit auf einen unbedeutenden Nebenschauplatz. Denn eigentlich wäre es die höchste Zeit für alle Katholiken, endlich den Betrug zu durchschauen, der seit nun schon gut einem Menschenalter mit ihnen getrieben wird.
Ökumenisches Konzil
Der Verfasser, „Kardinal“ Müller, ist seines Zeichens „Richter an der Apostolischen Signatur und leitete von 2012-17 die römische Glaubenskongregation“, wie die „Tagespost“ fürsorglich angibt (für alle jene, die schon nicht mehr wissen, wer dieser Müller überhaupt ist). „Das Zweite Vatikanum“, so charakterisiert es dieser hochmögende Mann, „wollte die Frohe Botschaft von Gottes Wahrheit und Heil nicht nur den katholischen Christen, sondern auch allen Menschen guten Willens verkünden. Denn die ursprüngliche Sendung der Kirche ist es, den universalen Heilswillen Gottes gegenüber allen Menschen zu bezeugen und die Gemeinschaft der Gläubigen mittels Lehre, Liturgie und Leben mit dem lebendigen Gott zu verbinden.“
Das klingt etwas sonderbar. Soll damit vielleicht gesagt sein, daß die Kirche ihre „ursprüngliche Sendung“ irgendwann vergessen oder vernachlässigt hätte? Daß es erst das „II. Vatikanum“ gebraucht hätte, um „die Frohe Botschaft von Gottes Wahrheit und Heil nicht nur den katholischen Christen, sondern auch allen Menschen guten Willens“ zu verkünden, „den universalen Heilswillen Gottes gegenüber allen Menschen zu bezeugen und die Gemeinschaft der Gläubigen mittels Lehre, Liturgie und Leben mit dem lebendigen Gott zu verbinden“? Soweit uns bekannt ist, hat die Kirche das zu allen Zeiten vorbildlich getan. Ein ökumenisches Konzil der Kirche ist allerdings nicht in erster Linie ein Instrument der Glaubensverkündigung an „alle Menschen guten Willens“, sondern ist primär eine kirchliche Angelegenheit (das „Haus“ betreffend, griechisch „oikos“, daher „ökumenisch“). „Konzil (concilium) oder Synode (synodos) im allgemeinen ist eine Versammlung von kirchlichen Würdenträgern, besonders Bischöfen, sei es der Gesamtkirche (allgemeines oder ökumenisches Konzil), sei es eines größeren oder kleineren Bezirkes (Partikular-Konzil), zu dem Zwecke, bindende Beschlüsse in kirchlichen Angelegenheiten zu fassen“, schreibt Buchbergers „Lexikon für Theologie und Kirche (LThK)“ (6. Band, Freiburg i.Br. 1934, Sp. 182). Der Verkündigung dient die Predigt, der Unterricht und die Mission.
Dennoch kommt Müllers etwas seltsame Beschreibung dem Kern der Sache recht nahe. Tatsächlich war das „II. Vatikanum“ nach den Worten Wojtylas – eines Mannes, der es wissen muß, da er maßgeblich daran mitgewirkt hat – ein „Zweites Pfingsten“, das die versammelten Bischöfe in die „volle“ oder „ganze Wahrheit“ einführen sollte, die bis dato vergessen, verborgen oder vernachlässigt war. Diese „ganze Wahrheit“ ist die, „daß die Kirche in geheimnisvoller Weise die ganze Menschheit umfaßt“ (vgl. Die Kirche Christi und die Kirche von Assisi - Teil 2, Antimodernist Nr. 47 vom Oktober 2025). Insofern war es natürlich ein Konzil „nicht nur für katholische Christen“, sondern „für alle Menschen guten Willens“, die ja auch schon irgendwie zur Kirche gehören, und es war eine vordringliche „kirchliche Angelegenheit“, dieses Bewußtsein für „den universalen Heilswillen Gottes gegenüber allen Menschen“, nämlich die Allerlösung, wachzurütteln, das verschüttet war, und die „Gemeinschaft der Gläubigen“, zu welcher alle Menschen und alle Religionen gehören, „mittels Lehre, Liturgie und Leben mit dem lebendigen Gott“ und untereinander „zu verbinden“. Auf diese Weise wurde der Begriff „ökumenisch“ vom „Haus“ der katholischen Kirche auf alle Religionen und alle Menschen ausgeweitet. So gesehen ergeben die Worte des „Kardinals“ durchaus einen Sinn.
„Hermeneutik des Konzils“
„Wie bei den früheren Konzilien“, meint der ehemalige „Leiter der Glaubenskongregation“, „stellt sich die Frage nach der Wirkungsgeschichte des Zweiten Vatikanums, aber mehr noch theologisch nach der Rezeption seiner dogmatischen Lehren, disziplinarischen Entscheidungen und den Auswirkungen auf die Glaubensvermittlung und Lebensgestaltung.“ Dabei spiele die „Hermeneutik des Konzils“ eine „Schlüsselrolle für die Standortbestimmung der Kirche in der politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Welt von heute, im ökumenischen und interreligiösen Dialog, in der Frage des richtigen Verständnisses von Liturgie und ihrer würdigen Praxis und des synodalen Zusammenwirkens aller aufgrund des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen mit den Bischöfen, Priestern und Diakonen“.
Bei „früheren Konzilien“ war die „Hermeneutik“ klar. Sie wurde vom kirchlichen Lehr- und Hirtenamt in feste Formen, Vorschriften und Bestimmungen gegossen und so allen „Gläubigen mit den Bischöfen, Priestern und Diakonen“ für ihren Glauben und ihre „Lebensgestaltung“ vermittelt. Dasselbe hat die „Konziliare Kirche“ versucht und den „ökumenischen und interreligiösen Dialog“ ebenso institutionalisiert wie das „synodale Zusammenwirkens aller aufgrund des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen“, welches vor allem den „Novus Ordo Missae“ prägt und in der „Synodalen Kirche“ Montinis und Bergoglios Gestalt annahm. Merkwürdig ist nur, daß sich diese „Hermeneutik“ auch nach 60 Jahren immer noch nicht vollständig durchgesetzt hat und nach wie vor „umstritten“ ist.
