Im freien Fall (1/3)

Der vorliegende Text ist vermutlich der letzte aus der Feder von Hw. Pater Weinzierl, den er vor seinem Tode verfaßt hat, also gewissermaßen sein Vermächtnis. Zwar ist er auf Bergoglio und dessen Motu Proprio „Ad theologiam promovendam“ vom 1. November 2023 gemünzt, das in einem geplanten und begonnenen, aber nicht durchgeführten zweiten Teil der Arbeit behandelt werden sollte. Doch da Herr Prevost sich mehrfach dazu bekannt hat, die „synodale Kirche“ im Sinne Bergoglios fortzuführen, und da der Text sehr viele grundsätzliche Funktionsweisen der „konziliaren“ Menschheitskirche behandelt, behält er seine Gültigkeit und Aktualität. Wir freuen uns deshalb, ihn posthum hier veröffentlichen zu dürfen.

I. Das Öffnen der Falltüre

Es ist nun wahrlich nicht mehr zu übersehen, daß die Menschenmachwerkskirche sich im freien Fall befindet. Während die Lehre sich schon seit langem ins modernistische Nirwana verflüchtigt hat, folgt jetzt auch endgültig die Moral im freien Fall nach.

Freilich sollte dieses Phänomen für einen Katholiken eine Selbstverständlichkeit sein, weil es dem Wesen der Menschenmachwerkskirche entspricht. Darüber hinaus wird es durch die neuesten Vorstöße Bergoglios unübersehbar und zwar so unübersehbar, daß es selbst ein Blinder sehen muß, wie es das Sprichwort formuliert.

Die neue „Synodale Kirche“ Bergoglios – dabei war die Menschenmachwerkskirche selbstverständlich immer schon „synodal“, aber zunächst noch verhalten, abwartend, „das Bewußtsein“ nur allmählich verändernd – zeigt jedem das wahre Gesicht dieser von Menschen erdachten und gemachten „Kirche“, der es sehen will. Diese „Kirche“ ist eine bloße Kollage der sog. modernen Welt, durchsetzt von ein paar wenigen christlichen Papierfetzen. Nein, nichts Göttliches findet sich mehr in ihr, sondern nur bunt zusammengeklebte Schnipsel des neuheidnischen weltlichen Treibens – und das nennt man dann moderne Theologie bzw. synodale Kirche.

Es ist zwar rundweg zu befürchten, daß die meisten Tradis inzwischen so verblendet sind, daß sie selbst dazu nicht mehr fähig sind, diese jüngsten Vorstöße aus Rom richtig zu deuten, aber immerhin wachen noch einzelne aus ihrem Dornröschenschlaf auf und erkennen, daß ihr Schloß nicht wie im Märchen diese 100 Jahre doch schließlich schadlos überstanden hat, weil der Zauber die 100 Jahre Verfall hinwegnimmt, sondern währenddessen zur Ruine wurde. Wirklich alles, was noch irgendwie an den katholischen Glauben erinnern könnte, hat man inzwischen eliminiert! Weil es jedoch immer noch genügend geistig Blinde gibt, muß man es ständig wiederholen: Diese neue, synodale Kirche definiert sich nicht mehr von Gott und der Offenbarung her – letztlich glauben die Menschenmachwerkskirchler, die allesamt Modernisten oder inzwischen gar Postmodernisten sind, an keine göttliche Offenbarung – sondern vom Menschen her. Diese „Kirche“ dient dementsprechend auch nicht Gott, sondern angeblich dem Menschen oder besser, abstrakt formuliert: Der Menschheit.

Glaube und Wissenschaft

Ihr Grunddogma ist die ständige Anpassung an die moderne Welt und die moderne Wissenschaft. Dabei bedienten sich die Modernisten anfänglich eines an sich leicht zu durchschauenden Tricks, indem sie behaupten, daß Glaube und Wissenschaft je eigene „Wissensgebiete“ haben, so daß sie sich nicht ins Gehege kommen können. Der modernistische Glaube ist ja irrational, er stammt aus dem Gefühl des Menschen, das angeblich ganz anderen Gesetzen folgt als die Vernunft und somit die Wissenschaft.

Eine solche Trennung ist jedoch nur eine primitive Täuschung für all die blinden Blindenführer und selbstverständlich in der Praxis nicht durchzuhalten. Es gibt nämlich viele Bereiche, in denen sich beide Seiten – Glaube und Wissenschaft – nicht nur berühren, sondern gegenseitig durchdringen. Wenn es aber so ist, wer hat dann das Sagen? Wer entscheidet letztlich in diesen Bereichen, die sich beliebig ausweiten lassen, was wahr ist und was nicht?

