Ein Leser unserer Zeitschrift richtete an uns folgende Anfrage: „Bezugnehmend auf die Ausgabe ‚Antimodernist’, Oktober 2025, 47. Ausgabe, Seite 17 (Pkt. 14) möchte ich bitte eine Frage stellen: Ist nun die Beichte bei der Piusbruderschaft gültig oder nicht? Herzlichen Dank für Ihre begründende Antwort.“
Die „außerordentliche Jurisdiktion“ der „Piusbrüder“
1. Die angesprochene Passage aus der Nr. 14 des Beitrags „Gemeinden ohne Seelsorger“ lautete: „Man beachte, daß ‚ein von der Kirche getrennter Bischof diese wie andere geistliche Vollmachten nicht erteilen kann‘, denn: ‚Niemand gibt, was er selbst nicht hat.‘ Wer also kann heute den Priestern die Bevollmächtigung zum Beichthören erteilen? Einige wie die Lefebvristen behaupten, eine ‚außerordentliche’ Bevollmächtigung zu besitzen, welche ihnen aus dem Notstand durch die Gläubigen zukomme. Doch ‚eine solche anmaßliche Verleihung wäre null und nichtig, der Priester aber, welcher sie aus den Händen von Laien annähme, würde der Exkommunikation verfallen und jeder geistlichen Jurisdiktion entbehren‘. Welcher Priester kann sich also heute auf eine Beichtvollmacht berufen, sei es eine ordentliche, delegierte oder eine ‚außerordentliche‘ (die es ohnehin nicht gibt)? Wenn katholische Priester dennoch auch heute gültige Lossprechungen erteilen können, so allein deshalb, weil die Kirche in dieser Notlage die fehlende Beichtvollmacht zum Heil der Seelen von Fall zu Fall ersetzt, wie sie dies in einigen Fällen immer schon getan hat, beispielsweise bei Seelen in Todesgefahr.“
Hier ging es also zunächst darum, den sonderbaren Begriff der „außerordentlichen Jurisdiktion“ aufzulösen, welche die „Piusbrüder“ für sich beanspruchen. Eine solche existiert nicht. Es gibt eine reguläre Jurisdiktion, ordentlich oder delegiert, die dem Priester verliehen wird und ihm gleichsam anhaftet, und es gibt eine ersetzende Jurisdiktion, die dem Priester nicht anhaftet, sondern nur für einzelne Akte gewissermaßen zur Verfügung gestellt wird, vor allem für die Lossprechung eines Pönitenten in Lebensgefahr. Diese verbleibt dem Priester nicht, er „besitzt“ sie nicht. Die „Piusbruderschaft“ aber behauptet, daß ihre Priester im Besitz einer „ersetzenden (supplierten) Jurisdiktion“ seien, was Unsinn ist. „Inhaber der supplierten Jurisdiktion“, so hieß es in einem offiziellen internen Dokument der „Piusbrüder“, seien „alle Bischöfe und alle Priester, welche die Tradition treu bewahren (selbst wenn sie exkommuniziert sind, vgl. can. 2261; was hier nur als Argument ‚ad hominem‘ gesagt wird), zur erlaubten oder gültigen Ausübung der bischöflichen oder priesterlichen Amtshandlungen“. Mit diesen „Bischöfen und Priestern, welche die Tradition treu bewahren“, sind selbstverständlich nach lefebvristischem Selbstverständnis nur die der „Piusbruderschaft“ gemeint, wie schon der Hinweis auf die Exkommunikation zeigt.
Weihe- und Jurisdiktionsgewalt
2. Gegen diese falsche Auffassung von ersetzender Jurisdiktion also richtete sich der erste Teil unserer Aussage, im zweiten Teil wurde auf die tatsächlich existierende Möglichkeit des Rückgriffs auf die supplierte Jurisdiktion hingewiesen, die sich jedoch allen katholischen, ja allen gültig geweihten Priestern und Bischöfen bietet, nicht nur denen der „Piusbruderschaft“. Damit ist die Antwort auf die Frage des Lesers schon angedeutet: Ja, man kann auch bei einem Priester der „Piusbruderschaft“ gültig beichten. Sehen wir uns die Sache ein wenig genauer an.