Dialektischer Gegensatz
Doch auch dafür hat der „Kardinal“ eine Erklärung. Er führt das Phänomen zurück auf die „Bewusstseinsspaltung der abendländischen Gesellschaft seit der Aufklärungsphilosophie im 18. Jahrhundert und der Französischen Revolution in eine restaurativ-konservative und fortschrittsgläubig-liberale Geisteshaltung, die zum jeweiligen ideologischen Filter aller geistigen und moralischen Einstellungen und politischen Entwicklungen avancierte“, und somit auch „Folgen für den Katholizismus der Gegenwart“ hatte. Denn: „Auch Theologie und Kirche sind in diesen Antagonismus von Treue zur Tradition und dem revolutionären Bruch mit ihr hineingezogen worden, obwohl hier der Unterschied von orthodoxer und häretischer Interpretation im Blick auf die Wahrheit der Offenbarung entscheidend ist.“ Wohl wahr. In der wahren Kirche zählt nicht die unterschiedliche „Geisteshaltung“, ob „restaurativ-konservativ“ oder „fortschrittsgläubig-liberal“, sondern der Gegensatz zwischen Wahrheit und Irrtum, Glaube und Häresie. Bei der „konziliaren“ Menschheitskirche ist das freilich anders, da sie keine Einheit im Glauben kennt, sondern nur eine politische Föderation verschiedener Häresien im Unglauben ist.
„Mit dem Kategorienfehler im Gegensatz von ‚konservativ‘ oder ‚liberal’ ist gegenüber dem Vatikanum eine völlig unkatholische Hermeneutik des dialektischen Gegensatzes derer entstanden“, beklagt der „Richter an der Apostolischen Signatur“, „die um der Rechtgläubigkeit willen (‚traditionalistisch’) hinter das Konzil zurückwollen und auf der anderen Seite derer, die um der Relevanz des Christentums in einer säkularen Welt willen (‚progressistisch‘) über das Konzil hinauswollen, indem sie den übernatürlichen Charakter der Offenbarung Gottes in Jesus Christus verleugnen und den Glauben und die Kirche zum Objekt ihrer Wünsche denaturieren.“ Daß dieser „dialektische Gegensatz“ ganz „unkatholisch“ ist, sieht der Herr „Kardinal“ ganz richtig. Aber woher dieser „dialektische Gegensatz“ kommt und ob es nicht vielleicht an „dem Konzil“ selber liegen könnte, daß die einen ausgerechnet „um der Rechtgläubigkeit willen“ dahinter „zurückwollen“ und die anderen darüber „hinauswollen“, das fragt er sich nicht.
Unveränderliche Substanz und veränderliche Formen
Er erklärt sich die Sache so: „Mehrmals“ habe „das Konzil mit der ganzen apostolischen und kirchlichen Tradition die unveränderliche Substanz der katholischen Lehre, Liturgie und sakramentalen Kirchenverfassung“ unterschieden „von den veränderlichen Formen in der Liturgie (Sacrosanctum concilium 1;21) und den variablen theologischen Ausdrucksweisen in der Dogmatik (vgl. Optatam totius 16), die notwendig sind als Antwort auf die tiefgreifenden Wandlungen der irdischen Lebensbereiche (Gaudium et spes 5)“. Damit seien „von einer klassischen katholischen Hermeneutik sowohl der sterile ‚Konservatismus‘ als auch der haltlose ‚Modernismus‘ ausgeschlossen“. „Denn jener identifiziert die Substanz der Liturgie und der göttlichen Verfassung der Kirche mit den veränderlichen Formen, und dieser wirft mit den veränderbaren Formen auch die Substanz des Glaubens über Bord.“
Es trifft zu, daß die Kirche etwa in bezug auf die Liturgie zwischen substantiellen und akzidentellen Änderungen unterschieden hat. So lehrt das Konzil von Trient im 2. Kapitel der 21. Sitzung: „Stets lag bei der Kirche die Vollmacht, bei der Verwaltung der Sakramente – unbeschadet ihrer Substanz – das festzulegen oder zu verändern, was nach ihrem Urteil dem Nutzen derer, die sie empfangen, bzw. der Verehrung der Sakramente selbst entsprechend der Verschiedenartigkeit von Umständen, Zeiten und Gegenden zuträglicher ist“ (DH 1728). Insofern kann man in gewisser Weise von „veränderlichen Formen in der Liturgie“ sprechen, zumal es sich bei der Liturgie um eine Frage der Disziplin handelt, die notwendig auf die jeweiligen Verhältnisse Rücksicht nehmen muß. Die „Liturgiekonstitution“ des „II. Vatikanums“ geht freilich weit darüber hinaus. An der vom „Kardinal“ herangezogenen Stelle („Sacrosanctum concilium 1;21“) lesen wir, daß „eine allgemeine Erneuerung der Liturgie sorgfältig in die Wege zu leiten“ sei, mit der Begründung: „Denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind.“ Soweit kann man es noch richtig verstehen. Doch dann folgt die ungeheuerliche Behauptung: „Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben.“ Die „innere Wesensart“ ist die Substanz!