Schon der hl. Pius X. weist in seiner Enzyklika „Pascendi“ gegen den Modernismus darauf hin:

Wer aber aufgrund dessen meinen wollte, es bestehe überhaupt kein gegenseitiges Unterordnungsverhältnis zwischen dem Glauben und der Wissenschaft, der ginge arg in die Irre. Für die Wissenschaft hätte er allerdings vollkommen recht; anders steht es jedoch mit dem Glauben: dieser sei nicht bloß in einer, sondern sogar in dreifacher Hinsicht der Wissenschaft unterworfen. Zuerst müsse nämlich in Betracht gezogen werden, daß an jeglicher religiösen Tatsache — wenn man von der göttlichen Wirklichkeit und der diesbezüglichen Erfahrung des Glaubenden absieht — alles übrige, und besonders die religiösen Formeln, den Bereich der Phänomene (* = des sinnlich Wahrnehmbaren) in keiner Weise überschreitet und somit unter die Wissenschaft fällt. Der Glaubende darf sich ja nach Belieben aus der Welt zurückziehen; aber solange er in dieser Welt weilt, kann er, ob er es will oder nicht will, den Gesetzen, dem Hinschauen auf die Wissenschaft und auf die Geschichte und den Erkenntnissen derselben nicht entfliehen. Wenn gesagt wurde, Gott sei ausschließlich Gegenstand des Glaubens, so gilt das doch nur von der Wirklichkeit Gottes, nicht aber bezüglich der Idee und des Begriffes von Gott. Dieser Begriff (von Gott) unterliegt der Wissenschaft; und weil diese in, wie sie sagen, wissenschaftlich-logischer Ordnung ihre Forschungen anstellt, so befaßt sie sich auch mit dem ‚Absoluten‘ und dem ‚Idealen‘ ( * = dem Bereich der Ideen und Begriffe). Somit hat die Philosophie, das heißt: die Wissenschaft, das Recht, über die Idee und den Begriff von Gott Erkenntnisse anzustellen, diese in deren Entwicklung zu beherrschen und sie, wenn sich etwas Fremdes eingeschlichen haben sollte, abzuändern.“ (Papst Pius X., Pascendi Dominici gregis vom 18. November 1907, Haselböckreihe Nr. 20, S. 19. f.)

Die Verweigerung des Glaubensgehorsams

Wenn es also darauf ankommt, dann ist es letztlich „die Wissenschaft“, die entscheidet, weil nämlich nach den Modernisten der Begriff von Gott dieser „Wissenschaft“ unterliegt. Das ist freilich ein äußert seltsames Gedankenkonstrukt, das sich direkt gegen den göttlichen Ursprung des Glaubens richtet, sodaß jeder auch nur halbwegs denkfähige Menschen sofort erkennen kann, was dann vom „göttlichen Glauben“ noch übrigbleibt: Nichts! Wie der hl. Pius X. feststellt: „Somit hat die Philosophie, das heißt: die Wissenschaft, das Recht, über die Idee und den Begriff von Gott Erkenntnisse anzustellen, diese in deren Entwicklung zu beherrschen und sie, wenn sich etwas Fremdes [= Göttliches] eingeschlichen haben sollte, abzuändern.“

Es waren eigentlich nur noch äußerst klägliche Traditionsreste, die diese Tatsache die letzten Jahrzehnte mehr schlecht als recht verdeckten. Trotz der vielen Veränderungen gab es immer noch ein paar wenige Tabus, die man glaubte, dem „katholischen“ Glauben zu schulden, ohne ganz das Gesicht zu verlieren. Auf der Seite des Glaubens verschwanden diese Tabus recht schnell, es blieben nur noch ganz wenige in der Sakramentenpraxis und der Moral übrig. Allein diese Feigenblätter reichten aus, daß die Konservativen sich weiterhin einbilden konnten, sie könnten weiterhin ganz beruhigt Kirche spielen, denn Rom stehe ja hinter ihnen. Also eine ziemlich primitive, aber sehr erfolgreiche Täuschung.