Zur gültigen Erteilung der Lossprechung braucht der Priester neben der Weihegewalt auch die Jurisdiktionsgewalt. In unserem genannten Artikel hatten wir aus dem Buch „Gemeinden ohne Seelsorger“ zitiert: „Weil der im Sakrament der Weihe der Seele eingedrückte unauslöschliche Charakter auch im abgefallenen Priester bleibt, so kann derselbe in der Messe noch Brot und Wein wahrhaft konsekrieren, wofern er alles richtig macht“ (Nr. 13). „Die von einem solchen Priester in der Beichte erteilte Lossprechung hingegen ist nicht allein unerlaubt, sondern auch ungültig, null und nichtig; denn dieselbe ist nicht bloß eine sakramentale, sondern zugleich eine richterliche Handlung, zu deren Gültigkeit außer der Weihe noch eine besondere Bevollmächtigung (Approbation) erfordert wird, weshalb auch das 4. Kirchengebot bestimmt: ‚Du sollst zum wenigsten einmal im Jahre einem verordneten Priester deine Sünden beichten.‘ Ein abgefallener oder vom Beichthören suspendierter Priester besitzt diese Approbation nicht mehr und kann deshalb nicht mehr gültig absolvieren. So kann auch ein abgesetzter weltlicher Richter kein rechtskräftiges Urteil mehr fällen“ (Nr. 14). Diese „Approbation“ oder Bevollmächtigung für die Beichte nennen wir „Jurisdiktion“.
Die verschiedenen Arten der Jurisdiktionsgewalt
3. „Der Beichtvater hat die Weihe- und die Jurisdiktionsgewalt nötig (can. 872)“, schreibt Jone in seiner „Moraltheologie“ (Nr. 576). „Die Jurisdiktionsgewalt kann sein eine ordentliche, eine delegierte (ab homine oder a iure) oder eine supplierte Jurisdiktionsgewalt.“ Er erklärt: „Inhaber der ordentlichen Jurisdiktionsgewalt sind jene, mit deren Amt von Rechts wegen die Beichtjurisdiktion verbunden ist, wie z. B. Residenzialbischöfe, Pfarrer, Obere einer exemten klerikalen Ordensgenossenschaft nach Norm der Konstitutionen.“ Dabei gilt: „Der Umfang der ordentlichen Gewalt erstreckt sich auf das ganze Gebiet, das jemandem zugewiesen ist, bei den Obern in exemten klerikalen Ordensgenossenschaften aber auf ihre Untergebenen.“ Es ist offensichtlich, daß die Priester der „Piusbruderschaft“ keine ordentliche Jurisdiktion besitzen. Allenfalls könnten sie behaupten, eine „exemte klerikale Ordensgemeinschaft zu sein“. Dann aber hätten ihre „Oberen“ allenfalls Jurisdiktion über ihre „Untergebenen“, also die Mitglieder der „Bruderschaft“, aber nicht über irgendwelche Gläubigen, die bei ihnen zur Messe kommen.
Für die Verleihung der ab homine, also vom Menschen delegierten Jurisdiktionsgewalt zuständig sind „die Ortsordinarien (can. 874) und die von den Konstitutionen bestimmten Obern einer klerikalen exemten Ordensgenossenschaft (can. 875)“ (Nr. 577). „Die Verleihung muß ausdrücklich geschehen durch Wort oder Schrift (can. 879 § I). Sie kann also nicht präsumiert werden. (…) Der Umfang der delegierten Jurisdiktion erstreckt sich nicht über das betreffende Territorium hinaus.“ Auch auf eine solche Jurisdiktionsgewalt kann sich die „Piusbruderschaft“ nicht berufen, und sie tut es auch nicht. Wie wir gehört haben, beansprucht sie weder eine ordentliche noch eine vom Menschen delegierte, sondern vielmehr eine „supplierte Jurisdiktion“.
