Fortschritt durch Rücktritt

Streiflichter eines konziliaren Pontifikates

„Fortschritt durch Rücktritt“, so hieß einer unter den vielen Artikeln, die seinerzeit den Rücktritt Benedikts XVI. kommentierten. Während wenigstens dieser Titel etwas Wahres trifft, wurde in vielen anderen Artikeln, wie nicht anders zu erwarten, viel Unsinniges, Skandalträchtiges und Erfundenes zum Rücktritt Benedikts XVI. geschrieben, daß es einem recht schwer fällt, das Eigentliche in den Blick zu bekommen und die entscheidende Frage zu beantworten: Welche Folgen hatte dieser Rücktritt eigentlich für die Konzilskirche?

Es ist nicht verwunderlich, wenn man wieder und wieder liest, Benedikt XVI. sei ein konservativer Papst gewesen, ein Papst, der die Vergangenheit nicht hinter sich lassen konnte, der den Reformstau nicht gesehen habe, der auf der Konzilskirche laste, ein Papst, der im zwanzigsten Jahrhundert stehen geblieben ist usw. Solche kurzsichtigen Urteile offenbaren einmal mehr die vollkommene geistige Verblendung des modernen Menschen, wenn es um Wesentliches geht. Wenn man den letzten großen Vertreter der Konzilsgeneration, der, wie er unzählige Male betont hat, vollkommen hinter den Reformen des Konzils steht und sie durchaus ernst nimmt, als einen vorkonziliaren alten Mann bezeichnet, der den Schritt zur Moderne nicht gewagt hat, dann kann man nur den Kopf schütteln. Wenn man dem „größten Theologen des 20. Jahrhunderts“ nicht zutraut, den Schritt ins 21. Jahrhundert zu machen, dann muß irgendetwas verkehrt sein, dann muß man irgendwie zu kurz gegriffen haben. Aber was ist es, das man übersieht?

Das größte Problem ist, daß irgendwelche Leute, irgendwelche halbgebildeten Laien oder theologische Dilettanten, die von der Sache letztlich keine Ahnung haben, über ein Thema schreiben, das sie in keinster Weise überblicken können. Ihr geistiger Horizont ist letztlich schon so weit eingeengt, daß sie nur eines vor Augen haben: Die Rolle der Frauen in der Kirche. Der Zölibat. Die Sexualmoral. Und damit zusammenhängend: die vielen geschiedenen und wiederverheirateten Paare und die Patchworkfamilien – für die die römische Kirche wenig übrig habe. Wenn die eigene Sicht solchermaßen eingefärbt ist und man sodann damit einen Mann wie Josef Ratzinger beurteilen möchte – dann kann das nur schief gehen.

Es wird sich sicher lohnen, ein wenig genauer hinzuschauen, denn wenn Benedikt XVI. auch geht, Josef Ratzinger bleibt. Was hat also Benedikt XVI. in den sieben (fast acht) Jahren seines Pontifikats (sich alles) geleistet? Was hat er in der Konzilskirche bewegt, bleibend bewegt? Und ist sein Nachfolger, „Papst Franziskus“, wirklich so sehr das gerade Gegenteil des „Papa emeritus“ oder vielmehr seine dialektische Fortsetzung?