Die Päpste Gregor IX., Pius IX. und Pius X. über Glaube und Wissenschaft

Dabei hätte jeder Katholik wissen können, ja müssen, daß allein damit grundsätzlich schon alles verloren war, weil dies der hl. Pius X. ebenfalls schon in seiner Enzyklika „Pascendi Dominici gregis“ aufgezeigt hatte:

Daher die Forderung der Modernisten: die religiöse Entwicklung mit der moralischen und mit der intellektuellen Entwicklung zu verbinden, oder, nach dem Wort eines ihrer erwählten Lehrmeister: sie ihnen zu unterwerfen. — Dazu kommt noch, daß der Mensch einen Zwiespalt in sich selbst nicht ertragen kann: und so fühlt auch der Glaubende sich mit innerer Notwendigkeit zu einer solchen Verbindung zwischen Glauben und Wissen gedrängt, um nicht von der allgemeinen Anschauung abzuweichen, welche die Wissenschaft über die Gesamtheit dieser Welt darbietet. So kommt es denn, daß die Wissenschaft vom Glauben völlig unabhängig ist; der Glaube hingegen, trotz der Behauptung, er stehe außerhalb der Wissenschaft, dennoch der Wissenschaft unterworfen sein muß.

Dies alles, Ehrwürdige Brüder, steht in Gegensatz zu dem, was Unser glorreicher Vorgänger Pius IX. lehrend überliefert hat (Breve an den Fürstbischof von Breslau vom 15. Juni 1857): In allem, was die Religion betrifft, hat die Philosophie nicht zu herrschen, sondern als Magd zu dienen; sie hat nicht vorzuschreiben, was man glauben müsse: sondern es in vernünftiger Unterwerfung zu durchdenken; sie hat nicht die Tiefe der göttlichen Geheimnisse zu ergründen, sondern sie fromm und demütig zu verehren.

Dieses Verhältnis stellen aber die Modernisten völlig auf den Kopf; und so läßt sich auf sie anwenden, was ein anderer Unserer Vorgänger, Gregor IX., über einige Theologen seiner Zeit schrieb (Brief an die Professoren der Theologie zu Paris, vom 7. Juli 1228): Einige unter Euch sind vom Geiste der Unwahrheit wie ein Schlauch aufgebläht und suchen durch ruchlose Neuerungen die von den Vätern gesetzten Schranken zu durchbrechen. Sie wollen den Sinn der vom Himmel stammenden Heiligen Schrift … nach den philosophischen Lehren der Vernunft beugen: um mit vorgespiegelter Wissenschaft zu täuschen, nicht um auch nur irgendwie ihre Hörer zu fördern . … Durch allerlei fremde Lehren irregeführt, machen sie den Kopf zum Schwanze und zwingen die Königin, ihrer Magd zu dienen. (Ebd. S. 20. f.)

Das Grunddogma des Modernismus

Letzteres trifft des Pudels Kern: Die Modernisten machen den Kopf zum Schwanze und zwingen die Königin, ihrer Magd zu dienen, d.h. sie stellen „die Wissenschaften“, die es immer mit menschlichem Wissen zu tun haben, über die Theologie, die auf göttlicher Offenbarung und damit göttlichem Wissen ruht. Sodann dürfen, ja müssen „die Wissenschaften“ alles ihr Fremde, also alles Göttliche, das sich durch den Glauben eingeschlichen haben sollte, aussortieren und abändern. Wie gesagt, wurde dieses alles Göttliche eliminierende Grunddogma des Modernismus allein noch durch äußerst klägliche Traditionsreste übertüncht. Und das bißchen Tünche reichte aus, die Massen zu täuschen.

Es ist überaus merkwürdig, daß gerade die sog. Traditionalisten, die sich doch die Bewahrung der katholischen Tradition auf ihre Fahne geschrieben haben, das weitgehend bis heute in keiner Weise wahrzunehmen bereit sind, weshalb sie in ihrem Kampf gegen den Modernismus nur Luftstreiche auszuführen fähig sind. Irgendwie wäre deren theologisches Herumgefuchtel schon wieder belustigend, wenn es nicht so ernst wäre.

Es ist jedenfalls inzwischen eine unübersehbare Tatsache: Diese „Kirche“ kennt keine von Gott verbürgten Dogmen, sie kennt nur sich ständig ändernde Theologenmeinungen, die wiederum ständig den neuesten „Erkenntnissen“ der „modernen Wissenschaften“ hinterherhecheln müssen. Das also ist das theoretische, lehrmäßige oder besser irrlehrmäßige Fundament dieser Menschenmachwerkskirche.

Vom Dogma zur Meinungsmache

Dieser radikale Paradigmenwandel vom katholischen Dogma zur Theologenmeinungsmache fand während des sog. 2. Vatikanums statt.