Wider das Konzil von Trient
Abgesehen davon, daß hier die Liturgie als ein nach dem Baukastenprinzip zusammengesetztes Gebilde aus verschiedenen „Teilen“ betrachtet wird, von denen nur ein Teil „kraft göttlicher Einsetzung unveränderlich“ ist, während die anderen beliebig verändert werden können – das ist nicht das, was das Konzil von Trient meint, wenn es von Veränderungen bei der „Verwaltung der Sakramente“ spricht, „unbeschadet ihrer Substanz“, womit beispielsweise auf die Austeilung der Kommunion nur unter einer Gestalt angespielt wird, die von den Protestanten unter Hinweis auf die uralte „Tradition“ der Austeilung unter beiden Gestalten kritisiert wurde. Abgesehen davon wird hier die „Substanz“ der römischen Messe selber angegriffen, denn es wird ja behauptet, daß sich in diesen Ritus „etwas einschlichen“ habe, „was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt hat“.
Dagegen richtet sich das Konzil von Trient, das in Kanon 6 der 22. Sitzung über das Meßopfer ausdrücklich den römischen Meßkanon und in Kanon 7 die „Zeremonien, Gewänder und äußeren Zeichen, deren sich die katholische Kirche in der Meßfeier bedient“, also den gesamten römischen Ritus gegen jede Verunglimpfung verteidigt und in Schutz nimmt (DH 1756 und 1757). Im 4. Kapitel (DH 1745) hat es dem heiligen römischen Meßkanon das höchste Lob gesungen, der „vor vielen Jahrhunderten“ eingeführt, nichts enthalte, „das nicht im höchsten Maße den Duft einer gewissen Heiligkeit und Frömmigkeit verströmen läßt und die Gemüter derer, die es darbringen, zu Gott emporrichtet“, und das, obwohl oder weil er nicht nur „aus den Worten des Herrn selbst“ (der „kraft göttlicher Einsetzung unveränderliche“ Teil des „II. Vatikanums“?), sondern „auch aus den Überlieferungen der Apostel und ferner den frommen Einrichtungen heiliger Päpste“ besteht (also wohl jenen „Teilen, die dem Wandel unterworfen sind“).
Das wandelbare Dogma
Was die „variablen theologischen Ausdrucksweisen in der Dogmatik“ betrifft, von denen der „Kardinal“ fabuliert, so erklärt das (erste, echte und einzige) Vatikanische Konzil dazu in „Dei Filius“ (Kap. 4), es sei „immerdar derjenige Sinn der heiligen Glaubenssätze beizubehalten, den die heilige Mutter Kirche einmal erklärt hat, und niemals von diesem Sinn unter dem Anschein und Namen einer höheren Einsicht abzuweichen“ (DH 3020). Der zugehörige Kanon 3 bestimmt: „Wer sagt, es könne geschehen, daß den von der Kirche vorgelegten Lehrsätzen einmal entsprechend dem Fortschritt der Wissenschaft ein anderer Sinn zuzuschreiben sei als der, den die Kirche gemeint hat und meint, der sei mit dem Anathema belegt“ (DH 3043). Hingegen will das von Müller bemühte Dekret „Optatam totius“, daß die „dogmatische Theologie … so angeordnet werden“ solle, daß die Alumnen lernen, „die Lösung der menschlichen Probleme im Lichte der Offenbarung zu suchen, ihre ewige Wahrheit auf die wandelbare Welt menschlicher Dinge anzuwenden und sie in angepaßter Weise den Menschen unserer Zeit mitzuteilen“ (Nr. 16; Hervorhebungen von uns).
Nichts anderes hat Bergoglio getan und wurde dafür von „Konservativen“ gescholten. Dabei hat er nur versucht, eine „Antwort auf die tiefgreifenden Wandlungen der irdischen Lebensbereiche“ zu geben. Wobei „Gaudium et Spes“, auf welches der „Kardinal“ anspielt, in Nr. 5 diesen „tiefgreifenden Wandel“ vor allem dadurch charakterisiert, daß „im Bildungsbereich die mathematischen, naturwissenschaftlichen und anthropologischen Disziplinen, im praktischen Bereich die auf diesen Disziplinen aufbauende Technik ein wachsendes Gewicht erlangen“, eine „Einstellung“, die „der Kultur und dem Denken des Menschen ein neues Gepräge gegenüber früheren Zeiten“ gebe. Die Menschheit vollziehe „einen Übergang von einem mehr statischen Verständnis der Ordnung der Gesamtwirklichkeit zu einem mehr dynamischen und evolutiven Verständnis“. Daraus ergebe sich „eine neue denkbar große Komplexität der Probleme, die wiederum nach neuen Analysen und Synthesen ruft“. Genau das meinte „Dei Filius“ des Vatikanums mit dem „Anschein und Namen einer höheren Einsicht“ und dem „Fortschritt der Wissenschaft“, welcher verlange, daß den Dogmen „ein anderer Sinn zuzuschreiben sei als der, den die die Kirche gemeint hat“. Die kirchliche Antwort darauf war ein schlichtes: Anathema sit!
Modernistisches System
Die These des einstigen „Glaubenspräfekten“, das „II. Vatikanum“ habe die „unveränderliche Substanz der katholischen Lehre, Liturgie und sakramentalen Kirchenverfassung“ bewahrt und nur an den „veränderlichen Formen der Liturgie“ und den „variablen theologischen Ausdrucksweisen in der Dogmatik“ herumgeschraubt, können wir nicht bestätigen. Übrigens kann man auch an den veränderlichen Akzidenzien so viele und einschneidende Änderungen vornehmen, daß die Substanz dadurch geändert wird. Wenn man beispielsweise in einen Kelch, in welchem sich nach der Wandlung des Weines durch die Transubstantiation das Kostbare Blut Christi befindet, so viel Wasser gießt, daß die Menge des Wassers die des Kostbaren Blutes übersteigt, dann verschwindet die Substanz desselben und wir haben nur einen Kelch mit Wasser und ein wenig Wein.