Die „supplierte Jurisdiktion“
4. Hören wir also, was Jone über die „a iure delegierte Jurisdiktion“ schreibt: „In Todesgefahr können alle Pönitenten von allen Sünden und Zensuren, mögen sie auch noch so reserviert und notorisch sein, durch jeden Priester gültiger- und erlaubterweise absolviert werden, auch wenn dieser sonst keine Jurisdiktionsgewalt hat, und zwar auch in Gegenwart eines approbierten Priesters (can. 882)“ (Nr. 579). Es gilt: „Die Todesgefahr kann von einer Krankheit kommen oder von einer äußeren Ursache (z. B. Brand, Schlacht, Schiffbruch).“ Und: „Jeder Priester hat diese Vollmacht, auch ein irregulärer, zensurierter, abgefallener, schismatischer oder häretischer Priester, vorausgesetzt, daß er gültig geweiht ist. Zur Vermeidung von Ärgernis aber kann die Pflicht bestehen, keinen Häretiker und dergleichen zu rufen, wenn man einen anderen Priester erreichen kann.“
Von dieser „a iure delegierten“ Jurisdiktion unterscheidet Jone nochmals die „supplierte Jurisdiktion“, die nach can. 209 des Kirchenrechts eintritt bei „einem allgemeinen Irrtum“ oder bei einem „dubium iuris oder facti“. „Ein allgemeiner Irrtum (error communis) liegt dann vor, wenn alle oder fast alle Gläubigen eines Ortes glauben, daß der Beichtvater eine Jurisdiktion besitzt. Wenn es nur einige glauben, ist es ein privater Irrtum. (…) Ein dubium iuris ist vorhanden, wenn die Rechtsfrage zweifelhaft ist (wenn z. B. Eine Streitfrage besteht, was unter ‚error communis‘ zu verstehen sei). Ein dubium facti liegt vor, wenn man an dem Tatbestand zweifelt (z. B. ob derjenige, der ein Verbrechen beging, das mit einer Zensur l. s. bestraft wird, die nötige Zurechnungsfähigkeit hatte)“ (Jone Nr. 582). Viele Moraltheologen fassen alle drei Fälle, also Todesgefahr, allgemeiner Irrtum und Zweifel, unter der supplierten Jurisdiktion zusammen, und so tut es auch die „Piusbruderschaft“ in ihrem Büchlein, um sie für ihre außerordentliche „ersetzende“ Jurisdiktion in Anspruch zu nehmen.
Die „Hierarchie“ der „Piusbrüder“
5. „Die Kirche suppliert ausdrücklich die Jurisdiktion in drei Fällen, nämlich bei Todesgefahr, beim allgemeinen Irrtum und beim positiven und begründeten (probabilis) Rechts- oder Tatsachenzweifel“, sagen uns die „Piusbrüder“. Soweit kann man es gelten lassen, wenn wir nicht der Unterscheidung Jones folgen. „Aufgrund der Tatsache, daß sich die Hierarchie vom katholischen Glauben großenteils entfernt, können die Gläubigen von ihr keine geistliche Hilfeleistung erhalten, ohne ihren Glauben zu gefährden; wir dürfen deshalb nicht zweifeln, daß die Kirche das, was sie in Todesgefahr und anderen dringenden Fällen gewährt, zugunsten der Gläubigen weit ausdehnt und so in Anbetracht der Rechtsanalogie und der kanonischen Billigkeit (aequitas canonica) die mangelnde Jurisdiktion der wirklich treuen Priester dann suppliert, wenn sie ungerechterweise der (üblichen) Jurisdiktion beraubt sind, die sie in normalen Zeiten von Rechts wegen oder durch Delegation besäßen.“ Hier wird es schon recht mulmig, abenteuerlich und geradezu phantastisch.
Was soll es heißen, daß sich „die Hierarchie vom katholischen Glauben großenteils entfernt“? Wer ist dieser „große Teil“ der „Hierarchie“, der das tut? Sind es Bischöfe, einige, viele, fast alle, überhaupt alle? Und gehört auch der Papst dazu? Oder bezieht sich das „großenteils“ auf die „Entfernung vom katholischen Glauben“? Eines ist sicher: Wer sich „vom katholischen Glauben entfernt“, ob zu einem großen oder zu einem kleinen Teil, ist kein Katholik mehr und gehört nicht zur Hierarchie der Kirche. Er hat jede Autorität und Jurisdiktion verloren. Das aber dürfen die „Piusbrüder“ auf keinen Fall sagen, ja nicht einmal denken, weshalb sie hier ein anderes Dilemma konstruieren müssen, das nicht im Ausfall der kompletten aktuellen Hierarchie besteht, sondern in einer vom Glauben „großenteils abgefallenen“ Hierarchie, die dennoch „Hierarchie“ bleibt, aber eine, von der die Gläubigen „keine geistliche Hilfeleistung erhalten, ohne ihren Glauben zu gefährden“. Ein völliges Unding für jeden gläubigen und denkenden Katholiken.