Erst kürzlich hat Alexander Brüggemann sich darüber, ohne es freilich selber zu merken, Gedanken gemacht. In seinem Beitrag „Das Heilige Offizium habe der Kirche schweren Schaden zugefügt – Vor 60 Jahren: Kardinal Frings greift wütend die römische Kurie an“ gibt er zum Besten:

Am 8. November 1963, vor 60 Jahren, griff Frings frontal und in furioser lateinischer Rede das Heilige Offizium an, den Vorläufer der vatikanischen Glaubensbehörde. Dessen Leiter Alfredo Ottaviani (1890-1979) kochte förmlich: „Altissime“, mit lautester Stimme also, müsse er gegen die Schmähungen seiner Behörde protestieren.

Die „Sternstunde des Konzils“

Dieses sicherlich geplante Eingreifen von Frings wird von den Modernisten sozusagen als die Sternstunde des Konzils betrachtet, denn damit wurden alle vom hl. Offizium mühevoll erarbeiteten Vorbereitungsschemata kurzerhand in den Papierkorb geworfen – und die Modernisten konnten aus ihrem Zauberhut ihre neuen Schemata herauszaubern.

Brüggemann weist noch auf etwas anders hin:

Es war womöglich der entscheidende Moment des Konzils: Der Kölner Erzbischof, 76 Jahre alt, fast erblindet, trat ans Rednerpult – um nun mitten im Petersdom massiv gegen ein jahrhundertealtes ungeschriebenes Gesetz zu verstoßen: Das Heilige Offizium ist nicht zu kritisieren!

Was Frings damals gemacht hat, ist letztlich ungeheuerlich, ja für einen Katholiken unmöglich – auch wenn das, was Brüggemann hier behauptet, bezüglich des Konzils selbstverständlich nicht stimmt. Denn die vorbereitenden Texte des hl. Offiziums waren ja nur die Arbeitsgrundlage für das Konzil und keine fertigen lehramtlichen Schreiben. Aber wenn die Arbeitsgrundlage aus dem katholischen Glauben heraus formuliert wurde, ist das etwas ganz anderes, als wenn sie mit lauter modernistischen Irrlehren gespickt ist. Ja, noch mehr, wenn man die über Jahrhunderte geformte scholastische Sprache der Theologen aufgibt und dem staunenden Publikum ganz neue Sprachschöpfungen präsentiert, dann befindet man sich sicherlich schon auf einer sehr schiefen Ebene und steht kurz vor dem freiem Fall. Denn derlei vom Modernismus verseuchte Textvorlagen konnten die Konzilsväter bei bestem Willen nicht mehr katholisch machen. Solche kann man nur in den Papierkorb werfen und verbrennen.

Der Herausgeberkreis der alten Schemata

Was damals tatsächlich in den Papierkorb geworfen und auf dem modernistischen Olymp verbrannt wurde, beschreibt Roberto de Mattei kurz in seiner umfangreichen Abhandlung „Das Zweite Vatikanische Konzil“:

Die Strategie von De Gasperi, der den politischen Linksruck in Italien in Gang gebracht hatte, war auf harten Widerstand seitens der ,römischen Partei’ gestoßen - mit diesem Terminus hat Andrea Riccardi jene kirchliche Strömung bezeichnet, die in den 50er-Jahren ihren aktivsten Vertreter in Msgr. Roberto Ronca besaß. Die kirchliche Karriere von Msgr. Ronca war parallel zu der von Msgr. Giovanni Battista Montini verlaufen, dessen Stelle als Assistent der FUCI (Federazione Universitaria Cattolica Italiana) er übernommen hatte; und wie im Falle von Siri war seine Sichtweise der Kirche und der Gesellschaft antithetisch zu der von Montini, den er beschuldigte, ein „modernistisches Empfinden“ zu haben. Im Alter von nur 32 Jahren wurde Ronca in das bedeutende Amt eines Rektors des Päpstlichen Großen Seminars in Rom berufen und bildete im Laufe seines Rektorates (1933-1948) Hunderte von Alumnen für den Priesterberuf aus. Er hatte dann für ein Jahrzehnt (1946-1955) die ,Unione Nazionale Civiltà Italica’ gefördert und geleitet, eine katholische, bürgerlich-politische und antikommunistische Bewegung, die sich durch ihren Beitrag zu Bildung und Propaganda auszeichnete, den sie vor, während und nach dem Wahlkampf vom 18. April 1948 leistete. In Folge des Sieges vom 18. April wurde Ronca - am 21. Juni 1948 - zu bischöflichen Würden erhoben mit dem Titel eines Erzbischofs von Lepanto. In den 50er-Jahren war Roncas ,römische Partei‘ der organisierte Ausdruck der Kurie oder zumindest jenes Teiles von ihr, der überaus treu zu den Weisungen Pius‘ XII. stand.