Tatsächlich hat das „II. Vatikanum“ erhebliche substantielle Veränderungen an der „katholischen Lehre, Liturgie und sakramentalen Kirchenverfassung“ vorgenommen und wurde so zur „Konstituante einer neuen Kirche“ (A. Holzer), die nicht die katholische ist. Auf dem Boden dieser neuen „Kirche“, der nicht der katholische ist, sproß die neue „Hermeneutik“ empor, die ebenfalls nicht die „klassische katholische“ ist, zumal das authentische Lehramt ausfiel, das diese „Hermeneutik“ autoritativ vorgibt. Auf diese Weise entstand das Widerspiel jener beiden Kräfte, die Müller als „sterilen ‚Konservatismus’“ und „haltlosen ‚Modernismus’“ bezeichnet, die aber in Wahrheit beide dem dialektischen System des Modernismus mit seiner „Evolution“ entstammen.
Für den Modernisten gilt: „In einer Religion, die lebt, ist nichts unveränderlich, darum muß es geändert werden“ (hl. Pius X., Pascendi). Eine „unveränderliche Substanz“ gibt es nicht. Damit jedoch die notwendige „Evolution“ sich nicht „von dem sie ursprünglich belebenden Prinzip“ losreißt, was „eher Untergang als Fortschritt nach sich ziehen“ würde, „erfaßt man die Lehre der Modernisten besser, wann man die Evolution auf den Widerstreit zweier Kräfte zurückführt: der einen, die in Richtung Fortschritt zieht, und einer die konservativ zurückhält“ (ebd.). Letztere „identifiziert“ in der Tat „die Substanz der Liturgie und der göttlichen Verfassung der Kirche mit den veränderlichen Formen“, während erstere „mit den veränderbaren Formen auch die Substanz des Glaubens über Bord“ wirft, und beide tun es aus dem selben Grund: weil es eine solche „Substanz“ für die Modernisten nicht gibt. Deshalb geht es auch den Tradis in Wirklichkeit nur noch um die äußere Form ihrer „TLM“.
Räuberkonzil, nicht „Pastoralkonzil“
„Nicht weiterführend, weil theologisch absurd“, erscheint dem „Kardinal“ die „endlose Diskussion um die Frage, ob das Konzil nur ein Pastoralkonzil gewesen sei, um entweder seine Autorität zu schwächen oder um der Pastoral den Vorrang einzuräumen gegenüber der Dogmatik als vermeintlich lebensfremder Theorie, mit der man den ‚Menschen von heute‘ nicht erreichen könne“. Hingegen habe „jedes Konzil … unabhängig von seiner konkreten Durchführung immer eine dogmatische und pastorale Autorität, weil die Wahrheit und das Heil in der Person Christi als Lehrer, Priester und Hirte identisch sind“. Dem können wir nur zustimmen. Das irreführende Gerede vom „Pastoralkonzil“ sollte nur darüber hinwegtäuschen, daß es sich nicht um ein Konzil der katholischen Kirche gehandelt hat. Einem Blinden mußte auffallen, wie diametral sich dieses Pseudo-Konzil von den 20 heiligen Ökumenischen Konzilien der katholischen Kirche unterschied. Deshalb wurde flugs ein eigener Begriff dafür erfunden, der besser klingt als das, was es eigentlich war: ein Räuberkonzil.
„Hermeneutik der Kontinuität und der Reform“
Natürlich darf in des Müllers „Konzils“-Rückschau die berühmte „Hermeneutik der Kontinuität und der Reform“ nicht fehlen, die Ratzinger vor 20 Jahren angeblich der „Hermeneutik des Bruches“ gegenübergestellt habe. Das ist so nicht richtig. Wir wiederholen zum tausendsten Male, daß Ratzinger nicht von einer „Hermeneutik der Kontinuität und der Reform“, sondern nur von einer „Hermeneutik der Reform“ gesprochen hatte. Einen „Bruch“ oder eine „Diskontinuität“ hatte er durchaus zugegeben, doch sei dies notwendig gewesen, gerade um in der „Kontinuität“ zu verbleiben. Er erläuterte diesen Zusammenhang – ganz Professor, der er war – am Beispiel der „Religionsfreiheit“ und erklärte, daß die Kirche ursprünglich nichts anderes als die (liberale) Gewissensfreiheit vertreten habe. Durch die historischen Entwicklungen sei es zu der unseligen Verbindung zwischen Staat und Religion gekommen, bis die Neuzeit diese glücklich wieder aufgelöst habe. So wurde es Zeit für die Kirche, sich von der Fehlentwicklung als Staatsreligion wieder loszusagen („Diskontinuität“) und zu ihrer eigentlichen Auffassung von der Freiheit des Gewissens („Kontinuitität“) zurückzukehren. Darin besteht für ihn die „Reform“, die somit beides dialektisch verbindet. Ähnlich sah er übrigens die „konziliare Liturgiereform“, die er einmal verglich mit dem „Freilegen“ („Diskontinuitität“) eines „übertünchten Freskos“ („Kontinuität“).
Befremdlich erscheint uns, daß das „II. Vatikanum“ überhaupt einer ständigen „Hermeneutik“ bedarf. „Hermeneutik“ ist laut Duden die „Lehre von der Auslegung und Erklärung eines Textes oder eines Kunst- oder Musikwerks“. Die „Hermeneutik“ kirchlicher Konzilien war eigentlich immer selbstverständlich. Erstens waren die Texte dieser Konzilien selber so klar und eindeutig, daß sie kaum einer weiteren „Auslegung und Erklärung“ bedurften (zumal ein Konzil selber eine „Auslegung und Erklärung“ des Glabensgutes ist), und zweitens gab es das kirchliche Lehr- und Hirtenamt, das diese Texte bewahrte, anwandte und umsetzte und sie gegen Irrtümer und Angriffe verteidigte. Die Gläubigen konnten sich in Ruhe auf die Kirche verlassen und mußten sich nicht in dauernden Diskussionen und Erwägungen um die „Hermeneutik“ verlieren, an denen sich auch das „Leeramt“ fruchtlos beteiligt. Allein das zeigt schon zur Genüge, daß das „II. Vatikanum“ etwas ganz anderes war als die „früheren Konzilien“.