1. Inthronisierung im Zeichen des Gottes Pan

Kardinal Josef Alois Ratzinger wurde am 19. April 2005 gewählt und nahm den Namen Benedikt XVI. an. Schon sein Amtsantritt war – von der Medienwelt gänzlich unbemerkt – äußerst spektakulär. Josef Ratzinger ließ sich bei seinem Amtsantritt nicht mehr mit der Tiara (die dreifache Krone als Symbol für die von Christus verliehene dreifache Gewalt des Papsttums) krönen, man setzte ihm eine „einfache“ Mitra aufs Haupt. Auf der Vorderseite dieser Mitra war groß der Gott Pan abgebildet. Sonst fand sich kein einziges christliches Zeichen auf der Mitra, dagegen jedoch noch neun andere freimaurerisch-satanische Symbole, wie in der von P. Villa gegründeten Zeitschrift Chiesa viva / Februar 2012 zu lesen und zu sehen ist. Auch aus seinem Wappen hat Benedikt XVI. als erster der Konzilspäpste die Tiara entfernt und durch eine Mitra ersetzt. Die Mitra hat anders als die Tiara keine klar und präzise in der Geschichte festgelegte Symbolik. Sie läßt also anders als die Tiara einen Interpretationsspielraum und drückt in keiner Weise den Vorrang des Papstes gegenüber den anderen Bischöfen aus. Hierzu paßt zweifelsohne, daß Benedikt XVI. – ebenfalls weithin unbemerkt – den Titel „Patriarch des Abendlandes“ abgelegt, also auch hier auf einen ausdrücklich benannten Vorrang vor den anderen Bischöfen verzichtet hat.

Ist das alles bedeutungslos? Macht es keinen Unterschied, ob ich im Zeichen der dreifachen Vollmacht des Gottmenschen Jesu Christi oder im Zeichen des Gottes Pan, umrahmt von freimaurerisch-satanischen Symbolen mein Amt antrete? Wenn man diese Symbolik ernst nimmt, und das sollte man doch wohl, dann heißt das: Josef Ratzinger hat den Stuhl Petri am 24. April 2005 im Zeichen des Gottes Pan okkupiert und auf seinen wesentlichen Vorrang vor den anderen Bischöfen ausdrücklich verzichtet.

Schon im Jahr 1969 hat ein junger Theologe auf die Überlastung des Papstes in der modernen Zeit hingewiesen – es war Joseph Ratzinger. Sein damaliger Aufsatz ist gerade heute angesichts des Rücktritts Benedikt XVI. wieder bedenkenswert. Josef Ratzinger sprach darin von der „zentralstaatlichen“ Falle der katholischen Kirche, in die sie geraten sei. Er unterschied zwischen dem einheitsstiftenden Amt des Bischofs von Rom, dem Amt des Patriarchen der abendländisch-lateinischen Kirche und dem Primas aller Bischöfe – und damit zwischen der einen unaufgebbaren und den in seinen Augen offensichtlich vielen anderen Funktionen, die sich im Lauf der Geschichte an das Amt des Petrusnachfolgers angelagert hätten. „Das einheitliche Kirchenrecht, die einheitliche Liturgie, die einheitliche Besetzung der Bischofsstühle von der römischen Zentrale aus – das alles sind Dinge, die nicht notwendig mit dem Primat als solchen gegeben sind“, stellt der junge Theologe Ratzinger überraschender Weise fest. Seit der Theologe Ratzinger die hierarchische Karriereleiter der Konzilskirche emporgestiegen ist, ist er auf diese Worte nicht mehr zurückgekommen. Aber hat er sie deswegen ganz vergessen? Hat er sein Amt nicht schon viel mehr und viel weitergehend neu definiert, als man es gemeinhin wahrgenommen hat?

    Hat sein Nachfolger nun in dieser Hinsicht wirklich eine ganz neue Linie eingeschlagen, oder hat er nicht einfach konsequent das fortgeführt, was Ratzinger begonnen hatte, indem er endgültig auf fast alle Amtsinsignien und alle Titel verzichtete außer „Bischof von Rom“, indem er den „Zentralismus“ vor allem der römischen Kurie weiter beseitigen will durch eine „heilsame Dezentralisierung“? Er will endlich radikal ernst machen mit einer „Reform des Papsttums“, wie er in seiner jüngsten "Apostolischen Exhortation" schreibt. „Auch sein Amt müsse immer mehr der Bedeutung treu werden, die Christus ihm geben wollte und 'mehr den gegenwärtigen Notwendigkeiten der Evangelisierung entspricht' (32). Mit Bezug darauf spricht der Papst etwa von der Bedeutung der Bischofskonferenzen, die 'Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen (..) auch einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität' werden sollten, wie es das Zweite Vatikanische Konzil gewünscht habe. 'Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen.' (32) Man dürfe keine Angst haben, die Dinge anzugehen, die zwar historisch gewachsen seien, aber nicht direkt mit dem Evangelium zusammen hingen (43)“ (zenit.org). Handelt es sich hier um „Diskontinuität“ oder vielmehr um „Kontinuität“ des Nachfolgers mit seinem Vorgänger?