Die „supplierte Jurisdiktion“ der „Piusbrüder“
6. Hier wird die Hierarchie degradiert von der „heiligen Herrschaft“, die uns im Namen des allmächtigen Gottes und Unseres Herrn Jesus Christus lehrt, leitet und heiligt, zu einem bloßen Hilfsmittel, dessen wir uns frei bedienen, um UNSEREN Glauben zu erhalten. Erfüllen sie diesen Zweck nicht, dann haben wir das Recht, uns nach „ersetzenden“ Hilfskräften umzusehen, die unserem Gusto entsprechen, weshalb die Kirche sogleich die „supplierte Jurisdiktion“ zu unseren Gunsten „weit ausdehnt“ und unseren Privatlehrern bzw. denen, die wir jeweils als „wirklich treue Priester“ befinden, jene „mangelnde Jurisdiktion“ ersetzt, deren sie „ungerechterweise beraubt sind“ und die sie „in normalen Zeiten von Rechts wegen oder durch Delegation besäßen“. Frage: Wer entscheidet denn darüber, wer ein „wirklich treuer Priester“ ist und welchen dieser Privatlehrer „ungerechterweise“ ihre Jurisdiktion „geraubt“ wurde und was das für eine Jurisdiktion gewesen wäre, welche sie „in normalen Zeiten“ (was ist das?) „von Rechts wegen oder durch Delegation“ (eine zumindest ungenaue oder unvollständige Differenzierung, denn „von Rechts wegen“ kann auch eine Delegation sein, wie wir gesehen haben; das eigentliche Begriffspaar wäre „ordentlich oder durch Delegation“) besessen hätten? Wir landen im reinen Subjektivismus und bei dem, was der heilige Paulus so beschreibt: „Denn es wird eine Zeit kommen, wo sie die gesunde Lehre [der Hierarchie] nicht ertragen, sondern nach eigenen Gelüsten sich Lehrer über Lehrer nehmen werden [die „wirklich treuen Priester“, die „ungerechterweise“ ihrer „Jurisdiktion beraubt“ sind], lüstern nach dem, was ihren Ohren angenehm; und das Gehör von der Wahrheit [der Kirche und ihrem Lehramt als der einzigen Säule und Feste der Wahrheit] abwenden, den Fabeln [ihrer Privatlehrer] dagegen sich zuwenden werden“ (2 Tim 4, 3-4). (Wer glaubt, wir übertreiben, sei an das Wort des Pater Pierre de Cloriviere S.J. erinnert: „… Selbst dann, wenn man die Kirche oder ihren obersten Hirten, dem die Unfehlbarkeit verheißen wurde, nicht um Rat fragen kann, darf man keiner wie auch immer gearteten Autorität blindes Vertrauen schenken, da es keine Autorität gibt, die nicht selbst dem Irrtum verfallen und uns mit hineinziehen könnte“ (Etudes sur la Revolution, Ed. Sainte Jeanne d‘Arc, S. 132-133). Es gibt nur eine Säule und Feste der Wahrheit, die durch keinen noch so „wirklich treuen Priester“ ersetzt werden kann.)