In der „vollen Tradition der Kirche“?
Für Müller steht fest: „Beim Studium der Konzilstexte ist mühelos festzustellen, dass seine dogmatische Lehre in der vollen Tradition der Kirche steht.“ Das ist eine spaßige Aussage, die sich nur vor dem Hintergrund seiner sonderbaren „Hermeneutik“ erklärt, die zwischen der unveränderlichen „Substanz“ und den veränderbaren „Formen“ unterscheidet und apriori, gewissermaßen dogmatisch festlegt, daß es beim „II. Vatikanum“ keine Änderung der „Substanz“ gegeben habe, sondern nur eine der „Formen“. Dieses „Dogma“ vorausgesetzt, ist es selbstverständlich „mühelos festzustellen“, daß dessen „Lehre in der vollen Tradition der Kirche steht“, weil es ja so vorausgesetzt ist. Eine „petitio principii“ nennen wir das, wenn etwas vorausgesetzt wird, was doch eigentlich zu zeigen wäre.
„Das Zweite Vatikanum verstand sich als ein Ökumenisches Konzil der katholischen Kirche, das per definitionem keine Vollmacht hat, die geoffenbarte Lehre zu ändern oder umzubiegen“, also kann das auch nicht geschehen sein, „per definitionem“, ist doch logisch. Daher war auch „entgegen progressistischen Phantastereien“ darin „keineswegs ein ‚Geist‘ am Werk, der die Offenbarung in eine religiös-politische Ideologie umbiegen und die Kirche auf eine weltliche Wohlfahrtsorganisation herunterdefinieren möchte“. Ist das eine feine Spitze gegen Ratzinger, der diesen „Geist“ als „Ungeist“ definierte und dem eigentlichen „Geist des Konzils“ entgegenstellte? Jedenfalls positioniert sich Müller damit auf der gemäßigt „konservativen“ Seite, was ja nichts Neues ist und ihm seinerzeit sogar das Amt des „obersten Glaubenshüters“ eingetragen hat.
Als solcher sieht er hinter der „progressistischen Verfälschung und Instrumentalisierung des Zweiten Vatikanums“ nicht nur den „Wunsch, anstößige Lehren gefällig zu verstecken, um auf dem Parkett kirchenferner Milieus nicht unangenehm als Konservativer aufzufallen“, sondern das Bemühen um eine religionsphilosophische „Uminterpretation der verbindliche Glaubens- und Sittenlehren als zeitbedingter und wandelbarer kollektiver Ausdrucksweisen einer allgemeinen religiösen Erfahrung des Absoluten“, während er sich einbildet, den „Ansatz der Theologie bei der Übernatürlichkeit von Gnade und Offenbarung“ zu verteidigen. So groß ist der Unterschied nicht. Denn wenn auch Müller nach Art der „Konservativen“ glaubt, mit seiner Unterscheidung zwischen der unveränderlichen „Substanz“ und der veränderlichen „Form“ einen imaginären „übernatürlichen“ Rest festzuhalten, so ist dieser in Wahrheit längst dahin, und alles fließt als „zeitbedingte und wandelbare kollektive Ausdrucksweisen einer allgemeinen religiösen Erfahrung des Absoluten“ ins Sammelbecken der Häresie, „Ökumenismus“ genannt und von Wojtyla als Wesen der „Konziliaren Kirche“ gepriesen und in Assisi plakativ auf die Bühne gebracht. Und das soll „in der vollen Tradition der Kirche“ sein?
„Weitergabe des geoffenbarten Glaubens“
„Für die Hermeneutik des Konzils ist darum nicht allein die inhaltliche Lehrkontinuität entscheidend, die niemand, von welcher Seite auch immer, leugnen kann.“ Ein weiteres „Bonmot“ des „Kardinals“! „Niemand, von welcher Seite auch immer “ kann die „inhaltliche Lehrkontinuität“ des „II. Vatikanums“ leugnen? Warum geschieht es dann pausenlos, und zwar von allen Seiten, wenn es doch niemand kann? Und warum überhaupt die permanente, seit sechzig Jahren anhaltende Streiterei um die „Hermeneutik des Konzils“, wenn doch alles so klar und eindeutig ist? Der weise „Kardinal“ aber weiß: „Es geht um den Ansatz bei der übernatürlichen Offenbarung Gottes in Jesus Christus und um die vom Heiligen Geist selbst getragene Weitergabe des geoffenbarten Glaubens in Lehre, Liturgie und Leben der Kirche vermittels der Heiligen Schrift, der Apostolischen Tradition und des gesamten Gottesvolkes unter der Leitung des Lehramtes.“
Ei, da macht er das ganz große Faß auf! Doch schauen wir mal konkret, wie es mit dieser angeblich „vom Heiligen Geist selbst“ getragenen „Weitergabe des geoffenbarten Glaubens in Lehre, Liturgie und Leben“ der „Konziliaren Kirche“ aussieht. Er selber, der „Kardinal“ und Ex- „Glaubenspräfekt“, macht sich ja seit ein paar Jahren ein Pläsier daraus, bei seinen Tradi-Gastspielen „Pontifikalämter“ in der „außerordentlichen Form“ zu geben und „Weihen“ im „überlieferten Ritus“ zu simulieren. Bevor er aufs Abstellgleis geschoben war und gezwungen wurde, sich nach neuen Betätigungsfeldern umzusehen, wäre er auf solch eine Idee nicht gekommen. Dabei macht er sich jene „Hermeneutik“ zunutze, die Ratzinger in seinem „Motu aller proprios“ vorgegeben hatte, wonach es sich bei „Alter“ und „Neuer Messe“ nur um zwei Formen ein und desselben Ritus handle, die „außerordentliche“ und die „ordentliche“. Die „unveränderliche Substanz“ ist dieselbe, nur die äußeren „veränderlichen Formen“ sind verschieden. So will es die „Hermeneutik der Reform“.
