Von Heiligen

Die konzilskirchlichen Selig- und Heiligsprechungen stellen den Katholiken heute vor ein nicht geringes Problem. Nicht nur, daß die Zahl der Beatifikationen – wohl im Sinne der „Allerlösung“ – in den letzten Jahrzehnten so inflationär angewachsen ist, daß man völlig den Überblick verloren hat (vielleicht wäre es allmählich einfacher und übersichtlicher, nicht zu erklären, wer heilig oder selig ist, sondern wer es nicht ist...), es ergibt sich auch die Schwierigkeit, daß sich unter den solcherart „Kanonisierten“ auch etlliche befinden, die der katholische Instinkt (und wir reden hier nicht vom sentimentalen Gefühl charismatisch verbildeter Konzilskatholiken) schlechterdings ablehnen muß. Gerade stehen wieder zwei neue „Heilige“ ins Haus, die nun offensichtlich zur Ehre der Altäre erhoben werden sollen, obwohl oder gerade weil sie unermeßlichen Schaden über die Kirche Gottes gebracht haben, nämlich der „selige“ Konzilspapst Roncalli, gennant „Giovanni der Gute“, und der gleichfalls „selige“ Assisi-Papst Wojtyla, alias „Johannes Paul der Große“.

Besonders dramatisch wirkt sich das aus für jene unter den „Traditionalisten“, die eisern daran festhalten wollen, daß es sich bei den „konziliaren“ Päpsten um wahre, legitime Päpste handelt, ihnen aber gleichwohl den Gehorsam verweigern und diesen Widerspruch dadurch zu lösen meinen, daß sie sagen, außerhalb seiner Unfehlbarkeit könne der Papst irren wie jeder andere Mensch. Man müsse also nur folgen, wo er unfehlbar sei – und dies sei ja zum großen Glück nicht eben allzu oft, so etwa alle 100 Jahre einmal, wenn er feierlich ein Dogma verkünde – und sonst könne man getrost ungehorsam sein und Widerstand leisten. Da ist es nun sehr peinlich, daß nach Einschätzung so ziemlich aller früheren Theologen die Kanonisation von Heiligen durch den Papst unter seine unfehlbaren Akte fällt und somit an diesem heiklen Punkt das ganze schöne Gebäude vom legitimen Ungehorsam gegen den legitimen Papst zusammenzubrechen droht. Kein Wunder also, daß man mit größter Findigkeit versucht, diesen Stein des Anstoßes aus dem Weg zu schaffen.

Da war freilich nichts willkommener als die These, daß Heiligsprechungen gar nicht wirklich unfehlbar seien. Wurde diese Theorie auch von einem offensichtlich modernistischen Theologen vertreten, was tat's, sie wurde sogleich vor nunmehr gut zehn Jahren von dem in „traditionalistischen“ Kreisen vielgelesenen „Rom-Kurier“ („Si Si No No“) verbreitet und hat sich in besagten Kreisen trotz ihrer offenkundigen Unhaltbarkeit nicht nur bis heute erhalten, sondern sogar so sehr verfestigt, daß sie in „traditionellen“ Priesterseminaren inzwischen als die probate gängige Lehre gilt. Es ist daher sicher mehr als angebracht, eine Arbeit erneut zu publizieren, die sich damals mit dem Artikel aus dem „Rom-Kurier“ beschäftigte und heute aktueller denn je erscheint. Im folgenden wollen wir sie – ein klein wenig gekürzt und angepaßt – dem interessierten Leser wiedergeben.

Von Heiligen –
zweifelhaften Heiligen, nicht existierenden Heiligen, und Heiligen, die in der Hölle sind

Der Katholik muß heute immer wieder zu seinem Erstaunen, oder auch zu seinem Entsetzen, feststellen, daß nichts mehr so ist wie früher. Und zwar betrifft dieses Nicht-mehr-sein-wie-früher nicht nur unbedeutende Nebensächlichkeiten des kirchlichen Lebens, sondern mehr und mehr dessen Wesen. Früher etwa waren die Heiligen heilig und darum, weil sie heilig waren, waren sie der Verehrung würdig, waren unsere Vorbilder und Fürsprecher im Himmel. Heute ist das alles viel schwieriger geworden, die Heiligen sind nicht mehr einfach heilig, sondern es gibt Heilige – zweifelhafte Heilige, nicht existierende Heilige, und Heilige, die in der Hölle sind. Zumindest wissen wir nichts Genaues über den Verbleib des Heiligen nach dem Tod. Wer das nicht glaubt, der sollte einmal einen Artikel des „Rom-Kuriers“ zur Hand nehmen mit dem an sich hoffnungsvollen Titel: „Klare Ideen von der Heiligsprechung“ (Rom-Kurier N° 124 Januar 2004, S. 1ff).

Leider wird der Leser, wenn er sich wirklich die Mühe macht, den Artikel aufmerksam durchzulesen und schließlich das Blatt zur Seite gelegt hat, feststellen müssen, daß das einzig Klare an diesen Ideen zur Heiligsprechung die Überschrift war, wohingegen alles andere schon eher merkwürdig unklar ist. So ganz verwunderlich ist das jedoch auch wieder nicht, wenn man bedenkt, daß die Hauptquelle für den Artikel „der Dominikanerpater Daniele Öls, Professor am Angelicum und 'Referent' der Kongregation für die Heiligsprechungsprozesse“ ist, also offensichtlich ein Modernist.

Die folgenden Zeilen wollen nun ihrerseits versuchen, den durch den Artikel verbreiteten Nebel zu lichten, um wirklich klare Ideen von der Heiligsprechung zu geben, damit wieder, so wie früher, Heilige einfach heilig sein können, wie es der Katholik auch selbstverständlich immer erwartet und geglaubt hat.

1. „Sententia communis“

Der Artikel beginnt mit der theologischen Qualifikation der These, d.h. mit der Angabe des theologischen Gewißheitsgrades der vertretenen Sache. In der „Katholischen Dogmatik“ von Franz Diekamp heißt es dazu erklärend: „Die theologischen Gewißheitsgrade richten sich nach dem Maße der Klarheit und Sicherheit, mit dem eine Wahrheit in der Offenbarung ausgesprochen und vom kirchlichem Lehramte vorgelegt ist.“ Je klarer und sicherer also eine Lehre in der Offenbarung ausgesprochen und vom kirchlichem Lehramt vorgelegt ist, desto höher ist die theologische Qualifikation.

Der höchste Gewißheitsgrad ist „de fide“. Diese Lehren sind mit Unfehlbarkeit von der Kirche verkündet worden. „Sententia fidei proxima“ heißt eine Lehre, für deren Offenbarungscharakter fast die Gesamtheit der Theologen und auch die Kirche eintritt, ohne daß sie jedoch von der Kirche mit voller Deutlichkeit als unfehlbare Wahrheit verkündigt ist. „Ad fidem pertinens, theologice certa“ ist eine Lehre, die durch ihren zweifellosen inneren Zusammenhang mit dem Dogma als sicher verbürgt wird. „Sententia communis“ ist ein Satz, der an sich zu dem Gebiete der freien Meinung gehört, dem man aber wegen der allgemeinen Zustimmung der Theologen nur auf die triftigsten Gründe hin widersprechen darf. Theologische Meinungen von geringerer Gewißheit bezeichnet man als „sententia probabilis“ bzw. „probabilior“ und mit Rücksicht auf ihre Übereinstimmung mit dem Gesamtgeiste der Kirche als „opinio pia“. Auf der untersten Stufe steht die „opinio tolerata“.