2. Die ökumenische Konzilskirche

Wir wollen nun ein klein wenig aufweisen, Josef Ratzinger hat seine Theologie vom Petrusamt durchaus in sein Amt genommen und sie auch teilweise umgesetzt. Denken wir etwa an den Ökumenismus und an das diesem zugrundeliegende neue Verständnis von „Kirche“, das doch wesentlich vom Theologen Ratzinger auf dem Konzil mitgestaltet wurde. Seine Auffassung von „Kirche“ entspricht nicht mehr der katholischen Lehre von der allein seligmachenden Kirche Jesu Christi. Die sog. „Elemente-Ecclesiologie“ Ratzingers löst die Einheit und Einzigkeit der wahren Kirche Jesu Christi auf. Nach dieser irrigen Auffassung von „Kirche“ gibt es auch in anderen religiösen Gemeinschaften „kirchliche Elemente“, wodurch diese Gemeinschaften mehr oder weniger Kirche genannt werden können. So schreibt etwa Johannes Paul II. in seiner glaubenszerstörenden „Enzylika“ „Ut unum sint“: „Viele und bedeutende Elemente, die in der katholischen Kirche zur Fülle der Heilsmittel und der Gnadengaben gehören, die die Kirche ausmachen, finden sich auch in den anderen christlichen Gemeinschaften.“

Folgerichtig geht dann auch der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Ratzinger in „Dominus Jesus“ so weit zu behaupten: „Die Kirchen, die zwar nicht in vollkommener Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, aber durch engste Bande, wie die apostolische Sukzession und die gültige Eucharistie, mit ihr verbunden bleiben, sind echte Teilkirchen.“

Als darum Benedikt XVI. die rückkehrwilligen Anglikaner in die Konzilskirche aufgenommen hat, brauchten diese sich gar nicht mehr besonders zu bekehren, sie mußten nur ihre Kirchenelemente mit in die Konzilskirche mitnehmen und einige Rahmenbedingungen zur Integration erfüllen. Es war schon recht erstaunlich, daß Rom noch die „Weihe“ der anglikanischen Religionsdiener verlangt hat, wo doch Kardinal Kasper im Vorfeld mehrmals zum Ausdruck brachte, die Gültigkeit der anglikanischen Weihen stünde heute nicht mehr in Frage. Angesichts der neuen Weihen und dem neuen Verständnis von Priestertum in der Konzilskirche ist diese Ansicht Kaspers auch durchaus nachvollziehbar. Was soll da eigentlich noch gar so anders sein, daß man die anglikanischen „Priester“ nachweihen müßte?

Übrigens hat Benedikt XVI. bei der Aufnahme der Anglikaner in die Konzilskirche genau das getan, was der Theologe Josef Ratzinger Jahrzehnte vorher folgendermaßen formuliert hat: „An die Stelle der Idee der Konversion, die für den einzelnen, den sein Gewissen so weist, durchaus ihren Sinn behält, wird grundsätzlich die Idee der Einheit der Kirchen treten, die Kirchen bleiben und doch eine Kirche werden.“ Die Anglikaner sind bei ihrem Anschluß an die Konzilskirche mit ihren Traditionen angenommen worden und so (wieder neu) zur einen ökumenischen Kirche der Einheit in der Vielfalt geworden.