Wesensform und äußere Form
Hier werden, wie uns scheint, die verschiedenen Bedeutungen von „Form“ ein wenig durcheinandergebracht. Wir unterscheiden die wesentliche Form, die wesenhaft zur Substanz gehört, von der äußeren Form. So gehört es beim Menschen zur Wesensform, daß er ein vernunftbegabtes Lebewesen ist. Die Wesensform prägt auch seine wesentliche Gestalt. So gehört es zum Menschen, daß er aufrecht geht, daß er denkt und spricht (Vernunft), fünf Sinne, zwei Arme und zwei Beine hat (Lebewesen) usw. Ob er aber klein ist, dick, dünn, gesund oder krank usw., macht nur seine äußere Form aus. Ein Mensch kann darum wachsen oder schrumpfen, dick oder dünn werden, gesund oder krank usw., ohne daß seine Substanz sich ändern würde.
Wie ist es mit der Heiligen Messe? Ihre Wesensform hat das Konzil von Trient definiert als die „unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers Christi“. Darin besteht ihre Substanz, und diese prägt ihre Grundgestalt, die ganz um das Opfergeschehen geordnet ist, das sich bei der Wandlung vollzieht. Der eigentlichen Opferhandlung bei der Wandlung geht die Opfervorbereitung voraus (Opferung) und folgt die Opfervollendung (Kommunion). Dieser Opfervorgang, die Hauptmesse, wird eingeleitet durch die Vormesse und abgeschlossen durch die Nachmesse. Dies alles macht die Wesensgestalt, die Substanz, der Heiligen Messe aus, die unveränderlich ist. Veränderlich sind beispielsweise die Auswahl der Lesungen, die Zahl der Orationen, die Präfation usw., die ja tatsächlich im Kirchenjahr oft wechseln. Veränderlich ist der Festkalender usw. Nicht wesentlich wäre auch die Feier der Messe „versus orientem“, der Weihrauch und sogar das Latein, all das, was den Tradis so überaus wichtig ist. Vollends zur äußerlichen Form gehören Dinge wie die Art der Meßgewänder, der Gesang, die Orgel etc., auch wenn diese selbstverständlich zur Heiligen Messe und ihrem Charakter passend sein müssen.
Der „Novus Ordo“
Wie sieht es beim „Novus Ordo“ aus? Alcuin Reid, aus Australien stammend, ist ein selbsternannter „Liturgieexperte“ und „Prior“ einer „Benediktinischen Gemeinschaft“, die sich zunächst mit Genehmigung des zuständigen „Bischofs“ in der Diözese Fréjus-Toulon in Frankreich niedergelassen hatte, dann aber die Gunst des „Bischofs“ verlor, als sich Reid vor einigen Jahren ohne dessen Genehmigung „geheim“ zum Priester hatte weihen lassen und daraufhin von „Rom“ suspendiert wurde, was sie aber nicht hinderte, munter weiterzumachen, zumal das „Kloster“ in ihrem eigenen Besitz ist und der „Bischof“ ihnen nichts anhaben konnte. Seither gelten er und seine Mannen den Tradis als „Widerstandshelden“. Dieser „Dom“ Alcuin Reid hat am 9. Dezember aus Anlaß des 60. Jahrtages des feierlichen „Konzils“-Abschlusses auf „The Catholic Herald“ einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel: „Whither the Mass of Vatican II?“, verdeutscht etwa: „Wohin geht die Messe des Zweiten Vatikanischen Konzils?“
Seine These lautet, daß die „Konzilsväter“ so etwas wie den „Novus Ordo“ gar nicht gewollt hätten. Vielmehr hätten sie versichert, daß der „derzeitige [d. h. 1962] Ordo Missæ, der im Laufe der Jahrhunderte entstanden ist, auf jeden Fall beibehalten werden“ solle. „Approbiert“ hätten sie lediglich einige Dinge wie diese: „die Vereinfachung der Anzahl der Kreuzzeichen, des Altarkusses, der Verbeugungen usw.; die Verkürzung der Gebete am Fuße des Altars; das Vorlesen der Lesungen mit Blick auf die Menschen, denen sie verkündet werden sollten; die Einführung einer Opfergabe-Prozession wie im ambrosianischen Ritus; die Überarbeitung der Opfergebete, um sie besser auf die Darbringung der Gaben nach der Wandlung abzustimmen; das laute Beten des Super-Oblata-Gebets; eine Erhöhung der Anzahl der Präfationen; das laute Beten der Doxologie am Ende des Kanons, wobei die Gemeinde mit ‚Amen‘ antwortet; die Abschaffung der Kreuzzeichen in der Doxologie und deren Reduzierung im gesamten Kanon selbst; das laute Rezitieren des Embolismus nach dem Pater Noster, ebenso wie das Fraktionsgebet und dessen Abschluß; die Brechung der Hostie und der Friedensgruß sollten in einer logischeren Weise neu angeordnet werden; die Beschränkungen, welche Gläubigen in welchen Messen die Heilige Kommunion empfangen dürfen, sollten abgeschafft werden; die Heilige Kommunion sollte mit der Formel aus dem ambrosianischen Ritus ausgeteilt werden: ‚Corpus Christi. Amen‘; und die Messe sollte mit dem Segen und dem ‚Ite missa est‘ enden“. Alles keine substanziellen Änderungen. Also!