Der Artikel im Rom-Kurier sagt nun: „Vor mehr als neun Jahrhunderten hat der Heilige Stuhl damit begonnen, die Heiligsprechung als seine Sache zu betrachten. Seit dieser Zeit diskutierten die Theologen und Rechtsgelehrten darüber, ob der Papst unfehlbar sei, wenn er eine Person heilig spricht. Es traten dabei Befürworter (Infallibilisten) und Gegner der Unfehlbarkeit des Papstes in diesem Bereich auf (Anti-Infallibilisten). Doch erst seit 1800 begann die These der Befürworter sich durchzusetzen, so daß sie heute unter den Theologen die allgemeine Meinung (sententia communis) ist. Aber welche Bedeutung hat diese Ansicht? Welche Haltung muß ein Katholik gegenüber einer allgemeinen Sentenz haben?“

Sodann wird ausgeführt: „,Die allgemeine Sentenz ist eine Lehre, die ihrer Natur nach in den Bereich der freien Meinungen gehört. Ihre Vertreter aber sind meistens Theologen’. Was die Einstellung dazu betrifft, so wäre es unbesonnen (temerarius), wenn ein Theologe ohne jede Begründung (seiner Behauptung) der allgemeinen Meinung widerspräche oder ohne Grund von der allgemeinen Lehre abwiche. Aber wenn ein gutes Motiv oder eine feste Grundlage besteht, d.h. wenn rechte Beweisgründe vorhanden sind, um von der allgemeinen Sentenz abzuweichen, dann ist keiner verpflichtet, 'im Chor zu singen'“.

Hierauf wird diese Erkenntnis auf die Heiligsprechung angewandt:

„Was die Unfehlbarkeit bei den Heiligsprechungen betrifft, so wollen gewisse Theologen nicht von der allgemeinen Meinung abrücken; daher verhehlen sie nicht, daß ‚die Schwierigkeit des Problems darin besteht, den wirklich befriedigenden Beweis für diese Unfehlbarkeit zu finden, wenn sie auch deren Existenz bejahen’. Diese Meinung vertritt der deutsche Theologe Scheid. Professor Bartmann zitiert ihn und bemerkt seinerseits, daß die These der Befürworter der Unfehlbarkeit nicht so sehr auf ,’einzelnen zwingenden Beweisen’, sondern auf einem ‚Bündelargument’ beruhe, ‚als ob in gewisser Weise die Zahl der Beweisgründe die Schwäche eines jeden Argumentes für sich ergänzen müsse’“

Es ist wirklich bemerkenswert, wie in diesem Dreischritt, in typisch modernistischer Manier, die wirkliche Sachlage verdreht und einfach ins Gegenteil verkehrt wird. Indem man zunächst die theologische Qualifikation als „sententia communis“ völlig verharmlost – die Überschrift über diesen Abschnitt geht sogar soweit zu behaupten: „Eine 'allgemeine' Meinung, aber trotzdem keine begründete Lehre“, man beachte die Anführungszeichen bei allgemein und die nur noch kurios zu nennende Schlußfolgerung: trotzdem keine begründete Lehre! Das haben offensichtlich so große Theologen wie Suarez, der hl. Robert Bellarmin, Billuart, Scheeben usw. noch nicht bemerkt, erst der modernistische Professor Daniele Öls kam zu dieser neuen Einsicht! –, wird sodann die allerunterste Ebene aller Möglichkeiten der Darstellung des Sachverhalts angezielt, indem man gerade einen in dieser Sachfrage umstrittenen Theologen zitiert, um schließlich dessen umstrittene Position zur Grundlage für die eigene Beurteilung zu machen und als die geltende Meinung zu verkaufen.

Um die Tragweite dieser Verdrehungen abschätzen zu können, muß man sich klar machen, wie die Sachlage wirklich ist, um diese sodann mit dem im Artikel Dargestellten zu vergleichen.

a) Die historische Darstellung der Entwicklung

Der Autor des Artikels erzeugt durch seine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Beurteilung unserer Frage den Eindruck, als wäre zunächst die Mehrheit der Theologen gegen die Unfehlbarkeit bei der Heiligsprechung gewesen (diese werden mit dem Etikett versehen: Anti-Infallibilisten), bis sich schließlich erst (!, also erst sehr spät?) seit 1800 die Befürworter (die mit dem Etikett „Infallibilisten“ versehen werden) durchzusetzen begannen.

Entspricht diese Darstellung der Tatsache? Zum Vergleich sei hier ein Text aus „The Catholic Encyclopedia“ von 1908 wiedergegeben: „Ist der Papst bei der Heiligsprechung unfehlbar? Die meisten Theologen antworten in dieser Frage bejahend. Es ist die Ansicht von St. Antoninus, Melchior Cano, Suarez, Bellarmin, Bañez, Vasquez, und unter den Kanonisten, von Gonzales Tellez, Fagnanus, Schmalzgrüber, Barbosa, Reiffenstül, Covarruvias (Variar. resol., I, x, no 13), Albitius (De Inconstantiâ in fide, xi, no 205), Petra (Comm. in Const. Apost., I, in notes to Const. I, Alex., III, no 17 sqq.), Joannes a S. Thomâ (on II-II, Q. I, disp. 9, a. 2), Silvester (Summa, s. v. Canonizatio), Del Bene (De Officio Inquisit. II, dub. 253), und vielen anderen.“ Hierauf folgt noch als Beweis ein Zitat des hl. Thomas von Aquin.

Nimmt man zu den hier genannten Namen noch diejenigen hinzu, die in den verschiedenen anderen Dogmatiken genannt werden, wie der hl. Bonaventura, Cajetan, Gregor von Valentia usw., dann wird die Zahl der Befürworter der Unfehlbarkeit nach Zahl und Gewicht ihrer Autorität einfach erdrückend. Abgesehen davon, daß auch schon vor 1800 die größten Theologen für die Unfehlbarkeit der Heiligsprechungen eintraten, weshalb die Darstellung des Artikels, „erst seit 1800 begann die These der Befürworter sich durchzusetzen, so daß sie heute unter den Theologen die allgemeine Meinung (sententia communis) ist“, wohl mit Recht bezweifelt werden muß. So schreibt etwa Franz Suarez S.J., nach dem Lexikon für Theologie und Kirche von Dr. Michael Buchberger, einer der führenden Theologen der spanischen Scholastik und wohl der bedeutendste Theologe des Jesuitenordens (1548 – 1617; also 200 Jahre vor 1800!): „Wenn es auch nicht de fide ist, so beurteile ich es wenigstens als certam, und das Gegenteil als unfromm und verwegen“ (Suarez, De Fide d. 5. s.8 n.8).

Während Scheeben noch etwas feiner unterscheidend schreibt: „Daß diese Urtheil unfehlbar sei, ist zwar von einigen wenigen ältern Theologen in Abrede gestellt worden, muß aber gleichwohl, wenn nicht als Glaubenssatz, so doch als theologisch sichere Lehre gelten“ (M. J. Scheeben-L. Atzberger, Handbuch der kath. Dogmatik, Bd IV. Freiburg/ Br. 1933, S 371), heißt es im Lexikon für Theologie und Kirche von 1932 nur noch ganz einfach den theologischen Sachverhalt zusammenfassend: „Nach Ansicht aller Theologen ist die Kirche unfehlbar in ihrem Urteil über die Heiligkeit und himmlische Glorie des betreffenden Dieners Gottes.“