    Vergleichen wir hierzu, was „Papst Franziskus“ in seiner Apostolischen Exhortation Evangelii Gaudium schreibt: „Die Verkündigung impliziere den Weg des Dialogs, so der Papst. Dieser Weg öffne die Kirche für die Zusammenarbeit mit politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Institutionen und Gruppen (238). Hier hinein gehört auch die Ökumene, die ein unaufgebbarer Teil der Verkündigung sei, die Spaltung der Christen verhindere das glaubwürdige Zeugnis. Außerdem könnten die Christen viel voneinander lernen, Franziskus weist hier auf die orthodoxen Kirche und ihre Tradition der Synodalität hin (246)“ (zenit.org).

3. Assisi-Jubiläum 2011

Viele Konservative wollten es einfach nicht wahrhaben, im Kirchen- und Glaubensverständnis Benedikts XVI. hat durchaus auch der interreligiöse Dialog und das synkretistische Religionstreffen nach Assisiart einen festen Platz. Ich sage ganz bewußt, synkretistisches Religionstreffen, auch wenn man immer wieder betont hat, man wolle bei dem Treffen jeden Anschein von Synkretismus vermeiden. Den Anschein hätte man nämlich nur dann wirklich vermeiden können, wenn man das Treffen abgesagt hätte.

Joseph Kardinal Ratzinger hat bei den Salzburger Hochschulwochen 1992 den Festvortrag gehalten. Er sprach über das Thema: „Der christliche Glaube vor der Herausforderung der Kulturen.“ Folgt man dem Osservatore Romano (OR dt., vom 4. September 1992), dann hat Ratzinger gesagt: „Wo man die weltliche Technik leidenschaftlich aufnehme, aber den christlichen Glauben als europäisches Kulturerbe ‚um der eigenen Authentizität willen‘ abschüttle, dort komme - wie Ratzinger betonte - auch die in den meisten lokalen Religionen vorhandene vorwärtsweisende Dimension zu Fall. Wo sich alter Glaube mit neuer Rationalität nicht mehr vereinbaren läßt, degenerierten Religionen zu bloßen magischen Praktiken. Ratzinger: ‚Die Religionen können in der geschichtlich bewegten Welt nicht einfach stehenbleiben, wie sie waren oder sind. Aber der christliche Glaube, der das ganze große Erbe der Religionen in sich trägt und es zugleich auf den Logos, auf die wahre Vernunft, hin öffnet, könnte ihrem tiefsten Wesen neuen Bestand geben und wahre Synthese von technischer Rationalität und Religion‘ ermöglichen, die ‚nicht durch die Flucht ins Irrationale‘, sondern nur durch Öffnung der Vernunft zu ihrer wahren Höhe und Weite‘ zustandekäme. Für diese Synthese biete das Christentum die günstigste Voraussetzung, da es mehr Gemeinsamkeiten mit den außerchristlichen Kulturen und ihren Religionen habe als mit der relativistisch-rationalistischen Welt, die heute den Westen beherrsche.“

Eine wesentliche Aufgabe des Christentums in dieser modernen Welt ist also nach Kardinal Ratzinger die Stärkung der Religionen (also aller Religionen) durch die Synthese von technischer Rationalität und Religion. Das Christentum muß den anderen Religionen dabei helfen, in der geschichtlich bewegten Welt nicht einfach stehen(zu)bleiben, und so zu bleiben wie sie waren oder sind. Die Religionen dürfen nicht die Flucht ins Irrationale antreten, sie müssen sich der Herausforderung der modernen Welt stellen. Dabei können sie vom Christentum lernen, das mehr Gemeinsamkeiten mit den außerchristlichen Kulturen und ihren Religionen habe als mit der relativistisch-rationalistischen Welt, die heute den Westen beherrsche.

Wenden wir diese „Einsichten“ nun auf die Assisitreffen an. Diese Treffen dienen dementsprechend der Stärkung der anderen Religionen und der gemeinsamen Aufgabe, angesichts der Herausforderung durch die moderne Welt nicht ins Irrationale abzugleiten, sondern die wahre Synthese von technischer Rationalität und Religion zu ermöglichen.