Die „supplierte Jurisdiktion“ der „Piusbrüder“ ist ein Hirngespinst. Sie läßt sich auf keinerlei Weise mit irgendwelchen Rechtsnormen festmachen. Entsprechend widersprüchlich fällt ihre Beschreibung derselben aus. Zwar sagen sie richtig, diese habe „1) eher personellen als territorialen Charakter“ und sei „2) … nicht dauernd (habituell)“, sondern werde „‚per modum actus‘ ausgeübt“. Dann aber heißt es drittens, sie hänge „ab vom Bedürfnis der Gläubigen in Anbetracht der Notlage“, während gleich viertens hinzugefügt wird, sie existiere auch „selbst in dem Fall, wo faktisch keine Notlage besteht“, denn man müsse eine „allgemeine Gefahr“ annehmen, und so wird flugs aus der „per modum actus“ ausgeübten Jurisdiktion doch eine habituelle, deren „Inhaber“ jene „wirklich treuen“ „Bischöfe und Priester“ sind, von denen wir oben schon hörten. So gelangen die „Piusbrüder“ mit einigen Tricks und doppelten Böden zu ihrer gewünschten „außerordentlichen ersetzenden Jurisdiktion“, die es, wir wiederholen, nicht gibt.
Epikie
7. Wie sieht die Sache in Wirklichkeit, abseits dieser Phantastereien, aus? Zunächst ist festzustellen, daß sich die Hierarchie auf dem „II. Vatikanum“ nicht nur „großenteils“, sondern in ihrer Gesamtheit „vom katholischen Glauben entfernt“ hat, was zur Folge hatte, daß die reguläre Jurisdiktion in der Kirche, die ordentliche wie die vom Menschen delegierte, zusammenbrach. Übrig blieb allein die vom Recht delegierte Jurisdiktion, weil das Kirchenrecht seine Geltung behielt. Das aber bedeutet, daß nach wie vor ein gültig geweihter Priester einen Pönitenten in Todesgefahr gültig und erlaubt absolvieren kann. Die Kirche gibt ihm für diesen Fall, aber auch nur für diesen Fall, die Jurisdiktion gewissermaßen zum „Einmalgebrauch“, denn sie verbleibt ihm nicht. Ist es nun wirklich so, daß die Priester heute angesichts des Ausfalls der regulären ordentlichen und delegierten Jurisdiktion in gar keinem anderen Fall außer der Todesgefahr die sakramentale Lossprechung erteilen können und dürfen?
Es steht außer Frage, daß man in diesem Punkt heute tatsächlich „Epikie“ anwenden darf und muß. Denn wir leben nicht in „normalen Zeiten“, d.h. in Zeiten, in welchen ausreichend reguläre Jurisdiktionsinhaber vorhanden sind. Davon aber geht die Kirche bei ihrer Gesetzgebung aus, wenn sie nur für die Todesgefahr eine Ausnahme macht, weil außerhalb derselben genügend Möglichkeiten bestehen, einen regulären Beichtvater zu erreichen. Was aber, wenn das nicht möglich ist, wenn wir so wie heute nicht nur selten oder wenige, sondern gar keine regulären Beichtväter mehr finden? Leider können wir die zuständigen kirchlichen Autoritäten nicht befragen, was zu tun sei, weil sie ebenfalls ausgefallen sind. (Die „Piusbrüder“ könnten es, weil ihre „Hierarchie“ ja, obwohl „großenteils“ abgefallen, immer noch existiert, sie wollen es aber nicht.) Das ist der klassische Fall, wo Epikie angewendet werden kann oder sogar muß: Wir befinden uns in einer Lage, die der Gesetzgeber nicht vorhergesehen hat und in welcher der Buchstabe des Gesetzes dem Ziel des Gemeinwohls widerstreitet; die zuständige Autorität ist nicht erreichbar, also müssen wir uns selber um eine Antwort bemühen und die Gesetzeslücke nach bestem Wissen und Gewissen auffüllen.
Auffüllen einer Gesetzeslücke
8. Als Katholiken sind wir dem Gesetz verpflichtet, in welchem sich der Wille Gottes ausdrückt. Wenn die lebendige Autorität ausfällt, bleibt uns doch das Kirchenrecht, das den Willen Gottes zeigt. Wir müssen da sehr sorgfältig sein. Es geht um die Auffüllung einer Gesetzeslücke, und dazu gibt uns das Kirchenrecht vier Mittel an. Die ersten beiden und für uns brauchbaren sind die Gesetzesanalogie und die Rechtsanalogie. „Den nächsten Anhalt, den Willen des Gesetzgebers zu erkennen, bieten die vom Gesetz für ähnlich gelagerte Fälle getroffenen Bestimmungen“, das ist die Gesetzesanalogie. „Wenn es an gleichgelagerten Einzelnormen fehlt, ist auf allgemeine Rechtsprinzipien zurückzugreifen, d.h. zunächst auf allgemeine Grundsätze des geltenden Rechtssystems, sodann auf allgemeine Rechtsgrundsätze überhaupt“, das ist die Rechtsanalogie (Eichmann-Mörsdorf Bd. I, S. 108 f.).