b) Eine allgemeine Lehre – ohne Anführungszeichen

Eine allgemeine Lehre zu leugnen ist temerär, was nicht nur „unbesonnen“ heißen kann, wie es in dem Artikel des deutschen Rom-Kuriers übersetzt wird, sondern zudem „verwegen“. Wobei wohl mit dem lateinischen „temerarius“ in unserem Zusammenhang eher Letzteres gemeint sein dürfte, da es für eine Lehre, welche von der Mehrheit der Theologen, also allgemein für sicher gehalten wird, nur noch schwer gewichtige und triftige Gegengründe geben kann. (Bezüglich unserer Frage werden wir dies noch gesondert untersuchen müssen.) Diese Übersetzung als „verwegen“ legen auch die mit temerarius oft zusätzlich gebrauchten Zensuren nahe. So heißt es etwa bei dem Dogmatiker Hervé (Manuale Theologiae Dogmaticae, Vol. I, Paris 1952; S. 5010ff.), der unsere Lehre als „Doctrina communis et certa“, also als „allgemeine und sichere“ Lehre beurteilt: „Aus der fast einmütigen Meinung der Theologen, die lehren, daß die Unfehlbarkeit der Kirche in der Kanonisierung der Heiligen nicht verneint werden könne, wenigstens nicht ohne 'temeritate, scandalo et impietate', also Verwegenheit, Skandal und Ruchlosigkeit.“ Das ist doch wohl etwas mehr als nur „unbesonnen“ zu sein. Benedictus XIV. (1. c. l, 45, 28) urteilt folgendermaßen über diejenigen, die die Unfehlbarkeit bei der Heiligsprechung leugnen: „Wenn auch nicht häretisch, so nenne ich doch verwegen, der ganzen Kirche Skandal bereitend, ungerecht gegenüber den Heiligen, jene Häretiker begünstigend, welche die Autorität der Kirche in der Kanonisierung von Heiligen leugnen, nach Häresie schmeckend, ja den Weg öffnend für die Ungläubigen zum Spott über die Gläubigen, Vertreter einer falschen Behauptung und schwerster Strafen schuldig denjenigen, welcher wagen würde zu behaupten, daß der Papst in dieser oder jener Heiligsprechung geirrt habe, daß dieser oder jener Heilige, der von ihm kanonisiert wurde, nicht mit dem Heiligenkult zu verehren sei.“ Aber offensichtlich meint unser Autor dennoch, mit Rückgriff auf den modernistischen Herrn Professor aus Rom, ohne weiteres Gegengründe finden zu können, die selbst den größten Theologen der Kirche noch niemals in den Sinn gekommen sind. – Aber sehen wir selbst.

2. Gründe und Gegengründe

a) Die Schwäche der einzelnen Argumente

Der Autor des Artikels im Romkurier spricht unter Berufung auf den deutschen Theologen Scheid davon, daß „die Schwierigkeit des Problems darin besteht, den wirklich befriedigenden Beweis für diese Unfehlbarkeit zu finden, wenn sie auch deren Existenz bejahen“. Und unter Bezugnahme auf den Dogmatiker Bartmann meint er, daß die These der Befürworter der Unfehlbarkeit nicht so sehr auf „einzelnen zwingenden Beweisen“, sondern auf einem 'Bündelargument'“ beruhe, „als ob in gewisser Weise die Zahl der Beweisgründe die Schwäche eines jeden Argumentes für sich ergänzen müsse.“

Diese Ansicht ist aber nun durchaus nicht die Ansicht der Theologen, sondern vielmehr ihrerseits eine eher unbesonnene Meinung von Scheid und Bartmann, welche darum auch damals von anderen Theologen sofort zurückgewiesen wurde (vgl. etwa l'Ami du clergé, 1937, p. 317 sq.). Zudem kommen weder Scheid noch Bartmann zu der Schlußfolgerung, welche der Autor im Rom-Kurier aus diesen Einwänden zieht. Vielmehr betont Bartmann trotzt der vorgebrachten Schwierigkeiten: „Dennoch besitzt das kirchliche Urteil über die Heiligkeit eines Verstorbenen zweifellos ein großes Ansehen, sowohl wegen der unfehlbaren Autorität als wegen der Akribie, womit die Gründe dafür geprüft wurden“ (Hervorhebungen von mir!).

Bezüglich der theologischen Gründe für die Heiligsprechung urteilt etwa Billuart ganz anders als Bartmann und Scheid: „All diese (oben genannten Theologen) sagen, daß wer leugnet, ein von der Kirche kanonisierter Heiliger sei heilig und in der Glorie, sei nicht Häretiker, sondern er sei 1. verwegen, weil er der allgemeinen Lehre der Kirche in einer begründetsten Sache widerspricht und weil dessen gegenteilige Meinung kein geeignetes Fundament hat…“ (Hervorhebungen von mir!). Und er fährt weiter: „2. Er gäbe ein Ärgernis, weil er die Gläubigen von der Verehrung der Heiligen abbrächte. 3. Er wäre gottlos, weil der der Kirche und den Heiligen selbst Unrecht täte. 4. Er würde nach der Häresie der Sekten schmecken, welche die Heiligsprechungen der Kirche verlachen und den Kult und die Anrufung der Heiligen leugnen.“

Billuart scheint also im Gegensatz zu Bartmann nichts von den Schwierigkeiten und den Schwächen der Argumente bezüglich der Heiligsprechung als unfehlbaren Akt des Lehramtes zu wissen, sondern im Gegenteil diese für eine begründetste Sache zu halten, dessen gegenteilige Meinung kein geeignetes Fundament hat. Und auch hierin sind alle großen Theologen mit Billuart einig und nicht mit dem Autor des Romkurier-Artikels. Aber folgen wir dem Gedankengang des Artikels im Romkurier noch weiter.

b) Direktes und indirektes Objekt der Unfehlbarkeit

Der Autor stellt zunächst fest, daß der Fall einer Heiligsprechung „nicht genau mit der Verurteilung eines Häretikers übereinstimmt. Im Fall der Verurteilung droht offensichtlich große Gefahr für den Glauben der Christen, so daß der genaue Hinweis auf eine solche Gefahr nötig ist, damit man diesen Glauben schützen kann.“ Hingegen gilt: „Im Falle einer Heiligsprechung jedoch finden wir keine derartigen Umstände (...).“

Die Schlußfolgerung daraus ist nun: „Ein Irrtum würde keinen moralischen Schaden für den Glauben bewirken, wenn auch die ganze Angelegenheit offenkundig recht unangenehm wäre. Mit anderen Worten ausgedrückt, daß die Gläubigen anfangen, Luther zu folgen, wäre ernst wie der Tod, daß sie widersinnigerweise einen Heiligen verehren, der in Wirklichkeit in der Hölle wäre, hätte nicht dasselbe Gewicht, denn selbst die verdammte Seele könnte noch dem christlichen Leben (indirekt) helfen, da die Verehrung nur insofern diese Person betrifft, wie die Christen glauben, sie sei heilig und ein Freund Gottes.“

Nach dem Autor des Artikels im Rom-Kurier ist somit die Sachlage folgende:

  1. Ein Irrtum bei der Heiligsprechung ist ganz anders als die Verurteilung eines Häretikers keine „große Gefahr für den Glauben der Christen“.
  2. Einen „Heiligen“ zu verehren, der in der Hölle ist, würde deshalb – anders als wenn die Gläubigen etwa anfingen, „Luther zu folgen“, was „ernst wäre wie der Tod“„keinen moralischen Schaden für den Glauben bewirken“, aber immerhin wäre „die ganze Angelegenheit offenkundig recht unangenehm“.
  3. Selbst wenn die verehrten „Heiligen“ in der Hölle sind, wäre das nicht so schlimm, weil „die Verehrung nur insofern diese Person betrifft, wie die Christen glauben, sie sei heilig und ein Freund Gottes.“

Gehen wir nun diese drei Punkte im einzelnen durch:

Zu 1: Keine „große Gefahr für den Glauben der Christen.“

Wenn wir die im Rom-Kurier Artikel gemachte Behauptung in eine theologische Sprache umsetzen, dann heißt die gestellte Frage: Ist die Heiligsprechung ein indirektes Objekt der Unfehlbarkeit oder nicht? Ist sie nämlich ein indirektes Objekt, dann entsteht natürlich bei deren Leugnung auch ein Schaden für den Glauben.