Vor dem Religionstreffen von Assisi 2011 fragte Kardinal Bertone: „Was ist nun das Ziel des erneuten Treffens in Assisi?“ Er antwortete, das von Papst Benedikt XVI. für diesen Anlass ausgewählte Motto drücke die Bedeutung des Treffens klar aus: „Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens.“ Und er erklärte diese Motto so: „Zu sagen, man ist Pilger, bedeutet einzugestehen, dass man noch nicht am Ziel angekommen ist, oder besser gesagt, dass uns das Ziel immer in die Transzendenz führt und dass dies der Sinn unserer irdischen Reise ist… Jeder Mensch guten Willens empfindet, dass er ein Pilger der Wahrheit ist, dass er unterwegs ist, weil er sich dessen bewusst ist, dass die Wahrheit ihn immer übersteigt.“

In gewisser Weise sei dieses Treffen ein Versuch, den zweiten Artikel der Erklärung „Nostra Aetate“ aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf eine explizitere und direktere Weise als bei den früheren Weltgebetstagen umzusetzen, führte Kardinal Bertone weiter aus: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.“

Als Neuheit bei dem Assisi-Treffen 2011 galt, daß auch Persönlichkeiten aus der Welt der Wissenschaft und Kultur, die sich als Nicht-Gläubige oder Nicht-Religiöse bezeichnen, ebenfalls zur Teilnahme eingeladen worden. „Wir sehen uns selbst als Pilger der Wahrheit, als Pilger des Friedens, und verpflichten uns, an einer gerechteren und solidarischeren Welt mitzubauen“, schloss Kardinal Bertone. „Wir sind uns dessen bewusst, dass diese Aufgabe unsere armen Kräfte übersteigt und dass die Kraft dazu von oben herabgerufen werden muss.“

Benedikt XVI. sagte dann auf dem Treffen in Assisi, Christen wie Muslime, Juden, Buddhisten oder Hindus müßten sich die Frage nach dem wahren Wesen der Religion stellen. Sie müßten sich mit Blick auf die Gewalt fragen, ob es überhaupt ein gemeinsames Wesen der Religion gebe. „Kennen wir Gott, und können wir ihn neu der Menschheit zeigen, um wirklichen Frieden zu stiften?“, fragte der Papst.

Für jeden Katholiken stellt sich angesichts eines solchen Friedengebetstreffens die entscheidende Frage: Welchen Platz hat Jesus Christus, der ewige Sohn des himmlischen Vaters, der uns alle man Kreuz erlöst hat, dabei? – Die Antwort ist klar und einfach: Keinen!

    Hier wieder die Sichtweise seines Nachfolgers „Franziskus“: „Der Dialog und die Freundschaft mit den Kindern Israels sei ebenfalls ein Teil des Lebens der Jünger Jesu (248). Auch der interreligiöse Dialog, geführt mit einer 'klaren und freudigen Identität', sei eine notwendige Bedingung für den Frieden in der Welt und verdunkle die christliche Verkündigung keineswegs (250,251). Demütig bitte er die Länder mit islamischer Tradition darum, 'in Anbetracht der Freiheit, welche die Angehörigen des Islam in den westlichen Ländern genießen, den Christen Freiheit zu gewährleisten, damit sie ihren Gottesdienst feiern und ihren Glauben leben können'(253)“ (a.a.O.).