Um die Kurie formierte sich eine theologische Strömung von hohem Niveau, die ihre maßgeblichste Stimme in der Zeitschrift ,Divinitas’ besaß, deren Herausgeber Msgr. Antonio Piolanti, Rektor der Lateran-Universität, war. Trotz der privilegierten Beziehungen zur Lateran-Universität sammelte ,Divinitas’ die Beiträge der führenden römischen Theologen, die aus verschiedenen Orden, Kollegien und Universitäten kamen. Viele von ihnen standen mit der Kongregation des Heiligen Offiziums in Verbindung und wurden Mitglieder und Konsultoren der Theologischen Vorbereitungskommission des Konzils. Den gemeinsamen Bezugspunkt bildete für sie die thomistische Philosophie, die durch die Enzyklika Aeterni Patris von Leo XIII. erneut vorgelegt und an der Lateran-Universität von international angesehenen Dozenten vertreten wurde, wie dem Stigmatiner-Pater Cornelio Fabro und dem genannten Antonio Piolanti, dem Begründer der internationalen Kongresse über den hl. Thomas v. Aquin.

Die Anzahl der Lateran-Professoren, die an den Arbeiten der vorkonziliaren Phase teilnahmen, war beachtlich. In der Theologischen Vorbereitungskommission oder in anderen Kommissionen arbeiteten viele Dozenten, unter ihnen neben dem Rektor Piolanti und P. Fabro Msgr. Ugo Lattanzi, die Patres Umberto Betti und Agostino Trape vom Istituto Patristico Medievale, Msgr. Salvatore Garofalo, Don Roberto Masi, Msgr. Francesco Spadafora, P. Charles Boyer sowie andere.

Unter den Hochschulen, katholischen Universitäten und kirchlichen Fakultäten, über die sich die Befragung für die Vorbereitung des Konzils erstreckt hatte, ragte das Votum der Lateran-Universität hervor, neben seiner Qualität auch wegen seines Umfangs (273 Seiten) und wegen der Zahl derer, die zu seiner Abfassung beitrugen (27 Professoren, die der Theologischen, der Kanonistischen und der Philosophischen Fakultät angehörten). Die Zeitschrift ,Divinitas’ unter ihrem Herausgeber Piolanti brachte überdies zwei Sondernummern heraus, die dem bevorstehenden Konzil gewidmet waren; die erste erschien 1961 unter dem Titel Magisterium et theologia und bekräftigte die Rolle des kirchlichen Lehramtes; die zweite trug den Titel Symposium theologicum de Ecclesia Christi, wurde 1962 veröffentlicht und nahm sich vor, „die zirkulierenden Irrtümer, auch im Bereich der katholischen Theologie, zurückzudrängen, und den Weg zu einer gerechten Lösung zu erhellen“. (Roberto de Mattei, Das Zweite Vatikanische Konzil, Edition Kirchliche Umschau 2011, S. 168 ff.)

Hinter diesen „alten“ Schemata des Konzils stand also die ganze Elite der „alten“ Kirche, die mit dem hl. Offizium eng verbunden war, wie es für einen katholischen Gelehrten selbstverständlich sein sollte.

Applaus für den Parteigänger der Nichtkatholiken

Hinter dem Vorstoß Frings’ hingegen steckte letztlich eine ziemlich perfide Absicht, er wollte den Einfluß des hl. Offiziums zumindest während des Konzils, soweit wie irgend möglich, minimalisieren, wenn nicht sogar ganz ausschalten, was den Modernisten natürlich am liebsten gewesen wäre. Brüggemann fährt völlig unbedarft weiter:

Und Frings ging in die Vollen: Die oberste Vatikanbehörde, Nachfolgerin der mittelalterlichen Inquisition, habe der Kirche schweren Schaden zugefügt und sei für Nichtkatholiken ein Ärgernis. Rechtgläubige Gelehrte würden verurteilt, ohne angehört zu werden; ohne Angabe von Gründen würden theologische Bücher verboten. Applaus in der Konzilsaula – und der brüskierte Behördenchef Ottaviani rang sichtlich um Fassung.