Matthias Joseph Scheeben erklärt in seiner Dogmatik allgemein zum indirekten Objekt der Unfehlbarkeit:

n. 127 „II... 2. Es wäre aber durchaus irrig, ja nach der Meinung vieler Theologen sogar häretisch, wenn man das Gebiet der kirchlichen Unfehlbarkeit auf die formell geoffenbarten Wahrheiten beschränken würde. Es muß vielmehr mindestens als theologisch sichere Lehre festgehalten werden, daß sekundäres (oder indirektes) Objekt der Unfehlbarkeit das ganze Gebiet jener Wahrheiten ist, welche als Glaubensdepositum im weitern Sinne bezeichnet werden können, welche zwar an sich und formell nicht geoffenbart sind, aber mit den geoffenbarten Wahrheiten so innig zusammenhängen, daß ohne sie die Offenbarung selbst entweder gar nicht oder doch nur ungenügend bewahrt und erklärt, geltend gemacht oder verteidigt werden könnte. Dazu gehören jene Wahrheiten, welche in der Offenbarung mittelbar und virtuell ausgesprochen sind und durch logische Schlußfolgerung aus derselben abgeleitet werden (die sog. conclusiones theologicae), ferner jene an sich natürlichen, nicht geoffenbarten Tatsachen und Wahrheiten, welche mit den geoffenbarten Glaubens- und Sittenlehren so enge zusammenhängen, daß die Reinheit und Unversehrtheit des kirchlichen Glaubens und Lebens durch sie bedingt ist (die sog. res ad integritatem dei pertinentes, vgl. § 5, n. 40-44 dieses Handbuches)....“ (M. J. Scheeben-L. Atzberger, Handbuch der kath. Dogmatik, Bd IV. Freiburg/ Br. 1933, § 336).

Sodann gibt er die einzelnen Bereichen dieses indirekten Objektes an:

n. 130 „III. Im einzelnen gehören zum sekundären und indirekten Objekte der kirchlichen Unfehlbarkeit besonders folgende Punkte: … 7. die Feststellung und Würdigung von Thatsachen, ohne deren richtige Kenntnis das religiöse Leben, besonders der Cultus, nicht würdig geordnet werden könnte, so namentlich die Canonisation der Heiligen...“ (ebd.).

In seiner „Theolog. Erkenntnislehre“ heißt es dazu im besonderen:

„707 Übrigens nehmen viele Theologen (so namentlich mit Nachdruck Muzzarelli, Opusc. 24) gar keinen Anstand, diese Wahrheiten auf Grund der göttlichen Verheißung schlechthin als Gegenstand des göttlichen Glaubens zu erklären. Namentlich geschieht das bei allen formell sittlichen Lehren, indem man die Wahrheit derselben nicht bloß auf die göttliche Verheißung der Unfehlbarkeit der Kirche, sondern speziell auch auf die offenbarte wesentliche Heiligkeit der Kirche, die durch einen Irrtum in jenen Lehren aufgehoben würde, gründet, obgleich man, strenggenommen, auch dadurch nicht über ein indirektes Verhältnis zum Glauben hinauskommt.“ (M. J. Scheeben - L. Atzberger, Handbuch der kath. Dogmatik, Bd I Freiburg/ Br 1933, S. 302).

Der zweite große deutsche Dogmatiker Heinrich schreibt zu unserem Thema (Dr. J.B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Mainz 1882, zweiter Band, S. 627f):

„2. Die Heiligkeit und Seligkeit eines einzelnen Heiligen ist zwar nicht eine Wahrheit der Glaubens- oder Sittenlehre, aber auch nicht ein gewöhnliches partikuläres Factum, bezüglich dessen die Kirche ihrer Wahrheit und Heiligkeit unbeschadet irren kann; sondern es ist ein Factum, das zu den allgemeinen und höchsten Interessen der Religion, insbesondere zu der Verehrung der Heiligen überhaupt, in einem so wesentlichen Zusammenhange steht, daß ein Irrtum der höchsten kirchlichen Autorität in dieser Sache, wenn auch nicht die Reinheit des Glaubens- und Sittenlehre unmittelbar verletzen, doch mittelbar dieselben beeinträchtigen würde, wie es aus dem Folgenden näher sich ergeben wird. Man kann daher mit Recht mit dem heil. Thomas sagen, daß das Factum der Heiligkeit und Seligkeit eines canonisirten Heiligen zwischen gewöhnlichen particularen Thatsachen und der Glaubens- und Sittenlehre gewissermaßen in der Mitte stehe. Das ist denn wohl auch der Sinn jener Theologen, welche die Canonistaion mit der Entscheidung bezüglich eines factum dogmaticum vergleichen.
3. Es wird uns dieses einleuchten, wenn wir erwägen, daß nicht nur die Verehrung, Nachahmung und Anrufung der Heiligen im allgemeinen, sondern auch die bestimmter Heiligen und deshalb auch deren Canonisirung in der Absicht Gottes liegt und dem entsprechend, zwar nicht förmlich und unmittelbar, doch implicite und mittelbar in der göttlichen Offenbarung gegründet ist. ...
Auch ist leicht einzusehen, daß eine so zu sagen abstracte Verehrung und Anrufung nur unbekannter Heiligen etwas gar Unlebendiges und zumal für die Nachahmung Unwirksames wäre. Soll die für den Glauben und Leben so wichtige Heiligenverehrung Kraft, Geist und Leben haben, so müssen uns die Heiligen nicht in verschwommener Allgemeinheit, sondern in concreter Lebendigkeit zur Verehrung und Nachahmung dargebracht werden. Unmöglich kann aber das Urtheil darüber, welche verklärte Glieder der Kirche es verdienen, öffentlich als Heilige von der ganzen Kirche verehrt und als Vorbilder in der Nachfolge Christi der ganzen Christenheit vorgestellt zu werden, dem Ermessen des Einzelnen oder der so manchen zufälligen und selbst verkehrten Einflüssen ausgesetzten Volksmeinung überlassen sein; nur das Kirchenamt, das Gott zur Verwaltung der geistlichen Güter, wozu auch die Heiligen gehören, und zur Leitung aller religiösen Angelegenheiten gesetzt hat, kann darüber das entscheidende Urtheil fällen.
Wenn aber die Canonistation der Heiligen zur Integrität der auf den katholischen Dogma beruhenden Heiligenverehrung gehört und durch die von Gott gesetzte kirchliche Ordnung gefordert ist, so können wir nicht bezweifeln, daß die Assistenz des Heiligen Geistes die Kirche auch bei der Canonisation von Heiligen vor einem Irrthume bewahren werde, der für das religiöse Leben, für die Heiligkeit und die Autorität der Kirche so nachtheilig wäre.“

Soweit die Darlegung Heinrichs. Seine und Scheebens Ausführungen dürften wohl in genügender Weise deutlich gemacht haben, warum die Heiligsprechungen durchaus mit der Glaubens- oder Sittenlehre der Kirche zu tun haben und in der göttlichen Offenbarung begründet sind, wenn auch nicht unmittelbar, sondern implicite und mittelbar. Darum sagt auch Bartmann: „Bei dem indirekten Gebiete behaupten die Theologen in ziemlich großer Einmütigkeit, daß sich die kirchliche Unfehlbarkeit beziehe auf die Kanonisation der Heiligen, die Approbation religiöser Orden und die allgemeinen kirchlichen Disziplinarvorschriften“ (Bernhard Bartmann, Lehrbuch der Dogmatik. Bd. I Freiburg/Br. 1932, S. 37).