4. Der große Dialektiker

Josef Ratzinger war immer ein vollendeter Dialektiker. Er versteht das Spiel mit These und Antithese meisterhaft. Er weiß genau, daß nach dem dialektischen System immer eine These (Meinung) mit einer Antithese (Gegenmeinung) im Streit steht. Dieser Streit ist aber dynamisch, d.h. er ist nach vorwärts gerichtet, er ist schöpferisch und wird letztlich in einer Synthese (vermittelnde und verbindende Übereinkunft) beendet werden. Der Dialektiker Ratzinger hat z.B. folgenden Satz geschrieben: „Der ex-communicatus gehört zur communio in der negativen Form der ex-communio.“ Das heißt etwas verständlicher ausgedrückt: Der von der Kirche Ausgeschlossene (Exkommunizierte) gehört zur Gemeinschaft der Kirche in der negativen Form des Ausgeschlossenseins. Der Satz ist in sich betrachtet völliger Unsinn. Er formuliert aber doch ausgezeichnet das System der Dialektik, in der es ja nicht um Wahrheit oder Unwahrheit geht, sondern immer darum, sich durch einen dialogischen Prozess soweit aneinander zu nähern, daß man sich einigen kann. Es gibt, mit anderen Worten gesagt, in diesem System keine wahren Gegensätze mehr, keine sich ausschließende Gegensätze. Alles ist verhandelbar, alles ist überwindbar, alle Gegensätze heben sich letztlich auf.

Der Theologe Ratzinger verstand es ab einem bestimmten Zeitpunkt ausgezeichnet, sich in diesem dialektischen Spiel des Modernismus in der Mitte zu halten. Er war stets bemüht, die Extreme zu meiden und vermittelnd zu wirken. Dadurch erhielt er seinen konservativen Ruf, obwohl er ein durch und durch moderner Theologe war und blieb. Er konnte deswegen auch all die Jahre ehrlich sagen, er habe sich nicht geändert, obwohl aus dem ganz und gar modernen Theologen Ratzinger der konservative Erzbischof von München und Freising, der eiserne Präfekt der Glaubenskongregation in Rom und schließlich der rückständige Benedikt XVI. geworden sind.

Ein Meisterstück in diesem dialektischen Spiel war die Wiederzulassung der sog. Tridentinischen Messe in dem Motu proprio „Summorum Pontificum“. Während die Konservativen der amtskirchlichen Seite durchaus den Sinn dieser Zulassung richtig sahen und einordnen konnten – so hat etwa Guido Horst die Wiederzulassung der „alten“ Messe mit einem Wiederauftauen verglichen; die „alte“ Messe war tiefgefroren, starr und unveränderlich, jetzt wird sie aufgetaut, auftauen heißt aber Leben und Leben heißt Veränderung – mißverstand ein großer Teil der sog. Traditionalisten die Wiederzulassung als Rettung, ja sogar Rettung auf immer. Daß Benedikt XVI. die sog. „alte“ Messe als außerordentlichen Ritus bezeichnete und auf die Basis der Theologie der Neuen Messe stellte und zudem forderte, daß sich beide Riten gegenseitig ergänzen müßten, das haben diese Leute in ihrer irrationalen Euphorie ganz einfach vollkommen ausgeblendet. Dabei ist eines ganz klar: Benedikt XVI. hat die alte Messe nicht wiederzugelassen, um sie zu retten, sondern um sie endgültig zum alten Eisen legen zu können – dann nämlich, wenn die neue Neue Messe beide Riten wieder zu Einheit führen wird. So einfach ist Dialektik und so wirkungsvoll! Dabei kann man Benedikt XVI. in keiner Weise vorwerfen, er hätte jemanden getäuscht. In seinem begleitenden Schreiben an die Bischöfe erinnerte er an die Notwendigkeit, „alle Anstrengungen zu unternehmen, um all denen das Verbleiben in der Einheit oder das neue Finden zu ihr zu ermöglichen, die wirklich Sehnsucht nach Einheit tragen.“ Sehnsucht nach der Einheit meint natürlich, Sehnsucht nach der Einheit mit der sog. Konzilskirche – was ist da eigentlich mißverständlich?