„Sinistre Komödie von dreitausend Mann“ …

Frings ging tatsächlich in die Vollen, denn damit war nichts anderes als die modernistische Revolution formuliert, wobei der Applaus in der Konzilsaula zeigte, daß die große Mehrheit der Kardinäle und Bischöfe dafür bereit waren. Sie waren nicht erst mit dem „Konzil“ vom katholischen Glauben abgefallen, sondern gingen schon zumindest angekränkelt durch den Modernismus in diese Versammlung von 2500 Bischofsmützen. Als Montini am 13. November 1964, also gegen Ende der dritten Sitzungsperiode des „Konzils“, überaus symbolträchtig und zudem ehrlicherweise – war er doch nicht mehr der Papst der katholischen Kirche, sondern nur noch der Chef der neuen Menschenmachwerkskirche – die Tiara abgelegt und auf den „Konzilsaltar“ gestellt hatte, hat Mgr. Antonio folgendes wirklichkeitsnahe Bild des „Konzils“ gezeichnet: „Sinistre Komödie von dreitausend Mann, die zu nichts gut sind, die, mit ihrem goldenen Kreuz auf der Brust, nicht an die Trinität glauben oder an die Jungfrau Maria – zumindest einige von ihnen.“ Ganz dem entsprechend nannte einer der orientalischen Patriarchen diese Sinistre Komödie von dreitausend Mann „eine Versammlung von Junggesellen“.

… oder „beispiellose Attacke gegen die traditionellen Überwachungspraktiken“?

Von solchen Einsichten ist Alexander Brüggemann himmelweit entfernt, er erklärt das Ziel der Rede Frings’ folgendermaßen:

Der Angriff war ein doppelter: Er zielte auch und vor allem auf Ottavianis Anspruch, mit seiner Theologischen Kommission über Recht- und Unrechtmäßigkeit der Konzilsbeschlüsse zu befinden – sprich, die Kurie über die Autorität des Konzils und der versammelten Bischöfe der Weltkirche zu stellen. Es war diese drohende Entmündigung der Konzilsväter, die Frings – einen der zwölf Präsidenten der Versammlung – zu seiner beispiellosen Attacke gegen die traditionellen Überwachungspraktiken des Vatikans brachte.

Das ist freilich ein hanebüchener Unsinn, der die ordentliche Arbeit eines Konzils vollkommen verkennt und mit modernistischer Brille karikiert. Jeder, der auch nur eine rudimentäre Kenntnis der Kirchengeschichte hat, weiß, daß durchaus das hl. Offizium auf dem Konzil nicht über Recht- und Unrechtmäßigkeit der Konzilsbeschlüsse befindet, sondern nur den theologischen Prozess zur Findung der göttlichen Wahrheit leitet.

Wie sehr das gerade auf einem Konzil notwendig ist, weiß ebenfalls jeder auch nur rudimentär gebildete Laie, der sich auch nur ein wenig mit der Konzilsgeschichte beschäftigt hat und gerade mit der Geschichte dieses „Konzils“. Denn so entmündigt wie auf diesem Konzil waren die Konzilsväter sicherlich noch nie, hatte doch die Modernistenmafia sozusagen über Nacht alles in die Hand genommen – und so gesehen war es vorneweg klar, welches Teufelsgebräu bei diesem „Konzil“ herauskommen soll. Selbstverständlich „entmündigten“ die modernistischen Theologen wie Hans Küng, Yves Congar, Joseph Ratzinger, Karl Rahner usw. die Herren Bischöfe vollkommen, weshalb diese illustre Versammlung auch ganz zutreffend „Professorenkonzil“ genannt wurde.

Überraschungscoup im Vatikan

In seiner Abhandlung über „Das Zweite Vatikanische Konzil“ erwähnt Roberto de Mattei auch dieses Ereignis, wobei er anders als Alexander Brüggemann den revolutionären Hintergrund erhellt:

Bei Eröffnung der Sitzung kam es jedoch zu einem Überraschungscoup: Kard. Achille Lienart, Bischof von Lille, einer der neun Präsidenten der Versammlung, wandte sich an Kardinal Tisserant, der die Arbeiten leitete, und richtete an ihn mit leiser Stimme die folgenden Worte: „Eminenz, es ist wirklich unmöglich, in dieser Weise zu wählen, ohne Bescheid zu wissen, ob es qualifiziertere Kandidaten gibt. Wenn Sie erlauben, so bitte ich um das Wort.“ „Das ist unmöglich.“ - entgegnete Tisserant - „Die Tagesordnung sieht keine Debatte vor. Wir sind einfach nur zusammengekommen, um zu wählen, ich kann Ihnen nicht das Wort erteilen.“