Das Gefühl hat Professor Öls also nicht getäuscht, daß „die ganze Angelegenheit offenkundig recht unangenehm“ ist, weil nämlich die theologische Sachlage, wie wir schon gehört haben, so ist: „Die Heiligkeit und Seligkeit eines einzelnen Heiligen ist zwar nicht eine Wahrheit der Glaubens- oder Sittenlehre, aber auch nicht ein gewöhnliches partikuläres Factum, bezüglich dessen die Kirche ihrer Wahrheit und Heiligkeit unbeschadet irren kann; sondern es ist ein Factum, das zu den allgemeinen und höchsten Interessen der Religion, insbesondere zu der Verehrung der Heiligen überhaupt, in einem so wesentlichen Zusammenhange steht.“

Zu 2: Einen „Heiligen“ zu verehren, der in der Hölle ist, würde deshalb „keinen moralischen Schaden für den Glauben bewirken“, es wäre nicht „ernst wie der Tod“, so wie wenn etwa „die Gläubigen anfangen, Luther zu folgen“, aber immerhin wäre „die ganze Angelegenheit offenkundig recht unangenehm“.

Wenn wir den Ausführungen von Scheeben und Heinrich folgen, so wird nicht ganz verständlich, warum hier behauptet wird, daß die Verehrung eines unheiligen, ja verdammten „Heiligen“ offensichtlich etwas unangenehm, aber keineswegs ernstzunehmen ist. Immerhin würde dies laut Heinrich die kirchliche Ordnung gefährden, wäre „für das religiöse Leben, für die Heiligkeit und die Autorität der Kirche so nachtheilig“. Es würde sich laut Scheeben gegen die Heiligkeit der Kirche – immerhin ein Glaubensartikel – richten und „die Reinheit und Unversehrtheit des kirchlichen Glaubens und Lebens“ in Gefahr bringen. Wenn also die Gläubigen anfingen, Heilige zu verehren, die in Wahrheit Verdammte sind, so würde dies indirekt und mittelbar den Glauben ebenso schädigen wie wenn sie direkt und unmittelbar anfingen, „Luther zu folgen“. Warum das eine nur „unangenehm“ sein soll, das andere hingegen „ernst wie der Tod“, ist nicht leicht einzusehen.

Zu 3: Selbst wenn die verehrten „Heiligen“ in der Hölle sind, wäre das nicht so schlimm, weil „die Verehrung nur insofern diese Person betrifft, wie die Christen glauben, sie sei heilig und ein Freund Gottes.“

Also etwas anders ausgedrückt: Hauptsache wir Katholiken glauben, der „Heilige“ ist im Himmel und ein Freund Gottes, ob er dann wirklich im Himmel und ein Freund Gottes ist oder in der Hölle und ein Feind Gottes, das ist nicht so bedeutsam, sondern nur zweitrangig.

Ich möchte hierzu einmal einfach in obigen Satz ein anderes Wort anstatt des „Heiligen“ einsetzen, um zu zeigen, was hier genau gesagt ist – nehmen wir einmal „Auferstehung Christi“. Also: Hauptsache wir Katholiken glauben an die Auferstehung Christi, ob Christus dann wirklich auferstanden ist oder nicht, das ist nicht so wichtig, das ist nur zweitrangig! Die historische Grundlage des Glaubens ist nur nebensächlich, wichtig ist allein der Glaube, daß es so ist. Pius X. erklärt in der Enzyklika „Pascendi Dominici Gregis“:

„Auf die weitere Frage, ob Christus wirkliche Wunder gewirkt wirklich Zukünftiges vorausgeschaut, ob Er wirklich auferstanden und in den Himmel aufgefahren sei, hat also die agnostische (= auf die Phänomene beschränkte) Wissenschaft eine ablehnende, der Glaube eine zustimmende Antwort bereit: ohne daß deshalb zwischen beiden Streit entstehen würde. Denn der eine lehnt es als Philosoph (Wissenschaftler), wenn er zu Philosophen (Wissenschaftlern) redet, ab: weil er Christus nur nach der geschichtlichen Wirklichkeit betrachtet; der andere als Glaubender im Gespräch mit Glaubenden stimmt zu: weil er auf das Leben Christi blickt, so wie es dagegen vom Glauben und im Glauben erlebt wird“ (Pius X., Enzyklika „Pascendi Dominici Gregis“; aus “Freude an der Wahrheit” Nr. 20, S 19). Oder in unserem Fall gesagt: Weil „die Verehrung nur insofern diese Person betrifft, wie die Christen glauben, sie sei heilig und ein Freund Gottes.“

In dieser Formulierung zeigt sich nun deutlich der modernistische Glaubensbegriff, der hier unversehens über den modernistischen Dominikaner Öls in den Artikel hereingeschwappt ist – und bedenkenlos zur Begründung der eigenen Ansicht herangezogen wurde! Vielleicht ist deswegen „die ganze Angelegenheit offenkundig recht unangenehm“? Hängen die Heiligsprechungen in Wirklichkeit doch mehr mit dem Glauben zusammen, als es der Autor aus rein pragmatischen Gründen wahr haben möchte? Dieser geht schließlich sogar soweit, zur Begründung seiner Ansicht auf die zweifelhaften oder sogar nicht existierenden Heiligen zu verweisen. Wen der Autor des Artikels wohl am 23. April als Tagesheiligen nennt? Vielleicht den nicht existierenden hl. Georg?

Es ist durchaus nicht so nebensächlich und für die Kirche gleichgültig, wenn jemand als „Heiliger“ verehrt wird, der in Wirklichkeit verdammt ist, wie unser Autor es darstellt. Vielmehr gilt, so erklärt wiederum Heinrich (Dr. J.B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Mainz 1882, zweiter Band, S. 626f): „Die Meisten (Theologen) führen die Unfehlbarkeit der Kirche in der Heiligsprechung auf die Unfehlbarkeit in Sachen der Moral zurück; nicht sowohl deshalb, weil das heilige Leben und der heilige Tod eines Menschen, was sich von selbst versteht, nach den Grundsätzen der christlichen Moral zu beurteilen ist und von der Kirche beurtheilt wird, sondern weil die Heiligkeit der Kirche erfordert, daß die Kirche nicht einen Unheiligen, ja einen Verdammten den Gläubigen als Vorbild der Heiligkeit, als Gegenstand der Verehrung und als Fürbitter im Himmel, vorstelle.“ Billuart geht sogar soweit zu sagen: „Wenn die Kirche in der Canonisation von Heiligen irren würde, dann würde sie das in eine schwere Verachtung und Verunehrung führen, weil sie nämlich die Dämonen verlachen würden, da sie sähen, daß sie jemand als Gefährten ihrer Verdammnis haben, der von den Gläubigen wie ein Freund Gottes und an dessen Glorie anteilnehmend verehrt und angerufen wird.“

Und nochmals Scheeben: „Wäre die Kirche hierbei nicht unfehlbar, so bliebe die Möglichkeit offen, daß sie durch Canonisation eines in Wirklichkeit Unheiligen die Sittlichkeit schädigte, die Integrität des innern kirchlichen Lebens und ihres Cultes verletzte und zugleich die ganze Verehrung der Heiligen und ihrer Bilder und Reliquien in der tiefsten Wurzel zerstörte. Darum gebrauchen auch die Päpste bei den Canonisationen Ausdrücke wie „Decernimus, declaramus, definimus“, sie rufen hierbei feierlich den Hl. Geist an und berufen sich ausdrücklich auf die Assistenz des Hl. Geistes“ (M. J. Scheeben - L. Atzberger, Handbuch der kath. Dogmatik, Bd IV Freiburg/ Br 1933, S 371f).

Als Abschluß der Gedanken soll noch Christian Pesch zu Wort kommen, der als Vernunftgrund für die Unfehlbarkeit des Papstes bei der Heiligsprechung kurz und bündig anführt: „Der Vernunftgrund wird darin gefunden, daß der religiöse Kult befleckt wird, wenn ein Verdammter vom Papst in einer solch feierlichen Weise der ganzen Kirche als zu verehren und als Vorbild der rechten Lebens vorgestellt wird. Deshalb ist die Kirche in diesen Fällen unfehlbar, da sie die Lehrmeisterin des wahren Glaubens in den Dingen der Religion und den Sitten ist. Also ist die Kirche bei den Heiligsprechungen unfehlbar“ (Christian Pesch, Compendium Theologiae dogmaticae Vol. I (?) Pars III. De fontibus theologicis. Articulus III De objecto magisterii ecclesiastici Propositio XLII -XLII, nn. 448 - 357, S. 256-261).