Beginnen wir mit der Gesetzesanalogie und bemühen dazu den can. 822, der es allen gültig geweihten Priestern ermöglicht, im Falle der Todesgefahr gültig und erlaubt das Sakrament der Buße zu spenden. Can. 682 des Kirchenrechts stellt fest, daß die Laien das Recht haben, gemäß der kirchlichen Disziplin vom Klerus die geistlichen Güter und namentlich die notwendigen Hilfsmittel zum ewigen Heil zu erlangen. („Laici ius habent recipiendi a clero, ad normam ecclesiasticae disciplinae, spiritualia bona et potissimum adiumenta ad salutem necessaria.“) Zu diesen notwendigen Hilfsmitteln gehören sicherlich die Sakramente, darunter nächst der Taufe besonders die Beichte.
Die kirchliche Disziplin
9. Die kirchliche Disziplin sieht deshalb folgendes vor: „Wer von Amts wegen die Seelsorge hat, der hat neben der Liebespflicht auch die strenge Gerechtigkeitspflicht, seinen Schutzbefohlenen auf deren vernünftiges Ersuchen hin die Sakramente zu spenden.“ Das legt dem amtlichen Hirten eine doppelte und besonders strenge Pflicht auf, diesem Recht der Gläubigen zu entsprechen. „Diese Pflicht haben daher Bischöfe, Pfarrer, Kapläne und Vikare, Obere von klerikalen Ordensgenossenschaften.“ Wann handelt es sich um ein „vernünftiges Ersuchen“? „Vernünftig ist die Bitte nicht nur in Todesgefahr, sondern auch vor bedeutenden Feiertagen, ferner, wenn sie gestellt wird, um nicht lange in Todsünden zu leben, oder um Kraft zu erhalten, schwere Versuchungen zu überwinden, oder um einen großen Ablaß zu gewinnen usw. – Unvernünftigerweise aber wird die Bitte von manchen Skrupulanten und ‚frommen‘ Seelen zu ganz ungewöhnlicher Zeit gestellt“ (Jone 455). Das bezieht sich offensichtlich besonders auf die Beichte.
Wie aber sieht es bei Priestern aus, die keine solche amtliche Pflicht haben? „Wer nicht von Amts wegen die Seelsorge hat, ist aus Liebe zur Sakramentenspendung verpflichtet. Durch Verletzung der Liebe kann jemand selbstverständlich auch schwer sündigen. – Da die Liebe aber für gewöhnlich nicht verpflichtet cum gravi incommodo, muß ein gewöhnlicher Priester nur dann mit Lebensgefahr die Sakramente spenden, wenn es sicher ist, daß der andere ohne diese Hilfe nur außerordentlich schwer noch gerettet werden kann, die Hoffnung, den anderen zu retten, aber wenigstens ebenso groß ist wie die Lebensgefahr, der man sich aussetzt“ (Jone 456).