Die Antwort von Kard. Tisserant stand in Einklang mit dem Reglement, da die Kongregation einberufen war, um zu wählen, und nicht, um darüber zu entscheiden, ob gewählt wird oder nicht. Doch der Erzbischof von Lille, damit nicht zufriedengestellt, ergriff das Mikrophon und las einen Text vor, worin er äußerte, dass die Väter noch nicht alle infrage kommenden Kandidaten kennen würden und dass man die nationalen Bischofskonferenzen konsultieren müsse, bevor man die Kommissionen wählen könne. „Da es momentan in der Welt 42 Bischofskonferenzen gibt, die im Päpstlichen Jahrbuch verzeichnet sind, so wünschen wir, dass die Vorsitzenden dieser Konferenzen ihre Mitglieder zusammenrufen und von ihnen die Namen ihrer Kollegen in Erfahrung bringen, die sie für die Arbeit in den Kommissionen als geeignet empfehlen.“

Während aus der Versammlung mancher Applaus kam, erhob sich von der Präsidentenbank Kard. Frings; er gab an, auch im Namen der Kardinale Döpfnerund König zu sprechen, und brachte entschieden seine Unterstützung für das Ersuchen seines französischen Kollegen zum Ausdruck. Der Applaus nahm zu, und Kard. Tisserant schlug vor, die Sitzung zu schließen und den Heiligen Vater über den Vorfall zu unterrichten. Kard. Suenens hob in seinen Erinnerungen die revolutionäre Tragweite dieses Vorfalles hervor: „Glücklicher Coup und vagemutige Verletzung des Reglements! … Die Geschicke des Konzils wurden zu einem gut Teil in diesem Augenblick entschieden. Johannes XXIII. war darüber froh.“

Der „Blitzkrieg“ war sorgfältig abgestimmt worden. In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober hatten im Französischen Seminar von Santa Chiara Msgr. Garrone und Msgr. Ancel einen Text vorbereitet, der dann Kard. Joseph-Charles Lefebvre, dem Erzbischof von Bourges, übergeben worden war, damit er ihn seinerseits Kard. Lienart zukommen lasse, der ihn zu Beginn der Generalkongregation verlesen sollte. Kard. Lefebvre hatte diesen Lienart erst am Morgen des 13. beim Betreten der Basilika von St. Peter übergeben. (Ebd. S. 230 f.)

Aggiornamento!

Damit war das „Konzil“ von Anfang an in der Hand der Modernisten, was wiederum nur deswegen möglich war, weil Roncalli, alias Johannes XXIII., auf ihrer Seite stand. Dieser hatte gleich zu Beginn klar gemacht, was er von diesem „Konzil“ erwartete, nämlich das große „Aggiornamento“, also die Anpassung der Kirche an die Welt. Schon bei seiner Eröffnungsansprache wandte er sich gegen die Unglückspropheten – damit waren die katholischen Heilsrealisten gemeint! – und stellte sich ausdrücklich auf die Seite der modernistischen Heilsillusionisten, deren „Theologie“ am allerbesten durch das Faschingslied beschrieben wird: „Wir kommen alle alle in den Himmel“.

Weg frei!

Dabei hatte Roncalli zugleich den hermeneutischen Schlüssel für dieses primitive Täuschungsmanöver genannt: „Denn etwas anderes ist das Depositum Fidei oder die Wahrheiten, die in der zu verehrenden Lehre enthalten sind, und etwas anderes ist die Art und Weise, wie sie verkündet werden…“ An sich spricht hier Roncalli eine bloße Binsenweisheit aus, mit der jeder Seelsorger seit Jahrhunderten konfrontiert ist, aber im Zusammenhang mit einem „Konzil“ wird daraus ein überaus wirksamer Sprengsatz, um die Lehre zu pulverisieren oder gar zu atomisieren. Denn ein wahres Konzil der Kirche ist keine überlange Predigt, sondern ein Organ des unfehlbaren Lehramtes der Kirche. Als solches ist es dazu da, die katholische Glaubenslehre darzulegen und zu festigen, sie gegen aktuell grassierende Irrlehren zu verteidigen und darüber hinaus die damit gefährdete Disziplin zu schützen und vor Verfall zu bewahren. In dieser Hinsicht hätte es auf dem sog. 2. Vatikanum genügend zu tun gegeben. Aber gerade das wollte Roncalli bzw. seine Hintermänner nicht! Sie wollten vielmehr die schon entriegelte Falltüre öffnen, wollten den Weg zum freien Fall frei machen.

Es ist durchaus noch eine Bemerkung wert: Das, was dieses Konzil schließlich an Texten geliefert hat, ist sicherlich nicht geeignet, als Predigt von der Kanzel verlesen zu werden. Bei solch geschraubten Geschwätz würde keiner der Zuhörer irgendetwas verstehen, sondern nur gelangweilt warten, bis der Prediger endlich das „Amen“ spricht. Das ist doch seltsam, wo man sich ganz besonders vorgenommen hatte, die katholische Glaubenslehre allgemein verständlich zu formulieren.