Also, zweifelhafte oder nicht existierende Heilige oder Verdammte „Heilige“ im Meßbuch der hl. Kirche, das wäre durchaus gegen die göttliche Verheißung an die Kirche, weil dadurch der religiöse Kult befleckt und zugleich die ganze Verehrung der Heiligen und ihrer Bilder und Reliquien in der tiefsten Wurzel zerstört wird und dies zudem zur Heiligkeit der Kirche im direkten Widerspruch steht. Dennoch würde das alles nach dem Autor des Rom-Kuriers keinen moralischen Schaden für den Glauben bewirken.

c) Die Absicht zu definieren

Wir haben schon gehört daß Scheeben aus der Tatsache, daß ein Irrtum in der Heiligsprechung „die Sittlichkeit schädigte, die Integrität des innern kirchlichen Lebens und ihres Cultes verletzte und zugleich die ganze Verehrung der Heiligen und ihrer Bilder und Reliquien in der tiefsten Wurzel zerstörte“, schließt: „Darum gebrauchen auch die Päpste bei den Canonisationen Ausdrücke wie 'Decernimus, declaramus, definimus', sie rufen hierbei feierlich den Hl. Geist an und berufen sich ausdrücklich auf die Assistenz des Hl. Geistes“. Scheeben leitet somit, ganz anders als der Autor im Rom-Kurier, aus diesem Wortgebrauch der Päpste ihre Absicht ab, bei der Heiligsprechung ein definitives und somit unfehlbares Urteil fällen zu wollen. Dagegen meint der Rom-Kurier: „Die Formel der Heiligsprechung ist unbestimmter (als bei dogmatischen Definitionen), weil ihr Definitionsbereich kleiner ist, denn sie bestimmt nicht, es sei zu glauben, daß dieser oder jener Mensch heilig sei, sondern nur, daß dieser oder jener ein Heiliger sei“. Und nachdem er einige Beispiele dogmatischer Definitionen angeführt hat, heißt es nochmals: „Weit unbestimmter und allgemeiner klingen die entsprechenden Aussagen der Bullen oder genauer die Dekretalschreiben der Heiligsprechungen“.

Dagegen lesen wir bei Christian Pesch, genauso wie wir es schon bei Scheeben gesehen haben:

„353. Beweis, Teil III. Die Kirche ist bei der Heiligsprechung unfehlbar.
a) Da die Päpste als unfehlbare Lehrer handeln, wenn sie der ganzen Kirche etwas als zu Glauben vorschreiben. Nun aber geschieht dies bei der Heiligsprechung. Also handelt der Papst in der Canonisation als unfehlbarer Lehrer.“

Hierauf führt der Dogmatiker jene Stellen als Beweis an, die dem Autor im Rom-Kurier offensichtlich nicht nur nicht genügen, sondern das Gegenteil beweisen sollen. Bei diesem Urteil steht der Autor des Rom-Kurier jedoch wieder einmal ganz allein auf weiter Flut, denn alle (ich habe 14 Dogmatiken durchgeschaut) Dogmatiken stimmen hier mit Pesch überein und nicht mit dem Rom-Kurier!

Nehmen wir noch die interessante Beweisführung Joaquin Salaverri (Patres SJ, SThS, Vol I (BAC 61; La Editorial Catolica Madrid 1962) pp.714-737, Tr. III: Joaquin SALAVERRI, DE ECCLESIA CHRISTI. Liber II: De Ecclesiae Magisterio eiusque fontibus Caput III: De obiecto Magisterii infalibilis) zu dem von Pesch Gesagten hinzu:

„724. 4) Bezüglich der feierlichen Dekrete Heiligsprechungen. Aus dem Ziel des unfehlbaren Lehramtes bestimmt sich die Unfehlbarkeit bezüglich derartigen Dekreten. Denn das Ziel des unfehlbaren Lehramtes bestimmt sich aus dem, was zum irrtumslosen Leiten der Gläubigen zum Heile durch den rechten Kult und die Nachahmung der Tugendbeispiele der Christen notwendig ist. Nun aber ist zu solch einem Ziel die Unfehlbarkeit der Heiligsprechungsdekrete notwendig. Also bestimmt das Ziel des Unfehlbaren Lehramtes die Unfehlbarkeit bei den feierlichen Dekreten der Heiligsprechung.
Der Obersatz ergibt sich aus der zugrundeliegenden Vollmacht der Kirche zu heiligen, zu welcher andere derartigen Vollmachten unmittelbar hingeordnet sind.
Der Untersatz steht fest, weil die feierlichen Dekrete der Heiligsprechungen die Kirche nicht nur toleriert und zuläßt, sondern sogar der ganzen Herde der Gläubigen empfiehlt und vorschreibt, daß einige bestimmte Heilige zu verehren seinen, welche sie kanonisiert und dieselben stellt sie vor als nachahmenswerte Tugendbeispiele. Nun aber zerstört ein bloßer Irrtum in solch einem feierlichem Urteil, das alle Gläubige verpflichtet, das Fundament des Vertrauens und des allgemeinen Kults der Heiligen. Weil es dadurch geschehen könnte, daß die Kirche allen feierlich vorlegt und für immer vorschreibt, verdammte und schlechte Menschen zu verehren und nachzuahmen. Also ist die Unfehlbarkeit bei den feierlichen Dekreten der Heiligsprechung zur irrtumfreien Führung der Gläubigen zum Heil durch den rechten Kult und die Nachahmung der Tugendbeispiele der Christen notwenig.
725. B. Die Kirche beansprucht die Unfehlbarkeit bei den feierlichen Dekreten der Canonisation der Heiligen. Denn die Kirche beansprucht beständig die Unfehlbarkeit bei denjenigen Dekreten, in welchen sie ein feierliches Urteil fällt. Nun aber definiert die Kirche im feierlichem Urteil die Canonisation der Heiligen. Also beansprucht die Kirche bei den Heiligsprechungsdekreten die Unfehlbarkeit.
Der Obersatz ergibt sich daraus, daß das feierliche Urteil die geeignetste Form der unfehlbaren Definition ist, wie wir aus dem (I.) Vatikanum wissen: D 1792 und CIC 1323 § 2.
Der Untersatz kann bewiesen werden aus den Formeln, mit denen die Heiligsprechungen ausgedrückt werden.“

Hierauf folgen wieder mehrere Beispiele solcher Formeln, etwa von Benedikt XIII., Pius XI., Pius XII. Es ist in unserem Zusammenhang noch ganz besonders hervorzuheben, daß Joaquin Salaverri gerade durch die von den Päpsten Pius XI. und Pius XII. verwandten verstärkten Ausdrücken bei der Heiligsprechung, ganz in Gegensatz zu dem Autor im Rom-Kurier, zu folgender Schlußfolgerung bezüglich des theologischen Gewißheitsgrades kommt: „Nun aber halten alle diese Lehre wenigstens für theologice certa. Jedoch, gemäß dem offensichtlichen Willen von Pius XI. und Pius XII., kann es als implicite definita eingestuft werden.“ Salaverri erhöht also den theologischen Gewißheitsgrad aufgrund derjenigen Formeln zur Heiligsprechung, welche der Rom-Kurier als Beleg dafür anführen zu können meint, daß diese Formeln überhaupt keine Unfehlbarkeit beanspruchen! Wenn das nicht kurios ist! Wobei wir im weiteren noch sehen werden, daß der Rom-Kurier nicht ganz ohne innere Widersprüche über die Runden kommt.