Ordnungsgemäß vom Papst genehmigt und sakramental gültig
Das 1970 herausgegebene „Neue Missale“ sei freilich weit über das hinausgegangen, was am Ende „DES Konzils“ vorgegeben worden sei. Es sei „das Produkt – ordnungsgemäß vom Papst genehmigt und sakramental gültig, aber dennoch ein Produkt – einer Gruppe von Enthusiasten, deren Sekretär später in Bezug auf ihre Arbeit prahlen würde: ‚Das Glück begünstigt die Mutigen.‘“ Der „Prior“ stellt fest: „Mit anderen Worten: Was wir in unseren Pfarreien in den modernen Riten haben, selbst wenn sie getreu gefeiert werden, ist nicht das, was das Konzil gefordert hat. Es handelt sich zum Teil um eine weit gefaßte Auslegung der Liturgiekonstitution des Konzils und zum Teil um eine ideologisch und politisch motivierte eklatante Abweichung von dem, was es genehmigt hat, wie viele Konzilsväter (…) bezeugt haben.“
Abgesehen davon, daß es keine Rolle spielt, was ein Konzil „gefordert“ hat und ob ein „Produkt einer Gruppe von Enthusiasten“ vorliegt, wenn wir es mit einem „ordnungsgemäß“ vom Papst „genehmigten“ und daher sowieso „sakramental gültigen“ Ritus zu tun haben, haben wir hier die „klassische“ Tradi-Doktrin vor Augen. Demnach war „DAS Konzil“ völlig unschuldig am „Novus Ordo“. Die „Konzilsväter“ wollten lediglich ein paar wenige, rein äußere Verbesserungen und Veränderungen. Erst danach haben „progressistische“ Kräfte (der „Konzils-Ungeist“), die viel weiter gehen wollten und die Gunst der Stunde ausnützten, daraus jene „Neue Messe“ produziert, die freilich „ordnungsgemäß vom Papst genehmigt und sakramental gültig“ ist, also immer noch die Substanz der Messe wahrt, wenngleich sie die Zeichen der Ehrfurcht stark reduziert hat, den Glauben nicht mehr so deutlich zum Ausdruck bringt, ja sogar ein „Gift für den Glauben“ enthält, wie Lefebvre monierte. All das sind aber letztlich nur akzidentelle Veränderungen, die man auch wieder beheben könnte (sonst wären sie ja nicht „vom Papst genehmigt“ worden), und dann wäre der „Novus Ordo“ so, wie die „Konzilsväter“ ihn sich vorgestellt haben und vollkommen akzeptabel. So ungefähr hatte es Ratzinger auch gesehen bei seinen Plänen einer „Reform der Reform“, weshalb er den Tradis ja so sympathisch war.
Prinzipien und Normen
Louie Verrecchio hat sich den Artikel von „Dom“ Alcuin angesehen, der sogar das „Imprimatur“ von Peter Kwasnieswki, dem „de facto Pontifex Pelicanus“ trägt, wie er bemerkt hat, und hat festgestellt, daß „DAS Konzil“ in seinem Dokument über all jene Punkte, die dort angeblich „approbiert“ worden sind, gar nichts gesagt hat, weder über die Kreuzzeichen bei der Messe, noch die Altarküsse, noch die „Prozession zur Gabenbereitung“ noch sonst irgendetwas davon. Der Grund ist, daß „DAS Konzil“ sich mit den Details überhaupt nicht beschäftigt hat, sondern nur die „Prinzipien und Normen“ für die „Förderung und Erneuerung der Liturgie“ angeben wollte (SC 3). Die konkrete Realisierung sollte, wie es sich gehört, dem Papst überlassen bleiben, ähnlich wie es beim Konzil von Trient gewesen war.
Freilich lagen diese „Prinzipien und Normen“ ganz auf der Linie, die das „II. Vatikanum“ generell verfolgte, und setzten auf diese Weise den Prozeß der „Erneuerung“ in Gang, der die Liturgie verwässern, protestantisch und „erdgebunden“ machen und natürlich und vor allem die „tätige Teilnahme der Gläubigen“ fördern sollte, ganz im Sinne der „Liturgischen Bewegung“, die weg wollte von der „Klerikerliturgie“ hin zur „Volksliturgie“. Der „Novus Ordo“, statuiert Verrecchio, enthält die „konziliare DNA“. Der Satz, der angeblich den Willen „DES Konzils“ ausdrückt, daß der „derzeitige [d. h. 1962] Ordo Missæ, der im Laufe der Jahrhunderte entstanden ist, auf jeden Fall beibehalten werden“ solle, wurde tatsächlich nur als Redebeitrag bei der Diskussion des Schemas von einem Bischof dort gesprochen, welcher der vorbereitenden liturgischen Kommission angehört hatte.
Tatsache ist, daß der „Novus Ordo“ Montinis genau den Vorgaben „DES Konzils“ mit seinen „Prinzipien und Normen“ entsprach, auch wenn mancher „Konzilsvater“ es sich anders vorgestellt haben mag. Auch für Ratzinger ging der „Novus Ordo“ zu weit. Ebenso wie Lefebvre hätte er die erste „nachkonziliare Reform“ von 1965 favorisiert. Montini aber wußte besser, daß dies nicht einmal die halbe Strecke gewesen wäre, weshalb er zügig voranschritt, bis sein „Missale“ 1969/70 endlich fertig war und promulgiert wurde, um überall eingeführt und durchgesetzt zu werden. Eigentlich ein normaler Vorgang, wenn es sich tatsächlich um den Papst, ein Konzil und einen Meßritus gehandelt hätte.