„Salus animarum ultima lex“
10. Setzen wir die Stücke zusammen. Das Kirchenrecht gibt jedem gültig geweihten Priester die Möglichkeit und die Erlaubnis, in Todesgefahr das Sakrament der Buße zu spenden, und ersetzt dafür die fehlende Jurisdiktion. Die Kirche gibt den Gläubigen das Recht, die Sakramente nach den Normen der Disziplin zu verlangen und verpflichtet die Priester dazu, sie ihnen zu spenden, wenn sie vernünftigerweise darum bitten. Vernünftig ist die Bitte um Spendung des Bußsakramentes „nicht nur in Todesgefahr, sondern auch vor bedeutenden Feiertagen, ferner, wenn sie gestellt wird, um nicht lange in Todsünden zu leben, oder um Kraft zu erhalten, schwere Versuchungen zu überwinden, oder um einen großen Ablaß zu gewinnen usw.“ Besteht auch keine strenge Amtspflicht, so gibt es doch die Liebespflicht für Priester, diesem Ansuchen zu entsprechen. Ist daraus nicht zu folgern, daß die Kirche jenen Priestern, die diese Liebespflicht erfüllen wollen, die nötigen Mittel zur Verfügung stellt? Wird sie daher nicht in einer Situation, in welcher keine Priester mit Beichtvollmacht vorhanden sind, wenigstens den noch vorhandenen Priestern mit gültiger Weihe die fehlende Jurisdiktion ersetzen, um dieser Liebespflicht zu genügen? Das würde bedeuten, daß sie angesichts der herrschenden Notlage nicht nur in Todesgefahr, sondern immer bei Vorliegen eines vernünftigen Grundes supplierend einspringt, analog zu can. 822.
Fügen wir noch die Rechtsanalogie an. Papst Pius XII. erklärte in seiner Ansprache „Sollemni Conventus“, die er am 24. Juni 1939 vor kirchlichen Studenten hielt, unter anderem: „Auch die Disziplin des kanonischen Rechtes wird von der Sorge um das Heil der Seelen bestimmt und strebt in all ihren Normen und Gesetzen letztlich und vor allem nichts anderes an, als daß die Menschen durch die Gnade Gottes geheiligt leben und sterben können. – Etiam iuris canonici disciplina ad animarum salutem dirigitur et omnibus normis legibusque suis in id denique potissimumque tendit, ut homines gratia Dei sancti effecti vivant et moriantur“ (Acta Apostolicae Sedis, vol. 31 (1939): pp. 245-251). Der von der „Piusbruderschaft“ für die Rechtfertigung ihres offenen Ungehorsams und ihrer eklatanten Rechtsverstöße ad nauseam vorgebrachte Greundsatz „Salus animarum ultima lex – das Heil der Seelen ist das oberste Gesetz“ findet hier seine authentische Auslegung. Er bedeutet nicht, daß wir „tun, was wir wollen“, und die Rechtsvorschriften mißachten unter dem Vorwand, daß es ja letztlich um das „Heil der Seelen“ gehe. Vielmehr fordert dieser Grundsatz, daß wir die Disziplin des kanonischen Rechts mit all seinen „Normen und Gesetzen“ in allem getreulich beobachten. Nur dort, wo eine Gesetzeslücke sich auftut und wir den Gesetzgeber nicht fragen können, müssen wir uns selber behelfen und können dazu auf das „Heil der Seelen“ als obersten Rechtsgrundsatz rekurrieren. Es dürfte von selber einleuchten, daß das Heil der Seelen nach der Möglichkeit der Beichte verlangt, und das nicht nur in Todesgefahr. Somit können wir davon ausgehen, daß die Kirche in einer Lage wie der unsrigen, wo reguläre Beichtväter vollständig fehlen, den gültig geweihten Priestern das Recht und die Möglichkeit gibt, nicht nur in der vom Gesetz ohnehin vorgesehenen Todesgefahr, sondern auch in den genannten anderen Fällen gültig und erlaubt das Sakrament der Buße zu spenden, weshalb sie jeweils die fehlende Jurisdiktion ersetzt.
Gültig ja, aber erlaubt?