    Zu diesem Thema sprach unlängst Dario Kardinal Hoyos bei einer Jahreshauptversammlung der Internationalen Föderation Una Voce (FIUV) in Rom: „Ich habe Papst Franziskus erst vor kurzem getroffen und er sagte mir, daß er weder Probleme mit dem Alten Ritus hat noch Probleme mit Gruppen und Vereinigungen wie der Euren, die sie fördern.“ In seiner „Apostolischen Exhortation“ hingegen spricht „Papst Franziskus“ von „denen, die sich für etwas Besseres halten, die einem Stil von Katholizismus anhingen, welcher der Vergangenheit angehören, die sich um eine übertriebene Pflege der Liturgie zuwenden, die gesellschaftliche Anerkennung suchen, die zu Funktionären werden. Papst Franziskus zählt die Versuchungen auf, die alle den einen Kern hätten: Hier fehle Christus (95). 'Es ist eine schreckliche Korruption mit dem Anschein des Guten. Man muss sie vermeiden, indem man die Kirche in Bewegung setzt, dass sie aus sich herausgeht, in eine auf Jesus Christus ausgerichtete Mission, in den Einsatz für die Armen' (97)“ (a.a.O.).

5. Fortschritt durch Rücktritt

Es lohnt sich bei Benedikt XVI. immer, der Sache auf dem Grund zu gehen. Wenn einer wie er sein Amt niederlegt, dann wird auch diese „Geste“ eine viel weitreichendere Folge haben, als viele meinen und annehmen. In manchen Kommentaren zum Rücktritt Benedikts klang das auch durchaus an. Roberto de Mattei weist in seinen Bemerkungen zum Rücktritt „Absoluter Bruch mit Tradition und Praxis der Kirche – Pontifikat Benedikts XVI. nicht ‚abgeschlossen‘“ eingehend darauf hin.

Zunächst betont er, der Rücktritt ist an sich kein Skandal. „Er ist vom Kirchenrecht vorgesehen und trat im Laufe der Geschichte wenn auch nur selten ein. Es ist jedoch anzumerken, daß der Papst zurücktreten kann, und dies historisch auch manchmal tat, weil das Pontifikat als ein 'rechtliches Amt der Kirche' betrachtet wird, das nicht untrennbar mit der Person verbunden ist, die es ausübt.“ Grundsätzlich kann also jeder Papst zurücktreten. Es wird jedoch einigen Leuten schwer fallen, einzusehen, daß Benedikt XVI. einfach aufhört Papst zu sein, obwohl er noch lebt. Eine solche Form der Sedisvakanz ist relativ selten gewesen in der Kirchengeschichte (zumal wenn der "Papa emeritus" weiterhin sein weißes Gewand und den Papstnamen trägt und im Doppelpack zusammen mit seinem Nachfolger auftritt oder Enzykliken schreibt).

Der Papst kann also zurücktreten, das Papstamt ist verlierbar, ein Papst bleibt nicht einfach sein ganzes Leben lang Papst. Das ist das eine. Etwas anderes ist aber die Frage, ob es richtig ist, ob es angemessen ist, daß er dies auch wirklich tut?

In einem der Kommentare heißt es treffend: „Mit seinem Rücktritt hat der Papst eine zukunftsweisende Botschaft gesendet: Das Papstamt ist von Menschen gemacht und es wird von Menschen ausgefüllt. Der Mensch entscheidet, nicht Gott allein. Der Rücktritt ist eine verantwortungsvolle Entscheidung, die zeigt: Der Papst ruht sich nicht aus auf Gott, eine Überhöhung des Amtes wird künftig schwer werden.“

Damit ist die ganz große Gefahr angedeutet, die nach diesem Rücktritt offenbar wird (obwohl sie schon seit dem Konzil theoretisch grundgelegt ist in der neuen Theologie über die Kirche – siehe oben!): Bleibt vom Übernatürlichen des Papsttums nach dem Rücktritt noch etwas übrig?