d) Das Fehlen des Bannes und Entwicklung der Heiligsprechungsbullen

Der Autor im Rom-Kurier meint zudem aus dem Fehlen eines Bannes und in der Entwicklung der Heiligsprechungsbullen einen wichtigen Einwand gegen die Unfehlbarkeit konstruieren zu können. Er schreibt: „Trotz einer bestimmten, in die Augen fallenden Gleichheit besteht der grundsätzliche Unterschied zu den dogmatischen Bullen darin, daß der Bann, welcher am Ende der dogmatischen Verlautbarung steht, fehlt und in der Tatsache, daß die herkömmlichen Abschlußklauseln der Heiligsprechungsbullen eine Entwicklung mitgemacht haben.“

Auch zu dieser Behauptung habe ich 14 Dogmatiken durchstudiert, von denen keine einzige dieses Fehlen eines Bannes anspricht oder als Grund gegen die Unfehlbarkeit der Heiligsprechungen erwähnt. Also wieder einmal scheint allein unser Autor in diesem Fehlen eines Bannspruches einen grundsätzlichen Unterschied zu den dogmatischen Bullen sehen zu können, trotz der ins Auge fallenden Gleichheit (!). Wahrlich ein besonderes gedankliches Kunststück. Abgesehen davon, daß es auch unfehlbare dogmatische Urteile ohne Bannspruch geben kann und gibt!

Aber folgen wir der Argumentation noch etwas weiter, es wird nämlich noch interessanter, da noch die Tatsache näher dargelegt wird, „daß die herkömmlichen Abschlußklauseln der Heiligsprechungsbullen eine Entwicklung mitgemacht haben.“

„Diese Klausel drohte all denen, welche der päpstlichen Bulle entgegenzuhandeln wagten ('contra-ire'), mit dem 'Unwillen des allmächtigen Gottes und der heilige Apostel Petrus und Paulus.' Anschließend machte diese Klausel (welche noch in den ersten beiden Heiligsprechungsbullen des Roncalli-Papstes gestanden ist) immer sanfteren Formulierungen Platz. Diese Ausdrücke erinnern nur daran, welche Strafen das Recht für die Ungehorsamen vorsieht, sind aber in der letzten Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. und in allen Kanonisierungsdekreten von Papst Paul VI. und Johannes Paul II. vollständig verschwunden. Dieses Verschwinden beweist, wie die überlieferte Klausel die Autorität des Papstes hervorgehoben hatte, zeigt aber auch, daß der Bischof von Rom nie den Anspruch erhob, sie sei unfehlbar.“

Man muß schon sagen, nun wird das Ganze einigermaßen verwirrend! Erstens scheinen die Päpste nun auf einmal doch zumindest Drohungen auszusprechen, indem sie den Zuwiderhandelnden den „Unwillen des allmächtigen Gottes und der heiligen Apostel Petrus und Paulus“ androhen, was jedoch unseren Theologen offensichtlich nicht besonders zu beeindrucken scheint. So eine Androhung des Unwillens des allmächtigen Gottes und der heiligen Apostel Petrus und Paulus ist ja offensichtlich kein Bannspruch – wenn auch die überlieferte Klausel die Autorität des Papstes hervorgehoben hatte! Und zweitens folgert er in ganz und gar kühner, um nicht zu sagen verwegener (temerärer) Weise aus der Tatsache, daß „diese Klausel (welche noch in den ersten beiden Heiligsprechungsbullen des Roncalli-Papstes gestanden ist (!)) immer sanfteren Formulierungen Platz“ gemacht hat, daß „der Bischof von Rom nie den Anspruch erhob, sie sei unfehlbar“.

Abgesehen davon, daß es somit plötzlich doch in den früheren Texten bis zum Roncalli-Papst eine Klausel zu geben scheint, die zumindest Unfehlbarkeit beansprucht haben könnte, während vorher noch breit erklärt worden ist, in der Formel der Heiligsprechungen sei die Unfehlbarkeit nicht klar genug zum Ausdruck gebracht und das Fehlen eine Bannspruches beweise daß keine Unfehlbarkeit beansprucht werde, wird nun gesagt, diese Formel sei seit dem Roncalli-Papst (glücklicher Weise?) verschwunden, was nun aber beweist, daß „der Bischof von Rom nie den Anspruch erhob, sie sei unfehlbar“!

Dem Autor wäre nun freilich die Gegenfrage zu stellen: Gilt das nun nur für die Heiligsprechungen oder auch für die dogmatischen Entscheidungen? Denn schließlich hat der Roncalli-Papst auch in den dogmatischen Entscheiden auf Verurteilungen und auf feierliche Urteile verzichtet! Man müßte also in gleicher Weise wie bei den Heiligsprechungen auch bei den dogmatischen Entscheidungen zurückschließen: Weil der Roncalli-Papst auf dem 2. Vatikanum auf jegliche Verurteilungen und zudem auf alle feierlichen Urteile verzichtete, haben auch die früheren Päpste niemals bei Konzilien Unfehlbarkeit beansprucht! Dabei kommt noch erschwerend dazu, daß der Verzicht auf Verurteilungen und auf feierliche Urteile auf dem Konzil ganz ausdrücklich gemacht worden ist, während bei den Heiligsprechungen dieser Verzicht nur stillschweigend gemacht wurde, wohingegen die feierlichen Urteile immer noch Praxis sind! Nochmals, wenn dieser Rückschluß nur nicht allzu verwegen (temerarius) geraten ist!

Die Lösung der Schwierigkeit scheint wohl doch ganz anders geartet zu sein, als es sich der Autor im Rom-Kurier wünscht. Schließlich haben der Roncalli-Papst und seine Nachfolger nicht nur bei den Heiligsprechungen, sondern auch in ganz anderen Bereichen der Disziplin und Lehre Dinge gewagt und gesagt und getan, welche niemals vor ihnen irgendein Papst gewagt und gesagt und getan hätte. Kein Mensch käme wegen dem neuen Kurs in Rom auf die Idee, zu behaupten, deswegen wären früher alle dem widersprechenden Akte nicht unfehlbar gewesen! Ich wüßte wenigstens außer den Modernisten wirklich keinen, der aus den Neuerungen der Konzilspäpste schlösse, die früheren Päpste hätten in all diesen Dingen nicht mit ihrer höchsten Lehrautorität entschieden. Vielmehr sind wir als Katholiken gezwungen, uns umso treuer an die Lehren und an die Disziplin der früheren Päpste zu halten, je mehr das moderne Rom von der kirchlichen Tradition abweicht, um nicht von dem modernen Rom vollkommen in die Irre geführt zu werden.
Der Weisheit letzter Schluß scheint daher ganz woanders zu liegen, als der ungekannte Autor des Artikels im Rom-Kurier wähnt?

3. Noch ein Wort zum hl. Thomas

Auch der hl. Thomas wird von dem Autor des Rom-Kuriers in einem gedanklichen Salto mortale als Zeuge der Unfehlbarkeit der Heiligsprechungen ausgeschaltet. Dabei scheint der Autor erhebliche Mühe zu haben, die Aussageabsicht des Heiligen recht verstehen zu können, die doch bei der angeführten Stelle ganz eindeutig ist und schon im Rahmen unserer Arbeit vom Dogmatiker Heinrich dargelegt wurde (s. oben).