11. Tatsächlich ist es das, was die Mehrzahl der vernünftigen katholischen Priester heute wenigstens stillschweigend voraussetzt, wenn sie sich nicht scheut, den Seelen, die aus gerechten Gründen danach verlangen, die Beichte zu hören und die Lossprechung zu erteilen. Sie verlassen sich darauf, daß dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht und Er ihnen die nötige Jurisdiktion ersetzen wird. Andernfalls dürfte es keiner von ihnen wagen, außer in Todesgefahr dieses Sakrament zu spenden. Was bedeutet das konkret? Es bedeutet, daß tatsächlich jeder gültig geweihte – und nicht nur jeder „treu gebliebene“ – Priester in der Lage ist, gültig zu absolvieren, wenn er vernünftigerweise darum gebeten wird. Das gilt für „sedisvakantistische“ Priester ebenso wie für „Pius“-Priester oder andere Priester, sofern sie nur über eine gültige Weihe verfügen. Wir erinnern an die Worte von Jone: „Jeder Priester hat diese Vollmacht, auch ein irregulärer, zensurierter, abgefallener, schismatischer oder häretischer Priester, vorausgesetzt, daß er gültig geweiht ist.“
Ist es aber erlaubt, das Sakrament der Buße bei einem Priester zu erbitten, der zwar gültig geweiht, aber schismatisch oder häretisch ist? Auch hierzu gibt es klare Vorgaben der Kirche: „Aktive Teilnahme an den Kulthandlungen der Akatholiken ist durchaus verboten (can. 1258 § I). Handelt es sich um Teilnahme an Kulthandlungen, die in sich häretisch sind [wie der „Novus Ordo“], so ist die Teilnahme schon durch das Naturgesetz verboten. Bei Kulthandlungen, welche die Häretiker mit uns gemeinsam haben, ist die Teilnahme, selbst wenn daraus kein Ärgernis entsteht, wenigstens durch das Kirchengesetz verboten“ (Jone Nr. 125). „In Todesgefahr ist es aber erlaubt, sich von einem Akatholiken ein Sakrament spenden zu lassen, wenn kein Katholik da ist, der es spenden könnte, und wenn kein Ärgernis entsteht.“ Wenden wir wiederum unsere Gesetzesanalogie an, so wäre es nicht nur in Todesgefahr, sondern auch aus anderen vernünftigen Gründen erlaubt, sich von einem Akatholiken das Bußsakrament spenden zu lassen, „wenn kein Katholik da ist, der es spenden könnte, und wenn kein Ärgernis entsteht“. Diese Bedingungen sind wohl zu beachten und sehr ernst zu nehmen.
Ergebnis
12. Damit haben wir alles beisammen, um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ja, die Beichte bei der „Piusbruderschaft“ ist gültig, wenn ein vernünftiger Grund besteht und der Priester gültig geweiht ist, der das Sakrament spendet. Das ist leider bei der „Piusbruderschaft“ keine Selbstverständlichkeit mehr, seit sie die Gepflogenheit hat, im „Novus Ordo“ „geweihte“ „Priester“ bei sich aufzunehmen oder in ihren Kapellen wirken zu lassen, ohne diese nachzuweihen. Ist es aber erlaubt, bei der „Piusbruderschaft“ zu beichten? Grundsätzlich nein, da es sich bei der FSSPX um eine schismatische Sekte handelt, außer „wenn kein Katholik da ist“, der das Bußsakrament spenden könnte, „und wenn kein Ärgernis entsteht“.
Subjektiv freilich werden viele Pönitenten entschuldigt sein, die in gutem Glauben bei der „Piusbruderschaft“ beichten, weil sie glauben, dort „wirklich treue Priester“ zu finden. Solche sollte man auch nicht unnötig beunruhigen. Wer freilich um den Sachverhalt weiß, darf nur dort beichten, wenn erstens ein ausreichend vernünftiger Grund vorhanden ist, zweitens kein Katholik da ist, der das Bußsakrament spenden könnte, und drittens kein Ärgernis entsteht (wie z.B. der Eindruck: Wenn diese Person bei der „Piusbruderschaft“ beichten geht, kann diese nicht schismatisch sein). Außerdem ist zu beachten: Was für den Empfang des Bußsakramentes gilt, gilt nicht für den Besuch der Heiligen Messe! Die Kirche erlaubt nur, im Notfall die Sakramente von einem akatholischen Priester zu empfangen, nicht aber, dort die Messe zu besuchen. Denn anders als die Sakramente, besonders das Sakrament der Buße, ist die Teilnahme an der Hl. Messe nicht von vordringlicher Wichtigkeit für unser Seelenheil – auch wenn die „Traditionalisten“ es gerne so darstellen. Auch ein noch so großes „spirituelles Bedürfnis“, selbst in Todesgefahr, macht es nicht erlaubt, an den Gottesdiensten von Akatholiken teilzunehmen.