Enzo Bianchi schrieb am 1. Juli 2002 in der Tageszeitung La Stampa: „Gemäß der großen Tradition der Kirche des Westens und des Ostens sollte kein Papst, kein Patriarch, kein Bischof nur wegen Erreichung einer Altersgrenze zurücktreten. Es ist wahr, daß es seit gut 30 Jahren in der katholischen Kirche eine Bestimmung gibt, die die Bischöfe auffordert, mit Vollendung des 75. Lebensjahres dem Papst ihren Amtsverzicht anzubieten, und es ist wahr, daß alle Bischöfe im Gehorsam dieser Einladung Folge leisten und ihn anbieten, und es ist auch wahr, daß normalerweise die Rücktrittsangebote angenommen werden. Aber es bleibt eine jüngste Bestimmung und Praxis, die von Paul VI. festgelegt und von Johannes Paul II. bestätigt wurde. Es ist durch nichts ausgeschlossen, daß dies in Zukunft revidiert wird, nachdem man die dadurch in diesen Jahrzehnten verursachten Vorteile und Schwierigkeiten abgewogen hat.“

Wenn die Bischöfe mit 75 Jahren ihren Amtsverzicht anbieten müssen und die Kardinäle ab 80 nicht mehr wählen können, warum sollte nicht auch der Papst mit 75 oder 80 zurücktreten?

Bei den anderen Päpsten, die im Laufe der Kirchengeschichte zurückgetreten sind, handelte es sich um Ausnahmefälle. Die entscheidende Frage ist nun: Welche Ausnahmesituation liegt der Entscheidung Benedikts XVI. zugrunde? Der offizielle Grund, der in seine Worte vom 11. Februar gemeißelt ist, drückt statt einer Ausnahme die Normalität aus: „Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen. Um trotzdem das Schifflein Petri zu steuern und das Evangelium zu verkünden, ist sowohl die Kraft des Körpers als auch die Kraft des Geistes notwendig, eine Kraft, die in den vergangenen Monaten in mir derart abgenommen hat, daß ich mein Unvermögen erkennen muß, den mir anvertrauten Dienst weiter gut auszuführen.“

Irgendwo habe ich gelesen: „Dieser Rücktritt sprengt eine zweitausendjährige Tradition, er sprengt das Selbstverständnis des katholischen Papsttums.“ Zunächst dachte ich, dies sei übertrieben, dies gehe an der Kirchengeschichte (man denkt sofort an Coelestin V.) vorbei, dann aber ahnte ich, daß doch viel Wahres an dieser Aussage ist. Ist es fortan ein Kriterium, daß der Papst gesund sein muß, daß er jung und dynamisch sein muß, um Papst sein zu können? Ist es ein Kriterium, daß er flexibel und aufgeschlossen für alles Neue sein muß? Was ist dann, wenn der junge, dynamische Papst alt wird? Muß es dann letztlich nicht ein „Papst“ nach dem Geschmack der Welt sein, anstatt ein Zeichen des Widerspruchs, dem natürlich immer auch widersprochen werden wird?

    Hierzu noch einmal sein Nachfolger „Franziskus“: „'Neue Wege' und 'kreative Methoden' sollen dazu dienen, die 'ursprüngliche Frische der Frohen Botschaft' neu zu erschließen. Jesus soll aus den 'langweiligen Schablonen' befreit werden, in die wir ihn gepackt haben (11). Der 'Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung (..), der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind' (25) ist das eine, eine Reform der Strukturen der Kirche das andere, was es dazu braucht. Papst Franziskus denkt dabei auch an eine 'Reform des Papsttums', weil er dazu berufen sei, das zu leben, was er von anderen verlange (32). Auch sein Amt müsse immer mehr der Bedeutung treu werden, die Christus ihm geben wollte und 'mehr den gegenwärtigen Notwendigkeiten der Evangelisierung entspricht' (32)“ (a.a.O.).

Wenn Gott kein Wunder wirkt, dann ist sicher nichts mehr zu retten!