Der „Novus Ordo“ ist keine Messe
In Wirklichkeit war der „Novus Ordo Missae“ keine Messe mehr. Unter dem Vorwand, nur an der „veränderbaren Formen“ herumzuschrauben, hatte man in Wahrheit die Wesensgestalt und damit die Substanz geändert. In der Definition, die in der „Instructio generalis“ des „Neuen Missale“ ursprünglich gegeben wurde, kam das vollkommen zum Ausdruck. Dort stand unter der berühmten Nr. 7 zu lesen: „Das Herrenmahl oder die Messe ist die heilige Versammlung oder Zusammenkunft des Volkes Gottes, das sich unter dem Vorsitz des Priesters versammelt, um das Gedächtnis des Herrn zu feiern. Daher gilt von der Versammlung der heiligen Kirche an einem Ort in besonderer Weise die Verheißung Christi: ‚Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen‘ (Mt. 18,20).“ Aus der „unblutigen Erneuerung des Kreuzesopfers Christi“ des Konzils von Trient war die „heilige Versammlung“ des „Volkes Gottes“ geworden, um das „Herrenmahl“ zu feiern. Wenn das keine vollkommene Wesensänderung ist!
Notwendig änderte sich die Wesensgestalt dieser „Messe“. Statt als ein Ganzes um den Opferaltar zentriert zu sein, wurde die „Messe“ zweigeteilt und zwei „Tischen“ zugeordnet, dem „Tisch des Gotteswortes“ und dem „Tisch des Herrenleibes“, „Wortgottesdienst“ und „Abendmahl“, ganz parallel mit der protestantischen Linie und sinnenfällig zum Ausdruck gebracht durch die Aufstellung jeweils eines „Volksaltars“ (als Tisch oder Druidenstein ausgeführt) und eines „Lesepultes“ oder „Ambos“ (meist im „Partnerlook“ zum „Volksaltar“ gestaltet) in den Kirchenräumen. Da es sich um eine „Versammlung des Volkes Gottes“ handelt, bei welcher der Priester lediglich „den Vorsitz“ führt, mußte natürlich, den Wünschen „DES Konzils“ gemäß, der „aktiven Teilnahme der Gläubigen“ breiter Raum zugemessen werden. Zu diesem Zweck wurde die „Volkssprache“ eingeführt, damit alle mitreden können, „Kommunionhelfer:innen“, „Lektor:innen“ und andere neue „Jobs“ geschaffen, damit die Laien und namentlich auch die Frauen geschäftig mittun können usw. In den Kirchenbauten wurden die Schranken (meist die Kommunionbank) entfernt, die den dem Klerus vorbehaltenen Chorraum vom Kirchenschiff der Laien trennten und stattdessen die neuen „Tische“ nach vorne gerückt, um die sich das Volk „versammeln“ soll, und natürlich hatte der Priester fortan den Blick zum Volk zu richten, dessen Versammlung er präsidierte. Kurzum, die Gestalt der „Neuen Messe“ und auch die Kirchenum- und Neubauten entsprechen vollkommen deren Wesen und zeigen, daß wir es mit einer veränderten Substanz zu tun haben. Der „Novus Ordo“ ist keine Heilige Messe mehr. (Vgl. hierzu die Broschüre „Liturgische Metamorphose“, erhältlich bei thomasvonaquin.org.)
Fazit
Wir haben das Vorgehen des „II. Vatikanums“ einmal mit einem Taschenspielertrick verglichen. Dieses „Konzil“ agierte wie ein Bühnenmagier, der so tut, als würde er ein Kaninchen in einen Blumenstrauß verwandeln (oder umgekehrt), während er in Wirklichkeit beide nur unmerklich austauscht. Ebenso wollte „DAS Konzil“ allen weismachen, daß aus der Heiligen Messe der „Novus Ordo“ hervorgegangen sei, während man in Wirklichkeit die Heilige Messe ganz einfach ausgetauscht hatte gegen den „Kult des Menschen“ (Montini). Beide haben nichts miteinander zu tun. Und jeder Gläubige, der Augen hat, kann das sehen. Zumindest müßte er den Unterschied zwischen einem Blumenstrauß und einem Kaninchen erkennen und sehen, daß das nicht das Gleiche sein kann.
Auf die gleiche Weise ging „DAS Konzil“ mit dem katholischen Glauben und den anderen kirchlichen Einrichtungen vor. Man tat so, als seien diese „erneuert“ worden und tauschte sie in Wirklichkeit gegen Häresie und Neuheidentum aus. Nach Art des Bühnenmagiers erzeugt man viel Nebel und sorgte für Ablenkung durch das Gerede von „Hermeneutik“ und „Pastoralkonzil“, von „Geist“ und „Ungeist“, brachte „Konservative“ und „Progressisten“ gegeneinander auf und beschäftigte die Tradis nachhaltig mit ihrem Sisyphus-Spiel, der Menschheitskirche die „Tradition zurückzubringen“ – alles nur, damit niemand den Betrug merkte, ihn aufdeckte oder Alarm schlug oder gar wirksam dagegen vorging.
Die wenigen ernsthaften Kritiker, die den Trick durchschaut hatten, packte man zusammen mit einigen unseriösen Elementen hinter eine „Brandmauer“, sprach darüber ein Tabu, klebte ein Siegel an und schrieb „Vorsicht! Sedisvakantismus!“ darauf. So kommt es, daß der Betrug auch nach sechzig Jahren munter weitergehen kann, nicht zuletzt dank solcher Gestalten wie „Kardinal“ Müller. Falschmünzer leben ja von solchen Leuten, die das Falschgeld unter die Leute bringen in der Meinung, es sei echtes. Wir aber erkennen die wahre Kirche am Siegel des Heiligen Geistes, der Seiner Braut die vier unverlierbaren Merkmale eingeprägt hat. Für uns gibt es daher nur die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Alles andere ist Betrug, mag es noch so „katholische“ Gewänder tragen.