Unser Autor meint dagegen wieder einmal gegen alle Theologen aus dem Wortgebrauch des hl. Thomas schließen zu können: „Sooft nun der hl. Thomas den Ausdruck 'man muß fromm glauben' (pie credendum est) oder die ähnliche Formulierung: 'pie creditur' (in frommer Weise glauben die Gläubigen) benutzt, gibt es tatsächlich keine, noch kann es eine unfehlbare Weisung der Kirche geben, denn die Grundlagen (dieser Worte) beruhen keinesfalls auf der Offenbarung (oder es geht nicht um die für das Heil notwendige Wirklichkeit); aber es sind doch mehr oder weniger entscheidende Gründe vorhanden zu denken, daß die Dinge auf eine bestimmte Weise feststehen“. „Die allgemeine Kenntnis, daß die Offenbarung uns die Art und Weise zeigt, wie Gott gewöhnlich handelt“ liefert uns diese Begründung. Demnach will jener bei der Heiligsprechung benutzte Ausdruck „pie credendum est“ (man muß fromm glauben) uns sagen, daß „es keine feste Grundlage in der Offenbarung hat und haben kann; deshalb darf niemand die Heiligsprechung als eine Tat betrachten, welche die Garantie besitzt, unfehlbar zu sein. Freilich ist die Heiligsprechung ein Glaubensakt, den wir durch die allgemeine Hilfe des Geistes in der Kirche vollziehen. Deshalb fordert die Kanonisation uns auf, sie als irrtumsfrei anzusehen.“

Zunächst muß wieder einmal festgestellt werden, ganz im Gegensatz zu unserem Autor, der behauptet, der vom hl. Thomas benützte Ausdruck „pie credendum est“ (man muß fromm glauben) zeige, daß die Heiligsprechung keine feste Grundlage in der Offenbarung habe, schreibt der Dogmatiker De Groot OP (FR. J.V. De Groot OP, Summa Apologetica de Ecclesia Catholica ad mentem S. Thomae Aquinatis. Ratisbonae 1892, S. 298ff): „Daß der Partikel pie (=fromm) nicht dazu angefügt wird, die Sicherheit zu vermindern, ersieht man aus dem Bedeutungszusammenhang des Artikels, aus welchem nicht eine Meinung sondern eine Sicherheit bewiesen wird, daß die Kirche bei der Heiligsprechung nicht irren könne. Also wird damit allgemein ein höchster Grad im frommen Glauben bezeichnet, wie aus Bened. XIV., o. c. lib. I. cap. XLIII. n. 13 ersichtlich wird.“

Sodann ist es kaum zu glauben, unser „Theologe“ scheint noch niemals etwas von einem direkten und indirekten Materialobjekt des Glaubens gehört zu haben und deswegen auch nichts von der Unterscheidung zwischen göttlichem und kirchlichem Glauben zu wissen. Aus diesem Grunde kommt er zu der doch recht merkwürdigen Ansicht, daß die Heiligsprechungen zwar nicht unfehlbar sind, aber dennoch die Kanonisation eines Heiligen uns auffordert, sie als irrtumsfrei anzusehen und zwar durch die allgemeine Hilfe des Geistes in der Kirche! Es steht wirklich so da, einerseits darf niemand die Heiligsprechung als eine Tat betrachten, welche die Garantie besitzt, unfehlbar zu sein, anderseits fordert die Kanonisation uns auf, sie als irrtumsfrei anzusehen! Wobei dann aber doch wieder die Heiligen in die Hölle kommen können – jedenfalls wissen wir (irrtumsfrei) nichts Gewisses!

Hinzu kommt noch: Das mit der allgemeinen Hilfe des Geistes in der Kirche hat für uns Katholiken so seine Probleme. Die Wahrheit über diese Frage ist doch vielmehr die: Wir vollziehen einen Glaubensakt durchaus nicht durch die allgemeine Hilfe des Geistes in der Kirche, sondern aufgrund der propositio ecclesiae, d.h. mittels der Kirche, welche uns durch den Beistand des Heiligen Geistes unfehlbar diese Lehre zu Glauben vorlegt, weshalb sie auch von allen Gläubigen als kirchlicher Glaube (= fides ecclesiastica) als irrtumsfrei festgehalten werden muß.

Ganz entsprechend dieser Lehre sagt auch der hl. Thomas: „Denn die Ehre, welche wir den Heiligen schulden, ist gewissermaßen ein Glaubensbekenntnis, mit welchem wir die Heiligen als in der Glorie seiend glauben“ (Quodl. 9, q. 7, a. 16. «honor enim, quem sanctis exhibemus, quaedam professio fidei est, qua sanctorum gloriam credimus»). Und Bennetis kommentiert: „Daß nämlich die Reinheit des Glaubens nicht durch einen abergläubischen Kult Schaden leide und die Kirche durch einen den Verstorbenen ungeschuldeten Kult in die Gefahr des Irrtums komme, muß dessen Heiligkeit und Ehrwürdigkeit vollkommen sicher sein.“ (Bennetis, Privil. Rom. Pont. Tom 4, 1c).

Der hl. Thomas sagt also ganz treffend „gewissermaßen ein Glaubensbekenntnis“ weil es sich nicht um ein direktes, sondern ein indirektes Objekt der Unfehlbarkeit handelt, wodurch aber dennoch, wenn auch indirekt, die Reinheit des Glaubens betroffen und gesichert wird. Wer hat da nun den hl. Thomas recht verstanden, De Groot und Bennetis oder der Autor vom Rom-Kurier?

Zur Entscheidungshilfe für den geneigten Leser soll nochmals der hl. Thomas selbst kurz zu Wort kommen:

Einwand 1: “Niemand kann über den (Seelen-)Zustand von jemand anderen sicher sein, so wie über seinen eigenen (Seelen-)Zustand, wie es in I Cor. II, 11 heißt. Ja, der Mensch kann nicht einmal sicher sein über sich selbst, ob er im Stand des Heiles sei, so heißt es nämlich in Eccle. IX, 1: Niemand weiß, ob er des Hasses oder der Liebe würdig sei. Folglich kann der Papst bei der Heiligsprechung irren. (Quodl. IX q. 8 arg. 1)
Antwort: „Der Papst, der die Heiligen kanonisiert, kann den (Seelen-)Zustand von jemandem feststellen durch die Untersuchung des Lebens und das Zeugnis der Wunder; und insbesondere durch die Eingebung des Heiligen Geistes, der alles erforscht, selbst die Tiefen Gottes.” (Quodl. IX, q. 8 ad 1)
Einwand 2: “jeder der sich beim Urteil auf fehlbare Mittel stützt, der kann irren. Nun aber stützt sich die Kirche bei der Heiligsprechung auf menschliche Zeugnisse, da sie durch Zeugen über das Leben und die Wunder Auskunft sucht. Da aber menschliche Zeugen fehlbar sind, scheint auch die Kirche bei der Heiligsprechung irren zu können. (Quodl. IX, q. 8 arg. 2)
Antwort 2: die göttliche Vorsehung bewahrt die Kirche davor, daß sie in diesem Fall durch das fehlbare Zeugnis der Menschen irrt.” (Quodl. IX, q. 8 ad 2)

Schlussfolgerung

„Daher ist es also unter den gegenwärtigen historischen Umständen von größter Nützlichkeit, klare Ideen von der Unfehlbarkeit der Heiligsprechungen zu haben. Wir hoffen, daß die von uns oben dargelegte Studie in diesem Sinne eine zuverlässige Hilfe sein wird“, so heißt es im Rom-Kurier. Wir haben gesehen, daß der Artikel im Rom-Kurier leider diese Hoffnung nicht erfüllen konnte, doch hoffen wir nun unsererseits, den Weg dazuhin aufgezeigt zu haben, wirklich klare Ideen von der Unfehlbarkeit der Heiligsprechungen gewinnen zu können, so daß die Heiligen wieder rechte Heilige sind, um als solche verehrt und angerufen zu werden – und nicht zweifelhafte Heilige, nicht existierende Heilige oder gar Heilige, die in der Hölle sind.

Im Rahmen dieser Arbeit war es leider nicht möglich, auf die Frage der „neuen“ Heiligsprechungen näher einzugehen, doch dürften diese Seiten genug Hinweise zu diesem Thema enthalten, die einen Lösungsweg zu einem gültigen Urteil zeigen können.