In einem den apokalyptischen Ernst der Zeit vollkommenen verkennenden, ja schon hämisch zu nennenden Euphemismus sagte Roncalli in seiner Eröffnungsrede:

„Heute dagegen möchte die Braut Christi lieber das Heilmittel der Barmherzigkeit anwenden als die Waffe der Strenge erheben. Sie glaubt, es sei den heutigen Notwendigkeiten angemessener, den Wert ihrer Lehre ausgiebig zu erklären, als zu verurteilen. … Angesichts dieser Lage erhebt die katholische Kirche durch dieses Ökumenische Konzil die Leuchte der katholischen Wahrheit. Sie will sich damit als eine gegenüber allen sehr liebevolle, gütige und geduldige Mutter erweisen, voller Erbarmen und Wohlwollen gegenüber ihren getrennten Töchtern und Söhnen.“

Am Tag dieser Eröffnungsrede Roncallis hat Kardinal Siri in seinem Tagebuch notiert: „Habe von der Rede des Papstes wenig mitbekommen: bei dem Wenigen aber habe ich unvermutet Gelegenheit erhalten, einen bedeutenden Akt geistigen Gehorsams zu setzen.“

Damit hat der Kardinal leider, wenn auch unwissentlich und ungewollt, das Verhaltensmuster aller Konservativen und Traditionalisten formuliert: einen bedeutenden Akt geistigen Gehorsams. Dieses Wort steht zwar in dem Tagebuch von Siri, aber als solider Theologe hätte ihm – wenn er nicht nur so „wenig mitbekommen“ hätte – doch auffallen müssen, daß an dieser Formulierung etwas nicht stimmt. Und Siri, der doch beim letzten Konklave dabei war und sogar schon als Papst gewählt gewesen sein soll, aber aufgrund der Drohungen der Papstmacher angeblich einen Rückzieher gemacht habe, hätte es eigentlich besser wissen müssen. Kardinal Siri ist eine jener überaus traurigen Gestalten in der „Kirche“ des 2. Vatikanums, die jeweils auf halbem Wege stehen blieben.

Geistiger Gehorsam?

Siri schreibt also in sein Tagebuch, er habe einen bedeutenden Akt „geistigen Gehorsams“ geleistet. „Geistiger Gehorsam“, das ist kein theologischer, sondern ein spiritueller Begriff. Vielleicht hatte damals Kardinal Siri intuitiv gespürt, daß der Begriff „theologischer Gehorsam“ falsch gewesen wäre, daß er damit nicht wirklich, nicht treffend hätte beschreiben können, welchen Gehorsam er nach diese Ansprache seinem „Papst“ leistete. Er meinte, es sei ein „geistiger Gehorsam“ gewesen, aber es war genaugenommen ein irrationaler, ein charismatischer Gehorsam.

Alle Konservativen und Traditionalisten werden es ihm nachmachen. Sie werden felsenfest davon überzeugt sein, daß sie ihrem „Papst“ gehorchen – auf Teufel komm raus oder ob er es will oder nicht – und zwar mit einem geistigen Gehorsam. Bei den Konservativen wird dieser „geistige Gehorsam“ eher charismatisch geprägt sein, bei den Lefebvristen naturalistisch-minimalistisch. Mit anderen Worten: Sie werden ganz systematisch aus dem unfehlbaren kirchlichen Lehramt ein Leeramt machen, das sie ständig überwachen, ständig anhand ihrer Tradition kontrollieren und korrigieren müssen.

Dieser Gehorsam kann verschiedene Nuancen annehmen, aber eines kann er nicht werden: ein theologischer, also übernatürlicher Gehorsam. Denn dazu muß man an das ordentliche unfehlbare Lehramt glauben.

Ganz sicher hat Roncalli mit diesem bedeutenden Akt geistigen Gehorsams seiner Zuhörer und aller Katholiken gerechnet, denn nur so konnte die Revolution gelingen. Die Konservativen und Traditionalisten mußten in der Spur bleiben, sie durften auf keinem Fall aus dem System ausscheren. Und in der Tat, während die Modernisten alles planmäßig einrissen, haben die Konservativen brav und in einem bedeutenden Akt geistigen Gehorsams gegenüber ihrem „Papst“ stillgehalten – und das bis heute, Bergoglio zum Trotz!

Fortsetzung folgt